Liebe, Rache - Neuanfang?

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Damals hat Maja ihn vor dem Altar stehen lassen – seitdem brennt in dem norwegischen Tycoon Jens Nilsen der Wunsch nach Rache. Als er ein skandalöses Geheimnis herausfindet, das seine Ex zerstören könnte, schmiedet er einen Plan: Er wird Maja erpressen und sie zwingen, mit ihm erneut vor den Altar zu treten. Und diesmal will er sie dort vor den Augen aller verlassen! Ganz nah glaubt er sich seinem Ziel, als er ihr einen kostbaren Diamantring ansteckt. Doch Jens hat nicht mit der überwältigenden Sehnsucht gerechnet, die Maja in ihm weckt …


  • Erscheinungstag 03.09.2024
  • Bandnummer 2665
  • ISBN / Artikelnummer 0800242665
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

PROLOG

Unmöglich!

Jens Nilsen starrte auf die Betreffzeile der E-Mail, und die schwarzen Buchstaben auf dem weißen Bildschirm tanzten vor seinen Augen. Håkon Hagen war tot? Einen Tag bevor er erfahren sollte, dass die feindliche Übernahme seiner Firma durch Jens beschlossene Sache war?

Wie konnte das sein?

Jens überflog die E-Mail seines Anwalts und versuchte, die verheerende Nachricht zu begreifen. Håkon war mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert worden, aber bereits bei seiner Ankunft verstorben. Jens fragte sich nicht, wie sein Anwalt so schnell an diese vertraulichen Informationen gekommen war, sondern vertraute darauf, dass sie korrekt waren. Er bezahlte dem Mann wahrlich genug, um stets alles über seinen Erzfeind zu erfahren!

Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und legte die Füße auf die Schreibtischkante. Sein Blick war auf den Bildschirm gerichtet, aber mit den Gedanken war er woanders. Zwölf Jahre Arbeit hatte er investiert und Milliarden von Dollar, um Hagen International zu erwerben. Nur ein einziges Ziel hatte er damit verfolgt: Er wollte das Entsetzen in Håkons Gesicht sehen, wenn er erfuhr, dass das seit Generationen im Besitz der Hagens befindliche Unternehmen nun Jens Nilsen gehörte. Wie konnte der Alte es wagen sich davonzustehlen, indem er vorzeitig starb und Jens seine Rache verweigerte?

Dieser Mistkerl!

Zwölf vergeudete Jahre! Jens sprang auf und tigerte unruhig vor seinem Schreibtisch auf und ab. Er hatte Håkon als junger Fischereikapitän kennengelernt, als er die drei Schiffe umfassende Trawlerflotte seiner Tante beaufsichtigte. Damals hatte er einen Job, der ihm gefiel, ein Mädchen, in das er verliebt war, und ein gutes Leben. Er war ehrgeizig gewesen, aber nicht besessen von Ehrgeiz.

Dann hatte Håkons Tochter ihn verlassen.

Jens hätte wohl längst versucht, mit der Vergangenheit abzuschließen. Nur zu gern hätte er vergessen, wie Maja ihn kurz vor der Hochzeit mit einer dürren Videonachricht abserviert hatte! Aber Majas Vater hatte damals beschlossen, Jens dafür zu bestrafen, dass er überhaupt mit seiner kostbaren Tochter zusammen gewesen war. Und so begann eine mehr als ein Jahrzehnt währende Fehde zwischen den beiden Männern …

Denn Håkon Hagen hatte nicht mit der Wut und dem Ehrgeiz des Abgewiesenen gerechnet, dessen Karriere er zu zerstören versuchte. Jens hatte sich in den Kampf gestürzt und nicht aufgehört, bis er so viel Macht und Geld hatte wie der große Hagen. Als Krönung seiner Rache hatte er nur noch Håkons Gesicht bei der Mitteilung sehen wollen, dass Jens seine Firma übernommen hatte.

Aber das war ihm jetzt nicht mehr vergönnt, und das war völlig inakzeptabel!

