Brenda Jackson Edition Band 8

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NUR EIN MANN FÜR GEWISSE STUNDEN? von BRENDA JACKSON

Megans Herz schlägt wie verrückt, als sie Rico Claiborne begegnet. Sie muss sich zusammenreißen! Schließlich hat sie den Privatdetektiv nur engagiert, damit er ein Familiengeheimnis lüftet. Doch lange kann sie dem überzeugten Junggesellen nicht widerstehen …

EINE HEIßE AFFÄRE – MEHR NICHT? von BRENDA JACKSON

Beim Anblick von Alphas sinnlichen Kurven denkt Riley Westmoreland nur noch an eins: heißen Sex! Mehr jedoch nicht. Denn er hat eine Regel: Langzeitbeziehungen sind tabu. Aber bald schon muss er sich eingestehen, dass er nicht genug von dieser Frau bekommen kann …

UND PLÖTZLICH SPRICHST DU VON LIEBE? von BRENDA JACKSON

Sie darf nicht erneut auf ihn hereinfallen, auch wenn Zane alle Register seiner Verführungskunst zieht! Damals war Channing nur eine Affäre für den reichen Playboy, was ihr nicht genügte. Jetzt spricht er tatsächlich von Liebe – aber hat er sich wirklich so geändert?


  • Erscheinungstag 24.02.2024
  • Bandnummer 8
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523578
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

BRENDA JACKSON

BRENDA JACKSON EDITION BAND 8

PROLOG

An einem wunderschönen Junitag …

„Donnerwetter, wer ist denn der Typ?“

„Keine Ahnung. Aber glücklicherweise hat er es ja noch zum Empfang geschafft.“

„Sieh dir doch nur diese Figur an!“

„Und der Gang erst …“

„So was von sexy! Dem müsste man wirklich ein Warnschild umhängen.“

Einige Frauen standen zusammen und flüsterten miteinander. Keine konnte ihren Blick von dem großen, unglaublich attraktiven Mann wenden, der jetzt den Raum durchquerte und auf eine Gruppe männlicher Westmorelands zuging.

Man feierte die Hochzeit von Micah Westmoreland und Kalina Daniels. Aber im Augenblick hatten die anwesenden Damen keine Augen für das glückliche Paar, sondern starrten mehr oder weniger unverhohlen den Mann an, der gerade eingetroffen war.

„Kann mir nicht endlich jemand sagen, wer dieser Typ ist?“, flüsterte Vickie Morrow, eine gute Freundin von Kalina. Hilfe suchend blickte sie Megan Westmoreland an. „Die meisten dieser attraktiven Männer hier sind doch irgendwie mit dir verwandt. Dieser auch?“

Megan musterte den Mann genau. „Nein, ich habe ihn noch nie gesehen.“ Bisher hatte sie nur sein Profil betrachten können, aber auch das war schon umwerfend. Er hatte braune Haut und dichtes dunkles Haar. Selbst im Anzug konnte man deutlich erkennen, wie durchtrainiert sein Körper war. „Ihr habt recht, er sieht besonders gut aus. Und er scheint einige Leute aus meiner Familie zu kennen. Vielleicht ein Freund aus Hollywood?“

„Ich muss unbedingt dabei sein, wenn er sich vorstellt“, sagte Marla Ford, auch sie eine gute Freundin von Kalina, und trat aufgeregt einen Schritt näher an Megan heran. „Kannst du das nicht irgendwie arrangieren?“

Megan lachte. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Nicht umdrehen!“, flüsterte Marla jetzt beschwörend. „Er sieht in unsere Richtung! Dein Bruder Zane, Megan, zeigt auf uns. Hoffentlich auf mich!“ Doch dann brach ihre Stimme enttäuscht ab: „Nein, er zeigt auf dich, Megan.“

Megan runzelte die Stirn. Marla musste sich irren. Was hatte sie mit dem Fremden zu tun?

„Ja, dieser Wahnsinnstyp scheint nur dich zu sehen“, flüsterte Vickie. „Als würden wir überhaupt nicht existieren. Oh Mann, ich wünschte, mich würde mal jemand so ansehen …“

Jetzt wandte Megan dem Fremden ihr Gesicht zu. Die anderen hatten recht, er konzentrierte sich ganz auf sie. Als ihre Blicke sich begegneten, geschah etwas, das Megan noch nie erlebt hatte: Ihre Haut prickelte, ihr Herz schlug wie verrückt, sie spürte, dass sie rot wurde. Sie fühlte sich, als hätte tief in ihrem Innern ein Blitz eingeschlagen.

Sie nahm kaum noch wahr, was um sie herum vorging oder wer neben ihr stand. Sie sah nur ihn und hörte die leise Musik der Band. Es war, als existierten nur sie beide auf der Welt.

Megans Handflächen wurden feucht, und ein unbekanntes, urgewaltiges Gefühl überkam sie, kraftvoll und drängend.

Verlangen. Sexuelle Begierde.

Wie war es möglich, dass ein Fremder eine solche Wirkung auf sie hatte? Zum ersten Mal in ihrem siebenundzwanzigjährigen Leben erfuhr Megan, was es bedeutete, körperlich auf einen Mann zu reagieren. Als Anästhesistin waren ihr der menschliche Körper und seine Funktionen zwar durchaus vertraut, aber bislang hatte sie sich noch nie tiefere Gedanken über ihren eigenen Körper gemacht. Und jetzt plötzlich diese starke Reaktion? Noch dazu auf einen Mann, den sie gar nicht kannte?

Durchaus interessant, ja, aber auch äußerst verwirrend.

„Der Mann steht auf dich, Megan.“

Wie von weit her unterbrach Vickie ihre Gedanken. „Nein, warum sollte er?“, wehrte Megan ab. „Er kennt mich nicht. Und ich kenne ihn nicht.“

„Das ist doch vollkommen unwichtig. Ihr fühlt euch sexuell zueinander hingezogen, und zwar gewaltig. Wir haben es alle gemerkt, und du musst es auch gespürt haben. Die Luft ist ja geradezu elektrisch aufgeladen!“

Als die anderen zustimmend nickten, senkte Megan kurz den Kopf. Was sollte sie dazu auch sagen? Wieder warf sie einen Blick auf den Fremden, der sie immer noch unentwegt ansah. Doch dann tippte ihm ihr Cousin Riley auf die Schulter, und der Unbekannte wandte sich ihm unwillig, wie ihr schien, zu.

Savannah und Jessica, die ebenfalls zum Westmore-Clan gehörten, traten auf ihn zu und umarmten ihn herzlich. Und in diesem Augenblick begriff Megan, wer der Fremde war. Der Bruder von Jessica und Savannah, der Privatdetektiv aus Philadelphia! Rico Claiborne. Der Mann, den sie selbst vor einigen Monaten engagiert hatte, um Näheres über die Vergangenheit ihres Urgroßvaters herauszufinden. Sie hatten damals nur telefoniert.

Sosehr sich Rico auch freute, seine Schwestern wiederzusehen – die schöne Unbekannte, auf die Zane gezeigt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Dr. Megan Westmoreland. Das war also die Frau, die ihn vor ein paar Monaten angerufen und um Recherchen über ihre Familie gebeten hatte.

Sie sah ihn nicht mehr an, sondern hatte sich wieder ihren Freundinnen zugewandt. Zum Glück, denn er musste sich erst einmal fassen. Was war das denn eben gewesen? Wieso hatte er sich von ihr wie magisch angezogen gefühlt und die Frauen um sie herum kaum bemerkt? Sie hatte etwas an sich, was sie von den anderen unterschied; das war ihm schon aufgefallen, bevor Zane erwähnte, dass sie seine Schwester Megan sei.

Diese Frau war so heiß! Wenn sie ihn ansah, war er wie hypnotisiert vor Erregung. Sie hatte ihn nicht mit dem üblichen Blick angeschaut, mit dem eine Frau ihr Interesse signalisiert. Vielmehr sah sie ihn an, als sei sie genauso verwirrt wie er. Was geht hier vor sich? schien ihr Blick zu sagen.

Noch nie hatte er derart heftig auf eine Frau reagiert. Und dass ausgerechnet sie es war, die ihn für diesen Westmoreland-Job engagiert hatte, machte alles noch komplizierter.

Vor zwei Monaten hatte sie ihn angerufen. Er erklärte sich bereit, die Sache zu übernehmen, musste vorher aber noch einige andere Fälle klären. Als ihn dann sein Freund Micah zur Hochzeit einlud, konnte er sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: an der Hochzeit teilnehmen und gleichzeitig seine Auftraggeberin kennenlernen, Micahs Cousine Megan. Aber nie im Leben wäre er auf die Idee gekommen, dass diese Megan ihn derart umhauen würde.

Jetzt kam das Brautpaar auf ihn zu, um ihn zu begrüßen, Ricos Schwestern im Schlepptau. Und während er vorgab, intensiv zuzuhören, warf er immer wieder verstohlene Blicke zu Megan. Was allerdings nicht unbemerkt blieb …

„Du kennst Megan doch? Ich weiß, dass sie dich engagiert hat, um Raphels Geschichte aufzuarbeiten.“ Savannah sah ihn neugierig an und lächelte. Oh, er kannte diesen Blick! Wenn er nicht aufpasste, würde sie nur zu gern ihre hübsche kleine Nase in Dinge stecken, die sie nichts angingen.

