Historical Platin Band 13

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AUF BEFEHL DES KÖNIGS von BRISBIN, TERRI
Welch Albtraum für Marguerite: König Henry, ihr Geliebter, ist ihrer überdrüssig und verheiratet sie mit seinem Gefolgsmann Lord Orrick. Zwar kann Marguerite der männlichen Ausstrahlung ihres neuen Gatten kaum widerstehen - aber wird ihr Herz jemals für ihn schlagen können?

DER HERR VON MOOR HOUSE von ASHLEY, ANNE
Einst hat er Megans Herz gebrochen: Christian Blackmore, groß, breitschultrig, verboten attraktiv. Keinesfalls darf sie ihm erneut verfallen! Doch sie sind allein, in einem Keller eingeschlossen, bis zum Morgengrauen. Und in dieser sündigen Nacht setzt Megan alles aufs Spiel …

ZWISCHEN SEHNSUCHT UND VERLANGEN von MAGUIRE, MARGO
Ein gefährlicher Sturz! Schnell eilt der Marquis of Kirkham zur Hilfe … und erlebt eine Überraschung: Der verwegene Reiter ist eine wunderschöne Dame. Augenblicklich entbrennt er in wilder Leidenschaft zu ihr, bis er Schreckliches erfährt: Ihr Vater ist sein größter Feind!


  • Erscheinungstag 27.07.2018
  • Bandnummer 0013
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734169
  • Seitenanzahl 752
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Terri Brisbin, Anne Ashley, Margo Maguire

HISTORICAL PLATIN BAND 13

PROLOG

Grafschaft Anjou in Frankreich

November im Jahr des Herrn 1177

Der schwere Stoff des bodenlangen Gewandes bauschte sich raschelnd um ihre schlanken Beine, als Marguerite ds’Alençon aufgebracht herumfuhr und den König in fassungslosem Entsetzen anstarrte.

„Sire! Ihr wollt mir doch nicht wirklich Eure Gunst entziehen.“

„Ich bin Euch stets in Liebe zugetan, schöne Marguerite, auch jetzt, da Ihr mein Kind tragt. Aber eines muss Euch klar sein – der Titel und die Ehre der Königin an meiner Seite bleiben Euch verwehrt.“

„Ihr haltet sie wie eine Gefangene, habt Euch ihre Macht und ihre Ländereien angeeignet. Es wäre Euch ein Leichtes, eine andere zur Gemahlin und Königin zu wählen.“

Erst nachdem ihr die Worte entschlüpft waren, wurde ihr bewusst, wie gefährlich es war, den Unmut des Plantagenets herauszufordern. Nur darauf bedacht, ihre eigenen Ziele durchzusetzen, hatte sie ihre Grenzen überschritten. Indem sie ihre Gedanken laut aussprach, war sie entschieden zu weit gegangen.

„Es würde Euch wohl anstehen, nicht zu vergessen, dass Eleonores Ländereien bei unserer Vermählung rechtmäßig in den Besitz des Hauses Plantagenet übergingen und ich sie mit Fug und Recht wegen ihres schädlichen Einflusses auf meine Söhne unter Hausarrest stellen ließ. Es würde Euch weiterhin wohl anstehen, Euch nicht in die Angelegenheiten Eures Königs einzumischen.“

Henry Plantagenet stand mit hoch erhobenem Haupt, gerötetem Gesicht und geballten Fäusten vor ihr, seine herrische Stimme hallte in dem weitläufigen Gemach wider. Der Zorn des Königs jagte Marguerite eisige Schauer über den Rücken. Sie wünschte sich, ihre unbedachten Äußerungen ungeschehen machen zu können.

„Sire, ich bitte um Vergebung für meine respektlose Rede. Aber ich erträume mir nichts sehnlicher, als Euch lieben zu dürfen, Euch Freude zu bereiten und zu dienen, das ist mein Begehr. Ich trage Euer Kind unter dem Herzen, und mein Herzenswunsch besteht darin, dieses Glück mit Euch zu teilen.“

Doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihre Worte völlig zurückzunehmen. Zu sehr hatte sie, die fest davon überzeugt war, ihm einen Sohn zu gebären, sich erhofft, Königin zu werden. Schließlich entstammte sie einem alten französischen Adelsgeschlecht und war geeignet, den Platz an seiner Seite einzunehmen. Das Blut, das in ihren Adern floss, ließ sich bis zu Karl dem Großen zurückverfolgen.

Aber sie war auch klug und realistisch genug, um ihren Stolz zu mäßigen. Marguerite sank mit geneigtem Haupt in einen tiefen Hofknicks zu seinen Füßen und verharrte lange in dieser demütigen Haltung. Nach einer Weile hob sie seine Hand an ihre Lippen, hauchte einen ehrerbietigen Kuss darauf und berührte seinen Handrücken mit der Stirn.

„Ich gehöre Euch, Henry“, flüsterte sie ergeben. „Ich lebe nur dafür, Euch zu lieben und zu dienen.“

Ihre Worte beschwichtigten das aufbrausende Temperament des Königs, sein Atem beruhigte sich, sein Unmut schwand. Er half ihr beim Aufstehen und führte sie zu einem Stuhl. Nachdem sie sich gesetzt hatte, begann er schweigend auf und ab zu wandern. Marguerite war dieses Verhalten nicht fremd. Jedes Mal, wenn er mit unangenehmen und unerwünschten Situationen konfrontiert wurde, reagierte er aufbrausend und barsch, fasste sich aber rasch und wurde wieder umgänglich und aufgeschlossen.

Seine in Ungnade gefallene Gemahlin Eleonore von Aquitanien völlig zu verstoßen, würde bedeuten, sich mit den Kirchenfürsten und dem Hochadel anzulegen. Henry hatte keinesfalls die Absicht, sich noch stärker in Auseinandersetzungen auf dem Kontinent und mit den Adeligen im eigenen Herrschaftsgebiet zu verstricken. Zwar hatte Eleonore von Aquitanien heimlich eine Revolte ihrer Söhne gegen ihren Vater Henry unterstützt, doch dem König lag daran, eine friedliche Lösung zu finden, um einerseits die Königin endgültig zu entmachten, ohne andererseits den Fehler ihres ersten Gemahls, Louis VII., König von Frankreich, zu begehen, der bei der Auflösung seiner Ehe mit ihr gezwungen gewesen war, seinen Landbesitz an Eleonore abzutreten.

Marguerite griff nach dem Kelch, um ihre trockene Kehle mit einem Schluck des süßen Weines anzufeuchten. Mit heimlichen Blicken folgte sie dem rastlosen Umhergehen des Königs und hatte bald den Eindruck, Henry beginne sich allmählich mit ihren Gedanken anzufreunden. Sie lehnte sich im hohen Stuhl zurück und wartete. Es wäre nicht ratsam gewesen, ihn jetzt in seinen Grübeleien zu stören. Sein langes Schweigen machte sie beklommen, doch dann hielt er endlich inne und wandte sich ihr zu.

„Vor einigen Jahren“, begann der König, „unterstützte ich einen Mönch aus Sempringham in seinem Kampf gegen seine revoltierenden Laienbrüder, welche unbotmäßige Forderungen stellten.“ Marguerite konnte sich nicht denken, worauf er damit hinauswollte, wartete aber geduldig auf seine weitere Erklärung. „Heute erfreut sich dieser Orden, der unter meinem Patronat steht, eines regen Zulaufs. Eines dieser mittlerweile gegründeten Nonnenklöster, dem ein Laienstift angeschlossen ist, wäre der geeignete Ort, wo Ihr die Geburt Eures Kindes abwarten könnt.“

Hatte er die Absicht, sie zu verstoßen?

„Hoheit, wollt Ihr mich etwa in ein Kloster verbannen?“ Der Gedanke nahm ihr den Atem. „Ich will doch nur …“

„Ich verstehe, Marguerite“, unterbrach er sie mit diesem unwiderstehlichen Lächeln, das sie bereits bei ihrer ersten Begegnung so sehr in Bann gezogen hatte. „Es ist besser, die Geburt des Kindes geheim zu halten, bevor weitere Entscheidungen zwischen uns getroffen werden.“

Die Angst kroch ihr eiskalt den Rücken hinauf. Eine dunkle Ahnung warnte sie, dass er ihr die Worte im Mund umdrehte, um sie für seine eigenen Ziele zu nutzen. Der König pflegte selbstherrlich seine Interessen zu verfolgen, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Marguerite aber hätte ihre privilegierte Stellung bei Hofe nicht ohne ihre Beharrlichkeit und Durchsetzungskraft erreicht. Deshalb wagte sie erneut einen Vorstoß. Sie durfte nicht riskieren, dass er sie entließ, ohne ihr eine bindende Zusage zu geben.

