Warum war sie nur so dumm gewesen, ihm die Wahrheit zu gestehen?
Sie hätte schweigen sollen, anstatt mit ihm eine Unterhaltung zu beginnen, die sich nun in eine bedenkliche Richtung entwickelt hatte. Wenn er lediglich baden wollte, dann sollte ihr das nur recht sein, aber seine Bemerkung über das gemeinsame Bad hatte sehr seltsame Gefühle ausgelöst, bei denen ihr auffallend heiß wurde. Ein Wort gab das andere, eine Äußerung zog die nächste nach sich, bis sie sich zu dem unüberlegten Geständnis hatte verleiten lassen, dass sie geglaubt habe, er sei gekommen, um mit ihr das Bett zu teilen!
Sie hob die Hände und strich einige Strähnen nach hinten, die ihr ins Gesicht gefallen waren. Frisch gewaschen und nicht zum Zopf geflochten, waren ihre Haare eine wüste Mähne aus Locken, die sich wild über ihre Schultern ergossen und ihr Gesicht umrahmten. Ihr fiel auf, dass noch kein Mann sie so zu sehen bekommen hatte. Aber wieso gingen ihr diese frivolen Gedanken gerade jetzt durch den Kopf, wenn er dasaß und auf ihre Antwort wartete?
Dass er aufgehört hatte, sich zu waschen, erkannte sie daran, dass kein Plätschern und auch keine anderen Bewegungen mehr zu hören waren. Starrte er sie in diesem Moment an? Sie musste einmal, dann ein zweites Mal schlucken, während sich ihre Kehle vor Unruhe immer stärker zusammenzog. Wie mochte er wohl nackt aussehen, wenn er schon auf dem Schlachtfeld ein so beeindruckendes Bild abgab?
Ein Schauer lief ihr bei diesem Gedanken über den Rücken. Soren räusperte sich, um sie daran zu erinnern, dass er immer noch auf ihre Antwort wartete. Also straffte sie die Schultern, schüttelte den Kopf und entgegnete: „Nein.“
Daraufhin bewegte er sich wieder. Nach den Geräuschen zu urteilen stand er wohl auf und stieg aus dem Badezuber. Sie schlang die Arme um sich und versuchte ihr Zittern zu unterdrücken. Seine Schritte näherten sich, bis sie die Wärme seines Körpers auf ihrer Haut fühlen konnte. Er hatte ihr eine Gelegenheit gegeben, das zu sagen, was ihr auf dem Herzen lag, also beschloss sie, Mut zu zeigen – viel mehr Mut, als sie in Wahrheit empfand.
„Ich hatte die Absicht, Euch zu bitten, mich ins Kloster meiner Cousine gehen zu lassen“, sagte sie.
„Und wann wolltest du mich darum bitten?“, fragte er.
Seine Stimme kam ein Stück weit von rechts und ließ darauf schließen, dass er ziemlich dicht vor ihr stand. Also drehte sie den Kopf in diese Richtung und hob ihn ein wenig an, so als würde sie ihn direkt ansehen.
„Am Tag Eures Angriffs. Ich wollte Euch das Land überlassen und mich ins Kloster zurückziehen, damit Ihr meinen Leuten nichts antun würdet.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ihr habt mir keine Gelegenheit dazu gegeben.“
Die nachfolgende Stille, die nur von seinen Atemzügen unterbrochen wurde, ließ sie unruhig werden. Sybilla selbst atmete tief durch und versuchte, ihr rasendes Herz zu bändigen. Stand er wirklich so dicht vor ihr, dass sich ihre Körper fast berührten? Sie konnte die Seife riechen, mit der er sich gewaschen hatte, und sogleich entstand vor ihrem geistigen Auge das Bild, wie er diese Seife auf seiner Haut verteilte.
„Dann willst du also eine Nonne werden?“, erwiderte er im Flüsterton, wobei sie seinen Atemhauch an ihrem Ohr spürte.
Oh, großer Gott im Himmel, stand er so dicht vor ihr?