„Nein, Megan und ich sind uns noch nicht begegnet. Wir haben nur ein paarmal telefoniert.“ Schnell nahm er ein Glas eisgekühltes Mineralwasser vom Tablett des Kellners, der gerade vorbeikam. Ihm war immer noch glühend heiß. Warum hatte er sie auch immerzu angesehen? „Aber ich weiß, welche der jungen Damen sie ist. Zane hat sie mir gezeigt.“ Hoffentlich war Savannah mit dieser Auskunft erst einmal zufrieden.

Aber nein. Wieder lächelte sie verschmitzt und meinte nur: „Dann will ich sie dir mal vorstellen.“

Rico nahm schnell einen Schluck von dem eiskalten Wasser. Ah, das tat gut! Er öffnete den obersten Knopf seines Hemds und hielt kurz inne. Sollte er die Begegnung besser verschieben? Aber das hatte ja auch keinen Sinn, irgendwann musste es schließlich sein. „Wenn du willst.“

Als Savannah mit ihrem Bruder auf die Gruppe plaudernder Frauen zuging, sahen ihm alle erwartungsvoll entgegen. Doch er hatte nur Augen für die eine. Und er wusste, dass sie genau wie er diese knisternde Spannung spürte, es konnte gar nicht anders sein.

Wie gut, dass sie nicht eng zusammenarbeiten würden! Er brauchte Megan nur hin und wieder Berichte über seine Nachforschungen zu schicken, um sie auf dem Laufenden zu halten. Das war unproblematisch.

Je mehr Abstand zwischen uns liegt, desto besser, dachte er, als er auf sie zuging. Wir können bei dieser starken sexuellen Anziehung nicht am gleichen Ort arbeiten. Ausgeschlossen.

1. KAPITEL

Drei Monate später

„Dr. Westmoreland, hier ist jemand, der Sie sprechen möchte.“

Stirnrunzelnd blickte Megan auf ihre Uhr. In einer Stunde musste sie im OP sein, und vorher hätte sie sich gern noch etwas zum Essen geholt. „Wer denn, Grace?“, fragte sie über die Gegensprechanlage. Grace Elsberry studierte an der University of Colorado Medizin und hatte eine Teilzeitstelle in der Anästhesie des Universitätskrankenhauses.

„Scharfer Typ. Könnte ein Filmschauspieler sein“, gab Grace flüsternd zurück.

Megan stockte der Atem, und ihr wurde heiß, denn sie konnte sich denken, wer der Besucher war. Und da bestätigte Grace auch schon, was Megan halb befürchtete, halb ersehnte. Was von beiden, wusste sie selbst nicht. „Sein Name ist Rico Claiborne.“

Dann senkte Grace wieder die Stimme. „Aber ich würde ihn Mr. Sexy nennen. So jemanden haben Sie noch nicht gesehen.“

Oh, doch … Megan erinnerte sich nur zu genau an Rico Claiborne. Der Mann sah so gut aus, dass man ihn eigentlich nicht frei herumlaufen lassen dürfte. „Schicken Sie ihn herein.“

„Ihn hereinschicken? Ich werde ihn selbstverständlich persönlich hineinbegleiten, Dr. Westmoreland.“

Megan schüttelte lächelnd den Kopf. So etwas hatte Grace noch nie getan. Doch da öffnete sich schon die Tür, und Grace ließ den Besucher eintreten, der ihr mit einem leichten Kopfnicken dankte. Dann wandte er sich um und kam mit geschmeidigen Schritten auf Megan zu. Selbstbewusst, männlich und umwerfend sexy, sah er wirklich wie ein Filmschauspieler oder ein Männermodel aus. Und das, obwohl er nur Jeans und Pulli trug.

Megan stand auf, um ihn zu begrüßen. Rico war groß und schlank, hatte dunkelbraunes, fast schwarzes Haar und haselnussbraune Augen. Sein hellbrauner Hautton war das Erbe seines afroamerikanischen Vaters. Er war sündhaft attraktiv, und sein Anblick ließ ihr Herz sofort schneller schlagen.

Abgesehen von ein paar Telefonaten hatten sie bislang kaum Kontakt gehabt. Und dann war da natürlich noch ihre Begegnung auf der Hochzeit von Megans Cousin Micah vor drei Monaten … Rico hatte Megan damals so bezaubert, dass sie seither immer wieder an ihn denken musste.

Aber zurück zu wichtigeren Dingen, rief sie sich zur Ordnung. Sie hoffte, dass er seinen letzten Auftrag inzwischen erledigt hatte und endlich mit ihrem Fall anfangen konnte.

Megan streckte die Hand aus. „Rico, wie schön, dich wiederzusehen!“, sagte sie lächelnd. Als Schwager von zwei ihrer Cousins gehörte Rico sozusagen zum erweiterten Familienkreis, sodass sie sich selbstverständlich duzten.

„Ich freue mich auch, Megan.“ Er nahm ihre Hand, und Megan musste sich zwingen, sie ihm nicht sofort wieder zu entziehen, so sehr elektrisierte sie die Berührung.

„Und … was bringt dich nach Denver?“ Kurz zögerte sie, dann hatte sie ihre Stimme wieder unter Kontrolle.

Er ließ ihre Hand los. „Ich hatte hier heute Morgen im Gericht zu tun und wollte die Gelegenheit nutzen, dir einen vorläufigen Bericht zu geben. Denn ich habe schon vor einigen Wochen angefangen, mich mit eurem Fall zu beschäftigen. Es tut mir leid, dass ich dich so überfalle, aber als ich heute Morgen versuchte, dich telefonisch zu erreichen, war dein Handy ausgeschaltet.“

„Sie war den ganzen Vormittag im OP.“

Verblüfft drehten Rico und Megan sich um. Grace war immer noch da. Sie stand lächelnd in der Tür und musterte Rico mit einem sehr eindeutigen Blick.

„Danke. Das wäre alles, Grace“, sagte Megan freundlich.

Die Studentin war sichtlich enttäuscht. „Brauchen Sie mich wirklich nicht mehr?“

„Im Moment nicht.“

„Na dann …“ Grace verließ den Raum und zog langsam die Tür zu.

Als Megan sich wieder zu Rico umwandte, begegnete sie seinem intensiven Blick. Unwillkürlich wurde sie nervös, obwohl sie wusste, dass es dafür gar keinen Anlass gab. Doch schon bei ihrer ersten Begegnung vor drei Monaten hatte er sie so in seinen Bann gezogen, dass sie wie benebelt gewesen war. Solche Gefühle hatte noch kein Mann in ihr ausgelöst.

Seither konnte sie die Tage, an denen ihre Gedanken nicht um ihn kreisten, an einer Hand abzählen. Und jetzt stand er hier. Direkt vor ihr. Sie bebte innerlich wie ein Teenager vor dem ersten Kuss.

„Möchtest du dich nicht setzen?“, fragte sie. „Offenbar hast du mir etwas Wichtiges mitzuteilen.“ Megan zog sich hinter ihren Schreibtisch zurück und nahm Platz. Die symbolische Trennlinie zwischen ihnen half ihr, sich wieder zu sammeln. Nun war sie neugierig, was er berichten würde.

Vor ein paar Jahren hatte die Familie erfahren, dass ihr Urgroßvater Raphel Stern Westmoreland einen Zwillingsbruder hatte und kein Einzelkind war, wie sie immer gedacht hatten. Der Enkelsohn James dieses Zwillingsbruders Reginald Scott Westmoreland lebte in Atlanta und beschäftigte sich mit Ahnenforschung.

James hatte herausgefunden, dass dieser Zweig der Familie mit den Westmorelands in Denver verwandt war, zu denen Megan gehörte. Nach seiner Entdeckung wollten die Denver-Westmorelands herausfinden, was Urgroßvater Raphel ihnen sonst noch verheimlicht hatte.

Sie wussten, dass Raphel, der wohl so etwas wie das schwarze Schaf der Familie gewesen war, im Alter von zweiundzwanzig Jahren mit der Frau eines Pfarrers durchbrannte. Bevor er sich in Colorado niederließ, war er quer durch die USA gezogen, unter anderem durch Texas, Wyoming, Kansas und Nebraska. Unterwegs hatte er mit zahlreichen Frauen verkehrt.

Natürlich wollten nun alle wissen, was aus diesen Frauen geworden war, zumal es so aussah, als sei er mit jeder verheiratet gewesen. Es war also ziemlich wahrscheinlich, dass es mehr Westmorelands gab, als Megan und ihre Familie bisher angenommen hatten.

Und so war Megans ältester Cousin Dillon zu der Entscheidung gelangt, Nachforschungen über Raphels Frauen anzustellen.

