Lady Coira und der schweigsame Krieger

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Lady Coiras Herz droht in ihrer Brust zu zerspringen: Vor ihr steht ihr einstiger Verlobter Fergus, männlicher und anziehender als je zuvor! Sechs Jahre, nachdem sie ihn gegen ihren Willen verlassen musste, soll sie ihn nun doch heiraten, um ihrem Clan einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Jetzt ersehnt sie nichts mehr als die Versöhnung mit Fergus, und ihr Begehren nach ihm erwacht mit aller Macht. Doch der schweigsame, unnahbare Krieger lässt sie sein Misstrauen spüren. Coira ist verzweifelt. Sie ahnt nicht, was wirklich hinter der scheinbaren Gefühlskälte des Mannes steckt, mit dem sie schon heute Nacht das Ehebett teilen wird …


  • Erscheinungstag 26.11.2024
  • Bandnummer 415
  • ISBN / Artikelnummer 0814240415
  • Seitenanzahl 256

Leseprobe

1. KAPITEL

Argyle, Schottland, im Spätsommer 1360

„Nein, niemals, Onkel! Das dürft Ihr nicht von mir verlangen. Ich nehme jeden anderen, aber nicht ihn!“

Entgeistert taumelte Coira Barron rückwärts, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube erhalten. Zwar hatte ihr nichts Gutes geschwant, als Brody MacWhinnie, der Onkel ihres verstorbenen Gatten, sie zu sich beorderte. Der Grund für das befohlene Zusammentreffen aber stellte sich als prekärer heraus, als sie sich während des achtstündigen Ritts zu der stattlichen Burg der MacWhinnies hatte ausmalen können. Das Ansinnen, welches das Oberhaupt des Clans an sie stellte, schien ihr so unannehmbar, dass sie diesem zu widersprechen wagte, war ihr Verhalten auch zutiefst unschicklich für eine Weibsperson. Sie vermochte ihre Zunge einfach nicht im Zaum zu halten, ganz als führe diese ein Eigenleben. Denn Fergus MacMillan, den sie ehelichen sollte, war der letzte Mann in ganz Schottland, den sie wiederzusehen, geschweige denn, zu heiraten wünschte.

„Ich flehe Euch an, Onkel!“, brach es aus ihr hervor, indem sie so heftig den Kopf schüttelte, dass einer ihrer beiden dunklen Zöpfe der zierlichen Samthaube entkam und ihr ins Gesicht flog. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie die missbilligenden Mienen der Anwesenden, allesamt Angehörige des Hauswesens auf der MacWhinnie-Burg, und hörte, wie diese sich leise über ihr schockierendes Auftreten mokierten. Das war nicht weiter ungewöhnlich, und sie erwartete kaum Besseres von ihnen; doch lag heute eine Häme, eine Schadenfreude in dem abschätzigen Gemurmel, die ihr einen Schauder den Rücken hinunterjagte. Zwar hatte sie sich nie darüber hinweggetäuscht, dass sie hier bloß als die Mutter Gregors geduldet wurde, ihres geliebten Söhnchens und Erben ihres frühverstorbenen Gatten. Die Feindseligkeit aber, die ihr jetzt entgegenschlug, machte sie sprachlos.

„Ihr werdet gehorchen.“ Die ehrfurchtgebietende Stimme Brody MacWhinnies war so kalt wie die Felsnase aus hartem Granit, von der aus sein trutziger Wohnsitz sich gen Himmel erhob.

„Nach allem, was ich ihm antat, muss er mich zutiefst hassen!“

„Und wenn schon.“ Der alte Mann schien der Meinung, die Fergus MacMillan von seiner zukünftigen Braut haben mochte, keine Wichtigkeit zuzumessen. „Das ist lange her. Ihr habt ihn seit Jahren nicht gesehen.“

„Ich bezweifle entschieden, dass er die Sache vergaß“, entgegnete Coira, wusste aber im selben Moment, als Brodys blassblaue Augen vor Ärger zu sprühen schienen, dass sie sich zu viel herausnahm. Kurz erwog sie, sich ihm zu Füßen zu werfen, ließ es aber bleiben, weil sie wusste, dass es keinen Zweck gehabt hätte. Der Alte beurteilte die Welt stets aus seinem eigenen Blickwinkel heraus und ließ sich von einem einmal gefassten Entschluss nicht abbringen. Am wenigsten von einer Weibsperson, der von vornherein keine Bedeutung zukam.

„Ich bitte um Vergebung, Onkel.“ Coira bemühte sich um einen dienstbeflissenen Ton, wie er sich für eine Frau im Gespräch mit einem Manne ziemte. „Eure Ankündigung kam so überraschend, dass ich sie auf die Schnelle nicht ganz verstanden habe. Immerhin kann ich nicht denken wie ein Mann.“ Innerlich kochte sie vor Zorn, hielt es aber für klüger, die Situation zu entschärfen. „Vielleicht erklärt Ihr mir zunächst, warum ich überhaupt noch einmal heiraten muss?“

„Wie Ihr wohl wisst, werden wir neuerdings von den Campbells bedroht. Deshalb müssen wir die MacMillans auf unsere Seite ziehen.“

„Sicher können wir uns auch ohne Heirat auf unsere Verbündeten verlassen. Und seid versichert: Ich stehe bereit, Castle Barron zu verteidigen! Kein hergelaufener Campbell wird meinem Sohn sein angestammtes Erbe entreißen.“

„Was versteht Ihr schon von Kriegsführung!“ Brody kräuselte verächtlich die Oberlippe. „Meinetwillen mochtet Ihr in Friedenszeiten den Stammsitz Eures Kindes hüten. Jetzt aber beabsichtigt Alexander Campbell, dieser Hundsfott, die Gebiete zurückzuerobern, die sein Clan vor zwanzig Jahren an uns verlor. Bald werden wir mit ihm im Krieg sein und brauchen jemanden wie Fergus MacMillan, einen der gefürchtetsten Recken, die je über die Highlands wandelten. Gibt es einen, der Castle Barron gegen Angriffe von außen zu verteidigen versteht, so ist er es! Die Vorstellung, die Truppen der Campbells nisteten sich nur wenige Stunden entfernt von hier auf Eurer Burg ein, ist mir zutiefst zuwider.“

Sieh einmal an, dachte Coira mit gesenktem Blick, um die Verachtung zu verbergen, die ihr aus den Augen sprühte. Das Oberhaupt des MacWhinnie-Clans scheut die Mühen eines Kampfes gegen Alexander Campbell und dessen Sohn Calum. Da ist es angenehmer, einen MacMillan die Drecksarbeit erledigen zu lassen. Und ist es nötig, mir zu diesem Zweck die Ehe mit einem Manne aufzuzwingen, der mich verabscheut, zögert Brody keine Sekunde, mich zu opfern.

