Dunkle Nacht, verbotene Leidenschaft

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Mist, der Strom ist ausgefallen! Warum muss Elise ausgerechnet mit Antonio Rodriguez im dunklen Keller eingeschlossen sein? Sie hat mit ihren Schwestern eine Whiskeydestillerie in einem alten Schloss in Kentucky aufgebaut, und der spanische Restaurantbesitzer soll ihr Kunde werden! Allerdings findet Elise seine dunklen Augen, das schwarze Haar und vor allem seinen sexy Akzent unwiderstehlich. Dabei sollte sie doch professionelle Distanz wahren! Denn wenn sie sich Antonio jetzt hingibt, was passiert dann, wenn das Licht wieder angeht?


  • Erscheinungstag 11.04.2023
  • Bandnummer 2284
  • ISBN / Artikelnummer 0803232284
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Es gab sicher weniger interessante Orte auf dieser Welt als ein altes Schloss, das nun eine Destillerie beherbergte. Das ausladende Steingebäude lag inmitten der Hügel von Benton Springs in Kentucky, und die Geschichte dieses jahrhundertealten Bauwerks war äußerst faszinierend … wenn auch nicht ganz so sehr wie die Frauen, denen die Destillerie gehörte.

Als Antonio vor zwei Tagen im spanischen Cadaqués in seinen Privatjet gestiegen war, hatte er nicht so recht gewusst, womit er rechnen sollte. Doch das wunderschöne alte Gebäude und die üppige Landschaft erinnerten ihn sehr an seine Heimat – den Ort, den er eigentlich unbedingt hinter sich lassen wollte. Wenn auch nicht so sehr das malerische Küstenstädtchen, sondern vielmehr das Vermächtnis, das schwer auf seinen Schultern lastete. Er hatte keine Ahnung, wie er seinen Eltern sagen sollte, dass er das von ihnen gegründete Familienunternehmen nicht übernehmen würde – das Geschäft, das eigentlich an seinen Bruder hatte vererbt werden sollen, ehe eine Tragödie ihnen allen ihre Zukunft gestohlen hatte.

„Sie müssen Antonio Rodriguez sein.“

Antonio wandte sich von der malerischen Landschaft ab und wäre beinah ins Stolpern geraten, als er sogleich die nächste Schönheit erblickte. Mit der breit lächelnden rothaarigen Frau, die da auf ihn zukam, hatte er nun schon einige Monate lang ­E-Mails ausgetauscht.

„Und Sie sind dann wohl Elise Hawthorne.“ Er hatte sich nicht nur über die Destillerie und die verschiedenen Spirituosen informiert, die sie anbot, sondern auch über die drei tatkräftigen Frauen, die sich hinter der Marke „Angels’ Share“ verbargen.

Elise war als CEO der Firma die direkte Ansprechpartnerin sämtlicher VIP-Kunden. Sie hatten sich nun schon seit längerer Zeit Nachrichten geschrieben, und sie war stets absolut professionell und zuvorkommend gewesen. Doch nichts hätte ihn darauf vorbereiten können, welche Wirkung sie persönlich auf ihn hatte. Wer hätte gedacht, dass eine Hornbrille so sexy wirken konnte?

Elise vereinte Intelligenz und Schönheit in sich – zwei Eigenschaften, die er absolut unwiderstehlich fand. Wenn er sich nicht auf die Arbeit und seine eigenen Probleme konzentrierte, könnte er allzu leicht in ein emotionales Chaos geraten, für das er eigentlich keine Zeit hatte. Schade! Er hätte Elise gern auch persönlich näher kennengelernt.

Sie streckte die Hand aus. „Es ist mir eine Freude, Sie endlich persönlich kennenzulernen, Mr. Rodriguez.“

„Antonio.“ Er grinste sie an, in der Hoffnung, sie so ebenfalls zum Lächeln zu bringen. Er wurde nicht enttäuscht.

