Bliss County: (K)ein Mann zum Heiraten

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Dunkle Haare, blaue Augen und ein Lächeln, das jeden dahinschmelzen lässt - Spence Hogan schafft es immer noch, Melodys Puls in die Höhe zu treiben. Dabei weiß die erfolgreiche Schmuckdesignerin genau, dass der Polizeichef kein Mann zum Heiraten ist. Dazu liebt er die Frauen viel zu sehr - und zwar alle Frauen.

Spence hat alles getan, um sich einen Ruf als Womanizer zu erarbeiten. Denn nie würde der unerschrockene Cop zugeben, dass er sich davor fürchtet, sein Herz zu verschenken. Allerdings hat Melody etwas an sich, das er seit ihren ersten gemeinsamen Date in der Highschool nicht mehr vergessen kann …


  • Erscheinungstag 01.09.2015
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783956494598
  • Seitenanzahl 300
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Bliss County – (K)ein Mann zum Heiraten

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christian Trautmann

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Marriage Charm

Copyright © 2015 by Hometown Girl Makes Good, Inc.

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz, John Hall Photography

ISBN eBook 978-3-95649-459-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Nach der Hochzeit …

Nachdem die meisten seiner Pflichten als Trauzeuge seines Freundes Tripp erledigt waren, stahl Spencer „Spence“ Hogan sich von der Hochzeitsfeier im Versammlungszimmer der öffentlichen Bibliothek davon. Braut und Bräutigam waren kurz zuvor verschwunden, vor Glück strahlend und verständlicherweise ungeduldig, endlich in die Flitterwochen starten zu können.

Bis zur Polizeistation dauerte es fünf Minuten. Dort ging Spencer durch den kleinen Eingangsflur, wobei er Junie McFarlane von der zweiten Schicht in der Funkzentrale nur kurz zunickte, ebenso wie den beiden mit ihr plaudernden, diensthabenden Beamten.

In seinem bescheidenen Büro tauschte er eilig den geliehenen Smoking und die polierten Schuhe gegen seine ausgewaschene Jeans, ein blaues Baumwollhemd und seine Alltagsstiefel, die er hier deponiert hatte. Er nahm seinen Hut vom Haken neben der Tür, setzte ihn auf und seufzte erleichtert. Endlich fühlte er sich wieder ganz wie er selbst und nicht mehr wie ein dressierter Affe.

Nachdem er wieder vorn war, verschaffte er sich einen Überblick über die Lage.

Die Deputys Nick Estes und Moe Radner, die gerade keinen Fall bearbeiteten, dafür allerdings eine erstklassige Arbeitsmoral ausstrahlten, saßen an ihren Schreibtischen. Beide waren Berufsanfänger, ihre Haare stoppelkurz, die Uniformen so gestärkt, dass die Faltkanten noch zu sehen waren, die Polizeimarken auf Hochglanz poliert.

Junie schaute zu Spence und lächelte. Sie war noch diesseits der vierzig und hübsch wie eine Countrymusik-Göttin. Glücklicherweise verzichtete sie weitgehend auf Make-up, zumindest wenn sie im Dienst war. Die aufwendige Frisur, falschen Wimpern, hautenge Jeans und Strasssteine sparte sie sich für die freien Abende auf. „Wie war die Hochzeit, Chief?“, erkundigte sie sich, wobei ihre grünen Augen funkelten. „Hat Hadleigh Stevens es diesmal geschafft, zu heiraten, oder ist wieder einer aufgetaucht und hat die Veranstaltung gesprengt?“

Genau wie Spence war Junie bei jener anderen Feier damals dabei gewesen, die inzwischen eine lokale Legende war wie der Bankraub von 1984 und der Zeit irgendwann in den 1950ern, als Elvis Presley und seine Entourage in einem Konvoi aus Limousinen auf dem Weg nach Yellowstone durch den Ort gerauscht war.

Leise lachte Spence. „Ja“, bestätigte er und erinnerte sich an die Beinahe-Hochzeit vor zehn Jahren. Tripp Galloway war es gewesen, der die naive, achtzehnjährige, bildhübsche Braut Hadleigh gerettet hatte – wenn auch gegen ihren heftigen Protest. Der sitzen gelassene Bräutigam war die Personifizierung des Mr Wrong gewesen, auch bekannt als Oakley Smyth.

Tripp war damals entschlossen in die kleine Kirche aus rotem Backstein marschiert, unmittelbar vor dem Jawort, und hatte ruhig verkündet, er könne tatsächlich einen triftigen Grund nennen, weshalb die zwei nicht in den heiligen Stand der Ehe treten dürften.

Verständlicherweise hatte Hadleigh seine Einmischung nicht gut aufgenommen; genauer gesagt kriegte sie einen erstklassigen Wutanfall und schlug mit ihrem Brautstrauß auf ihn ein, dass die Blütenblätter nur so umherflogen.

Da er ihr nicht mit Vernunft beikommen konnte, warf Tripp sich die Braut schließlich kurzerhand über die Schulter wie einen Futtersack und trug sie aus dem Gotteshaus.

An diesem Punkt der Ereignisse war Hadleighs Protest beachtlich eskaliert – sie trat, zappelte und schrie den ganzen Weg hinaus über. Dessen dürfte sie sich in der hellen Aufregung nicht bewusst gewesen sein.

Trotz Hadleighs Gekreische mischte sich niemand ein – weder der Reverend noch Alice Stevens, Hadleighs Großmutter und letzte lebende Verwandte, noch die verblüfften, dicht gedrängt in den Kirchenbänken sitzenden Gäste. Niemand rührte sich, und niemand sagte etwas.

Das war eigenartig angesichts der Dynamik von Kleinstädten im Allgemeinen und Mustang Creeks im Besonderen. Dort zögerten die Menschen für gewöhnlich nicht, einzuschreiten, wenn es Krawall gab, so wie die Bewohner von Großstädten es manchmal machen. Nein, die Leute vom Land waren Farmer und Cowboys, Zimmermänner und Elektriker, Trucker und Automechaniker, die sich einmischten und notfalls kämpften. Auch die Frauen konnten ziemlich wütend werden, mit oder ohne das Wissen um die Unterstützung ihrer Männer, allein oder gemeinsam.

Diesmal jedoch sahen alle nur tatenlos zu, Männer wie Frauen, während Hadleigh brüllte, sie werde „entführt, verdammt noch mal!“

Schließlich, so lautete hinterher die einhellige Meinung, handelte es sich bei Tripp nicht um einen Fremden mit dubiosen Absichten. Genau wie die empörte Braut, die er sich über die Schulter geworfen hatte, war auch er einer von ihnen, ein hart arbeitender Mann, durch und durch anständig – vielleicht ein bisschen wild in der Jugend und kein sonderlich pflichtbewusster Kirchgänger.

Er hatte seinem Land gedient, ehrenhaft, noch dazu in Kriegszeiten. An Orten wie Mustang Creek zählte so etwas.

