Close up - Heiße Versuchung

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Für eine gute Story würde Emma so einiges tun … und das ist auch der Grund, warum sich die schüchterne Journalistin auf ungewohntes gradezu furchteinflößendes Terrain begibt. Der für seine Nacktfotos weltberühmte Künstler Ian Bainbridge ist in der Stadt und Emma wird ihm Modell stehen. Und als ob ihr das nicht schon schwer genug fallen muss sie das ausgerechnet mit ihrem Kollegen Kyle tun - den Mann, bei dem sie schon lange weiche Knie bekommt. Alles sprach bisher gegen ihn: Abgesehen davon, dass sie sich nie getraut hätte, ihn um ein Date zu bitten, sind Beziehungen in der Firma auch streng verboten. Doch nun, nackt und ganz nah an ihm, fragt Emma sich, ob es nicht an der Zeit wäre, die Vernunft zu vergessen und sich der endlich der prickelnden Versuchung hinzugeben …

"Scharf, temporeich und superheiß!"

Publisher’s Weekly

"McCarthy wird dafür sorgen, dass sie am Anfang kichern, sich ab Seite 25 Luft zufächeln müssen und die ganze Zeit mit dem Helden und der Heldin mitfiebern."

Romantic Times Book Reviews


  • Erscheinungstag 10.06.2016
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783956495502
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Erin McCarthy

Close Up – Heiße Versuchung

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Ralph Sander

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Double Exposure

Copyright © 2014 by Erin McCarthy

erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Getty Images, München / Tom Merton

ISBN eBook 978-3-95649-550-2

www.harpercollins.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

„Und wann ziehen wir uns aus?“

Emma Gideon warf ihrem Kollegen Kyle Hadley einen finsteren Blick zu und musste sich davon abhalten, ihm eine runterzuhauen. Er machte es ihr wirklich nicht leicht, ruhig und gelassen zu bleiben, während er völlig lässig dastand und darauf wartete, dass ihn jemand aufforderte, sein Hemd abzulegen. Nichts an diesem Fotoshooting schien ihn zu beeindrucken. Emma dagegen wollte sich am liebsten in einem tiefen Erdloch verstecken und unter einem Stapel dicker Fleecedecken verschwinden, wenn sie nur daran dachte, sich vor anderen Leuten auszuziehen.

Dies hier war etwas, das ihre Karriere verlangte. Als sie jetzt zusammen mit zweihundert anderen Leuten auf dem Parkplatz hinter dem leer stehenden Lagerhaus auf die Anweisung wartete, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen, war sie sich ihrer Sache jedoch nicht mehr ganz so sicher. War ein Interview mit dem berühmten Fotografen Ian Bainbridge ein solches Unbehagen tatsächlich wert?

„Wenn du zu früh loslegst, schmeißen die Veranstalter dich raus. Also behalt bitte deine Hose an“, antwortete Emma und schaute verstohlen auf Kyles Jeans, als würde ihr der Anblick etwas anderes zeigen, als dass er muskulös war. Und das wusste sie längst. Das bemerkte sie an jedem einzelnen Tag, seit er vor dreiundzwanzig Monaten und einer Woche in der Redaktion zu arbeiten begonnen hatte, also drei Monate und fünfzehn Tage nach ihrem eigenen ersten Arbeitstag … Nicht dass sie darüber Buch geführt hätte. „Hast du Boxershorts an, oder was? Du weißt, du sollst hier in Unterwäsche erscheinen, sonst fliegst du raus.“ Als sie hörte, wie nervös und hektisch ihre Stimme klang, presste sie sofort die Lippen zusammen.

„Du bist anscheinend echt sehr besorgt, dass man mich rausschmeißen könnte.“ Er rückte seine Baseballkappe gerade. „Ich weiß es zu schätzen, dass du mich unbedingt dabeihaben willst.“

Emma verdrehte die Augen. Tatsache war, dass sie lieber mit einem tollwütigen Hund als mit Kyle hier herumgestanden hätte, obwohl sie nicht völlig davon überzeugt war, dass es zwischen beiden einen großen Unterschied gab. Zugegeben, im Gegensatz zu einem tollwütigen Hund lächelte Kyle eindeutig häufiger, doch ansonsten …

Als wollte er beweisen, wie recht sie hatte, grinste er sie an und zog den Bund seiner Jeans so weit nach unten, dass sie seine straffen Bauchmuskeln und den Gummizug seiner eng anliegenden schwarzen Unterhose sehen konnte. „Aber ich trage natürlich Unterwäsche, und es macht mir nichts aus, wenn sie mit Farbe beschmiert wird. Ich kann Anweisungen befolgen.“

Genau daran zweifelte Emma. Seit jenem schicksalhaften Tag, an dem ihr Boss Kyle eingestellt hatte, arbeitete sie mit ihm zusammen und wusste, dass er glaubte, sein Charme gebe ihm das Recht, sich regelmäßig über Vorschriften hinwegzusetzen. Ein Lächeln von ihm reichte, und es war anderen plötzlich unwichtig, ob er seine Arbeit sofort oder erst in drei Stunden ablieferte. Was sie dabei vor allem wurmte, war ihr Eindruck, dass er damit auch noch fast immer durchkam. Hätte sie sich selbst bloß einen Bruchteil seiner Nachlässigkeiten erlaubt, wäre sie schon längst gefeuert worden.

Doch sie war eben kein heißer Typ, bei dem allen Frauen im Büro das Wasser im Mund zusammenlief. Ihre vorgesetzte Redakteurin war geschieden, und Kyle war Single und für jeden Spaß zu haben. Das ließ sich nicht ignorieren, so gern Emma das getan hätte. Hinzu kam, dass ihre eigene Reaktion auf ihn absolut frustrierend war. Sie rühmte sich gern mit ihrer Selbstbeherrschung und ihrer Fähigkeit, sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie war eine Karrierefrau, zielstrebig und vernünftig. Und dennoch reagierte sie wie jede andere Frau, wenn Kyle den Raum betrat: mit weichen Knien und einem warmen Gefühl zwischen den Schenkeln. Es war zum Verrücktwerden. Sie hatte vollstes Verständnis für jeden Teenager, der ein Sklave seiner Hormone war, denn was Kyle bei ihr auslöste, war einfach nur lächerlich.