Jens hätte in diesem Augenblick all seine Milliarden gegeben, nur um die Reaktion seines alten Feindes auf seine Niederlage zu sehen. Für diesen Moment hatte Jens gelebt! Er hatte sehen wollen, wie das Blut aus Håkons Gesicht wich, wenn er erfuhr, dass seine geschäftliche Zukunft völlig in Jens’ Händen lag! Das, was er damals versucht hatte, Jens anzutun, wäre dem alten Håkon nun selbst widerfahren …

Was sollte Jens jetzt tun? Rache war der Treibstoff, der ihn in den vergangenen Jahren angetrieben hatte. Rache war alles, was zählte. Hagen International war nur ein Konzern, dem es egal war, wer ihn besaß oder kontrollierte. Die einzige Verbindung zur Firma – und damit zur berühmten norwegischen Familie Hagen – war nun Maja.

Maja Hagen. Das Mädchen, das auf seinem Herzen herumgetrampelt hatte. Die aus Bergen verschwunden war, kurz bevor sie sich eigentlich das Jawort geben wollten. Die Person, für die er einst Berge versetzt und Meere durchschritten hätte. Aufgeregt hatte Jens im Rathaus auf sie gewartet, um mit ihr den Bund der Ehe zu schließen. Denn Maja Hagen hatte versprochen, den Zorn ihres Vaters ertragen zu wollen, um bei ihm zu sein. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Jens sich wirklich geliebt und wertgeschätzt gefühlt. Dummerweise hatte er geglaubt, dass er diesmal nicht im Stich gelassen werden würde.

Was hatte er sich nur dabei gedacht, Maja sein Herz und seine Träume anzuvertrauen? Hatte er nicht von klein auf gelernt, dass die Menschen jede Gelegenheit nutzen, um einen zu hintergehen?

Jens’ Augen blitzten. Sein Bedürfnis nach Vergeltung sollte nicht mit Håkons Tod sterben. Der Alte hatte den Krieg gegen ihn geführt, aber Maja war der Auslöser gewesen. Ohne Håkon war sie das einzig verbliebene Ziel.

Håkon Hagen gab es nicht mehr, aber Maja war noch am Leben.

Entschlossen griff Jens nach seinem Telefon und wählte die Nummer seines Anwalts. Als dieser sich meldete, gab er eine knappe Anweisung: „Finden Sie Maja Hagen! Ich weiß nicht, wo sie ist und was sie macht, aber ich will, dass sie gefunden wird. Noch heute!“

1. KAPITEL

Maja Hagen hätte den Erfolg ihrer ersten großen Ausstellung in Norwegen gerne in vollen Zügen genossen, doch der unerwartete Tod ihres Vaters verhinderte das.

Trotz der Entfremdung zwischen ihr und ihrem Vater lag nun ein Schatten auf ihrem ersten beruflichen Erfolg. Håkon Hagen war ein strenger Mann gewesen, ein kontrollsüchtiger Tyrann, der die Menschen um sich herum wie Schachfiguren in einem Spiel behandelte.

Bedauerte sie seinen Tod? Maja wünschte, sie könnte das sagen, aber sie hatte ihren Vater eigentlich schon vor langer Zeit verloren. Er hatte ihr ein Dach über dem Kopf geboten, schicke Kleidung und einen Namen, den jeder sofort erkannte. Liebe, Wärme und bedingungslose Unterstützung – die sie am meisten gebraucht hätte – hatte es in Håkons Welt jedoch nicht gegeben.

Wäre sie sein lang ersehnter Sohn gewesen, hätte sie vielleicht etwas Zuneigung von ihm erfahren. Denn als Sohn hätte sie den Namen Hagen weiterführen können. Aber als Tochter war Maja für ihren Vater nur eine Erinnerung an die Unfähigkeit ihrer längst verstorbenen Mutter, ihm ein männliches Kind zu schenken. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie den größten Teil ihrer Kindheit mit einem harten, kalten Mann zusammengelebt, der ihre Anwesenheit als lästig empfand.

Jetzt war er tot, und sie fühlte … nichts. Sein Anwalt hatte sie über den Tod ihres Vaters informiert, aber eine Einladung zur Trauerfeier hatte sie nicht erhalten.

Seit über einem Jahrzehnt hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater gehabt. Vor zwölf Jahren hatte sie ihm alles gesagt, was sie ihm sagen musste. Jetzt war sie froh, der Presse aus dem Weg gehen zu können. Håkon, pompös und polarisierend, hatte ein letztes Mal für Schlagzeilen gesorgt.