Oakley hingegen, ebenfalls aus dem Ort und aus einer prominenten Familie stammend, hatte nie großen Ehrgeiz an den Tag gelegt, während des gesamten Studiums Party gemacht und sich den Ruf erworben, stets den leichtesten Weg zu gehen.

Man verabscheute ihn nicht, geschätzt wurde er allerdings deswegen noch lange nicht.

Die Einheimischen fragten sich höchstens, was ein hübsches und intelligentes Mädchen wie Hadleigh Stevens an diesem Kerl fand. Sie hätte jeden haben können.

An diesem Punkt seiner Erinnerung holte Junie Spence zurück ins Hier und Jetzt mit einem leisen, wehmütigen „Ist das nicht romantisch? Wie Tripp und Hadleigh doch noch zusammengekommen sind, trotz der Ereignisse von damals …“

Spence rückte seinen Hut zurecht und erwiderte skeptisch: „Romantisch?“ Allein das Wort zu hören, ganz zu schweigen davon, es laut auszusprechen, machte ihn leicht nervös, auch wenn er das nicht zugegeben hätte. Natürlich freute er sich für die Frischvermählten – Tripp und Hadleigh wollten wirklich den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen und waren ganz offensichtlich füreinander bestimmt. Sie waren auf getrennten, langen und meist einsamen Pfaden gewandert, ehe ihre Wege sich endlich erneut kreuzten. Und nach einigem Hin und Her beschlossen sie, die Art von Beziehung zu führen, die praktisch jedem Sturm standhielt.

Wenn jemand ein Happy End verdient hatte, dann diese beiden.

Doch Spence’ Ansicht nach waren Tripp und Hadleigh eher die Ausnahme, nicht die Regel. Er fühlte das, was er immer empfand, wenn ein Freund heiratete – eine gewisse bittersüße Erleichterung darüber, dass er nicht der Bräutigam war und vor Gott und aller Welt schwören musste, durchzuhalten, in guten wie in schlechten Zeiten und so weiter.

Wenn es die „guten Zeiten“ gab, fabelhaft. Her mit dem Haus und dem weißen Gartenzäunchen, dem regelmäßigen Sex und der Kinderschar, die für gewöhnlich folgte.

Doch was, wenn die „schlechten Zeiten“ anbrachen? Die Statistiken belegten eindeutig, dass die Chancen für eine gute Ehe fünfzig zu fünfzig standen. Spence vertrat die Auffassung, dass man am besten frühzeitig Heartbreak Hotel buchen sollte. Dann konnte man wenigstens irgendwohin, wenn das Feuer der Liebe erloschen war und der Ärger so richtig losbrach.

Bitte ein Einzelzimmer auf unbestimmte Zeit.

Er mochte Frauen und versteckte das auch nicht. Doch sein Ruf hatte sich verselbstständigt, denn länger als ein oder zwei Dates hielt er nicht durch. Dafür gab es Gründe, genau genommen einen Grund, und der hatte einen Namen. Aber wen ging das überhaupt etwas an?

In Herzensangelegenheiten ganz klar kein Optimist, machte Spence um jede engere Bindung einen großen Bogen, solange es möglich war. Man hielt ihn für einen Womanizer, sogar für einen Schürzenjäger, und wenn diese Wahrnehmung nicht ganz mit den Tatsachen übereinstimmte, so war es das halt. Niemand musste die Seite an ihm kennen, die er sorgsam verbarg – oder wissen, dass er praktisch unfähig war, ein Versprechen zu brechen, egal, als wie dumm es sich im Lauf der Zeit erweisen würde. Was auch geschehen mochte, er würde – konnte – nicht derjenige sein, der resignierte.

Sein Vater hatte die Familie verlassen, als es Schwierigkeiten gab, und in die Fußstapfen dieses Mannes zu treten, war das Letzte, was Spence wollte. Gegen die DNA von Judd Hogan konnte er nichts tun, doch alles andere war eine Frage der eigenen Entscheidung.

Wenn die Frau, die er heiratete, eines Tages die Scheidung wollte, würde er nicht versuchen, es ihr auszureden, oder sie gar unter Druck setzen. Aber er wäre viel sturer, wenn er den ersten Schritt dafür machen sollte. Nicht nur das, ihm war tief im Innern klar, dass er sich wie ein Feigling fühlen würde, sollte er jemanden in Zugzwang bringen.

Er war beinah dankbar, dass Junie ihn erneut aus seinen Gedanken riss. Sanft berührte sie ihn am Arm, und in ihren Augen lag ein verschmitzter Ausdruck, der verriet, dass sie ihn durchschaut hatte.

„Was?“, fragte Spence gereizter, als er eigentlich war, wobei er darauf achtete, nicht zu laut zu sprechen. Auf der anderen Seite des Raumes saßen Estes und Radner über ihren Tastaturen und tippten fleißig vor sich hin. Spence vermutete, dass sie irgendwelche Computer-Ballerspiele spielten oder ihre Profile auf irgendeiner Social-Media-Website aktualisierten, statt Fahndungsaufrufe oder sonstige, für den engagierten Deputy interessante Informationen zu lesen, wie sie ihn zweifellos glauben lassen wollten.

Das hieß allerdings nicht, dass sie ihre Ohren nicht spitzten, während er sich hier mit Junie unterhielt. Bestimmt hofften sie darauf, ein bisschen Klatsch aufzuschnappen, den sie zu Hause an ihre schwatzhaften jungen Frauen weitergeben konnten. Obwohl nichts dran war an den Gerüchten, dass er und Junie seit Jahren eine On/Off-Affäre hätten, kursierten sie eben dennoch.

Junies Grinsen wurde geradezu hinterhältig. Spence und sie waren schon befreundet gewesen, lange bevor sie Kollegen wurden, darum wusste sie meistens genau, was in ihm vorging. Und sie erinnerte ihn gern daran.

Freunde waren sie geworden, als Spence’ Mutter ihn mit neun Jahren bei ihrer Schwägerin absetzte und laut verkündete, genug sei genug und sie habe die Nase voll davon, Mutter zu sein, Verantwortung zu tragen, Entscheidungen zu treffen und ständig Opfer zu bringen. Schluss, aus, vorbei.

Kathy Hogan war nie mehr dieselbe gewesen, nachdem Spence’ Vater sie wegen einer anderen verlassen hatte, einer Jüngeren und Dünneren natürlich. Die Wahrheit lautete jedoch, dass seine Mom schon vor der Scheidung nicht gerade der fürsorgliche Typ gewesen war. Zu ihren Gunsten sprach, dass Kathy ein paar halbherzige Versuche unternommen hatte, ihren Elternpflichten gerecht zu werden. Nachdem sie Spence bei seiner Tante Libby abgeliefert hatte, tauchte sie unregelmäßig auf, um ihren Sohn abzuholen, „heim“ nach Virginia, gegen seinen und Libbys Protest. Allerdings strahlte sie nie etwas Warmherziges bei ihren ungeduldigen Bemühungen aus, und früher oder später landete Spence stets wieder in Mustang Creek.