„Und eine legale Verbindung, Sire? Wird es nach der Geburt eine Hochzeit geben?“

Henry trat zu ihr, nahm sie bei den Armen und zog sie unsanft auf die Füße. Bei seiner stürmischen Umarmung entglitt der Kelch ihren Händen und fiel klirrend zu Boden. Der König küsste sie leidenschaftlich und besitzergreifend, wie so oft in ihrer glutvollen Liebesbeziehung. Er kostete innig von ihren Lippen, und sie spürte, wie ihr Widerstand schmolz und sie sich seinen Wünschen beugen würde. Als sie sich atemlos an ihn klammerte, löste er sich von ihr und sah sie mit seinen durchdringenden machtbesessenen Augen lächelnd an.

„Seid unbesorgt, meine schöne Marguerite, es wird eine legale Verbindung geben.“

1. KAPITEL

Abbeytown

Silloth-on-Solway, England

Im Jahr des Herrn 1178

Mylord!“

Auf dem Weg zu seinem Pferd drehte Orrick sich nach der kraftvollen Stimme des Mönchs um, dessen hoch gewachsene, breitschultrige Gestalt sich mit weit ausholenden Schritten näherte. Brachte er eine Botschaft?

„Bruder David? Gibt es noch etwas?“

Er kannte die meisten Klosterbrüder mit Namen, da er die Abtei seit frühester Kindheit häufig besucht hatte, anfangs mit seinem Vater und später allein. Bruder David war vor vierzehn Jahren in den Orden eingetreten. Mittlerweile unterstand ihm die Aufsicht über die große Anzahl der Schreiber in der Abtei.

„Der hochwürdige Herr Abt bittet noch um eine kurze Unterredung und erwartet Euch in seiner Studierstube.“

Orrick klemmte sich den Helm unter den Arm, nickte seinen Männern zu und folgte Bruder David durch den Wandelgang des Klosters. Es musste sich um eine wichtige Angelegenheit handeln, sonst hätte der Abt ihn nicht noch einmal rufen lassen. Wenig später stand er dem Gottesmann gegenüber.

„Tretet ein, Mylord. Jemand möchte Euch sprechen, und ich halte ein Gespräch unter vier Augen für angebracht.“

Orrick bückte sich beim Eintreten unter dem niedrigen Türsturz. Ein Kurier des Königs, der die Insignien des Hauses Plantagenet trug, stand vor dem Schreibtisch des Abts, auf dem sich Schriftrollen und Bücher stapelten. Der Klostervorsteher zog sich schweigend zurück und schloss die Tür leise hinter sich.

„Mylord“, begann der Gesandte mit einer höflichen Verbeugung. „Abt Godfrey will uns beiden eine unnötige Reise ersparen. Dies schickt Euch der König.“

Orrick zögerte einen Moment, die Pergamentrolle mit dem königlichen Siegel entgegenzunehmen, die der Bote ihm reichte. Da er keinen Brief des Königs erwartete, der sich zurzeit im französischen Anjou aufhielt, ahnte er nicht, welche Kunde das Pergament enthalten mochte. Aus einem unerfindlichen Grund wollte er es auch nicht wissen.

Zögernd streifte er den Kettenhandschuh ab, griff nach dem Schreiben und entband damit den Gesandten seiner Pflicht. Er brach das Siegel, trat ein paar Schritte beiseite, entrollte das Schriftstück und überflog den Inhalt. Als er den Sinn des Schreibens begriff, stockte ihm der Atem.

König Henry beabsichtigte, ihn und seinen verstorbenen Vater für ihre treuen Dienste an der Krone zu belohnen mit einer Frau, nein, einer Gemahlin, die Orricks Rang angemessen war; eine Dame, die hoch in der Wertschätzung und Achtung des Königs stand. Des Weiteren sah der König vor, seinen zuverlässigen Vasallen mit Zuwendungen in Gold, Ländereien und einem zusätzlichen Adelstitel zu ehren.

Orrick schluckte gegen den Knoten an, der ihm die Kehle zuschnürte. Sein Vater war kein Narr gewesen, ebenso wenig wie er einer war. Orrick wusste klar und deutlich: Er sollte gekauft werden. Und der Preis, den der König bezahlte, war sehr hoch, Besorgnis erregend hoch. Wenn Henry sich in die Privatangelegenheiten seiner Getreuen einmischte, bestand Grund zur Sorge. Noch dazu, wenn es einen Gefolgsmann betraf, der in einer abgelegenen Gegend von England lebte, und diese Einmischung ihm eine Braut namens Marguerite d’Alençon bescherte.

Der Bote erkundigte sich höflich, ob er auf Antwort warten solle, worauf Orrick den Kopf schüttelte. „Ich beabsichtige, dem König mit meinem persönlichen Erscheinen bei Hofe die Antwort zu geben, Sir.“

„Sehr wohl. Ich unterrichte den König von Eurer Bereitschaft, Mylord.“

Der Kurier betonte seine Worte beinahe wie eine Frage. Die Absicht des Herrschers, eine Edeldame seiner Gunst mit einem seiner Lehnsmänner zu verheiraten, war offenbar bei Hofe kein Geheimnis, da selbst der Abgesandte den Inhalt des Schreibens zu kennen schien. Offenbar hatte dieser gewisse Zweifel gehegt, ob Orrick seine Zustimmung geben würde. Um keine Frage offen zu lassen, räumte er die unausgesprochenen Zweifel des Boten aus.

„Ich bin ein treuer Gefolgsmann des Königs, Sir. Mein Leben ist seinen Diensten gewidmet.“

Mit einer Verneigung verließ der Gesandte den Raum. Orrick wartete auf die Rückkehr des Abts und zögerte nicht, dem frommen Mann, dessen Rat ihm stets wertvoll war, den Entschluss des Königs zu eröffnen, der sein Leben von Grund auf verändern würde.

„Ich muss auf Geheiß des Königs heiraten.“

„Heiraten, Mylord? Hat der König Euch mitgeteilt, wen Ihr heiraten sollt?“

Orrick wusste wie jeder andere Edle im Lande, dass der Ehevertrag aufgrund seiner Auswirkungen mehr zählte als die Personen, welche davon betroffen waren. Er nickte. „Lady Marguerite d’Alençon.“

„Kennt Ihr die Dame?“, fragte Godfrey mit einem Blick auf das Schriftstück, das Orrick ihm bereitwillig reichte. Der Mönch studierte es eingehend in der Befürchtung, seinem Schützling sei möglicherweise ein wichtiges Detail entgangen. „Marguerite d’Alençon … der Name kommt mir irgendwie vertraut vor. Vielleicht weiß Eure Frau Mutter etwas über die Dame?“

„Wenn sie an Henrys Hof lebt, kennt meine Mutter ihren Namen und ihren Hintergrund, daran zweifle ich nicht.“

„Ja, richtig, Mylord. Eure Frau Mutter zeigt seit jeher großes Interesse an allen Belangen des Königs und seiner Umgebung. Würde sie ihr Augenmerk weniger profanen Dingen zuwenden, könnte ihre Seele an Einsicht und Weisheit gewinnen.“

Orrick wusste, wie sehr Godfrey das Faible seiner Mutter für Klatsch und Intrigen missbilligte. Bedauerlicherweise hatten die vielen Jahre der Trennung von ihrer Verwandtschaft und ihren Freundinnen in der Normandie ihren Drang, Neuigkeiten über das Leben bei Hofe zu erfahren, nicht geschmälert. In diesem Fall könnten die Verbindungen seiner Mutter Orrick allerdings nützlich sein, um zu beurteilen, ob dieses unerwartete und großmütige Geschenk seines Königs eine Belohnung oder eine Bestrafung darstellte.

„Ich werde mit meiner Mutter über ihre Schwäche für Hofklatsch sprechen, Godfrey“, sagte Orrick, rollte das Pergament zusammen und steckte es in die Tunika, die er unter dem Kettenhemd trug.

Godfrey schlug ihm mit einem gutmütigen Lachen auf die Schulter. „Ihr werdet sie zunächst danach fragen, was Ihr wissen wollt, bevor Ihr sie wegen ihrer Schwäche zur Rede stellt, nehme ich an, Mylord.“

„Ihr kennt mich gut, Godfrey“, entgegnete Orrick schmunzelnd. „Es könnte immerhin wichtig für mich sein, Näheres über die mir zugedachte Braut zu erfahren. Schließlich geht es um meine Zukunft. Es ist mein gutes Recht, Erkundigungen über sie anzustellen, ehe ich dem Ruf des Königs folge und die Ehefrau nehme, die er mir anbietet.“

Godfreys weise hohe Stirn legte sich in Sorgenfalten. „Orrick, lasst Euch von der blumigen Sprache, mit der Henry die Schönheit dieser Frau preist, nicht beirren. Er befiehlt Euch, sie zu heiraten – und zwar ohne Verzug.“

Auch Orrick war ernst geworden. „Das ist mir keineswegs entgangen, Godfrey. Ich bin mir über die Absicht des Königs völlig im Klaren.“

„Dann geht mit Gott, Mylord. Ich werde Euch und Lady Marguerite in meine Gebete einschließen, bis Ihr unversehrt wieder in die Heimat zurückgekehrt seid.“

Nachdem Orrick dem Abt herzlich die Hand geschüttelt und seinen Segen erhalten hatte, verließ er das Kloster, schwang sich aufs Pferd und gab seinen Leuten das Zeichen zum Aufbruch.

