Auf der Insel der sinnlichen Versuchung

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Katina ist erschüttert: erst die Nachricht, dass sie ein Milliardenvermögen erben wird. Dann ihre sinnliche Reaktion auf den griechischen Tycoon Zach Gavros, den Überbringer der Botschaft! Ihr Großvater, von dessen Existenz sie bislang nichts ahnte, liegt im Sterben und will sie kennenlernen. Auf dessen Privatinsel im Mittelmeer soll Zach ihr helfen, sich an ihr zukünftiges Leben in Reichtum zu gewöhnen. Alles ist neu für Katina: der Luxus, der wilde Inselzauber - und ihre unstillbare Sehnsucht nach dem gefährlich attraktiven Griechen an ihrer Seite …


  • Erscheinungstag 22.10.2019
  • Bandnummer 2411
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712532
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Zach erhielt die Nachricht, auf die er gewartet hatte, als er mitten in einem Verkehrsstau steckte. Manchmal war es nützlich, wenn man die Seitenstraßen in Athen kannte und eine flexible Haltung in Bezug auf Verkehrsregeln hatte.

Auf Zach traf beides zu.

Einige seiner prägenden Jahre hatte er auf diesen Straßen verbracht und sich dort durchgeschlagen. Was ihm weit besser gefallen hatte, als bei der Großmutter zu leben, der man den Bastard ihrer Tochter untergeschoben hatte, und dem betrunkenen Onkel, der Schikane zu einer Kunstform perfektioniert hatte.

Eine knappe halbe Stunde und ein paar Geschwindigkeitsüberschreitungen später erreichte er das Krankenhaus. Er ignorierte die begehrlichen Blicke, als er aus dem Wagen stieg und mit langen Schritten durch das Gebäude marschierte. Drei weitere Minuten und er war auf der Intensivstation, wo Alekis Azaria die letzten drei Tage in künstlichem Koma verbracht hatte, nachdem er nach einem neuerlichen Herzinfarkt erfolgreich wiederbelebt worden war.

Zach, der dem älteren Mann näherstand als Freunde oder Familie, war auch gestern dagewesen, als man ihn aus dem Koma geholt hatte. Eigentlich hatte Zach erwartet, dass der alte Mann von selbst die Augen aufschlagen würde.

Der Kardiologe hatte ihm erklärt, dass das hin und wieder geschehe, aber gleichzeitig eingeräumt, dass ebenso die Möglichkeit bestehe, dass Alekis nie wieder aufwachte.

Da streng darauf geachtet wurde, dass nur wenige Personen von der Anwesenheit des milliardenschweren griechischen Reeders wussten, überraschte es Zach nicht, dass derselbe Arzt, der die düstere Prognose erstellt hatte, ihn nun an der Tür zur Intensivstation erwartete.

Der Arzt, der es gewohnt war, als Respektsperson behandelt zu werden, atmete tief durch, als der junge, große, athletisch gebaute Mann sich näherte.

Zach legte fragend den Kopf schräg, hob eine dunkle Braue und wartete auf das, was kommen würde.

„Er ist aufgewacht und atmet selbständig.“

Dass der Arzt ihm nur tröpfchenweise Informationen lieferte, ärgerte Zach.

„Sagen Sie mir ehrlich, was los ist“, verlangte er.

„Mit den kognitiven Fähigkeiten von Mr. Azaria scheint es keine Probleme zu geben.“

Ein Anflug von Erleichterung zog über Zachs dunkle Augen. Geistig eingeschränkt zu sein, wäre Alekis’ schlimmster Albtraum – und im Übrigen auch sein eigener.

„Kann ich zu ihm?“

Der Kardiologe nickte. „Er ist stabil, aber Sie verstehen sicher, dass man noch nichts Genaues sagen kann.“

„Verstanden.“

„Hier entlang.“

Alekis war von der Intensivstation in ein Einzelzimmer verlegt worden. Zach fand ihn in die Kissen gestützt. Die Ereignisse der letzten Woche hatten tiefe Linien in seine lederne Gesichtshaut gegraben. Seine Wangen waren eingefallen, aber seine Stimme klang immer noch fest.