Und jetzt würde sie sich für ein Gruppenfoto auch noch fast komplett ausziehen und dabei direkt neben ihm stehen müssen. Fantastisch.

„Mir ist egal, ob du bleiben darfst oder nicht“, entgegnete sie. „Aber ich weiß, dass Claire nicht begeistert sein wird, wenn sie dich mit einem Tritt in den Hintern hier rausbefördern.“ In seinen verdammt knackigen Hintern. Vermutlich würde sie nirgendwo sonst mehr hinschauen können, wenn er erst einmal seine Jeans abgelegt hatte. „Mir wäre es lieber, wenn meine grandiose Berichterstattung im Mittelpunkt dieser Story steht und nicht deine Mätzchen.“

Auch wenn sie bloß Artikel für die Rubrik Life & Style des Daily Journal schrieb, nahm sie ihren Job ernst. An einem Sonntag zu arbeiten war für sie eine Selbstverständlichkeit – allerdings geschah das normalerweise nicht unter solch außergewöhnlichen Umständen. Dass sie bei dem Shooting mitmachte, lag nur daran, dass sie als Reporterin gar nicht bis hierher vorgelassen worden wäre und daher auch nicht mit dem Fotografen hätte sprechen können. Doch Emma war fest entschlossen, wenigstens ein paar Worte mit Ian Bainbridge zu reden.

Ian galt als der kommende große Star, was Fotos mit Massenaufläufen von Nackten anging, und reiste von Stadt zu Stadt, um Scharen von Freiwilligen so kunstvoll anzuordnen, dass sie eins wurden mit der von ihm ausgewählten Umgebung. Es war seine Art, ein Statement abzugeben, und dafür hatte er sich nach seiner Ankunft im nordöstlichen Ohio dieses abbruchreife Lagerhaus ausgesucht. Emma wäre ein Shooting am Seeufer oder im botanischen Garten viel lieber gewesen, aber solche Orte übten auf einen Künstler wie Bainbridge offenbar nicht die gleiche Anziehung aus wie das hier.

Bislang hatte sie Ian noch nicht zu Gesicht bekommen; nur die Leute von der Security schritten den abgesperrten Bereich ab, um Schaulustige davon abzuhalten, mit ihren Smartphones Bilder zu machen. Ein Zelt war als zusätzliche Barriere aufgebaut worden. Darin wurden die Teilnehmer mit Farbe besprüht und von dort direkt in das heruntergekommene Lagerhaus geführt. Das Ganze war bestens durchorganisiert, was für Emma bedeutete, dass jeden Moment die Aufforderung an sie ergehen würde, Jeans und T-Shirt abzulegen. Ihre Handflächen waren schweißnass. Allein nackt unter der Dusche zu stehen war normal. Nackt zu sein, um mit einem Mann auf ein, nun ja, erfreuliches Ziel hinzuarbeiten, war für den Zweck unverzichtbar. Aber nackt inmitten von zweihundert Fremden? Das war alles andere als normal.

Es war nicht so, als wäre sie prüde. Sie war bloß sittsam, und daran war nichts verkehrt. Sie würde nicht zulassen, dass Kyle ihr ein schlechtes Gewissen einredete.

„Meine Mätzchen?“, gab er zurück. „Tut mir leid, Mom, ich werde jetzt brav sein, versprochen. Wir werden uns ganz köstlich amüsieren.“ Dann grinste er sie dämlich an und ließ seine Arme vor und zurück schwingen.

Sein Sarkasmus kam alles andere als gut bei ihr an. Okay, vielleicht war sie ein klein wenig prüde. Oder vielleicht war sie ein bisschen verstimmt, weil Kyle im Büro jede Frau zwischen vierundzwanzig und fünfzig anbaggerte, mit ihr aber bis heute nicht ein einziges Mal geflirtet hatte. Taugte sie nicht zum Flirten? Klar, sie würde niemals in Erwägung ziehen, sich mit ihm zu verabreden. Nicht in einer Million … ach, nicht mal in einer Billion Jahren. Trotzdem wäre es nett gewesen, wenn er es zumindest mal versucht hätte.

Warum sie sich in diesem Moment darüber Gedanken machte, war ihr ein Rätsel. Sie durfte sich nicht mit Kyle befassen, sondern musste sich darauf konzentrieren, Ian zu finden.

„Außerdem wäre Claire das völlig egal“, fügte Kyle hinzu. „Sie wollte sowieso nicht, dass gleich zwei von uns bei der Story mitmachen.“

Das war ihr neu. „Und wieso bist du dann hier?“

Kyle ergriff ihren Ellbogen und dirigierte sie in Richtung der Schlange, die sich vor dem Zelt gebildet hatte. „Ich finde, wir sollten hier sein. Ich kenne Bainbridges Arbeit und dachte, es wäre eine coole Sache, dabei mitzumachen. Es gefällt mir, dass er so ein mutiges Statement abgibt.“ Er zwinkerte ihr zu. „Außerdem ist das die Gelegenheit, sich mal in aller Öffentlichkeit auszuziehen, ohne dass die Cops einen einkassieren. Wie oft kommt so was schon vor?“

Emma warf mit einer knappen Kopfbewegung ihr blondes Haar über die Schulter. Eigentlich hätte sie zum Friseur gemusst, weil es zu lang war, doch heute Morgen hatte sie es dennoch nicht zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie hatte geglaubt, sich nicht ganz so nackt zu fühlen, wenn die Haare auf ihren Schultern ausgebreitet lagen. Das war allerdings ein Trugschluss gewesen, denn ihre Brüste würden ja vollständig unbedeckt sein. Es war offenbar ein verzweifelter Versuch gewesen, ihre Angst zu lindern, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, wovor sie sich so fürchtete. Sie wusste nur, dass sie schon Wurzelbehandlungen über sich hatte ergehen lassen, die ihr nicht halb so viel Angst gemacht hatten wie das hier. Vielleicht sollte ich mir eine Betäubungsspritze geben lassen, überlegte Emma und seufzte.

