Die Schöne und der Bastard - Kapitel 10

~ Kapitel 10 ~

Warum war sie nur so dumm gewesen, ihm die Wahrheit zu gestehen?

Sie hätte schweigen sollen, anstatt mit ihm eine Unterhaltung zu beginnen, die sich nun in eine bedenkliche Richtung entwickelt hatte. Wenn er lediglich baden wollte, dann sollte ihr das nur recht sein, aber seine Bemerkung über das gemeinsame Bad hatte sehr seltsame Gefühle ausgelöst, bei denen ihr auffallend heiß wurde. Ein Wort gab das andere, eine Äußerung zog die nächste nach sich, bis sie sich zu dem unüberlegten Geständnis hatte verleiten lassen, dass sie geglaubt habe, er sei gekommen, um mit ihr das Bett zu teilen!

Sie hob die Hände und strich einige Strähnen nach hinten, die ihr ins Gesicht gefallen waren. Frisch gewaschen und nicht zum Zopf geflochten, waren ihre Haare eine wüste Mähne aus Locken, die sich wild über ihre Schultern ergossen und ihr Gesicht umrahmten. Ihr fiel auf, dass noch kein Mann sie so zu sehen bekommen hatte. Aber wieso gingen ihr diese frivolen Gedanken gerade jetzt durch den Kopf, wenn er dasaß und auf ihre Antwort wartete?

Dass er aufgehört hatte, sich zu waschen, erkannte sie daran, dass kein Plätschern und auch keine anderen Bewegungen mehr zu hören waren. Starrte er sie in diesem Moment an? Sie musste einmal, dann ein zweites Mal schlucken, während sich ihre Kehle vor Unruhe immer stärker zusammenzog. Wie mochte er wohl nackt aussehen, wenn er schon auf dem Schlachtfeld ein so beeindruckendes Bild abgab?

Ein Schauer lief ihr bei diesem Gedanken über den Rücken. Soren räusperte sich, um sie daran zu erinnern, dass er immer noch auf ihre Antwort wartete. Also straffte sie die Schultern, schüttelte den Kopf und entgegnete: „Nein.“

Daraufhin bewegte er sich wieder. Nach den Geräuschen zu urteilen stand er wohl auf und stieg aus dem Badezuber. Sie schlang die Arme um sich und versuchte ihr Zittern zu unterdrücken. Seine Schritte näherten sich, bis sie die Wärme seines Körpers auf ihrer Haut fühlen konnte. Er hatte ihr eine Gelegenheit gegeben, das zu sagen, was ihr auf dem Herzen lag, also beschloss sie, Mut zu zeigen – viel mehr Mut, als sie in Wahrheit empfand.

„Ich hatte die Absicht, Euch zu bitten, mich ins Kloster meiner Cousine gehen zu lassen“, sagte sie.

„Und wann wolltest du mich darum bitten?“, fragte er.

Seine Stimme kam ein Stück weit von rechts und ließ darauf schließen, dass er ziemlich dicht vor ihr stand. Also drehte sie den Kopf in diese Richtung und hob ihn ein wenig an, so als würde sie ihn direkt ansehen.

„Am Tag Eures Angriffs. Ich wollte Euch das Land überlassen und mich ins Kloster zurückziehen, damit Ihr meinen Leuten nichts antun würdet.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ihr habt mir keine Gelegenheit dazu gegeben.“

Die nachfolgende Stille, die nur von seinen Atemzügen unterbrochen wurde, ließ sie unruhig werden. Sybilla selbst atmete tief durch und versuchte, ihr rasendes Herz zu bändigen. Stand er wirklich so dicht vor ihr, dass sich ihre Körper fast berührten? Sie konnte die Seife riechen, mit der er sich gewaschen hatte, und sogleich entstand vor ihrem geistigen Auge das Bild, wie er diese Seife auf seiner Haut verteilte.

„Dann willst du also eine Nonne werden?“, erwiderte er im Flüsterton, wobei sie seinen Atemhauch an ihrem Ohr spürte.

Oh, großer Gott im Himmel, stand er so dicht vor ihr?

