Auf der Insel der Liebe

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Seit die junge Englischlehrerin Diana auf Cliff Haven, dem herrlichen Anwesen des Unternehmers David, arbeitet, fahren ihre Gefühle Achterbahn. Mal küsst David sie stürmisch, dann wieder weist er sie eiskalt ab. Verzweifelt entschließt sich Diana, Cliff Haven zu verlassen …


  • Erscheinungstag 25.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756666
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Je näher Diana Newport kam, desto aufgeregter wurde sie. Der leichte Druck, den sie im Magen verspürte, verriet ihr, dass sie auch ein wenig Angst hatte. Sie wusste, es war Unsinn, dass sie solche Gefühle empfand. Schließlich war sie nur auf dem Weg nach Rhode Island, um dort einer niedlichen Fünfzehnjährigen die nächsten acht Wochen Englischunterricht zu erteilen. Das Mädchen hatte die Prüfung nicht bestanden.

Cissy Osborne war eine ihrer Lieblingsschülerinnen, und eigentlich hätte Diana sich freuen müssen, den Sommer mit ihr zu verbringen – dazu sehr gut bezahlt. Ihre Mutter hatte sich an die Leitung des Internats gewandt, in dem Diana unterrichtete, und sich erkundigt, ob einer der Lehrer bereit sei, sie während der Sommerferien zu unterrichten.

Aber auch wenn sie sich dies immer wieder in Erinnerung rief, hatte sie das unbestimmte Gefühl, als wäre dies nicht alles …

Diana hatte die Newport Bridge erreicht und hielt an, um die Mautgebühr zu entrichten. Dann legte sie wieder den Gang ein und lenkte ihren kleinen japanischen Wagen auf die Brücke, die die Narragansett Bay in weitem Bogen überspannte und mit dem Acquidneck Island verband. Tief unter ihr spiegelte sich der graue Himmel im Wasser. Die Luft war feuchtwarm, und es sah so aus, als würde noch vor Einbruch der Dunkelheit ein Unwetter heraufziehen.

Diana war ziemlich erschöpft. Es lag nicht nur daran, dass sie seit fünf Stunden auf der Straße war. Ihre Brüder hatten gestern Abend darauf bestanden, mit ihr Abschied zu feiern. Es war spät geworden.

Ihre fünf Brüder waren sehr fürsorglich, nur manchmal wünschte sie sich, sie würden sich etwas weniger um sie kümmern. Sie hatten ihr die Telefonnummer der Unfallstation des Krankenhauses in Newport mitgegeben, dazu einen Stadtplan, auf der die Polizeiwachen rot eingekreist waren. Extrageld und Sonnenmilch mit dem höchsten Sonnenschutzfaktor. Dazu hatten sie sie vor gefährlichen Strömungen beim Baden gewarnt. Und sie hatten ihr eine Sprühdose mitgegeben, damit sie sich gegen Belästigungen oder Angriffe verdächtiger Subjekte wehren konnte! Schließlich sei Newport eine große Stadt, da könne man nie wissen, wem sie begegne …

Diese Überfürsorglichkeit war einer der Gründe, warum sie den Job in Newport angenommen hatte. Diana fand, dass sie endlich auf eigenen Füßen stehen musste. Sie wollte es sich und ihren Brüdern diesen Sommer beweisen. Und sie würde ihre Brüder auf die Neuigkeiten vorbereiten, die sie bei ihrer Rückkehr erfahren würden. Diana hatte nämlich bereits einen Mietvertrag für eine Wohnung unterschrieben, in die sie dann einziehen würde.

Sie würde Skip, ihren jüngsten Bruder, bestimmt schrecklich vermissen. Sie beide waren die Letzten, die noch auf der Farm ihrer verstorbenen Eltern lebten. Aber sie musste fort, selbst von ihm. Im Herbst würde er heiraten, und obwohl er und Vicky sie gebeten hatten zu bleiben, würde sie sich doch wie ein fünftes Rad am Wagen vorkommen.

