Ausgerechnet der Boss?

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Groß, breitschultrig, dunkelhaarig: Miles Mercer ist genau Sydneys Typ. Allerdings ist der berühmte Regisseur momentan ihr Boss und Liebe im Job für sie tabu. Aber was spricht gegen eine unverbindliche Affäre auf Zeit? Schließlich wandert sie sowieso bald nach Übersee aus, oder?


  • Erscheinungstag 25.02.2019
  • Bandnummer 4
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745707
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Hast du irgendjemandem gesagt, dass du nach St. Michel fliegst?“, fragte Maya LeBlanc ungläubig.

Ihre Freundin Sydney James schüttelte langsam den Kopf. Maya war fassungslos. Wie konnte eine so kluge, fähige und schöne Frau wie Sydney nur so ahnungslos sein, wenn es um ihre eigenen Bedürfnisse ging?

„Niemand in Celebration weiß, dass ich hier bin“, entgegnete diese kleinlaut. Mit Celebration meinte sie eine kleine Stadt im Bundesstaat Texas, Amerika – stolze viertausend Kilometer entfernt von der beschaulichen Insel St. Michel. „Ich wollte nichts sagen, bevor ich genau weiß, ob ich den Job auch wirklich bekomme“, erklärte Sydney. Sobald sie versuchte, sich zu rechtfertigen, kam ihr britischer Akzent besonders zur Geltung. „Es wäre doch unsinnig, vorher schon die Pferde scheu zu machen.“ Sie hob die Schultern.

Aber Maya spürte trotzdem eine gewisse Unsicherheit, die von der sonst so selbstbewussten Frau ausging. „Also ist es nicht das, was du wirklich willst?“, hakte sie nach, während sie in einem Topf mit heißer Trinkschokolade rührte.

Sydneys Blick blieb für einen Moment an dem Kupfertopf haften, dann blinzelte sie und sah ihrer Freundin ins Gesicht. „Meinst du deine heiße Schokolade? Natürlich will ich die.“

Kopfschüttelnd stemmte Maya die freie Hand in die Hüfte und musterte Sydney streng. „Ich spreche von deinem Bewerbungsgespräch. Wozu die Geheimniskrämerei? Wenn es dich glücklich machen würde, nach St. Michel zurückzukehren, könntest du es doch einfach sagen. Vor allem deinen Freundinnen.“

Maya beobachtete, wie Sydney unruhig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Sie trug elegante Schuhe von Ferragamo zu einem schicken Kostüm, doch ihre Körpersprache strahlte gerade alles andere als Selbstbewusstsein aus. Sie räusperte sich nervös.

„Es ist einfach an der Zeit, weiterzuziehen und Texas hinter mir zu lassen. Es ist Zeit für etwas Neues.“

Als ob. Mayas Freundin hörte sich eher so an, als hätte sie soeben ihr Todesurteil unterzeichnet.

„Warum hast du dann A. J., Pepper und Caroline nichts davon gesagt?“, beharrte Maya. „Sie würden bestimmt nicht versuchen, dich aufzuhalten, wenn es wirklich das ist, was du willst. Ganz im Gegenteil – sie würden sich für dich freuen, wenn sie wüssten, dass es die richtige Entscheidung ist. Oder hast du selbst Zweifel daran?“

Sydney antwortete nicht.

Maya richtete den Blick wieder auf den Topf, in dem die heiße Schokolade bereits begonnen hatte, zarte Blasen zu werfen. Sie rührte schneller und gab eine Prise Zimt in das Getränk. Das duftende, kupferrote Gewürz bildete einen hübschen Kontrast zu dem Dunkelbraun der Schokolade und formte ein eigenwilliges Muster. Maya kniff die Augen zusammen.

Interessant

Das Muster in der kochenden Flüssigkeit begann sich zu verändern. Maya wusste vorher nie, wann oder wo sich das Zeichen zeigen würde. Manchmal wurde die Botschaft auch vom Wind übertragen, manchmal durch ein anderes Medium – wie jetzt durch die heiße Schokolade. Es ließ sich nie voraussehen. Aber wenn es sich zeigte, war es für Maya stets ganz eindeutig.