„Du bist ein Freak, weißt du das?“, sagte sie zu Kyle. „Leute sollten sich nicht gemeinsam nackt umherwälzen.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ach wirklich? Wissen das auch die Leute, die Sex haben?“

So hatte sie das natürlich nicht gemeint. Emma bekam einen roten Kopf, als sie in der Schlange weiter nach vorn rückte. Bloß noch acht Leute, dann war der Eingang zum Zelt erreicht. Dem Zelt, in dem sie ihre Kleidung ausziehen würde. Dem Zelt, in dem sie vermutlich in Panik ausbrechen würde. „Du weißt, wie ich das gemeint habe! Es ist nichts normal daran, zweihundert nackte Menschen in ein Lagerhaus zu stecken.“

„Das ist keine Massenorgie, sondern Kunst. Deshalb macht Bainbridge das ja“, erklärte Kyle. „Wir Amerikaner sind von der Nacktheit fasziniert, und zugleich fühlen wir uns unbehaglich. Das ist der Blickwinkel, aus dem ich schreiben werde. Claire lässt mich eine Kolumne darüber schreiben, dass zum Beispiel in Filmen und in der Werbung eine Übersexualisierung zu beobachten ist, während bei der Kunst immer noch moralische Einschränkungen existieren.“

Na, großartig.

Irgendwie war es Kyle gelungen, einen Ansatz zu finden, der viel mehr in die Tiefe ging als das, was Emma sich vorgenommen hatte. Im Gegensatz zu seinem Text würde ihr Artikel jetzt so interessant wie eine Schlaftablette werden. Dabei hatte sie gehofft, an den Fotografen heranzukommen und ihn zu diesen Vorfällen mit dem Stalker zu befragen. Der Unbekannte, der schon mehrmals ausgewählte Motive verwüstet und dadurch Zeit und Geld gekostet hatte, da für das Fotoshooting alles wieder hergerichtet werden musste, schien es wegen Ians Kunstform auf den Mann abgesehen zu haben.

Es war jedoch mehr als fraglich, ob sie auch nur in die Nähe des Fotografen gelangen würde  – von Fragen zu diesem heiklen Thema ganz zu schweigen. Sehr wahrscheinlich kam für sie am Ende nichts weiter als ein Bericht über das Shooting an sich heraus, während Kyle einen gründlich recherchierten Artikel verfassen würde, in dem er außerdem Stellung zu einem heiklen Thema nehmen konnte.

Im Augenblick war Emma sich nicht sicher, ob Kyle ihr überhaupt noch unsympathischer werden konnte. „Hört sich nach etwas ziemlich Offensichtlichem an“, gab sie beiläufig zurück. Was sollte sie sonst auch sagen? Dass er schlauer war als sie? Eher würde sie an diesen Worten ersticken, bevor die ihr über die Lippen kommen konnten.

Sie arbeitete wie besessen für das Magazin und hatte fast ihr gesamtes Privatleben geopfert, um Karriere zu machen, während Kyle gerade mal das Nötigste tat. Und wer von ihnen stand öfter als Autor unter einem Artikel?

Das war einfach nicht fair.

Sie war entschlossener als je zuvor, ein paar Minuten lang Ian Bainbridge zu interviewen.

Aber erst mal musste sie sich ausziehen.

„Verzichtserklärung“, herrschte eine ältere Frau sie an, als sie sich dem Eingang zum Zelt näherten.

Emma zog das Standardschreiben mit klammen Fingern aus der Tasche und gab es der Frau, während sie sich auf die Unterlippe biss. Sie überlegte, ob sie Kyle wohl irgendwie entwischen konnte, wenn der Moment kam, in dem man sie mit Farbe bemalen würde. Der Tag wäre womöglich nicht ganz so demütigend und schrecklich, wenn sie ihn für eine Weile ohne ihren selbstbewussten und sexy Kollegen verbringen konnte.

„Sieht alles ordentlich aus“, sagte die Frau schroff und legte ein Plastikband um Emmas Handgelenk. „Sie stellen sich rechts an. Sie werden grün sein.“

„Grün?“ Emma schaute argwöhnisch in die angezeigte Richtung. Dort standen fünf Leute, zwei zogen soeben ihre Hosen aus, zwei andere trugen bereits nur noch Unterwäsche. Jeder konnte ungehindert einen Blick auf die riesigen Brüste der einen Frau werfen. Der Erste in der Schlange, ein älterer Mann, bekam gerade seinen Hängebauch in Smaragdgrün besprüht.

Himmel!

„Grüne Farbe. Sie werden grün sein. Machen Sie schon, Sie halten hier den ganzen Betrieb auf.“ Die Frau starrte sie ungeduldig an.

„Und was ist mit mir?“, fragte Kyle. „Werde ich auch grün? Dann würde ich mir vorkommen wie der unglaubliche Hulk. Sie würden mir meinen Kindheitstraum erfüllen.“

Die Frau, die Emma gegenüber so schroff und hastig gewesen war, lächelte jetzt und begann amüsiert zu kichern. „Eigentlich sollen wir nur jeden zweiten nehmen, aber ich denke, für Sie kann ich eine Ausnahme machen.“

Emma verdrehte die Augen.

Kyle zwinkerte der Hexe zu, die sich als freiwillige Helferin getarnt hatte. „Danke, Puppe, du hast was gut bei mir.“

Puppe? War das sein Ernst?

Gleich darauf löste sich Emmas Verärgerung über Kyles Überredungskünste jedoch in Luft auf, als ein Mann vor ihr meinte: „Hier ist der Beutel für Ihre Kleidung, und das ist die Nummer, mit der Sie ihn später abholen können. Wenn Sie fertig sind, geben Sie Jane den Beutel und stellen sich in die Reihe zum Färben.“

Emma nahm Tasche und Nummer an sich, blieb dann aber wie angewurzelt stehen und musste erst mal schlucken. Sie konnte das nicht machen. Sie konnte sich nicht hier inmitten von so vielen Leuten ausziehen. Okay, niemand starrte sie an, weil es niemanden kümmerte. Alle hier gingen mit ihrer teilweisen Nacktheit so um, als würden sie so was jeden Tag tun. Die Erkenntnis, dass sie verlegen war, machte sie bloß noch verlegener. Sie stand da, schwitzend, mit rasendem Herz, kurzatmig, einer Panik gefährlich nahe.