„Wie kommt es aber, dass dieser … dieser MacMillan in die Eheschließung einwilligt? Der Titel des Laird ist bereits auf meinen Sohn übergegangen. Nach schottischem Gesetz kann Fergus den Grundbesitz nicht mehr beanspruchen, heiratet er auch die Witwe des vorigen Lairds.“ Tief beunruhigt straffte sie ihre Haltung. „Wisst Ihr sicher, dass er nicht insgeheim vorhat, Gregor den Titel zu entreißen, sobald der Streit mit den Campbells beendet ist? Schließlich liegt das Land der MacMillans nur einen Steinwurf von Castle Barron entfernt.“

„Er gab mir sein Wort, was genügen sollte.“ Brody, der endgültig die Geduld verlor, kam auf die Füße. „Ihr dürft beruhigt sein. Kennt er im Kampf auch keinerlei Skrupel, ist er ansonsten ein Ehrenmann. Mein Neffe Nevin konnte ihm in beidem nicht das Wasser reichen, doch gabt Ihr ihm, von dem ich nicht weiter schlecht reden will, den Vorzug. Mit Eurer Zügellosigkeit aber habt Ihr – wie auch Nevin – Schande über Eure Familie gebracht, und in den Reihen der MacMillans gab es böses Blut, als Ihr Fergus sitzen ließet. Dass Ihr ihn am Ende doch zum Manne nehmt, wird vieles wiedergutmachen.“

„Wollt Ihr sagen, die Sache ist entschieden?“, fragte Coira mit kleiner Stimme, erkannte sie doch, nichts weiter ausrichten zu können.

„Aye. Wie ich hörte, war er alles andere als begeistert von der Aussicht, Euch wiederzubegegnen; noch dazu, um Euch zur Frau zu nehmen. Doch ist der Handel beschlossene Sache. Fergus bekommt für seine Zusage das, was bis zum heutigen Tag von Eurer Mitgift übrigblieb, und wird Herr auf Castle Barron, bis Euer Sohn alt genug ist, zu übernehmen. Euer zukünftiger Gemahl heiratet Euch allein aus Pflichterfüllung seinem Clan gegenüber; nehmt Euch ein Beispiel an ihm.“

„Aber, wenn …“

„Es reicht!“, fuhr Brody ihr über den Mund. „Ich habe Euch schon mehr Erklärungen zuteilwerden lassen, als einem Weibe zusteht.“

„Ja, Onkel“, gab Coira scheinbar demütig zurück, obwohl die helle Wut in ihrem Herzen loderte. Verstohlen musterte sie die Anwesenden und fand Schadenfreude auf ihren Mienen, hielt man doch für eine wohlverdiente Strafe, was ihr geschah. Als sie dem ihr zugedachten Gatten vor Jahren weglief, hatte sie das Schicksal herausgefordert, wie es keiner Frau zustand. Nun sah es so aus, als bekäme sie zur allgemeinen Befriedigung die Quittung dafür.

„Ich weiß ja, dass Ihr noch nicht lange Witwe seid.“ Unversehens verlor Brodys Gesichtsausdruck an Härte. „Aber selbst mein Neffe, Gott hab ihn selig, würde wünschen, dass Ihr alles tut, um Castle Barron für Euren Sohn zu halten.“

„Ja, Onkel.“ Coira, der immer elender zumute war, schluckte. Sie konnte nicht in Abrede stellen, dass ihr verblichener Gemahl nicht gezögert hätte, einen Arm und ein Bein für seinen Sohn zu geben. Für seine Tochter hätte er vielleicht noch eine Hand geopfert; für seine Ehefrau aber höchstens einen Finger.

„So ist es also beschlossen und unabänderbar. Ihr heiratet Fergus MacMillan, sobald er auf Castle Barron eintrifft, womit Ihr in den nächsten Tagen rechnen könnt.“

„Ja, Onkel.“

„Und lasst Euch nicht etwa einfallen, ein weiteres Mal vor ihm davonzurennen! Habt Ihr mich verstanden?“

„Ja, Onkel.“

„Nun gut.“ Brody trat so nahe an Coira heran, dass sie den sauren Bierdunst aus seinem Munde roch. „Seid Fergus eine gehorsame Gemahlin und lernt endlich, den Mund zu halten. Und wer weiß?“ Ein Funke grimmigen Schalks glomm in seinen Augen auf. „Vielleicht wird sein Abscheu sich eines Tages in Grenzen halten.“

„Ja, Onkel.“ Damit knickste sie, wandte sich um und verließ die Halle, während das laute Hohngelächter der Anwesenden sie bis auf den Hof hinaus verfolgte.

„Was wollte er denn, Herrin?“, fragte Coiras Zofe Grizel, die ihr entgegeneilte. Ihre dunkelroten Locken sprangen wie lebendig um ihren Kopf herum, was bei den Männern oft genug Bewunderung hervorrief. „Ihr seid so bleich wie ein Gespenst.“

„Ich fühle mich tatsächlich, als hätte ich einen Geist gesehen. Auf, auf! Nichts wie weg hier.“

Damit fasste Coira ihre Magd beim Arm und hielt auf die Pferde zu. Es drängte sie, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, und hätte sie Brody MacWhinnie auch am liebsten eins über den Schädel gegeben, musste sie damit vorliebnehmen, ihren Jammer unterwegs in den Glen hinauszuschreien.