Ihr Atem beschleunigte sich, und ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Sie warf ihrer Freundin einen verstohlenen Blick zu. Sydneys Augen verrieten eine Traurigkeit, die sie mit Worten niemals zugeben würde, doch Maya ahnte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag.

Um sicherzugehen, dass es sich tatsächlich um das Zeichen handelte, fügte sie dem Getränk noch eine Prise Cayennepfeffer hinzu.

Da war es! Maya konnte es jetzt so deutlich entziffern, als ob ihr jemand eine handgeschriebene Notiz gereicht hätte.

Sydney war die Nächste. Sie war auserwählt.

Diese Erkenntnis sandte einen prickelnden Schauer über Mayas Rücken, und eine freudige Erwartung ergriff von ihr Besitz.

Sie war nicht nur eine Chocolatière in dritter Generation, sie war auch un marieur – eine Kupplerin. Wenn es um die Liebe ging, hatte sie ganz besondere Antennen. Bahnte sich irgendwo eine Beziehung an, konnte sie es als Erste spüren. Jedes zarte zwischenmenschliche Gefühl sog sie auf wie ein Schwamm – ganz gleich, ob sie es wollte oder nicht.

Aber wenn es dabei um eine gute Freundin wie Sydney ging, war ihre Freude ganz besonders groß. Maya sorgte sich nicht nur um das leibliche Wohl ihrer Freunde, indem sie für sie Pralinen und heiße Schokolade zauberte. Nein, sie hatte sich auch vorgenommen, sich um die einsamen Seelen zu kümmern – und diese zusammenzubringen.

„Warum willst du Texas denn überhaupt unbedingt verlassen?“, wollte sie nun wissen, während sie den Topf vom Feuer nahm.

„Es liegt einfach in meiner Natur. Irgendwann muss ich nun einmal weiterziehen. Vielleicht habe ich das Blut einer Zigeunerin in mir“, versuchte Sydney zu scherzen. „Es ist dieselbe Rastlosigkeit, die mich damals schon von St. Michel nach Texas gezogen hat.“

„Und jetzt willst du erneut zurückkommen?“ Maya hob die Braue. Sie nahm den Topf vom Herd und goss das heiße Getränk in zwei Tassen. „Wenn ich mich richtig erinnere, ging es das letzte Mal um einen Mann, als du umgezogen bist. Ist es jetzt wieder so?“

„Nein. Seit ich in Celebration wohne, habe ich nichts getan, außer zu arbeiten. Das ist ja einer der Gründe, warum ich umziehen will.“

Maya studierte jetzt die Gläser, die sie mit speziellen Kräuter- und Gewürzmischungen befüllt hatte. Sie hatte den Eindruck, dass die arbeitswütige Sydney dringend eine kleine Erinnerung daran benötigte, dass es im Leben um mehr als nur um Arbeit ging.

Selbst, wenn es sich bei diesem Job um ein Angebot des königlichen Hauses von Founteneau handelte. Es war gut möglich, dass Sydney bis dahin noch etwas ganz anderes über den Weg lief – etwas, das sehr viel heißer war.

Allerdings musste Sydney sich erst einmal irgendwo richtig niederlassen, um der Liebe überhaupt eine Chance geben zu können.

Es war ja nicht so, dass Maya sich diese Dinge ausgedacht hätte. Sie war lediglich der Bote. Und in diesem Fall war sie sogar die Überbringerin einer mächtigen und lebensverändernden Botschaft.

Sie reichte Sydney eine der beiden Tassen. „Mon amie“, begann sie, „wovor läufst du eigentlich davon?“

Sydney nahm zuerst einen vorsichtigen Schluck. Ihre hübschen grünen Augen wirkten nachdenklich. „Ich laufe vor gar nichts davon“, antwortete sie schließlich. Ihr Lächeln wirkte zwar aufrichtig, aber sie konnte ihre langjährige Freundin einfach nicht täuschen.

