Das war jedoch nicht weiter verwunderlich. Während dieser seltsamen verwirrenden Tage hatte sie sich stets nach dem Abendessen, sobald Ben gebadet und eingeschlafen war, in ihr Zimmer zurückgezogen und gelesen. Den Fernseher hatte sie absichtlich gemieden. Sie hatte nicht wissen wollen, was man über ihre Schwester und Ben zu sagen hatte.
„Gibt es ein Problem?“
Seine samtige Stimme klang kühl. Er schien sie schon einige Zeit angesehen zu haben.
„Warum sind Sie hier? Ist etwas passiert? Etwas Schlimmes? Gibt es schlechte Nachrichten?“, fragte sie gepresst.
„Außer den erwarteten? Nein. Haben Sie die Berichte nicht gesehen?“ Seine Miene war vollkommen verschlossen. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass man so mit ihm sprach, aber das kümmerte Lizzy nicht.
„Ich bin auf Wunsch meines Vaters hier. Aus Gründen, die auch Ihnen offensichtlich sein müssten, Miss Mitchell.“
„Ich verstehe nicht ganz.“
Sein Mund bildete eine schmale Linie, und er warf ihr einen ungeduldigen Blick zu.
„Wir besprechen diese Angelegenheit später“, meinte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder allein Ben zu.
Angst machte sich in ihr breit. Wie sie das Frühstück überstand, wusste sie nicht. Und obwohl es ihr nicht gefiel, war sie dankbar für Bens muntere Unterhaltung mit dem Prinzen. So gelang es ihr, wenigstens ein paar Bissen zu schlucken.
Kaum war Ben mit seinem Frühstück fertig, stand sie auf.
„Komm mit, Ben“, sagte sie.
„Tio Rico hat versprochen, mit mir schwimmen zu gehen.“
„Nicht direkt nach dem Essen“, erwiderte sie ruhig. „Davon bekommst du Bauchschmerzen. Außerdem musst du erst deine Zähne putzen“, fügte sie hinzu und führte ihn aus dem Zimmer.
Oh Gott, was jetzt? dachte sie, als sie den langen Flur betraten. Warum war er zurückgekommen? Und warum sollte seine Rückkehr für sie offensichtlich sein? Für sie war gar nichts offensichtlich. Sie wollte nur, dass alles vorbei war, und mit Ben wieder in ihr Cottage einziehen.
Nachdem Ben seine Zähne geputzt hatte, gingen sie wieder hinunter in den Salon, wo seine Spielzeuge waren.
Prinz Enrico wartete bereits auf sie.
„Das ist eine gute Eisenbahn, Ben“, sagte er.
Begeistert rannte Ben auf ihn zu. „Zu Hause habe ich eine größere, aber wir konnten nicht alle Teile mitnehmen.“ Er setzte sich neben die aufgebauten Gleise und begann dem Prinzen, der sich neben ihn hockte, die einzelnen Lokomotiven zu erklären.
Abrupt wandte Lizzy den Kopf ab. Sie wollte nicht sehen, wie sich der Stoff der maßgeschneiderten Hose über Ricos muskulöse Beine spannte.
Verflixt! War es nicht schon schlimm genug, dass er ein Prinz war?
Sie ließ sich auf eines der Sofas gleiten. Wollte der Mann denn überhaupt nicht mehr gehen?
Augenscheinlich nicht. Er blieb, wo er war, und lauschte Bens begeisterten Worten über seine Züge. Lizzy versuchte, sich auf ihr Buch zu konzentrieren, und scheiterte völlig.
Nach einer Ewigkeit stand Ben plötzlich auf.
„Können wir jetzt schwimmen gehen?“
Erleichtert erhob sie sich. „Gute Idee. Komm, wir holen deine Sachen.“ Sie nickte unbehaglich in Richtung des Prinzen, der gleichzeitig mit ihr aufgestanden war.
Zu ihrer größten Bestürzung befand er sich jedoch bereits im Wasser, als sie, die Tasche mit den Schwimmsachen in der Hand, das Schwimmbad betraten.
Mit raschen Kraulzügen durchquerte Rico das Wasser und hielt inne, als er das Ende des Beckens erreichte, an dem sie standen.
„Ben, da bist du ja“, sagte er. „Komm ins Wasser.“
Entsetzt und fasziniert zugleich starrte Lizzy ihn an. Er hatte sich halb aus dem Wasser gestemmt und die Arme auf dem Beckenrand abgestützt. Wassertropfen perlten von seiner Brust.
Sein Oberkörper war glatt und muskulös, perfekt definiert, wie bei einem Sportler.
Sie wandte den Blick ab. So schnell er konnte, zog Ben seine Kleider aus. Mit zusammengebissenen Zähnen blies sie seine Schwimmflügel auf und streifte sie ihm über die Arme.
„Schneller, schneller“, rief Ben und wand sich voller Vorfreude. Kaum war sie fertig, rannte er los und sprang ins Wasser.
Hastig sammelte Lizzy seine Kleidung ein und ging zu den Liegestühlen hinüber, die vor der Fensterfront aufgereiht waren. Lizzy war froh, dass Rico vor ihr im Wasser gewesen war, so blieb ihr wenigstens eine Peinlichkeit erspart.
Sie setzte sich. In diesem sonnendurchfluteten Bereich war ihr in ihrer Kleidung viel zu warm, aber daran ließ sich nichts ändern.
Es schien dem Prinzen unglaublich viel Spaß zu machen, mit einem vierjährigen Kind im Pool zu planschen. Er spritzte mit Wasser, tauchte unter und jagte Ben wie ein Hai, bis der Junge glücklich aufschrie.
Verärgerung und Wut stiegen in ihr auf. Was sollte das? Warum tat Prinz Enrico das? Es trug nur dazu bei, Ben zu verwirren, das war alles. Und es weckte den Wunsch nach etwas in ihm, das er niemals haben konnte.
Er hat keinen Vater. Er hat keinen Onkel. Er hat niemanden. Nur seine Tante.
Und es war Ben gegenüber nicht fair, ihn einen Blick auf ein Leben mit einem Vater erhaschen zu lassen. Mit einem Vater, der mit ihm spielte und ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenkte.
Der ihn zum Lachen brachte.
Lizzy wollte nach Hause. Sie wollte, dass die Sache endlich vorbei war. Vorbei und vergessen.
Rico half Ben aus dem Pool. Er warf einen Blick in die Richtung, in der Lizzy saß. Ihr Gesicht war von der Sonne gerötet. Sie sah furchtbarer aus denn je.
Die halb spöttischen, halb sachlichen Worte seines Bruders kamen ihm in den Sinn. „Du bist der Experte, wenn es um Frauen geht. Und wenn sie hässlich ist, umso besser. Dann bist du immun gegen sie.“
Zumindest Letzteres entsprach der Wahrheit. Was allerdings den ersten Teil anging … mit dieser Sorte Frauen kannte er sich ganz und gar nicht aus.
Mit anmutiger Leichtigkeit stemmte er sich aus dem Pool. Lizzy hatte Ben bereits in ein Handtuch gehüllt und trocknete den Jungen ab. Rico schlenderte zu den abgeteilten Kabinen hinüber, um sich umzuziehen.
Seine Miene wurde hart. Je eher er die Angelegenheit hier regelte und nach San Lucenzo zurückkehren konnte, desto besser.
Aber es hatte gutgetan, Ben kennenzulernen.
Paolos Sohn.
Sein Gesichtsausdruck wurde wieder weich.
Ich kümmere mich um ihn, Paolo. Das verspreche ich dir, sprach er in Gedanken zu seinem Bruder.