Einen Moment blieb Zach in der Tür stehen und hörte zu, während ein Lächeln seinen Mund umspielte.

„Haben Sie noch nie etwas von Menschenrechten gehört? Ich will mein verdammtes Handy, sonst lasse ich Sie feuern!“

Die Krankenschwester kehrte zu ihrer professionellen Haltung zurück, die ihr entglitten war, als sie Zach bemerkt hatte. Sie hob eine Hand an ihre gerötete Wange und schüttelte ein Kissen auf, wirkte jedoch trotz der gereizten Forderung und der Flut an Drohungen ruhig.

„Meine Gehaltsklasse erlaubt es nicht, solch eine Entscheidung zu treffen, Mr. Azaria.“

„Dann holen Sie mir jemanden, der das entscheiden kann …“ Alekis hielt inne, als er Zach bemerkte. „Gut, dann gib mir dein Handy, und ein Brandy käme mir auch nicht ungelegen.“

„Ich muss es verlegt haben.“ Zach erntete einen zustimmenden Blick von der Krankenschwester.

Alekis schnaubte. „Das ist eine Verschwörung!“, brummte er. „Also, worauf wartest du? Setz dich endlich und steh nicht herum.“

Zach kam seinem Befehl nach und setzte sich auf einen der Lehnstühle. Er streckte seine langen Beine aus und legte die Füße übereinander.

„Du siehst aus …“, begann er.

„Ich sehe aus wie ein sterbender Mann“, lautete die ungehaltene Erwiderung. „Aber noch ist es nicht so weit. Ich habe noch einiges zu erledigen, genau wie du. Ich nehme an, dass du dein Handy dabeihast?“

Zach war erleichtert, weil Alekis sich wie immer verhielt. Doch dieses Gefühl verflog, als er bemerkte, dass die von blauen Adern durchzogene Hand zitterte, die sich ihm entgegenstreckte.

Er verbarg seine Sorge hinter einer ironischen Miene, während er in seinem Handy die besten Schnappschüsse suchte, die er im Auftrag von Alekis vor ein paar Tagen gemacht hatte.

„Wie lange wird es dauern, bis durchsickert, dass ich hier bin und die Haie anfangen zu kreisen?“

Zach suchte das beste Porträt aus, das er gemacht hatte, und sah hoch. „Wer weiß?“

„Dann lautet der Tagesbefehl Schadensbegrenzung.“

„Vielleicht sagst du mir jetzt endlich einmal, warum du mich zu einem Friedhof in London geschickt hast, um irgendeiner Frau nachzustellen“, warf Zach ein.

„Nicht nachzustellen, sondern zu fotografieren …“

Zach quittierte die Bemerkung mit einem ironischen Lächeln. „Das ist natürlich etwas ganz anderes. Nur aus Neugier – ist dir je der Gedanke gekommen, dass ich auch Nein sagen könnte?“

Als Alekis ihn angerufen und den seltsamen Befehl erteilt hatte, war Zach gerade bei einer internationalen Konferenz in London vor den wichtigsten Vertretern der Finanzwelt als Gastredner aufgetreten.

„Du willst, dass ich wohin gehe und was mache?“

„Du hast gehört, was ich gesagt habe. Gib deinem Fahrer einfach die Adresse der Kirche – der Friedhof liegt gegenüber –, und dann machst du ein Foto von der Frau, die um halb fünf kommt.“

„Versuch einfach, diesmal nicht wieder einen Herzinfarkt zu bekommen“, bat Zach jetzt und legte sein Handy in die wartende Hand des älteren Mannes.