Im Moment sollte sie sich auf ihre Ausstellung konzentrieren. Sie wollte die Kommentare der sorgfältig ausgewählten Gäste hören und ihre ehrliche, ungefilterte Meinung erfahren. M.J. Slater gab nie Interviews oder nahm an Eröffnungen teil. Das war eine der Eigenarten der zurückgezogen lebenden Künstlerin.

Um nicht erkannt zu werden, hatte Maja sich wie eine Kellnerin mit weißem T-Shirt, schwarzer Hose und bequemen Schuhen gekleidet. Nun nahm sie ein Tablett mit Sektgläsern auf und schlich inkognito durch die Galerie. Dabei lauschte sie auf die Reaktionen der Besucher auf ihre großen Bilder an den Wänden des lichtdurchfluteten Raumes.

Nervös wippte sie auf ihren Absätzen. Nach Jahren der Mühe, in denen sie sich mit Portraits und Hochzeitsfotos durchgeschlagen hatte, begann sie nun endlich als Fotografin Anerkennung in der Kunstwelt zu finden. Das Beste daran war, dass ihre Kunst ihr selbst gehörte und nichts mit ihrer Vergangenheit und ihrem Familiennamen zu tun hatte. Niemand wusste, dass M.J. Slater in Wirklichkeit Maja Hagen war, die einzige Tochter des mächtigsten und einflussreichsten Geschäftsmannes Norwegens.

Was würden die Besucher der Ausstellung denken, wenn sie wüssten, dass die Künstlerin Håkon Hagens Tochter war? Würden ihnen ihre Arbeiten besser gefallen oder würden sie härter urteilen? Sie würde entweder kläglich scheitern oder übermäßig gelobt werden. Beides wollte sie nicht. M.J. Slater war eine unbekannte Künstlerin ohne familiären Ballast. Davon hatte sie mit ihrem Vater und Jens Nilsen bereits einen ganzen Koffer voll.

Nein, sie hatte nicht vor, an Jens zu denken. Nicht jetzt. Nicht heute. Und schon gar nicht, solange sie in Bergen war. Zurückzukommen war schon schwer genug gewesen. Sie wollte sich nicht auch noch mit den Erinnerungen auseinandersetzen.

An ihren Vater zu denken, war auch kein Vergnügen, aber wenigstens nicht so aufwühlend. Sie fragte sich, wer Hagen International erben würde. Wem würden seine Häuser, seine Kunstsammlung, seine Milliarden jetzt zufallen? Ihrer Stiefmutter? Maja selbst würde es nicht sein. Als sie aus Håkons Leben geflohen war, hatte sie ihren Namen, ihr Land und ihren Anspruch auf das Geld der Familie hinter sich gelassen. Keinen Augenblick hatte sie das bedauert. Sie hatte sich von seiner Kontrolle befreit und lebte nun nach ihren eigenen Vorstellungen.

Jetzt beobachtete sie einen jungen Mann, der vor ihrem größten Bild, einer zwei mal drei Meter großen Schwarz-Weiß-Fotografie stehen blieb. Er neigte den Kopf zur Seite und runzelte die Stirn. Offenbar war er irritiert vom provokanten Anblick eines zerlumpten, schmutzigen Straßenkindes, das sich nach einem weggeworfenen, aber unglaublich großen und teuren Rosenstrauß bückt. Der Kontrast war, wie sie selbst zugeben musste, wirklich erschreckend.

Majas künstlerisches Anliegen war es, die Unverstandenen zu fotografieren, die Ausgegrenzten am Rande der Gesellschaft. Einige der Abgelichteten verabscheuten ihr Leben, andere genossen die Freiheit jenseits bürgerlicher Grenzen. Die meisten versuchten einfach, mit ihrem Leben zurechtzukommen, ob im Ghetto von Mumbai oder in einer Luxusvilla in Dubai.

Ein weiterer Mann trat heran und betrachtete das riesige Bild. „Wie heißt dieser Künstler noch mal?“, hörte Maja ihn fragen.