„Na schön. Dann lass es mich so ausdrücken: Wohin läufst du davon?“

Sydney entfuhr ein leises Lachen. Unwillkürlich legte sie die Fingerspitzen an die Lippen. „Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?“

Maya nahm einen großen gläsernen Teller von dem Regal hinter der Anrichte. „Ganz einfach: Wenn du nicht vor etwas davonläufst, muss es bedeuten, dass du auf etwas zuläufst.“ Mit diesen Worten platzierte sie einige Trüffel, Pralinen und in Schokolade getauchte Madeleines auf dem Tablett.

„Nein, das tue ich auch nicht.“ Sydney lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

Trotzdem gab Maya noch nicht auf. Schließlich war Sydney in ihren Laden hereinspaziert und hatte ihr – offenbar als einziger Person – von ihren Plänen berichtet. Und dafür würde sie jetzt eben Mayas Rat erhalten.

Au contraire, mon amie. Wie willst du denn jemals deinen Seelenpartner finden, wenn du nicht einmal lange genug irgendwo bleibst, um deine Koffer auszupacken?“ Mit einer aufmunternden Geste schob sie ihrer Freundin das Tablett entgegen. „Ich fürchte, das ist jetzt nicht ganz das, was du erfahren willst. Dennoch hör mir zu: Es wäre ein großer Fehler, Celebration gerade jetzt zu verlassen, denn bald wird jemand kommen und dort nach dir Ausschau halten.“

Für Sydney James war der Tag bereits gelaufen, als sie am späten Morgen bei Celebrations Inc. eintraf.

Nicht nur, dass ihr der übereilte und obendrein heimliche transatlantische Wochenendtrip noch in den Knochen steckte – nein, natürlich war auf dem Rückweg auch noch alles schiefgegangen.

Der Flug nach Dallas, Texas, war erst mit insgesamt sechs Stunden Verspätung gestartet: Das hieß, zuerst drei Stunden Warten im Terminal und danach endlose drei Stunden auf dem Rollfeld, eingesperrt in dem engen Flugzeugsitz.

Als sie endlich spätnachts in Texas eingetroffen war, hätte sie sich am liebsten einfach ein Hotelzimmer genommen und wäre sofort schlafen gegangen. Doch sie konnte es sich nicht erlauben, einen Arbeitstag ausfallen zu lassen. Schon gar nicht, wenn sie vorher niemandem Bescheid gegeben hatte.

Daher hatte sie schweren Herzens das Auto aus dem Parkhaus geholt, wo sie es am späten Donnerstagnachmittag geparkt hatte, und war müde und hungrig zurück nach Celebration gefahren.

Seither waren keine fünf Stunden vergangen, und Sydney fühlte sich vollkommen zerschlagen. Mit ängstlichem Blick spähte sie zu dem Gebäude hinüber, wo vermutlich in diesem Augenblick bereits die Kameras aufgebaut wurden.

Celebrations Inc. war ein Catering-Service, doch seit kurzer Zeit war das Fernsehen auf sie alle aufmerksam geworden und hatte aus dem Alltag des Lieferservices eine Realityshow gemacht.

Seufzend klappte Sydney die Sonnenblende ihres Wagens herunter und betrachtete sich in dem kleinen Spiegel. Unglücklicherweise sah sie genauso mitgenommen aus, wie sie sich fühlte. Ihre Gesichtsfarbe wirkte fahl und müde, und ihre sonst so lebhaften grünen Augen zeigten im Autospiegel ein mattes Olivgrün.

Rasch griff sie nach ihrer Tasche und legte Puder, Rouge und Lippenstift auf. Für gewöhnlich benutzte sie kaum Make-up, doch seit das Fernsehen in ihr Leben involviert war, hatte man ihr beigebracht, dass vor der Kamera mehr auch mehr war.