„Ich habe nicht deshalb einen Herzinfarkt bekommen, weil ich darauf gewartet habe, dass du mir das Foto bringst. Sondern weil ich fünfundsiebzig Jahre lang zu nachsichtig war und – laut Aussage der Ärzte – schon vor Jahren unter der Erde hätte liegen sollen. Sie haben mir außerdem gesagt, dass ich allem entsagen soll, was das Leben lebenswert macht, wenn ich noch eine Woche leben will.“

„Ich bin sicher, dass sie taktvoller waren.“

„Mit Taktgefühl kann ich nichts anfangen.“

Zach merkte, wie der alte Mann auf das Handy starrte.

„Sie ist schön, nicht wahr?“

Zach hielt eine Antwort für überflüssig. Fraglos war die Frau, die er fotografiert hatte, von eindrucksvoller Schönheit. Was er dagegen sehr wohl infrage gestellt hatte, war nicht Alekis’ Interesse an ihr, sondern seine eigene Faszination, die an Besessenheit grenzte, da ihm das Gesicht nicht mehr aus dem Kopf ging. Bis er begriffen hatte, dass es nicht das Gesicht und diese goldenen Augen waren, die seine Fantasie anfachten, sondern die Frage, wer diese Frau sein mochte.

„Ich bin immer bereit, einem Freund zu helfen, wenn notwendig. Vermutlich hast du dein ganzes Vermögen verloren und keinen Zugang mehr zu deinem Team von Privatermittlern, da du mich gebraucht hast. Woher wusstest du eigentlich, dass sie um halb fünf dort sein wird?“

„Ich habe sie die letzten zwei Wochen beschatten lassen.“ Alekis sah verwundert aus, weil Zach überhaupt solch eine Frage stellte. „Und dafür war kaum ein ganzes Team erforderlich … Tatsächlich hatte ich meine Gründe, nicht auf hausinterne Experten zurückzugreifen. Ich hatte jemanden engagiert, der sich als Idiot entpuppt hat …“

„Der Gleiche, der sie beschattet hat?“

„Und der auf sein Geld pfeifen kann. Er war vollkommen unfähig, hat etliche Fotos gemacht, meistens von ihrem Rücken oder Laternenpfählen. Und was die verdeckte Ermittlung betraf, sie hat ihn bemerkt und gedroht, ihn wegen Belästigung anzuzeigen. Dann hat sie ein Foto von ihm gemacht und mit ihrer Einkaufstüte nach ihm geschlagen. Hat sie dich bemerkt?“

„Nein. Ich überlege schon, ob ich Spionage zu meinem zweiten Beruf mache. Ich hatte keine Ahnung, dass ich mich zu so einer gefährlichen Aufgabe verpflichtet habe. Also, wer ist diese furchterregende Lady?“

„Meine Enkelin.“

Damit hatte Zach wirklich nicht gerechnet.

„Ihre Mutter war ebenfalls schön …“ Alekis betrachtete das Foto. „Ich glaube, sie hat Ähnlichkeit mit Mia. Um den Mund herum.“ Er hob seinen Blick. „Wusstest du, dass ich eine Tochter habe?“

Zach nickte. Natürlich hatte er Geschichten über die Tochter gehört, die ein Wildfang gewesen war. Die Presse hatte von Drogen und Männern gesprochen, doch niemand wusste, ob Alekis sie gesehen hatte, seit sie gegen seinen Willen geheiratet hatte. Daher wurde gemunkelt, dass er sie enterbt hatte. Jetzt hörte Zach zum ersten Mal von einer Enkelin – beziehungsweise war es das erste Mal, dass Alekis überhaupt von seiner Familie sprach. Obwohl in seinem prunkvollen Haus auf seiner Insel ein Porträt von seiner lange verstorbenen Frau hing.

„Sie hat einen Loser geheiratet, Parvati, und sich an ihn verschenkt – um mich zu ärgern, glaube ich“, meinte der ältere Mann düster. „Ich hatte recht. Er war tatsächlich ein Nichtsnutz. Aber hätte sie auf mich gehört? Nein. Er hat sie verlassen, als sie schwanger wurde. Sie hätte mich nur bitten müssen, dann hätte ich sofort …“ Er schüttelte den Kopf und sah erschöpft aus, weil er sich so aufgeregt hatte. „Ganz gleich, sie war schon immer stur und …“ Seine Stimme verlor sich, und er saß da, die Augen halb geschlossen.