Plötzlich fasste Kyle sie am Ellbogen. „Hey, du musst das nicht tun, wenn du nicht willst. Deinen Artikel kannst du auch schreiben, ohne dass du mitgemacht hast.“

Antworten konnte sie nicht, da sie gegen eine massive Übelkeitsattacke ankämpfen musste, aber sie nickte ihm dankbar zu. Kyle sah sie erstaunlich mitfühlend an, sein Tonfall hatte nichts Ironisches oder Herausforderndes mehr an sich. Ja, er hatte recht. Sie musste das nicht machen. Nur weil es ihr nicht gefiel, sich die nackten Brüste mit koboldgrüner Farbe besprühen zu lassen, war sie noch lange nicht prüde. Es zeigte vielmehr, dass sie sittsam war, und es bewies, dass sie für sich den richtigen Karriereweg gewählt hatte. Als Stripperin oder Kellnerin bei Hooters hätte sie es nicht weit gebracht, und mit dieser Tatsache konnte sie leben. Sie würde einen schönen Artikel über das Fotoshooting schreiben, und angezogen hatte sie vielleicht sogar eine bessere Chance, mit dem Fotografen ins Gespräch zu kommen. Immerhin konnte sie ihn ja nicht interviewen, wenn sie in einem Meer aus bemalten Nackten stand. Außerdem hatte sie bereits genug gesehen, um einen brauchbaren Text schreiben zu können.

Emma seufzte erleichtert, während Kyle sie aufmunternd anlächelte, an ihr vorbeiging und sein Shirt auszog. Aus nächster Nähe konnte sie nun seine Rückenmuskeln und diese kleine sexy Kuhle in Höhe des Kreuzes bewundern. Dann drehte sie sich schnell weg. Einerseits kam sie sich wie eine Spannerin vor; andererseits machte sie diese Aussicht mit einem Mal unglaublich scharf … Es war Zeit, woanders hinzusehen.

Allerdings fiel ihr Blick dabei auf die Frau, die hinter ihr stand und sich gerade bis auf ein weißes Bikinihöschen entblättert hatte. Ehe sie woanders hinschauen konnte, bemerkte sie bei der Frau die Narben einer beidseitigen Brustamputation. „Oh, tut mir leid“, murmelte sie entsetzt. Sie fühlte sich, als wäre sie beim Anstarren erwischt worden, obwohl das Ganze keine drei Sekunden gedauert hatte.

Die Frau schenkte ihr ein freundliches Lächeln. „Kein Problem. Wir stehen hier ja so dicht gedrängt wie die Ölsardinen, aber ich glaube, das wird noch schlimmer kommen. Ich bin nur froh, dass ich heute Morgen mein Deo nicht vergessen habe.“

Emma erwiderte das Lächeln schwach. „Stimmt, doch ich denke nicht, dass ich … Ich finde, ich sollte besser …“ Sie wusste nicht, wie sie ihr Unbehagen erklären sollte, was wohl daran lag, dass ihr der Grund dafür nicht so klar war.

„Nicht Ihr Ding, wie?“ Die Frau machte einen provisorischen Knoten in ihr dunkles Haar. „Als ich zwanzig war, hätte ich das vermutlich auch nicht machen wollen. Aber heute kümmert mich das nicht mehr. Mir gefällt die Botschaft, die der Fotograf rüberbringen will: dass wir alle Menschen sind und keine Maschinen oder Unternehmen.“ Sie deutete auf ihren Oberkörper. „Oder Pharmakonzerne oder Versicherungsunternehmen. Wir sind Menschen, und wir stecken in unvollkommenen Hüllen.“

Emma biss sich auf die Unterlippe. „Sie haben völlig recht. Meine Mutter hat bei meiner Erziehung eben einfach großen Wert auf Sittsamkeit gelegt, weil mein Großvater bei uns lebte. Es kommt mir so unnatürlich vor.“ Sie hatte jedoch oft den Eindruck gehabt, dass Sittsamkeit für ihre Mutter auch ein ganz persönliches Anliegen gewesen war. Sie hatte wahrscheinlich immer befürchtet, Emma könnte genauso enden wie sie – schwanger mit achtzehn, alleinerziehende Mutter mit zwanzig. Welche Gründe letztlich eine Rolle gespielt hatten, konnte Emma gar nicht sagen. Auf jeden Fall hatte man bei ihr zu Hause die Kleidung anbehalten, und von nackten Menschen umgeben fühlte sie sich nicht wohl.

Bestimmt war sie nicht die Einzige, die so empfand, doch es war anzunehmen, dass alle anderen, die sich lieber bedeckt hielten, von vornherein einen großen Bogen um diese Veranstaltung machten.

„Kann ich total verstehen“, stimmte die Frau ihr zu. „So ging es mir auch. Aber ich glaube, das hier zeigt uns, dass wir in Wahrheit doch von unserer Biologie gesteuert werden, nicht wahr? Ob Hunger oder Sex oder Krankheiten: Wir werden von unserem Körper kontrolliert. Also müssen wir uns nicht auch noch von Konzernen beherrschen lassen. Befreien wir uns von dieser Kontrolle.“

Bislang hatte Emma sich nie Gedanken darüber gemacht, ob und wie sie von ihrem Körper beherrscht wurde. Außer, wenn Kyle sich in der Nähe aufhielt. Dann übernahm ihr Körper eindeutig die Kontrolle. Dann hatte ihr Verlangen ihre Nippel im Todesgriff, und ihre Lust versuchte beharrlich, ihre Schenkel auseinanderzudrücken.