„Ich fange an, mir Sorgen zu machen.“ Grizel zog beunruhigt die Brauen zusammen. „Was hat er denn gesagt?“

„Ha!“ Ihre Herrin setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich aufgebracht auf ihre brave Stute. „Brody befahl mir, mich wieder zu verheiraten.“

„Lieber Gott!“, entfuhr es dem Mädchen. „Euer Gemahl starb doch erst vor einem halben Jahr!“

„Sehr richtig. Sein Onkel aber meint, dem Wunsch seines toten Neffen nachzukommen, indem er mich so schnell wieder unter die Haube bringt.“ Abschätzig verzog Coira die Lippen, war ihrem Gatten doch ein gewisser schwarzer Humor eigen gewesen. Wahrscheinlich würde es Nevin königlich amüsieren, wüsste er, was man mir zumutet, dachte sie verdrossen. Schließlich gefiel es ihm seit jeher, Witze auf meine Kosten zu machen.

„Denkt er an jemand Bestimmten?“

„In der Tat. Die Auswahl, die er traf, ist ja der besondere Clou!“ Sie bedeutete den Reitern, die sie zu ihrem Schutz begleiteten, dass sie aufbrechen wollte. „Von allen Männern, die es in Schottland gibt, wählte er ausgerechnet Fergus MacMillan für mich.“

„Nein! Das kann er doch nicht von Euch verlangen!“ Grizel war entsetzt.

„Das kann er sehr wohl. Die Entscheidung fiel schon vor zwei Tagen. Brody ließ mich nur kommen, um sie mir mitzuteilen.“ Über die Schulter warf sie einen wütenden Blick zurück. „Wahrscheinlich soll ich ihm noch dankbar sein, weil er sich herabließ, mir seinen Entschluss persönlich mitzuteilen, dieser feige, egoistische, elende, alte …“

„Pst, Mylady!“ Grizel lenkte ihr Pferd näher an ihre Herrin heran, indem sie den Finger auf die Lippen legte. „Wartet, bis wir durch das Tor hindurch sind.“

„Aye.“ Coira sah ein, dass ihr Zofe recht hatte. „Aber …“

„Ich verstehe. Ausgerechnet Fergus MacMillan!“

„Das ist es ja!“

„Dem Ihr einst weggerannt seid!“

„Ganz so war es nicht …“

„Am Abend vor Eurer Hochzeit mit ihm.“

„Nun ja …“ Coira verlagerte ihr Gewicht von rechts auf links, als säße sie unbequem. Die Angelegenheit war ihr immer noch peinlich. „Womöglich hätte ich ihn in letzter Minute um Hilfe bitten können, bevor man mich von Sween Castle wegschaffte. Doch wagte ich es nicht, weil Fergus nicht der Mann ist, bei dem man Rat sucht.“

„Wie meint Ihr das?“

„Er ist zugeknöpft wie kein anderer! Jedes Wort musste ich ihm aus der Nase ziehen, sodass ich nie wusste, woran ich bei ihm war. Wir passten wirklich nicht zusammen. Das Einzige, was wir gemeinsam hatten, war unser Alter.“

„Der Ruf eines grimmigen Kämpfers eilt ihm voraus. Zu Recht, frage ich mich?“, fragte Grizel neugierig.

„Durchaus. Und wäre er nicht so schroff gewesen, hätte ich ihn wohl anziehend finden können. Mit seinem schwarzen Haar, den dunklen Augen und seinem stattlichen Körperbau …“ Coira verstummte kurz, denn ihr fiel ein, wie sein Anblick ihr den Atem verschlagen hatte, als sie ihn drei Tage vor der angesetzten Eheschließung zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte. Einen solch stattlichen Hünen hatte sie nicht erwartet, was ihr, deren Nerven vor der Hochzeit zum Zerreißen gespannt waren, den Rest gegeben hatte. „Aber er zog immer eine finstere Miene, Grizel, guck mal, so!“ Sie versuchte ihn nachzuäffen. „Weißt du, ich bin sicher, dass er mich ebenso wenig heiraten wollte wie ich ihn. Aber natürlich war ich es, die seinen Stolz verletzte und ihn zum Gespött der Leute machte.“

„Ihr dachtet aber, das Richtige zu tun. Das entschuldigt Euer Handeln.“

„Wenn du meinst …“, murmelte Coira, womit sie eine klare Antwort vermied. Tatsächlich hatte sie sich damals den Kopf nicht über Richtig oder Falsch zerbrochen, als sie vor der Hochzeit mit einem Mann, durch den sie sich eingeschüchtert fühlte, mit einem anderen auf und davon gegangen war. Bei den Highlandern kursierte zwar die Mär, Nevin und Coira wären von der Liebe auf den ersten Blick getroffen worden, die so heiß entbrannte, dass sie es auf einen Krieg zwischen den Clans ankommen ließen. Die wirklichen Geschehnisse aber kannte nun, da ihr Gatte tot war, niemand außer ihr selbst. Nicht einmal Grizel, welche die junge Frau während der letzten vier Jahre zu einer lieben Vertrauten geworden war, wusste Einzelheiten.

Als sie durchs äußere Burgtor hindurch waren, ritten die beiden Frauen gen Süden. Für gewöhnlich wurde es Coira angesichts der mit Heidekraut und Kiefern bewachsenen Hügel und schneeigen Gipfel des Landes leicht ums Herz, heute aber wog es schwer in ihrer Brust. Zwar war es erst August, doch zeigten einige Bäume in den Tälern bereits rote und orange Farbspiele und kündigten damit den herannahenden Herbst an. Da kam es ihr vor, als sei der Wechsel der Jahreszeiten ein Gleichnis auf ihr Leben, dessen Frühling und Sommer sich dem Ende zuneigte.

Ja, es fiel Coira schwer aufs Gemüt, dass die kurzen Monate unbeschwerter Freiheit, die ihr durch Nevins Tod geschenkt wurden, so schnell wieder vorbei waren. Als Witwe hatte sie auf ein ruhiges Dasein frei von Bitterkeit, Schmerz und gegenseitigen Vorwürfen gehofft. Hätte Brody nicht wenigstens jemand anderes finden können, wenn ich schon wieder heiraten muss? grübelte sie. Es soll freundliche Männer geben, die sogar zu einem Lächeln fähig sind. Zwar war Coira nicht mehr offen für die Liebe, von der sie enttäuscht genug war, doch hätte ein guter Gefährte ein annehmbarer Kompromiss sein können. Stattdessen aber sah es ganz danach aus, als folgte ihrer ersten unglücklichen Ehe eine weitere, die von vornherein unter keinem guten Stern stand.