„M.J. Slater“, bekam er zur Antwort. „Ich habe noch nie von ihm gehört, aber Daveed Dyson hat gesagt, dass man künftig auf ihn achten sollte.“

Maja fuhr ein kleiner Schauer über den Rücken. Daveed Dyson, der berühmte Kunstkritiker, hatte über sie gesprochen? Wahnsinn! Aber warum nahmen immer alle an, dass M.J. Slater ein Mann war? Nun, das konnte ihr egal sein. Solange ihre Identität geheim blieb, durften die Leute glauben, was sie wollten.

„Wo lebt er?“

„Keine Ahnung. Es gibt keine Informationen über ihn.“

Maja musste schmunzeln. Schottland war jetzt ihr Zuhause, Edinburgh ihre Stadt. Durch ihre Mutter war sie britische Staatsbürgerin, und mit Norwegen verbanden sie zu viele schlechte Erinnerungen, als dass sie hätte bleiben können.

Damals war sie noch so jung gewesen und so blauäugig! Anfangs hatte sie geglaubt, dass die Liebe siegen würde, aber das hatte sich als Irrtum erwiesen. Die Macht ihres reichen Vaters war stärker gewesen als ihre Liebe!

Als ihr jemand auf die Schulter tippte, drehte Maja sich um und sah Halston vor sich, den Geschäftsführer der Galerie. Sie ignorierte seinen düsteren Blick und reichte ihm stattdessen ein Glas Champagner. Ihm wäre es viel lieber, sie würde im eleganten Cocktailkleid auftreten und mit den wohlhabenden Gästen der Galerie über ihre Kunst plaudern. Für ihr Bedürfnis, inkognito zu bleiben, hatte er kein Verständnis.

Maja tat, als sei Halston nur ein gewöhnlicher Gast. „Gefallen den Leuten meine Bilder?“, raunte sie verstohlen. „Oder finden sie sie schrecklich?“ Sie konnte es selbst nicht richtig einschätzen. Die meiste Zeit ihres Lebens hatte ihr Vater ihr das Gefühl gegeben, nicht gut genug zu sein. Noch immer suchte sie nach Bestätigung. Ob sie diesen Charakterzug wohl jemals ablegen würde?

„Deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen“, erklärte Halston. „Es gibt einen Erfolg zu feiern. Ein anonymer Käufer hat bei einer exklusiven Vorbesichtigung Ihre vier wertvollsten Arbeiten gekauft.“

Erleichtert legte sie eine Hand auf ihr Herz. „Großartig! Aber wir können erst von einer erfolgreichen Ausstellung sprechen, wenn die Kunstkritiker sich geäußert haben.“

„Die Identität des Käufers soll nachher verkündet werden. Anscheinend ist er eine große Nummer. Ich will Sie nur warnen, damit Sie nicht unbedacht reagieren, wenn Sie im Verborgenen bleiben wollen“, raunte Halston ihr zu und verschwand wieder. Maja stellte daraufhin ihr Tablett auf einem hohen Tisch ab und schlüpfte hinter ein riesiges Blumenarrangement. Hier würde sie niemand bemerken.

Die Atmosphäre im Raum veränderte sich plötzlich, und vor ihr teilte sich die Menge wie beim Auftritt einer Majestät. Jemand klopfte auf ein Mikrofon und bat um Aufmerksamkeit. Doch Maja hatte nur Augen für den Mann, der jetzt neben den Kurator der Galerie trat. Ihr ganzer Körper reagierte auf seine Anwesenheit. Ihr wurde erst heiß und dann kalt.

Jens war hier!

Unzählige Erinnerungen durchzuckten sie. Seine Hände in ihrem Haar … seine Lippen auf ihrem Mund … seine starken Arme um ihre Taille. Heimlich hatte er sich damals im Ferienhaus ihres Vaters bei Svolvær an der Haushälterin vorbei in ihr Schlafzimmer geschlichen und sie zärtlich in die Kunst der körperlichen Liebe eingeführt. Seitdem hatte sie einige Liebhaber gehabt, aber keiner hatte Gefühle in ihr geweckt wie Jens.

Ein wenig war noch von dem jungen Mann zu erkennen, den sie einst geliebt hatte. Die dunkelblauen, fast schwarzen Augen, das kräftige Kinn, das tiefbraune Haar. Groß und muskulös war er auch damals gewesen, aber jetzt wirkte er noch beeindruckender.