„Ja, das ist wahr“, sagte sie zu der Frau und kam sich plötzlich vor, als würde sie von neuer Energie und Entschlossenheit angetrieben. „Danke, ich möchte mich auch befreit fühlen.“ Sie wollte nicht länger die langweilige, arbeitswütige Kollegin sein, für die der Serienflirter Kyle nichts übrighatte. Sie wollte nicht länger nur die Angestellte Emma mit dem Handy und den vernünftigen Schuhen sein, sondern wenigstens hin und wieder die lockere und lässige Emma, die ein Privatleben inklusive Sex hatte.

Also atmete sie einmal tief durch. Und dann zog sie ihr T-Shirt aus.

In dem Moment drehte sich ein lachender Kyle zu ihr um, der sich eben wieder die Baseballkappe aufsetzte. „Hey, Em, sieh dir mal …“

Sie öffnete den BH und befreite ihre Mädels, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Kyles Grinsen erstarrte kurz und verschwand schließlich ganz. Aus seiner Kehle drang ein erstickter Laut.

Emma fasste nach den Knöpfen ihrer Jeans.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Doch beim Blick in sein Gesicht verlor sie auch jedes Interesse an einem Rückzieher. Für Kyle wollte sie alles ausziehen, was sie am Leib trug.

Die Frage war nur, ob er genauso empfand wie sie.

2. KAPITEL

Kyle vergaß den dummen Witz, den er wegen seiner grünen Haut hatte reißen wollen. Er vergaß, dass er von Kopf bis Fuß mit kalter, juckender Farbe überzogen war. Er vergaß einfach alles.

Und das, weil seine Kollegin, die nur ihre Arbeit und sonst gar nichts zu kennen schien, soeben ihren BH ausgezogen hatte. Zum Vorschein gekommen war ein Paar perfekte Brüste der Körbchengröße C. Die festen rosigen Nippel schienen ihm förmlich zuzuzwinkern. Er hatte absolut nicht damit gerechnet, dass sie das durchziehen würde. Es passte nicht zu der Seite ihrer Persönlichkeit, die er kannte, und er hätte es ihr nicht mal verübeln können, wenn sie einen Rückzieher gemacht hätte. Für die Frauen war das Spektakel entblößender als für die Männer. Er trug schließlich immer noch seine Unterhose – es war also wirklich nichts Wildes. Manchmal brachte er ja sogar in Boxershorts den Müll raus. Doch angesichts der Besessenheit mancher Männer für die weibliche Oberweite konnte er jede Frau verstehen, die sich nicht vor ein paar Hundert Leuten ausziehen wollte.

Allerdings war er sehr froh, dass Emma sich letztlich dazu durchgerungen hatte. Dieser Anblick würde seine Wunschträume weiter beflügeln. Außerdem kannte er jetzt die Antwort auf die eine Frage, die ihm in den letzten Wochen zu schaffen gemacht hatte: War diese vollkommene Form einem Push-up-BH zu verdanken, oder war das pure Natur?

Es war pure Natur, daran bestand kein Zweifel mehr.

Der BH hielt nur, was tatsächlich vorhanden war; er war nicht der Erschaffer des grandiosen Dekolletés, das sie immer unter dünnen Pullovern und Ähnlichem zu verstecken versuchte.

Ihm wurde bewusst, dass er schon viel zu lange dastand und keinen Ton sagte. Also zwang er sich, den Blick von ihren Brüsten zu ihrer Hand weiterwandern zu lassen, von deren Daumen der rote BH baumelte. In die Augen konnte er ihr nicht sehen, denn ihm war klar, dass sie ihm sofort die Lust anmerken würde, die ihm ins Gesicht geschrieben stand.

„Also ziehst du’s durch“, stieß er hervor und hoffte, dass er fröhlich genug klang. „Cool. Das wird sicher lustig werden.“ Himmel, er musste sich anhören wie ein Idiot. Allerdings befand er sich am Rand der Verzweiflung, denn ihre Finger waren jetzt damit befasst, ihre Jeans aufzuknöpfen. Er stand nur in Unterwäsche vor ihr, und wenn grüne Farbe auch ein paar Pickel kaschieren konnte, half sie ihm bei einem gigantischen Ständer nicht weiter.

Er sollte wegschauen, sollte sich unbedingt auf etwas anderes konzentrieren. Aber der Reißverschluss ging Stück für Stück auf, und er fühlte sich zu dem Anblick genauso hingezogen wie Bienen zu Honig. In diesem Fall verdammt sexy Honig. Er konnte sich nicht abwenden. Immerhin war Emma die einzige Frau in der Redaktion, die noch nie einen Hauch von Interesse an ihm hatte erkennen lassen. Oder besser gesagt: die noch nie einen Hauch von Interesse an Männern überhaupt oder auch nur an Sex gezeigt hatte.

Das hier war möglicherweise seine einzige Chance, zu sehen, welche Freuden sie vor aller Welt versteckt hielt. Obwohl er mit seinem Gewissen ringen musste, wollte er gleichzeitig doch wenigstens einen kurzen Blick auf ihre verbotene Frucht werfen. Dann sah er etwas Weißes aufblitzen und überlegte es sich anders. Zeit, woanders hinzuschauen. Er würde seine Reaktion nicht verbergen können, wenn er auch bloß einen Moment darüber nachdenken würde, was sich unter dem halb durchsichtigen Spitzenstoff ihres Slips befand.

Er hob den Kopf, um ihr wieder in die Augen zu sehen, musste auf dem Weg dorthin aber innehalten, als Emma sich aus ihren Jeans schälte und ihre Brüste bei jeder Bewegung wippten. Himmel, er gab sich ja wirklich Mühe, das alles zu ignorieren – doch es war so verlockend wie ein Festmahl, das man einem Verhungernden hingestellt hatte. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Und was seine Befürchtung hinsichtlich seiner Reaktion betraf, hatte sie sich soeben bewahrheitet: Er hatte eine Erektion von den Ausmaßen des Sears-Towers.

Dann beugte Emma sich vor, um die Jeans über ihre vollen Hüften weiter nach unten zu schieben. Dabei kam sie seiner Erektion bedenklich nahe. Er durfte sich um Himmels willen nicht ausmalen, was in der gleichen Position unter ganz anderen Umständen passieren konnte. Kyle wollte die Hände in die Hosentaschen schieben, um sich selbst davon abzuhalten, nach Emma zu fassen. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass er momentan gar keine Hosentaschen hatte.