Er ging nach Gamble in Wyoming, wo er nicht nur seine zukünftige Gattin kennenlernte, sondern auch herausbekam, dass die ersten beiden Frauen, die man mit Raphel in Verbindung bringen konnte, nicht mit ihm verheiratet gewesen waren. Raphel hatte ihnen lediglich geholfen. Inwiefern, konnte nicht mehr festgestellt werden.

Da Dillon in der Zwischenzeit geheiratet und eine Familie gegründet hatte, konnte er seine Nachforschungen in Bezug auf die dritte und vierte Frau Raphels nicht fortsetzen. Und so hatte Megan sich bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen. Dazu engagierte sie den Privatdetektiv Rico Claiborne, den ihre Brüder und Cousins in den höchsten Tönen gelobt hatten.

Sie beobachtete, wie er Platz nahm, und konnte erneut kaum den Blick von ihm wenden. Er sah so unverschämt gut aus!

Dabei hatte Megan viel Erfahrung mit attraktiven Männern, denn ihre Brüder und Cousins konnten sich allesamt sehen lassen. Aber Rico sprach ihre weiblichen Sinne auf eine magische Weise an, gegen die sie machtlos war.

„Ich glaube schon, dass es wichtig ist – sozusagen ein erster Durchbruch“, ging Rico auf ihre Bemerkung ein. „Ich habe endlich etwas über Clarice Riggins herausgefunden.“

„Tatsächlich? Das ist ja fantastisch!“ Megan beugte sich gespannt vor. Clarice war Vermutungen zufolge die dritte Frau Raphels gewesen. „Und was?“

„Eine Spur, die nach Forbes führt, einer texanischen Stadt in der Nähe von Austin.“

„Forbes?“

„Ja. Ich möchte Donnerstagmorgen aufbrechen. Eigentlich wollte ich schon gleich nach unserem Gespräch fliegen, aber deine Brüder und Cousins haben mich davon abgehalten. Sie möchten, dass ich unbedingt noch ein paar Tage mit ihnen verbringe.“ Er lachte.

Die Hartnäckigkeit der Jungs überraschte Megan nicht. Obwohl die Westmorelands über vier Bundesstaaten verteilt waren, kamen die männlichen Mitglieder der Familie häufiger an einem Ort zusammen.

Entweder hatten sie Geschäftliches zu besprechen, da sie sich um verschiedene Familienunternehmen kümmerten, oder sie gingen gemeinsam auf die Jagd. Und manchmal trafen sie sich auch nur zu langen Pokerrunden. Rico war dabei anscheinend oft mit von der Partie.

„Dann hast du bisher noch nichts Konkretes über sie herausfinden können?“, fragte Megan.

„Nein, das nicht. Aber etwas anderes habe ich entdeckt.“

Sie hob die Augenbrauen. „So? Was denn?“

„Es gibt einen Hinweis, dass sie ein Kind hatte. Ob Mädchen oder Junge, ist unbekannt, aber das Kind lebte.“

Das war allerdings ein Durchbruch. Megan lehnte sich zurück. Wenn Clarice ein Kind hatte, konnte es durchaus sein, dass es irgendwo noch mehr Westmorelands gab. Und wie wichtig Familie für die Westmorelands war, wusste jeder in Denver.

„Das ist wirklich eine tolle Neuigkeit, Rico. Hast du das schon irgendjemandem erzählt?“

„Nein. Da du mich engagiert hast, bist du auch die Erste, die davon erfährt.“

„Gut. Dann belass es vorläufig bitte dabei. Ich möchte nicht, dass die anderen sich Hoffnungen machen. Du kannst ja sagen, dass du wegen einer möglichen Spur nach Texas musst, aber mehr lieber nicht.“

Momentan gab es fünfzehn Westmorelands in Denver, zwölf Männer und drei Frauen. Vor Jahren waren Megans Eltern, ihr Onkel und ihre Tante alle zusammen bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen. Megans ältester Bruder Ramsey und ihr Cousin Dillon hatten sich bemüht, die Familie zusammenzuhalten, was oft nicht einfach gewesen war.

Aber jetzt waren sie erwachsen und führten ein eigenes Leben. Fast alle hatten ihr Studium bereits abgeschlossen, nur zwei von ihnen nicht. Bailey, die nie etwas mit Schule zu tun haben wollte, würde in einem Jahr ihr Examen ablegen, und Bane machte eine Ausbildung bei der Navy.

Megan hatte schon immer gewusst, dass sie einmal Ärztin werden wollte. Die Medizin faszinierte sie, seit sie denken konnte. Und dass ihre Wahl dann auf die Anästhesie fiel, hatte vielleicht auch mit dem netten Anästhesisten zu tun, der sich so rührend und mit viel Eiscreme um sie gekümmert hatte, als ihr mit sechs die Mandeln herausgenommen worden waren.

Sie liebte ihren Beruf, und dennoch musste sie wie jeder mal ausspannen. Sie war wirklich urlaubsreif. Ein paar Leute in der Klinik waren entlassen worden, und sie musste nun ständig Überstunden schieben. Schon häufiger hatte sie daran gedacht, ein paar Tage zu verreisen.

Heute Morgen war Bailey nach Charlotte gefahren, um ihren Cousin Quade, seine Frau Cheyenne und deren Drillinge zu besuchen. Megan hatte überlegt mitzufahren, zumal sie noch so viele Urlaubstage hatte. Auch einen Flug nach Montana hatte sie in Erwägung gezogen, dort wohnten weitere Westmorelands. Schließlich war es einer unter vielen Vorteilen, die eine große, weit verzweigte Familie mit sich brachte: Man konnte immer jemanden besuchen.

Plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie warf Rico einen Blick zu. Bemüht, sich durch seine sexy Ausstrahlung nicht verwirren zu lassen, zog sie ihren Kalender hervor. Der Mann machte sie ganz nervös! Doch sie hatte den Eindruck, dass er wirklich einer großen Sache auf der Spur war. Und sie wollte gern dabei sein, wenn er etwas herausfand. Vor allem, wenn es um Clarice’ Kind ging.

Es würde sie wahnsinnig machen, in Denver zu bleiben und nicht zu wissen, was vor sich ging, während er in Texas Nachforschungen anstellte. Also gab es nur eine Möglichkeit.

Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Du fliegst in drei Tagen nach Texas?“

„Ja. Zumindest habe ich es vor.“

Megan lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und spielte mit einem Bleistift. „Ich habe gerade eine Entscheidung getroffen.“

„So? Welche denn?“

„Ich habe mich entschlossen mitzukommen.“

Rico war sich durchaus bewusst, dass es eine ganze Menge Dinge gab, die er nicht wusste. Aber eins wusste er sehr genau: Auf keinen Fall würde Megan Westmoreland ihn irgendwohin begleiten! Er schaffte es schon kaum, hier in ihrem Büro mit ihr allein zu sein, aber im Auto oder Flugzeug neben ihr sitzen? Mehrere Stunden? Nein. Allein bei der Vorstellung wurde ihm heiß und unbehaglich.

Seit er Megan auf Micahs Hochzeit gesehen hatte, bekam er sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Schon der erste Augenkontakt war wie ein Blitzschlag gewesen. So eine starke Reaktion auf eine Frau hatte er noch nicht erlebt, und die Heftigkeit seiner Begierde erschreckte ihn.

Er musterte Megan von oben bis unten und wurde beim Anblick ihrer vollen Lippen hart. Was für eine Traumfrau! Von den dunklen Locken über die geschmeidig aussehende, mahagonibraune Haut, das herzförmige Gesicht bis zu den silberfarbenen High Heels, die sie zu einem eng anliegenden Kleid trug, war sie die Verführung in Person.

Doch er zögerte. Mit sechsunddreißig Jahren sollte er eigentlich aus dem Alter heraus sein, in dem man sich Hals über Kopf verknallte. Und obwohl er, was Frauen anging, wirklich genug Erfahrung hatte, konnte er sich diese Reaktion nicht erklären.

Aber was überlegte er da – im Grunde war sie sowieso viel zu jung für ihn, vermutlich noch keine dreißig. Allerdings hielt ihn das nicht davon ab, sie wie eine Fata Morgana anzustarren. Und sie zu begehren wie keine Frau zuvor.

„Ich muss nur noch meine Vorgesetzten informieren“, fuhr Megan fort, „damit für diese Zeit eine Kollegin gefunden wird, die mich vertreten kann. Morgen stehen nur wenige Operationen an, und ich vermute, dass wir in etwa einer Woche wieder zurück sind.“

Offenbar ging sie davon aus, dass er mit ihren Plänen einverstanden war, wahrscheinlich weil er sich noch nicht geäußert hatte. Irrtum, meine Liebe …

„Tut mir leid, Megan, aber das geht nicht. Du kannst nicht mit mir kommen, denn ich arbeite grundsätzlich allein. Das ist eine eiserne Regel.“ Doch so schnell war sie nicht zu entmutigen, das sah er ihr an. Nun gut, sie würde letzten Endes den Kürzeren ziehen. Denn er hatte zwei jüngere Schwestern und wusste, wie man mit aufmüpfigen jungen Frauen umging.

