Baccara Weekend Band 40

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EIN LIEBESTRAUM AUF DEN BAHAMAS von BRENDA JACKSON 

Auf den Bahamas erfüllen sich Cassies größte Träume! Leise rauschen die Palmen im Abendwind, als ihr Traummann sie auf starken Armen in die Luxussuite trägt. Da begegnet Cassie seinem traurigen Blick und erschrickt. Sie ahnt, dass Brandon ihr etwas Wichtiges verschweigt – nur was? 

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  • Erscheinungstag 27.07.2024
  • Bandnummer 40
  • ISBN / Artikelnummer 8095240040
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Brenda Jackson, Charlene Sands, Tessa Radley

BACCARA WEEKEND BAND 40

1. KAPITEL

Als sie die Lobby ihres Hotels betrat, hielt Cassie den Atem an. Unwillkürlich blieb sie stehen, völlig in den Bann gezogen von dem Mann, der in diesem Moment an der Rezeption des „Garrison Grand-Bahamas“ eincheckte. Es war lange her, seit ein Mann ihre Aufmerksamkeit so stark auf sich gezogen hatte wie dieser – der schlicht und einfach umwerfend war.

Er musste knapp eins neunzig groß sein. Sein athletischer Körperbau ließ darauf schließen, dass er entweder Profi-Sportler war oder aus anderen Gründen großen Wert auf Fitness legte. Und er war Amerikaner, das sah Cassie ihm sofort an. Wahrscheinlich führten ihn keine Geschäfte hierher, denn er war eher salopp gekleidet. Die dunkelbraune Hose passte perfekt zu dem hellbraunen Hemd, das seinen schönen Teint betonte.

Cassie wusste nicht genau, woran es lag. Aber irgendetwas an diesem Mann weckte ihr Interesse. Und nach der Art zu schließen, wie manch andere Frau in der Lobby ihn beobachtete, konnte er sich über fehlende Verehrerinnen sicher nicht beschweren.

Energisch riss sie sich zusammen und erinnerte sich daran, dass sie keine Zeit hatte, wegen eines Fremden in Verzückung zu geraten. Cassie drückte auf den Knopf des Aufzugs, der sie zu ihrem Büro in der obersten Etage bringen würde. Dieses Büro hatte früher ihrem Vater gehört.

Vor fünf Jahren, als sie zweiundzwanzig war, hatte John Garrison sie zur Managerin gemacht und seinen Entschluss nach eigenen Worten kein einziges Mal bereut. Deswegen war Cassie auch nicht überrascht gewesen, das Hotel zu erben. Auf diese Weise hatte er bestätigt, was einige der Angestellten wahrscheinlich schon geahnt hatten – dass sie seine Tochter war.

An ihre Eltern zu denken versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Zum Glück war der Lift leer, in dieser Stimmung wollte sie lieber allein sein. Cassie hatte sich in den vergangenen fünf Monaten große Mühe gegeben, stark zu bleiben. Trotzdem konnte sie den Schock kaum verkraften. Ihre Mutter war nach einem Autounfall verstorben, ihr Vater kaum einen Monat später durch einen Herzinfarkt – Cassie glaubte jedoch insgeheim, dass er an gebrochenem Herzen gestorben war.

Sie hatte sich oft gefragt, wie er es schaffen sollte, nach dem Tod ihrer Mutter weiterzuleben. Als Cassie ihn das letzte Mal gesehen hatte – es war nur wenige Tage, bevor er für immer von ihr gegangen war –, hatte sie sich große Sorgen über seinen Zustand gemacht. Wieder und wieder hatte ihr Vater gesagt, dass ihm der Verlust seiner Ava so vorkam, als hätte er einen Teil seiner selbst verloren.

Obwohl er ein verheirateter Mann gewesen war, hatte er sich in Cassies Mutter verliebt, in die schöne, lebhafte Ava Sinclair. Und sie war über achtundzwanzig Jahre lang John Garrisons große Liebe geblieben.

Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass sie den reichen, gut aussehenden Amerikaner damals beim Schönheitswettbewerb für die Miss Universe kennenlernte. Als amtierende Miss Bahamas hatte Ava daran teilgenommen. Ihre Wege hatten sich jedoch erst einige Jahre später wieder gekreuzt. John war auf die Insel gereist, um ein Grundstück für das große Hotel zu kaufen, das er bauen wollte.

Er hatte bereits eine Familie in den Vereinigten Staaten, eine Frau und fünf Kinder. Allerdings war er unglücklich gewesen und hatte seine Frau nicht mehr geliebt. Um bei den Kindern zu bleiben, hatte er sich nicht getrennt.

Cassie hatte die Beziehung ihrer Eltern erst mit den Jahren richtig zu verstehen begonnen. Trotzdem war ihr immer klar gewesen, dass etwas Besonderes sie zusammenhielt, etwas Einmaliges, das nur wenige Menschen erlebten. Was ihre Eltern verbunden hatte, war die große Liebe, die ein Leben lang anhielt. Ava stellte nie Bedingungen, sie forderte nie etwas. Dennoch hatte John sich immer großzügig gezeigt, sodass es ihr und Cassie nie an etwas gefehlt hatte.

Sie wusste, dass die Leute sich ein anderes Bild von der Beziehung ihrer Eltern gemacht hatten. John war verheiratet und Ava seine Geliebte. Dass es sehr viel mehr zwischen ihnen gab als das, wusste nur Cassie. Sie war davon überzeugt, dass ihre Eltern verwandte Seelen gewesen waren. Sie hatte beide von ganzem Herzen geliebt; und kein Tag war vergangen, an dem sie Cassie ihre Liebe nicht hätten spüren lassen.

Allerdings litt sie jedes Mal, wenn ihr Vater zu seiner Familie nach Miami reiste – eine Familie, von der sie erst im Teenageralter erfahren hatte. Die Wahrheit zu hören hatte wehgetan. Aber ihre Eltern konnten ihren Schmerz damals lindern, indem sie ihre Liebe füreinander und für ihre Tochter bewiesen. Was auch geschehen mochte, daran würde sich nichts ändern, das hatten sie ihr versprochen. Von jenem Tag an hatte Cassie die unkonventionelle Liebesaffäre ihrer Eltern akzeptiert und sich nicht darum gekümmert, was andere dachten.

Auf dem Weg zu ihrem Büro blieb Cassie am Tisch ihrer Sekretärin stehen, begrüßte sie mit einem Lächeln und griff nach der Post. „Guten Morgen, Trudy.“

„Guten Morgen, Miss Garrison.“

Ihr gefiel der Klang dieser Anrede. Cassie hatte eine Woche nach dem Tod ihres Vaters angefangen, seinen Namen zu benutzen. Ihre Eltern waren nicht mehr am Leben; deshalb bestand kein Grund mehr, das Geheimnis noch länger zu bewahren. Und Cassie wollte sich nicht länger verwehren, den Namen ihres Vaters zu tragen.

„Irgendwelche Nachrichten?“, fragte sie die ältere Dame, die sie erst vor einigen Monaten eingestellt hatte.

„Ja. Mr. Parker Garrison rief an und hätte gern, dass Sie ihn zurückrufen.“

Bemüht beherrschte Cassie ihre Gesichtszüge. Bei sich dachte sie aber, dass es keine Rolle spielte, was Parker gern hätte oder nicht. Denn sie hatte nicht die Absicht, auf seinen Anruf zu reagieren. Dafür erinnerte sie sich noch allzu gut an das Gespräch, das sie vor fast vier Monaten geführt hatten. Eine Woche nach der Testamentseröffnung hatte Parker sich gemeldet und ließ seitdem nicht locker.

Damals war ihr natürlich klar gewesen, wie sehr ihre Existenz seine Geschwister und seine Mutter schockieren musste. Von den fünf Garrison-Geschwistern regte sich Parker jedoch am stärksten auf. John hatte ihm und Cassie testamentarisch die gleiche Entscheidungsgewalt über „Garrison Incorporated“ eingeräumt – einer Dachgesellschaft, die sämtliche Aktien und Besitztümer der Familie überwachte und verwaltete. Darüber war Parker nicht gerade froh, um es gelinde auszudrücken.

Das Telefonat war nicht gut verlaufen. Parker hatte sich arrogant und herablassend benommen und sogar versucht, Cassie einzuschüchtern. Nachdem er eingesehen hatte, dass sie sich nicht auszahlen lassen wollte, besaß er die Frechheit, von ihr zu verlangen, sie müsse beweisen, dass sie wirklich eine Garrison war. Er forderte einen DNA-Test und drohte damit, das Testament anzufechten. Parkers Verhalten hatte Cassie sehr verärgert, und sie war immer noch böse auf ihn.

„Miss Garrison?“

Ihre Sekretärin riss sie aus den Gedanken. Cassies Lächeln wurde wieder herzlich. „Vielen Dank, Trudy.“

Mit forschen Schritten betrat Cassie ihr Büro. Sie hätte geglaubt, dass Parker Besseres zu tun hatte, als sie weiterhin zu belästigen. In der Welt der großen Hoteliers dauerte es nie lange, bis eine Nachricht die Runde gemacht hatte. Daher wusste Cassie, dass der gut aussehende Junggeselle inzwischen verheiratet war. Zwar war es ihr herzlich gleichgültig, aber sie hatte zwangsläufig erfahren, dass auch Parkers Bruder Stephen vor Kurzem vor den Traualtar getreten war.