Emma stieß einen leisen Schrei aus, als sie bei dem Versuch, ihren Fuß aus den Jeans zu ziehen, das Gleichgewicht verlor. Sofort streckte Kyle eine Hand aus und gab ihr Halt. Zwar war es eine durchaus reizvolle Vorstellung: sie, halb nackt auf dem Boden liegend. Doch er war nun auch nicht so krank im Kopf, dass es ihm egal gewesen wäre, ob sie sich dabei womöglich verletzte. Was er bislang gesehen hatte, sollte seine Fantasie sowieso erst mal für eine Weile anregen.

„Danke“, hauchte sie und blickte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen an. Was in diesem Moment in ihr vorgehen mochte, konnte er nicht sagen.

Sie stand da und drückte ihre Jeans zusammen mit den restlichen Klamotten an sich, um ihre Brüste zu bedecken. Die Hose, das T-Shirt, der BH und der Beutel ließen so kaum etwas von ihrer nackten Haut erkennen. Das galt jedenfalls für die wirklich interessanten Körperpartien. Kyle war erleichtert und zugleich enttäuscht.

„Komm, stell dich vor mich, bis du besprüht wirst. Dann kann ich den Leuten die Sicht auf dich versperren“, schlug er vor, weil ihr deutlich anzumerken war, wie unbehaglich ihr ihre eigene Nacktheit war. Ihre Wangen waren gerötet, und sie war etwas näher an ihn herangetreten, so als wollte sie auf Abstand zu den anderen in diesem Zelt gehen.

Wenn sie das hier durchziehen wollte, würde er ihr dabei helfen. Er wollte, dass sie ihm vertraute, und wenn er es sich jetzt durch den Kopf gehen ließ, gefiel ihm der Gedanke gar nicht, dass die anderen Kerle in diesem Zelt genauso wie er auf ihre Brüste starrten.

Sie kniff die Augen ein wenig zusammen. „Wo ist der Haken?“

Er hielt beide Hände hoch. „Es gibt keinen, ganz ehrlich. Ich will einfach nur nett sein. Du kannst mich ja verklagen, wenn dir das nicht gefällt.“ Er zeigte sich von seiner besten Pfadfinder-Seite, indem er ihr stur in die Augen sah, und sie meinte, er hätte irgendwas vor? Er fühlte sich beleidigt.

„Ich will nur sicher sein, dass ich nicht zur Lachnummer werde.“

„Hältst du mich wirklich für so ein Arschloch?“ Kyle ging um sie herum und warf einem Typen einen finsteren Blick zu, den er verdächtigte, Emmas Po anzuglotzen. Diesen vollkommenen Po, der – oh Gott – von einem Bikinislip bedeckt wurde. Es lag wie eine zweite Haut auf ihren perfekt geformten Pobacken, sodass für die eigene Fantasie wenig auszumalen blieb. Aber immerhin war es kein G-String. Trotzdem war es kein Wunder, dass dem Kerl fast die Augen aus dem Kopf fielen. Kyle musste selbst schlucken, während er die grünen Arme vor seiner Brust verschränkte. Er wusste, dass seine Schultern und Hüften breit genug waren, um einigen Leuten die Sicht auf Emma zu versperren. An der Highschool hatte er Hockey gespielt, und er trainierte heute noch mit Gewichten. Enge Jeans konnte er mit dieser Figur nicht tragen, und er schreckte nicht davor zurück, notfalls die Muskeln spielen zu lassen.

Der Typ ließ seinen interessierten Blick weiterwandern. Das hätte Kyle dem kranken Mistkerl auch spätestens jetzt geraten. Allerdings wusste er nicht so recht, ob er selbst nicht ebenfalls in Richtung Mistkerl tendierte – was ihm im nächsten Moment von Emma bestätigt wurde.

„Ich halte dich nicht für ein Arschloch, aber ich finde schon, dass du dich quer durchs ganze Büro flirtest und ein ziemlicher Scherzbold bist“, sagte sie. Sehen konnte er sie nicht, da er mit dem Rücken zu ihr stand. Er hörte nur, wie der Plastikbeutel raschelte, als sie ihre Kleidung einpackte.

Wenn er Emma reden hörte, hatte er manchmal den Eindruck, dass sie aus einem anderen Jahrhundert stammte. Oder zumindest ihre Wortwahl. „Scherzbold?“, wiederholte er schnaubend. „Wieso? Nur weil mir meine Arbeit Spaß macht?“

„Die dir vor allem dann besonders viel Spaß macht, wenn du dich in der Buchhaltung an Gina mit dem tiefen Ausschnitt ranmachst. Für gewöhnlich, wenn du mit irgendeinem Termin eine Stunde oder mehr hinterherhängst.“

Die Erkenntnis war für Kyle ein Schock. Es war ihm immer so vorgekommen, als würde Emma ihn nicht mögen, und jetzt stand fest: Sie mochte ihn nicht.

Das war okay. Nicht toll, aber okay. Es war ihr gutes Recht, ihn nicht zu mögen, auch wenn er noch so scharf auf sie war. Doch sie hatte nicht das Recht, seine berufliche Integrität anzugreifen. „Ich habe noch nie eine Frist verstreichen lassen. Und falls du es unbedingt wissen willst: Ginas tiefer Ausschnitt kümmert mich gar nicht. Ihr Mann ist ein guter Freund von mir, und Gina und ich sind dadurch ebenfalls befreundet. Mehr ist da nicht.“

„Du hast noch nie eine Frist verstreichen lassen? Willst du mich auf den Arm nehmen? Und willst du mir ernsthaft weismachen, dass du nicht mit jeder Frau im Büro flirtest?“

„Noch nie eine Frist versäumt. Nicht ein einziges Mal“, beharrte er. Er und Claire hatten vereinbart, dass er von montags bis donnerstags jeweils statt um acht erst um halb neun ins Büro kommen konnte, wenn er dafür freitags eine Stunde früher erschien und eine weitere Stunde an den eigentlichen Feierabend dranhängte. Möglicherweise führte das zu einer Wahrnehmung, er würde zu wenig arbeiten, aber er sah nicht ein, warum er ihr das erklären sollte.