Als Judd und seine neue Frau bei einem Bootsunfall drei Jahre nach ihrer Heirat ums Leben kamen, starb ganz offensichtlich etwas in Spence’ Mom mit ihnen. Auf Libbys Beharren hin hörte sie auf, ihren Sohn ständig von einem Ort zum anderen zu schleppen, was der einzige Lichtblick in dieser ansonsten ziemlich dunklen Zeit war.

Seufzend verdrängte er die Erinnerungen an jene erste Trennung seines Lebens, obwohl ihm bewusst war, dass sie mit Macht zurückkehren würden. Sobald er glaubte, es bewältigt zu haben, überwältigte ihn das ganze traurige Szenario wieder.

Wären Libby, die älteste Schwester seines Vaters, und Junie nicht gewesen, die in der Nähe wohnte und sich selbst zu Spence’ neuer besten Freundin ernannte, wäre er als Teenager wohl einfach davongelaufen. Es war nicht so, dass er nie daran gedacht hätte.

Das Resultat: Er zweifelte an der Ehe. Er mochte Frauen, keine Frage, aber möglicherweise hatte sein Vertrauen in sie mehr als nur ein bisschen gelitten.

Ach wirklich?

Er bemühte sich um einen entschlossen wirkenden Gesichtsausdruck, ehe er Junies herausforderndem Blick begegnete. „Ich haue ab“, erklärte er brummig. „Falls du mich brauchst – und sorg dafür, dass das nicht passiert –, ich bin drüben im Moose Jaw. Danach will ich nach Hause, aufräumen, mir etwas zu essen machen und schlafen, bis ich verdammt noch mal wieder Lust zum Aufstehen habe.“ Er wandte sich ab, rückte seinen Hut ein weiteres Mal zurecht und blieb lange genug stehen, um die beiden Deputys zu ermahnen. „Da draußen gibt es eine Stadt“, rief er ihnen ins Gedächtnis und deutete vage in die Richtung. „Wenn ihr es also irgendwo in eurem engen Zeitplan unterbringen könntet, Streife zu fahren, würde ich eure Bemühungen wirklich zu schätzen wissen. Die Steuerzahler übrigens auch. Wir hatten in letzter Zeit diese Einbrüche. Ich denke, ein wenig Präsenz zu zeigen wäre nicht schlecht.“

Radner und Estes erröteten, sprangen auf, schnappten sich Schlüssel und Ausrüstung und eilten zum Ausgang. Sie riefen im Chor „Jawohl, Sir“ und fielen beinah in ihrer Hast übereinander, hinauszueilen und die Wahrheit, die Gerechtigkeit und den amerikanischen Traum zu schützen.

Im Nu waren sie verschwunden, was Spence ganz recht war, zumindest meistens.

„Du hast Spaß daran, den beiden armen Jungs dabei zuzuschauen, wie sie wie zwei Idioten herumstolpern“, bemerkte Junie amüsiert, jetzt wieder an ihrem Platz hinter dem Schreibtisch.

„Ja“, gestand er. „Stimmt. Wahrscheinlich steigt mir die Macht zu Kopf.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Wir sehen uns.“

Normalerweise ließ Junie einen von ihren Sprüchen hören, diesmal allerdings läutete das Telefon, darum sagte sie nur beiläufig: „Ja, bis dann“, ehe sie in nüchternem Ton fragte: „Mustang Creek Police Department. Was kann ich für Sie tun?“

Spence wartete nicht, bis Junie das Gespräch beendete hatte und ihm eine Zusammenfassung davon gab, da ihm alles, was er wissen musste, per Handy mitgeteilt werden konnte oder durch das topmoderne Kommunikationssystem in seinem Pick-up. Echte Notfälle waren glücklicherweise selten in dieser Gegend. Die meisten Anrufe kamen wegen hilfloser Katzen, seltsamen Geräuschen aus dem Keller oder vom Dachboden, kleineren Blechschäden, rücksichtslosen Nachbarn, die jemandes Einfahrt blockierten oder die Musik zu laut aufgedreht hatten. Gelegentlich klagten Eltern über Teenager, die schon seit Stunden zu Hause sein sollten und nicht auftauchten. Die diensthabenden Beamten sollten in der Lage sein, jedes dieser gewöhnlichen Probleme zu lösen.

Diese Einbrüche jedoch machten Spence zu schaffen. Das war definitiv nicht üblich in ihrer ruhigen kleinen Stadt. Es beunruhigte ihn, dass die Diebe genau zu wissen schienen, wohin sie gehen mussten. Auf dem Parkplatz vor dem Polizeirevier fuhren besagte Deputys in den schicken SUVs – Eigentum der Stadt – los, der eine in östlicher Richtung, der andere in westlicher.

Spence grinste. Vor sechs Monaten hatte er Estes und Radner persönlich aus einer ganzen Schar Bewerber frisch von der Akademie ausgesucht, nachdem der Bürgermeister und der Stadtrat sein Budget erhöht hatten. Die zwei sind gute Cops, dachte er, als er vor seinem blauen Pick-up mit erweiterter Passagierkabine stand. Und sie würden mit der Zeit und mit mehr Erfahrung immer besser werden. Auf jeden Fall hatten sie das Zeug dazu.

Er stieg in seinen Wagen, ließ den Motor an und blickte reumütig auf das blau schimmernde Display im Armaturenbrett. Danach machte er sich auf den Weg zu Moose Jaw Tavern am Rande der Stadt. Viel lieber wäre er nach Hause gefahren, damit er die noch zu schaffende Arbeit erledigen und anschließend ins Bett fallen konnte. Schließlich hatte er offiziell für den Rest der Woche frei, und er hatte sich ein wenig Erholung verdient.

Aber da er Trauzeuge war, legte man auf sein Erscheinen auf der Feier nach dem offiziellen Hochzeitsempfang Wert, egal, wie kurz es sein mochte. Spence wusste, dass Tripp es ihm verziehen hätte, wenn er die Feierlichkeiten ausgelassen hätte – mittlerweile dürfte der frischgebackene Bräutigam ohnehin wilden Sex mit seiner heißen Ehefrau haben, dieser glückliche Mistkerl. Mustang Creeks lange schon bestehende Hochzeitstradition dürfte Tripp momentan eher nicht durch den Kopf gehen, und wer könnte ihm das verdenken?

Mit dem eigenartigen Gefühl in seinem Bauch wollte Spence sich lieber nicht weiter beschäftigen.