Unter normalen Bedingungen dauerte der Ritt zwei Tage. Doch diesmal drängte es Orrick, seine Burg so rasch wie möglich zu erreichen, damit er Vorbereitungen für eine lange Reise über den Ärmelkanal an den Hof des Königs treffen konnte, um seine Braut kennen zu lernen. Er forderte Pferden und Reitern das Äußerste ab.

Vorderhand galt es, seine Mutter von der überraschenden Entwicklung zu unterrichten und ihr andere Gemächer in der Burg zuzuweisen. Seine Braut würde anfangs gewisse Anleitungen brauchen, um sich mit der Wirtschaftsführung vertraut zu machen, wobei Orrick befürchtete, dass seine Mutter, die mehr als dreißig Jahre die Aufsicht über das Gesinde und das Leben auf der Burg geführt hatte, sich ihre Vorrangstellung nicht ohne Weiteres aus den Händen nehmen lassen würde. Doch mit der Zeit würden diese Schwierigkeiten ausgeräumt werden. Zunächst einmal musste er seine Braut heimführen.

Die Reise schien ihm wie im Flug zu vergehen, während seine Gedanken mit der Frau beschäftigt waren, die bald seine Gemahlin und die Mutter seiner Kinder und Erben sein würde. Orrick war kein unerfahrener Mann, kein Grünschnabel, der keine Ahnung hatte, was auf ihn zukam. Er trug sich seit einiger Zeit mit dem Gedanken an eine Heirat, aber stets war irgendetwas dazwischengekommen. Nun hatte der König ihm die Entscheidung aus der Hand genommen und ihn schlicht und einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.

Von Unruhe erfüllt ritt er an der Spitze seiner Soldaten in den Hof von Silloth Castle und sprang am Fuß der Steintreppe zur großen Halle aus dem Sattel. Er war noch keine drei Stufen hinaufgeeilt, da empfing ihn die entrüstete Stimme seiner Mutter, die jede Hoffnung, der Befehl des Königs könne problemlos ausgeführt werden, im Keim erstickte.

Lady Constance rauschte heran, gefolgt von ihren Gesellschaftsdamen und Zofen, und baute sich vor ihrem Sohn auf. Ihr erhitztes Gesicht und ihre Atemlosigkeit waren deutliche Zeichen ihres inneren Aufruhrs. Aber warum war sie so aufgebracht?

Ein flaues Gefühl breitete sich in Orricks Magengrube aus, als Lady Constance ihm mit einigen Schriftstücken vor der Nase herumwedelte. Ohne ihre Stimme zu dämpfen, schleuderte sie ihm ihre besorgten Worte ins Gesicht.

„Schwöre mir, dass du Marguerite d’Alençon nicht heiraten wirst!“

Woher wusste sie Bescheid? Er und sein Gefolge waren soeben erst nach einem anstrengenden Ritt aus Abbeytown eingetroffen. Der Bote des Königs hatte ihn dort erreicht, ohne zuvor nach Silloth zu reiten. Wer hatte ihr die Neuigkeiten hinterbracht?

„Mutter, der König befiehlt mir diese Heirat. Ich werde seinem Ruf folgen und bringe meine Braut nach Silloth. Woher kennst du eigentlich ihren Namen?“

Verwirrung, Zorn und Enttäuschung kämpften in ihren Gesichtszügen. Sie wandte sich ratlos an ihre Damen, ohne den Rückhalt zu finden, den sie suchte. Orrick dachte an Abt Godfrey, der seinem Missfallen darüber Ausdruck verliehen hatte, dass Lady Constance unnötig viel Zeit mit Klatsch und Tratsch verschwendete. Würde es seiner neuen Gemahlin gelingen, sie von derlei seichter Unterhaltung abzulenken?

„Du kannst diese Frau nicht ehelichen.“

Mit dieser Anmaßung ging sie entschieden zu weit. Genau aus diesem Grund hätte er eine Heirat nicht so lange hinauszögern dürfen. Es war höchste Zeit, dass seine Mutter lernte, sich mit einer untergeordneten Stellung in seinem Haushalt zufrieden zu geben, sobald eine Ehefrau die häuslichen Geschicke lenkte. Aber ihre tiefe Trauer um den frühen Tod seines Vaters hatte ihn zu nachsichtig mit ihr gemacht, zumal er von ihren Fähigkeiten in der Wirtschaftsführung profitierte. Jetzt war die Zeit gekommen, diesen Zustand zu ändern, und seine zukünftige Gemahlin würde das unter seiner Anleitung bewerkstelligen.

„Der König hat mir Marguerite d’Alençon als Gattin zugedacht, wovon du offenbar bereits unterrichtet bist. Er erweist sich mit dieser Auszeichnung erneut als großzügig …“ Orrick beendete den Satz nicht, da ihn bei dem Gedanken an die zugesagte hohe Geldsumme ein unangenehmes Gefühl beschlich. Herrgott nochmal! Seine Mutter kannte offensichtlich das Motiv dieses königlichen Erlasses, aber Orrick scheute sich, sie danach zu fragen. Dennoch drängte es ihn zu erfahren, was ihn vom König erwartete. „Nenne mir endlich den Grund deiner Einwände. Ich will über alles informiert werden.“

Orrick machte sich auf das, was seine Mutter ihm eröffnen würde, gefasst, holte tief Atem und blickte ihr unverwandt ins Gesicht.

Ohne sich um die Umstehenden zu kümmern, erklärte Lady Constance mit lauter Stimme: „Der König ist zwar für seine Großzügigkeit berühmt, mit dieser Entscheidung erweist er dir indes keinen Gefallen. Er bezahlt dir eine hohe Summe Gold, um seine Mätresse loszuwerden. Marguerite d’Alençon ist die Hure des Königs.“

Die Geliebte des Königs?

Die Worte seiner Mutter hallten in seinem Kopf wider, während er an ihr vorbei stürmte und Zuflucht in seinen Gemächern suchte. Orrick wollte allein sein, um sich darüber klar zu werden, ob er riskieren durfte, diesen Befehl des Königs zu verweigern.

Nun wusste er endlich, dass er für etwas bestraft werden sollte, für eine Verfehlung, die entweder er oder sein Vater verschuldet hatte. Welchen anderen Beweggrund könnte der König sonst haben, seinen getreuen Vasallen auf diese unerhörte Weise zu demütigen?

2. KAPITEL

Henry wird mir das nicht antun. Du irrst dich, Johanna“, widersprach Marguerite hitzig. „Er liebt mich.“

Aber die Worte klangen selbst in ihren Ohren wenig überzeugend. Sie drehte ihrer Gesellschafterin den Rücken zu und betrachtete das kostbare Kleid, welches auf dem Bett ausgebreitet lag. Es konnte nicht sein. Es durfte einfach nicht wahr sein, dass Henry sie einem anderen als Gemahlin versprochen hatte.

„Du kennst ihn besser als jede andere, Marguerite“, entgegnete Johanna beschwichtigend. „Wenn du sagst, er holt dich zurück, bevor die Hochzeit stattfindet, so glaube ich dir.“

In plötzlich aufwallendem Jähzorn packte Marguerite das Kleid, riss es in der Mitte entzwei, sodass Perlen und Edelsteine der kostbaren Stickerei durchs Zimmer flogen und klirrend über die Steinfliesen kullerten. Bevor sie in ihrer Zerstörungswut fortfahren konnte, gebot ihr eine barsche Männerstimme Einhalt.

„Ist das eine Art, mit den Geschenken des Königs umzugehen?“

Marguerite fuhr herum, als Lord Bardrick, Henrys Haushofmeister auf Woodstock, ihre Gemächer betrat. Johanna machte einen hastigen Knicks und entfloh, wobei Marguerite nicht wusste, ob ihr Wutanfall oder die lüsternen Blicke des Vogts auf ihren üppigen Busen die Freundin in die Flucht jagten. Die Tür fiel ins Schloss, und Marguerite war allein mit dem Vertrauten des Königs, der seine verborgensten Geheimnisse kannte.

„Mylord“, hauchte Marguerite und machte einen tiefen Hofknicks, der ihm einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté gewährte. „Ich fürchte, Ihr seht mich nicht von Begeisterung überwältigt über meine bevorstehende Heirat mit Lord … Lord …“ Sie gab vor, sich des Namens ihres zukünftigen Gemahls nicht zu entsinnen, bis Bardrick ihr zu Hilfe kam.

„Lord Orrick of Silloth.“

„Ja, richtig. Lord Orrick of Silloth. Es liegt mir fern, mich dem König gegenüber respektlos zu erweisen. Im Gegenteil, ich fühle mich von seinen Aufmerksamkeiten und seinen Geschenken sehr geehrt.“

Beide dachten an das kostbarste Geschenk, welches sie von Henry erhalten hatte – das gemeinsame Baby. Bedauerlicherweise war das Kind ein Mädchen. Dies war für Marguerites Pläne nutzlos, ja sogar hinderlich im Hinblick auf Henrys künftige Großzügigkeit und Zuneigung. Ein Knabe wäre akzeptabel und mit einem Adelstitel und Besitztümern ausgestattet worden, nicht anders als Henrys letzter unehelicher Sohn Geoffrey. Er hätte ihr auch gewisse Ansprüche an den König garantiert. Doch ihre vor wenigen Wochen geborene Tochter war völlig wertlos für sie. Sie hatte sie im Kloster zurückgelassen, wo sie zur Welt gekommen war, ein namenloser Bastard, der bei den Nonnen aufwachsen sollte. Zum Glück hatte Marguerites Schwester, die ihr Leben Gott geweiht hatte, sich bereit erklärt, den Säugling in ihre Obhut zu nehmen.