Sie spürte buchstäblich, wie ein ehernes Band sich um ihre Brust legte, welches ihr die Luft abschnürte. Denn hatte sie sich im Winter noch keinen schlechteren Gemahl denken können als ihren eigenen, würde der Mann, den sie vor aller Augen gedemütigt hatte, ihr kaum liebenswürdiger begegnen als Nevin. Bedrückt seufzte sie auf. Sicher ist Fergus schrecklich wütend auf mich und fasst mich nur mit spitzen Fingern an, dachte sie entmutigt. Fast schien es ihr, als treibe Brody einen grausamen Scherz mit ihr, doch waren seine Argumente stichhaltig. Denn dass Castle Barron am Außenrand seiner Ländereien lag, machte es leicht angreifbar, zumal es seit Monaten von einer alleinstehenden Frau und einem Fünfjährigen geführt wurde.

Unglücklich lehnte Coira sich vor und trieb ihr Pferd mit den Fersen in einen wilden Galopp. Wenigstens steht Fergus im Ruf eines Ehrenmannes, suchte sie sich zu beruhigen. Soweit ich weiß, bleibt er selbst im Kampf stets fair und springt nicht unnütz grausam mit seinen Gegnern um. Doch fürchtete die junge Frau auch nicht, von ihm brutal geschlagen zu werden, gab es sicher andere, seelische Qualen, die er ihr bereiten konnte. Wenn er heimlich an mir Rache übt, wird niemand es je bezeugen können, dachte sie beklommen. Ich werde ihm ausgeliefert sein und Gregor desgleichen. Ailis, die noch in den Windeln liegt, ist als Zielscheibe wohl noch zu klein. Aber weiß ich’s? Ich weiß rein gar nichts.

„Gibt es denn gar keinen Ausweg?“, drang Grizels Stimme wie von Weitem an ihr Ohr.

„Der einzige Weg, Brody zu trotzen, bestünde darin, zu den Campbells überzulaufen“, gab ihre Herrin mutlos zurück. „Dann hätte ich aber damit zu rechnen, all meinen Nachbarn in mannigfachen Scharmützeln die Stirn bieten zu müssen. Mein Bruder, der sich seit jeher wenig um mein Schicksal schert, würde mir wahrscheinlich gar nicht antworten, bäte ich ihn um Hilfe. Nein, ich bin auf mich selbst gestellt und habe keine Möglichkeit, mich zu wehren.“

„Dann wünsche ich Euch, dass Fergus MacMillan sich als ein besserer Ehemann entpuppt, als Ihr es jetzt für möglich haltet.“

„Ich kann mir keinen Mann vorstellen, der mit dreiundzwanzig Jahren menschlich aufgeschlossener ist als mit siebzehn“, gab Coira ungeduldig zurück, setzte aber entschuldigend hinzu: „Es tut mir leid. Du hast es nicht verdient, unter meiner schlechten Laune leiden zu müssen.“

„Keine Sorge, Herrin, ich verstehe ja, dass Euer Herz bedrückt ist. Ich meinte nur, dass es manchmal auch gute Überraschungen gibt. Menschen ändern sich, und sechs Jahre sind eine lange Zeit. Auch Fergus MacMillan wird nicht mehr derselbe sein, den Ihr einst kanntet.“

„Aye.“ Coira zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln. Sie hätte nicht geleugnet, dass sechs Jahre lang genug waren, ein anderer Mensch zu werden. Doch hielt sie es für wahrscheinlicher, dass ihr früherer Verlobter ihr das Vergangene nachtrug, als sei sie erst gestern mit einem anderen Mann durchgebrannt.

2. KAPITEL

Ein Tag später

Mit finsterer Miene sah Fergus MacMillan seinem älteren Bruder beim Aufsteigen zu, der dem Jüngeren eine volle Stunde Faustkampf zugebilligt hatte, nicht mehr und nicht weniger. Dieser schäumte innerlich vor Entrüstung, als auch er aufs Pferd stieg und es wendete.

„Alles Gute, Fergus“, rief Elspeth, ein hübsches junges Mädchen, ihrem leidgeprüften Bruder hinterher. „Ich hoffe …“ Angesichts des düsteren Blicks aber, den er ihr zuwarf, biss sie sich auf die Zunge.

„Aye“, gab er lang gedehnt zurück und schnalzte mit den Zügeln. „Ich desgleichen.“

„Konntest du nicht etwas freundlicher sein?“, fragte Ross, als die Brüder Seite an Seite die Burg verließen.

„Schnickschnack, Elspeth kennt mich besser als jeder andere. Ihr kann ich nichts vormachen, also tat ich es auch nicht.“ Nach kurzem Nachdenken fügte er an: „Außerdem ist sie einer Meinung mit mir, was diese vermaledeite Ehe angeht. Eine hirnverbrannte Idee!“

Ross seufzte leise in sich hinein. „Mir ist bekannt, was Elspeth von deiner Heirat hält. Selbst unserer Schwester aber warst du gerade eben nicht ganz geheuer, obwohl sie seit jeher an dein grimmiges Gesicht gewöhnt ist. Mein Angebot, dir eine Stunde lang als Prellbock für deine Wut zu dienen, steht; kann ich dir auch im Kampf nicht das Wasser reichen.“ Kurz hielt er in seiner Rede inne und fuhr dann fort: „Fergus … Ich weiß natürlich, dass die Sache nicht leicht für dich ist.“

„Nicht leicht? Willst du mich verspotten?“ Fergus juckte es jetzt schon in den Fingern. „Ich ertrage nicht, dass du die Angelegenheit verharmlost. Schließlich hat Coira Barron nicht mich allein, sondern unsere ganze Familie entehrt.“

„Du aber warst derjenige, welcher damals der Rache abschwor.“

„Und das bedeutet für dich, dass ich sie immer noch zu meiner Gemahlin machen will?“

„Ich verstehe dich ja. Gäbe es einen anderen Weg, hätte ich es dir erspart.“

„Beim Henker, lass dir eine andere Lösung einfallen und den Kelch an mir vorübergehen!“

„Ich zermartere mir ohne Unterlass das Hirn, komme aber immer zu demselben Schluss. Wir brauchen diese Verbündeten, daran ist nicht zu rütteln. Dass Castle Barron ohne nennenswerte Verteidigung dasteht, ist unsere Chance. Denn sitzt du dort erst einmal fest im Sattel, haben wir die Kontrolle über alle Hauptstraßen, die in den Norden führen.“