Cassie hatte nicht die Absicht, ihre sogenannten Geschwister je kennenzulernen. Sie wusste kaum etwas über sie, und sie kannten Cassie nicht. Wenn sie ehrlich war, zog sie entschieden vor, dass es dabei blieb. Immerhin waren sie sich ihr ganzes Leben lang nicht begegnet und waren trotzdem gut zurechtgekommen. Cassie fühlte sich hier auf den Bahamas wohl und sah keinen Grund, sich das von Menschen wie den Garrisons zerstören zu lassen.

Als sie sich an ihren Schreibtisch setzte, schweiften ihre Gedanken unwillkürlich zurück zu dem Mann in der Lobby. Cassie konnte nicht verhindern, dass er ihre Neugier geweckt hatte. Sie fragte sich, ob er verheiratet war oder ledig, Frauen liebte oder Männer. Doch dann zuckte sie die Schultern. Was machte es schon aus? Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war, sich zu verlieben.

Ihre Leidenschaft galt allein dem eindrucksvollen, dreißig Stockwerke hohen Gebäude, das an einem makellos schönen Strand der Karibik errichtet worden war. Und ihre Liebe galt dem Anblick, der ihr jedes Mal den Atem raubte, wenn sie die Lobby betrat. Cassie war entschlossen, ihr Hotel erfolgreich weiter zu leiten und es zu noch höherem Ansehen zu führen, wie ihr Vater es von ihr erwartet hätte. Jetzt, da ihre Eltern nicht mehr lebten, bedeuteten Glück und Freude für sie nur noch dieses Hotel.

Brandon Washington sah sich in dem Hotelzimmer um. Er war zutiefst beeindruckt. Trotz der vielen Male, die er im „Garrison Grand“ übernachtet hatte, musste er zugeben, dass dieses Hotel ihm schier die Sprache verschlug. Wenn man von einem tropischen Paradies sprechen konnte, dann sicherlich hier.

Als er auf den Parkplatz gefahren war, hatte Brandon zuerst festgestellt, wie stark sich die Architektur des Gebäudes von der der anderen Garrison-Hotels unterschied. Vor allem natürlich, weil es so konstruiert worden war, das es sich harmonisch in die Landschaft des tropischen Inselstrands einfügte. Es lag zwischen Palmen und einer Unmenge herrlicher Gärten, die in atemberaubender Blüte standen. Fast schien es, als wäre es genauso natürlich gewachsen wie die beeindruckenden Pflanzen.

Das ausgezeichnete Personal war Brandon als Nächstes positiv aufgefallen. Kaum dass er die prächtige Vorhalle betreten hatte, war er warmherzig empfangen worden. Man hatte ihm sofort das Gefühl gegeben, willkommen und geschätzt zu sein.

Und jetzt dieses Hotelzimmer – eine eindrucksvoll eingerichtete Suite mit hohen Balkontüren, die den Blick auf den Ozean freigaben. Brandon genoss die wundervollste Aussicht auf das Meer, die er je gesehen hatte.

Er war mehr als zufrieden mit seiner Unterkunft. Und da er eine ganze Weile bleiben würde, war es ihm sehr wichtig, sich wohl zu fühlen. Trotzdem, er musste sich daran erinnern, dass er hier keinen Urlaub machte, sondern einen wichtigen Job erledigen musste. Seine Aufgabe bestand darin, Cassie Sinclair-Garrisons Geheimnisse herauszufinden. Danach würde er sie dazu überreden, ihre Beteiligung an der „Garrison Incorporated“ aufzugeben – Brandons einflussreichster Klient. Ganz zu schweigen davon, dass die Garrisons seine engsten Freunde waren.

Brandons Vater war seit dem College mit John Garrison befreundet gewesen – und danach vierzig Jahre lang dessen Familienanwalt. Nachdem Brandon das Examen bestanden hatte, war er Partner in der Anwaltsfirma seines Vaters geworden. Vor drei Jahren war dieser bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Statt sich an eine größere, erfahrenere Kanzlei zu wenden, hatte John den Sohn seines alten Freundes engagiert und vollstes Vertrauen in seine Fähigkeiten gelegt.

Von klein auf hatte Brandon John Garrison gekannt und respektiert. Adam Garrison war sein bester Freund. Und jetzt war Brandon im Auftrag von Parker und Stephen Garrison hierher gekommen, weil sich Johns uneheliche Tochter weigerte, aktiv in das Unternehmen einzusteigen. Andererseits daran sie nicht dachte, sich von Parker auszahlen zu lassen.

Statt gleich einen hochkarätigen Gerichtsprozess anzustreben, hatten sich die älteren Garrison-Brüder etwas Besseres überlegt. Brandon sollte auf die Bahamas reisen, eine falsche Identität annehmen und Miss Garrison kennenlernen. Er sollte etwas über sie herausfinden, damit ihre Halbgeschwister die nötige Munition in der Hand hätten.

All die Jahre hatte John den Besitz auf den Bahamas geheim gehalten. Nur dieses Hotel, das Cassie jetzt geerbt hatte, war unter seiner alleinigen Kontrolle geblieben – ein strategisch cleverer Zug, mit dem John sein größtes Geheimnis vor seiner Familie verborgen hatte.

Sein Handy klingelte, und Brandon nahm es aus seiner Jackentasche. „Ja?“ Er lächelte. „Ja, Parker, ich habe gerade eingecheckt. Und damit du Bescheid weißt, ich habe mich Brandon Jarrett genannt.“ Er lachte. „Ja, genau, meine zwei Vornamen. Du hast ein gutes Gedächtnis.“ Sie wechselten noch ein paar Worte und verabschiedeten sich bald.

Er machte sich daran, seine Sachen auszupacken. In seinem Gepäck befand sich eher saloppe Kleidung. Alle sollten ihn für einen Geschäftsmann halten, der auf der Insel einen kurzen, wenn auch dringend benötigten Urlaub unternahm. Das vorzutäuschen würde Brandon nicht schwerfallen, da er seit John Garrisons Tod und der Testamentseröffnung ununterbrochen daran gearbeitet hatte, eine Lösung für die unerwünschte Situation mit Cassie Sinclair-Garrison zu finden.

Das Testament konnte nicht angefochten werden, das hatte er den Garrisons schon bald klarmachen müssen. Niemand von ihnen konnte daran interessiert sein, in aller Öffentlichkeit schmutzige Wäsche zu waschen. Vor allem Bonita Garrison würde einen solchen Skandal nicht ertragen. Zwar brachten nur wenige Mitgefühl für sie auf. Diese Leute behaupteten, sie hätte John Garrison in die Arme einer anderen Frau getrieben. Aber andere behaupteten wiederum, dass Bonitas Schwierigkeiten begannen, als ihr Mann sie betrog. Brandon war im Grunde überzeugt, dass Bonita zumindest etwas von der Affäre geahnt haben musste. Denn John war zu häufig und zu lange fort gewesen. Doch bei der Testamentsverlesung hatte Bonita so bestürzt und überrascht reagiert, als Cassies Name gefallen war. Zu dem Zeitpunkt hatte sie garantiert nichts von dem unehelichen Kind gewusst.

Brandon rieb sich das Kinn. Zeit für eine Rasur. Leise vor sich hinsummend packte er aus. Er wusste, dass er Cassie Sinclair-Garrison irgendwann im Laufe der nächsten Tage über den Weg laufen würde. Denn er würde selbst dafür sorgen.

Cassie stand auf einer der vielen Terrassen auf der Ostseite des Hotels, die auf die Tahita Bay hinausgingen. Es war später Nachmittag, doch der Himmel erstrahlte immer noch in einem blendenden Blau. Darunter schimmerte das Meer mit fast derselben Leuchtkraft. Eine Handvoll Jachten schaukelten in der Bucht, und einige Badende sonnten sich träge ausgestreckt auf dem hellen Strand. Cassie lächelte und winkte einem Paar zu, das auf einem Segelboot stand. Jedes Mal wenn Cassie ein glückliches Paar sah, dachte sie an ihre Eltern. Und noch bedrückte es sie.

Die Arbeit für heute war erledigt. Cassie beschloss, die Nacht im Hotel zu verbringen, statt die halbstündige Fahrt nach Hause auf sich zu nehmen. Im Moment fehlte ihr die Energie, sich ins Auto zu setzen. Vielleicht würde sie nachher ein wenig am Strand spazieren gehen, um sich wieder zu fangen.

Am liebsten übernachtete sie in den Diamond Keys. In diesem exklusiven Teil des Hotels gab es Suiten, deren Salon- und Terrassentüren direkt zum Strand führten. Diese Zimmer waren selbstverständlich sehr viel teurer als die gewöhnlichen, aber sie waren es auch eindeutig wert.