Sie zog die Brauen zusammen. „Diese Regel kannst du ja wohl einmal verletzen.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, leider nicht.“

Entschlossen verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Gut, du arbeitest lieber allein. Gibt es sonst noch einen Grund, warum ich nicht mitkommen kann?“

„Ich brauche keinen anderen Grund. Wie ich schon sagte, ich arbeite grundsätzlich allein.“ Natürlich hatte er einen anderen, ganz entscheidenden Grund, aber den behielt er für sich. Er brauchte sich nur daran zu erinnern, was damals fast passiert wäre, als er mit einer Frau zusammenarbeitete.

„Warum stellst du dich so an?“

„Warum bestehst du darauf?“, gab er zurück.

„Weil es hier um meinen Urgroßvater geht“, sagte sie aufgebracht.

„Das weiß ich. Schließlich haben wir beide lange über ihn gesprochen, bevor ich diesen Fall übernahm. Und ich weiß genau, dass eine meiner Bedingungen war, die Sache auf meine Weise anzugehen. Denn nur dann kann ich die Ergebnisse bringen, die du erwartest, das sagte ich dir schon damals.“

Sie schwieg und sah ihn missmutig an, schien sich aber daran zu erinnern. Gut. Er beobachtete sie genau. Diese Augen, die im Zorn dunkel und unergründlich schimmerten …

„Als Auftraggeberin verlange ich aber, dass du mich mitnimmst“, unterbrach sie seine Gedanken.

„Du kannst verlangen, was du willst. Aber du kommst nicht mit mir nach Texas“, sagte er nachdrücklich.

„Und warum nicht?“

„Ich habe dir meinen Grund genannt. Können wir jetzt vielleicht über etwas anderes sprechen?“

Sie stand auf. „Nein, das können wir nicht!“

Auch er erhob sich. „Nun benimmst du dich wirklich wie ein verwöhntes Kind.“

„Wie bitte?“ Megan sah ihn empört an. „Das hat mir noch niemand gesagt! Und was Texas betrifft, werde ich diese Reise machen, denn es gibt keinen Grund, der dagegen spricht.“

Ein paar Sekunden lang sah er sie nur an. Dann sagte er ruhig: „Okay, es gibt noch einen Grund, weshalb ich dich nicht mitnehmen werde. Und über den solltest du sehr genau nachdenken.“

„Aha. Und der wäre?“

Er schob die Hände tief in die Taschen, blickte ihr in die Augen und sagte mit leiser, dunkler Stimme: „Ich will dich, Megan, ich bin verrückt nach dir. Und wenn du mit mir kommst, dann werde ich dich verführen, darauf kannst du dich verlassen.“ Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Büro.

„Himmel!“ Megan starrte ihm hinterher und ließ sich in ihren Bürostuhl fallen.

Drei Operationen später war Megan wieder in ihrem Büro und ging nervös auf und ab. Was Rico gesagt hatte, machte sie immer noch wütend. Männer! Warum gingen sie immer davon aus, dass alles im Schlafzimmer endete? Er fühlte sich also zu ihr hingezogen. Und wenn schon. Auch sie war scharf auf ihn, aber deshalb hatte sie doch keine Schwierigkeiten, mit ihm nach Texas zu fliegen. Schließlich gab es ja auch noch so etwas wie Selbstdisziplin.

Ihre Brüder Zane und Derringer und auch die Cousins Riley und Canyon hatten viele Freundinnen gehabt, besonders Derringer, bevor er Lucia heiratete. Und Zane stand seinem Bruder in nichts nach. Wenn Megan mal unangemeldet bei ihm aufgetaucht war, hatte sie ihn nicht selten mit einer Frau erwischt. Jedes Mal mit einer anderen natürlich.

Bei Riley hatte sie immer wieder fremde Slips gefunden. Canyon war genauso. Hatte sie nicht gerade erst gestern in der Morgendämmerung eine Frau aus seinem Haus kommen sehen? Allesamt Schürzenjäger der übelsten Sorte.

Nun also Rico Claiborne, der offensichtlich glaubte, er könne sie haben, nur weil er sie wollte. Hatte sie da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden? Offensichtlich war ihm diese Idee noch nicht gekommen. Aber er würde sich wundern! Nicht umsonst wurde sie von ihren Kollegen in der Klinik „Megan, der Eisberg“ genannt. Sie konnte äußerst kühl und beherrscht sein.

Okay, Rico hatte ihr Eis ein wenig zum Schmelzen gebracht, als sie ihm vor drei Monaten auf der Hochzeit begegnet war. Und auch heute hatte sich ihr Puls beschleunigt, als sie ihn wiedersah, das wollte sie gar nicht abstreiten. Aber er irrte sich gewaltig, wenn er glaubte, nur mit den Fingern schnippen zu müssen, damit sie ihm in die Arme fiel.

Je mehr sie darüber nachdachte, desto wütender wurde sie. Nach all den Telefonaten, die sie wegen ihres Urgroßvaters geführt hatten, sollte er doch allmählich wissen, wie wichtig ihr die Sache war.

Familie war das Wichtigste in ihrem Leben, und wenn es noch weitere Westmorelands gab, dann wollte sie das wissen. Sie wollte dabei sein, wenn Rico die Wahrheit herausfand. Vor allem wollte sie erfahren, wo diese Westmorelands lebten und wie man sie erreichen konnte.

Wieder stand sie auf und ging zum Fenster. Der Septemberhimmel sah dunkel aus, und laut Wettervorhersage war Ende nächster Woche der erste Schnee zu erwarten. Aber das kümmerte sie nicht, denn sie wollte zu dem Zeitpunkt ohnehin nicht hier sein. Den Rest der Woche und den ganzen nächsten Monat würde sie Urlaub nehmen, denn Ende des Jahres verfielen ihre Urlaubstage.

Zuerst würde sie nach Texas fliegen, egal, was Rico dazu sagte. Und anschließend wollte sie nach Australien reisen, um ihre Schwester Gemma und deren Familie zu besuchen. Megan liebte Fernreisen und erinnerte sich noch gern an die Zeit, die sie bei ihrem Cousin Delaney im Nahen Osten verbracht hatte. Eine tolle Erfahrung.

Doch dann musste sie wieder an Rico denken. Wie er hier vor ihr gestanden hatte und was er ihr gesagt hatte, ganz entspannt und ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn er wirklich glaubte, ihr sagen zu können, was sie zu tun und zu lassen habe, dann hatte er sich geschnitten.

Und außerdem konnte er sich wohl ein bisschen Selbstdisziplin auferlegen, selbst für den Fall, dass er sie wirklich so heiß fand. Schließlich waren sie erwachsene Menschen und würden sich dementsprechend verhalten. Schon der bloße Gedanke, dass sie sich sofort die Kleidung vom Leib rissen, sobald sie allein waren, war absurd.

Auch wenn Ricos Gegenwart sie erregte, so wusste Megan doch genau, wie sie mit diesen Gefühlen umzugehen hatte. Es war vielleicht nicht ganz einfach, aber sie würde es schaffen.

„Bist du auch sicher, dass es dir nicht zu viel wird, Riley? Ich kann ohne Weiteres ein Zimmer in der Stadt finden.“

„Hör auf, du bleibst“, sagte Riley Westmoreland lächelnd. „Du gehörst doch praktisch zur Familie.“

Rico warf sein Gepäck aufs Bett und musste unwillkürlich daran denken, dass Megan ihn nicht gerade wie ein Familienmitglied behandelt hatte. Sie war eher abweisend gewesen. Und dennoch wollte sie unbedingt mit ihm nach Texas fahren. Warum bloß? Sie hatte doch bestimmt gemerkt, wie sehr sie sich zueinander hingezogen fühlten.

„Wie kommen denn die Nachforschungen voran?“, unterbrach Riley seine Grübeleien.

„Gut soweit. Ich werde nach Texas fliegen, denn ich habe eine vielversprechende neue Spur.“

Riley sah Rico überrascht an. „Tatsächlich? Weiß Megan schon davon?“

„Ja. Ich habe sie heute im Krankenhaus aufgesucht.“

„Gut.“ Riley grinste. „Sie war sicher sehr glücklich über die Neuigkeiten. Wir sind zwar alle daran interessiert zu erfahren, was Raphel so getrieben hat, aber Megan scheint geradezu davon besessen zu sein, die Wahrheit zu erfahren. Besonders seit Dillon und Pam ihr die Tagebücher zeigten, über die sie nun wacht wie eine brütende Henne. Sie ist fest davon überzeugt, dass es noch weitere Westmorelands gibt.“

Auch Rico hatte die Tagebücher gelesen, die er sehr interessant fand. Raphel beschrieb darin ziemlich detailliert sein Leben, seitdem er mit der Familie gebrochen hatte.

„Heute Abend treffen wir uns alle zum Dinner bei Dillon und Pam. Sie hat extra noch angerufen, um sicherzugehen, dass du auch kommst. Ich hoffe, du kannst es einrichten. Denn du weißt sicher“, Riley lachte leise, „wie launisch schwangere Frauen sein können.“

„Das kann man wohl sagen“, sagte Rico schmunzelnd. Ihm war aufgefallen, dass eine ganze Reihe von Westmoreland-Frauen schwanger waren. Es war wie eine ansteckende Krankheit. Nicht nur Pam erwartete ein Kind, auch Derringers Frau Lucia und Micahs Frau Kalina waren schwanger. Selbst die Westmorelands in Atlanta erwarteten wohl neue Familienmitglieder.