Auf der Firmenwebsite waren die Schwestern nur schwer zu erkennen gewesen – das Foto dort fokussierte sich ganz auf das Schloss. Doch selbst auf diesem Bild war Elise mit ihrem roten Haar hervorgestochen. Und von Angesicht zu Angesicht war sie einfach umwerfend.

Antonio griff nach ihrer Hand und bewunderte den zugleich weichen und festen Händedruck. Eine einflussreiche, selbstsichere Frau mit einem mordsmäßigen Lächeln … Vielleicht würde dieser Ausflug nach Amerika doch angenehmer als gedacht. Schließlich konnte es nicht schaden, ein wenig zu flirten. Auch wenn er sich geschworen hatte, dass dieser Trip rein geschäftlich blieb. Das hier wäre der letzte Deal, den er für das Familienunternehmen abschloss, ehe er sich daraus zurückzog. Das schuldete er seinen Eltern. Und sich selbst schuldete er es, seine eigenen Wünsche beiseitezuschieben und sich ganz auf die Akquise neuer Marken zu konzentrieren. Seine Eltern betrieben Restaurants, die typischerweise auch über einen Pub verfügten, und er wollte als krönenden Abschluss seiner Karriere eine Marke an Land ziehen, die noch nie zuvor in ihrem Eckchen der Welt zu kaufen gewesen war.

Das war der leichte Teil. Er würde die Staaten durchqueren, von Destillerien zu Weingütern reisen und deren Produkte verkosten, neue Leute kennenlernen. Er liebte diese Tätigkeit, wusste nur nicht, wo es ihn am Ende dieses Trips hinziehen würde.

In letzter Zeit war er in seiner Trauer gefangen, Schuldgefühle und Pflichtbewusstsein waren sein einziger Antrieb gewesen. Er wollte nicht den Rest seines Lebens damit verbringen, die schicke Restaurantkette zu führen, die seine Eltern vor Jahrzehnten ins Leben gerufen hatten. Er wollte eigene Ziele, eigene Träume verwirklichen und nicht dazu gezwungen sein, den Titel zu übernehmen, der eigentlich für seinen verstorbenen Zwillingsbruder bestimmt gewesen war. Vorerst war es jedoch seine Aufgabe, die Pubs der fünf Familienrestaurants weiter zu etablieren. Wäre Paolo nur nicht gestorben …

Sein ganzes Leben lang hatte Antonio es genossen, umherzureisen und andere Kulturen kennenzulernen. Er hatte nie an nur einem Ort verweilen und die Rolle im Unternehmen einnehmen wollen, die eigentlich für jemand anderen bestimmt gewesen war. Er hatte gedacht, er könne den Wünschen seiner Eltern nachkommen und ihnen der Sohn sein, den sie brauchten. Er schuldete es Paolo, es zumindest zu versuchen. Also hatte er all seine egoistischen Gedanken und Wünsche verdrängt. Mit der Zeit würde er sicher in die Rolle hineinwachsen, die für ihn vorgesehen war – das hatte er zumindest gedacht.

Doch je länger diese negativen Gefühle an ihm nagten, desto mehr verabscheute er dieses Geschäft. Er würde nur noch diesen letzten Trip hinter sich bringen, und dann musste er mit seinen Eltern reden, darüber, wie er sich seine Zukunft wirklich vorstellte.

Die Familie bedeutete ihm alles. Wie also sollte er es über sich bringen, seinen Eltern das Herz zu brechen, indem er ihr Geschäft verließ? Sie hatten ihm so viel anvertraut, in der Hoffnung, sich bald zur Ruhe setzen und ihm ihre Dynastie überlassen zu können. Aber er wollte sich einfach nicht fest binden – weder an eine Frau noch an ein Unternehmen. Er genoss seine Freiheit, das hatte er schon immer getan, und als sein Bruder gestorben war, hatte ihm das umso mehr verdeutlicht, wie wichtig es war, jeden einzelnen Tag zu genießen. Doch nun zwangen ihn die Schuldgefühle, dass er überlebt hatte, dazu, die Wünsche seiner Eltern zu erfüllen, statt sein eigenes Leben zu führen.