Cassie ging wieder hinein und in ihr Schlafzimmer, wo sie sich ihr Kostüm auszog und in eine bequeme Seidenhose und ein dazu passendes Kamisol schlüpfte. Es war lange her, dass sie sich Zeit für sich gegönnt hatte. In den vergangenen Monaten hatte Cassie sich in die Arbeit vertieft und um ihre Eltern getrauert. Sie hatte versucht, über den Verlust hinwegzukommen und einen Tag nach dem anderen durchzustehen, ohne zusammenzubrechen.

Bei der Beerdigung ihrer Mutter hatte Cassie neben ihrem Vater gestanden. Er hatte den Schock nicht überwunden. Und jetzt schmerzte es sie immer noch, dass sie nicht zu der Beerdigung ihres Vaters hatte fahren können. Denn sie hatte erst danach von seinem Tod erfahren. So blieb ihr nur die Erinnerung an das letzte Mal, als sie sich gesehen hatten.

John Garrison war unerwartet auf die Insel gereist und nicht ins Hotel gekommen, sondern in Cassies Wohnung. Er hatte dort auf sie gewartet, bis sie nach der Arbeit zu Hause war. Der immer noch gut aussehende, charismatische Mann, den sie gekannt und geliebt hatte, war nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen. Ihr Vater hatte vom tiefen Kummer regelrecht erdrückt gewirkt.

An jenem Abend war er mit ihr essen gegangen. Und bevor er nach Miami zurückkehrte, hatte er ihr die Urkunde von dem wunderschönen Anwesen in Lyford Cay mitsamt dem Land, das es umgab, in die Hand gedrückt. In diesem Haus wohnte Cassie inzwischen, es gehörte ihr allein.

Seufzend sah sie sich um, während sie nun zum Strand schlenderte. Das Tageslicht war schwächer geworden, die Dämmerung hatte eingesetzt. Aber das machte Cassie nichts aus. Im Gegenteil, sie zog es sogar vor, da der Strand nachts atemberaubend schön war. Der Wind trug die Musik von der Band hinüber, die im Foyer spielte. Die Klänge vermischten sich mit dem Plätschern der Wellen, die gegen das Ufer schlugen.

Sie zog sich die Sandaletten aus, um den weichen Sand unter ihren Füßen zu spüren. Am Strand fühlte sie sich immer wie ein anderer Mensch, so viel gelassener und so viel glücklicher. Die Weite und die ruhige Atmosphäre hier halfen ihr dabei, Sorgen und Kummer zu vergessen. Hier draußen schöpfte Cassie neue Kraft und Energie.

Lächelnd zog sie mit dem Fuß Linien im Sand und sah sich verstohlen um. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie wirklich allein war, hüpfte sie von einem Quadrat ins nächste. Als sie in dem Versuch, auf einem Bein ein Feld zu überspringen, fast ausgerutscht wäre, lachte Cassie. Was für eine schöne Art, die Anspannung des Tages von sich fallen zu lassen, dachte sie. Und der heutige Tag war eindeutig einer der anstrengenderen gewesen.

Noch nie war das Hotel so regelmäßig ausgebucht gewesen wie jetzt. Regelmäßig baten Hotelgäste um eine Verlängerung des Aufenthalts. Es gab sogar eine Warteliste für Jahreszeiten, die normalerweise nicht zu den betriebsamsten zählten. Es war gut, dass Simon Tillman ihren früheren Job als Manager so ausgezeichnet machte. Dadurch konnte Cassie sich auf neue Herausforderungen konzentrieren – zum Beispiel darauf, das Hotel auszubauen.

Ihr Buchhalter hatte ihr erklärt, dass die Profite drastisch gestiegen waren. Und seit sie sicher davon ausging, tatsächlich die neue Besitzerin des „Garrison Grand-Bahamas“ zu sein, setzte Cassie alles daran, die Pläne ihres Vaters in die Tat umzusetzen. Nur einen Monat vor seinem Tod hatte er mit ihr über verschiedene Veränderungen gesprochen. Bei ihrem letzten gemeinsamen Dinner hatte er die Umsetzung in ihre Hände gelegt. Und nachdem das heutige Meeting mit ihren Angestellten gut verlaufen war, fühlte Cassie sich zum ersten Mal seit Monaten wieder zufrieden. Sie brachte die Dinge auf den Weg.

„Darf ich mitspielen?“, fragte eine tiefe Stimme.

Hastig richtete sie sich auf und drehte sich verärgert um. Im ersten Moment entdeckte Cassie niemanden. Dann trat ein Mann aus der Dunkelheit, als würde er aus dem Nichts vor ihr erscheinen.

Sie erkannte ihn sofort. Es war der Mann, der ihr Stunden zuvor in der Lobby aufgefallen war und der ihr Herz auch jetzt wieder schneller schlagen ließ.

2. KAPITEL

Brandon betrachtete die Frau fasziniert. Er hatte sie schon eine Weile beobachtet. Aber jetzt, da sie so dicht vor ihm stand, meinte er, nie einer so schönen Frau begegnet zu sein. Er verspürte den dringenden Wunsch, alles über sie zu erfahren – je eher, desto besser – und war selbst erstaunt darüber.

Sein Blick glitt unwillkürlich zu ihrer Hand. Als Brandon keinen Ehering entdeckte, atmete er insgeheim erleichtert auf. Natürlich konnte es immer noch einen Mann in ihrem Leben geben, wenn auch nur einen festen Freund. Wie wahrscheinlich war es, dass sie sich in einem solchen Hotel allein aufhielt, das sich zahlreiche Paare für die Flitterwochen aussuchten?

Diese rationalen Gedanken verhinderten nicht, dass er eine kribbelnde Erregung verspürte, während er sie musterte. Ihre sonnengebräunte Haut war wunderschön; das lockige dunkle Haar reichte ihr bis zu den Schultern, die dunkelbraunen Augen glänzten. Und die Rundungen ihres aufregenden Körpers waren vollkommen.

Streng ermahnte er sich, dass er aus einem bestimmten Grund hier war. Jedenfalls nicht, um sich auf eine Frau zu konzentrieren, die ihm mit ihrem bloßen Anblick den Atem nahm. Nein, Brandon sollte die Frau kennenlernen, die seinen Freunden und wichtigsten Klienten Schwierigkeiten bereitete. Er war ihr noch nicht begegnet – obwohl er fast den ganzen Tag in der Nähe der Lobby verbracht hatte. Als er sich irgendwann diskret nach ihr erkundigt hatte, wurde ihm nur mitgeteilt, dass Cassie Sinclair-Garrison nach mehreren langen Sitzungen wahrscheinlich schon längst nach Hause gefahren war. Und ihr Zuhause befand sich, soweit Brandon wusste, am anderen Ende der Insel.

Somit war es unwahrscheinlich, dass er Miss Garrison noch an diesem Abend über den Weg lief. Insofern sprach doch nichts dagegen, ein wenig Zeit mit dieser Schönheit zu verbringen – wenn sie ungebunden war und es wollte.

Sie hob leicht das Kinn und sah ihn misstrauisch an. „Sie verletzen meine Privatsphäre.“

Ihr Akzent war unüberhörbar und sehr reizend, fand Brandon. Wie gebannt betrachtete er ihr Gesicht und nahm weitere Einzelheiten wahr: die hohen Wangenknochen, das süße Grübchen am Kinn, die gerade Nase und die Lippen, die so sinnlich waren, dass er schlucken musste vor Erregung. Sie wirkte so weiblich, so unbeschreiblich begehrenswert, wie er es bei noch keiner Frau erlebt hatte.

„Und dafür entschuldige ich mich“, sagte er leise. Sie hatte jedes Recht, ihn zur Rede zu stellen. „Ich habe gerade einen kleinen Spaziergang gemacht und gezwungenermaßen Ihr Spiel mit angesehen.“

„Sie hätten etwas sagen können, um sich bemerkbar zu machen“, erwiderte sie unverblümt.

„Sie haben völlig recht. Ich war so in Ihren Anblick versunken, dass ich Sie nicht stören wollte. Zumindest nicht sofort. Es tut mir aufrichtig leid, sollte ich Sie verärgert haben.“

Cassie wurde bewusst, dass es keinen Grund gab, sich aufzuregen. Schließlich gehörte dieser Teil des Strands nicht ihr allein. Er stand allen Gästen zur Verfügung, die sich in den Diamond Keys aufhielten, was offenbar bei diesem Mann der Fall war. „Es ist ja nichts passiert“, erklärte sie leichthin. „Ich nehme Ihre Entschuldigung an.“

Er lächelte. „Danke. Ich hoffe, Sie erlauben mir, es wiedergutzumachen.“

Sie zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde lang. „Und wie gedenken Sie, das zu tun?“

„Indem ich Sie bitte, heute Abend beim Dinner mein Gast zu sein.“

Verblüfft schüttelte sie den Kopf. „Das ist nicht nötig.“

„Ich finde schon. Ich habe Sie gekränkt und möchte Sie dafür entschädigen.“

„Sie haben mich nicht gekränkt. Sie haben mich nur überrascht.“ Sicher merkte er, dass sie ihm auswich. Deshalb gab er jedoch nicht so leicht auf, und das gefiel ihr.