Auch seine Schwestern schienen von dem Trend angesteckt worden zu sein. Jessica war wieder schwanger, und Savannah hatte in diesem Jahr ihr zweites Kind zur Welt gebracht. Beide waren glücklich verheiratet, was Rico als Bruder natürlich sehr freute.

„Okay, dann lasse ich dich jetzt auspacken. In etwa einer Stunde fahren wir zu Dillon. Hoffentlich bringst du ordentlich Hunger mit, denn es gibt bestimmt viel zu essen. Bis dann.“ Riley schlug ihm auf die Schulter und verließ den Raum.

Bald hatte Rico ausgepackt, was er für diesen kurzen Aufenthalt brauchte. Alles andere ließ er in der geräumigen Reisetasche, die er übermorgen mit nach Texas nehmen würde. Leise seufzend strich er sich über die Wange und stellte fest, dass sie stoppelig war. Er musste sich also noch rasieren, bevor sie aufbrachen.

Und hungrig war er in der Tat. Schließlich hatte er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.

Nur … bei dem Dinner waren sicher alle Westmorelands versammelt, die in der Nähe wohnten. Also auch Megan. Verdammt, er war nicht sicher, ob er sie jetzt schon wiedersehen wollte. Normalerweise galt er als cool und diszipliniert. Aber wenn Megan Westmoreland anwesend war, fiel es ihm schwer, Ruhe zu bewahren.

Schon wie sie seinen Namen aussprach … Er wusste auch nicht genau, warum ihn das so erregte, aber irgendwie war da ein bestimmter rauer Unterton, der ihn elektrisierte.

Doch darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Da er schon eine geraume Zeit mit keiner Frau mehr das Bett geteilt hatte, erregten ihn weibliche Reize viel zu schnell. Das war ihm besonders heute aufgefallen, als er Megan gegenüberstand. Aber eine Schönheit wie sie würde wohl keinen Mann kaltlassen.

Rico nahm seine Rasiersachen vom Bett und ging in das angrenzende Bad. Während er sich Kinn und Wangen einseifte und dann langsam mit der Rasierklinge darüberfuhr, betrachtete er sich im Spiegel und musste unwillkürlich wieder an Megan denken.

Als er ihr Büro betrat, hatte er sofort bemerkt, dass sie offensichtlich beim Frisör gewesen war. Sie hatte immer noch üppige Locken, die ihr jetzt aber nicht mehr auf die Schultern fielen, sondern ihr Gesicht umrahmten. Ihm gefiel der neue Schnitt. Es sah sehr sexy aus … wie alles an ihr.

Wie es wohl war, wenn man in den Operationssaal gerollt wurde und sie, die Anästhesistin, sich plötzlich über einen beugte? Flach auf dem Rücken zu liegen und ihr ins Gesicht zu sehen, während man langsam zählte … Oh Gott, er durfte gar nicht daran denken.

Autsch! Er hatte sich geschnitten. Warum passte er auch nicht besser auf! Es war gefährlich, an Megan zu denken, während er sich rasierte, das hätte er doch wissen müssen. Immerhin war sie wohl von dem albernen Gedanken abgekommen, ihn nach Texas zu begleiten. Nachdem er sich eindeutig dagegen ausgesprochen hatte, war sie fassungslos gewesen. Aus ihrem entsetzten Schweigen schloss er, dass sie ihre Meinung wohl geändert hatte.

Eigentlich wollte er nicht so brutal ehrlich sein, aber sie ließ ihm keine andere Wahl. Wie er ihr bereits gesagt hatte, arbeitete er nur allein. Als er sich einmal von einer Frau zur Aufklärung eines Falles begleiten ließ, hatte ihn das beinahe das Leben gekostet. Er konnte sich daran erinnern, als sei es erst gestern gewesen.

Sicher, in Megans Fall war mit keiner Gefahr zu rechnen. Die einzige Gefahr war sie selbst. Ihr zu widerstehen würde enorm viel Kraft erfordern, und die konnte er möglicherweise nicht aufbringen. Doch er war zuversichtlich, dass sie seine direkte Ansage begriffen hatte und damit zähneknirschend einverstanden war.

Während seines Aufenthalts in Texas wollte er möglichst viel über Clarice Riggins herausbekommen, und den Bericht würde er Megan dann übergeben. Da er für seine Dienste sehr gut bezahlt wurde, würde er sich besonders bemühen, ihre Erwartungen nicht zu enttäuschen.

Leider hatte ihr Urgroßvater seine Spuren sehr gut verwischt. Warum? Hatte er in jungen Jahren so viel angestellt? Wie auch immer, Rico war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Sein jetziger Stand war, dass Clarice ein Kind gehabt hatte, doch für eine Ehe mit Raphel gab es bislang keine Anzeichen. Es kam ohnehin einem Wunder gleich, dass er auf Clarice gestoßen war, denn in den Aufzeichnungen fanden sich die verschiedensten Schreibweisen ihres Namens.

Als er aus dem Bad trat, klingelte sein Handy. Er klappte es auf und sah auf dem Display eine New Yorker Nummer. Da seine Detektei dort eine Zweigstelle hatte, nahm er das Gespräch sofort entgegen. „Hallo?“

Pause. Dann: „Hallo, mein Sohn. Hier ist dein Vater.“

Rico sog scharf die Luft ein und presste die Lippen zusammen, um den Zorn zu unterdrücken, der sofort in ihm hochstieg. „Sie haben sich verwählt. Ich habe keinen Vater.“

Und ohne dem Anrufer die Gelegenheit zu geben, etwas zu sagen, klappte Rico das Handy wieder zu. Zum Teufel mit Jeff Claiborne! Warum musste er nach all der Zeit ausgerechnet jetzt seinen Sohn anrufen? Wie lange hatte er sich nicht gemeldet? Achtzehn Jahre? In der Zwischenzeit hatte Rico sich längst an den Gedanken gewöhnt, keinen Vater zu haben, und er kam damit gut zurecht.

Warum meldete er sich wieder? Rico würde nie vergessen, wie viele Leben der Mann durch seinen Egoismus zerstört hatte. Nein, Jeff Claiborne hatte keinen Grund, ihn anzurufen. Überhaupt keinen.

2. KAPITEL

Während Megan eine Paprikaschote in Streifen schnitt und Sellerie für den Kartoffelsalat zerteilte, versuchte sie, ihre Nervosität zu unterdrücken. Pam hatte ihr erzählt, dass auch Rico eingeladen war. Wahrscheinlich würde er jede Minute kommen.

„Hat Rico schon irgendetwas herausgefunden?“

Megan warf einen kurzen Blick zur Seite. Sie mochte Pam sehr, und sie war die ideale Ehepartnerin für Dillon. Die beiden Frauen waren momentan allein in der Küche. Chloe und Bella waren nach oben gegangen, um nach den Kindern zu sehen, und Lucia war im Esszimmer und verzierte den Kuchen, den es zum Nachtisch geben sollte.

„Ja, er hat eine Spur in Texas, die er verfolgen wird.“ Megan wollte noch nichts von Clarice sagen, denn dann würden sich die anderen zu große Hoffnungen machen.

„Das ist ja super!“ Pam drehte die Hühnerschenkel in der riesigen Pfanne, damit sie von allen Seiten goldbraun und knusprig wurden. „Darüber bist du doch sicher sehr glücklich.“

Hm, das schon … Megan wäre allerdings noch sehr viel glücklicher, wenn Rico sich nicht weigern würde, sie nach Texas mitzunehmen.

Sie war schon gespannt auf sein Gesicht, wenn sie plötzlich dort auftauchte. Ganz sicher war er der Meinung, sie eingeschüchtert und ihr den Plan ausgeredet zu haben. Aber da hatte er falsch gewettet!

Männer waren echt schwer zu verstehen. Manchmal kamen sie Megan wie Wesen von einem anderen Stern vor. Wie konnte ein Mann nur annehmen, dass die Frau, die er wollte, auch auf ihn heiß war? Was für eine bescheuerte Logik.

Obwohl sie privat und beruflich viel mit Männern zu tun hatte, hatte Megan wenig Erfahrung. Sicher, sie wusste einiges über Liebe, aber wenn es um Sex und Begierde ging, dann musste sie passen. Bevor sie Rico begegnete, hatte es in ihrem Leben keinen Mann gegeben, an dem sie auch nur andeutungsweise interessiert gewesen war. Von ihrem Lieblingsschauspieler abgesehen, aber der zählte nicht.

Wieder sah sie Pam an. Pam und Dillon führten seine sehr gute Ehe, sie liebten sich, das war deutlich zu merken. Pam, Chloe, Lucia und Bella waren zwar nur Megans Schwägerinnen, aber sie waren für sie wie die Schwestern, die sie nie gehabt hatte. Und jetzt brauchte sie einen schwesterlichen Rat.