Es kam einfach nicht infrage, am Moose Jaw vorbeizubrausen und nicht reinzuschauen. Wenn er nicht auftauchte, würde nur wieder getratscht werden. Zum Beispiel, dass er in Hadleigh verliebt sei, trotz seiner Freundschaft mit Tripp. Dass er sich während der Zeremonie zusammengerissen und auch bei der Feier eine gute Miene zum bösen Spiel gemacht habe, sich nun jedoch nur abschotten würde. Dass er nach Hause gefahren sei, um seine Wunden zu lecken.

Natürlich war das alles Unfug. Er mochte Hadleigh, sehr sogar. Und sie sah tatsächlich gut aus, keine Frage.

Dennoch hatte es nie zwischen ihnen geknistert, weshalb Spence umso verärgerter gewesen war, als sich dieses Gerücht verbreitete. Es war noch lächerlicher als das über Junie. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er kurz nacheinander eine Reihe lockere Beziehungen zu Frauen unterhalten. Aber bei genauer Betrachtung hätte jedem schnell klar werden müssen, dass es nur deshalb so viele gewesen waren, weil er mit keiner dieser Frauen wirklich zusammen war. Selbst seine Freundschaft mit Trudy Reinholt war nur das – reine Freundschaft. Bis sie anfing, mehr zu erwarten, als er bereit war, zu geben. Mehr, als er geben konnte …

Also würde er sich im Moose Jaw sehen lassen und klarstellen, dass er keiner verflossenen Liebe nachtrauerte.

Außerdem war er der Polizeichef, ob im Dienst oder nicht. Es war sein Job, für Frieden zu sorgen, und dafür musste er mal einen Blick auf die Leute werfen. Bei den Hochzeitsgästen handelte es sich überwiegend um vernünftige Menschen, alles Freunde der Braut und des Bräutigams. Aber heute war Samstag, also waren garantiert auch die Stammgäste des Ladens da, und Touristen. Spence’ Erfahrung nach kochten die Emotionen bei sentimentalen Angelegenheiten wie Hochzeiten, Feiertagen oder Beerdigungen schneller hoch – bei symbolträchtigen Veranstaltungen. Mix noch ein bisschen Alkohol dazu, und alles konnte passieren.

Kurz darauf kam das Moose Jaw in Sicht, und es schien tatsächlich mächtig Betrieb zu herrschen. Autos, Pick-ups, Motorräder und so ziemlich jeder fahrbare Untersatz bis auf Skateboards standen dicht an dicht auf dem Schotterparkplatz, ohne erkennbare Ordnung. Die Fahrzeuge waren kreuz und quer abgestellt worden, als hätten ihre Insassen sie in Panik verlassen. Das ergab ein chaotisches Bild wie aus der Schachtel gekippte Dominosteine.

Wenn die Feiernden es schon so eilig gehabt haben, Bier in sich hineinzuschütten, in welcher Verfassung werden sie dann erst sein, wenn die Bar schließt? fragte Spence sich müde.

Seufzend stieg er aus dem Pick-up. Er war mittlerweile seit vierundzwanzig Stunden auf den Beinen, da er am Freitag eine Doppelschicht geschoben hatte, ehe er zu Tripps Junggesellenabschied aufgebrochen war. Entsprechend müde war er – und hungrig noch dazu, denn seit der Pizza vom Vorabend hatte er nur ein Stück Kuchen, eine Handvoll lindgrüner Häppchen und ein Lachs-„Sandwich“ von der Größe eines Silberdollars gegessen.

Er brauchte Protein, vorzugsweise in Form eines dicken Steaks, medium, und eine lange heiße Dusche, nachdem er die Tiere – ein Pferd und einen Hund – gefüttert hatte. Danach konnte er endlich ins Bett fallen und schlafen.

Sein schwarz-weißer Mischlingshund Harley, in dem sich eine ganze Reihe geheimnisvoller Hunderassen vereinigt fanden, würde Ausschau nach ihm halten und wie ein Geier auf der Wohnzimmercouch hocken, durchs Panoramafenster spähen und die Glasscheibe mit seinem Atem beschlagen.

Der steingraue Wallach namens Reb, in Gedenken an Spence’ Südstaatenherkunft, graste vermutlich zufrieden auf der Weide neben dem Stall und genoss den Sommer. Allerdings waren Pferde von Natur aus gesellige Wesen, ob wild oder gezähmt, und sie brauchten Gesellschaft.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf war Spence versucht, gleich wieder umzukehren und zu seiner Ranch zu fahren. Er würde einfach so tun, als habe er nie die Absicht gehabt, im Moose Jaw vorbeizuschauen.

Stattdessen fügte er sich in sein Schicksal und überquerte den Parkplatz. Die Bar gab es, seit die ersten Siedler sich hier niedergelassen hatten, damals war sie noch ein echter Westernsaloon gewesen. Das Gebäude neigte sich ein wenig zu einer Seite, wie ein Betrunkener. Das Dach fiel schräg ab, und Roststreifen markierten jeden Nagel. Die nie gestrichenen Verbundplatten waren inzwischen zu einem schmutzigen Grau verwittert.

Spence nahm sich fest vor, höchstens zehn Minuten zu bleiben. Er würde sehen und gesehen werden, Hallo sagen zu denjenigen, bei denen ein paar Worte nötig waren, die Lage einschätzen und sich dann schleunigst wieder auf den Weg machen.

Pflichtbewusst öffnete er die Tür.

Ich werde zehn Minuten bleiben, versprach er sich noch einmal. Länger nicht.

Die Musik dröhnte viel zu laut aus der Jukebox, und das Moose Jaw war viel zu voll.

Zumindest nach Melody Nolans Ansicht. Alle anderen hingegen schienen sich prächtig zu amüsieren. Sie feierten ausgelassen, lachten, tanzten und konsumierten reichlich Bier.

Oh, natürlich gab es auch einen guten Grund, zu feiern. Hadleigh und Tripp waren endlich verheiratet, und das war praktisch ein Wunder, wenn man bedachte, wie stur die beiden sein konnten. Außerdem konnte Melody sich mit der Erkenntnis trösten, dass der geheime Heiratspakt, den sie, Hadleigh und Bex vor einigen Monaten geschlossen hatten, tatsächlich funktionierte. Eine Hochzeit hatte gerade stattgefunden, zwei fehlten noch.

Melody strich über den winzigen goldenen Pferdekopf, ein Symbol des Triumphs, nicht nur für Hadleigh, die erste Braut, sondern auch für Bex und sie. Sie hatte diese funkelnden Talismane selbst entworfen und hergestellt, für jede der drei Freundinnen einen. Dieser erste Anhänger repräsentierte Hadleighs Beziehung zu Tripp, einem Rancher und Vollblutcowboy.

So weit, so gut.

Melody freute sich schrecklich für Hadleigh, die eine ihrer beiden besten Freundinnen war. Wahrscheinlich lag es nur an der Müdigkeit und den schmerzenden Füßen, dass sie sich im Moment etwas verloren vorkam, ungewöhnlich gereizt und den Tränen nahe.