Inständig hoffte sie, dass man ihren Part für heute vielleicht ausgelassen und einfach ohne sie weitergedreht hatte. Im besten Fall würde man ihre Rolle sogar für die gesamte Woche streichen.

Richtig. Als ob.

Das schlechte Gewissen begann sofort an ihr zu nagen. Wie viele Frauen hätten den kleinen Finger dafür geopfert, um ins Fernsehen zu kommen. Catering to Dallas nahm ständig an Beliebtheit zu und verzeichnete tatsächlich eine steigende Zuschauerquote. Sydney selbst hatte dabei nie im Mittelpunkt gestanden – und sie gedachte, es dabei zu belassen.

Sie mochte ihren Job als Pressereferentin sehr und blieb lieber im Hintergrund, um die Fäden zu ziehen und die ganze Organisation zu übernehmen.

Außerdem war sie glücklich damit, ihre drei Freundinnen vor der Kamera gut aussehen zu lassen. Gemeinsam mit Pepper Merriweather-Macintyre, A. J. Sherwood-Antonelli-Harrison und Caroline Coopersmith-Montgomery hatte sie Celebrations Inc. groß gemacht, doch im Rampenlicht wollte sie deshalb noch lange nicht stehen.

Mit einem weiteren tiefen Seufzen klappte sie die Blende hoch, schloss ihre Handtasche und stieg aus dem Wagen. Danach betrat sie das Gebäude durch den Hintereingang, der direkt in die geräumige Küche führte.

Die mächtige Anrichte aus Marmor glänzte sauber, und die weißen Küchenschränke mit den goldenen Griffen waren blitzblank geputzt. Auf einem schweren Schneidebrett war kunstvoll farbenfrohes Gemüse angerichtet worden. Offensichtlich war schon alles bereit für die Kameras. Dennoch schien das Team gerade eine Pause zu machen.

„Da bist du ja!“ Sydney fuhr erschrocken zusammen und wirbelte herum. Der Schlafmangel hatte sie offenbar schreckhaft gemacht. „Pepper, du hast mich zu Tode erschreckt.“

„Tut mir leid.“ Peppers schwerer Südstaatenakzent trat noch deutlicher hervor als sonst. „Wo um alles in der Welt bist du gewesen? Hier war heute Morgen schon die Hölle los. Hast du meine Nachrichten denn nicht bekommen?“

Nein, das hatte sie nicht, denn Sydneys Mobiltelefon befand sich immer noch im Flugzeugmodus. Sie kramte nun in ihrer Handtasche herum, zog das Handy heraus und änderte schnell das Setting. Augenblicklich gingen über ein Dutzend Textnachrichten und Voicemail-Botschaften ein.

Als Pressereferentin musste Sydney eigentlich nahezu immer erreichbar sein, doch an diesem Wochenende waren ihre Gedanken um so viele andere Dinge gekreist. Erleichtert stellte sie fest, dass zumindest der Großteil der Nachrichten von Pepper war. Deshalb steckte sie das Telefon vorerst wieder zurück in die Tasche.

„Entschuldige. Ich musste übers Wochenende spontan verreisen, und mein Rückflug hatte leider Verspätung“, versuchte Sydney ihrer Freundin eine spärliche Erklärung zu liefern.

Entsprechend unwirsch fiel auch Peppers Reaktion aus. „Du musstest was? Wo warst du denn? Und wieso hast du niemandem vorher Bescheid gesagt?“

Sydney machte daraufhin eine wegwerfende Geste, als ob es sich lediglich um eine Kleinigkeit gehandelt hätte. „Nichts Weltbewegendes. Ich erzähl’s dir später. Also, was war denn hier los?“ Zum Glück ging Pepper sofort auf ihre Frage ein.