„Du, Pam?“

„Ja?“

„Wie würdest du reagieren, wenn ein Mann dir sagen würde, er wolle mit dir schlafen?“

Pam sah sie kurz von der Seite her an und grinste. „Das kommt auf den Mann an. Wenn dein Bruder das zu mir gesagt hätte, hätte ich meinen damaligen Verlobten viel schneller vor die Tür gesetzt. Denn ich fand Dillon von Anfang an sehr sexy.“

So war es Megan auch gegangen, als sie Rico zum ersten Mal sah. „Dann wärst du nicht wütend gewesen, weil er so direkt ist?“

„Nein. Wie gesagt, es hängt von dem Mann ab. Wenn ich selbst scharf auf ihn wäre, dann nicht. Warum auch? Das bedeutet doch nur, dass wir uns in dem Punkt einig sind und den nächsten Schritt gehen können.“

Diese Antwort überraschte Megan. „Den nächsten Schritt?“

„Ja. Uns besser kennenzulernen.“ Pam richtete sich auf. „Hast du einen bestimmten Grund für diese Frage? Gibt es einen Mann, der mit dir ins Bett gehen will?“ Als Megan den Kopf senkte und schwieg, lachte Pam leise auf. „Das beantwortet wohl meine Frage.“

Sie nahm die letzten Hühnerschenkel aus der Pfanne, legte sie auf die Warmhalteplatte und setzte sich zu Megan an den Tisch. „Wie ich schon sagte, Megan, es kommt darauf an, was du empfindest. Was er will, ist nicht entscheidend. Überleg dir, was du willst, und handle dann danach.“

Megan seufzte leise. „Genau das ist das Problem.“ Rico war ein Traumtyp. Aber was wusste sie wirklich von ihm? Außer dass er der Bruder von Jessica und Savannah war, die ihn anbeteten? „Er will Beruf und Privatleben streng trennen, was ich verstehe. Mir geht es ja nicht anders. Und natürlich habe ich ihm nicht gesagt, was ich für ihn empfinde.“

„Das tun die wenigsten Frauen. Aber sie lassen den Mann spüren, wie es in ihnen aussieht, und zwar auf eine Art und Weise, die der Mann als Signal empfängt.“

„Was?“ Megan sah Pam verwundert an. „Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas ausgesendet habe.“

Pam lachte. „Eigentlich sollte ich das ja nicht sagen, aber ich fürchte, dass selbst meine kleine Schwester Jillian einen Mann besser einschätzen kann als du. Deine Brüder und Cousins haben dich zu sehr vor der rauen Wirklichkeit beschützt.“

Megan schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Ich habe nur noch nie einen Mann getroffen, an dem ich interessiert war.“

„Aber jetzt?“

„Äh … na ja, ich bin eigentlich nicht an ihm interessiert. Ich möchte nur, dass wir enger … zusammenarbeiten. Aber das will er nicht, weil er, wie er sagt, verrückt nach mir ist.“

Wieder musste Pam lachen. „Also, ich fürchte, es lässt sich in einem Krankenhaus gar nicht vermeiden, dass ihr irgendwann miteinander zu tun haben werdet.“

Im Krankenhaus? Megan war etwas verwirrt. Aber klar, Pam dachte, der Mann sei ein Kollege. Wie sie wohl reagierte, wenn herauskam, dass der besagte Mann heute Abend mit ihr am Esstisch sitzen würde? Als vom Eingang her lautes Männerlachen zu hören war, wusste sie, dass Rico gekommen war. Denn seine dunkle raue Stimme kannte sie mittlerweile nur zu gut.

Als Megan mit einer großen Schüssel ins Esszimmer kam, unterbrach Rico sein Gespräch mit Dillon und Ramsey. Sie stellte den Kartoffelsalat auf den Tisch und sah Rico kurz lächelnd an. „Hallo!“

„Hi, Megan.“ Bewundernd musterte er sie von oben bis unten. Statt des weißen Arztkittels trug sie jetzt einen weichen blauen Pullover mit V-Ausschnitt und dazu Jeans, die tief auf der Hüfte saßen. Wie schön sie war …

Immerhin hatte sie ihn begrüßt, seine Äußerung hatte also nicht zum Kontaktabbruch geführt. Zwar war er fest davon überzeugt, dass es nie verkehrt sein konnte, die Wahrheit zu sagen, aber hin und wieder eckte er mit dieser Haltung ziemlich an.

„Dann hast du also vor, nach Texas zu fliegen?“, riss Dillon ihn aus seinen Gedanken.

Rico zuckte leicht zusammen und sah sofort, dass Dillon seine bewundernden Blicke in Richtung Megan bemerkt hatte. „Äh … ja, ich habe wahrscheinlich eine neue Spur. Näheres möchte ich noch nicht sagen, aber ich bin ziemlich optimistisch.“

Dillon nickte lächelnd. „Das kann ich gut verstehen. Als ich damals Nachforschungen über Raphel anstellte, hatte ich manchmal das Gefühl, Teile für ein sehr kompliziertes Puzzle zu suchen. Aber diese Frau da“, er wies mit dem Kopf auf Pam, „war es weiß Gott wert.“

Auch Rico sah zu Pam hinüber, die sich mit Megan unterhielt. Er konnte nur zu gut verstehen, warum Dillon sie liebte. Pam war eine zauberhafte und zudem noch wunderschöne Frau. Seine Schwestern hatten ihm erzählt, dass Dillon ihr damals während seiner Suche nach Spuren des Urgroßvaters in Wyoming begegnet war. Zu der Zeit war Pam mit einem Mann verlobt, den Dillon schließlich als Lügner und Betrüger entlarvt hatte.

Während Riley, Dillon und Ramsey sich unterhielten, schielte Rico immer wieder zu Megan rüber. Seit sie sich im Juni das erste Mal begegnet waren, ging sie ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ja, er lag sogar oft nachts wach und dachte an sie.

Seltsam, dass sie es ihm so angetan hatte. Aber wie er ihr schon gesagt hatte, begehrte er sie so sehr, dass er sich in ihrer Gegenwart kaum zügeln konnte. Und deshalb war es das Beste, voneinander Abstand zu halten. Vor allem auch im Hinblick auf seine Beziehung zu den Westmorelands.

„Und wann fliegst du nun, Rico?“

Rico wandte sich um und begegnete dem neugierigen Blick von Ramsey. Er hatte wohl auch bemerkt, dass Rico Megan kaum aus den Augen lassen konnte.

Rico drehte den Stiel seines Weinglases hin und her. Er mochte die Westmorelands sehr und freute sich, dass sie ihn oft einluden. Auf keinen Fall wollte er diese Freundschaft verlieren, weil er so heiß darauf war, mit Megan zu schlafen – ihrer Schwester beziehungsweise Cousine. „Am Donnerstag. Warum fragst du?“

„Nur so. Aus Neugier.“

Rico hatte das unbestimmte Gefühl, dass es mehr als das war. Hörte er da eine leichte Drohung heraus? Wer weiß, vielleicht würde er sich noch den Zorn der Westmorelands zuziehen, wenn er Megan weiterhin so anstarrte.

Glücklicherweise griff Dillon jetzt ein. „Pam hat mir gerade signalisiert, dass wir zum Essen kommen sollen.“

Alle gingen Richtung Esszimmer. Kurz vor der Tür nahm Ramsey Rico beim Arm. „Sekunde mal eben.“

Rico sah ihn verblüfft an. Was sollte das? Hatte Megan seine eindeutige Ansage direkt ihrem Bruder gepetzt? Oder wollte Ramsey ihn zur Rede stellen, weil er Ricos begehrliche Blicke bemerkt hatte? Aber wie sollte er versuchen, Ramsey etwas zu erklären, was er selbst nicht verstand? Auch früher schon hatte er sich zu Frauen hingezogen gefühlt, aber nie mit dieser Intensität.

Als sie allein zurückgeblieben waren, drehte sich Ramsey zu Rico um, der sich auf alles Mögliche gefasst machte. Da er selbst zwei jüngere Schwestern hatte, wusste er, dass große Brüder gern die Beschützerrolle einnahmen. Auch gegen Chase und Durango hatte er anfangs seine Vorbehalte gehabt, aber nur, weil er ahnte, dass zwischen ihnen und seinen Schwestern etwas vorging, was er nicht einschätzen konnte.

Da Ramsey schwieg, ergriff Rico das Wort. „Wolltest du mit mir was besprechen, Ramsey?“

„Ja. Es geht um Megan.“

„Aha. Und was ist es? Was ist mit ihr?“

„Ich will dich nur warnen.“

Also doch. Rico sah seinen Freund gespannt an. „Ich kann mir vorstellen, was du mir sagen willst.“

Zu seiner Überraschung schüttelte Ramsey lachend den Kopf. „Das glaube ich eher nicht.“

Was war denn so komisch? Die Situation verwirrte ihn. Vielleicht wusste er wirklich nicht, worum es ging. „Dann sag es mir. Hat die Warnung etwas mit Megan zu tun?“

Ramsey nahm einen Schluck von seinem Drink und erklärte dann: „Sie hat einen sehr starken Willen, weißt du, und eine stählerne Selbstdisziplin. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht sie es durch, manchmal auch ohne es genau durchdacht zu haben. Und auf eins kannst du dich verlassen. Wenn du Nein sagst, lässt sie sich noch lange nicht davon abschrecken. Im Gegenteil.“

„Warum sagst du mir das?“, fragte Rico nach einem kurzen Schweigen.