„Das könnte auch Brody MacWhinnie übernehmen.“

„Eben nicht, denn ich traue ihm nicht über den Weg. Und solange die Grenzunruhen das Land unsicher machen …“

„Welche sprunghaft zunahmen, seitdem sein Neffe mir die Braut stahl, willst du wohl sagen?“ Fergus warf seinem Bruder einen bitterbösen Blick zu. „Immerhin verstieß er Nevin zur Strafe. Was hätte er sonst noch tun können?“

„MacWhinnie ist ein schlauer alter Fuchs, der letzten Endes tut, was ihm die meisten Vorteile bringt. Ich darf einfach nicht riskieren, dass er eines Tages mit den Campbells gegen uns paktiert. Zudem bietet Castle Barron echte Perspektiven für dich.“

„Dort gibt es bereits einen Laird. Ich werde nichts als ein Verwalter auf Zeit sein.“

„Der Laird ist erst fünf Jahre alt. Bis er sechszehn ist, kannst du zu deinen eigenen Gunsten wirtschaften. Von dem Privatvermögen deiner Zukünftigen will ich gar nicht erst reden.“

„Was davon überhaupt noch übrig ist, liegt im Dunkeln. Sicher wird Nevin sich gern daran bedient haben. Aber Coiras Silber kümmert mich nicht, hat mich nie geschert.“

„Aye, das weiß ich.“

Plötzlich wurde es Fergus bewusst, dass Ross verdächtig viel Einsicht zeigte. „Heraus mit der Sprache! Warum erweist du mir in Wahrheit die Ehre deiner Gesellschaft?“, fragte er mit einer Mischung aus Spott und Misstrauen. „Wir wissen beide, dass ich nicht mit dir kämpfen werde, obwohl eine tüchtige Tracht Prügel dir durchaus guttäte. Glaubst du vielleicht, es wäre nötig, mich an mein Wort zu erinnern, das ich dir bereits gab? Beleidige mich nicht!“

„Das liegt mir fern. Vielmehr habe ich noch eine gewisse Angelegenheit zu erledigen und werde dir nicht mehr lange das Geleit geben.“

„Was ist das für eine Sache?“

Nach kurzem Zögern antwortete Ross: „Ich will zur Abtei.“

„Das Kloster ist dein Ziel? Und warum?“ Fergus lenkte sein Pferd näher an seinen Bruder heran.

„Ich will Elspeth dort unterbringen, bis Leith MacLachlan aus Edinburgh zurück ist. Dann soll ihre Hochzeit so schnell als möglich stattfinden.“

„Willst du es dir nicht noch einmal überlegen? Sie passen einfach nicht zusammen. Elspeth mit ihrem hellen Geist findet in Leith nicht den Partner, mit dem sie glücklich werden kann.“

„Papperlapapp, eine günstigere Verbindung kann sie nicht eingehen. Sie werden sich schon aneinander gewöhnen.“

„MacLachlan wird sich schwerlich an seine junge Gattin anpassen.“ Besorgt fuhr Fergus sich mit den Fingern durch sein volles dunkles Haar. „Willst du auch noch unsere kleine Schwester unglücklich machen?“

„Sie ist klug genug, die Beweggründe für die Heirat zu verstehen. Fergus, ich habe einen Eid geschworen! Mir obliegt es, den Clan durch dick und dünn zu führen. Da ist ein einzelnes Schicksal von geringer Bedeutung, was auch für mich gilt. Glaub mir, unter den Frauen, die mir zur Wahl stehen, ist nicht eine Einzige, die mich in Wallung bringen könnte! Doch werde ich mit einer von ihnen mein Leben verbringen müssen. Denn die Allianzen, die wir gegen die Campbells schmieden, entscheiden über die Zukunft unseres Clans.“ Mit stolzer Miene, das Idealbild eines Anführers, hob Ross das Kinn. „Deswegen hoffe ich, du gibst Coira Barron eine zweite Chance, ist die Ehe mit ihr auch zugegebenermaßen eine Zumutung.“

An einer riesigen knorrigen Bergulme, wo der Weg sich gabelte, zügelte Ross sein Pferd. „So reitet nun jeder in einer anderen Richtung weiter“, sprach er ernst. „Achte darauf, dass du heil in Castle Barron ankommst.“

Fergus verzog missmutig das Gesicht und ließ den Blick in die Ferne schweifen. „Mit ein bisschen Glück lasse ich mich von einer der Campbell-Banden schnappen und erspare mir damit den Besuch bei Coira“, konterte er. „Der Tod schreckt mich momentan wenig.“

„Ach, Fergus …“

„Sag nichts mehr. Es geht um den Clan und um nichts als den Clan. Wenn es dich also glücklich macht, will ich versuchen, mich nicht umbringen zu lassen.“

„Das ist ein Wort, Bruderherz.“ Voller Zuneigung packte Ross den Jüngeren beim Arm. „Ich danke dir für alles.“

„Was wohl das Mindeste ist! Zähle aber nicht darauf, dass ich dir Nichten oder Neffen beschere. Wenn es nicht anders geht, heirate ich die Weibsperson, was aber nicht heißt, dass ich mich ihr auch nähern werde! Ich unterzeichne die Ehedokumente, verstärke die Wehranlagen der Burg und halte Castle Barron, bis die Campbells keine Gefahr mehr darstellen. Sobald ich aber nicht mehr gebraucht werde, rücke ich ab. Doch davon genug jetzt und ab mit dir! Wir sehen uns – wann eigentlich?“

„Nach meiner Einschätzung werden wir schon bald unsere Kräfte bündeln müssen, weil die Campbells uns sicher bald ihre Aufwartung machen werden.“ Er zog eine Grimasse. „Solltest du mich aber früher brauchen, gib Nachricht. Ich werde immer für dich da sein.“

„Und ich für dich.“

„Eins noch: Es ist unabdingbar, dass du auf Castle Barron durchhältst, bis du Nachricht von mir bekommst. Verstehst du? Von keinem anderen!“ Ross machte eine Pause, dann fuhr er mit rauer Stimme fort. „Alexander Campbell soll die Kunst der Täuschung wie kein Zweiter verstehen. Ich will nicht, dass er uns entzweit, Bruder. Habe ich dein Wort?“

„Das hast du.“

Nach letztem Abschiedsgruß machte Fergus sich auf den Weg nach Castle Barron, das im Nordosten lag, länger als eine Tagesstrecke entfernt. Also hatte er ausreichend Zeit, sich ausgiebig Gedanken zu machen.