Die größte Veränderung aber lag in seinem Gesichtsausdruck. Das war nicht mehr der junge Mann, der sie gern zum Lachen gebracht hatte. Dies war eine härtere, kältere Version des Jens’, den sie gekannt hatte. Genauso umwerfend attraktiv, tausendmal gefährlicher.

Sie legte sich die Hand aufs Herz, kniff die Augen zusammen und blinzelte. Hatte ihre Fantasie ihr seine Anwesenheit vorgegaukelt? Nein, Jens Nilsen war nicht verschwunden. Sie hatte ihn sich nicht eingebildet. Im dunkelgrauen Designeranzug mit hellgrauem Hemd und perfekt geknüpfter Krawatte stand er vor ihr.

„Meine Damen und Herren!“, drang die Stimme des Kurators durch ihre Gedanken. „Begrüßen Sie einen der wichtigsten Mäzene unserer Institution, Herrn Jens Nilsen. Er ist ein hervorragender Kenner und Sammler skandinavischer, insbesonders norwegischer Kunst. Bei einer privaten Besichtigung hat Herr Nilsen vier Bilder aus der Serie ‚Decay and Decoration‘ von M.J. Slater erworben.“

Maja konnte den Blick nicht von Jens wenden. Er war wie ein Kraftfeld, dem sie sich nicht entziehen konnte. Ihre Kunst, die Ausstellung, der Erfolg … All das verblasste, überstrahlt von Jens’ Anwesenheit.

Fasziniert beobachtete sie, wie er sich anspannte. Jemand, der ihn nicht gut kannte, würde kaum bemerken, wie sich seine Schultern ein wenig strafften und sein Kinn sich leicht hob. Er erinnerte sie an ein Raubtier, dass die Witterung seiner Beute aufgenommen hat. Als er seinen Blick über die Gäste schweifen ließ, hielt Maja den Atem an, doch die vermeintliche Bedienung hinter dem Blumenarrangement schien er nicht zu bemerken.

Warum mochte er den Galeristen um eine private Besichtigung gebeten haben? Hatte er sie mit M.J. Slater in Verbindung gebracht? Hatte er deshalb ihre Werke gekauft? Nein, das ergab keinen Sinn. Wenn er wüsste, dass die Künstlerin die Frau war, die ihn Stunden vor der Hochzeit sitzengelassen hatte, würde er ihre Werke eher verbrennen als kaufen.

Wenn er nur wüsste, warum sie damals so gehandelt hatte! Sie war dem verzweifelten Bedürfnis gefolgt, ihn vor ihrem Vater zu beschützen. Er sollte nicht ein Kollateralschaden im Krieg zwischen ihr und ihrem Vater werden. Deshalb hatte sie ihn so schmählich verlassen. Doch nun stand er plötzlich vor ihr, und der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken.

Plötzlich hob Jens den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück. Natürlich hatte sie damit rechnen müssen, dass er sie irgendwann finden würde. Bei seinen Fahrten in der stürmischen See hatte er immer auf seine Instinkte gehört, und als sein Blick sie jetzt zu durchbohren schien, war ihr klar, dass Jens sie erkannt hatte.

Kampf oder Flucht? Vor dieser Entscheidung hatte sie schon einmal gestanden. Die Flucht siegte abermals, und Maja floh.

Maja hatte gewusst, dass es nicht lange dauern würde, bis Jens sie in dem kleinen Büro im zweiten Stock der Galerie aufspüren würde. Als sie das leise Klicken der sich öffnenden Tür hörte, wandte sie sich vom Fenster ab. Es fühlte sich an, als würde plötzlich alle Atemluft aus dem Raum strömen.

Von einem Moment auf den anderen war ihre Welt wie auf den Kopf gestellt. Sie hatte nie erwartet, Jens wiederzusehen. Er war Teil ihrer Vergangenheit. Mehr als ein Jahrzehnt lang hatte sie versucht, über ihn hinwegzukommen, doch jetzt stand er vor ihr groß, eindrucksvoll – und offensichtlich wütend.