Bardrick öffnete die Tür und erteilte einer Zofe, die im Flur wartete, Anweisungen. „Lass das Kleid von einer Näherin flicken. Und beeil dich, Mädchen“, befahl er schroff und versetzte ihr einen derben Stoß. „Es muss zur Hochzeit fertig sein, die morgen stattfindet.“

Mit einem Anflug von Heiterkeit beobachtete Marguerite, wie die Dienerin das zerschlissene Gewand an sich raffte, auf dem Fußboden herumkroch, die abgesprungenen Perlen und Edelsteine einsammelte und hastig aus dem Zimmer huschte. Sie selbst hatte sich nicht von der Stelle bewegt.

„Will der König diese Farce tatsächlich noch weiter treiben?“

„Es ist kein Spiel, Mylady. Ihr werdet Lord Orrick heiraten! Der König duldet keinen Widerspruch.“

„Und wenn ich mich dennoch weigere?“ Marguerite konnte schlichtweg nicht glauben, dass dies das Ende sein sollte. Nein, Henry würde sie wieder zu sich nehmen. Es war ihm allerdings zuzutrauen, dass er erst im letzten Augenblick Einspruch erhob, um sie vor dieser ekelhaften Verbindung zu retten.

„Die letzten drei Menschen, die sich dem Willen des Königs widersetzten, sind bedauerlicherweise nicht mehr am Leben, um Euch von der Torheit ihres Handelns zu berichten. Daran solltet Ihr denken, während Ihr Euch auf die Vermählung vorbereitet.“

Sie unterdrückte den Schauer, der sie überflog, doch das schmierige Feixen des Höflings ließ sie wissen, dass er ihr Entsetzen bemerkt hatte.

„Nun Mylady, Ihr tut gut daran, Euch den Wünschen Seiner Majestät zu beugen. Seine Untertanen, die sich diesen Rat zu Herzen nehmen, leben meist länger und in besseren Verhältnissen als jene, die dumm genug sind, sich gegen ihn aufzulehnen.“

Widerstrebend nickte sie, ohne ihn anzusehen, da sie seine Genugtuung über ihre Niederlage nicht ertrug. Bardrick verneigte sich und ging rückwärts zur Tür, so wie er es getan hatte, als sie die Favoritin des Königs gewesen war. Marguerite durchschaute seine Häme – für ihn war sie lediglich eine von vielen willigen Frauen, die das Bett des Königs geteilt hatten und nun an einen seiner Gefolgsleute für dessen treue Dienste verschachert werden sollte.

„Schlaft gut, Marguerite.“

Das höhnische Lachen des Höflings draußen auf dem Flur war mehr, als sie verkraften konnte. Sie warf sich auf das Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Nein, ein solches Schicksal durfte ihr nicht widerfahren. Sie war ihr ganzes Leben darauf vorbereitet worden, die Gefährtin eines bedeutenden Mannes zu werden. In ihren Adern floss königliches Blut. Sie hatte Besseres verdient, als mit einem unbedeutenden Adeligen zweifelhafter Herkunft verheiratet zu werden, der irgendwo im Norden Englands hauste. Dieser Lord Orrick lebte in einem fernen Winkel des Reiches, unendlich weit weg vom Hofe des Königs, in einem kalten, verregneten Landstrich. Ein kleiner Landbesitzer mit ein paar unwirtlichen Trutzburgen und einer Horde verlauster, ungebildeter und raubeiniger Gefolgsleute. Sie war zu Höherem geboren. Ihre Gedanken kreisten. Sie hatte das Recht auf ein Leben an der Seite eines Königs.

Lange dauerte es, bis Marguerites Tränen versiegten, sie wieder Mut fasste. Noch war nicht alles verloren, die Zeit arbeitete für sie. Henry konnte einschreiten, bevor das Eheversprechen sie für immer an diesen Orrick band. Er konnte jederzeit seine Stimme erheben, um dieser Posse ein Ende zu setzen, und diesen „Lord des Nordens“, wie er genannt wurde, mit einer einfältigen Person aus seiner Schicht verehelichen. Ein Mädchen, das sich damit zufrieden gab, von einem Barbaren angefasst zu werden und ein Leben in einer feuchten Felsenburg in einem kalten Land zu fristen.

Marguerite blieb in ihren Gemächern, um die mitleidigen Blicke des Hofstaats nicht ertragen zu müssen, verweigerte das Abendessen und schickte ihre Dienerinnen fort.

Bevor der erlösende Schlaf sie übermannte, richtete sie inständige Gebete gen Himmel, in der Hoffnung, Henry möge ihr lediglich eine Lehre erteilen, weil sie ihre Grenzen überschritten hatte, und flehte, er möge sie endlich in die Arme schließen und ihr vergeben.

„Wenn du noch länger an mir herumzupfst, mach ich dich einen Kopf kürzer!“, knurrte Orrick zwischen den Zähnen. „Wieso muss ich mich aufputzen wie ein eitler Pfau?“

„Aber Mylord, der König erweist Euch die Ehre, höchstpersönlich mit den bedeutendsten Würdenträgern seines Hofstaats an Eurer Hochzeit teilzunehmen. Ihr wollt doch einen untadeligen Eindruck machen.“

Murrend fügte Orrick sich in das Unvermeidliche. Seinen eigenen Pagen waren Kammerdiener des Königs zur Seite gestellt worden, um sicherzustellen, dass das Hofprotokoll bis ins kleinste Detail befolgt wurde. Der Haushofmeister Seiner Majestät hier in Woodstock hatte ihn in den letzten beiden Tagen aufgesucht und der Zufriedenheit des Königs über Orricks unverzügliche Anreise und seine Zustimmung zu dieser Vermählung Ausdruck verliehen.

Offenbar war die Frau zum Problem geworden, da Henry sie so eilig loswerden wollte. In wenigen Stunden würde sie ihm gehören – sie würde seine Gattin und damit seine Angelegenheit sein.

„Es reicht, Gerard! Hör endlich damit auf“, sagte Orrick unwirsch.

Der Kammerdiener wusste, dass sein Herr mit seiner Geduld am Ende war, drängte seine Gehilfen zur Eile und scheuchte sie alsbald weg. Gerard bedachte ihn mit einem letzten prüfenden Blick, bevor auch er sich zurückzog.

Argwöhnisch blickte Orrick an sich herunter. Er trug eine prachtvoll bestickte Tunika und schwere Goldketten, die ihm bis zum Gürtel hingen. Er hasste diesen Aufwand. Er verabscheute das Leben bei Hofe, samt all dem Prunk. Aber als treuer Gefolgsmann des Königs sah er sich gezwungen, all das über sich ergehen zu lassen, bevor er endlich nach Hause reiten und sein gewohntes Leben im fernen Norden von England wieder aufnehmen konnte.

Zusammen mit seiner Gemahlin.

In einer knappen Stunde würde er ihre Bekanntschaft machen – eine Gefälligkeit, die der König auf Ersuchen der Dame gewährt hatte. Sie wusste nichts von ihm; die Mehrzahl der Höflinge konnten ihn nicht einmal beschreiben und würden ihn nicht erkennen, wenn sie ihn sahen. Aber niemand in Woodstock zögerte, von ihr zu sprechen. Orrick hatte seit seiner Ankunft bereits manche Geschichten über Marguerite gehört; die Lobeshymnen über sie klangen ihm in den Ohren.

Sie war schön. Ihr langes goldenes Haar reichte beinahe bis zum Boden, umfloss ihre üppigen Formen wie ein schimmernder Vorhang. Dichter hatten ihre strahlend blauen Augen und ihre vollen roten Lippen besungen.

Marguerite war sehr gebildet, hatte eine ausgezeichnete Erziehung genossen und beherrschte fünf Sprachen in Wort und Schrift, einschließlich Latein und Griechisch.

Obgleich unehelicher Geburt, reichte ihr Stammbaum bis zu Karl dem Großen und anderen Königen des Frankenlandes zurück. Sie hatte Verbindungen zu den meisten königlichen Familien der christlichen Welt auf dem europäischen Kontinent.

Und sie war die Mätresse des Königs.

Orrick öffnete das Fenster und betrachtete das emsige Treiben auf dem Burghof. Er atmete die frische Morgenluft tief ein und hoffte, seine Bedenken zu beschwichtigen. Er hätte gerne mit jemandem über seine Situation gesprochen, aber es gab niemanden, dem er seine Zweifel über diese Heirat anvertrauen konnte. Er befürchtete, dass es sich nicht nur um einen schlichten Befehl des Königs handelte. Wurde ihm diese Demütigung zuteil, weil er nur ein einfacher englischer Adeliger war und kein Günstling des Königs? Wurde er wegen einer Verfehlung seines Vaters oder seiner Mutter gegen die Plantagenets bestraft?