Sie wollte vor ihm zurückweichen, doch sie wagte es nicht, sich zu bewegen. Würde er ihr jetzt die Gelegenheit geben, die er ihr zuvor versagt hatte? Würde er sie gehen lassen?
„Nein, keine N… Nonne“, brachte sie nur stotternd heraus. „Aber dort könnte ich ein besinnliches Leben führen.“ Es war eine kühne Behauptung, und so gut wie jeder, der sie näher kannte, würde ihr die Ernsthaftigkeit dieses Ansinnens absprechen.
Plötzlich stand er hinter ihr und fasste sie an den Schultern, dann zog er sie nach hinten, bis sie gegen ihn gelehnt dastand. Sein Körper war hart wie eine Mauer, nichts fühlte sich zart und weich an. Sybilla wusste genug darüber, was die fleischliche Lust alles umfasste, deshalb war ihr auch klar, welcher Teil seines Körpers ihr so auffallend gegen den Rücken drückte. Trotzdem versuchte sie gar nicht erst darüber nachzudenken.
Dann beugte er sich vor und flüsterte ihr wieder ins Ohr. „Würdest du alles aufgeben, was du besitzt? Würdest du ein Leben in Gehorsam und Schweigen führen können?“
Einen Arm legte er um sie, damit er sie weiter an sich drücken konnte, während er mit der freien Hand ihre Haare zur Seite strich. Sein Atem kitzelte ihr am Hals, und sie versuchte sich vorzubeugen, um ihm auszuweichen. Doch bei dieser Bewegung legte sie ihren ganzen Nacken bloß und fühlte sich so verwundbar, wie sie es so noch nie erlebt hatte. Eigentlich sollte sie vor Angst laut schreien, aber ihr Körper reagierte völlig unerwartet, als ihre Brüste gegen seinen Arm drückten. Ihre Haut kribbelte und sehnte sich nach mehr, gleichzeitig verspürte sie eine ungewohnte Hitze zwischen ihren Schenkeln.
„Würdest du dafür alles aufgeben?“
Als seine Zunge ihre Haut berührte, zuckte Sybilla zusammen. Dann küsste er die gleiche Stelle wieder und wieder, und als er schließlich an dem empfindsamen Punkt leicht zu knabbern begann, schnappte sie keuchend nach Luft, da ihr eine Gänsehaut über den ganzen Körper lief.
Das genügte, um sie wieder zur Besinnung kommen zu lassen.
„Und was genau würde ich aufgeben, Lord Soren?“, fragte sie, hob den Kopf und löste sich aus seinem Griff. „Land und Leute, die mir längst nicht mehr gehören? Einen Ehemann, der mich um ein Haar getötet hätte und für den ich nichts weiter bin als eine Zuchtstute? Ein Leben in Blindheit, unfähig irgendetwas von den Dingen zu sehen, deren Anblick mich mit Zufriedenheit erfüllt hat? Auf was genau würde ich verzichten, wenn ich im Kloster wäre?“
Eine Weile stand sie nur da in der Dunkelheit, die nun ihre Welt war, und wartete auf seine Reaktion. Insgeheim rechnete sie damit, dass er sie für ihr Aufbegehren schlagen würde, so wie ihr Vater es gemacht hätte, wäre er mit einem derartigen Tonfall konfrontiert worden. Einen Kuss auf ihren Mund hätte sie beim besten Willen nicht erwartet.
Diesmal hielt er sie nicht fest, sondern drückte einfach seine Lippen auf ihre und küsste sie. Erschrocken atmete sie ein, und dann fühlte sie auch schon, wie er seine Zunge in ihren Mund schob. So verdutzt und so völlig unerfahren in solchen Dingen war sie, dass sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Natürlich war sie schon geküsst worden – von ihren Eltern, von anderen Angehörigen, sogar vom Herrn ihres Vaters –, aber nie auf eine so intime Weise.
Als seine Zunge ihre berührte und er sie mit mehr Nachdruck küsste, vergaß Sybilla alles um sich herum.