„Jens …“ Sie schluckte und ärgerte sich innerlich über ihre gequälte Stimme. „Was machst du hier? Wie hast du mich gefunden?“

„Zugegeben, es war nicht ganz leicht, Maja“, erwiderte er und schloss die Tür hinter sich. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit der Schulter an die Wand neben der Tür. Er wirkte wie eine Raubkatze auf der Lauer. Die Beute war sie.

„Ich wusste nicht, dass du mich gesucht hast“, antwortete Maja und versuchte, ihr stotterndes Herz zu ignorieren. Das Atmen fiel ihr schwer, denn es schien in diesem Raum keine Luft mehr zu geben.

Sie durfte nicht zulassen, dass die Erinnerung an die Vergangenheit ihren Verstand außer Kraft setzte. Sie musste sich zusammenreißen und anfangen zu denken, statt zu reagieren. Maja bezweifelte, dass sie die Situation kontrollieren konnte, aber sie wollte wenigstens nicht wie ein Fisch am Haken zappeln. „Was willst du?“

Er lächelte spöttisch. „Vielleicht will ich nur die Frau begrüßen, von der ich einst dachte, sie würde meine Frau werden.“

So viele Fragen lagen ihr auf der Zunge. Wusste er, dass sie M.J. Slater war? Warum hatte er Fotos aus ihrer Serie „Decay and Decoration“ gekauft? Würde er sie fragen, warum sie bei dieser Veranstaltung als Kellnerin arbeitete?

Sein Gesichtsausdruck wurde wieder finster, als er eine Werbebroschüre für ihre Ausstellung vom Bürotisch nahm. Der gefühlte Stein in Majas Magen wurde immer schwerer. Sie atmete den Hauch seines Rasierwassers ein. Es duftete umwerfend, aber ein Teil von ihr wünschte sich, er würde immer noch nach Seife und Meer riechen.

„Nachdem ich von Håkons Tod erfahren hatte, habe ich meinen Anwalt beauftragt, dich ausfindig zu machen“, sagte er. „Es ist ihm nicht gelungen.“

„Ich lebe sehr zurückgezogen“, entgegnete sie. „Und du bist zufällig auf dieser Ausstellung?“

„Ich sammle schon seit ein paar Jahren Kunstwerke. Kuratoren wenden sich oft an mich.“ Er lächelte, aber Maja fröstelte. Am liebsten wäre sie davongerannt.

„Anfang der Woche habe ich eine Einladung zu einer privaten Besichtigung von M.J. Slaters Werken bekommen“, fuhr er fort. „Ich hatte ursprünglich abgelehnt, aber da ich mich über den mangelnden Fortschritt bei der Suche nach dir ärgerte und eine Ablenkung brauchte, bin ich dann doch etwa eine Stunde vor der offiziellen Öffnung in die Galerie gekommen.“

Maja atmete auf. Noch schien er sie nicht mit der Künstlerin in Verbindung zu bringen. Vielleicht war alles nur ein Zufall, und vielleicht war er ihr nur aus der Galerie in dieses Büro gefolgt, um sie wiederzusehen. Aber das war nicht Jens’ Stil. Die Anspannung in seinem Körper deutete darauf hin, dass er nicht nur: „Nett, dich wiederzusehen!“ sagen wollte. Aber was wollte er wirklich von ihr? Und warum galoppierte die Panik wie eine Herde verängstigter Wildpferde durch sie hindurch?

Jens blätterte in der Broschüre und betrachtete das ausgedruckte Bild eines ihrer wenigen gerahmten Bilder. Dann deutete er mit dem Finger darauf, und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass er auf ihre winzige aber unverkennbare Signatur zeigte.

Sie signierte ihre Bilder mit einem M in ausgeprägter Schnörkelschrift.

Er griff in sein Jackett, holte ein schmales Lederportemonnaie heraus und klappte es auf. Wie angewurzelt sah Maja zu, wie er einen verblichenen Post-it Zettel herauszog. Dann hielt er ihn an der Ecke zwischen Daumen und Zeigefinger, sodass sie die Schrift sehen konnte.

Jens, ich liebe dich. Ich kann es nicht erwarten, dich zu heiraten. M.

Jeder Dreijährige konnte erkennen, dass das M auf diesem Zettel und die Signatur in der Broschüre von derselben Hand geschrieben waren.

Nein!

Nein!