Sie wollte vor ihm zurückweichen, doch sie wagte es nicht, sich zu bewegen. Würde er ihr jetzt die Gelegenheit geben, die er ihr zuvor versagt hatte? Würde er sie gehen lassen?

„Nein, keine N… Nonne“, brachte sie nur stotternd heraus. „Aber dort könnte ich ein besinnliches Leben führen.“ Es war eine kühne Behauptung, und so gut wie jeder, der sie näher kannte, würde ihr die Ernsthaftigkeit dieses Ansinnens absprechen.

Plötzlich stand er hinter ihr und fasste sie an den Schultern, dann zog er sie nach hinten, bis sie gegen ihn gelehnt dastand. Sein Körper war hart wie eine Mauer, nichts fühlte sich zart und weich an. Sybilla wusste genug darüber, was die fleischliche Lust alles umfasste, deshalb war ihr auch klar, welcher Teil seines Körpers ihr so auffallend gegen den Rücken drückte. Trotzdem versuchte sie gar nicht erst darüber nachzudenken.

Dann beugte er sich vor und flüsterte ihr wieder ins Ohr. „Würdest du alles aufgeben, was du besitzt? Würdest du ein Leben in Gehorsam und Schweigen führen können?“

Einen Arm legte er um sie, damit er sie weiter an sich drücken konnte, während er mit der freien Hand ihre Haare zur Seite strich. Sein Atem kitzelte ihr am Hals, und sie versuchte sich vorzubeugen, um ihm auszuweichen. Doch bei dieser Bewegung legte sie ihren ganzen Nacken bloß und fühlte sich so verwundbar, wie sie es so noch nie erlebt hatte. Eigentlich sollte sie vor Angst laut schreien, aber ihr Körper reagierte völlig unerwartet, als ihre Brüste gegen seinen Arm drückten. Ihre Haut kribbelte und sehnte sich nach mehr, gleichzeitig verspürte sie eine ungewohnte Hitze zwischen ihren Schenkeln.

„Würdest du dafür alles aufgeben?“

Als seine Zunge ihre Haut berührte, zuckte Sybilla zusammen. Dann küsste er die gleiche Stelle wieder und wieder, und als er schließlich an dem empfindsamen Punkt leicht zu knabbern begann, schnappte sie keuchend nach Luft, da ihr eine Gänsehaut über den ganzen Körper lief.

Das genügte, um sie wieder zur Besinnung kommen zu lassen.

„Und was genau würde ich aufgeben, Lord Soren?“, fragte sie, hob den Kopf und löste sich aus seinem Griff. „Land und Leute, die mir längst nicht mehr gehören? Einen Ehemann, der mich um ein Haar getötet hätte und für den ich nichts weiter bin als eine Zuchtstute? Ein Leben in Blindheit, unfähig irgendetwas von den Dingen zu sehen, deren Anblick mich mit Zufriedenheit erfüllt hat? Auf was genau würde ich verzichten, wenn ich im Kloster wäre?“

Eine Weile stand sie nur da in der Dunkelheit, die nun ihre Welt war, und wartete auf seine Reaktion. Insgeheim rechnete sie damit, dass er sie für ihr Aufbegehren schlagen würde, so wie ihr Vater es gemacht hätte, wäre er mit einem derartigen Tonfall konfrontiert worden. Einen Kuss auf ihren Mund hätte sie beim besten Willen nicht erwartet.

Diesmal hielt er sie nicht fest, sondern drückte einfach seine Lippen auf ihre und küsste sie. Erschrocken atmete sie ein, und dann fühlte sie auch schon, wie er seine Zunge in ihren Mund schob. So verdutzt und so völlig unerfahren in solchen Dingen war sie, dass sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Natürlich war sie schon geküsst worden – von ihren Eltern, von anderen Angehörigen, sogar vom Herrn ihres Vaters –, aber nie auf eine so intime Weise.

Als seine Zunge ihre berührte und er sie mit mehr Nachdruck küsste, vergaß Sybilla alles um sich herum.