Zach fragte sich, ob er vielleicht eingeschlafen war. „Klingt so, als würde der Apfel nicht weit vom Stamm fallen.“

Zu Zachs Erleichterung öffnete der alte Mann die Augen wieder und sah ihn mit finsterem Blick an, der langsam einem Lächeln wich, in dem ein Anflug von Stolz lag. „Mia war ein Wildfang. Wie ihre Mutter, auf die man immer ein Auge haben musste, aber …“ Erneut verlor sich seine Stimme.

Wenn das Porträt, das Zach gesehen hatte, ihr wirklich glich, war Alekis’ Frau eine Schönheit gewesen, doch nicht im gleichen Sinn wie die Enkelin mit den funkelnden bernsteinfarbenen Augen. Zach konnte keine Ähnlichkeit zwischen den beiden erkennen. Das Porträt zeigte eine schöne Frau mit einem schönen Gesicht, das einen Mann jedoch nicht verfolgen würde. Im Gegensatz zu dem Gesicht der Frau mit den goldenen Augen. Sie war Alekis’ Enkelin. Zach hatte immer noch Mühe, es zu begreifen.

Dass Alekis keine Familie hatte, war etwas, was sie gemeinsam hatten und Teil ihrer merkwürdigen Verbindung war, die sich über die Jahre entwickelt hatte. Nun stellte sich heraus, dass es doch eine Familie gab, und Zach vermutete, dass Alekis wieder Kontakt zu ihr aufnehmen wollte. Hätte der alte Mann ihn um Rat gefragt, würde er ihm sagen, dass es eine schlechte Idee war. Doch Alekis fragte nicht und würde genauso wenig wie Zach auf jemanden hören, der ihm prophezeit hätte, dass nur Erinnerungen geweckt werden würden, die weder Antworten noch Trost boten, wenn man wieder Verbindung mit seiner Vergangenheit aufnahm.

„Vermutlich hätte ich den ersten Schritt machen sollen. Stattdessen habe ich gewartet, aber sie hat nie …“ Alekis wischte sich mit der Hand über die Augen. Als er sie wieder senkte, gab Zach vor, die Feuchtigkeit auf den Wangen des alten Mannes nicht zu bemerken.

Tatsächlich war es ihm unangenehm, dass der Mann, den er immer für unabhängig und unsentimental gehalten hatte und weit davon entfernt, Opfer seiner Emotionen zu sein, solch eine Verletzlichkeit zeigte. Aber vielleicht lag der Grund auch darin, dass er sich an seine Sterblichkeit erinnert fühlte.

„Vermutlich bereut jeder etwas“, bemerkte er.

„Du auch?“

Zach dachte darüber nach. „Wir machen alle Fehler“, sagte er und dachte an seine Großmutter, die bei seinem letzten Besuch zu Hause mit ausdruckslosem Blick aus dem Fenster gestarrt hatte. „Aber nie denselben zweimal.“ Dann wäre man entweder ein Dummkopf oder verliebt, wobei das Letztere seiner Meinung nach zu Ersterem führte.

Zach würde nie zulassen, dass sein Herz oder seine Hormone die Herrschaft über seinen Kopf übernahmen. Nicht, dass er ein Mönch war. Sex war gesund und notwendig, aber er brachte nie Gefühle mit ins Spiel. Das hatte ihm den Ruf eingebracht, herzlos zu sein. Damit konnte er leben. Mit der Aussicht, mit ein und derselben Frau sein ganzes Leben zu verbringen, dagegen deutlich weniger.