„Ich möchte trotzdem gern Buße leisten“, sagte er charmant.

Cassie senkte den Kopf, um ein Lächeln zu verbergen. Er war wirklich hartnäckig, das musste sie ihm lassen. Sollte sie nicht sein Angebot genauso beharrlich ablehnen?

Als sie den Blick wieder hob, stockte ihr der Atem. Der Fremde schien einen Schritt näher gekommen zu sein. Und je dichter er vor ihr stand, desto attraktiver kam er ihr vor. Zu ihrer Überraschung überlief ein erregter Schauer Cassie. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es viele Frauen gab, die ein Angebot von diesem Mann ausschlugen.

„Vielleicht sollte ich mich vorstellen.“ Lächelnd streckte er die Hand aus. „Mein Name ist Brandon Jarrett.“

„Ich bin Cassie Sinclair-Garrison.“

Es kostete Brandon seine ganze Selbstbeherrschung, sich nichts anmerken zu lassen. Cassie Garrison? Ausgerechnet diese faszinierende Frau bereitete der „Garrison Incorporated“ so viel Ärger und seinem Freund Parker seit vier Monaten Albträume? Vor ihm stand die Schwester der Garrison-Geschwister – auch wenn sie bisher nicht den Anschein gemacht hatte, auf die Verwandtschaft Wert zu legen. Sie war der Grund, weswegen er hierher geschickt worden war.

„Hallo, Cassie Sinclair-Garrison“, sagte er so ungerührt wie möglich und gab ihre Hand nur widerwillig wieder frei. Sie hatte sich so gut in seiner angefühlt, so als würde sie dorthin gehören. Brandon hatte sich zwar darauf gefreut, Cassie kennenzulernen, aber nicht unter diesen Umständen und so völlig unerwartet. Überraschungen mochte er generell nicht besonders, und diese brachte ihn völlig durcheinander.

„Hallo, Brandon Jarrett“, entgegnete sie und erwiderte sein Lächeln. „Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt.“

„Sehr sogar. Und Sie?“, fragte er und bemühte sich, unbehelligt zu wirken. Sie durfte nicht erfahren, was er über sie wusste. Auch wenn man wegen ihres Nachnamens leicht erraten konnte, dass ihr das Hotel gehörte.

„Ja, ich amüsiere mich auch sehr gut.“

Zweifellos auf meine Kosten, dachte er nüchtern, da sie ihm nicht sagte, dass sie die Besitzerin war. „Ich glaube, Sie werden sich noch besser unterhalten, wenn Sie mit mir zu Abend essen.“

Cassie zögerte. Als sie ihre Hand in seine gelegt hatte, war sie von einer Flut von Gefühlen überwältigt worden. In ihrem ganzen Leben hatte sie nichts Vergleichbares erlebt. Und dieser Mann war so undurchsichtig; das Problem bestand darin, dass sie mit solchen Männern keinerlei Erfahrung hatte. Zwar ging Cassie, wenn auch nur gelegentlich, mit Männern aus. Aber keiner von ihnen war wie Brandon Jarrett.

Es bestand kein Zweifel daran, dass er geschickt im Umgang mit Frauen war. Offensichtlich glaubte er, mit ihr ebenso leicht flirten zu können wie mit allen anderen. Seltsamerweise störte sie sich nicht daran, obwohl sie es vielleicht hätte tun sollen. Stattdessen war ihre Neugier geweckt. Schließlich wäre er nicht der erste Mann, der versuchte, sie zu beeindrucken. Allerdings eindeutig der erste, für den sie sich seit über einem Jahr interessierte.

„Wir sind also wieder beim Thema, was?“, fragte sie lachend und entspannte sich ein wenig.

„Ich fürchte, ja. Und ich hoffe, Sie werden mich nicht enttäuschen. Wir können hier im Hotel zu Abend essen oder woanders in der Nähe. Sie entscheiden.“

Cassie wusste, dass es eigentlich verrückt war, außerhalb des Hotels mit einem Fremden ein Restaurant zu betreten. Andererseits wollte sie ihren Angestellten keinen Gesprächsstoff liefern. Einige hatten sich noch nicht klargemacht, dass sie John Garrisons Tochter war und er ihr das Hotel vermacht hatte. Cassie fasste einen Entschluss und hoffte, es später nicht zu bereuen. „Ich würde lieber woanders hingehen.“

Ihre Antwort schien ihn zu erfreuen. „Gibt es ein Restaurant, das Sie empfehlen würden, oder überlassen Sie mir die Wahl?“

Wieder schenkte sie ihm größeres Vertrauen, als sie es normalerweise bei einem Unbekannten hielt. „Die Entscheidung überlasse ich Ihnen.“

„Schön. Wollen wir uns in einer Stunde in der Lobby treffen?“

„Nein, kommen Sie wieder an diese Stelle oder vielmehr zu der Terrasse dort drüben in der Nähe des Blumengartens.“

„Okay.“

Falls er ihre Bitte seltsam fand, ließ er sich nichts anmerken. „Dann sehe ich Sie also in einer Stunde, Cassie Sinclair-Garrison“, sagte er und schenkte ihr wieder ein äußerst charmantes Lächeln.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und sie verabschiedete sich hastig, nachdem sie sich endlich von seinem Blick losgerissen hatte. Nervös eilte sie über den Sand zurück und zu ihrer Suite.

Während Brandon zu seinem Zimmer ging, umgab ihn die leichte Oktoberbrise, die vom Meer hereinwehte. Ein Adrenalinkick brachte sein Herz wild zum Klopfen. Es war unglaublich! Ausgerechnet Cassie Garrison war die erste Frau, für die er sich seit seiner Trennung von Jamie Frigate vor einem Jahr interessierte.

Jamie.

Auch jetzt stieg noch Wut in ihm auf; wie immer, wenn er an den Verrat seiner Exverlobten dachte. Brandon verstand nicht, warum er ihre Oberflächlichkeit und ihren Egoismus erst so spät erkannt hatte. Das Schlimmste jedoch war, dass ihre Gier keine Grenzen gekannt hatte. Sie war mit nichts zufrieden gewesen, was er ihr gegeben hatte. Während ihrer Verlobungszeit hatte Jamie eine Affäre mit einem kalifornischen Geschäftsmann begonnen. Und Brandon hatte erst davon erfahren, als er unangekündigt von einer Reise nach Miami zurückkehrt war und sie mit dem Mann im Bett überrascht hatte.

Brandon betrat seine Suite und verdrängte die Erinnerungen an Jamie. Stattdessen konzentrierte er sich lieber wieder auf Cassie. Was immer er ihr von jetzt an sagte, würde zwangsläufig gelogen sein. Unter den derzeitigen Umständen konnte er das nicht ändern. Die Dinge hatten sich heute Abend etwas zu sehr zu seinen Gunsten gefügt, und aus irgendeinem Grund störte ihn das. Die Frau, die ausgelassen wie ein Kind an Strand gespielt hatte, machte einen eher unschuldigen, fast verletzlichen Eindruck auf ihn. Sie war so anders, als er sich Cassie Garrison vorgestellt hatte.

Ganz abgesehen davon war sie atemberaubend schön. Er hatte damit gerechnet, dass sie jeden Abend verabredet war und ausging. Warum tat sie es nicht? Diese Frage ging Brandon nicht aus dem Kopf.

Nach nur wenigen Minuten mit Cassie war er überzeugt, dass sie ausgesprochen intelligent war. Vielleicht lag es daran, wie sie ihn betrachtet hatte, bevor sie seine Einladung zum Dinner angenommen hatte.

Brandon lächelte unwillkürlich. Er würde spätestens beim Abendessen herausfinden, wie intelligent sie wirklich war. Sobald sie sich in seiner Gesellschaft geborgen und sicher fühlte, würde sie von sich erzählen. Womöglich konnte er sie sogar dazu bewegen, ihm Dinge anzuvertrauen, die er gegen sie verwenden konnte.

Plötzlich verspürte er eine unangenehme Unruhe. Wenn er zu lange über seinen Auftrag nachdachte, hielt er die ganze Aktion wahrscheinlich sogar für verabscheuenswert. Aber er durfte sich keine persönlichen Gefühle leisten. Er musste einen Job erledigen, und genau das hatte er auch vor.

Cassie betrachtete sich zum zweiten Mal im Spiegel. Sie hatte geduscht und sich umgezogen. Jetzt trug sie das Kleid, das ihre Mutter ihr vor ein paar Monaten geschenkt hatte. Bisher war Cassie kein einziges Mal in der Stimmung gewesen, es anzuziehen.

Das verführerische fuchsiafarbene Minikleid hatte dünne Träger und wirkte besonders durch die Schleife am Ausschnitt sehr elegant. Nervös befühlte Cassie den glatten Stoff und fragte sich, ob es etwas bedeutete, dass sie sich für die Verabredung mit einem wildfremden Mann so viel Mühe gab.