Trotz der Pein wagte sie es nicht, ihre hochhackigen Pumps einfach auszuziehen. Da sie eine von Hadleighs Brautjungfern war, trug sie diese Schuhe nun schon seit über sechs Stunden.

Täte sie es doch, würde sie es schnell bereuen, denn ihre geschundenen Füße würden anschwellen und es unmöglich machen, jemals wieder in diese elenden High Heels hineinzugelangen. Darüber hinaus hatte Melody nicht die geringste Lust, den ganzen Abend barfuß herumzulaufen, da der mit Sägespänen bedeckte Fußboden reichlich dreckig war. Mal außer Acht gelassen, dass überenthusiastische Tänzer ihr auf die Füße treten konnten.

Also litt sie, wenn auch nicht in aller Stille.

Nachdem ihre zweite beste Freundin Bex – die Kurzform von Becca – Stuart zu ihrem Tisch mit der klebrigen Tischplatte zurückgekehrt war, lachend und außer Atem nach einem weiteren Texas-Two-Step mit einem weiteren Cowboy, warf Melody ihr einen finsteren Blick zu.

„Warum tanzt du nicht?“, rief Bex ihr durch den Lärm zu.

„Und warum humpelst du nicht?“, entgegnete Melody. Bex hatte die gleichen Schuhe an wie sie – gelb, spitz zulaufend und hoch wie Stelzen. Diese High Heels waren hier völlig fehl am Platz. Hier trug man Cowboystiefel.

Wegen des Geräuschpegels war Bex’ Seufzen eher sichtbar denn hörbar. Der Pferdekopf-Anhänger funkelte, während sie die Hand hob, um sich eine Strähne kunstvoll gefärbten Haars aus dem Gesicht zu streichen. „Ehrlich, Mel“, meinte sie, und Melody las es von ihren Lippen. „Musst du eine solche Spaßbremse sein?“

Melody betastete leicht zerknirscht den Talisman an ihrem Armband. „Mir geht’s gut“, log sie.

Doch Bex schüttelte nur den Kopf. Die Frau war ein regelrechter Fitnessguru. Sie lebte sozusagen in Sportschuhen und stakste nie auf Zehn-Zentimeter-Absätzen herum. Warum hat sie dann keine Schmerzen? Es musste an ihren trainierten Waden liegen, die sie den Sportkursen verdankte, die sie in einem ihrer Fitnesscenter gab. „Das klingt nicht sehr überzeugend.“

Lass mich doch weiter in Selbstmitleid versinken. Mitten in diesem Gedanken verspürte Melody ein seltsames warmes Kribbeln zwischen den Fingern und hob abrupt den Arm, als käme es direkt vom Anhänger. Sie setzte sich ein wenig aufrechter und spähte zum Eingang der Bar.

Und dort stand er. Spence Hogan, der einzige Mann, der ihr jemals das Herz gebrochen hatte.

Allerdings nicht nur ihres, sondern das so ziemlich jeder attraktiven Frau, mit der er zu tun gehabt hatte. Er sollte ein Schild mit der Aufschrift „Herzensbrecher“ um den Hals tragen. Anscheinend war es unmöglich, als Frau in dieser Stadt zu leben und sich kein Date mit ihm zu wünschen. Viele hatten eines bekommen. Aber Melody hörte nicht mehr hin, wenn über ihn getratscht wurde.

Spence trat gerade ein, den Hut in der Hand. Er war so groß, dass er sich im Türrahmen beinah ducken musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen.

Es dürfte eigentlich nicht möglich sein, dennoch sah er in Jeans und lässigem Hemd noch besser aus als in dem eleganten Smoking, in den er sich zur Hochzeit geschmissen hatte. Der Kerl verleiht dem englischen Ausdruck „best man“ für „Trauzeuge“ eine ganz neue Bedeutung, dachte Melody grimmig. Ihre zunehmende Gereiztheit verdankte sie der Tatsache, dass sie in den letzten Tagen viel zu viel Zeit mit ihm verbracht hatte. Beim Abendessen vor der Hochzeit hatte sie sogar neben ihm sitzen müssen! Wenn Tripps Vater Jim und seine neue Frau dieses Essen nicht ausgerichtet hätten, wäre sie richtig wütend über diese Sitzordnung gewesen. Doch Jim war ein Schatz, und seine Frau hatte vermutlich keine Ahnung, dass Melody und Spence eine gemeinsame Vergangenheit verband. Außerdem entsprach die Sitzordnung der Logik, da sie Brautjungfer war und er Trauzeuge.

Best man.

Bester in was? Aussehen? Als Liebhaber? Oder darin, Träume zu zerstören?

Allein sein Anblick brachte sie aus dem Konzept, was eigenartig war, weil sie nicht nur während der Feier die erzwungene Nähe überstanden hatte, sondern den Großteil ihres Lebens in der gleichen kleinen Gemeinde wie er gelebt hatte. Da blieb es gar nicht aus, dass man sich immer wieder über den Weg lief – trotz Melodys Bemühungen, genau das zu vermeiden.

Dennoch spielten ihre Nerven verrückt wie bei einem überlasteten Stromkreis.

Warum, fragte sie sich panisch, kann ich nicht einfach wegschauen und vorgeben, Spencer Hogan wäre unsichtbar, wie ich es sonst auch immer mache?

Ihr fiel keine Antwort ein, und das allein war schon ärgerlich, denn Melody hatte stets eine Antwort auf alles. Nur nicht, wenn es um Spence ging. Spence mit dem lässigen, selbstbewussten Cowboygang und den lebhaften blauen Augen. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie geschworen, dass er gefärbte Kontaktlinsen trug. Dieses dunkle Blau war faszinierend, selbst aus der Entfernung. Das Gleiche galt für seine dunklen Haare, die breiten Schultern, die enge Jeans, die seine schmale Taille betonte, die langen Beine … irgendwie schafften all diese vertrauen Dinge es jedes Mal aufs Neue, Melody zu überraschen.

Spence war dreizehn Jahre alt gewesen, als er in jenem denkwürdigen Sommer zum ersten Mal auf Melodys Radar erschienen war. Sie war damals gerade erst sechs und schon dick befreundet mit Bex und Hadleigh. Alle drei sollten im Herbst in die erste Klasse kommen.

Weil Spence mit Hadleighs großem Bruder Will und Tripp Galloway befreundet war, hielt er sich oft im Haus der Stevens auf, spielte Basketball in der Auffahrt mit den anderen Jungen aus der Nachbarschaft oder Rhythmusgitarre in Will und Tripps Garagenband.

Eines Tages in jenem Sommer fiel er ihr definitiv auf, und damit begann ein ernster Fall von Heldenverehrung.