„Ich bin freundlich“, fügte er stattdessen hinzu, „und ich mag Menschen. Seit wann ist das ein Verbrechen?“ Genau genommen war das der Hauptgrund dafür, dass er seine Arbeit so gut leiden konnte. Er hatte nicht nur mit den Leuten im Büro, sondern mit der ganzen weiten Welt zu tun. Die gesellschaftlichen Anlässe, die Sportveranstaltungen, die Wohltätigkeitsbälle – er berichtete über alles, was sich auf dem Gebiet abspielte, und es machte ihm riesigen Spaß. Zugegeben, ihm war das Sportressort weggenommen worden, weil er sich eine kleine Eigenmächtigkeit mit seinem Presseausweis erlaubt und so einem an Krebs erkrankten langjährigen Kumpel das einmalige Erlebnis verschafft hatte, die Footballspieler der Cleveland Browns persönlich kennenzulernen. Doch er bedauerte seine Degradierung kein bisschen.

Hinzu kam, dass sich ihm durch seine Kolumne über Kunst und Unterhaltung ein Teil der Stadt erschlossen hatte, der ihm bis dahin völlig unbekannt gewesen war. In dem, was er machte, war er zudem verdammt gut, aber nichts davon schien Emma zu kümmern.

Es machte ihn wirklich wütend, dass sie es so hinstellte, als würde er sich ständig bedenklich nahe am Tatbestand der sexuellen Belästigung bewegen. „Außerdem flirte ich nicht mit jeder Frau – oder habe ich mit dir schon mal geflirtet?“, bemerkte er noch.

Als sie daraufhin entrüstet nach Luft schnappte, kam ihm der Gedanke, dass das womöglich nicht das beste Argument war, das er in diesem Moment hatte vorbringen können. Der vorwurfsvolle Blick der Frau, die in der Schlange ursprünglich hinter Emma gestanden hatte, sich jetzt aber vor ihm befand, bestätigte seinen Verdacht. Dass sie den Kopf flüchtig schüttelte, war eindeutig eine freundliche Warnung gewesen.

„Was ich natürlich nur nicht mache, weil ich vor dir zu großen Respekt habe“, ergänzte er hastig. Normalerweise war das ein Spruch, mit dem sich ein Mann vor einer Menge Ärger bewahren konnte. Zumindest war das die Erfahrung, die er bei anderen Frauen gemacht hatte.

„Du bist ein Weichei“, konterte Emma kurz und knapp. „Von wegen Respekt.“

Emma war eindeutig nicht wie andere Frauen. Die anderen hätten eine solche Erklärung charmant gefunden, Emma hielt sie für Gewäsch. Das war ein Problem, das er nicht so recht zu lösen wusste. Warum er das überhaupt wollte, war ihm selbst ein Rätsel, aber auf jeden Fall konnte er das nicht auf sich beruhen lassen. Es machte ihm ebenso zu schaffen wie die Tatsache, dass er seit Monaten keinen Weg fand, ihr Interesse an ihm zu wecken. Und jetzt kam es ihm sogar so vor, als hätte er zwei Aufträge gleichzeitig zu erledigen: nämlich zum einen, Emma dazu zu bringen, dass sie seine guten Eigenschaften zur Kenntnis nahm, und zum anderen, herauszufinden, warum Arbeit und Vergnügen sich ihrer Meinung nach gegenseitig ausschlossen.

„Vielleicht flirte ich ja bloß nicht mit dir, weil du so gemein zu mir bist“, sagte er ausweichend, da er das Gefühl hatte, bei Emma mit Gegenargumenten nicht ans Ziel zu gelangen. Jedes weitere Widerwort würde ihr nur einen Vorwand liefern, um wütend davonzumarschieren. Wenn er ruhig war, würde sie sich eventuell wieder beruhigen.

Sie schnaubte verächtlich. „Ich bin überhaupt nicht gemein zu dir.“ Im nächsten Moment klatschte etwas gegen seinen Rücken. „Hier, halt meinen Beutel“, forderte sie ihn auf.

Kyle verstand das als Einladung, sich zu ihr umzudrehen.

Also drehte er sich um …

… und war froh darüber, dass er es getan hatte.

Emma zitterte förmlich vor Entrüstung über ihr Gespräch, sie hatte eine Gänsehaut und starrte ihn herausfordernd an. Und sie hielt nicht länger den Beutel in der Hand, mit dem sie ihre Brüste hätte bedecken können. Die wippten bei jeder Bewegung sanft hin und her, seit sie vom BH befreit worden waren. Oh ja, er sah hin. Und es tat ihm kein bisschen leid. Er nahm ihr den Beutel ab und beobachtete sie interessiert, während sie dastand und die Arme seitlich ausstreckte, damit sie mit grüner Farbe besprüht werden konnte.

„Du siehst lächerlich aus“, meinte sie zu ihm und stieß gleich darauf einen spitzen Schrei aus, als die erste Lage der kalten Farbe auf ihre Haut traf.

„Besonders elegant wirkst du auch nicht gerade“, gab er zurück. Allerdings sah sie nicht lächerlich, sondern zum Anbeißen aus. Sogar wenn sie sauer war, strahlte sie dieses gewisse Etwas aus. Sie war einfach heiß. Wenn sich diese Leidenschaft auch aufs Schlafzimmer erstreckte und wenn sie sich dort ein wenig von ihrer geschäftsmäßigen Coolness löste, würde sie durchaus in der Lage sein, einen Mann mit Haut und Haar zu verschlingen. Sie würde das Sagen haben und Forderungen stellen, sie würde ihn aufs Bett drücken, während sie seinen Schwanz in den Mund nahm …

„Wieso hast du diese Kappe auf?“, wollte sie wissen.