Sie fuhr sich mit der Hand durch die langen dunkelbraunen Locken, um ihnen mehr Volumen zu geben, und musterte wieder ihr Gesicht – ein Gesicht, das ihre Ähnlichkeit mit beiden Eltern bewies, aber vor allem die mit ihrem Vater. Cassies Augen sahen denen ihrer Mutter sehr ähnlich; Mund, die Nase und die Wangenknochen glichen eher denen ihres Vaters. Außerdem hatte sie das charakteristische Grübchen, für das ihr Vater ebenfalls bekannt gewesen war.

Ihr Teint war dunkler als der ihres Vaters, doch ihr Lächeln war genau wie seins. Cassie biss sich unruhig auf die Unterlippe. In letzter Zeit lächelte sie nicht besonders häufig. Heute Abend hatte sie es mehr als einmal getan, selbst wenn sie das erste Mal den Kopf gesenkt hatte, um es vor Brandon zu verbergen.

Sie atmete tief ein und überlegte zum zigsten Mal, dass Brandon Jarrett so unglaublich gut aussah, beinah verboten gut. Kein Mann hatte das Recht, so attraktiv und noch dazu mit einem derart athletischen Körper gesegnet zu sein. Er war der bestaussehende Mann, der ihr je begegnet war. Am Strand hatte er eine Jeans und ein weißes Hemd getragen. Genau wie sie war er barfuß über den Sand gegangen. Was bei jedem anderen Mann einfach nur leger gewirkt hätte, war beim ihm beunruhigend sexy.

Offenbar war er unverheiratet. Zumindest trug er keinen Ehering. Das musste natürlich nichts bedeuten, ihr Vater hatte seinen Ring auch nur selten getragen. Sie fragte sich, ob Brandon eine feste Beziehung führte und zu Hause eine Frau auf ihn wartete. Geschäftsmänner, die oft allein auf Reisen waren, vergaßen derartige Einzelheiten manchmal leicht. Als Hotelbesitzerin war Cassie nicht entgangen, dass besagte Männer sich oft mit ihrer Geliebten ein Zimmer nahmen. Solange solche Affären dem Ruf des Hotels nicht schadeten, ging es Cassie jedoch nichts an.

Sie griff nach dem Schultertuch für ihr Kleid und legte es sich um, damit sie in der kühlen Nachtluft nicht fror. Im Wetterbericht war ein tropischer Sturm angesagt worden, der sich über dem Atlantik zusammenbraute. Cassie hoffte nur, dass er sich nicht zum Hurrikan auswuchs – und wenn doch, dass er die Inseln verschonte.

Nach einem Blick auf die Uhr ermahnte sie sich, dass es höchste Zeit war, den hinreißenden Brandon Jarrett zu treffen.

Brandon stand in der Nähe des Blumengartens und im Schatten der Palmen und hohen Gewächse. Er beobachtete Cassie, als sie ihre Suite verließ und den schmalen Privatweg entlangging.

Ihr Kleid schien für sie entworfen worden zu sein, so gut stand es ihr. Brandons Puls beschleunigte sich unwillkürlich. Der Schein der Laternen tauchte ihr schönes Gesicht in schwaches Licht. Ihr langes Haar fiel wie flüssige Seide über ihre Schultern und schwang bei jedem Schritt, den sie tat, hin und her.

Gefühle, wie er sie schon lange nicht mehr empfunden hatte, ergriffen ihn. Und das mit einer Heftigkeit, die ihm völlig neu war. John Garrisons jüngste Tochter war eindeutig eine Schönheit und übte eine Anziehungskraft auf Brandon aus, die ihn allmählich beunruhigte. Er atmete tief ein. Reiß dich zusammen, Mann, sagte er sich. Vergiss nicht, weswegen du hier bist.

Es war bestimmt nicht in seinem Interesse, sie ein zweites Mal zu überrumpeln. Deshalb räusperte er sich laut. Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich vergaß er alles andere und konnte nur daran denken, wie sie ihn ansah. In seinem ganzen Leben hatte ihn noch keine Frau so verzaubert wie sie. Er fühlte sich, als würde er langsam, aber sicher in einen Bann gezogen. Spontan beschloss Brandon, diesen einen Abend keinen Gedanken an den wahren Grund für seinen Aufenthalt auf der Insel zu verschwenden. Cassie war so wunderschön, es lag außerhalb seiner Macht, ihr zu widerstehen.

„Ich hoffe, Sie warten noch nicht lange“, sagte sie und blieb direkt vor ihm stehen.

„Überhaupt nicht. Aber wie lange ich auch hätte warten müssen, das wäre es mir wert gewesen“, antwortete er galant und nahm ihre Hand, wobei er fühlte, wie ihre Finger leicht zitterten. Zu seiner Überraschung durchrieselte ihn in diesem Moment ein heftiger Schauer. Dabei hatte er nur ihre Hand berührt.

„Haben Sie sich schon überlegt, wo wir hingehen?“

Ihre Frage riss ihn aus den Gedanken. Und Brandon wünschte, er hätte den Mut, ihr das nächstgelegene Bett vorzuschlagen. „Ja. Das ‚Viscaya‘. Haben Sie schon von dem Restaurant gehört?“

„Ja, ich kenne es. Es hat einen sehr guten Ruf.“

„Das habe ich mir auch sagen lassen.“ Er ließ ihre Hand nicht los, während er Cassie durch den Garten und auf den Parkplatz zu seinem Mietwagen führte. Es war eine wunderschöne Nacht, trotz der kühlen Meeresbrise.

„Sie sehen gut aus“, sagte Brandon und öffnete die Beifahrertür. Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts, dachte er trocken.

Sie lächelte, als sie sich auf den Sitz gleiten ließ. „Danke. Sie sehen auch sehr gut aus.“

„Jetzt muss ich mich bedanken“, antwortete er und erwiderte ihr Lächeln.

„Gern geschehen.“

Während er um den Wagen herumging, beobachtete Cassie jede seiner Bewegungen. Brandon sah wirklich fantastisch aus in der dunklen Hose und dem weißen Hemd. Wenn Cassie ehrlich war, fand sie ihn sogar wahnsinnig sexy. Alles an ihm gefiel ihr. Sein Gang war geschmeidig und strahlte Selbstbewusstsein aus. Brandon war wirklich ein außergewöhnlich anziehender Mann.

Bevor er den Motor anließ, warf er Cassie einen Blick zu. „Die Dame an der Rezeption meinte, das Restaurant ist mit dem Auto nur etwa fünf Minuten von hier entfernt.“

Sie nickte. „Prima.“

Gelassen lenkte er den Wagen, was ihn außerdem als sehr guten Fahrer auswies, und fuhr vom Parkplatz herunter. Cassie lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Sie freute sich auf den Abend, besonders in dieser Gesellschaft. Es gab so vieles, was sie über ihn erfahren wollte. Lächelnd beschloss sie, keine Zeit zu vergeuden. „Woher kommen Sie?“

„Orlando, Florida“, antwortete er und warf ihr einen Seitenblick zu.

„Aha. Disney World.“

Er musste lachen. „Ja, Disney World. Sind Sie schon einmal da gewesen?“

„Als ich etwa zehn Jahre alt war, ist meine Mutter mit mir hingefahren. Natürlich wegen Disney World. Wir blieben eine ganze Woche.“

„Und Ihr Vater?“

Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Dad war immer viel unterwegs, aber später stieß er dann zu uns, wenn auch nur für ein paar Tage.“ Jetzt bin ich wieder an der Reihe, Fragen zu stellen, überlegte Cassie. „Und was tun Sie so?“

„Ich bin Investmentmakler. Mein Motto lautet: Wenn Sie Geld investieren wollen, vertrauen Sie es mir an, und ich erledige den Rest.“

„Das klingt nicht schlecht. Sehr clever. Gefällt mir.“

„Danke. Und wo kommen Sie her, Cassie, und was tun Sie?“

Da sie vor einer Ampel warten mussten, nutzte Brandon die Gelegenheit, um Cassie zu betrachten. Sie strich nervös über den Stoff ihres Kleids. Er verfolgte die Bewegung unwillkürlich und ließ den Blick auf ihren langen, schlanken Schenkeln ruhen, die das Kleid kaum bedeckte. Es kostete Brandon große Überwindung, sich wieder auf die Straße zu konzentrieren, als die Ampel auf Grün schaltete.

„Ich bin hier auf der Insel geboren worden und arbeite im Hotelgeschäft“, antwortete sie leichthin.

Instinktiv entschied er sich dafür, sie jetzt noch nicht weiter über ihren Beruf auszufragen. „Die Bahamas sind wunderschön.“

Er glaubte zu spüren, wie sie sich nun entspannte. „Ja, das stimmt. Sie sind zum ersten Mal auf der Insel?“

Der Klang ihrer Stimme mit dem leichten Akzent war unglaublich sexy. Brandon hätte fast vergessen zu antworten, so fasziniert war er. Mühsam riss er sich zusammen. „Nein, ich bin schon mehrere Male hier gewesen, aber es ist das erste Mal, dass ich im ‚Garrison Grand-Bahamas‘ wohne.“

Im vergangenen Jahr war er mit Jamie in seinem Privatflugzeug hergeflogen. Damals hatte er sie gebeten, ihn zu heiraten. Sie hatte seinen Antrag angenommen. Den Rest der Woche hatten sie auf einer Jacht verbracht, die einem seiner Klienten und sehr guten Freund gehörte.