Er hatte nicht die Absicht, sich in Woodstock unter den argwöhnischen Blicken des Hofstaats eine Blöße zu geben. Er würde Marguerite heiraten und sie in seine Heimat bringen. Falls es Differenzen zwischen ihnen geben würde, wollte er sie auf seiner Burg bereinigen, wo niemand seine Autorität in Frage stellte. Abgesehen von der Frau, die nun unangemeldet sein Gemach betrat.

„Hast du sie schon kennen gelernt? Wurde sie dir vorgestellt?“ Seine Mutter hatte ihn, wie nicht anders zu erwarten, nach Woodstock begleitet. Aber ihre Anwesenheit war ihm keine Hilfe. Im Gegenteil, ihre Fragen und verschleierten Andeutungen verstärkten seine Zweifel.

„Ich treffe sie in einer Stunde, Mutter“, sagte er, wandte sich vom Fenster ab und blickte ihr ins Gesicht. Um jeden Zweifel auszuräumen, fügte er hinzu: „Unter vier Augen.“

Orrick sah, wie schwer es seiner Mutter fiel, keinen Einspruch zu erheben. Ihr immer noch faltenloses Gesicht verhärtete sich. Wann hatten sich graue Fäden in ihr flachsblondes Haar eingeschlichen? Ihre hohe schlanke Gestalt begann in die Breite zu gehen. Sie ähnelte immer mehr ihrer eigenen Mutter. Bei näherem Hinsehen fiel ihm auch auf, dass der Glanz ihrer grünen Augen ein wenig verblasste.

„Allein? Aber bei diesem wichtigen Treffen sollte jemand aus deiner Familie und der Familie der Braut anwesend sein. Ich muss …“

„Du musst gar nichts, Mutter. Meine erste Begegnung mit Marguerite wird unter vier Augen stattfinden. Du bist herzlich eingeladen, an der Trauung teilzunehmen, wie alle anderen Gäste.“ Er sah sich gezwungen, einen scharfen Ton anzuschlagen, sonst würde sie sich über seine Anweisungen hinwegsetzen.

Einen Augenblick fürchtete er, sie würde ihm den Gehorsam verweigern, doch dann besänftigten sich ihre Gesichtszüge. Ihre Augen wurden feucht. Orrick wusste, dass sie diesmal ihre Tränen nicht bewusst als Waffe einsetzte, um sein Mitleid zu erregen und ihn umzustimmen. Ihre Worte bestätigten seinen Eindruck.

„Ich wünschte nur, dein Vater könnte das noch erleben. Er hat sich so sehr gewünscht, dass du dich noch zu seinen Lebzeiten verheiratest, aber …“ Sie beendete den Satz nicht.

Orrick schlug einen versöhnlicheren Ton an. „Ich konnte mich nicht dazu entschließen, und nun erlebt er es nicht mehr. Auch ich bedauere das.“ Er näherte sich seiner Mutter.

„Es wird sich alles verändern“, flüsterte sie.

Er hörte die Angst in ihrer Stimme. Mit der Ankunft seiner Ehefrau würde sie ihre Position als Burgherrin verlieren, die das Gesinde beaufsichtigte und für den reibungslosen Ablauf der Wirtschaft und Verwaltung der Burg sorgte. Sie musste sich mit der Rolle einer Zuschauerin begnügen, ohne Machtbefugnisse oder Befehlsgewalt, falls er oder seine Ehefrau ihr nicht einen besonderen Aufgabenbereich zuwiesen. War seiner Mutter eigentlich klar, dass sie ihm nun Gelegenheit gab, mit ihr über dieses heikle Thema zu sprechen?

„Mutter“, begann er, ohne recht zu wissen, wie er sich ausdrücken sollte. „Nach der Hochzeit …“

„Wenn du mir eine Eskorte zur Verfügung stellst, reise ich umgehend zu meinem Witwensitz in der Nähe von Ravenglass. Ich halte es für angebracht, mich möglichst bald dorthin zu begeben. Du kannst mir nach deiner Rückkehr in Silloth mein Gepäck schicken lassen.“

Sie sprach zwar ruhig und gelassen, aber Orrick konnte beinahe ihren jagenden Herzschlag spüren. Er hörte, wie sie den Atem anhielt und auf seine Antwort wartete, die ihr Schicksal besiegeln würde. Zu gut kannte er seine Mutter und wusste genau, dass sie nichts mehr hasste, als auf ihren Alterssitz verbannt zu werden; eine Burg, die noch entlegener war als Silloth Castle. Er musste eine Lösung finden, mit der er ihre Bedenken beseitigen und zugleich Spannungen im eigenen Heim vermeiden konnte.

„Deine Burg in Ravenglass ist noch keine geeignete Wohnstätte für dich. Das Haus muss erweitert und instand gesetzt werden. Bis die Arbeiten ausgeführt sind, halte ich es für angebracht, dass du in Silloth bleibst und meine Braut in der Wirtschaftsführung anleitest. Du kannst ihr helfen, sich einzugewöhnen und sich mit unseren Leuten und ihrer neuen Umgebung vertraut zu machen.“

Nach lastendem Schweigen entfuhr seiner Mutter ein befreiender Seufzer. Ihre Schultern entspannten sich, und er wusste, dass er die richtigen Worte gefunden hatte.

„Ich werde nur so lange bleiben, wie die neue Burgherrin meine Unterstützung braucht, Orrick. Ich will nicht in einem Haus wohnen, in dem ich nicht erwünscht bin.“

Orrick nahm sie in die Arme. „Ich weiß, dass du dich zurückhalten wirst, Mutter. Du meinst es ja nur gut.“

Ihrer beider Worte klangen hohl. Lady Constance war eine unverbesserliche Klatschbase. Sie tratschte über alle und jeden, nicht nur in Silloth, sondern auch auf seinen anderen Burgen. Sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen, war ihr, zumal nach dem Tod ihres Gatten, zum Lebensinhalt geworden. Aber heute, an seinem Hochzeitstag, wollte er ihr glauben und hoffen, es würde sich alles zum Guten wenden.

Er trat einen Schritt zurück. „Nun lass mich bitte allein, Mutter. Ich will mich auf das Treffen mit meiner Braut vorbereiten.“

Er hatte den Eindruck, seine Mutter wolle noch etwas sagen, doch dann bildete sich eine steile Falte auf ihrer Stirn, ihre Lippen verschlossen sich zu einem schmalen Strich. Orrick hätte es vorgezogen, hier in der Ungestörtheit seines Gemachs weitere verächtliche Bemerkungen von ihr zu hören. Er wartete. Da sie beharrlich schwieg, beugte er sich vor und küsste sie auf die Stirn.

„Alles wird gut, Mutter. Vertraue mir.“

Lady Constance neigte den Kopf und zog sich ohne ein weiteres Wort zurück. Orrick atmete erleichtert auf, allmählich fiel die Spannung von ihm ab. Die erste einer Reihe unangenehmer Unterredungen hier in Woodstock, vielleicht die schwierigste, lag hinter ihm. Nun konnte er der Begegnung mit seiner Braut leichteren Herzens entgegenblicken, ebenso der Audienz beim König, der ihn zwang, seine Geliebte zu heiraten.

Lady Marguerite hatte darum ersucht, das Zusammenkommen möge zum Breviergebet in der neunten Stunde stattfinden. Orrick verließ sein Gemach und ging den Korridor entlang zu einem kleinen Raum, in dem sie sich zum ersten Mal sehen sollten. Die Kirchenglocken begannen, die Gläubigen zum Gebet zu rufen, als er das Kabinett betrat. An die Unpünktlichkeit von Frauen gewöhnt, war er nicht darauf gefasst, dass sie ihn bereits erwartete.

Während er die Tür hinter sich schloss, stellte er fest, dass die Schilderungen über ihre Schönheit und Anmut keineswegs übertrieben gewesen waren. Als sie mit sittsam geneigtem Kopf in einen tiefen Hofknicks versank und ihm dabei einen tiefen Einblick in ihre üppigen weiblichen Formen gewährte, verspürte er ein verräterisches Ziehen in den Lenden. Es würde alles nicht so problematisch werden, wie er befürchtet hatte. Mit dieser Frau verheiratet zu sein, konnte kein großes Opfer sein.

3. KAPITEL

Mylady“, grüßte er, beeindruckt von ihrer Sittsamkeit, und hielt ihr die Hand entgegen. „Bitte erhebt Euch.“

Bei der Berührung ihrer zarten feingliedrigen Finger an seiner schwieligen Hand jagte ein Feuersturm durch ihn. Sobald sie den Blick gehoben hatte, wusste er, dass er rettungslos verloren war.