 

Dass er einen Fehler beging, wurde ihm genau in dem Moment klar, da er sich Sybilla noch weiter näherte. Alte Angewohnheiten ließen sich nur schwer ablegen, und dazu gehörte auch, sich das Vergnügen dort zu holen, wo es sich ihm anbot. Immerhin hatte er seine Ehefrau vor sich. Er konnte sie mit in sein Bett nehmen und ihr Lust bereiten, und niemand hätte ihm das streitig machen können. Es war sein gutes Recht. Doch ihre Worte führten ihn weg von seinem Verlangen nach Lust und hin zum eigentlichen Thema.

Er war hergekommen, um sie zu töten.

Er hatte ihr das Land und alles und jeden genommen, der ihr wichtig war. Er hatte ihr das Augenlicht und damit auch das Leben geraubt, das sie andernfalls hätte führen können.

Sybilla hatte in jeder Hinsicht die Wahrheit gesprochen, und doch fühlte er sich zu ihr hingezogen. Das Verlangen, ihre Lippen zu berühren und sie mit Lust zum Schweigen zu bringen, war so überwältigend, dass er sich nicht beherrschen konnte. Er würde ihr zeigen, worauf sie verzichten müsste, wenn er die Ehe aufheben ließ, damit sie ins Kloster gehen konnte.

Also raubte er ihr einen einzigen Kuss.

Ein Kuss, der Sybilla ihren Irrglauben vor Augen führen sollte, und dass sie nichts zu verlieren hatte. Dass ihr zumindest etwas fehlen würde. Entgegen seiner Absicht erteilte er sich damit aber selbst eine Lektion, die er so bald nicht vergessen würde.

Die Frau, die er geheiratet hatte, war zwar blind, und sie mochte auch unschuldig sein, doch er konnte ihre Erregung auf ihren Lippen spüren und auf ihrer Zunge schmecken. Wenn er jetzt weitermachte und sie so leidenschaftlich küsste, wie sein Körper es von ihm verlangte, dann würden sich ihre Lippen noch mehr an seine schmiegen, ihre Brüste würden weiter anschwellen und ihre Brustspitzen sich zu harten Knospen versteifen, an denen er saugen konnte und …

O verdammt! Mit aller Macht kämpfte er gegen diese Leidenschaft an, die von ihm Besitz ergreifen wollte. Wenn er ihr nachgab, würde Sybilla innerhalb weniger Augenblicke in ihrem Bett unter ihm liegen und angestrengt atmen, während er sie an Stellen ihres Körpers küsste, wo sie es niemals für möglich gehalten hätte. Sie würde sich unter seinen Küssen winden und seinen Namen rufen …

Durwards Stimme und sein Gelächter, als er ihn von hinten angriff, hallten genau in dem Moment durch Sorens Kopf, da er seiner Begierde freien Lauf lassen wollte. Abrupt unterbrach er den Kuss und trat einen Schritt nach hinten.

Ihre Miene verriet unverhohlene Verwunderung und Verwirrung. Auch wenn sie nichts sehen konnte, zwinkerte sie ein paar Mal, als erwache sie orientierungslos aus einem tiefen Schlaf. Dann kniff sie die Lippen zusammen, während ihre Wangen immer noch vor Erregung gerötet waren.

Soren wehrte sich gegen sein Interesse an ihr, das immer stärker wurde, noch während die aufgeflammte Leidenschaft wieder abkühlte. Rücksichtslos wandte er sich ab und ignorierte all die Dinge, von denen er wusste, dass sie sie von ihm hören musste, einem Mann mit Erfahrung, ihrem Ehemann. Er nahm die frische Kleidung hoch, die neben dem Zuber auf dem Boden gelegen hatte, zog sich hastig an und drehte sich zur Tür um.

Er würde jetzt nicht einer Schwäche nachgeben, wenn seine innere Stärke ihn so lange am Leben erhalten hatte. Er durfte nicht einlenken, und erst recht durfte er sie nicht zu nahe an sich herankommen lassen. Fast hatte er die Tür erreicht und beinahe wäre er nach draußen in den Korridor gelangt, da hörte er ihre sanfte Stimme, die durch den Raum hallte.