Zu Brandons Erleichterung hatten sie das „Viscaya“ erreicht. Er verscheuchte die Erinnerungen an Jamie und parkte den Wagen. Währenddessen schwiegen sie. Brandon genoss die kleine Atempause, in der er sich keine Lügen auszudenken brauchte.

In weniger als einer Stunde hatte Cassie mehr erfahren und sich ein Bild von ihm gemacht. Brandon war nicht nur umwerfend sexy, er war auch unglaublich charmant und ein sehr gewandter Gesprächspartner. Während des Essens hatten sie sich sehr gut unterhalten, ohne dass ein peinliches Schweigen entstanden war. Sie fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft. Und Cassie fiel auf, dass er ausnahmslos jeden – vom Manager des Restaurants und dem Kellner bis zu der Hilfskraft, die das Geschirr abräumte – mit Respekt behandelte.

„Das war sehr freundlich und aufmerksam von Ihnen“, sagte Cassie, als sie das Restaurant verließen.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Was denn?“

„Die Art, wie Sie die Leute behandeln. Sie haben nicht gezögert, ihnen zu zeigen, wie sehr Sie ihre Dienste zu schätzen wissen. Es würde Sie wahrscheinlich überraschen, wie wenig Leute sich die Mühe machen.“ Sie dachte vor allem daran, wie unhöflich ihre Hotelangestellten oft von Gästen behandelt wurden, die sich für etwas Besseres hielten.

Brandon zuckte die Schultern. „Das habe ich von meinem Vater. Er war der Meinung, dass es nicht wehtut, anderen zu zeigen, wenn sie etwas richtig machen. Ganz besonders, da die meisten nicht lange zögern, bevor sie jemandem sagen, dass er etwas falsch gemacht hat.“

„Klingt, als wäre Ihr Vater ein sehr kluger Mann.“

„Ja, er war ein kluger Mann. Dad ist vor einigen Jahren gestorben“, erwiderte er leise.

Cassie wurde ernst. „Das tut mir sehr leid. Standen Sie Ihrem Vater nahe?“

„Ja, sehr. Wir waren sogar Partner in unserer Firma“, fügte er hinzu. „Meine Mutter starb, als ich gerade zehn Jahre alt war. Lange Zeit gab es nur mich und meinen Dad.“

Sie nickte. „Mein Vater ist vor etwas mehr als vier Monaten von uns gegangen; und meine Mom einen Monat vor ihm.“

Brandon hörte den schmerzerfüllten Unterton, und im schwachen Licht der Parkplatzbeleuchtung sah er Tränen in ihren Augen schimmern. Impulsiv blieb er nur wenige Meter von seinem Wagen entfernt stehen und umarmte Cassie. Sie wehrte sich nicht, sondern schmiegte sich vertrauensvoll an ihn. Seufzend schloss er die Augen. Er hatte das ungute Gefühl, dass er seine Lügengeschichte eines Tages sehr bereute.

„Das tut mir leid“, flüsterte er ihr ins Ohr. Und er fühlte wirklich mit ihr, weil er den Schmerz kannte. Sie hatte ihre Eltern genauso geliebt wie Brandon seine, und er konnte sie sehr gut verstehen. Zum ersten Mal seit Johns Tod verband er mit dem Namen Cassie Sinclair-Garrison einen Menschen aus Fleisch und Blut, mit normalen Gefühlen und Problemen – und nicht nur ein Schild auf einer Akte in seinem Büro. Er sah in ihr mehr als nur die Frau, mit der Parker Ärger hatte.

„Entschuldigung, ich wollte mich vor Ihnen nicht so gehen lassen“, sagte sie einen Augenblick später und befreite sich verlegen aus seiner Umarmung.

„Das macht doch nichts. Ich kann Ihren Schmerz sehr gut verstehen. Ich habe auch beide Eltern verloren. Aber als meine Mutter starb, konnte mein Vater für mich da sein und mir helfen. Bei Ihnen sind beide innerhalb so kurzer Zeit gegangen, dass es sehr schwer gewesen sein muss. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie es ausgehalten haben. Haben Sie wenigstens Geschwister?“ Er hatte die Frage ohne Hintergedanken gestellt. Trotzdem wartete er nun gespannt. Ob sie die Garrisons in Miami anerkannte?

Stirnrunzelnd sah sie ihn an, als müsste sie lange nachdenken. Dann sagte sie: „Mein Vater hatte auch andere Kinder, aber ich bin ihnen nie begegnet.“

„Nicht einmal auf der Beerdigung?“, fragte er, obwohl er die Antwort kannte.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nicht einmal dort.“ Hastig fuhr sie fort: „Ich möchte lieber nicht mehr darüber reden, Brandon. Es ist etwas zu persönlich.“

Er nickte. „Ich verstehe. Verzeihen Sie meine Neugier.“

Unvermittelt streckte sie den Arm aus und nahm seine Hand. „Sie waren nicht neugierig. Es ist nur im Moment alles sehr kompliziert.“

„Glauben Sie mir, ich verstehe Sie, aber wenn Sie jemals mit jemandem reden möchten oder …“

„Mich an jemandes Schulter ausweinen möchte?“, vollendete sie den Satz, offensichtlich um die Atmosphäre zu lockern.

Brandon lachte. „Ja, eine Schulter zum Ausweinen. Meine steht Ihnen jedenfalls zur Verfügung.“

„Vielen Dank. Sie sind sehr freundlich.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln, das ihm durch und durch ging. „Wie lange werden Sie noch im Hotel bleiben?“

Nachdem er ihr die Beifahrertür des Wagens geöffnet hatte, antwortete er: „Eine Woche. Und Sie?“

Sie setzte sich zuerst, bevor sie erwiderte: „Bis auf unbestimmte Zeit. Ich arbeite im Hotel. Je nach Programm verbringe ich dort manchmal die Nacht, statt nach Hause zu fahren. Hier steht mir eine Privatsuite zur Verfügung, aber mein Zuhause liegt am anderen Ende der Insel.“

„Ach so“, bemerkte er nur, bevor er dir Tür schloss. Er hatte Cassie noch eine Gelegenheit gegeben, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie vertraute ihm noch nicht genug, um zuzugeben, dass das Hotel ihr gehörte.

Nachdem er um den Wagen gegangen und sich hinter das Steuer gesetzt hatte, wandte Brandon sich ihr zu und ließ den Motor an. „Ich bin froh, dass Sie heute Abend mit mir gegessen haben. Was haben Sie für Pläne für morgen?“

Sie lächelte. „Am Morgen habe ich ein Meeting. Danach fahre ich nach Hause. Zum Hotel komme ich erst am Donnerstag früh zurück.“

Mit einem charmanten Lächeln, das er absichtlich einsetzte, beugte er sich leicht vor. „Habe ich auch nur die geringste Chance, noch eine Verabredung mit Ihnen zu bekommen?“

Cassie lachte. „Noch ein Abendessen?“

„Ja. Ich hätte sogar nichts dagegen, wenn Sie mir Ihre Kochkünste beweisen wollen.“

„Und wer sagt Ihnen, dass ich über Kochkünste verfüge?“

„Mein Gefühl. Irre ich mich denn?“

Amüsiert schüttelte sie den Kopf. „Nein, Sie haben recht. Ich koche ganz gut, obwohl ich nicht viel Zeit in der Küche verbringe und normalerweise im Hotel esse. Meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich es lerne. Am College war ich fast die Einzige, die es konnte. Kochen scheint aus der Mode zu kommen.“

Brandon lächelte vergnügt. „Und auf welches College sind Sie gegangen?“

„Ich war in London und habe einen Abschluss in Betriebswirtschaft.“

Ohne besonderen Grund beschloss er nachzufragen. „Und was genau tun Sie im Hotel? Das haben Sie, glaube ich, noch nicht erwähnt.“

Er sah ihr an, wie sehr seine Frage sie erstaunte. Aber er wollte wissen, wie weit Cassie ihm inzwischen vertraute.

„Offenbar haben Sie sich nichts dabei gedacht, als ich Ihnen vorhin meinen Namen nannte“, sagte sie zögernd.

Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Was hätte ich mir denn denken sollen?“

Sie betrachtete ihn nachdenklich. Obwohl sie wahrscheinlich ahnte, dass er sie herausforderte und nur den Ahnungslosen spielte, antwortete sie fest: „Garrison. Mir gehört das ‚Garrison Grand-Bahamas‘.“

3. KAPITEL

„Sie besitzen das Hotel?“ Brandon gab sich überrascht, allerdings ohne besonderen Nachdruck, da er kein Misstrauen wecken wollte. Cassie sollte nicht glauben, dass er nun noch mehr Interesse an ihr hatte.