Coira Barron, ehedem noch Coira Roy, war die Frau, welche ihn vor sechs Jahren nicht nur mit ihrem schlanken Wuchs und ihren schmalen Hüften betört hatte. Mit ihrem nachtschwarzen Haar und den salbeigrünen Augen war sie ihm wie eine Schönheit vorgekommen, derer er nicht im Mindesten würdig war. Ihr Bruder, Anführer eines kleinen berühmt-berüchtigten Clans, dem man zwielichtige Geschäfte und Viehdiebstähle nachsagte, war aber bereit gewesen, eine schöne Summe für die Allianz mit den MacMillans springen zu lassen. Diese besaßen einige Macht im Lande, weshalb die Verheiratung der jungen Frau selbst mit einem Zweitgeborenen eine günstige Gelegenheit war, die Stellung ihres Clans zu verbessern. Und Fergus, ein unerfahrener Jüngling, war Coiras Schönheit anheimgefallen, als habe ihn der Blitz getroffen.

Ungeachtet ihrer Herkunft war sie ihm wie eine Prinzessin aus den Märchen und Legenden seiner jüngeren Schwester erschienen. Nicht allein war er von ihrer schönen Erscheinung wie verhext gewesen, sondern dazu tief beeindruckt von dem scharfen Verstand, der ihr aus den Augen leuchtete. Ihre helle Stimme hatte in seinen Ohren noch schöner geklungen als der Gesang der Schwarzdrossel, und ihre Worte setzte sie so wohlüberlegt, dass ihm buchstäblich die Sprache wegblieb. Deshalb brachte er vor ihr kaum mehr als ein paar gestelzte Silben heraus, worauf er in Sprachlosigkeit gefangen stumm wie ein Fisch neben ihr saß. In ihrer Herrlichkeit erschien sie ihm zu gut für ihn, einen ungehobelten jungen Krieger, dem jede Art von geistiger Bildung nichts als eine lästige Pflicht bedeutete. Und sie war offenbar derselben Ansicht gewesen, weshalb sie in der Nacht vor ihrer Verheiratung mit ihm mit einem der Hochzeitsgäste, Nevin Barron, durchgebrannt war.

Infolgedessen war ein Konflikt zwischen den beteiligten Clans ausgebrochen. Die eine Seite forderte Wiedergutmachung für die erlittene Schmach, während die andere behauptete, von dem Plan der jungen Frau nichts gewusst zu haben und also keine Schuld zu tragen. Schließlich hatte Fergus selbst ein Machtwort gesprochen, dessen Verliebtheit ein promptes Ende gefunden hatte, als seine Braut freiwillig mit einem anderen davonlief. Und war die Vorstellung, Rache zu nehmen, auch verführerisch, hatte seine tiefempfundene Scham ihn daran gehindert. Stattdessen beschloss er, die erlittene Demütigung als bittere Lektion des Lebens zu verstehen, sich nie wieder in Liebesangelegenheiten verwickeln zu lassen. Nie wieder wollte er als Trottel dastehen und sich vor dem lauten Gelächter des Gesindes in sein Schlafzimmer verkriechen müssen.

Der Beweis, nicht für die romantische Liebe geschaffen zu sein, schien ihm erbracht. Außer einem Paar harter Fäuste und einem Arm, der das Schwert besonders geschickt zu führen wusste, gab es in seinen Augen nichts, was ihn vor anderen auszeichnete. Und dass die ungetreue Coira ihm das Herz gebrochen hatte, fand er so beschämend, dass er seinen Schmerz für sich behielt. Nicht einmal Ross verriet er ein Sterbenswörtchen darüber.

Aber hatte er auch verzweifelt versucht, Coira Barron aus seinen Gedanken zu tilgen, war es ihm nicht gelungen.

Sie war und blieb für ihn der alleinige Grund, sich nicht zu vermählen, obwohl sich mitunter Gelegenheiten geboten hatten, doch noch ein Liebesglück zu finden. Eben diese Zurückhaltung aber führte nun dazu, dass er dieselbe Frau doch noch zum Altar führen musste. Und war es schon schlimm genug, Coira überhaupt wiederbegegnen zu müssen, so noch ärger, dass er zukünftig mit einer Ehefrau geschlagen war, welcher nicht zu trauen war.

Froh, dass keine Menschenseele ihn hören konnte, stöhnte Fergus aus tiefstem Herzen auf. Ich werde meine Pflicht erfüllen, um die Sicherheit unseres Clans zu gewährleisten, dachte er grimmig. Doch reicht es, dem äußeren Schein Genüge zu tun, und zwar nicht länger als unbedingt nötig. Sobald die Gefahr für Castle Barron gebannt ist, werde ich mich schleunigst verziehen und nie wieder an Coira denken.

Diesmal wollte Fergus den Spieß herumdrehen und seine Gemahlin verlassen, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Denn er war kein naiver Jüngling mehr, sondern glaubte sein Herz hüten zu können, damit es keinen weiteren Schaden nahm.

Coira Barron, seine einstige große Liebe, sollte ihm nie wieder etwas bedeuten. Das schwor Fergus MacMillan sich bei allem, was ihm heilig war.

3. KAPITEL

„Seid Ihr sicher, dass das klug ist?“, fragte Grizel entgeistert, während sie ihrer Herrin die Treppe hinunterfolgte.