„Angels’ Share sieht in Wirklichkeit ganz anders aus als auf den Bildern im Netz“, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Umgebung zu. „Diese außergewöhnliche Schönheit muss man wahrlich mit eigenen Augen sehen, um sie wertschätzen zu können.“

Jetzt lächelte Elise sogar noch breiter. Ihre zurückhaltende Schönheit war unverkennbar, und er hatte einflussreichen, tatkräftigen Frauen noch nie widerstehen können. Zu schade also, dass er nicht hier war, um Spaß zu haben.

„Danke“, sagte sie. „Das Schloss wurde im späten neunzehnten Jahrhundert erbaut. Seitdem gab es offensichtlich einige Renovierungen und Veränderungen, aber der Kern des Gebäudes ist immer noch derselbe. Vor etwa hundert Jahren wurden die Nebengebäude erweitert, aber auch diese halten bisher dem Zahn der Zeit stand. Wir sind sehr stolz auf den Betrieb, den wir hier geschaffen haben.“

„Das sollten Sie auch.“

Elise deutete auf den Steinpfad. „Es ist ein so schöner Tag. Wollen wir die Tour vielleicht hier draußen beginnen?“

„Ich gehöre ganz Ihnen.“ Er verbeugte sich theatralisch. „Zeigen Sie mir alles, was Sie haben.“

Elise hob eine Augenbraue. Jetzt, da er darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass seine Worte sowohl beleidigend als auch zweideutig interpretiert werden konnten.

Statt etwas zu erwidern, nickte sie jedoch bloß. „Es ist schön, ab und zu mal aus dem Büro rauszukommen. Beginnen wir also gleich hier.“ Sie breitete die Arme aus. „Wie schon gesagt ist das Schloss über hundert Jahre alt. 1845 wanderte eine schottische Familie hierher aus und nahm sich die Zeit, ihr ehemaliges Heim perfekt nachzubauen – einschließlich der Zugbrücke, die wir bis heute über alles lieben.“

Antonio gab sich Mühe, sich auf ihre Worte und die Umgebung zu konzentrieren. Doch Elises Stimme war einfach so ­melodisch, ja beinahe … sinnlich. Amerikanische Frauen hatten ihn schon immer fasziniert. Sie waren so verwegen, so dynamisch, und sie entschuldigten sich nicht dafür. Im Laufe der Jahre hatte ­Antonio schon mehr als eine Geliebte auf seinen Reisen durch die Staaten gehabt. Diesmal wollte er sich jedoch ganz aufs Geschäft konzentrieren und darauf, welche anderen Möglichkeiten ihm offenstanden.

Hier in Benton Springs gäbe es also leider keine heiße Affäre. Aber das hieß ja noch lange nicht, dass er sämtlichen Verlockungen widerstehen musste. Elise Hawthorne würde er sehr gern auf einer intimeren Ebene kennenlernen, und sie könnte seine Zeit hier durchaus interessanter machen. Es lag nun mal in seiner ­Natur, verführerisch zu lächeln und sein Gegenüber zu necken. Das konnte er nicht einfach abstellen.

„Was hat Sie dazu bewegt, eine Destillerie zu eröffnen?“, fragte er, während er ihr ums Schloss folgte.

Elise blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Oh, na ja, meine Schwestern und ich haben dieses verlassene Schloss schon immer geliebt. Während unserer Schulzeit hingen wir hier immer mit unseren Freunden rum und haben am Wochenende heimlich Partys gefeiert. Als das Schloss dann vor ein paar Jahren zum Verkauf stand, wussten wir gleich, dass wir etwas ganz Besonderes daraus machen wollen. Ich schätze, auf gewisse Weise hat sich so der Kreis geschlossen.“