Und es gab noch einen weiteren Grund. Ron Frasier. Selbst jetzt, nach über einem Jahr, fragte sie sich immer noch, wieso sie sich in einem Menschen so sehr hatte täuschen können.

Ron war nicht Dianas erster Freund gewesen, aber sie hatte geglaubt, die Beziehung zu ihm sei etwas ganz Besonderes. Es schien die Beziehung zu sein, von der sie immer geträumt hatte, eine reife, tief gehende Beziehung.

Diana hatte in Fairview ungefähr schon ein halbes Jahr lang unterrichtet, als sie sich mit Ron zu verabreden begann. Er war so etwas wie der Traummann des kleinen Städtchens, mit seinen atemberaubenden Lächeln, seiner etwas auffallenden Art, sich anzuziehen, und seinem Job als Manager in der größten Bank der Gegend. Sechs Monate später hatte er sie gebeten, seine Frau zu werden.

Nun, zumindest hatte er sie nicht vor dem Altar stehen lassen, sondern immerhin den „Anstand“ gehabt, es ihr eine Woche vorher mitzuteilen, dass aus der Heirat nichts würde. Noch jetzt erinnerte sie sich an das schreckliche Gefühl, dass sie erfüllt hatte, als sie den Sinn seiner Worte verstand. Seine einzige Begründung war, sie passten einfach nicht zusammen und sie würde ihm eines Tages dankbar sein. Dann hatte er die Stadt für ein paar Wochen verlassen und es ihr überlassen, die Hochzeit abzusagen, die sie bereits seit Monaten vorbereitet hatte. Damals war Diana sehr froh gewesen, dass sie ihre Familie hatte. Mit ihrer Hilfe schaffte sie es irgendwie, diese schlimme Zeit zu überstehen.

Kurz darauf waren die Schulferien zu Ende. Ihre Arbeit lenkte sie von ihrem Schmerz und der Enttäuschung ab. Und erstaunt konnte sie nach zwei Monaten feststellen, dass Ron ihr nichts mehr bedeutete. Als sie ihn einige Zeit später in seinem geleasten Mercedes sah, fragte sie sich, warum sie sich überhaupt in ihn hatte verlieben können. Er hatte recht gehabt. Sie passten wirklich nicht zueinander. Die Frau, mit der er schon bald darauf zusammen war, passte in jeder Hinsicht besser zu ihm.

Über die Enttäuschung hinwegzukommen, erwies sich als relativ leicht für Diana. Schwieriger war es schon, mit dem Mitleid der anderen fertig zu werden, das sie jeden Tag zu spüren bekam.

Beinahe noch schlimmer war es, wie sich andere in ihr Liebesleben einmischten. Ihr Bruder Andy arrangierte ein „zufälliges“ Treffen mit einem seiner Arbeitskollegen, und George machte sie mit einem unverheirateten Freund aus der Nachbarschaft bekannt. Dachten ihre Brüder vielleicht, sie würde als „alte Jungfer“ und schrullige Lehrerin sterben?

Aber seltsam, diesen Gedanken hatte sie in der letzten Zeit selbst gehabt. Die meisten der Männer, mit denen sie sich traf, waren nett, aber schon beim zweiten oder spätestens dritten Mal wusste sie, dass sie nicht die richtigen waren. So zog sie sich zurück, weil ihr alles so sinnlos erschien. Die meisten Verabredungen hinterließen ein peinliches Gefühl bei ihr. Vielleicht hatte ihre Enttäuschung sie mehr mitgenommen, als sie gedacht hatte, und sie würde sich erst mit der Zeit wieder Männern gegenüber öffnen können. Aber bis dahin wollte sie lieber allein sein.

Deswegen war ihr der Job in Newport so gelegen gekommen. Sie brauchte Zeit für sich allein, damit ihre Wunden heilten.

Diana schreckte aus ihren Gedanken auf und fuhr an den Straßenrand, um einen Blick auf die Straßenkarte zu werfen. Sie würde einen oder zwei Tage vor der Familie ankommen, aber das war ihr nur recht. Wenn Mrs. Osborne dann kam, würde sie bereit sein, sofort mit dem Unterricht zu beginnen. Man hatte ihr gesagt, die Haushälterin, die das ganze Jahr über in „Cliff Haven“ wohnte, würde sich um sie kümmern.