Er wusste, wer M.J. Slater war! Außer Halston war Jens die einzige Person, die die Verbindung zwischen der Ex-Erbin und der aufstrebenden Fotografin kannte. Maja biss sich auf die Lippe. Ihr Blick flog zwischen dem Zettel und der Broschüre hin und her. Was für ein dummer Zufall!

„Ich hätte nie erwartet, dass du den Zettel behältst. Du bist doch sonst nicht der sentimentale Typ.“ Wenn er das verdammte Ding doch nur weggeworfen hätte! Dann stünde er jetzt nicht vor ihr.

Jens’ eisiger Blick ließ sie erschauern. „Ich habe ihn behalten, um mich immer daran zu erinnern, was für ein naiver Narr ich war.“

Maja spürte Entsetzen in sich aufsteigen. Die Wände des kleinen Büros schienen immer enger zusammenzurücken. Es war eine schlechte Idee gewesen, nach Norwegen zurückzukommen.

Hier war sie mit einem lieblosen Vater aufgewachsen, der sie verachtet und ständig zu kontrollieren versucht hatte. Von seiner Kontrolle, seiner Macht und seinem Namen hatte sie sich befreit. In den letzten zwölf Jahren hatte sie hart daran gearbeitet, ihren eigenen Weg in der Kunstwelt zu machen, weit weg von der Sphäre des väterlichen Einflusses.

Sie war nur deshalb nach Bergen zurückgekommen, weil diese Ausstellung ihre Startrampe in die erste Liga der Kunstwelt sein sollte. Hier konnte sie den Namen M.J. Slater bei Sammlern und Mäzenen bekannt machen, ohne dass ihre wahre Identität bekannt wurde. Dabei hatte sie ihre Strategie beibehalten, im Verborgenen zu bleiben. Sie mied die Medien und lehnte alle Interviews ab, weil sie wollte, dass ihre Arbeiten für sich selbst sprachen.

Als M.J. Slater war sie vor allem geschützt, das mit ihrer Rolle als Håkons Tochter verbunden war. Die Wahrung ihrer Anonymität war ihr äußerst wichtig. Wenn sie jetzt geoutet würde, wäre alles verloren. Sie musste Jens davon überzeugen, ihre Identität geheim zu halten. Aber wie?

„Was willst du?“, fragte sie und ärgerte sich sogleich über die Angst in ihrer Stimme. „Willst du eine Erklärung dafür, warum ich dich im Standesamt habe sitzen lassen? Die schulde ich dir wohl“, fuhr sie fort und hoffte, ihn damit vom Thema ihrer Kunst und der Verwendung eines anderen Namens abzulenken.

Sie würde sich bei ihm entschuldigen und ihn bitten, ihr Geheimnis für sich zu behalten. Dann konnte sie weitermachen und sein atemberaubend attraktives Gesicht und seinen durchtrainierten Körper in die Vergangenheit verbannen, wo er hingehörte.

Dann würde sie in ihr Hotelzimmer gehen, den Zimmerservice rufen und den größten Cocktail bestellen, den die Menschheit je gesehen hatte.

Jens neigte den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. „Ich bin nicht an Erklärungen oder Entschuldigungen interessiert, Maja.“

Sie runzelte verwirrt die Stirn. „Was willst du dann?“

„Eigentlich eine ganze Menge“, sagte er, und seine tiefe Stimme brachte ihre Haut zum Kribbeln. „Besonders von dir.“

2. KAPITEL

Volltreffer!

Jens wandte sich um und schaute aus dem kleinen Fenster. Er brauchte einen Moment, um seine Gedanken und Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Nach der Panik in Majas ausdrucksstarken Augen zu urteilen, wollte sie unbedingt ihre Anonymität wahren. Mit diesem Wissen musste sich doch etwas anfangen lassen. Er zog die Schultern zurück und überlegte, wie er Majas Geheimnis für seine Zwecke nutzen konnte.

Seine teuren Anwälte waren nicht in der Lage gewesen, sie ausfindig zu machen. Er wusste jetzt warum. Aber hatte sie ihren Namen legal geändert oder war M.J. Slater nur ein Pseudonym, das sie für ihre Arbeit verwendete?

Autor

Joss Wood
<p>Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...
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