„Oh. Mein. Gott. Du wirst es nicht glauben“, begann sie atemlos. Bevor sie fortfuhr, warf sie einen raschen Blick auf die Türen, so als ob sie Angst hätte, dass jemand hereinkommen und sie hören könnte. „Bill Hines fällt vorerst aus. Wegen persönlicher Gründe. Und als wir heute Morgen eingetroffen sind, stellte sich heraus, dass wir bereits einen neuen Regisseur haben. Zumindest vorläufig.“

Wie aufs Stichwort wurde in diesem Moment die große Flügeltür zum Nebenraum geöffnet. Ein Assistent trat ein, grüßte sie flüchtig und begann dann, das Gemüse mit Frischwasser aus einer Sprühflasche zu bearbeiten.

Jetzt drang leises Gemurmel aus dem Nebenraum zu ihnen herein. Pepper wandte den Kopf und deutete unauffällig mit dem Kinn in Richtung zweier Männer, die sich intensiv zu unterhalten schienen.

Einen der beiden erkannte Sydney sofort: Es war Aiden Woods, der leitende Produzent. Der andere Mann – groß, breitschultrig und dunkelhaarig – war Sydney vollkommen fremd. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte.

„Lass dich bloß nicht von seinem guten Aussehen täuschen“, flüsterte Pepper. „Der Typ ist ein Sklaventreiber der schlimmsten Sorte.“

Vielleicht lag es an dem extremen Schlafmangel, dass Sydney diese Bemerkung unheimlich komisch fand. Ein überreiztes kleines Lachen entfuhr ihr.

„Hah, jetzt lachst du noch, aber warte nur ab“, warnte Pepper sie. „Der war nämlich nicht gerade begeistert, dass du heute Morgen nicht pünktlich warst.“

„Wie bitte?“ Mit einem Mal war Sydney wieder komplett ernüchtert. „Seit wann müssen wir uns denn hier zum Dienst melden? Davon einmal abgesehen bin ich ohnehin nur eine Nebenfigur. Ich habe doch noch nicht einmal eine eigene Kamera.“

Pepper hob die Hände. „Hey, erschieß nicht den Boten. Ich habe dich nur vorgewarnt.“

Inzwischen war Sydney klar geworden, was hier eigentlich los war. Dieser Typ kam vollkommen unangemeldet ans Set und meinte sofort, den Tyrannen spielen zu müssen? Pah. Bisher hatte sie sich kein einziges Mal zum Dreh melden müssen. Zumindest nicht offiziell. Das war allerdings ohnehin nicht nötig gewesen, weil Sydney bisher auch noch kein einziges Mal zu spät gekommen war.

„Warum hat er denn nicht einfach ohne mich angefangen?“, fragte sie säuerlich.

„Das hat er ja. Mehr oder weniger zumindest. So, und nun lass uns erst einmal zu A. J. und Caroline gehen. Sie verstecken sich in deinem Büro.“

Sydney warf einen letzten Blick auf den neuen Regisseur. „Ist er wirklich so schlimm?“

Pepper verzog das Gesicht, ergriff Sydneys Hand und lotste sie weg von den anderen, durch den Empfangsbereich und anschließend den langen Flur entlang bis in ihr Büro.

„Wer ist das überhaupt? Und wofür hält der sich denn?“, wollte Sydney aufgebracht wissen.

Pepper gab keine Antwort. Sie öffnete die Tür des Büros und scheuchte Sydney hinein. Erst, nachdem sie die Tür sorgfältig hinter sich geschlossen hatte, verkündete sie: „Schaut mal, wen ich gefunden habe.“

A. J. und Caroline blickten auf. In ihren Gesichtern spiegelten sich Erleichterung und Erstaunen. Das machte es Sydney nicht gerade einfacher. „Du liebe Zeit“, begann A. J. „Wo bist du denn bloß gewesen?“ Sie fuhr sich mit beiden Händen nervös durch das Haar.

Sydney überkam das ungute Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Pepper war schließlich die Drama-Queen der vier, und sie war dafür bekannt, die Dinge zu übertreiben, aber A. J. war stets ruhig, gelassen und bewahrte in jeder Situation einen kühlen Kopf. Wenn es etwas gab, das sie beunruhigte, bestand auch für Sydney Grund zur Beunruhigung.