Antonio nickte lachend. „Kann man wohl sagen.“

„Abgesehen davon ist Kentucky einfach der perfekte Ort für eine Destillerie, und diese einzigartige Kulisse beschert uns viele Kunden und Besucher.“ Sie strahlte. „Das Schloss war schon mal als Destillerie genutzt worden, aber nachdem sie wegen der Prohibition geschlossen worden war, wurde sie nie wieder eröffnet. Bis in die späten Neunziger lebte dann ein Privateigentümer hier. Nachdem er gestorben war, stand das Gebäude leer, bis wir es schließlich gekauft haben. Wir wollten etwas Einzigartiges, ­Romantisches schaffen, etwas, das es in dieser Männerdomäne bisher nicht gab. Da war das hier einfach der perfekte Ort.“

„Es ist definitiv einzigartig“, pflichtete er ihr bei.

„Manche Leute fragen sogar an, ob sie hier ihre Hochzeit ­feiern dürfen, aber bisher stellen wir unser Gelände nicht für solche Festlichkeiten zur Verfügung. Aber offenbar kommt unser romantischer Ansatz gut an.“

Antonio musterte sie erneut. Jedes Mal fiel ihm etwas Neues an ihr auf. Sie trat äußerst geschliffen auf, allerdings zugleich auch locker – ganz die perfekte Geschäftsfrau. Sie war äußerst vielschichtig, und er fragte sich, wie viele Facetten ihrer Persönlichkeit er wohl in den nächsten paar Wochen entdecken konnte. „Sie haben Ihre Schwestern erwähnt. Bei meinen Recherchen über Angels’ Share ist mir aufgefallen, dass Sie alle recht unterschiedlich aussehen.“

Noch immer lächelnd hob Elise eine Augenbraue. „Wir unterscheiden uns sehr voneinander – sowohl was unser Aussehen als auch was unsere Persönlichkeiten betrifft. Aber wir wurden zusammen großgezogen, nachdem wir alle im Säuglingsalter adoptiert worden waren. Und wir stehen uns näher als so manche Blutsverwandte. Ich bin die Älteste, Sara die Jüngste, Delilah die Mittlere. Sie sagen mir immer, ich würde sie bemuttern, aber das gehört wohl einfach dazu.“

Sie sprach voller Liebe von ihrer Familie, was Antonio sehr zu schätzen wusste und nachempfinden konnte. Er selbst hatte mit gerade einmal dreizehn Jahren seinen Zwilling durch eine Meningitis verloren und keine eigenen Geschichten über Erfolge oder Meilensteine, die er mit ihr hätte teilen können. Es hatte sein Leben verändert, nach Paolos Tod als Einzelkind aufzuwachsen und diese einzigartige Bindung zu verlieren. Selbst die Beziehung zu seinen Eltern hatte sich dadurch verändert. Fortan war er der Einzige, der ihnen noch blieb, und diese Tatsache lastete Jahr für Jahr mehr auf ihm.

Seit Paolos Tod fühlte er sich rastlos, und sein Freiheitsdrang nahm immer mehr zu. Um zu erkennen, dass die beiden Dinge zusammenhingen, brauchte er keine Therapie. Er hatte einfach aus dem Haus gemusst, in dem ihn so viel Schmerz und so viele Erinnerungen verfolgten. Als er begonnen hatte zu reisen, hatte er bemerkt, dass er seinem Kummer so entfliehen konnte, zumindest für kurze Zeit.

Die Familie bedeutete ihm einfach alles. Das war auch der Grund, warum er seinen Eltern selbst nach all den Jahren nie sein Geheimnis offenbart hatte. Er wollte ihre Restaurantkette nicht leiten. Aber er konnte sie auch nicht enttäuschen. Erst brauchte er einen Schlachtplan, ehe er auch nur daran denken konnte, das Familienunternehmen zu verlassen. Er wollte sie nicht enttäuschen, aber sie hatten es verdient, ihre Dynastie jemandem zu vermachen, der das Geschäft genauso leidenschaftlich führte, wie sie es getan hatten.