„Ich bedaure es … aber dafür ist es jetzt zu spät“, fügte Alekis mit festerer Stimme hinzu. „Ich möchte etwas wiedergutmachen und habe vor, ihr alles zu hinterlassen. Tut mir leid, wenn du geglaubt hast, dass du alles bekommst.“

„Ich brauche dein Geld nicht.“

„Du und dein verdammter Stolz! Hättest du mich dir helfen lassen, wärst du viel schneller an die Spitze gekommen, oder zumindest mit viel weniger Anstrengung.“

„Aber wo wäre dann der Spaß geblieben? Außerdem hast du mir geholfen. Du hast mir eine Ausbildung geschenkt und deinen Rat.“ Zachs Stimme klang beiläufig, dabei wusste er genauso gut wie der Reeder selbst, wie viel er Alekis schuldete.

„Ein unbezahlbares Geschenk, meinst du nicht auch?“

Zachs Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Du bist tatsächlich wieder fast der Alte, aber moralische Erpressung ist überflüssig, Alekis“, erwiderte er ruhig. „Was soll ich für dich tun?“

„Sie zu mir bringen.“

Das Gesicht mit den goldenen Augen tauchte in seinem Kopf auf. Bei dem Gedanken, dieses Gesicht wiederzusehen, flammte ein Gefühl in Zach auf, das er nicht benennen konnte.

Erneut starrte der alte Mann das Foto an.

„Machst du das?“

„Meinst du mit bringen …“ Er schüttelte den Kopf. „Wir sprechen hier doch wohl nicht von Kidnapping.“

„Soweit sollte es nicht kommen.“

„Es war eigentlich auch kein Vorschlag.“

Der alte Mann schien ihn nicht gehört zu haben.

„Hat sie auch einen Namen?“, fragte Zach und tat so, als würde er die Tränen in Alekis’ Augen nicht bemerken.

„Katina.“ Alekis’ Mund wurde schmal. „Nur ihr Name ist griechisch, geboren ist sie in England. Ihre Vergangenheit …“

Es erstaunte Zach, einen Ausdruck über das Gesicht des alten Mannes huschen zu sehen, der fast wie Scham wirkte.

„Sie war lange allein. Und sie glaubt, sie ist es immer noch. Ich habe vor, das wiedergutzumachen, befürchte aber, dass der Schock …“

„Ich bin sicher, dass sie damit klarkommt“, meinte Zach besänftigend und verkniff sich die zynische Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag. Herauszufinden, dass man bald so reich sein würde, wie man es sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können, von diesem Schock erholten sich die meisten Leute ziemlich schnell.

„Es wird ein Kulturschock sein. Sie wird plötzlich zur Millionenerbin und damit zur Zielscheibe von bösen Zungen und Menschen, die nur auf Geld aus sind. Sie wird Schutz brauchen …“

„Gemessen an dem, was du erzählt hast, scheint sie recht gut in der Lage zu sein, auf sich selbst aufzupassen“, warf Zach trocken ein.

„Oh ja, mutig ist sie sicher, aber das allein reicht nicht. Man muss ihr beibringen, wie die Dinge laufen“, fuhr ihr Großvater fort. „Und da ich hier festsitze, habe ich …“

Zach, der den Worten des alten Mannes mit wachsendem Unbehagen zugehört hatte, warf hastig ein: „Ich würde sehr gern helfen, aber das hört sich für mich nach einem Fulltime-Job an.“

Sein Mentor stieß einen so tiefen Seufzer aus, dass Zach die Zähne zusammenbiss, als Alekis auch noch ein gleichermaßen verständnisvolles wie trauriges Lächeln hinterherschickte. „Und du hast jedes Recht dazu abzulehnen.“ Noch ein Seufzer. „Du schuldest mir nichts. Bitte geh nicht mit der Vorstellung, dass ich eine Schuld einfordern will. Ich werde mich selbst entlassen und …“

Zach wusste, wann er geschlagen war.

„Weißt du, manchmal vergesse ich, dass ich es war, der dir das Leben gerettet hat“, entgegnete er ironisch.