Ihr goldenes Haar reichte tatsächlich beinahe bis zum Saum ihres Kleides. In die schimmernden Locken, die ihr Antlitz einrahmten, waren Seidenbänder und Perlen geflochten. Es verlangte ihn danach, diese Pracht anzufassen, sein Gesicht darin zu vergraben und ihren Duft einzuatmen. Als sie den Kopf drehte, floss das Haar in Kaskaden golden glänzender Wellen über ihre Schultern und Arme. Seine Phantasie gaukelte ihm ein Bild der bevorstehenden Hochzeitsnacht vor. Er sah sie nackt auf dem Bett liegen, nur eingehüllt in ihre seidige Haarfülle.

Orrick erschrak über sein sinnliches Verlangen bei dieser ersten Begegnung und nahm sich vor, seine animalische Gier zu zähmen, sonst würde sie tatsächlich den Barbaren in ihm sehen, für den sie ihn vermutlich hielt. Er trat einen Schritt zurück und lud sie mit einer höflichen Geste ein, auf einer Bank Platz zu nehmen. Orrick glaubte, sich wieder gefasst zu haben – bis er ihre Stimme hörte.

„Lord Orrick, ich bin erfreut, die Gelegenheit zu haben, ungestört mit Euch sprechen zu dürfen. Danke, dass Ihr mir diesen Wunsch erfüllt, der Euch befremdlich erscheinen mag.“

Der melodisch weiche Klang ihrer Stimme mit einem rauchigen Unterton verfehlte seine Wirkung nicht. Er malte sich aus, wie sie ihre Leidenschaft in seinem Bett hinausschrie. Sah sie nackt, wie sie sich unter ihm wand, er sie ausfüllte, sich in ihr ergoss und ihrer beider Lustschreie miteinander verschmolzen. Für einen Moment schloss er die Augen und war sich ihrer betörenden Macht bewusst.

Orrick hatte sich nach den Klatschgeschichten, die er über die Liaison dieser schönen Frau mit dem König gehört hatte, mit einem gesunden Maß an Argwohn gewappnet, um sich in diesem Ränkespiel nicht zum Narren zu machen. Stets darauf bedacht, seine Entscheidungen nicht von der Begierde des Fleisches beeinflussen zu lassen, war er zu diesem Treffen erschienen in der festen Überzeugung, die Dame und die Situation mühelos handhaben zu können.

Dummkopf!

In wenigen Augenblicken war er in den Bann ihrer Schönheit, ihrer erotischen Ausstrahlung und ihrer stummen Verheißung geraten. Sie hatte ihn mit einem Hofknicks, einem anmutigen Nicken, einer Drehung des Kopfes, einer Bewegung ihrer goldenen Haarpracht, dem Hauch ihres verführerischen Duftes und wenigen schlichten Worten verzaubert und in ihre Falle gelockt. Nun stand er vor ihr, bis zum Bersten erregt, und begehrte sie heftiger als je eine Frau zuvor. Der Wunsch, das Verlangen, sie zu berühren, zu streicheln, von ihr zu kosten, sie in den Armen zu halten, zu besitzen, sein Eigen zu nennen, wuchs ins Unerträgliche. Unstet ließ er den Blick durchs Zimmer schweifen, entdeckte einen kleinen Tisch, auf dem eine Karaffe und zwei Kelche standen. Damit versuchte er, den Bann zu brechen.

„Ein Schluck Wein, Mylady?“ Ohne auf ihre Antwort zu warten, schenkte er ein, schaffte es, nichts zu verschütten, obwohl seine Finger zitterten, und reichte ihr einen Pokal.

„Danke, Lord Orrick“, hauchte sie und führte den Becher an ihre Lippen.

Fasziniert beobachtete er, wie sie daran nippte und sich mit der rosigen Zungenspitze über die feuchten Lippen fuhr. Er spannte jeden Muskel, jede Sehne an, um nicht über sie herzufallen. Da er auf keinen Fall zulassen durfte, dass er die Beherrschung verlor, wandte Orrick sich ab und trat einen Schritt zurück.

„Und der Grund für dieses Treffen?“

„Nun, um Euch kennen zu lernen, Mylord! Es ist zwar üblich in unseren Kreisen, dass Brautleute vor den Altar treten, ohne sich vorher gesehen zu haben.“ Sie legte kunstvoll eine Pause ein und betrachtete – mit einem Blick, der einer körperlichen Berührung glich – aufreizend seine Gestalt. Dann fuhr sie fort: „Aber Seine Majestät gestattete diese Lockerung der Etikette, da wir enge Freunde sind.“

„Davon hörte ich, Mylady.“

Gut so! Sie sollte getrost wissen, dass er kein Spielball war, auch nicht der des Königs. Selbst wenn er gezwungen war, Henrys abgelegte Geliebte zu heiraten, dachte Orrick nicht daran, sich dumm zu stellen und so zu tun, als wisse er nicht über die Beziehung zwischen Henry und Marguerite Bescheid. Vor allem nicht ihr gegenüber, obwohl dieser Umstand seinen Stolz zutiefst verletzte.

Ihre Reaktion versetzte ihn in Erstaunen. Sie stellte das Trinkgefäß ab und ging zur Tür. Langsam drehte sie sich zu ihm um. Der liebenswürdige Zug in ihrem Antlitz hatte sich verhärtet, worunter ihre Schönheit erheblich litt. Sie straffte die Schultern und sah ihn mit kalten Augen so scharf an, dass ihn fröstelte.

Er hatte eine bezaubernde, verführerische, sinnliche Marguerite kennen gelernt.

Nun stand ihm eine zornige, gebieterische, kriegerische Marguerite gegenüber.

„Ich bin Euch zwar keinerlei Erklärung schuldig, Orrick of Silloth, aber ich weiß, dass Ihr genau wie ich zu dieser Ehe gezwungen werdet, deshalb will ich Euch die Wahrheit sagen.“

Orrick setzte den Kelch an und leerte ihn in einem Zug. „Wie lautet diese, Mylady?“ Wollte sie ihm gestehen, dass sie das Bett des Königs geteilt und möglicherweise von ihm geliebt worden war?

„Diese Hochzeit wird nicht stattfinden. Ich bedauere in gewisser Weise, inwieweit Ihr in dieses Missverständnis zwischen dem König und mir hineingezogen worden seid. Deshalb ist es mir ein Anliegen, Euch zu warnen vor dem, was kommen wird.“

War er unversehens Opfer einer Intrige geworden? Wofür wollte der König ihn bestrafen? Wieso diese vorgetäuschte Hochzeit, wenn Henry beabsichtigte, ihn anzuklagen und festzunehmen? Orricks Eingeweide krampften sich zusammen bei dem Gedanken, was aus seiner Familie und seinen Leuten werden sollte, wenn er im Kerker landete oder gehängt werden sollte. Schließlich fasste er sich.

„Was wird kommen?“

„Seine Majestät will mich mit dieser Scharade lediglich warnen und mich in meine Schranken weisen. Ich habe meine Grenzen überschritten, und Henry will mir damit vor Augen führen, wozu er fähig wäre, sollte ich sein Missfallen erneut erregen. Ich fürchte, Ihr seid unvermittelt in einen Zank zweier Liebender geraten.“

Orricks innerer Aufruhr legte sich ein wenig, während sein Argwohn wuchs. Aus welchem Grund sollte Henry dieses öffentliche Schauspiel inszenieren, eine Vermählung arrangieren, um im letzten Moment einen Rückzieher zu machen? Orrick hatte bereits die Dokumente unterzeichnet, mit denen Landbesitz und Titel auf ihn übergehen sollten, und außerdem eine hohe Summe des zugesagten Goldes erhalten. Andererseits stand es dem König frei, all diese Zusagen mit einem Wort zurückzunehmen. Aber würde er so etwas tun? Und aus welchem Grund?

„Ihr glaubt, der König wird die Hochzeit absagen?“, fragte er einfältig, da ihm nichts Besseres einfiel. Sein Instinkt sagte ihm allerdings, dass die Antwort nicht so einfach war.

„Selbstverständlich wird er das tun! Er liebt mich und verschachert mich nicht an einen Lord aus dem Norden, der sich nie bei Hofe blicken lässt.“ Auf Orricks ungläubigen Blick beeilte sie sich hinzuzufügen: „Ich wurde erzogen, die Gefährtin eines Königs zu werden, nicht eines … eines …“

„Barbaren unbestimmter Herkunft, Mylady?“

Ganz richtig, ihre abfällige Bemerkung war ihm bereits hinterbracht worden. Er aber hatte es vorgezogen, jenen Worten keine Beachtung zu schenken, da es in dieser absurden Situation schwierig war zu beurteilen, wer was zu wem über wen gesagt hatte. Nun nahm Orrick ihre Herausforderung an, die sie ihm hingeworfen hatte wie einen Fehdehandschuh. Es würde keinen weiteren Austausch von Höflichkeitsfloskeln in diesem Gespräch geben. Marguerite ließ sich dadurch nicht beirren, im Gegenteil, die Tatsache, dass er ihre Meinung über ihn kannte, schien sie in ihrer Überzeugung noch zu bestärken.