Dass er einen Fehler beging, wurde ihm genau in dem Moment klar, da er sich Sybilla noch weiter näherte. Alte Angewohnheiten ließen sich nur schwer ablegen, und dazu gehörte auch, sich das Vergnügen dort zu holen, wo es sich ihm anbot. Immerhin hatte er seine Ehefrau vor sich. Er konnte sie mit in sein Bett nehmen und ihr Lust bereiten, und niemand hätte ihm das streitig machen können. Es war sein gutes Recht. Doch ihre Worte führten ihn weg von seinem Verlangen nach Lust und hin zum eigentlichen Thema.
Er war hergekommen, um sie zu töten.
Er hatte ihr das Land und alles und jeden genommen, der ihr wichtig war. Er hatte ihr das Augenlicht und damit auch das Leben geraubt, das sie andernfalls hätte führen können.
Sybilla hatte in jeder Hinsicht die Wahrheit gesprochen, und doch fühlte er sich zu ihr hingezogen. Das Verlangen, ihre Lippen zu berühren und sie mit Lust zum Schweigen zu bringen, war so überwältigend, dass er sich nicht beherrschen konnte. Er würde ihr zeigen, worauf sie verzichten müsste, wenn er die Ehe aufheben ließ, damit sie ins Kloster gehen konnte.
Also raubte er ihr einen einzigen Kuss.
Ein Kuss, der Sybilla ihren Irrglauben vor Augen führen sollte, und dass sie nichts zu verlieren hatte. Dass ihr zumindest etwas fehlen würde. Entgegen seiner Absicht erteilte er sich damit aber selbst eine Lektion, die er so bald nicht vergessen würde.
Die Frau, die er geheiratet hatte, war zwar blind, und sie mochte auch unschuldig sein, doch er konnte ihre Erregung auf ihren Lippen spüren und auf ihrer Zunge schmecken. Wenn er jetzt weitermachte und sie so leidenschaftlich küsste, wie sein Körper es von ihm verlangte, dann würden sich ihre Lippen noch mehr an seine schmiegen, ihre Brüste würden weiter anschwellen und ihre Brustspitzen sich zu harten Knospen versteifen, an denen er saugen konnte und …
O verdammt! Mit aller Macht kämpfte er gegen diese Leidenschaft an, die von ihm Besitz ergreifen wollte. Wenn er ihr nachgab, würde Sybilla innerhalb weniger Augenblicke in ihrem Bett unter ihm liegen und angestrengt atmen, während er sie an Stellen ihres Körpers küsste, wo sie es niemals für möglich gehalten hätte. Sie würde sich unter seinen Küssen winden und seinen Namen rufen …
Durwards Stimme und sein Gelächter, als er ihn von hinten angriff, hallten genau in dem Moment durch Sorens Kopf, da er seiner Begierde freien Lauf lassen wollte. Abrupt unterbrach er den Kuss und trat einen Schritt nach hinten.
Ihre Miene verriet unverhohlene Verwunderung und Verwirrung. Auch wenn sie nichts sehen konnte, zwinkerte sie ein paar Mal, als erwache sie orientierungslos aus einem tiefen Schlaf. Dann kniff sie die Lippen zusammen, während ihre Wangen immer noch vor Erregung gerötet waren.
Soren wehrte sich gegen sein Interesse an ihr, das immer stärker wurde, noch während die aufgeflammte Leidenschaft wieder abkühlte. Rücksichtslos wandte er sich ab und ignorierte all die Dinge, von denen er wusste, dass sie sie von ihm hören musste, einem Mann mit Erfahrung, ihrem Ehemann. Er nahm die frische Kleidung hoch, die neben dem Zuber auf dem Boden gelegen hatte, zog sich hastig an und drehte sich zur Tür um.
Er würde jetzt nicht einer Schwäche nachgeben, wenn seine innere Stärke ihn so lange am Leben erhalten hatte. Er durfte nicht einlenken, und erst recht durfte er sie nicht zu nahe an sich herankommen lassen. Fast hatte er die Tür erreicht und beinahe wäre er nach draußen in den Korridor gelangt, da hörte er ihre sanfte Stimme, die durch den Raum hallte.