„Sie haben jedenfalls einen ganz schönen Medienrummel verursacht. Und die Bourbon-Industrie ist Ihretwegen ebenfalls in Aufruhr geraten. Schließlich sind weibliche Destillerie-Betreiber selbst in der heutigen Zeit noch sehr ungewöhnlich.“

Ihr Lächeln wurde spöttisch. Offenbar hielt sie die Worte zurück, die sie eigentlich aussprechen wollte. „Schon möglich, aber wir stellen unsere Konkurrenz auch mühelos in den Schatten. Sie kommen einfach nicht hinterher.“ Sie rückte ihre Brille zurecht und erwiderte seinen Blick. „Tatsächlich ist es schön, zu beobachten, wie die ganzen alten Hasen sich abrackern.“

Lachend schüttelte Antonio den Kopf. „Ich wollte nicht respektlos klingen. Ich bewundere das, was Sie drei hier geschaffen haben. Sie versprechen nicht nur einen erstklassigen Bourbon, sondern produzieren auch einen ausgezeichneten Gin, der gerade in aller Munde ist. Und gleichzeitig wartet die Welt gespannt auf Ihren zehnjährigen Bourbon.“

„Ganz unter uns gesagt: Ich bevorzuge Gin, also danke dafür.“ Sie setzte sich wieder in Bewegung und schlug den Pfad hinunter zur Rückseite des Schlosses ein. „Wir sind wirklich stolz auf unseren Bourbon, und es kommen Verkoster aus der ganzen Welt, um unseren Zehnjährigen zu testen, ehe wir ihn dann demnächst präsentieren. Und die Leute sind ganz zu Recht gespannt. Unsere Spirituosen sind absolut makellos. Wir können problemlos mit jeder anderen Destillerie konkurrieren.“

Antonio wünschte, er wäre Teil dieser ersten Gruppe Auserwählter gewesen. Aber vielleicht war diese exklusive Zeit mit Elise von Vorteil für ihn. Er teilte nicht gern, schon gar nicht, wenn es um faszinierende Frauen ging.

Sie erreichten die Hintertür, und Elise gab einen Code ein. „Das Schloss mag schon sehr alt sein, aber wir verfügen trotzdem über ein erstklassiges Sicherheitssystem. Nach Ihnen.“

Kaum war Antonio eingetreten, fühlte er sich wie zu Hause. Zwar konnte er nicht so recht sagen, woran das lag, aber diese Mischung als Alt und Neu erinnerte ihn sehr an Cadaqués. Er liebte seine geschichtsträchtige Heimatstadt, die inmitten einer Hügellandschaft direkt an der Küste lag. Kentucky lag zwar nicht am Meer, aber abgesehen davon fühlte sich dieser Ort genauso heimelig und gemütlich an.

„Ich kann verstehen, warum Sie dieses Schloss so lieben“, sagte er, als Elise neben ihn trat. „Und warum Sie es unbedingt kaufen wollten, um etwas daraus zu machen.“

„Oh, Sie haben ja keine Ahnung, was noch kommt.“ Sie strahlte. „Ich habe mir das Beste für den Schluss aufgehoben.“

Er wandte den Blick von den steinernen Mauern und den hohen Deckenbalken ab und sah zu Elise, die ihn unverhohlen anstarrte. Da war sie wieder – diese plötzliche Welle der Lust, die ihn schon draußen überrollt hatte, als er Elise zum ersten Mal gesehen hatte. Diese Frau schlug ihn voll und ganz in ihren Bann. „Wie viele Rundgänge geben Sie hier ungefähr?“

„Oh, etwa zehn pro Tag. Wir halten die Gruppen gern klein, das gibt den Kunden das Gefühl, dass wir uns ganz persönlich um sie kümmern. Unser Geschäft mag zwar schnell wachsen, aber wir wollen trotzdem an der freundlichen Kleinstadtatmosphäre festhalten.“