Wenige Minuten später hatte sie die Hafengegend erreicht. Trotz des schwülen Wetters waren Läden und Restaurants voller Leben. Aber Diana war zu müde, um dem bunten Treiben besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Diana fuhr die Straße hoch, die vom Hafen fortführte und weiter Richtung Bellevue Avenue. Sie hatte viel über die bekannten „Cottages“ in Newport gelesen, seit sie den Job angenommen hatte, und es wurde ihr nun klar, wie unvorbereitet sie dennoch auf die Wirklichkeit war. Die Häuser waren Ende des neunzehnten Jahrhunderts im typischen New-England-Stil mit seinen meterhohen Kaminen, steilen Schieferdächern und neugotischen Fenstern erbaut worden. Das bevorzugte Baumaterial waren Granit und Marmor gewesen. Weite parkähnliche Gelände umgaben sie, die teilweise der Öffentlichkeit zur Verfügung standen. Aber die meisten der Anwesen wurden von der High Society als Sommerresidenzen benutzt. Würde „Cliff Haven“, das Haus der Prescotts, diesen ähneln?

Diana sah an sich herunter. Sie trug zerknitterte Shorts und ein weißes Top, das wegen der Schwüle an ihrem Körper klebte. Wie würde es aussehen, wenn sie in dieser Aufmachung auf einem solchen Anwesen ihre Aufwartung machte? Ein langes, mit Perlen besticktes Chiffonkleid und eine kunstvolle Frisur wären angemessener als ihre Kleidung und der Zopf, den sie trug! Bei diesem Gedanken lachte Diana, aber es klang ein wenig nervös.

Die Bellevue Avenue endete in einer scharfen Kurve und ging dann in die Ocean Avenue über. Dianas Herzschlag beschleunigte sich. Irgendwo an dieser Straße lag „Cliff Haven“. Bald schon kam der Ozean in Sicht. Auf dieser Seite der Insel war das Wasser nicht still, sondern aufgewühlt, und die Brecher schlugen krachend über die großen Felsen am Strand.

Die Straße war schmal und gewunden. Ab und zu kam Diana an hohen Portalen oder verschwiegenen Einfahrten vorbei. Die Häuser, die sie dahinter sah, wirkten weniger elegant als die vorher, sie waren eher wie kleine Kastelle gebaut, die der See und dem Wind trotzten.

Nebel wallte vor Dianas Windschutzscheibe auf und nahm ihr kurz die Sicht. In der Ferne grollte Donner. Sie packte das Steuer fester und starrte geradeaus. Da entdeckte sie das Schild: „Cliff Haven“. Der Name stand an einem schmiedeeisernen Tor. Das Haus selbst erhob sich auf einer Anhöhe. Von der Straße aus erschien es fast wie ein Teil des Kliffs, Stein in Stein. Mehrere große Schornsteine ragten aus einem dunklen Schieferdach in den grauen Himmel. Schmale Fenster mit Rundbögen waren in die Türme und Erker eingelassen. Das Haus wirkte unheimlich. Diana bekam unwillkürlich eine Gänsehaut.

Sie fuhr vor das Tor und stieg aus. Dies war nicht das Haus, das sie erwartet hatte. Es war vollkommen anders. Kleiner als die großen Häuser an der Bellevue Avenue, düsterer, und das Land herum wirkte ungepflegt. An manchen Stellen waren sogar Grasbüschel aus Rissen in der Asphaltdecke der Auffahrt gewachsen.

Diana versuchte, das Tor zu öffnen, aber es bewegte sich nicht. In Augenhöhe entdeckte sie ein Schild. „Durchgang verboten. Privatbesitz. Zuwiderhandlung wird strafrechtlich verfolgt.“

Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. Ratlos schaute sie sich um. Das Grundstück war von einer über zweieinhalb Meter hohen Mauer umgeben, und Schilder wiesen darauf hin, dass sie elektronisch gesichert war. Die Bewohner mussten wirklich sehr zurückgezogen leben. Sie wünschte, sie wüsste mehr über Cissys Familie.