Die erste Lektion, die man auf der Straße lernte, war, seine Schäflein ins Trockene zu bringen. Die zweite, weiterzugehen oder besser davonzurennen, wenn es Ärger gab. Zach hatte ein Problem mit brutalen Menschen. Er hasste sie. Darum hatte er auch rot gesehen und eingegriffen, als er gesehen hatte, wie die messerschwingenden Schlägertypen den dummen alten Kerl umzingelten, der sich weigerte, seine Geldbörse herauszugeben.

Zach war der Meinung, dass nichts Positives dabei herauskam, wenn man über die Vergangenheit nachgrübelte. Wenn er es doch getan hatte, würde seine objektive Sicht der Dinge lauten, dass an seinem Verhalten nichts annähernd Mutiges gewesen war. Ich bin nicht mutig, sondern dämlich, hatte er gedacht, als ihn der erste Messerstich getroffen hatte.

Er mochte das Leben des alten Mannes gerettet haben, doch Alekis hatte ihm ein richtiges Leben ermöglicht und bis jetzt im Gegenzug nur wenig dafür eingefordert.

Das Lächeln des alten Griechen verriet selbstgefällige Zufriedenheit. „Bist du sicher? Es muss schnell gehen, da wir die Situation unter Kontrolle haben müssen, wenn die Neuigkeit durchsickert. Ich weiß, dass ich mich in diesem Punkt auf dich verlassen kann. Die Medien werden wie die Heuschrecken über sie herfallen. Wir müssen bereit sein. Sie muss darauf vorbereitet sein. Verschwinden Sie!“

Der letzte Satz galt einer unvorsichtigen Krankenschwester, die sich jedoch nicht vertreiben ließ.

„Ich überlasse ihn jetzt Ihnen. Viel Glück“, wandte Zach sich an die Angestellte. „Du kannst mir alles Nötige per E-Mail schicken“, sagte er zu Alekis, bevor er ging. „Schick mir einfach alle Details über sie, ich erledige dann den Rest. Und bis dahin solltest du dich ausruhen.“

Kat tanzte durch ihr kleines Büro und stieß triumphierend die Faust in die Luft. Dann hob sie den Brief vom Boden auf, den sie in die Luft geworfen hatte, nachdem sie ihn gelesen hatte.

Sie las ihn noch einmal, weil sie Angst hatte, ihn falsch verstanden zu haben. Das wäre schrecklich. Doch sie hatte sich nicht vertan.

Die Uhrzeit, zu der sie in der Rechtsanwaltskanzlei sein sollte, war ebenso angegeben wie die Adresse. Allerdings stand nichts dazu in dem Brief, wen sie dort treffen würde.

Sie zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich der Bevollmächtigte einer Privatperson oder eines Unternehmens, denen sie ihren Aufruf geschickt hatte – oder an die sie ihre Zeit verschwendet hatte, wie einige ihrer weniger optimistischen Kollegen es bezeichneten. Sie hatte sich gegen die negative Einstellung verwehrt und erklärt, dass sie nicht damit rechne, dass eine Person oder Organisation in die Bresche springen würde. Aber wenn sie wenigstens ein paar von ihnen überzeugte, etwas zu spenden, konnten sie das Heim vielleicht retten, bevor die städtische Förderung im nächsten Monat auslief.

Es klopfte kurz, ehe Sue den Kopf durch die Tür steckte. „Oh Gott.“ Sie seufzte, als sie Kats Miene bemerkte. „Ich kenne diesen Blick.“

„Welchen Blick?“

Die ältere Frau betrat den Raum. „Deinen Kampf-für-eine gute-Sache-Blick. Es gefällt mir sehr – uns allen –, dass du eine Kämpferin bist, aber manchmal …“ Sue seufzte und hob die schmalen Schultern. „Du musst realistisch sein, Liebes“, erklärte sie ernst. „Das hier …“ Mit weit ausholender Geste umfasste sie das kleine Büro mit den Umzugkartons, in denen Ordner verstaut waren – weil es immer etwas Wichtigeres zu geben schien, als die begrenzten Mittel für neue Büromöbel auszugeben. „Das hier ist eine aussichtslose Sache. Montag habe ich ein Vorstellungsgespräch. Nur als Vorwarnung, dass ich den Morgen freihaben muss.“

Kat konnte ihr Entsetzen nicht verbergen. „Du suchst nach einem anderen Job?“ Wenn sogar Sue, die optimistisch war und hart arbeitete, aufgegeben hatte … Bin ich die Einzige, die sich noch nicht geschlagen gibt?