„Nein, ich meinte Sie persönlich.“

Sie blinzelte, offenbar verdutzt über seine Frage. „Oh, ich mache eigentlich keine Rundgänge. Ich meine, am Anfang haben meine Schwestern und ich uns noch abgewechselt. Damals hatten wir nur eine Gruppe am Tag. Aber als das Geschäft ins Rollen kam, sind wir dazu übergegangen, College-Studenten für diesen Job zu engagieren. Sie absolvieren alle einen Lehrgang zur ­Geschichte von Schloss und Bourbon, ehe sie loslegen.“

Antonio wollte unbedingt den Rest des Schlosses sehen und mehr über Angels’ Share erfahren. Aber noch mehr wollte er Elise Hawthorne besser kennenlernen, herausfinden, wie diese Frau tickte. Wenn er weiter Fragen stellte, konnte er vielleicht ­irgendwann hinter die professionelle Fassade blicken. Ohne es zu merken, trat er einen Schritt näher. „Sie enthalten der Öffentlichkeit Ihre außergewöhnliche Persönlichkeit und Schönheit vor“, meinte er. „Sie sind es, die sie sehen wollen.“

Sie zuckte die Achseln, als wüsste sie nicht, was sie dazu sagen sollte. Das rote Haar fiel ihr über die Schultern, und er hätte die seidigen Strähnen am liebsten berührt. Verdammt. Er steckte wirklich in Schwierigkeiten, und dabei war er gerade erst angekommen. Wie, zur Hölle, sollte er es mehrere Wochen lang in dieser Stadt aushalten? Immerhin verbrachte er nur diese Woche bei Angels’ Share, ehe er zu anderen Destillerien in der Gegend weiterzog. Aber er wäre länger in dieser Stadt und in der Nähe dieser Verlockung, als ihm lieb war.

Elise reckte das Kinn. „Versuchen Sie etwa, mit mir zu flirten?“

Antonio konnte sich nicht helfen – er musste lachen. Da war sie wieder, diese amerikanische Verwegenheit, die ihn so faszinierte. „Versuchen? Wenn Sie fragen müssen, sollte ich mir offenbar mehr Mühe geben.“

Sie hob eine Braue. Womöglich wollte sie ihn damit ein­schüchtern, doch die Geste turnte ihn bloß an. „Sind Sie des­wegen hier? Um zu flirten?“

„Nein. Ich bin hier, um die besten Marken für die Restaurants meiner Familie zu finden. Und um mir den Arsch aufzureißen, wie ich es schon immer getan habe. Und wenn mir dabei eine hinreißende Frau über den Weg läuft, dann können Sie darauf wetten, dass ich mit ihr flirten werde.“

Elise Hawthorne wusste nicht so recht, was sie von diesem charmanten Besucher halten sollte. Sie konnte seine Worte auf keinen Fall ignorieren … ebenso wenig wie seine Anziehungskraft. Mit seinem dunklen, südländischen Teint und dem dichten schwarzen Haar war er unglaublich sexy. Und diese Augen … Seinem eindringlichen Blick konnte sie unmöglich ausweichen.

Und dann war da noch der Akzent. Hab Erbarmen! Sie hatte sich von Anfang an sehr darauf konzentrieren müssen, professionell zu bleiben und ihm die Arbeit zu präsentieren, auf die sie und ihre Schwestern so stolz waren. Aber der Mann hatte einen starken spanischen Akzent, der seinen Sex-Appeal in ungeahnte Höhen katapultierte.

Sex-Appeal? Wie war dieses Wort nur in ihre Gedanken geraten? Sie war viel zu beschäftigt, um ein erfülltes Privatleben zu führen, geschweige denn ein Liebesleben. Sie hatte Dutzende Termine verschoben, um dieses Treffen mit Antonio Rodriguez zu ermöglichen. Seine Eltern waren einst berühmte Schauspieler gewesen, ehe sie entlang von Spaniens Küste eine Reihe von ­Restaurants eröffnet hatten – allesamt in winzigen Städten, die sich nun dank ihres Einsatzes zu großen Touristenattraktionen entwickelten. Und jetzt könnten sie Angels’ Shares erster globaler Kunde werden. Wenn sie sich die Familie Rodriguez als Kunden sicherten, würden bestimmt noch mehr große Fische folgen. Sie musste diesen Deal unbedingt an Land ziehen.