Einige Meter hinter der Mauer warnte eine Tafel vor bissigen Hunden. Normalerweise mochte Diana Hunde, aber diese Tafel trug nicht zu ihrer Beruhigung bei. Unwillkürlich schaute sie sich nach einem Stein oder einem Knüppel um, mit dem sie sich wehren konnte.

Da fiel ihr die Spraydose ein, die ihre Brüder ihr mitgegeben hatten. Rasch eilte sie zum Wagen und nahm sie aus dem Handschuhfach. Dann kehrte sie zum Tor zurück.

Was nun? dachte sie. Das Haus war zu weit weg, als dass sie sich durch lautes Rufen bemerkbar machen konnte. Sollte sie versuchen, über die Mauer zu steigen? Zurückfahren und versuchen, ein Telefon zu finden? Zufällig entdeckte sie da eine Wechselsprechanlage, die unauffällig in den Torpfeiler eingelassen war.

Erleichtert drückte sie auf den Knopf. Keine Antwort. Nachdem sie es einige Minuten lang versucht hatte, gab sie es wieder auf. Entweder war die Verbindung defekt, oder aber es war niemand zu Hause! Frustriert packte sie die eisernen Gitterstäbe und rüttelte heftig am Tor.

Da ließ Diana ein ohrenbetäubendes Geräusch herumfahren. Ein schweres Motorrad kam wenige Schritte vor ihr zum Stehen. Ein breitschultriger, hoch gewachsener Mann sprang ab, riss sich den Helm vom Kopf und kam auf sie zu. Er trug ein schwarzes T-Shirt und eine verblichene Jeans, die seine muskulöse Figur nur betonte. Sein Haar war pechschwarz und eine dunkle Sonnenbrille verbarg seine Augen. Er war unrasiert, und das ließ sein scharfgeschnittenes Gesicht noch härter erscheinen. An der Unterlippe besaß er eine winzige Narbe.

Und dieser Mann kam geradewegs auf Diana zu. Sie presste sich gegen das Gitter, und das Herz schlug ihr im Hals. Ihr Kopf war wie leer. Ohne zu überlegen, hob sie die Spraydose und drückte auf den Knopf.

Im nächsten Augenblick fuhr der Mann wie von einem Schlag getroffen zurück. Er hustete und würgte, riss sich die Sonnenbrille ab und rieb sich die Augen.

„Verdammt!“, rief er wütend. „Was soll das? Sind Sie verrückt geworden?“

Diana stand in einer Mischung aus Furcht und Faszination starr da. Sie hatte diesen Mann gestoppt, der mindestens doppelt so breit und mindestens einen Kopf größer war als sie. Sie hatte es tatsächlich geschafft!

Aber dann erwachte sie wieder zum Leben. Nichts wie weg! sagte ihr ihr Verstand, und sie rannte los.

Aber sie war noch keine zwei Schritte gekommen, als sich aus der Wechselsprechanlage eine weibliche Stimme meldete.

„Hallo? Wer ist dort?“

Diana zögerte. Sie schaute von ihrem Wagen zu dem Mann, der sich noch immer die tränenden Augen rieb. Sie hob die Spraydose wie eine Pistole und ging vorsichtig zurück zur Wechselsprechanlage.

„Hier ist Diana White“, sagte sie mit bebender Stimme. „Ich bin die Lehrerin, die Mrs. Osborne für ihre Tochter engagiert hat. Könnten Sie bitte das Tor öffnen? Wenn es geht, schnell, bitte.“

Noch bevor eine Antwort kam, war der Mann mit einem Satz bei ihr und schlug ihr die Dose aus der Hand. Diana war zu entsetzt, als dass sie schreien konnte. Sie hatte das Gefühl, als würde sie gleich ohnmächtig werden.

Dann fühlte sie Hände an ihrer Schulter. Feste, starke Hände, die sie wie ein Leichtgewicht zur Seite schoben.