„Ja, mein Vater hat es mir hinterlassen, als er starb.“

Die Ampel vor ihnen schaltete auf Rot. Nachdem er den Wagen zum Stehen gebracht hatte, drehte Brandon sich zu Cassie. „Dann sind Sie sicher sehr stolz. Da er Ihnen das Hotel vermacht hat, muss er großes Vertrauen in Ihre Fähigkeiten gesetzt haben.“

Das Lächeln, das sie ihm schenkte, kam von Herzen. Brandon spürte es. Und die Wirkung, die diese Geste auf ihn hatte, raubte ihm den Atem.

„Danke“, sagte Cassie. „Er kannte meine Fähigkeiten, weil ich das Hotel schon seit fünf Jahren leite.“

Er nickte und fuhr weiter, als die Ampel wieder auf Grün wechselte. „Das mag ja sein. Aber ich bin sicher, dass es etwas anderes ist, ob man ein Hotel nur leitet oder es einem auch gehört. Die Verantwortung wäre für jeden sehr groß. Und dennoch war Ihr Vater der Meinung – ich bin sicher, zu Recht –, dass Sie der Aufgabe gewachsen sind.“

„Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung“, erwiderte sie leise. „Es ist sehr nett von Ihnen.“

„Ich sage nur, was ich denke.“ Brandon parkte vor dem Hotel. „Und um wieder auf unser Thema zu sprechen zu kommen: Wann kann ich Sie morgen wiedersehen?“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Sie geben nicht so leicht auf, was?“

„Jedenfalls niemals kampflos“, antwortete er ehrlich. „Und wenn Ihnen nicht danach ist, mich mit Ihren Kochkünsten zu begeistern, führe ich Sie morgen Abend sehr gern in ein anderes Restaurant aus. Wie ich höre, gibt es in der Nähe mehrere sehr gute.“

In dem Versuch, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihr sein Interesse schmeichelte, senkte Cassie den Blick. Seit sie vor einigen Monaten in das Haus ihrer Mutter gezogen war, hatte sie keinen Mann dorthin eingeladen. Und Cassie hatte nicht vorgehabt, das so schnell zu ändern. Aus irgendeinem Grund, der ihr noch nicht völlig klar war, störte die Vorstellung sie nicht, dass Brandon ihr Haus betrat. Allerdings konnte das nur eins bedeuten – sie mochte ihn.

Entschlossen straffte sie die Schultern und strich sich das Haar aus der Stirn. „Ich esse gern wieder mit Ihnen zu Abend. Aber ich bestehe darauf, dass ich Sie diesmal einlade. Und zwar zu mir nach Hause. Dann werde ich Ihnen voller Stolz beweisen, was für eine gute Köchin ich bin.“

Er musste lachen. „Ich freue mich darauf.“

Beschwingt vom guten Verlauf des Abends, stieg Brandon aus und öffnete Cassie die Tür. Er meinte es ernst, er freute sich wirklich darauf, mehr Zeit mit ihr zu verbringen – wenn auch aus den falschen Gründen. Insgeheim wünschte er sich mehr, als er sagen konnte, dass sie keine Garrison wäre.

„Vielen Dank, Brandon.“ Zum Abschied reichte sie ihm die Hand. „Ich werde morgen an der Rezeption einen Umschlag mit der Wegbeschreibung zu meinem Haus für Sie hinterlassen“, fügte Cassie hinzu. „Es ist in Lyford Cay.“

„Und um wie viel Uhr soll ich da sein?“

Sie presste die Lippen aufeinander, während sie überlegte. „Alles nach vier Uhr ist mir recht. Ich werde zwar vor sechs kein Abendessen servieren, aber ich glaube, es könnte Ihnen Spaß machen, sich das Aquarium anzuschauen.“

„Das Aquarium?“

Seine überraschte Miene brachte Cassie zum Lächeln. „Ja, meine Mutter liebte die Meeresfauna. Vor zehn Jahren ließ mein Vater ihr zum Geburtstag ein wunderschönes Aquarium im Haus bauen.“

„Sie wohnen im Haus Ihrer Mutter?“, fragte er, als Cassie ihre Schlüssel aus der Tasche holte.

„Es gehörte früher meiner Mutter. Dad überschrieb es mir, bevor er starb. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass er es verkaufen würde. Er brachte es jedoch nicht über sich. Zu viele Erinnerungen verbanden ihn mit diesem Haus.“

Brandon schwieg. Er wusste nur, dass in den ihm vorliegenden Dokumenten nichts von einem Haus auf den Bahamas stand. Allerdings war das bedeutungslos, da John es ja offensichtlich seiner Tochter überschrieben hatte.

„Ich habe Ihre Gesellschaft heute Abend sehr genossen“, sagte sie und schloss die Tür zu ihrer Suite auf.

Ihre Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. „Mir geht es genauso, Cassie. Ich freue mich auf morgen.“

„Ich auch. Gute Nacht, Brandon.“

Obwohl sie sich gerade erst kennengelernt hatten, war Brandon nicht bereit, sie ohne einen Kuss gehen zu lassen. Den ganzen Abend war sein Blick immer wieder zu ihren sinnlichen Lippen geschweift. Und jedes Mal hatte Brandon sich gefragt, wie sie sich wohl anfühlten und wie sie schmeckten. Er spürte die knisternde Spannung zwischen ihnen und trat unwillkürlich einen Schritt vor. Selbst wenn er in diesem Moment einen schweren Fehler beging, der seine Pläne gefährdete – Brandon war dagegen machtlos.

Er berührte ihr Kinn und berührte ihr Grübchen sanft mit dem Daumen. „Hübsch“, sagte er mit leicht heiserer Stimme.

Sie lächelte. „Mein Dad nannte es eine Kerbe. Er hatte sie auch.“

Genau wie seine anderen fünf Kinder, dachte er. „Ich muss Ihrem Vater in dieser Sache widersprechen. Denn ich weiß aus sicherer Quelle, dass das bei einem Mann eine Kerbe ist, aber bei einer Frau ein Grübchen.“

„Wenn Sie meinen“, antwortete sie ein wenig atemlos.

Seine Hand fühlte sich warm an. Als er ihre Wange liebkoste, verspürte Cassie ein seltsames Kribbeln am ganzen Körper. Ohne dass es verhindern konnte, entwich ihr ein leiser Seufzer. Sie schloss die Augen und genoss seine Berührung, die sie gleichzeitig beruhigte und erregte. Und bevor sie die Augen wieder öffnen wollte, spürte sie seine Lippen auf ihrem Mund und hielt unwillkürlich den Atem an.

Wieder seufzte sie. Im nächsten Moment spürte sie seine Zunge. Den ganzen Abend hatte Cassie an kaum etwas anderes denken können als daran, wie es sein mochte, von diesem hinreißenden Mann geküsst zu werden. Und jetzt wurde ihr Wunsch nicht nur erfüllt, sondern übertraf auch alle ihre Vorstellungen.

Er schmeckte so männlich, so sexy, so aufregend – so viel besser, als sie sich hätte träumen lassen. Ein Schauer überlief sie, und sie stöhnte heiser auf, ohne es zu wollen. Sie konnte sich nicht beherrschen, sie konnte sich nur dem Zauber dieses Meisters der Verführung hingeben. Widerstand war unmöglich.

Als ihr die Knie weich wurden, hielt sie sich am Ärmel seines Hemds fest. Offenbar verstand er die Geste als Aufforderung, denn er schlang die Arme um ihre Taille und zog Cassie dicht an sich. Sie konnte seine Wärme spüren, seine Stärke, seinen herrlichen muskulösen Körper.

Sekunden später löste er sich von ihr, und Cassie öffnete die Augen.

„Danke“, flüsterte er heiser und dicht an ihrem Mund. Und bevor sie etwas erwidern konnte, küsste er sie wieder. Die Gefühle, die er in ihr hervorrief, waren so intensiv, dass sie sich wie benommen fühlte. Leidenschaftlich erwiderte sie seinen Kuss, während sich um sie alles zu drehen schien.

Als er sich schließlich nach einer kleinen Ewigkeit doch von ihr löste, überkam Cassie ein Verlustgefühl. Ihr Blick ruhte auf seinem Mund, und eine nie gekannte Sehnsucht erwachte in ihr. Ohne sich besondere Mühe geben zu müssen, hatte er ein Verlangen in ihr geweckt, das sie bisher nie verspürt hatte. Ihr kam es vor, als würde sie erst bei diesem Mann wirklich entdecken, was es hieß, eine Frau zu sein.

„Ich freue mich darauf, dich morgen wiederzusehen, Cassie“, sagte er rau.

Ihre Blicke trafen sich, und Cassie erkannte die tiefe Leidenschaft in seinen Augen. Aus irgendeinem Grund beunruhigte es sie weder noch störte es sie, wie vielleicht bei anderen Männern. Im Gegenteil, jetzt erfüllte es sie eher mit Vorfreude. Cassie konnte es kaum erwarten, wieder mit ihm zusammen zu sein.

„Ich auch, Brandon.“ Als ihr bewusst wurde, dass sie immer noch seinen Ärmel festhielt, ließ sie ihn hastig los, drehte sich um, öffnete die Tür und ging schnell hinein.