Es war sehr leicht gewesen, sich über die Familie Rodriguez zu informieren, schließlich verbrachten sie ihr Leben im Licht der Öffentlichkeit und waren sehr aktiv in den sozialen Medien. Daher war es beinah unmöglich, all die Artikel zu ignorieren, die im Laufe der Jahre über die Familie erschienen waren. Antonio wurde darin nicht nur zum Goldjungen gekrönt, sondern auch als Playboy, Jetsetter und Wildfang betitelt.

Das machte ihn zum genauen Gegenteil von ihr – und damit eigentlich alles andere als attraktiv, auch wenn sie verstehen konnte, warum Frauen auf der ganzen Welt nach ihm schmachteten, kaum dass sie ihn kennengelernt hatten. Aber sie war nicht auf der Suche nach einem Mann, schon gar nicht nach einem mit einem solchen Ruf.

Konzentrier dich auf die Arbeit, Elise. Hör auf, über seinen Schlafzimmerblick nachzudenken.

Sara und Delilah hätten sich totgelacht, wenn sie wüssten, dass Antonio Rodriguez mit ihr flirtete. Von den drei Schwestern war Elise die ruhigste, diejenige, für die Arbeit und Verantwortung wichtiger waren als alles andere. Sara bezeichnete sie oft als langweilig, und da hatte sie nicht unrecht. Aber Langweiler erledigten nun mal die meiste Arbeit. Elise bevorzugte eine schön ordentliche und durchstrukturierte Welt. Sie mochte keine Veränderungen – und es würde eine ziemliche Veränderung bedeuten, sollte sie sich in Antonio verlieben.

„Sie werden keine Preisnachlässe erhalten, nur weil sie mit mir flirten“, erklärte sie lächelnd. Wo kam diese kesse Art plötzlich her? Vielleicht war Antonios lockeres Auftreten ansteckend. „Sie können sich die Sprüche also gern für eins der anderen Unter­nehmen aufheben, die Sie noch besuchen.“

Seine Mundwinkel zuckten, als müsse er ein Grinsen unterdrücken. Doch ehe er etwas erwidern konnte, trat Sara durch die Hintertür, beladen mit einem Stapel Aktenordner, ihrer Handtasche, ihrem Laptop und einer Tasse Kaffee. Beinah hätte sie alles fallen lassen, als sie bemerkte, dass sie nicht allein war.

„Oh, ’tschuldigung.“ Sie blies sich die Haare aus der Stirn. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass hier irgendjemand ist.“

Elise war froh über die Unterbrechung. Sie brauchte eine Pause, um ihre Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen. Anscheinend hatte die viele Zeit im Büro ihr den Verstand benebelt. Vielleicht sollte sie wieder öfter Rundgänge geben und mit den Kunden interagieren. Dann ließe sie sich nicht mehr so leicht von einem attraktiven Mann aus der Bahn werfen.

„Schon okay“, sagte Elise. „Tatsächlich würde ich dir gern Antonio Rodriguez vorstellen. Ich hatte dir von seinem Besuch erzählt.“

Saras Augen wurden groß. Antonio war offenbar genau ihr Typ. Sie war diejenige, die sich ständig verliebte und keinem Mann die Chance verwehrte, sie zu umgarnen. Immer war sie auf der Suche nach der großen Liebe, wenn auch bisher ohne Erfolg.

„Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Sara grinste. „Ich bin …“

„Lassen Sie mich raten.“ Antonio hob die Hand. „Sie sind Sara Hawthorne.“

Sara versuchte, die Gegenstände in ihren Händen neu zu ­ordnen.

„Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“ Antonio streckte die Hand aus und schob ihr den Handtaschenriemen wieder auf die Schulter.