„Ganz richtig, und ich würde vorschlagen, dass du das Gleiche tust. Es gibt immer Rechnungen, die bezahlt werden müssen, und in meinem Fall Münder, die gestopft werden müssen. Du weißt, dass mir dieses Heim auch viel bedeutet, Kat.“

Kat fühlte einen Anflug von Reue, weil sie zu heftig reagiert hatte. „Natürlich weiß ich das.“ Allerdings wusste sie nicht, wie es war, als alleinerziehende Mutter fünf Kinder großzuziehen und zwei Jobs zu haben.

Sie verkniff sich, direkt mit den guten Neuigkeiten herauszuplatzen, weil sie keine falschen Hoffnungen wecken wollte.

„Ich weiß, dass du mich für verrückt hältst, aber ich glaube wirklich, dass es jemanden gibt, dem unsere Sache wichtig ist.“

Die ältere Frau lächelte. „Ich hoffe wirklich, dass das Leben dir nie deinen Optimismus nimmt.“

„Bis jetzt noch nicht“, gab Kat zurück. „Und Montag geht in Ordnung. Viel Glück.“

Sie wartete, bis Sue gegangen war, und setzte sich an ihren Schreibtisch, einen einfachen Tisch mit wackeligen Beinen. Dort überlegte sie, auf wen sie bei dem Meeting wohl treffen würde. Wer auch immer es sein mochte, er vergeudete keine Zeit. Das Treffen war für den folgenden Morgen angesetzt, und der Brief war per Einschreiben geschickt worden.

Spielte die Identität des potenziellen Spenders eine Rolle? Wichtig war doch vor allem, dass es jemanden gab, der interessiert genug war, um sich mit ihr zu treffen. Es gab zwar kein Leuchtfeuer am Ende des Tunnels, aber ganz sicher einen kleinen Schimmer. Entschlossen hob Kat das Kinn. Wer immer es sein mochte, sie würde ihr Bestes geben.

Für den Rest des Tages widerstand sie der Versuchung, die Neuigkeiten mit ihren resignierten Kollegen zu teilen. Darum konnte sie auch niemanden um Rat fragen, als sie ihre Garderobe nach etwas Passendem durchsuchte.

Viel zu suchen gab es allerdings kaum.

Nicht, dass sie Kleider und Mode nicht mochte. Aber ihr fehlte das Geld für teure Mode. Darum hatte sie beschlossen, nur noch das Nötigste zu kaufen – bis auf einen Ausrutscher. Kat strich über den mitternachtsblauen, weichen Stoff aus Kaschmir und Seide und nickte. Das Kleid war perfekt für morgen.

Sie nahm das Kleid heraus, das zwischen weißen Blusen, T-Shirts, schwarzen Hosen und Jeans hing, und hängte es an den Haken hinten an ihrer Schlafzimmertür. Sorgsam prüfte sie, ob der Stoff Falten hatte, fand jedoch keine. Nur der Gürtel brauchte ein paar Stiche mit der Nähnadel.

Zuletzt suchte sie die High Heels heraus, die hinten im Schrank standen. Nun musste sie nur noch ihre Strategie durchgehen. Wenn sie mit ihrer Sache Erfolg haben wollte, musste sie Fakten zur Hand haben, ein gewinnendes Lächeln und jemanden, dessen Herz sie damit ansprach.