Dabei handelte sich um nichts Bedeutungsloseres als eine abgesprungene Kette an ihrem Fahrrad, wegen der Melody auf der Straße stürzte. Spence traf zufällig in genau diesem Moment bei Will ein und sprang von seinem alten klapprigen Rad. Er lief zu ihr, half ihr auf und untersuchte ihr zerschrammtes Knie und den Ellbogen, ohne sich abfällig über ihre Tränen zu äußern. Stattdessen wischte er sie mit einem Zipfel seines T-Shirts weg. Dann brachte er Melody ins Haus, wo er sie den fürsorglichen Händen von Hadleighs Großmutter überließ. Als Melody wieder nach draußen ging, frisch verpflastert, stand ihr Fahrrad repariert neben der Garage.

„He, ist alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte er sich; er schien wirklich an ihrer Antwort interessiert.

Nachdem sie genickt hatte, sagte Tripp: „Ich habe deine Kette eingestellt. Sie war viel zu locker.“

Will fügte noch hinzu: „Das letzte Mal, als ich mich so hingelegt habe, musste ich auch weinen. Ich kam mir überhaupt nicht wie ein Baby oder so vor.“

Dann widmeten sie sich wieder ihrem Basketballspiel.

Das war’s.

Doch sowohl Hadleigh als auch Bex waren beeindruckt. Ihrer Erfahrung nach nahmen diese Jungs für gewöhnlich nicht einmal ihre Existenz zur Kenntnis.

Rein äußerlich hatte sich nach diesem Tag nichts geändert. Will und Tripp tolerierten Hadleigh und ihre zwei Freundinnen, verhielten sich ihnen gegenüber aber neutral, und Spence machte es genauso.

Hadleigh, Bex und Melody hingegen verband das Geheimnis, dass nichts mehr so sein würde wie vorher. Sie flüsterten und kicherten miteinander und versuchten, dieser neuen Faszination auf den Grund zu gehen. Es dauerte jedoch noch Jahre, bis es ihnen endlich gelang.

Und heute, nach all dieser Zeit, waren Hadleigh und Tripp schwer verliebt und hatten den heiligen Bund der Ehe geschlossen.

Zufall? Wahrscheinlich nicht, dachte Melody mit einer gewissen Tiefsinnigkeit, die zweifellos den Ereignissen dieses Tages geschuldet war, während sie einen Schluck von dem Bier trank, das irgendein Cowboy ihr spendiert hatte. Sie glaubte wirklich, dass diese Hochzeit der Höhepunkt einer Geschichte war, die ihren Anfang genommen hatte, als sie alle noch Kinder gewesen waren.

Der Märchenaspekt ihrer gemeinsamen Vergangenheit wäre noch stärker hervorgetreten, wenn Bex und Will als Erwachsene ein Liebespaar geworden wären, so wie Hadleigh und Tripp. Nur war Will in Afghanistan ums Leben gekommen. Bex war zwar mit vielen Männern ausgegangen, besonders während ihrer Collegezeit, doch den Richtigen hatte sie nie getroffen.

Was Melody und Spence betraf, so hatten sie eine Sommeraffäre, bis ihr klar wurde, dass er keine ernste Beziehung wollte, während sie schon von einer gemeinsamen Zukunft träumte, inklusive Haus, Kindern und dem ganzen Rest. Am Ende hatte sie sich komplett zum Narren gemacht, indem sie mit einem Heiratsantrag herausgeplatzt war, an einem perfekten Abend im Juli, zum Ende des Feuerwerks anlässlich des Unabhängigkeitstages. Nie würde sie vergessen – und sie hatte es weiß Gott versucht –, mit welchem Gesichtsausdruck Spence sie angeschaut hatte, bevor er antwortete.

Statt seines typischen Grinsens und eines „Ja, klar, das tun wir“, wie Melody es erwartet hatte, tätschelte er ihr im übertragenen Sinn den Kopf, um ihr anschließend sehr behutsam zu erläutern, dass er dafür noch nicht bereit sei. Und sie im Übrigen auch nicht, sie hatte ja noch nicht einmal ihren Collegeabschluss in der Tasche.

Melody brauchte zwei Jahre, um darüber hinwegzukommen. Sie nippte wieder an ihrem lauwarmen Bier, wobei sie sich an diesen Abend erinnerte.

Als sie unter Tränen von ihm wissen wollte, ob er sie liebe, hatte er Ja gesagt. Sie bedeute ihm etwas, sehr viel sogar. Und das sei ein weiterer Grund, weshalb er nicht derjenige sein wolle, der ihrer Karriere im Weg stehe und womöglich ihr Leben beeinträchtige, weil sie keine Gelegenheit mehr bekäme, Orte zu bereisen, Dinge zu lernen und zu entscheiden, was sie eigentlich wirklich wollte.

Bevor Melodys Universum in einem schwarzen Loch verschwand, hatten sie und Spence buchstäblich jeden freien Moment miteinander verbracht. Nach und nach waren sie sich nähergekommen, bis sie miteinander schliefen, zum ersten Mal langsam und wundervoll unter einem von Sternen funkelnden Himmel, und danach an jedem ungestörten Ort, den sie finden konnten.

Melody hatte Spencer Hogan von ganzem Herzen geliebt. Und naiv, wie sie war, tatsächlich angenommen, dass er ihre Liebe erwiderte.

Bis es vorbei war. Spence tröstete sich sofort mit Junie McFarlane, und Melody blies Trübsal, bis es Ende August an der Zeit war, wieder ans College zurückzukehren. Dort lief sie wie eine Schlafwandlerin herum, war nicht bei der Sache und deprimiert. Ihr war klar, dass sie etwas ändern musste, und wechselte ihr Hauptfach. Anstatt Jura studierte sie Kunst, da sie es schon immer gemocht hatte, mit Materialien und Farben zu arbeiten und etwas zu gestalten. Und als das nichts half, versteckte sie sich im Studentenwohnheim, ließ Kurse und Mahlzeiten ausfallen und schlief kaum noch eine Nacht durch.

Melodys Mutter war außer sich vor Sorge. Nach Jahren als Witwe hatte sie gerade wieder geheiratet und wollte nach Casper ziehen. Die Erkenntnis, dass sie ihre Mutter daran hinderte, ihr neu gefundenes Liebesglück zu genießen und ihr außerdem großen Kummer bereitete, hellte Melodys Stimmung nicht gerade auf.

Wäre sie in dieser Situation ganz auf sich selbst gestellt gewesen, hätte sie es sicher nicht geschafft.

Glücklicherweise ließen Bex und Hadleigh nicht zu, dass sie sich selbst zerstörte. Sie griffen ein und stellten Melody in dem kleinen Zimmer, das sie sich auf dem College teilten, zur Rede. Zuerst sperrte Melody sich und verlangte, in Ruhe gelassen zu werden. Doch ihre Freundinnen blieben hartnäckig und gaben einfach nicht auf.

Sie setzten ihr so lange zu, bis Melody alles versprochen hätte, um wieder fünf Minuten allein zu sein. Als die zwei merkten, dass Melodys Widerstand gebrochen war, drängten sie sie, den Pyjama auszuziehen, den sie seit Tagen trug, zu duschen und in ihre Lieblingssachen zu schlüpfen.