„Nein“. Zügig ging Coira über den Hof zu ihrem Pferd, das gesattelt auf seine Reiterin wartete. „Oder vielleicht doch. Jedenfalls ertrage ich es nicht länger, Däumchen zu drehen und wie ein Opferlamm auf Fergus MacMillan zu warten.“

„Aber warum nehmt Ihr nicht wenigstens eine Eskorte mit?“

„Weil ich ihm allein begegnen will. Nennt mich feige, doch steht mir nicht der Sinn danach, mich von ihm vor allen anderen wüst beschimpfen zu lassen. Mir ist es lieber, wenn er das in aller Abgeschiedenheit erledigt.“

„Herrin, es ist nicht recht, was man Euch zumutet.“

„Es ist nun einmal nicht zu ändern.“ Coira versuchte, sich den Anschein von Gelassenheit zu geben, doch gelang es ihr nicht. „Wenn man bedenkt, was ich Fergus MacMillan einst antat, ist es wohl das Mindeste, dass ich mich überwinde, ihm Aug in Aug gegenüberzutreten und ihn um Verzeihung zu bitten. Zwar vermag ich kaum zu hoffen, dass er mir vergibt, doch wenigstens wird er schon Dampf abgelassen haben, wenn er hier eintrifft.“

„Aber ein Gewitter zieht auf! Hört Ihr den Donner nicht?“

„Ein bisschen Regen wird mir schon nicht schaden und ist die geringste meiner Sorgen.“

„Wie Ihr meint, Mylady.“

Darauf erklomm Coira den hölzernen Aufsitzblock, in welchen grobe Stufen eingehauen waren, und bestieg ihr Reittier. „Nun hör auf, mich zu bemuttern, und wünsch mir Glück.“

„Nun denn, alles Gute!“ Grizel meinte es ehrlich. Und sie bewunderte ihre Herrin für ihren Mut.

Während Coira auf die Straße hinausritt, wo sie Fergus MacMillan auf ein paar ehrliche Worte abfangen wollte, wurde sie von verschiedensten Gefühlen durchtobt. Ihr Geduldsfaden war bis zum Zerreißen gespannt, und in ihrem Herzen, welches ihr bis zum Halse klopfte, kämpfte Trotz mit Bangigkeit um die Vorherrschaft. Am liebsten hätte sie blindlings um sich geschlagen oder wäre für immer auf- und davongeprescht. Sie stand kurz davor, unter hysterischem Gelächter in Tränen auszubrechen.

Coira Barron gehörte nicht zu den Frauen, die mit einer Stickarbeit bewaffnet seelenruhig in den Frauengemächern abwarteten, bis ihr ehemaliger Verlobter, dem sie einst Unrecht getan, so unerwünscht wie unaufhaltsam erneut in ihr Leben hineingaloppierte. Deshalb machte sie sich auf, Fergus gegenüberzutreten, eine winzige Hoffnung im Herzen, dass er am Ende bereit wäre, das Beste aus der verfahrenen Situation zu machen. Allerdings hatte sie auf eine Vielzahl an Beschimpfungen gefasst zu sein, doch da die Eheschließung nun einmal unumgänglich war, wiegte sie sich in der Hoffnung, über kurz oder lang zu einer Art Waffenstillstand mit ihm zu gelangen. Und wer weiß, ob daraus nicht irgendwann Freundschaft wird? fragte sie sich zaudernd.

Die Chancen darauf waren denkbar gering. Doch gab es sonst nichts, worauf sie hoffen konnte.

Am zweiten Tag seiner Reise erreichte Fergus das Land der Barrons, auf dem bis zur Großjährigkeit Gregors, des jungen Sohnes und Erben Nevin Barrons, dessen Mutter Coira das Sagen hatte. Die Sonne war bereits hinter die Hügel hinabgesunken, und die schmale unbefestigte Straße, die vor dem Reiter lag, in dunkle Schatten getaucht. Nur wenige Meilen trennten ihn noch von Castle Barron, dessen Zinnen und Brustwehren samt seinem hohen grauen Steinturm bereits von Weitem zu grüßen schienen. Ross hatte wahr gesprochen, bot doch die Burg, welche auf einem Hügel zwischen zwei Schluchten oberhalb eines Sees errichtet worden war, der einen Teil der Talsohle bedeckte, einen anheimelnden Anblick. Aber auch die herrliche Lage Castle Barrons änderte nichts daran, dass Fergus einen zu hohen Preis dafür zu bezahlen meinte, hier einzuheiraten. Seine persönliche Freiheit, die Zukunft selbst zu gestalten, konnte niemand mit Gold aufwiegen.

Hätte Ross mich doch lieber Alexander Campbell zum Duell herausfordern lassen, dachte Fergus niedergeschlagen. Den Schurken in einem ehrlichen Kampf zu besiegen, wäre die beste Lösung gewesen. Aber natürlich musste mein Herr Bruder, der unfehlbare Clanführer, die Idee als zu riskant verwerfen.

In der Ferne donnerte es, und der Wind nahm zu. Das aufziehende Gewitter aber passte bestens zu der gedrückten Stimmung des Mannes, der sich dem Unvermeidlichen zu fügen und sein Leben den Interessen seines Clans unterzuordnen hatte.

Als das weibliche Objekt seines bitteren Zorns sich in den Schatten vor ihm plötzlich zu materialisieren schien, traute er zunächst seinen Augen nicht. Coira saß auf einer braunen Stute und blickte ihm entgegen, als habe er sie mit Gedankenkraft herbeibeschworen. Sie wirkte auf ihn wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt, die samt ihrem Reittier vom Himmel gefallen war. Die Kapuze trug sie zurückgeschlagen, sodass zwei üppige schwarze Haarstränge zu sehen waren, die ihr kunstvoll geflochten über die Brust fielen. Coira hat auf mich gewartet, dachte Fergus ungläubig. Und sie sieht so froh aus, als warte sie auf ihre Hinrichtung.

Ein krachender Donner untermalte die Düsterkeit des Bildes, das die junge Frau bot, während sie ihrem Zukünftigen entgegensah. Eine Braut, die sich auf ihre Hochzeit freut, hätte wahrlich anders ausgesehen.

Ein paar Meter vor ihr zügelte er seinen Hengst. Kein Grußwort kam Fergus über die Lippen, während er sie mit einem langen scharfen Blick taxierte. Überrascht und betroffen stellte er fest, dass Coira nicht mehr die Frau war, die ihn in seiner Erinnerung so oft heimgesucht hatte. Doch vermochte er nicht zu glauben, dass die Trauer um ihren Gemahl allein daran Schuld tragen sollte, dass die weichen sanft gerundeten Wangen, die ihn einst betört hatten, nun fahl und abgezehrt waren. Ihre damals so berückende Gestalt war zwar immer noch schlank, doch war ihr die Geschmeidigkeit verloren gegangen und eine überraschende Steifheit eigen. Genau genommen wirkte sie angespannt wie eine Bogensehne und schien um mehr als sechs Jahre gealtert zu sein. Wahrscheinlich hätte Fergus sie außerhalb des Terrains nicht einmal wiedererkannt, wären da nicht ihre Augen gewesen, deren Farbe noch entfernt an das Grün erinnerte, das ihn damals regelrecht bezirzt hatte. Der Blaustich darin aber war verloren gegangen und einem glanzlosen Grau gewichen.