Ramsey grinste. „Das wirst du noch früh genug herausfinden. Aber nun komm, die anderen warten mit dem Essen auf uns.“

Megan versuchte, die Unterhaltung auszublenden, die ihr heute irgendwie auf die Nerven ging. Wenn die Westmorelands zusammenkamen, ging es jedes Mal äußerst lebhaft zu.

Glücklicherweise hatte Pam keine Ahnung, wer der Mann war, über den sie in der Küche gesprochen hatten. Sonst hätte sie Rico und Megan bestimmt nebeneinandergesetzt. So saß Rico jedoch am anderen Ende des Tisches, neben Riley und gegenüber von Ramsey. Megan müsste sich den Hals verrenken, um einen Blick auf ihn zu werfen. Und das unterließ sie tunlichst, denn jeder würde es bemerken.

Jetzt sagte Riley etwas, was alle rings um ihn zum Lachen brachte. Da fiel es nicht weiter auf, dass Megan sich vorbeugte und zum Tischende blickte, wo Rico saß. Er hatte sich zurückgelehnt und betrachtete lächelnd sein Glas Wein. Mit diesem sanften Zug um den Mund sah er besonders unwiderstehlich aus.

Als hätte er gespürt, dass sie ihn ansah, drehte er jetzt den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich, und Megan stockte kurz der Atem. Die Intensität, mit der er sie betrachtete, fühlte sie bis in die Zehenspitzen. Es kostete sie allergrößte Anstrengung, eine gelassene Miene aufzusetzen.

Vor allem weil sie unwillkürlich an das denken musste, was Pam ihr kurz zuvor geraten hatte: Es kommt darauf an, was du empfindest. Was er will, ist nicht entscheidend.

Megan schlug schnell die Augen nieder und griff nach ihrem Weinglas. Sie durfte sich nicht so leicht aus der Fassung bringen lassen. Sie hatte schon ganz andere Situationen gemeistert, also würde sie auch mit dieser fertig werden.

Verlangen und Lust waren in ihrem Terminplan nicht vorgesehen. Dafür hatte sie schlicht keine Zeit. Und warum will ich ihn so unbedingt nach Texas begleiten? fragte sie sich selbstkritisch. Aber es lag auf der Hand: Sie wollte eben dabei sein, wenn Rico die Wahrheit über Raphel herausfand! Das war alles.

Zeit für ihre Ankündigung. Megan bat um Aufmerksamkeit, und alle Augen wandten sich ihr zu. Sie lächelte in die Runde. „Ich habe euch etwas zu sagen. Die meisten in dieser Runde wissen, dass ich sehr selten Urlaub mache. Deshalb wird es euch überraschen, dass ich jetzt einen ganzen Monat freinehmen werde. Morgen ist mein erster Urlaubstag.“

Überraschtes Gemurmel folgte dieser Ankündigung. Nur Rico blieb ernst und sah sie eher düster an.

„Und warum so plötzlich?“, fragte ihr Cousin Stern. „Fehlt dir Bailey so sehr, dass du ihr gleich nach North Carolina hinterherreisen musst?“

Megan schüttelte lächelnd den Kopf. „Stimmt, ich vermisse Bailey. Aber ich fliege nicht nach North Carolina.“

„Okay. Dann kann ich mir nur vorstellen, dass du entweder Gemma in Australien oder Delaney in Teheran besuchen willst“, vermutete Chloe.

„Wieder falsch.“ Erneut schüttelte Megan den Kopf. „Das kommt aber irgendwann auch dran.“

Nun redeten alle durcheinander und machten die verrücktesten Vorschläge, bis Megan lachend die Hand hob. „Halt! So spannend ist es nun auch wieder nicht.“

„Oh, doch! Wann hast du schon mal Urlaub gemacht? Du arbeitest eben gern.“

„Das stimmt nicht ganz. Ich liebe meinen Beruf und möchte ihn gewissenhaft ausüben, aber gegen Urlaub habe ich durchaus nichts einzuwenden. Also“, sie sprach nun etwas lauter, um das Stimmengewirr zu durchdringen, „um euch nicht länger auf die Folter zu spannen: Ich habe heute mit Clint und Alyssa telefoniert, und ich werde sie in Texas besuchen.“

„Texas?“

Das war Riley. Megan sah ihn an und streifte dabei auch Rico mit einem Blick. Er wirkte nicht besonders glücklich, das war deutlich zu sehen. Sein Pech. Wenn er sie nicht mitnehmen wollte, flog sie eben allein nach Texas. Das konnte er ihr wohl kaum verbieten. „Ja, Riley, ich fliege nach Texas.“

„Und wann?“, fragte ihr Bruder Zane. „Du musst mir noch diese … äh … Schachtel geben, bevor du fliegst.“

„Natürlich.“ Sie nickte Zane zu, der sehr angespannt aussah. Diese Schachtel, die er ihr vertrauensvoll zur Aufbewahrung gegeben hatte, schien ihm sehr wichtig zu sein, und er machte ein großes Geheimnis daraus. Megan hatte die Schachtel trotz steigender Neugier noch nie geöffnet. „Keine Sorge, Zane, ich fliege erst am Freitag.“

Wieder sah sie kurz zu Rico, dann wandte sie sich ihrem Teller zu. Rico hatte die ganze Zeit über geschwiegen, aber was sollte er auch sagen. Zwar würden sie sich in demselben Staat und auch nur wenige Meilen voneinander entfernt aufhalten, aber sie mussten sich deshalb nicht begegnen. Da er ihre Gesellschaft nicht wollte, würde Megan eben auf eigene Faust ein paar Nachforschungen anstellen.

3. KAPITEL

Als Rico am nächsten Morgen aufwachte, war er immer noch wütend. Jetzt wusste er auch, weshalb Ramsey ihn gewarnt hatte. Dieses kleine Biest flog also wirklich nach Texas! Eigentlich hatte er sie gleich gestern noch zur Rede stellen wollen, aber er war einfach zu sauer gewesen.

Und statt jetzt mit Zane, Riley, Canyon und Stern bei einem gemütlichen Frühstück mit leckeren Pancakes zusammenzusitzen, parkte er vor Megans Haus, um mit ihr zu reden. Er musste sie unbedingt zur Vernunft bringen.

Wusste sie nicht, was ein kaum zu bändigendes Verlangen war? Hatte sie nie erlebt, dass ein Mann derartig verrückt nach einer Frau war, dass er sich nicht mehr zusammenreißen konnte? War sie nicht in der Lage, sich vorzustellen, dass sie für ihn die Verführung in Person war, selbst wenn sie sich bemühte, kühl und gleichgültig zu wirken?

Schon gestern Abend beim Dinner war es ihm extrem schwergefallen, mit ihr in einem Raum zu sein. Und nun würden sie sich zwangsweise in Texas begegnen – ohne eine Familie ringsum, die als Puffer diente.

Vielleicht nahmen die anderen ihr die Geschichte ab, dass sie nach Austin flog, um Clint zu besuchen. Er nicht. Es mochte sein, dass sie fünf Minuten bei Clint und Alyssa hereinschaute, aber das war’s dann auch.

Rico war selbst gut mit den beiden befreundet und hatte eigentlich auch vorgehabt, bei ihnen zu übernachten. Clint hatte ihm eines seiner gemütlichen Cottages auf der Golden Glade Ranch angeboten, sozusagen als Hauptquartier während seiner Recherchen. Nun würde sich die Zeit genau mit Megans Aufenthalt überschneiden.

Auch wenn Megan es noch so sehr abstritt, Rico war sicher, dass sie entweder mit ihm gemeinsam oder auf eigene Faust Nachforschungen anstellen wollte. Aber warum bloß? Schließlich bezahlte sie ihn doch für seine Arbeit.

Er stieg aus und sah sich um. An einer Ecke stand Megans SUV. Sie hatte ein wunderschönes Stück Land! Hinter dem Haus erstreckten sich sanfte Hügel und Wiesen voller Wildblumen.

Ganz im Hintergrund waren die Berge zu sehen und davor der Whisper Creek Canyon – ein fantastischer Blick. Dann gab es noch den See, der nach ihrer Großmutter Gemma benannt worden war. Riley hatte erzählt, dass der See besonders fischreich sei, und Rico hätte sich jetzt tausendmal lieber eine Angel geschnappt, als sich mit Megan auseinanderzusetzen.

Megans Haus war kleiner als das ihrer Brüder und Cousins, die sich mehrstöckige Anwesen gebaut hatten. Ihres war nur einstöckig, hatte aber sehr viel Charme. Es sah beinahe wie ein Ferienhaus aus und schien ganz aus Holz gebaut zu sein. Eine einladende Veranda lief rund ums Haus, und von den großen Fenstern aus hatte man sicher einen atemberaubenden Blick auf den Canyon und den See.

