„Möchtest du Wein?“ Rico hielt eine Flasche gekühlten Weißwein über Lizzys Glas.
„Ja … danke“, erwiderte sie zögerlich, und er schenkte ihr ein Glas ein.
Sie saßen wieder an dem Tisch auf der Terrasse, doch mittlerweile senkte sich die Abendsonne in einem spektakulären Schauspiel aus Rot und Gold über dem Meer.
Rico hob sein Weinglas und schaute in die Runde. „Auf unseren ersten Tag!“ Ben tat es ihm nach und erhob sein Glas mit Orangensaft. „Hatten wir einen schönen Tag?“
„Ja“, bestätigte Ben.
„Er war wunderschön“, erwiderte auch Lizzy.
Und das war er tatsächlich. Lizzy hatte nicht erwartet, dass es so einfach werden würde. Sie verbrachten die Zeit am Strand, kehrten für das Mittagessen in die Villa zurück und hielten, trotz langer Proteste von Ben, danach eine Siesta. Kaum war Ben erwacht, gingen sie wieder hinunter zum Strand. Am späten Nachmittag kamen sie ins Haus zurück, und nachdem Ben im Pool geschwommen war, war es auch schon Zeit, sich für das Abendessen umzuziehen.
Es hatte nur einen einzigen unbehaglichen Moment gegeben, nämlich als Ben, der zusammen mit seinem Onkel im warmen seichten Wasser des Meeres planschte, gerufen hatte: „Mummy, kommst du auch?“
Lizzy schüttelte den Kopf. Der Gedanke, sich nur im Badeanzug zu präsentieren, ließ sie zusammenzucken. Es war schon schlimm genug, mit einem Mann am Strand zu sein, dessen schlanker muskulöser Körper, verhüllt nur durch eine Badehose, ihre Blicke wie magisch anzuziehen schien.
„Ich schwimme nächstes Mal“, hatte sie ausweichend geantwortet und sich vermeintlich interessiert wieder ihrem Buch gewidmet.
Abgesehen davon war es ein wirklich schöner Tag gewesen. Jetzt, umgeben von einem wundervollen Sonnenuntergang, fühlte sie sich entspannter, als sie je für möglich gehalten hatte.
„Entspricht der Wein deinem Geschmack?“, fragte Rico.
„Ja … er ist … sehr gut. Aber ich verstehe nicht wirklich etwas von Wein.“
„Das lernst du mit ein wenig Übung.“ Er lächelte. „Und noch etwas wirst du üben“, fuhr er fort und trank einen Schluck Wein, „mich bei meinem Namen zu nennen.“
Lizzy erstarrte. Das konnte sie nicht tun. Die ganze Angelegenheit war ihr so unangenehm, dass sie es stets vermieden hatte, ihn direkt anzusprechen.
„Und ich muss es auch lernen. Also …“, er atmete tief ein. „Lizzy. Da, ich habe es gesagt. Jetzt bist du an der Reihe.“
„Ich kann nicht“, erwiderte sie und errötete vor Verlegenheit.
„Trink noch einen Schluck Wein, und dann versuche es.“
Sie trank.
„Rico“, murmelte sie, ohne ihn anzusehen.
„Bene“, lobte er leise. „Siehst du … alles ist möglich.“ Einen Moment hielt er ihren Blick mit seinen Augen gefangen, dann erregte etwas seine Aufmerksamkeit. „Ah, das Abendessen kommt.“
Die folgenden Tage verbrachten sie überwiegend genauso wie den ersten. Und das entsprach Ricos Absicht. Er wollte Lizzy die Zeit geben, die sie brauchte.
„Wir werden es ruhig angehen, einen Schritt nach dem andern“, meinte er. „Wir denken nicht an die Welt da draußen, wir denken an gar nichts. Wir akzeptieren nur die Gegenwart und entspannen uns, gewöhnen uns an die Tatsachen … lernen einander kennen.“
Irgendwie ist es eine Ironie des Schicksals, ging es ihm durch den Kopf. Sein ganzes Leben lang hatte er eine Distanz zwischen sich und der Welt aufrechterhalten. Diese Grenze war notwendig gewesen. Aber sie bedeutete zugleich, dass es nur sehr wenige Menschen gab, in deren Gegenwart er ganz er selbst sein konnte. Jean-Paul war einer davon, die meisten anderen waren Sportler, für die seine Herkunft nicht zählte, nur seine Fähigkeiten und seine Hingabe zum Sport.
Aber niemals bei Frauen – auch nicht in der Intimität des Bettes.
Und er hatte viele Frauen in seinem Bett gehabt und sie körperlich mit allen Sinnen genossen. Und natürlich darauf geachtet, dass auch sie ihren Spaß mit ihm hatten.