Als Coira die Lippen bewegte, konnte Fergus nicht verstehen, was sie sagte, weil sie zu leise sprach. Und plötzlich überkam ihn große Erleichterung. Denn in einem Winkel seines Herzens hatte die heimliche Furcht gesessen, der Ungetreuen beim ersten Anblick ihrer Schönheit ohne Gegenwehr aufs Neue zu erliegen. Doch regte sich in ihm rein gar nichts, was der einstigen fatalen Liebe gleichgekommen wäre, und er dankte seinem Schöpfer, dass er ihm weitere Demütigungen ersparte.

„Coira.“ Er nickte ihr kurz zu. Dass seine Stimme hart klang, war ihm herzlich egal. „Eure Kundschafter trugen Euch zu, dass ich im Anmarsch bin?“ Indem er sich übertrieben weit zur Seite legte, blickte er mit zusammengezogenen Brauen an ihr vorbei zur Burg. „Wohin seid Ihr unterwegs? Oder wolltet Ihr mich begrüßen? Wir versäumten wohl, uns voneinander zu verabschieden, als wir uns zum letzten Mal sahen.“

Ohne auf seine sarkastische Bemerkung einzugehen, hob sie gefasst das Kinn. „Ich hielt ein kurzes Zusammentreffen mit Euch vor Eurer Ankunft auf der Burg für sinnvoll.“ Für eine Weile ließ er seinen ausdruckslosen Blick schweigend auf ihr ruhen. „Und warum das?“, fragte er endlich.

„Ich glaube, wir haben eine Menge zu bereden. Was haltet Ihr davon, mit mir ans Seeufer zu gehen? Dort kann uns niemand belauschen.“

Fergus’ erster Impuls war, den Vorschlag abzulehnen. Denn er fürchtete, Coira suche eine Gelegenheit, Erklärungen und Entschuldigungen vorzubringen, die er nicht hören wollte. Doch gab es in ihrem Gesicht einen verhärmten Zug äußerster Vorsicht, welche ihm an Furcht zu grenzen schien. Und hatte er auch nichts als Verachtung für diese Frau übrig, war ihm die Vorstellung zuwider, dass seine zukünftige Gemahlin sich womöglich vor ihm fürchtete.

„Kommt Ihr?“, fragte sie mit kleiner Stimme, die verzagter klang, als sie gewünscht hätte. Und wie von Zauberhand gemalt erschienen auf ihren Wangenknochen zwei hellrote Flecken, die aussahen, als habe der Wind ihre Haut aufgescheuert.

Nach einigem Zögern gab Fergus schließlich nach. „Aye. Wie Ihr wollt. Ihr mögt vorangehen.“

Als Coira vom Pferd stieg, zitterten ihr die Finger. Und infolge ihrer extremen Nervosität, welche das Blut in ihren Ohren rauschen ließ, scheute die Stute zur Seite weg.

Doch war sie erleichtert, dass ihre erste Begegnung mit Fergus nach all den Jahren bisher glimpflich verlaufen war. Zwar wirkte er nicht weniger finster als früher auf sie, doch sah er unbestreitbar besser aus. Dem siebzehnjährigen Jüngling hatte die grüblerische strenge Zurückhaltung, die ihn wie ein zu großer Mantel umgab, nicht recht passen wollen. Inzwischen erwachsen geworden aber, war er ein großer stattlicher Krieger von beeindruckender Männlichkeit. Auch hatte er offenbar gelernt, sich auszudrücken, und sprach frei von der Leber weg. Anders als der ehemaligen Schönheit vor ihm, welche hatte Federn lassen müssen, stand ihm das Älterwerden gut, weshalb Coira sich ob der deutlichen Diskrepanz, die zwischen ihnen herrschte, auf die Lippen biss. Verriet der unerbittliche Spiegel ihr doch an jedem Morgen aufs Neue, wie ausgemergelt sie von ihren Schwangerschaften und den unglücklichen Jahren mit Nevin war. Sie merkte sehr wohl, dass Fergus sie mit den Augen taxierte, und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. 

„Nun denn …“ Er schritt an ihr vorbei, über den kiesigen Strand und bis an das von sanften Wellen beleckte Ufer. Dann drehte er sich zu ihr um und faltete die muskulösen Arme vor seiner breiten Brust, welche an Umfang deutlich zugenommen hatten. „Worüber wolltet Ihr mit mir sprechen? Heraus mit der Sprache, der Regen ist nicht mehr fern.“

Was glaubt er denn? fragte sie sich ratlos und nahm einen unsteten Atemzug. Liegt das Thema nicht auf der Hand? Mit ihren blassgrünen Augen sah sie zu ihm empor und suchte die seinen, die nicht allein dunkel von ihrer Farbe her waren, sondern dazu verschlossen dreinblickten, als verwehrten sie ihr den Einblick in sein Inneres. Allerdings bemühte auch Coira sich zu verhehlen, dass sie innerlich vor Nervosität bebte. „Ich dachte, es wäre gut, wenn wir das Geschehene gleich zu Anfang zur Sprache bringen und die alten Geschichten bereinigen.“

„Was wollt Ihr damit sagen?“

Coira meinte sich verhört zu haben. „Ich dachte daran, wie ich vor sechs Jahren … nun, an die Nacht vor unserer Hochzeit, als ich …“ Sie biss sich auf die Zunge. „Was ich zu sagen versuche, ist, dass ich … mich für mein schlechtes Benehmen entschuldigen will.“ Verlegen scharrte sie mit einem Fuß im Kies. „Und ich nahm an, dass Ihr Fragen an mich habt. Wollt Ihr mir nicht wenigstens Vorwürfe machen?“

„Nein.“

„Nicht?“ Sie war wie vom Donner gerührt.

„Seither ist viel Wasser ins Meer geflossen.“

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