Danach schleppten Bex und Hadleigh sie vom Campus in die nächstgelegene Mall und dort zu einem von diesen Friseurläden, in dem ein sehr schwuler Typ mit pinkfarbener Irokesenfrisur und einer verstörenden Anzahl an Bodypiercings sie in einen Stuhl drückte, um sich ihren ungekämmten Haaren so lange mit Schere und Spray zu widmen, bis sie wieder aussah wie sie selbst.

Wunderbarerweise war das erst der Anfang der Aktion „Rettet Melody vor sich selbst“.

Anschließend verkündeten Bex und Hadleigh, sie kämen um vor Hunger, weshalb alle drei in den Restaurantbereich marschierten und sich nach einigem Hin und Her für Yakisoba, Chicken Teriyaki und Frühlingsrollen entschieden.

Dann gingen sie frisch gestärkt ins Kino, um sich einen oder zwei Filme anzuschauen. Am Ende guckten sie ganze drei Filme hintereinander, zwei Frauenfilme und einen apokalyptischen Actionfilm.

Am nächsten Tag besuchte Melody wieder ihre Vorlesungen, und in den nachfolgenden Wochen halfen Bex und Hadleigh ihr, den versäumten Stoff aufzuholen.

Bei der Erinnerung an diese Zeit musste Melody lächeln – hier an dem klebrigen Tisch in der Moose Jaw Tavern, trotz ihrer schmerzenden Füße.

Diese Episode war längst Geschichte, und dennoch beobachtete sie Spence, wie er hier und dort stehen blieb, um ein freundliches Wort zu wechseln, jemandem die Hand zu schütteln oder über einen Witz zu lachen. Sie schaffte es einfach nicht, ihn zu ignorieren.

Er trat an die Bar, sprach mit dem Mann hinterm Tresen und ging wieder – ohne einen Drink. Spence trank selten Alkohol. Er hatte ihr einmal erzählt, der Alkohol glätte die harte Realität ein bisschen zu sehr, was immer er damit meinte.

Mit einiger Mühe gelang es Melody, den Blick von ihm abzuwenden. Ihr Gesicht brannte förmlich vor Anstrengung, und als sie in die andere Richtung blickte, bemerkte sie, dass Bex wissend grinste, wie nur beste Freundinnen es können.

Melody kniff die Augen zusammen.

Bex lachte ungerührt und schüttelte den Kopf. Dann stand sie auf, weil der nächste Cowboy sie zum Tanzen aufforderte.

„Sei nicht überrascht, wenn ich nicht mehr hier bin, wenn du zurück bist“, schrie Melody gegen die Musik an.

„Wie du willst“, brüllte Bex mit ihrer unerschütterlichen Freundlichkeit zurück.

Allmählich kam sie sich vor wie ein Mauerblümchen, was natürlich übertrieben war angesichts der vielen Aufforderungen zum Tanzen seit ihrer Ankunft vor etwa einer Stunde. Nachdem sie ein paarmal höflich abgelehnt hatte, hörten die Einladungen auf, was ihr und ihren geplagten Füßen absolut recht war.

Sie hatte, wie ihre Großmutter zu sagen pflegte, schon so viel Spaß gehabt, dass sie es kaum noch aushielt.

Zeit, abzuhauen.

Die Kellnerin hatte alles angeschrieben, und Melody wollte zahlen. Also bahnte sie sich einen Weg zur Kasse am Ende der Theke. Unterwegs kramte sie in ihrer kleinen gelben Handtasche, die zum Brautjungfern-Outfit gehörte, nach ihrer Kreditkarte.

Sie beglich ihre Schulden, humpelte zum Ausgang, stieß die Tür auf und empfing die Sommerbrise. Auf dem Parkplatz hielt sie in dem herrschenden Durcheinander Ausschau nach ihrem Wagen.

Er war von allen Seiten zugeparkt.

„Mist!“, murmelte sie, denn ihr blieben nur zwei nicht sehr attraktive Möglichkeiten. Sie konnte wieder ins Moose Jaw gehen und den Barbesitzer davon überzeugen, die für dieses Dilemma verantwortlichen Gäste ausfindig zu machen und dazu zu bringen, ihre Fahrzeuge wegzubewegen. Oder sie konnte nach Hause laufen.

„Gibt es ein Problem?“ Sie erschrak beim Klang der allzu vertrauten Stimme.

Als sie sich umdrehte, stand Spence vor ihr. Sein Gesicht lag im Schatten, daher konnte sie seine Miene nicht deuten. Zumindest nicht richtig. Aber war der eine Mundwinkel nicht leicht gehoben, weil er grinste?

„Ja“, antwortete sie steif. „Allerdings. Tatsächlich gibt es sogar mehrere Probleme. Erstens, ich will nach Hause, kann aber nicht, weil mein Wagen buchstäblich umzingelt ist. Außerdem bringen meine Füße mich um …“

Unvermittelt hörte sie auf, zu reden.

Während er zuhörte, überblickte Spence den Parkplatz, der aussah, wie von einer Horde Fahranfänger zugestellt. Er seufzte. Melody war nicht vorbereitet auf die Wirkung seiner blauen Augen, nachdem er den Blick wieder auf sie gerichtet hatte und jetzt an ihrem Körper hinuntergleiten ließ, bis zu ihren High Heels, die nicht zum Gehen auf Schotter gemacht waren, ganz zu schweigen von einem Fußmarsch nach Hause. Sein Grinsen ließ sich jetzt kaum noch unterdrückt nennen.

„Ich habe keine Ahnung, wie du in den Dingern überhaupt laufen kannst“, bemerkte er. „Nichts für ungut, doch in diesem Kleid erinnerst du mich an eine umgedrehte Osterglocke. Eine verwelkte. Ich wette, das ist modisch oder so was, aber ich bin mir nicht sicher, ob Gelb deine Farbe ist. Das einzig Gute an dem Kleid ist, dass es deine Beine zur Geltung bringt. Das gefällt mir. Du hast tolle Beine.“

Melody verdrehte die Augen und fuhr ihn an: „Na vielen Dank auch.“

„Ist doch nur meine Meinung. Und ich meinte das ernst mit deinen Beinen.“

„Ich kann mich nicht entsinnen, dich um deine Meinung zu irgendwas gebeten zu haben, weder zu meinen Schuhen noch zu meinem Kleid.“ Inzwischen war sie sehr gereizt. Wann wäre dieser elende Abend endlich vorbei?