Aber mehr nicht. Die Sicherheit der Quantität, hatte er Luca gestanden. Und das entsprach der Wahrheit.
Seine Mundwinkel zuckten. Hätte er einer dieser Frauen die Ehe angeboten, hätte sie nichts lieber getan, als seinen Antrag anzunehmen. Keine hätte der Aussicht, Principessa Enrico Ceraldi zu werden, widerstehen können.
Nur die Frau, die er tatsächlich geheiratet hatte, hatte auf diese Zukunft mit Entsetzen reagiert.
Er wusste, dass es die äußerlichen Unterschiede zwischen ihnen waren, die ihr so zu schaffen machten. Und doch hatte ihre Haltung ihm gegenüber noch einen anderen Effekt.
Rico fühlte sich sicher.
Weil sie wie keine andere Frau war, die er kannte.
Alles, was sie von ihm wollte, war Schutz für Ben … mehr nicht.
Ein anderer Gedanke kam ihm, eine weitere seltsame Erkenntnis.
Bei ihr konnte er ganz er selbst sein. Er musste sie nicht auf Distanz halten. Denn sie verlangte von ihm nichts.
Rico spürte, wie Erleichterung in ihm aufstieg. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich … frei.
Lizzy saß im Schatten des blau-weiß gestreiften Sonnensegels und beobachtete Ben und seinen Onkel beim Spielen im Pool. Ben kreischte vor Vergnügen. Ihr wurde warm ums Herz. Er war so glücklich. Jeder Tag war eine einzige Freude für ihn.
Und für sie?
Es war merkwürdig. Nach all den furchtbaren Ereignissen, die ihr Leben auf den Kopf gestellt hatten, fühlte sie sich sorglos.
Entspannt.
In Anbetracht ihrer panischen Ankunft schien das unmöglich zu sein. Die Ausmaße dessen, was passiert war, was sie getan hatte, waren so überwältigend. Und doch war sie hier, an diesem wunderschönen Ort, und hatte einen tiefen Frieden gefunden, wie sie ihn nie für möglich gehalten hatte.
Ihr Blick wanderte zu dem Mann, der mit Ben spielte. Sie empfand Dankbarkeit … und Erstaunen. Er war so freundlich zu ihr. Und das nicht nur wegen Ben. Er war nett und geduldig um ihrer selbst willen. Sein Image als Playboy-Prinz hatte ihr ein ganz anderes Bild vermittelt.
Lizzy hatte ihn falsch eingeschätzt, das wusste sie. Sie hatte nur das Bild gesehen, nicht den Mann dahinter.
Und er schien Ben wirklich zu lieben.
Ihr Herz klopfte schneller, als sie beobachtete, wie Rico sich aus dem Pool stemmte. Wie Diamanten glitzerten die Wassertropfen auf seinem Körper in der Sonne. Er beugte sich vor, ließ Ben seine Arme ergreifen und zog den Jungen mit Leichtigkeit aus dem Wasser.
„Noch einmal!“, rief Ben und sprang wieder in den Pool.
Rico wiederholte die Prozedur und hob Ben in hohem Bogen aus dem Wasser, bevor er ihn vorsichtig auf dem Beckenrand niederließ.
Ben rannte zu Lizzy.
„Ich habe fünf Tore gemacht!“, rief er aufgeregt.
„Das ist fantastisch, mein Schatz“, sie lächelte.
„Warum schwimmst du nicht mit uns, Mummy?“
„Weil sie erst einen neuen Badeanzug braucht, Ben. Und viele andere neue Kleider. Kleider, die einer Prinzessin würdig sind.“ Rico gesellte sich zu ihnen.
Ben neigte den Kopf zu einer Seite. „Dann ist Mummy wirklich eine Prinzessin?“
„Ja“, erwiderte Rico und trocknete sich mit einem Handtuch ab. „Als ich sie geheiratet habe, ist sie eine Prinzessin geworden.“
„Hat sie auch eine Krone?“, fragte Ben interessiert. In seiner Vorstellung waren Prinzessinnen und Kronen untrennbar miteinander verbunden.
„Wenn sie zu einem Ball geht, kann sie eine Tiara tragen.“
Bens Augen leuchteten. „Wie Cinderella?“
„Genau“, entgegnete Rico. Er sah Lizzy an, dann verdüsterte sich seine Miene. Da war ein Ausdruck in ihren Augen, den er dort nicht sehen wollte. Aber er ahnte, was sich dahinter verbarg.
Lizzy wandte den Kopf ab. Für sie gab es bei Cinderella nur eine ideale Rolle. Die der hässlichen Schwester.
Maria war Cinderella. Und sie hat einen Märchenprinzen geheiratet. Aber ihre Kutsche hatte einen Unfall gehabt.
Rico konnte förmlich ihre Gedanken lesen. Er presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Es war Zeit, etwas zu verändern.