„Gebt Ihr mir die Erlaubnis, ins Kloster zu gehen?“

Von allen Wegen, die er einschlagen konnte, würde dieser vermutlich der leichteste sein. Und es wäre wahrscheinlich das Gutherzigste, was er für sie tun konnte, anstatt sie zu dem Leben zu verdammen, das er für sie vorgesehen hatte. Angesichts ihres Zustands und ihrer damit verbundenen Unfähigkeit, den Pflichten nachzukommen, die eine Frau an seiner Seite normalerweise zu erfüllen hatte, wäre es sogar die für alle Beteiligten sinnvollste Lösung.

Was als Neckerei begonnen hatte, war mit nur einem Kuss zu einer todernsten Angelegenheit geworden. Soren hatte Pläne geschmiedet. Pläne, für die er mit seinem Fleisch und Blut bezahlt hatte. Pläne, an denen er monatelang gefeilt hatte. Und jetzt, da er unmittelbar im Begriff war, diese Pläne in die Tat umzusetzen, da sollte er all das wegen eines einzigen Kusses aufgeben? Das herzlose Ungeheuer, für das ihn mittlerweile jeder hielt, rang mit dem ehrbaren Mann, der er immer hatte sein wollen.

Dieser Kampf ging gleich darauf unentschieden aus.

„Nein, Sybilla, ich werde es dir nicht erlauben.“

Dann hob er den Türriegel hoch und zog die Tür auf. Ohne einen Blick zurück ging er hinaus in den Korridor, wo er stehen blieb und tief ein- und ausatmete. Die kühle Luft fühlte sich auf seiner Haut wohltuend an. Auf seine Anweisung hin hatte sich der Wachmann nach unten begeben und die beiden Dienerinnen mitgenommen, sodass niemand Zeuge seiner überhasteten Flucht aus Sybillas Gemächern werden konnte.

Verfolgt von Durwards Gelächter, das ihn daran erinnerte, dass er die Schlacht letztlich doch verloren hatte, ging er die Treppe herunter. Welche Ironie des Schicksals, dass er sich nach der Frau verzehrte, die zu töten er sich geschworen hatte. Aber er konnte auch nicht vergessen, dass sie sich ihm beinahe hingegeben hätte, als sie sich geküsst hatten.

Er wollte sie bei sich behalten. Er wollte die Gelegenheit beim Schopf packen, die sie ihm bot, ohne dass sie selbst es überhaupt wusste. Er wollte eine Frau, der vor Leidenschaft, aber nicht vor Entsetzen, ein Schauer über den Rücken lief. Es hätte schon mit dem Teufel zugehen müssen, wenn sein Herz das nicht erkannt hätte, das sie dadurch nur noch mehr begehrte. Ins Kloster? Von wegen! Das sollte sie sich lieber aus dem Kopf schlagen. Zwar wäre er selbst auch besser bedient, wenn er sich aus dem Kopf schlagen würde, was er für diese Frau empfand. Sein Problem war nur, dass sein Kopf damit gar nichts zu tun hatte, sondern eine andere Region seines Körpers.

Er ging an dem Wachmann vorbei, der auf Sybilla und ihre Dienerinnen aufpasste, die beide bei ihm standen und die Finger so nervös in den Stoff ihrer Kleidung krallten, als erwarteten sie von ihm die Mitteilung, dass er ihre Herrin getötet hatte. Dann fiel ihm ein, dass alle in der Feste vermuteten, er habe nur aus einem Grund den Badezuber in Sybillas Gemächer geschickt, und er konnte nur voller Unglauben den Kopf schütteln. Ehe er sich auf den Weg zu der kleinen Kammer neben der Küche machte, in der er üblicherweise schlief, wandte er sich an die Frau namens Aldys.

„Hat sie heute gegessen?“, wollte er wissen. Zwar hatte er eine Vermutung, wie die Antwort lauten würde, doch er wollte lieber ein klares Ja oder Nein hören, anstatt sich auf Vermutungen zu stützen.