2. KAPITEL

Kaum hatte Zach das Foyer betreten, da tauchte sein Empfangskomitee auf. Der Seniorpartner führte ihn in ein leeres Sitzungszimmer – der einzige Asquith, der in der Kanzlei Asquith, Lowe und Urquhart noch da war. Drei Untergebene aus der Chefetage eskortierten ihn. Alekis Azaria war ihr lukrativster Klient.

„Ich werde Miss Parvati nach oben bringen, sobald sie ankommt. Wie geht es Mr. Azaria? Es hat Gerüchte gegeben …“

Zach reagierte auf die bewusst beiläufige Bemerkung mit einem Schulterzucken. „Es gibt immer Gerüchte.“

Der ältere Mann nickte und zog sich zurück zur Tür, genau wie die anderen drei, die sich in respektvollem Abstand im Hintergrund gehalten hatten.

Zach öffnete den Knopf seines grauen Jacketts, strich über seine Seidenkrawatte und rief dem Mann hinterher, bevor dieser den Raum verlassen hatte: „Sagen Sie mir Bescheid, wenn sie ankommt. Ich werde Sie dann wissen lassen, wann Sie sie nach oben führen können.“

„Selbstverständlich. Soll ich Kaffee bringen lassen?“

Mr. Asquith deutete auf den langen Tisch, an dessen Ende nur Wasser und Gläser standen. Während er beobachtete, wie Zach einen Stuhl heranzog, verspürte er einen ungewohnten Anflug von wehmütigem Neid. Er war noch nie so schlank und muskulös gewesen. Dafür liebte er gutes Essen und teuren Wein viel zu sehr.

„Wasser reicht.“ Zach griff nach einer Flasche mit kaltem Wasser und goss sich ein Glas ein, bevor er sich setzte.

Als er allein war, sah Zach sich mit ein wenig mehr Interesse in dem Raum um. Mit der hohen Decke und den dunklen, holzvertäfelten Wänden wirkte er wie ein Herrenclub – nicht gerade die Umgebung, in der er sich üblicherweise aufhielt.

Er öffnete sein Tablet und scrollte zu dem Ordner, den Alekis’ Büro ihm geschickt hatte. Es war nicht viel, vermutlich eine Zusammenfassung der Dokumente. Zach brauchte die unappetitlichen Details nicht, um sich ein Urteil zu bilden. Was ihm vorlag, verschaffte ihm einen hinreichenden Eindruck davon, welche Kindheit die junge Frau gehabt hatte, die er gleich kennenlernen würde.

Genau wie er hatte sie es nicht leicht gehabt, doch deshalb fühlte er sich ihr nicht mehr verbunden als jemandem, der ihm ähnlich sah. Allerdings hatte er so einen Einblick, der anderen vielleicht fehlte. Und daher wusste er auch, dass der unschuldige Blick auf dem Foto nur Täuschung war. Unschuld verlor man bei einer Kindheit wie ihrer als Erstes.

Kat war ausgesetzt worden und hatte das komplette Pflegeelternprogramm durchlaufen. Zach verstand, warum Alekis glaubte, vieles wiedergutmachen zu müssen, denn das war tatsächlich der Fall. Es schockierte Zach nicht, was ihre Mutter getan hatte – weil es ihn selten entsetzte, wie tief ein Mensch sinken konnte. Doch es hatte ihn überrascht, dass Alekis nicht versucht hatte einzugreifen. Was er nun offenbar nachholen wollte.

Zach gehörte nicht zu den Menschen, die meinten, dass es nie zu spät war. Er glaubte, dass es definitiv zu spät war, den Schaden ungeschehen zu machen. Wobei es in diesem Fall vermutlich darauf ankam, wie viel Schaden angerichtet worden war.

Eines jedoch stand außer Frage: Die Frau, die er gleich treffen würde, war eine Überlebenskünstlerin. Das konnte er nur bewundern, aber er war auch Realist und wusste, dass man eine solche Kindheit nur überlebte, wenn man die eigenen Interessen an oberste Stelle setzte.

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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