Brandon betrat seine Suite und ließ den Abend Revue passieren. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht, was er davon halten sollte.

Cassie Garrison war ganz und gar nicht so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Er hatte erwartet, einer selbstverliebten, rücksichtslosen Frau zu begegnen. Einer Frau, die es nicht interessierte, wen sie mit ihrem Egoismus verletzte. und die sich bestenfalls als launisch herausstellen konnte. Doch die junge Frau, mit der er zu Abend gegessen hatte, war nicht nur wunderschön, sondern verfügte auch über persönlichen Charme, Stil, Anmut und Wärme. Noch dazu strahlte sie eine Sinnlichkeit aus, der sie sich nicht einmal bewusst zu sein schien. Und Cassie war eindeutig intelligent, sie würde sicher keine unvernünftigen Entscheidungen treffen. Als sie über ihre Eltern gesprochen hatte, war Brandon nicht entgangen, unter welch tiefem Schmerz sie litt. Sie war noch lange nicht über den Verlust hinweg.

Er schüttelte den Kopf, als könnte er dadurch wieder klarer denken. Die Erinnerung daran, wie schnell Cassie sich in seiner Gesellschaft entspannt hatte, erfüllte ihn mit Freude. Zu seiner Überraschung hatte sich während des Gesprächs herausgestellt, dass sie viel gemein hatten. Sie lasen dieselben Bücher, liebten seltsamerweise beide Brokkoli und hörten die gleiche Art von Musik. Nachdem Cassie Vertrauen zu ihm gefasst und ihm verraten hatte, dass das Hotel ihr gehörte, hatte es Brandon stärker berührt als irgendetwas seit langer Zeit.

Insgeheim wünschte er, die Umstände wären anders – dass sie ihre Eltern nicht verloren hätte und er sie vor Johns Tod kennengelernt hätte. Aber vor allem wünschte er, sie nicht hintergehen zu müssen.

Er wollte nicht daran denken, am liebsten hätte er den Namen Cassie Garrison vergessen. Wenn er das alles doch nur als rein geschäftlich betrachten könnte. Wenn er sich einreden könnte, dass es nichts Persönliches war. Brandon wusste besser als die meisten Menschen, was es hieß, betrogen zu werden. Und dieser Gedanke war nicht gerade tröstlich.

Immer noch grübelnd, trat er auf den Balkon hinaus und blickte auf das Meer. Vielleicht würde der wundervolle Ausblick ihn beruhigen. Es war eine schöne Nacht; doch statt den Mond oder die Sterne zu bewundern, sah Brandon wieder Cassies lange, schlanke Beine vor sich, ihre dunklen Locken, das schöne Gesicht und ihre Lippen, deren Geschmack er nicht vergessen konnte. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass ihn ein Kuss je so erregt hatte.

Tief atmete er die Meeresluft ein und versuchte, sich zu fassen. Vergeblich, er glaubte, Cassies Parfum immer noch zu riechen.

Allmählich wurde er unruhig. Es war nicht seine Art, wegen einer Frau, die er kaum kannte, so aus dem Gleichgewicht zu geraten. Natürlich hatte er ihre Gesellschaft genossen, schließlich war er ein Mann und sie eine wunderschöne Frau. Trotzdem durfte er unter keinen Umständen vergessen, wer sie war und warum er hier war.

Fest entschlossen drehte er sich um und kehrte in seine Suite zurück.

Cassie stand an der Balkontür in ihrem Wohnzimmer und sah hinaus. In diesem Moment entdeckte sie Brandons Wagen, der die gusseiserne Toreinfahrt zu ihrem Anwesen passierte.

Während er dem gewundenen Weg folgte, der zum Haus führte, versuchte Cassie mit aller Kraft, die Erregung zu unterdrücken, die sie schon bei dem Gedanken an Brandon und den Kuss von gestern Abend überfiel. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie mit einem Mann zusammen gewesen, dessen bloße Gegenwart sie erschauern ließ. Cassie begehrte ihn so stark wie noch keinen Mann zuvor. Irgendwie war es ihr zum Glück gelungen, vernünftig zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen – bis zu dem Kuss. Wie er sie geküsst hatte … Allein die Erinnerung daran genügte, dass sie am ganzen Körper erbebte.

Hastig trat sie zurück, damit Brandon sie nicht dabei ertappte, wie sie ungeduldig nach ihm Ausschau hielt. Was ich schließlich auch nicht tue, sagte Cassie sich und hob stolz das Kinn. Ein spöttischer Gedanke nahm ihr jedoch die Illusion. Wem machst du eigentlich etwas vor?, fragte sie sich stumm.

Er parkte den Wagen vor ihrem Haus. Von ihrem Platz aus konnte sie ihn sehr gut sehen. Umgekehrt würde Brandon sie erst bemerken, wenn er ausgestiegen war. Cassie betrachtete sein Gesicht durch die Windschutzscheibe und stellte fast erschrocken fest, dass er bei Tageslicht sogar noch attraktiver war. Er löste den Gurt, öffnete die Tür und kam auf das Haus zu. Auch an diesem Tag war Brandon genauso tadellos angezogen wie gestern Abend.

Die Khakihose und dazu das schokoladenbraune Polohemd standen ihm ausgezeichnet. Der Mann strahlte eine Sinnlichkeit aus, die Cassie den Atem nahm. Plötzlich hob er den Kopf, sah zum Fenster und begegnete ihrem Blick. Sekundenlang sahen sie sich nur an, dann lächelte Brandon und winkte ihr zu.

Sie spürte, wie sich eine nie gekannte Hitze in ihr ausbreitete. Zögernd erwiderte Cassie seinen Gruß. Währenddessen überlegte sie verwirrt, warum dieser Mann eine so überwältigende Wirkung auf sie hatte. Woran lag es, dass sie ihn zu sich nach Hause einlud, in ihre Zuflucht, an den einzigen Ort auf der Welt, an dem sie noch die Gegenwart ihrer Eltern zu spüren glaubte? Warum war sie bereit, all das mit einem Fremden zu teilen?

Ihr blieb keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Brandon ging bereits auf die Tür zu. Cassie atmete tief ein, als könnte sie so ihre Nervosität bezwingen. Das Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals.

„Willkommen in meinem Haus.“

Er konnte den Blick nicht von ihr wenden. Brandon ermahnte sich im Stillen. Er versuchte, sich damit zu beruhigen, dass seine heftige Reaktion auf Cassie nur sexueller Natur sein konnte. Er begehrte sie mit einer Heftigkeit, die ihn irritierte. Ob er nun wollte oder nicht, er konnte der Anziehungskraft, die Cassie auf ihn ausübte, nichts entgegensetzen.

Sie trug wieder das Parfum, das ihn schon am vergangenen Abend so verzaubert hatte. Die ganze Nacht hatte er diesen Duft nicht vergessen können. Er nahm Cassies Hand, trat einen Schritt näher und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf ihr Kinngrübchen. „Vielen Dank für die Einladung.“

Nachdem er sie losgelassen hatte, zog sie sich lächelnd zurück, um ihn hereinkommen zu lassen. Ihr Haus war beeindruckend. Brandon war fasziniert. Nicht nur der Stil und die Farben, auch die Formen und das Design verbanden die traditionelle Pracht mit moderner Kühle und Einflüssen aus der Kolonialzeit. In jedem anderen Gebäude hätte diese Kombination übertrieben und unruhig gewirkt. Aber in diesem Haus vermittelte es eher den Eindruck von Wärme und Wohlstand. Die vielen verschiedenen Stilrichtungen bewiesen außerdem, dass Cassie einen erlesenen Geschmack hatte und sich sehr gut mit Inneneinrichtungen auskannte.

„Du hast ein sehr schönes Zuhause“, sagte er und ging sofort zum Du über. Nach dem Kuss kam es ihm albern vor, Cassie weiterhin zu siezen.

Er sah ihr an, dass sie sich über sein Lob freute. „Danke. Ich zeige dir den Rest. Obwohl es jetzt mein Haus ist, habe ich seit Moms Tod nichts verändert, weil wir den gleichen Geschmack hatten.“

Sie ging ihm voraus. „Kümmerst du dich allein um alles?“, fragte er interessiert, auch wenn er es sich nicht vorstellen konnte.

Wie erwartet schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich beschäftige das Personal, das auch für meine Eltern gearbeitet hat. Meine Angestellten waren schon lange bei uns und gehören fast zur Familie.“ Sie lächelte. „Allerdings können sie auch ein wenig zu fürsorglich sein, wenn es um mich geht. Schließlich kennen sie mich seit meinem zwölften Lebensjahr.“

In einem großen Raum blieben sie stehen. Brandon sah sich anerkennend um. Eine Wand des Wohnzimmers bestand vollständig aus deckenhohen Balkontüren. Die Aussicht auf das Meer war atemberaubend. Auch die persischen Teppiche gefielen Brandon sehr gut.

Vom Wohnzimmer schlenderten sie in ein Esszimmer und danach in die Küc...

Autor

Brenda Jackson
Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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