„Abbie, ich kümmere mich um das Tor!“, sprach der Mann knapp in die Anlage, während ihm noch immer Tränen die Wangen hinunterliefen.

„Oh, ich wusste nicht, dass Sie sich ebenfalls dort befinden, Mr. Prescott“, kam die Antwort. „Wir sehen uns dann ja gleich.“

Da fielen die ersten Regentropfen vom Himmel und prasselten auf den staubigen Asphalt.

„Sie sind Mr. Prescott?“, flüsterte Diana. „Sie sind der Besitzer dieses Anwesens?“

Er wandte sich um, und seine Wut war ihm deutlich anzusehen.

„Und Sie sind die Lehrerin, die meine Schwester hierhergeholt hat, ohne mich zu informieren?“, fragte er rau.

Sie schluckte. Der Regen rauschte nun förmlich herab und rann ihr über das Gesicht.

„Ja … ich bin Diana White.“ Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden und fühlte ihr Herz rasen. Wieso hatte sie sich eigentlich Mr. Prescott als einen älteren Herrn vorgestellt? Hatte die Schulleiterin nicht gesagt, er wäre Mrs. Osbornes Onkel? Oder hatte sie nur gesagt „ihr“ Onkel und das auf Cissy bezogen? Nun, auf jeden Fall war dieser Mann nicht älter als fünfunddreißig und auf keinen Fall ein „Herr“, mit seinen Bartstoppeln und in dieser Kleidung!

Und dennoch strahlte er Stolz und Autorität aus, das entging ihr selbst in diesem Augenblick nicht. Da fiel ihr Blick auf die Dose am Boden.

„Mr. Prescott, es tut mir fürchterlich leid“, sagte sie schnell. „Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht wehgetan?“ Sie trat einen Schritt näher.

„Natürlich haben Sie das! Was, zum Teufel, war das? Tränengas?“

Diana wich zurück.

„Nein, Reizgas. Es tut mir wirklich leid. Man sagte mir, die Familie wäre noch nicht hier, so konnte ich nicht ahnen, wer Sie waren.“

„Ach, und mehr haben Sie zu Ihrer Entschuldigung nicht zu sagen?“ Er zog ein Taschentuch heraus und wischte sich die Augen. „Sagen Sie, Miss White, haben Sie die Gewohnheit, jeden Fremden außer Gefecht zu setzen, der das Pech hat, Ihnen zufällig über den Weg zu laufen?“

„Nein … aber …“ Sie zögerte kurz. „Sie machten mir Angst“, gestand sie schließlich und schaute zu Boden. Seine Haut war stark gerötet, wo ihn das Reizgas getroffen hatte. Sie mochte gar nicht daran denken, wie er aussehen würde, wenn er die Sonnenbrille nicht getragen hätte.

„Gut. Aber das nächste Mal sollten Sie nicht so an fremden Gittern rütteln, als ob sie einbrechen wollten.“

„Einbrechen?“ Diana starrte ihn fassungslos an. „Ich wollte doch nicht einbrechen! Das Tor war verschlossen … und über die Wechselsprechanlage meldete sich niemand … Ich dachte, sie wäre defekt. Hören Sie, Mr. Prescott, sollten wir nicht hineingehen, damit Sie richtig behandelt werden können?“

„Einen Moment! Es mag Sie ja jemand eingestellt haben, aber das bedeutet noch lange nicht, dass Sie hier bleiben können!“

Diana wich einen Schritt zurück. Dieser Mann nahm wirklich kein Blatt vor den Mund!

Er wischte sich wieder die Augen, dann blickte er sie mit zusammengekniffenen Lidern an. Diana ahnte, dass er sie jetzt zum ersten Mal bewusst ansah.

Sie wusste, sie besaß nicht die Figur, nach der sich alle Männer den Hals verdrehten, sie war mittelgroß und hatte eine eher knabenhafte Figur. Diana hielt sich nicht für eine ausgesprochene Schönheit. Sie fand ihre Lippen zu dünn und ihren Teint zu blass. Ihre haselnussbraunen Augen jedoch waren sehr ausdrucksvoll und schön, mit dichten, geschwungenen Wimpern. Dazu hatte sie langes, volles dunkelbraunes Haar. Alles in allem war sie mit sich und ihrem Aussehen jedoch zufrieden.