„Richtig, Mylord. Der König wird gewiss eine passende Braut für Euch finden. Ich bin an ein Leben bei Hofe in Frankreich gewöhnt und würde in einem fremden Land nicht glücklich sein.“

Und zu weit entfernt von Henry. Diese Gedanken blieben unausgesprochen, hallten aber in Orricks Kopf, als habe die Dame sie hinausgeschrien.

„Wollt Ihr mich mit Eurem Gerede zwingen, Henry zu ersuchen, die Hochzeit abzusagen? Erhofft Ihr Euch das?“

Sie wandte sich ab, verweigerte ihm zunächst die Antwort, doch dann begegnete sie seinem Blick. „Ich möchte Euch lediglich die Demütigung ersparen, vor dem gesamten Hofstaat zur Hochzeit zu erscheinen, ohne Braut an Eurer Seite. Deshalb will ich Euch davon unterrichten, dass Henry mich wieder zu sich nimmt und diese Eheschließung nicht stattfinden lassen wird.“

Ihre weiche Stimme klang so selbstbewusst, dass Orrick beinahe davon überzeugt war, sie meine es ernst. Einen flüchtigen Augenblick hegte er an ihrer Aussage keinen Zweifel, doch dann begriff er den Zusammenhang, und ein Gefühl des Bedauerns überkam ihn. Sie glaubte daran.

Marguerite war sich ihrer Sache sicher. Henry würde bestimmt die Hochzeit im letzten Moment absagen, so dachte sie. Entweder wusste sie nichts von den bereits geschlossenen Heiratsverträgen, oder sie wollte es einfach nicht wahrhaben. Sie war offensichtlich nicht im Stande, sich einzugestehen, dass sie nach den Jahren, in denen sie die Gunst des Königs genossen hatte, seine Zuneigung und damit ihre privilegierte Stellung bei Hofe verloren hatte. Es kursierten zwar noch keine Gerüchte über eine neue Favoritin des Herrschers, aber es würde gewiss nicht lange dauern, bis eine neue Edeldame ihren Platz an seiner Seite und in seinem Bett einnahm.

Was ging in dieser bedauernswerten Frau vor, die plötzlich Henrys Zuneigung eingebüßt hatte? Geliebt, verlassen und an einen fremden Mann verschachert zu werden? Ihr trotziger Blick, ihr eigensinnig gerecktes Kinn ließen Orrick wissen, dass sie sich weder von ihm noch von anderen Mitleid wünschte. Aber nachdem sie ihn gewarnt hatte, lag ihm daran, nun dasselbe für sie zu tun.

„Auch ich bin der Meinung, dass dies ein Tag der Demütigung sein wird, Marguerite. Allerdings fürchte ich, Ihr werdet davon betroffen sein, nicht ich. Daher kann ich Euch nur raten, Euch mit den Gegebenheiten abzufinden und Euer Herz zu schützen, um keinen Schaden zu nehmen.“

Ihre Lider flatterten heftig, als versuche sie, den Sinn seiner Worte zu verstehen. Orrick fand es an der Zeit, sich zurückzuziehen. Er legte die Hand auf den Türgriff. Sie trat beiseite, um ihn gehen zu lassen.

Er hatte ihr nichts mehr zu sagen. Er und sie waren nur Schachfiguren und der Willkür des Plantagenets ausgesetzt.

Gott möge ihnen allen beistehen.

Marguerite strich sich glättend über die Röcke des kostbar bestickten Gewandes und stand reglos, während die Zofen letzte Hand an ihre kunstvolle Frisur anlegten. Sie war daran gewöhnt, bedient zu werden, ohne Notiz davon zu nehmen. Irgendwann schienen die Kammerfrauen zufrieden mit ihrem Werk zu sein, stellten einen hohen, glänzend polierten Spiegel vor sie hin, und Marguerite betrachtete prüfend ihre Erscheinung.

Ihre Augen hatten einen unnatürlichen Glanz im bleichen Gesicht, was allerdings nur ihr auffiel. Das blassblaue, wallende Seidengewand verlieh ihrer elfenbeinhellen Haut einen transparenten Schimmer und unterstrich das Eisblau ihrer Augen. Eine schwere zweireihige Goldkette war um ihre Hüften geschlungen, worin sich das Licht der vielen Kerzen brach. In ihr langes goldenes Haar waren Seidenbänder, Perlen und Edelsteine geflochten.

Nur unverheirateten Frauen war es gestattet, das Haar offen zu tragen in all seiner Pracht und Fülle. Würde diese Hochzeit tatsächlich stattfinden, wäre dies das letzte Mal, dass sie ihr herrliches Haar öffentlich zur Schau stellte. Sie dachte an Henrys bewundernde Blicke, auch Lord Orricks Verzauberung war ihr nicht entgangen, und sie wusste genau, wie sie ihre Reize einzusetzen hatte. Sie nickte den Dienerinnen zu, die den Spiegel wegtrugen.

Ihr Gespräch mit Orrick hatte einen unerwarteten Verlauf genommen. Er erwies sich nicht als der grobschlächtige Barbar, für den sie ihn gehalten hatte. Hoch gewachsen und kraftvoll, sah er ziemlich gut aus in seiner höfischen Kleidung. Das hellbraune Haar reichte ihm bis zu den Schultern, er trug keinen Bart wie die meisten Adeligen bei Hofe; sein glatt rasiertes Gesicht war markant geschnitten. Der Blick seiner kühlen grünen Augen war klug. Seine Stimme klang tief und melodisch. Überhaupt gefiel ihr seine Erscheinung in mancher Hinsicht. Doch das zählte nicht, da sie nicht für ihn bestimmt war.

Sie ließ sich ihre Vorfreude auf Henrys Besuch nicht anmerken, wusste aber, dass er sie vor der Zeremonie aufsuchen würde. Sicherlich würde er ihr eröffnen, dass er sie an seiner Seite behalten wollte und alles sich wieder zum Guten wenden würde. Sie war für ihr anmaßendes Verhalten bestraft worden, sie hatte Buße getan und würde als Henrys Favoritin an den Hof zurückkehren. Ein Klopfen an der Tür holte sie aus ihren Träumereien. Bevor sie etwas sagen konnte, öffnete eine Dienerin die Tür, ihr Onkel trat ein und verneigte sich.

Marguerite wusste, dass ihr Onkel gekommen war, um sie vor der Hochzeitsfeier zu Henry zu geleiten, damit diesem bösen Spiel ein Ende gesetzt wurde. Wortlos bot der Bruder ihrer Mutter ihr den Arm und begleitete sie durch die endlosen Flure des Palastes. Bedienstete, Gäste, Freunde und Feinde hatten sich in der Großen Halle eingefunden, um Zeugen für die Schmach der in Ungnade gefallenen Mätresse des Königs zu werden. Hoch erhobenen Hauptes, ohne die Versammlung eines Blickes zu würdigen, schritt Marguerite an der Seite ihres einzigen männlichen Verwandten in England durch den Saal, die Augen auf einen Punkt in der Ferne gerichtet.

Unvermutet rasch erreichten sie die Stirnseite des Raumes und stiegen die Stufen zur Empore hinauf. Die Dienerin, die ihr in Woodstock zugeteilt war, stand ein wenig abseits bereit, falls ihre Herrin sie benötigte. Diese beiden Menschen waren Marguerites einziger Halt.

Unschlüssig, ob sie nach Henry Ausschau halten sollte, musterte Marguerite heimlich die Anwesenden. Am anderen Ende der Galerie stand Lord Orrick im Kreise seiner Gefolgsleute und einer älteren Dame, in der sie seine Mutter vermutete. Roger, der Bischof von Dorchester, der die Trauung vollziehen sollte, hatte auf einem der beiden hohen Lehnstühle in der Mitte Platz genommen. Ihr Blick wanderte weiter zum größeren, reicher geschnitzten Stuhl. Endlich sah sie den König zum ersten Mal seit Monaten.

Er strahlte Energie und Lebenskraft aus wie kein anderer. Ein Herrscher, der viele Machtkämpfe in seiner weit verzweigten Familie zu bestehen, der etliche Schlachten in blutigen Kriegen geschlagen hatte, um sein Königreich zu verteidigen und zu erweitern. Der König erschien ihr als unbesiegbarer Held. Sein Haar schien einen Hauch grauer geworden zu sein, um die Leibesmitte wirkte er etwas fülliger. Aber dennoch hatte er nichts von seiner Anziehungskraft verloren.

Henrys durchdringender Blick heftete sich auf sie. Marguerite stockte der Atem. Seine Augen gaben ihr zu verstehen, dass sein Verlangen nach ihr noch immer loderte … Weder die vergangenen Monate der Trennung noch das Kind, das sie ihm geboren hatte, und schon gar nicht die Farce einer arrangierten Heirat hatten seine Gefühle für sie geschmälert. Ein Lächeln, das sie so sehr liebte, zuckte um seine Mundwinkel. Sie erwiderte es verschämt.

Es war dumm von ihr gewesen, nur eine Sekunde daran zu denken, er würde nicht einschreiten. Lord Orricks Worte hatten diese Zweifel in ihr geweckt. Doch nun las sie in Henrys Zügen, dass sie seiner Liebe und seiner Leidenschaft gewiss sein konnte. Er würde sie nicht verstoßen. Niemals.