„Egal. Jetzt bin ich ja hier. Bitte klärt mich endlich auf, was hier eigentlich los ist.“

A. J. berichtete daraufhin, wie Aiden die Crew heute Morgen kurzfristig von Bill Hines’ Ausfall informiert hatte. Offensichtlich gab es irgendeinen familiären Notfall, der ihn dazu gezwungen hatte, einen Ersatzregisseur für Catering to Dallas zu suchen. Und dieser Ersatz war Miles Mercer.

„Miles Mercer?“, wiederholte Sydney nachdenklich. „Warum kommt mir dieser Name so bekannt vor?“

„Hier, sieh mal.“ Caroline winkte Sydney hinter den Schreibtisch, wo am Computerbildschirm der Internetbrowser geöffnet war. Sie tippte den Namen ein, und augenblicklich zeigte die Suchmaschine eine lange Liste von Einträgen an. Darunter war auch ein Link zu Past Midnight, einem Low-Budget Horrorfilm.

Aha, der Miles Mercer.

Sydney hatte von dem Film gehört. Jeder in Celebration kannte ihn, da Miles ursprünglich aus ihrer Gegend stammte. Mit dem Horrorstreifen hatte er einen unerwarteten Coup gelandet. Obwohl er mit überschaubaren Mitteln produziert worden war, hatte der Film eingeschlagen wie eine Bombe und hatte die Kinokassen klingeln lassen. Die Kritiker hatten seine innovative Herangehensweise gelobt und den Film als eigenwillig und einzigartig beschrieben.

Aber … was zur Hölle suchte so ein Typ am Set von Catering to Dallas?

„Im Ernst?“ Sie deutete zur Tür. „Der Typ ist Miles Mercer?“

„Richtig“, entgegnete A. J. „Offenbar ist er ein guter Freund von Aiden. Denn er ist sofort für Bill eingesprungen.“

„Wusstet ihr, dass er erst neunundzwanzig ist?“, warf Pepper ein. Um ihre Mundwinkel herum spielte ein missbilligender Zug, doch ihre leuchtenden Augen verrieten, dass ein Mann wie Miles Mercer es wert war, einen zweiten Blick zu riskieren. „Er kann ja nichts dafür, aber neunundzwanzig ist ein bisschen zu jung, um ihn als Genie zu bezeichnen, findet ihr nicht auch?“

Sydney überflog einen weiteren Online-Bericht über den jungen Regisseur. Er hatte Past Midnight noch während seiner Zeit am College produziert und ihn dann bei verschiedenen Wettbewerben und Filmfestivals eingereicht. Daraufhin war der Film zu dem Überraschungserfolg schlechthin erklärt worden.

Allerdings beeindruckte das Sydney herzlich wenig, denn mit Horrorfilmen konnte sie überhaupt nichts anfangen. Warum sollte man sich zuerst freiwillig zu Tode erschrecken lassen, nur um danach Angst zu haben, im eigenen Haus alleine zu sein?

„Wenn er doch angeblich so eine große Nummer ist, was treibt er dann am Set von Catering to Dallas?“, fragte sie sich. Unglücklicherweise hatte sie die Frage laut ausgesprochen. Denn als sie aufsah, fing sie die bestürzten Blicke ihrer Freundinnen ein.

„Hey, tut mir leid. Ich gehöre schließlich auch zur Besetzung. Aber Celebration ist nun mal nicht Hollywood. Und unsere Show ist keine von diesen hippen TV-Serien, sondern Reality – TV.“

Zum Glück hatte sie ihre Freundinnen damit nicht beleidigt. Sie mussten insgeheim zugeben, dass Sydney ja recht hatte – und empfahlen ihr, sich Miles lieber gleich zu stellen. „Wir müssen ohnehin zurück“, gab Caroline zu bedenken. „Wir hatten nur fünfzehn Minuten Pause, weil Miles etwas mit Aiden zu besprechen hatte.“

Die vier Freundinnen verließen daraufhin das Büro und kehrten in die Küche zurück, dem Haupt-Set von Catering to Dallas. Der Regisseur sprach noch immer mit Aiden, doch jetzt konnte Sydney zum ersten Mal einen guten Blick auf sein Gesicht werfen.