„Sie war recht nervös, Lord Soren“, begann sie, aber er brachte sie mit einer knappen Geste zum Schweigen.

„Morgen verlässt sie diese Gemächer. Das Wetter ist umgeschlagen, und es wird wohl für eine Weile draußen angenehm sein. Wenn die Sonne aufgegangen ist, werdet ihr zwei sie ankleiden und mit ihr nach draußen gehen.“

„Aber, Lord Soren“, begann die Frau in flehentlichem Tonfall, „sie kann doch gar nichts sehen.“

„Sie muss auch nichts sehen, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Außerdem werdet ihr beide sie begleiten und ihr den Weg weisen!“, sagte er energisch. „Ihr tut eurer Herrin keinen Gefallen, wenn ihr sie in ihren Gemächern einschließt. Das hat morgen früh ein Ende.“ Mit einer Kopfbewegung schickte er die zwei Frauen zurück nach oben, fügte aber noch hinzu: „Bietet ihr weder Speisen noch Getränke an. Gebt ihr etwas, wenn sie danach fragt, aber redet nicht von euch aus darüber.“

Ihre entsetzten Mienen verrieten ihm, dass sie seine Anweisungen völlig falsch aufgefasst hatten und glaubten, er wolle sie hungern lassen, bis sie sich ihm unterwarf. Aufgebracht schnaubte er und lieferte ihnen die offenbar notwendige Erklärung hinterher: „Ihr sollt in ihrer Gegenwart nicht von Essen reden, weil ich die Speisen auf ihr Zimmer schicken lassen werde, um mit ihr zusammen zu Abend zu essen.“

Das kam nicht viel besser an, da sich den beiden bei der Vorstellung, mit ihm beim Essen an einem Tisch zu sitzen, der Magen umdrehte. „Stellt nicht meine Anweisungen infrage, und erzählt ihr auch nichts davon. Kommt euren Pflichten nach, sonst versetze ich euch auf Posten, deren Aufgabenbereiche für euch simpel genug sind. Wendet euch an Guermont, wenn ihr Hilfe benötigt, aber schafft sie endlich raus aus diesen Gemächern!“

Dass sie ihn weiter entsetzt ansahen, nahm er hin. Dann sollte es eben so sein. Ihm war es gleich, ob die zwei mit irgendetwas einverstanden waren oder nicht. Er selbst verstand besser als jeder andere, was Sybilla im Moment mitmachte. Nachdem er seinerzeit das Bewusstsein wiedererlangt hatte, war das für ihn eine verheerende Erfahrung gewesen, da er sich mit Verletzungen konfrontiert gesehen hatte, die ihn für den Rest seines Lebens begleiten würden und die ungeheure Veränderungen mit sich brachten. In den schwärzesten Augenblicken hatte er gebetet, dass ihn der Tod ereilte, weil er so nicht mehr leben wollte.

Sybilla würde die Zeit des Fegefeuers für Geist und Seele auch noch erreichen. Derzeit klammerte sie sich vermutlich an die Hoffnung, ihr Augenlicht könnte wiederkehren. Ja, er war sogar fest davon überzeugt, dass sie sich eingeredet hatte, ihr Zustand sei nur von vorübergehender Dauer und Teyen habe die Schwere ihrer Verletzung lediglich falsch beurteilt. Aber solange sie ihre Blindheit nicht als etwas Bleibendes akzeptierte, würde ihre Seele keine Ruhe finden.

Soren hatte durch sein eigenes Ringen viel gelernt, aber er hatte nicht damit gerechnet, bei einem anderen Menschen mitansehen zu müssen, wie der genau das Gleiche durchmachte wie er. Und erst recht nicht, dass er selbst für diesen Zustand verantwortlich sein würde. Zum ersten Mal in all den Monaten, die er nun schon mit dem Vorsatz verbracht hatte, sein Leben ganz in den Dienst der Rache zu stellen, begann er sich zu fragen, ob er so wirklich auf Dauer weitermachen konnte.