Sara schenkte ihm ein breites Lächeln und sah zu ihm auf. „Nicht nur klug, sondern auch noch hilfsbereit. Sie können gern länger bleiben.“

Elise hatte wirklich keine Ahnung, wie ihre chaotische Schwester immer so niedlich und zugleich sexy aussehen konnte, aber irgendwie schaffte sie es. Sie hatte ihre Schwester schon oft beim Flirten beobachtet, doch gerade fand sie das alles andere als ­witzig. Wann immer sie gemeinsam ausgingen, flogen die ­Männer nur so auf Sara – es war also kein Wunder, dass Antonio ihr freundliches Lächeln erwiderte.

„Und Sie haben offenbar Ihre Hausaufgaben gemacht.“ Sara strahlte. „Haben Sie auch Dee schon kennengelernt?“

Antonio runzelte die Stirn.

„Unsere andere Schwester. Delilah“, erklärte Sara.

„Wir haben unsere Tour gerade erst begonnen“, warf Elise ein. „Ich habe ihm ein wenig über die Geschichte des Schlosses erzählt, aber viel weiter sind wir noch nicht gekommen. Antonio ist erst vor dreißig Minuten eingetroffen.“

„Oh, ich bin mir sicher, Sie werden Angels’ Share lieben. Elise ist der Kopf des Ganzen, Sie sind also in guten Händen.“

Sie brachten alle ihre ganz eigenen Talente mit ins Geschäft. Elise war stolz darauf, mit ihrer oft skurrilen Denkweise und ­ihrem guten Gedächtnis für Details der Kopf der Gruppe zu sein. Sie war nie so umwerfend wie Sara gewesen, die mit ihrer makellosen Haut und dem glänzenden schwarzen Haar die Männer anzog. Und auch neben Delilah mit ihrem lieblichen Lächeln und ihrer natürlichen Schönheit wirkte sie eher unauffällig. Ihre Schwestern waren nun einmal beide absolut hinreißend, ohne sich auch nur Mühe geben zu müssen.

Elise hingegen bemühte sich stets, das passendste Brillengestell für ihre Gesichtsform zu finden. Nur weil sie ein eher langweiliges Leben führte, musste sie ja noch lange nicht so aussehen.

Einst hatte sie gedacht, es wäre irgendwann ihr Untergang, so in ihren Gewohnheiten festzustecken und so viel weniger lebhaft zu sein als ihre Schwestern. Aber im Laufe der Jahre hatte sie erkannt, dass sie einfach alle unterschiedlich waren und sich wunderbar ergänzten. Sie alle waren auf ihre ganz eigene Art stark – und ihre Stärke lag nun einmal im Organisieren.

„Ich bin sicher, ich könnte nicht in besseren Händen sein.“

Antonios Kommentar holte sie in die Gegenwart zurück, und sie bemerkte, dass sein Blick erneut auf ihr ruhte. Prompt lief ihr ein Schauer über den Rücken. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann ein Mann das letzte Mal eine solche Reaktion bei ihr ausgelöst hatte.

Aber Antonio brachte die Frauen um sich herum ständig zum Schmelzen, und sie war viel zu intelligent, um ihm in die Falle zu gehen. Egal, welche Gefühle er auch in ihr auslösen mochte, dieser Besuch würde auf keinen Fall langweilig werden. Allerdings war sie nicht sicher, ob sie sich darüber freuen oder deswegen Angst bekommen sollte. 

2. KAPITEL

„Und damit hätten wir alles abgedeckt, was für die Öffentlichkeit zugänglich ist.“

Autor

Jules Bennett
<p>Jules Bennett, die ihren Jugendfreund geheiratet hat, ist Mutter von zwei Mädchen – und, natürlich, Autorin. Voller Tatkraft managt sie ihr Leben. Wenn sie sich erst einmal ein Ziel gesetzt hat, hält nichts sie davon ab, es zu erreichen. Davon kann ihr Mann ein Lied singen. Jules Bennet lebt im...
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