Das Bild, das sie von ihm im Internet gesehen hatte, wurde seiner Person nicht gerecht. Dort hatte er durchschnittlich attraktiv ausgesehen – im wahren Leben aber war er ziemlich umwerfend.

Unwillkürlich berechnete sie ihren Altersunterschied. Miles Mercer war fünf Jahre jünger als sie. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, seinen Körper eingehender zu betrachten.

Sydney schätzte seine Körpergröße auf mindestens einen Meter fünfundachtzig. Sein Haar war dunkel und glänzend und wirkte mühelos leger – es war nicht zu lang und auch nicht zu kurz. Seine Wangen waren sorgfältig rasiert, und er trug Jeans und dazu ein langärmeliges, schwarzes Shirt.

Wenn ihre Freundinnen ihr nicht ein so finsteres Bild von seinem ersten Auftritt gezeichnet hätten, wäre die Aussicht auf die Zusammenarbeit durchaus … köstlich gewesen.

Dasselbe schien wohl auch Pepper zu denken. „Mit seinem Temperament ist er bestimmt ein Tiger im Bett“, murmelte sie ihren Freundinnen zu.

A. J. und Sydney begannen zu lachen, während sich Caroline beinahe an dem Bagel verschluckte, in den sie gerade hineingebissen hatte. Sie warf Pepper einen warnenden Blick zu.

„Was denn?“, fragte Pepper unschuldig. „Komm schon. Er sieht doch wirklich gut aus, das musst du ihm lassen. Und ich bin vielleicht verheiratet, aber man wird ja wohl noch schauen dürfen. Und staunen.“

Pepper war erst vor kurzer Zeit wieder zum Team zurückgekehrt, nachdem sie einige persönliche Probleme hatte lösen müssen. Im vergangenen Jahr hatten sie und ihre Familie harte Rückschläge einstecken müssen, doch gleichzeitig hatte sie die Liebe ihres Lebens getroffen und noch im selben Jahr geheiratet.

Texas Star, eine bedeutende Firma, die ihr Vater zu einem echten Imperium aufgebaut hatte, war in Verruf geraten und hatte einer strafrechtlichen Untersuchung nicht standhalten können. Schließlich war sie den Umständen zum Opfer gefallen und wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt.

Peppers Vater hatte daraufhin einen Herzinfarkt erlitten und war gestorben, noch bevor er sich vor Gericht hatte verantworten können.

Pepper hatte sich vorgenommen, tief im Herzen weiterhin daran zu glauben, dass ihr Vater unschuldig gewesen war. Sydney, Caroline und A. J. hingegen waren einfach nur froh, dass Pepper wieder zu Celebrations Inc. zurückgekehrt war – und dass sie jetzt wieder Teil der Show war.

Aus diesem Grund fiel es Sydney auch so schwer, ihren Freundinnen von dem Bewerbungsgespräch zu erzählen. Denn sie und Pepper teilten sich viele Aufgaben. Und während Sydney die offizielle Pressereferentin war, knüpfte Pepper mit ihren unzähligen Beziehungen die meisten Kontakte. Als ehemalige texanische Debütantin verfügte sie über die unglaublichsten Verbindungen.

A. J. hatte die Firma Celebrations Inc. ursprünglich ins Leben gerufen – schon lange bevor das Fernsehen auf den Catering Service aufmerksam geworden war und die vier Freundinnen von einer Realityshow überzeugt hatte.

Autor

Nancy Robards Thompson
Nancy Robards Thompson, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, lebt in Florida. Aber ihre Fantasie lässt sie Reisen in alle Welt unternehmen – z. B. nach Frankreich, wo einige ihrer Romane spielen. Bevor sie anfing zu schreiben, hatte sie verschiedene Jobs beim Fernsehen, in der Modebranche und in der...
Mehr erfahren