Lord Gautier hatte ihn gewarnt, dass Rache die Seele eines Mannes Stück für Stück auffraß, und Soren musste sich jetzt die Frage stellen, ob er damit nicht auch recht gehabt hatte. Zwar hatte der Wunsch nach Vergeltung ihn seine finsterste Zeit überleben lassen, dennoch überlegte er, ob nicht mehr als nur das nötig war, um ihm die Kraft zum Weiterleben zu geben.

Er hatte seine Gemächer erreicht und schloss die Tür hinter sich. Sein Essen stand für ihn bereit, so wie er es befohlen hatte, und er setzte sich auf den Hocker, um zu speisen. Nachdem er die Kappe abgenommen hatte, streckte er Hals und Schultern, um die ständige Spannung in den vernarbten Partien ein wenig zu lindern. Während er allein dasaß und aß, wurde ihm deutlich, dass es sein Wunsch nach einem Bad gewesen war, der diesen Stein ins Rollen gebracht hatte.

Später, als er im Bett lag und nicht einschlafen konnte, glaubte er abermals Lord Gautiers Gelächter zu hören. Zum ersten Mal seit Monaten fehlten ihm seine Freunde Giles und Brice, die mit ihm zusammen in Rennes ausgebildet worden waren. Alle drei waren sie Bastarde, und irgendwie hatten sie sich mit Simon angefreundet, dem Sohn und Erben Gautiers, jenes weisen Mannes, der sich dann um ihre Ausbildung gekümmert hatte.

Nach der Schlacht bei Hastings waren seine beiden Freunde auf Befehl des Königs losgeritten, um ihre Ländereien für sich zu beanspruchen, jedoch erst nachdem sie wussten, dass er, Soren, noch lebte. Er sehnte sich danach, an ihrer Seite kämpfen zu können, so wie er es immer gemacht hatte. Doch seine Genesung hatte Monate gedauert, und er hatte nur mit Mühe noch gerade rechtzeitig dazustoßen können, um Brice dabei zu helfen, die Rebellen von seinem Land zu vertreiben.

Sie hatten ihm versprochen, an seiner Seite zu stehen, wenn er sie brauchte, aber er hatte sie und ihre Ratschläge abgewiesen, die sie ihm hatten geben wollen. Nun wünschte er, sie wären hier, weil sie sein Dilemma verstehen konnten. Schließlich hatte keiner von ihnen die Frau gewollt, die er geheiratet hatte, und dennoch war inzwischen jeder von ihnen in seiner Ehe glücklich. Ganz sicher hatte – im Gegensatz zu ihm – keiner der beiden vor der Heirat beabsichtigt, die jeweilige Frau zu töten, doch dafür gab es auch gewisse Gründe. Berechtigte Gründe, die ihm zumindest bis zum heutigen Abend und bis zu diesem Kuss als berechtigt vorgekommen waren.

Das Ganze verwirrte ihn mehr, als es ihm recht sein konnte. Mit dem Ergebnis, dass er sich die Nacht hindurch in seinem Bett hin und her wälzte, unablässig verfolgt von der Erinnerung an diesen zärtlichen Kuss, den er und Sybilla ausgetauscht hatten.

 

Als der nächste Morgen gekommen war, wusste Soren zwei … nein, drei Dinge mit Sicherheit. Erstens war ihm immer noch nicht klar, ob er Sybilla als seine Ehefrau behalten sollte oder nicht. Zweitens lag der schwierigste Abschnitt auf dem Weg zum Überleben erst noch vor ihr. Und drittens – diese Erkenntnis, machte ihm am meisten zu schaffen – war es leichter gewesen, sich von der blendenden Rachelust leiten zu lassen, anstatt zu versuchen, so ehrbar zu leben, wie er es sich immer vorgestellt hatte.


Mondscheinküsse für Miss Dara

Sold out

Falsche Verlobung mit dem Gentleman?

Sold out

Verbotene Leidenschaft einer Prinzessin

Sold out
Vorheriger Artikel Die Schöne und der Bastard - Kapitel 11
Nächster Artikel Die Schöne und der Bastard - Kapitel 9