„Hm?“ Kyle wünschte sich mehr als alles andere, seine Unterhose zurechtziehen zu können. In den unteren Regionen wurde es immer unbequemer und schmerzhafter. Dieses ständige Auf und Ab tat keinem Mann gut. „Weil darunter mein Schlüsselbund versteckt ist. Ich bin nämlich nicht sicher, ob ich diesem Zahlensystem bei den Beuteln wirklich vertrauen kann.“ Brieftasche und Handy hatte er von vornherein im Wagen gelassen, aber er wollte nicht, dass sein Schlüsselbund mit anderen verwechselt wurde.

„Das können Sie beim Shooting nicht anbehalten.“ Die Frau, die Emma besprühte – eine stark tätowierte Mittzwanzigerin –, warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Ian gestattet keine Requisiten.“

„Ich weiß. Ich werde die Kappe rechtzeitig abnehmen.“

„Du trägst deinen Schlüsselbund auf dem Kopf mit dir herum?“, fragte Emma und trat einen Schritt nach vorn, als die junge Frau sie für fertig besprüht erklärte. „Du siehst echt albern aus.“

Sie bewegte sich wie Frankensteins Monster: die Arme vor sich ausgestreckt, die Knie steif, das Gesicht von der noch nassen Farbe glänzend und sehr, sehr grün. Ein wenig Farbe war an ihre Haare gekommen, was sie aussehen ließ, als hätte sie in einem wilden Paintball-Gefecht den Kürzeren gezogen. Ihre Nippel konnten in dieser Farbgebung für kleine Rosenkohlröschen durchgehen. Gleich nach dem Einsprühen hatte sie sich an der Nase gekratzt, und so blitzte dort ein Stückchen blanker Haut zwischen dem Grün auf. Definitiv war er hier ganz bestimmt nicht der Einzige, der albern aussah.

„Wenn du mich weiter als albern bezeichnest, werde ich so viele Witze über dich reißen, dass es dir leidtun wird. Nur mal so als Warnung“, entgegnete er.

Sie streckte ihm die Zunge raus, die von grünen Lippen umrahmt in einem kräftigen Rosaton leuchtete. Das hätte wirklich nicht sexy sein sollen, aber genau das war es. Gegen seinen Willen malte sein Verstand sich aus, wie diese Zunge über seinen Körper wanderte, um ihn lustvoll zu quälen.

Kyle trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Er musste schnellstens von hier weg, bevor er noch auf die Idee kam, Emma gegen die nächste Wand zu drücken, seine grünen Arme um ihren grünen Leib zu schlingen und etwas folgen zu lassen, was man wohl nur als Alien-Porno hätte bezeichnen können.

Zum Glück wurde er vor dieser womöglich peinlich endenden Idee bewahrt, als ein Mann sich über eine Lautsprecheranlage an die Menge wandte: „An alle Teilnehmer, Sie müssen sich jetzt ins Lagerhaus begeben, wo die Helfer jedem von Ihnen einen Platz zuweisen werden.“

Die Leute setzten sich in Bewegung, ein Teil von ihnen in Grüntönen eingefärbt, die von Moos bis Smaragd reichten, andere in einer Vielzahl von Brauntönen. Emma zögerte, woraufhin sich Kyle vorbeugte und ihr beschwichtigend ins Ohr flüsterte: „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du in Grün toll aussiehst?“

„Nein“, erwiderte sie mürrisch. „Grün gehört nicht zu meinem Farbschema.“

„Vielleicht liegt das daran, dass dich noch niemand ganz in Grün gesehen hat. Das steht dir nämlich wirklich gut.“

„M-hm.“

Als ihr ein Platz an der Wand gleich unter einem eingeworfenen Fenster zugewiesen wurde, sagte Kyle: „Gib dein Bestes, Mädchen. Stell dir vor, die Kamera wäre dein Geliebter.“

Ihre Mundwinkel zuckten, als würde sie überlegen, ob sie es sich erlauben sollte, über seine Bemerkung zu lachen. Das war schon mal ein gutes Zeichen.

„Mütze runter!“, knurrte eine stämmige Frau mit einem Durag auf dem Kopf und einem Klemmbrett in der Hand ihn an.

Kyle nahm die Baseballkappe ab, legte den Schlüsselbund hinein und hielt sie hinter dem Rücken, während er neben Emma in Position ging. Dann ließ er die Kappe zu Boden fallen und hörte die Schlüssel klimpern. Es war ein beruhigendes Geräusch, weil es ihm sagte, dass sie wieder von hier wegkommen würden, selbst wenn all ihre Sachen abhandenkommen sollten. Nach dem Shooting wollte er noch den einen oder anderen Teilnehmer interviewen, aber die Fakten zum Event lagen ihm bereits alle vor, da das Team des Künstlers eine umfassende Pressemitteilung herausgegeben hatte. Eine Kolumne zu schreiben, in der er seine Meinung zu einem Thema äußern konnte, war ihm von allen Aufgaben am liebsten.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er Emma.

Sie stieß ihn mit der Hüfte an. „Ich komme mir nicht wie ein Teil eines Kunstwerks vor. Ich fühle mich eher wie ein nackter smaragdgrüner Trottel. Kannst du den Fotografen irgendwo entdecken?“

„Nein.“ Er sah nur eine Reihe von grünen Hintern, als die Leute in der Reihe vor ihm aufgefordert wurden, sich auf den Bauch zu legen. „Ich bin froh, dass wir stehen dürfen. Das Gebäude ist bestimmt radioaktiv verseucht. Da möchte ich mein bestes Stück nicht mal dann mit dem Boden in Berührung kommen lassen, wenn noch meine Unterhose dazwischen ist.“ Allein der Gedanke ließ ihn schaudern. „Ich möchte schließlich irgendwann Kinder haben.“

Von der einst erfolgreichen Stahlfabrik war nur noch eine verfallene Halle übrig, deren Fenster fast alle eingeworfen waren. Der Betonboden war von einer dicken Staubschicht überzogen. Wenn Kyle genauer darüber nachdachte, gefiel es ihm auch nicht, barfuß an diesem Ort herumzustehen. Auf keinen Fall hätte er sich hingelegt und von dem Zeugs auch noch etwas eingeatmet.

„Hier ist doch bis zuletzt Stahl verarbeitet worden“, meinte Emma. „Wie gefährlich kann das schon sein?“

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