Aber unter dem prüfenden Blick des Mannes vor ihr fühlte sie sich auf einmal nicht mehr so sicher. Seine Augen blickten kühl. Mit keiner Regung verriet er, ob ihm gefiel, was er sah.

„Gütiger Himmel! Wie alt sind Sie?“

„Fast sechsundzwanzig“, erwiderte sie unsicher.

Er zog eine Augenbraue nach oben.

„Und wo hat Evelyn Sie auf getrieben?“

„Evelyn? Ist das Cissys Mutter?“

Er nickte kaum merklich.

„In… Fairview“, stammelte sie. Was war bloß mit ihr los? Wieso ließ sie sich so ins Bockshorn jagen? „Hat sie es Ihnen nicht gesagt?“

„Doch, natürlich“, erklärte er. „Aber erst gestern, wo es schon zu spät für mich war, etwas dagegen einzuwenden. Ich habe nicht einmal gewusst, dass meine Nichte Probleme in der Schule hat.“ Er schwieg kurz. „Soso, Sie sind also fünfundzwanzig und von Fairview. Ich nehme an, Sie unterrichten jetzt ungefähr … vier Jahre, oder?“

„Drei.“

Der Ausdruck auf seinem Gesicht zeigte deutlich, was er von ihrer Erfahrung als Lehrerin hielt.

Mit zitternder Hand wischte sie sich den Regen aus den Augen.

„Ich kann Ihnen versichern, Mr. Prescott, ich besitze eine qualifizierte Ausbildung und habe die allerbesten Zensuren vorzu …“

Diana brach ab. Was ging es diesen arroganten Kerl eigentlich an, welche Qualifikationen sie besaß? Und wie kam sie eigentlich dazu, sich vor ihm zu rechtfertigen?

„Ich sehe nicht ein, was Sie meine Befähigung angeht“, fuhr sie selbstsicherer fort. „Das Internat hat mich für gut genug gehalten, mich zu empfehlen, und Ihre Schwester war zufrieden, mich engagieren zu können. Damit dürfte dieses Thema wohl erledigt sein. Außerdem, es regnet in Strömen!“

Sein Gesicht blieb unbeweglich.

„Sagen Sie mir nicht, was mich angeht und was nicht. Niemand tritt hier eine Stelle an, ohne dass er befragt wird.“

Diana wurde wütend. Noch nie hatte ein Mann sie derart herablassend behandelt.

„Ich habe erfahren, dass meine Schwester Ihnen die Räume über der Garage neben dem Haus angeboten hat.“

„Ja, das stimmt.“

„Ich hoffe, Ihnen ist klar, dass ich dazu niemals meine Einwilligung gegeben hätte, wenn man mich rechtzeitig informiert hätte.“

Diana raffte all ihren Stolz zusammen.

„Sie hätten mich anrufen sollen. Wenn ich gewusst hätte, dass sie nicht zur Verfügung stehen, dann hätte ich mir allerhand Unannehmlichkeiten erspart und wäre in Vermont geblieben!“

„Ich habe nicht gesagt, dass sie nicht zur Verfügung stehen“, erwiderte er kühl. „Sie sollten nur wissen, dass ich über die ganze Angelegenheit nicht sehr erfreut bin, das ist alles. Und wir sollten einige Dinge klarstellen, ehe wir weitermachen.“

Die beiden standen da und sahen sich feindselig an, während der Regen an ihnen hinunterlief. Die Haare klebten ihnen am Kopf. Er hat seltsame Augen, dachte Diana. Intelligente, scharfe Augen. Und doch hatte sie erstaunlicherweise den Eindruck, dass diese Augen eher zu einem empfindsamen Mann und nicht zu dem groben Kerl vor ihr gehörten.

Sie fühlte, wie ihr plötzlich ohne jeden Grund das Blut ins Gesicht fuhr. Rasch wandte sie sich herum und starrte durch das Gitter.