Einen Teil des fruchtbaren Weidelands hatte Megan Ramsey, Zane und Derringer für ihre Schafs- und Pferdezucht überlassen.

Rico kannte die Geschichte des Haupthauses, das auf über 120 Hektar Land stand. Dillon hatte es als ältester der Westmorelands geerbt, seine Geschwister und direkten Cousins würden mit Erreichen des 25. Lebensjahrs eigene Ländereien bekommen.

Ob Riley irgendwie Verdacht schöpfte, weil Rico ihm gestern Abend so viele Fragen über Megan gestellt hatte? Gezeigt hatte er es zumindest nicht, was vielleicht aber auch daran lag, dass er während des Essens sein schwarzes Notizbuch eifrig nach Namen und Telefonnummern von Frauen durchsuchte, die er anrufen könnte.

Es war noch früh am Tag. Ob Megan schon aufgestanden war? Das fand er sicherlich sehr bald heraus, denn nichts würde ihn davon abbringen, ihr die Meinung zu sagen.

Er konnte sich schon vorstellen, wie sie sich herausreden würde: Sie habe die starke Anziehung nicht bemerkt, verspüre kein sexuelles Verlangen nach ihm usw. Aber das nahm er ihr nicht ab. Auch sie quälte dieses Begehren, das ihn fast jede Nacht wach hielt. Und er würde ihr sehr eindeutig sagen, dass es Unsinn war, nach Texas zu fliegen und so zu tun, als wolle sie nur Verwandte besuchen.

Es war noch kalt. Rico zog den Reißverschluss seiner Lederjacke zu und lief die wenigen Stufen zur Haustür hinauf. Er klopfte ein paarmal kräftig an die Tür, dann wartete er. Klopfte wieder. Immer noch keine Reaktion. Als er sich umdrehte, um zum Wagen zurückzugehen, öffnete sich die Tür. Er wandte sich wieder um – und ihm fiel der Kinnladen herunter. „Wahnsinn …“, mehr brachte er nicht heraus, als Megan in einem süßen superkurzen Nachthemd vor ihm stand.

Auch Megan war total überrascht, als sie Rico sah. „Was willst du denn hier?“

Er machte einen Schritt vorwärts und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Ich will mit dir sprechen. Aber wie kommst du dazu, einfach die Tür zu öffnen, ohne vorher zu fragen, wer es ist?“

Sie verdrehte leicht genervt die Augen. „Normalerweise kommen nur meine Brüder vorbei, die sagen mir nie vorher Bescheid.“

„Und du begrüßt sie immer in diesem Aufzug?“

„Allerdings, wenn du nichts dagegen hast. Aber weshalb bist du gekommen?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Und mach schnell, mir wird kalt.“

„Es geht um deine Reise nach Texas.“

Megan starrte ihn mehrere Sekunden lang an, die Lippen zusammengepresst. „Okay.“ Sie machte einen Schritt rückwärts. „Komm rein, ich ziehe mir nur rasch was über.“

Er blickte ihr hinterher. Verdammt, sie sah wirklich zu sexy aus in dem kurzen Hemdchen, das ihre langen schlanken Beine betonte … Aber darüber sollte er jetzt nicht nachdenken. Schnell zog er die Jacke aus und hängte sie an die Garderobe im Flur.

Dann betrat er das Wohnzimmer und sah sich neugierig um. Was für ein gemütliches, rustikales Haus! Es war tatsächlich ganz aus Holz gebaut, und die dazu passenden Möbel wirkten sehr bequem. An den Raum schloss sich eine geräumige Küche mit gemütlichem Essplatz an, große Fenster gingen auf den See hinaus. Man konnte von dort aus sogar das Haus von Megans Bruder Micah sehen, an dessen Anleger sein Segelboot festgemacht war.

„Ich brauche aber erst meinen Morgenkaffee.“

Rico hatte Megan nicht kommen hören und wandte sich hastig um, als sie den Raum betrat und an ihm vorbei in die Küche ging. „Aber klar.“ Er nickte. „Wir haben Zeit, und ich bleibe hier, weil ich genau weiß, was du vorhast.“

Sie stellte die Kaffeemaschine an und drehte sich dann zu ihm um. „Und was genau soll das sein?“

„Dass du nach Texas willst, ist kein Zufall.“

„Nein, und ich habe dir doch schon erklärt, warum. Ich muss unbedingt mal ein paar Tage Urlaub machen.“

„Aber warum gerade in Texas?“

„Warum nicht? Es ist ein interessanter Bundesstaat, und ich bin lange nicht da gewesen. Auch nicht auf dem letzten Ball, den Clint, Cole und Casey jedes Jahr zu Ehren ihres Onkels geben. Ich habe große Lust, sie wiederzusehen, vor allem, weil Alyssa wieder schwanger ist.“

„Aber das ist nicht der wahre Grund, Megan, das weißt du genau. Sieh mir in die Augen, und dann behaupte, dass du nicht vorhast, Nachforschungen über Clarice anzustellen.“

„Das kann ich nicht, denn ich habe es tatsächlich vor.“

„Aber warum?“

Megan runzelte die Stirn. „Warum nicht? Es sind schließlich meine Verwandten!“

„Aber es ist meine Aufgabe. Dafür bezahlst du mich.“

Er stand in der Küchentür, und Megan hatte plötzlich das Gefühl, ihre sonst so geräumige Küche sei zusammengeschrumpft.

„Ja, ich weiß. Aber ich hatte dich auch gebeten, mich zu diesem Ort Forbes mitzunehmen. Für mich ist es sehr wichtig, dabei zu sein, wenn du etwas über mögliche weitere Verwandte von mir herausfindest. Ist das nicht nachvollziehbar? Aber du hast ja diese alberne Regel, nur allein arbeiten zu können.“

„Du musst allerdings zugeben, dass du nichts von deinen Plänen erwähntest, als du mich engagiert hast. Dass du an der Suche beteiligt sein willst, meine ich.“

Sie schüttelte störrisch den Kopf. „Das war auch nicht geplant. Aber seit sich herausgestellt hat, dass ich eventuell noch mehr Verwandte habe, hat sich die Situation total verändert. Warum kannst du das nicht verstehen?“

Doch, das konnte er nur zu gut verstehen. Nervös fuhr er sich durchs Haar. Nie würde er vergessen, wie seine Mutter an einem schönen Sommertag plötzlich mit einem fünfzehnjährigen Teenager vor ihm stand und ihm das Mädchen als seine Schwester Jessica vorstellte.

Savannah war damals sechzehn, er neunzehn und bereits im College. Es war ihm egal gewesen, dass er vorher nichts von Jessica gewusst hatte, er nahm sie sofort unter seine brüderlichen Fittiche und schloss sie ins Herz. Aber …

Er unterbrach rasch seine Gedanken. „Du irrst dich, ich kann das durchaus verstehen“, sagte er ruhig. „Dennoch gibt es einiges, was ich erst einmal allein klären muss.“

„So? Was denn?“

Sie war aber auch hartnäckig! Er presste frustriert die Lippen zusammen. Im Zusammenhang mit Raphel hatte er verschiedenes herausgefunden oder besser gesagt gehört, was wahr sein konnte oder auch nicht. Er musste unbedingt erst die Fakten klären, bevor er sich damit an Megan wandte.

Bisher hatten sich laut Dillons Aussage alle negativen Informationen über Raphel als falsch herausgestellt. Und deshalb wollte er sich erst einmal das Stadtregister von Forbes genauer ansehen.

Megan goss sich und Rico Kaffee ein. Dann blickte sie ihn forschend an. „Was ist denn los, Rico? Verheimlichst du mir etwas?“

Er nahm ihr den Becher ab. „Danke. Ich habe dir gesagt, dass ich etwas über Clarice herausgefunden habe und dass sie möglicherweise ein Kind hatte. Genaueres weiß ich noch nicht, und alles andere sind Gerüchte.“

„Was für Gerüchte?“

„Dazu möchte ich lieber nichts sagen.“

Sie trank einen Schluck Kaffee und meinte dann: „Du weichst mir aus.“

„Nein. Ich will meine Sache nur richtig machen. Wenn du Alyssa und Clint in Texas besuchen willst, habe ich nichts dagegen. Aber ich möchte nicht, dass du an Orten auftauchst, wo du nicht sein solltest.“

„Wo ich nicht sein sollte?“, wiederholte sie empört. „Was willst du denn damit sagen?“

„Ganz einfach. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Und das kann ich nicht, wenn du in de...

Autor

Brenda Jackson
Brenda ist eine eingefleischte Romantikerin, die vor 30 Jahren ihre Sandkastenliebe geheiratet hat und immer noch stolz den Ring trägt, den ihr Freund ihr ansteckte, als sie 15 Jahre alt war. Weil sie sehr früh begann, an die Kraft von Liebe und Romantik zu glauben, verwendet sie ihre ganze Energie...
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