Spence lachte bloß leise und auf eine so raue männliche Art, dass ihr Herz wie wild klopfte. „Tja, wenn ich so darüber nachdenke, muss ich einräumen, dass du das nicht hast.“ Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Plötzlich wirkte Spence nur noch müde und nicht mehr belustigt. „Ich wollte selbst gerade nach Hause. Ich nehme dich gern mit.“ Einen Moment herrschte Schweigen. „Dein Wagen ist hier sicher bis morgen, falls du dir deswegen Sorgen machst.“

Mittlerweile schlug Melody das Herz bis zum Hals. Trotzdem kriegte sie immerhin ein Krächzen zustande. „Ich glaube nicht … ich würde nicht … ich meine …“

Spence’ Mundwinkel zuckte erneut, und seine Augen funkelten.

Am liebsten hätte sie ihn in den Bauch geboxt.

Seltsamerweise wollte sie ihn auch küssen.

Sie wollte …

Verdammt, sie wusste nicht, was genau sie eigentlich wollte.

Und Spence fragte nicht. Stattdessen hob er Melody ohne jede Vorwarnung hoch und trug sie über den Parkplatz.

„Was …“, stieß Melody nach beachtlicher Verzögerung und mit hörbarer Mühe hervor, „… tust du da?“

„Das sollte doch offensichtlich sein“, erwiderte Spence. „Ich schleppe dich zu meinem Truck, damit ich dich heimbringen kann. Schließlich kommst du aus eigener Kraft kaum weiter, und schon gar nicht in diesen albernen Schuhen.“

„Du schleppst mich?“

Er nickte. „Du siehst zwar dünn aus, doch du bist ganz schön schwer. Ich hab schon Kälber herumgezerrt, die weniger wogen.“

„Es ist schrecklich, so etwas zu sagen!“, protestierte sie. „Ich bin schwer?“

„Tut mir leid“, erklärte er, aber es klang nicht sehr überzeugt. Da sie sich nicht rührte, setzte er sie einfach in seinen Pick-up.

Melody landete mit dem Po hart auf der Sitzbank und war zu verblüfft von seiner Dreistigkeit, um noch etwas zu erwidern – oder gleich wieder aus dem Wagen zu klettern.

„Ich schätze, ich kann ganz schön taktlos sein“, räumte er ein. „‚Schleppen‘ war wohl das falsche Wort. Aber ich hab mich doch entschuldigt, oder?“

Melody fand genug von ihrer Stimme wieder, um ihm ein Schimpfwort an den Kopf zu werfen.

Das erstaunte ihn sichtlich, allerdings wusste Melody genau, dass das gefährliche Lächeln nur unter der Oberfläche lauerte und jeden Moment wieder erscheinen konnte, um erneut seine verheerende Wirkung auf sie zu haben.

„Ich hätte gar nicht erst versuchen sollen, dir einen Gefallen zu tun“, meinte er dramatisch seufzend. Ehe Melody reagieren konnte, fügte er hinzu: „Bitte anschnallen.“ Damit warf er die Tür zu, ging um den Wagen und setzte sich ans Steuer.

Wenn sie nicht so kaputt gewesen wäre und nicht in der Stimmung, sich ihre Füße durch einen Marsch nach Hause lebenslang kaputt zu machen, hätte sie Spence Hogan erklärt, was er mit seinem „Gefallen“ tun konnte. Und danach wäre sie aus diesem Benzin fressenden Phallussymbol von einem Pickup-Truck gesprungen. Sollte er doch denken, was er wollte.

Hübsche Fantasie.

Melody verschränkte die Arme und kochte innerlich, bis sie vom Parkplatz und auf den Highway gefahren waren. Dann – sie konnte einfach nicht anders – murmelte sie: „Du hast angefangen.“

Spence warf den Kopf in den Nacken und lachte laut.

„Na ja, stimmt doch“, entgegnete sie. Warum kann ich nicht einfach den Mund halten und die Sache auf sich beruhen lassen? Ihr Haus lag gerade mal fünf Minuten entfernt. So lange sollte sie ihre Zunge doch im Zaum halten können.

Aber nein.

Grinsend schaute er sie an.

„Was ist denn so lustig?“, fragte Melody gereizt.

„Du“, antwortete er kurz und bündig. „Es ist wirklich wahr, was man sich erzählt.“

„Und das wäre?“

„Manche Dinge ändern sich nie. Das Gleiche gilt für manche Leute.“

2. KAPITEL

Nach Spence’ Schätzung dauerte es keine zehn Minuten bis zum unvermeidlichen Fiasko.

In dem Moment, als er vor Melodys Haus hielt und noch bevor er aussteigen konnte, um ihr die Tür zu öffnen, sprang sie heraus und humpelte los. Dabei sah sie sich weder zu ihm um noch winkte sie. Von einem „Auf Wiedersehen“ oder einem „Danke schön“ ganz zu schweigen.

Da kein Mann mit einem Funken Selbstachtung eine Frau in der Dunkelheit nach Hause fährt und dann einfach hinterm Steuer sitzen bleibt, während die Frau allein zur Tür geht, war Spence im nächsten Augenblick unterwegs.

Er holte Melody am Gartentor ein, als der Schmerz in ihren Füßen sie bremste. Sie blieb stehen, stützte sich auf einen der Pfosten und streifte ihre Schuhe ab, erst den einen, dann den anderen. Die Erleichterung war ihr deutlich anzusehen. Spence dachte schon, sie würde die Dinger in die Büsche werfen, aber sie tat es doch nicht.

Stattdessen hob sie das Kinn, sah ihn direkt an und sagte in angespanntem Ton: „Du kannst jederzeit wieder fahren.“ Sie zeigte zum Haus, wobei die Schmerzen verursachenden Stilettos um ihr Handgelenk baumelten. „Ich glaube kaum, dass ich eine Polizei-Eskorte zu meiner eigenen Haustür benötige.“

Spence überging das in stiller Entschlossenheit, indem er die Gartenpforte öffnete und Melody am Ellbogen zu ihrer Veranda führte. Sie protestierte nicht, jedenfalls nicht verbal, aber sie platzte fast vor Wut.

Kommentarlos wartete er, bis sie einen Schlüssel aus ihrer unfassbar winzigen Handtasche gefischt hatte und diesen so fest ins Schloss rammte, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn das Ding abgebrochen wäre.

Kaum war Melody über die Schwelle getreten, warf sie ihm einen letzten wütenden Blick zu und knallte ihm dann die Tür vor der Nase zu.

Bei der Erinnerung daran zuckte ein Wangenmuskel in seinem Gesicht, während er hart die Gänge einlegte. Sobald er die Stadt hinter sich gelassen hatte, trat er aufs Gas.

Alles klar. Er war im Moose Jaw ein paarmal ins Fettnäpfchen getreten – sobald er in Melodys Nähe war, konnte er einfach nicht mehr klar denken. Aber hinterher hatte er sich schließlich entschuldigt – und es auch so gemeint. Mehr oder weniger.

Zählt diese Entschuldigung, wie halbherzig sie auch gewesen sein mochte, denn gar nicht?

Jede andere wäre wegen seiner guten Absichten wenigstens nachsichtig gewesen.

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