„Was für Dinge?“

Er räusperte sich.

„Nun, zwar ist die Einrichtung der Wohnung über der Garage nicht sonderlich kostbar, dennoch möchte ich, dass sie noch im selben Zustand ist, wenn Sie wieder abfahren.“

Dianas Kopf flog herum.

„Was sollte ich wohl damit anstellen? Die Möbel annagen? In meinen Wagen stopfen und mit nach Vermont nehmen?“

Bei jedem anderen Mann hätte sie den Zug um den Mund als unterdrücktes Lächeln interpretiert, aber Mr. Prescott schien ohne jeden Humor zu sein.

„Zweitens“, fuhr er ungerührt fort. „Solange Sie sich auf meinem Grund und Boden befinden, möchte ich Sie bitten, Ihre Aktivitäten auf die Wohnung über der Garage zu beschränken. Dies gilt auch für Cissys Unterricht. Ich bin ein viel beschäftigter Mann, Miss White. Ich bin fast immer geschäftlich unterwegs, aber wenn ich hier bin, möchte ich nicht auf Schritt und Tritt Fremden begegnen.“

„Es ist nicht nötig, mir gutes Benehmen beizubringen, Mr. Prescott!“, erwiderte Diana scharf.

„Fein. Dann brauche ich Ihnen wohl auch nicht zu sagen, dass es Ihnen nicht gestattet ist, irgendwelche Freunde mitzubringen. Diese können Sie in der Stadt treffen und auch dort lassen.“

„Ich bin aus Vermont. Hier habe ich keine Freunde. Außer Ihrer Nichte kenne ich niemanden.“ Sie funkelte ihn wütend an.

Aber das schien ihn nicht zu beeindrucken.

„Und noch etwas. Meine Hausangestellten gehören noch zum alten Schlag. Sie sind mir gegenüber loyal, verstehen Sie? Und ich erwarte von Ihnen das Gleiche.“

Diana hatte Mühe, ruhig zu bleiben.

„Darf ich Sie daran erinnern, dass ich nicht für Sie arbeite!“

„Und ich Sie daran, dass Sie auf meinem Grund und Boden leben werden.“

„Mr. Prescott, meinetwegen können Sie Ihren wertvollen Besitz zum Mond schießen!“ Damit stürmte sie zu ihrem Wagen.

Aber sie erreichte ihn nicht. David Prescott packte sie am Arm.

„Noch eine Sache, Miss White“, fuhr er eisig fort. „Schnüffeln Sie nicht an Orten herum, an denen Sie nichts zu suchen haben. Das mag ich nicht. Und ich schwöre Ihnen, falls sich noch einmal ein Zimmermädchen, ein Gärtner oder … eine Lehrerin als Reporter entlarvt, hat derjenige nichts zu lachen.“

Diana riss sich los.

„Mr. Prescott, mich interessiert ihr Besitz nicht im Geringsten, das kann ich Ihnen versichern. Ich bin hier, um Cissy Englischunterricht zu geben und werde meine Tätigkeit strikt auf diese Dinge beschränken. Aber eins will ich Ihnen auch noch ganz deutlich sagen: Ich erwarte es auch, dass man mich entsprechend sachlich behandelt!“ Sie atmete einmal tief durch. „So, sind Sie jetzt fertig?“

Er sah sie nur einen Moment lang stumm an.

„Noch nicht“, sagte er dann, löste einen großen Schlüssel von seinem Gürtel, ging zum Tor und schloss es auf. Es öffnete sich quietschend.

„Hier.“ Er warf ihr den Schlüssel zu und Diana fing ihn auf. „Schließen Sie das Tor immer gut ab, wenn Sie kommen oder gehen. Das ist kein Vorschlag, sondern ein Befehl.“

Am liebsten hätte sie ihm den Schlüssel an den Kopf geworfen. Aber dann fiel ihr etwas ein, was sie schon wieder vergessen hatte.

„Laufen Ihre Hunde frei herum?“

Er sah sie erstaunt an.

Autor

Shannon Waverly
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