Marguerite schloss einen Moment lang die Augen, überwältigt und zufrieden über das Ende dieser erniedrigenden Posse. Sie hatte nicht die Absicht, sich ihren Triumph anmerken zu lassen, wenn der König verkünden würde, ein anderes Arrangement für Lord Orrick getroffen zu haben. In der Öffentlichkeit musste sie weiterhin die Rolle der Büßerin spielen, um Henrys Stolz nicht zu verletzen und um ihn wissen zu lassen, dass sie sich die Lehre zu Herzen genommen hatte, die er ihr erteilt hatte.

Nun trat Lord Orrick an ihre Seite. Der Priester neben dem Stuhl des Bischofs begann, den Ehevertrag laut zu verkünden. Seine dröhnende Stimme drang bis in den hintersten Winkel der Großen Halle. Das Verlesen der jeweiligen Besitztümer und Titel dauerte minutenlang. Henry zeigte sich als äußerst großzügig, besser gesagt, er würde sich als spendabel erweisen, wenn die Hochzeit tatsächlich stattfinden würde. Dieser „Lord aus dem Norden“ hätte einen Riesengewinn gemacht mit seiner Zusage, sie zu heiraten.

Ein schmerzlicher Stich durchbohrte sie, als ihr zwei Dinge klar wurden: Sie bedeutete diesem Orrick nur das, was sie ihm an Gold und Titeln einbrachte, und Henry hatte diesen schändlichen Handel für Orrick so verlockend gestaltet, dass er gar nicht Nein sagen konnte. Kein Edelmann, den es nach Macht und Reichtum gelüstete, hätte dieses Angebot ausgeschlagen.

Marguerite atmete tief ein und legte sich eine andere Erklärung für diese Abmachungen zurecht, eine, die ihrem Verstand und ihrem Herzen sinnvoller erschien – Henry tat mit diesen noblen Schenkungen an Orrick lediglich seine hohe Wertschätzung ihrer Person kund. Bald würde der König sich erheben und diesem Spiel ein Ende bereiten, das im Grunde nur eine Demonstration seiner Zuneigung für sie darstellte.

Die plötzliche Stille schreckte Marguerite aus ihren wirren Gedanken und holte sie in die Gegenwart zurück. Sie blickte auf und bemerkte jetzt erst Orrick an ihrer Seite. Wartend hielt er ihr die Hand entgegen.

Ihr Blick flog zu Henry. Nun war der Moment für ihn gekommen, das Wort zu ergreifen. Der König nickte ihr zu und sah ihr tief in die Augen. Sie hatte Mühe, ihr Siegerlächeln zu verbergen, während sie sich andeutungsweise verbeugte.

„Hochwürdiger Herr Bischof“, sagte der König, nachdem er sich erhoben hatte. „Beginnt nun mit dem Ehegelöbnis.“

4. KAPITEL

Zum Glück hatte Orrick ihr bereits die Hand geboten, sonst wäre sie vermutlich bei den Worten des Königs zu Boden gesunken. Alle Anwesenden auf der Empore sahen, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. Einen Moment fürchtete auch Orrick, sie würde in Ohnmacht fallen. Nun hoffte er, ihr Schockzustand möge während der Dauer der Zeremonie anhalten, da sie sich mit ihrer spitzen Zunge und ihrem aufbrausenden Temperament nur schaden würde.

Verwirrung und Fassungslosigkeit standen in ihren blauen Augen, als er sie vor den Bischof führte. Orrick wiederholte die Worte des Geistlichen, mit denen ihre Ehe besiegelt wurde, und drückte ihr die Hand, als die Reihe an ihr war, das Gelöbnis zu sprechen. Monoton wiederholte sie die Heiratsformeln. Sie zitterte so sehr, dass Orrick seinen Arm um ihre Mitte legte, um ihr Halt zu geben.

Einerseits geschah ihr ganz recht, da sie in ihrer Anmaßung und Überheblichkeit ihn nicht ernst genommen hatte. Andererseits hätte Orrick am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht; er wollte nichts mit diesem teuflischen Handel zu tun haben. Doch sein Pflichtgefühl hielt ihn an ihrer Seite, veranlasste ihn, sie beim Kniefall zu stützen, um den Segen des Bischofs zu empfangen, der sie zu Mann und Frau vor Gott und dem König erklärte.

Aus der Menge erhob sich ein Raunen, die Höflinge wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Orrick erhob sich von den Knien und half Marguerite aufzustehen. Auch der König stand auf, klatschte in die Hände und rief in die Menge.

„Hurra! Hurra!“

Jubel und Applaus schwollen zu einer Lautstärke, die selbst an Marguerites taube Ohren drang. Orrick wollte sie möglichst rasch wegbringen, um seine und ihre Würde vor dem König und seinem Hofstaat zu wahren. Er winkte seine Mutter zu sich, stellte ihr Marguerite vor und bat Lady Constance, sich seiner Braut anzunehmen. Er wollte Henry um Erlaubnis ersuchen, sich zu verabschieden. Schließlich verspürte er nicht den geringsten Wunsch, sich und seine Familie in Woodstock der Blamage einer enttäuschenden Hochzeitsnacht und dem zu erwartenden Fiasko am Morgen danach auszusetzen.

So näherte er sich Seiner Majestät, bat ihn um eine kurze Unterredung unter vier Augen und begab sich mit Henry in einen Alkoven vor der Halle. Ihm stand ein heikles Gespräch zwischen Monarch und Gefolgsmann bevor, zwischen dem Liebhaber und dem Ehemann ein und derselben Frau.

„Sire“, begann Orrick mit einer Verneigung, „ich bedanke mich, dass Ihr Euch dieser Angelegenheit persönlich angenommen habt.“ Henry versetzte ihn mit einem lauten Lachen in Erstaunen.

„Eure Dankbarkeit wird sich in Grenzen halten, sobald die Lady ihre Sprache wiedergefunden hat.“

Orrick hütete sich, auszusprechen, was ihm durch den Kopf ging. Sein einziger Gedanke bestand darin, seine Familie und seine Braut nicht der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben, falls einer der unmittelbar Betroffenen in Gegenwart der Höflinge die Beherrschung verlieren sollte.

„Ich bitte Euch, mir zu gestatten, Woodstock umgehend zu verlassen.“

„Stehenden Fußes, Orrick? Ohne am Festmahl teilzunehmen, das ich Euch zu Ehren ausrichten lasse?“

Orrick überlegte, was er antworten sollte, entschied sich dann aber für eine offene und direkte Regelung. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und räusperte sich. Er musste freimütig von Mann zu Mann sprechen.

„Euer Gnaden, sowohl Ihr als auch ich wissen um Eure Beziehung zu Marguerite. Wir beide kennen den Grund, warum die Ehe zwischen der Lady und mir arrangiert wurde. Ich sehe keine Veranlassung, dieses Schauspiel noch länger in der Öffentlichkeit fortzuführen. Alle Hochzeitsgäste verstehen Euren Hinweis, den Ihr damit gegeben habt.“

Henrys Gesicht verfärbte sich dunkelrot, und Orrick fürchtete, er habe es mit seiner Offenheit zu weit getrieben. „Ist das Eure Meinung?“ Orrick nickte. „Und wie lautet diese Botschaft, wenn ich bitten darf?“

„Dass Ihr der König seid und Euer Wille geschehe.“

Orricks diplomatische Art, mit der er ausdrückte, dass der König jeden bestrafte, der seine Grenzen überschritt, tat ihre Wirkung. Der Zorn in Henrys Augen erlosch.

„Es steht Euch frei, jederzeit mit Eurem Gefolge abzureisen, Orrick.“ Der König wandte sich zum Gehen. „Der Tag wird kommen, an dem Ihr mir für meine Wohltat dankbar sein werdet.“

In der Annahme, der Monarch beziehe sich mit der Erwähnung einer Gunst darauf, dass er ihm die Peinlichkeit eines Hochzeitsmahls und die Katastrophe einer misslungenen Hochzeitsnacht ersparte, verneigte Orrick sich tief und folgte seinem König in die Halle zurück. Dort erteilte er seinen Männern Anweisungen zum baldigen Aufbruch. Dann stellte er sich der größeren Herausforderung: Marguerite.

Sie stand wie versteinert, nur ihre zitternden ineinander verschränkten Hände verrieten ihren inneren Aufruhr. Das schöne Gesicht war aschfahl, die Augen ausdruckslos. Dies sagte ihm alles, was er wissen musste. Er nickte seiner Mutter zu, die seine stumme Bitte verstand. Endlich führte er seine frisch angetraute Gemahlin aus der Halle in ihre Gemächer.

Marguerite blieb an der Stelle stehen, an welcher er ihren Arm freigegeben hatte. Sie würdigte ihn keines Blickes, als er der Dienerschaft Befehle gab. Nichts deutete darauf hin, dass sie überhaupt verstand, was um sie herum vorging. In gewisser Weise war er erleichtert, dass der Schock sie immer noch lähmte. Er musste noch einiges erledigen, bevor er mit seinem Gefolge Woodstock und den neugierigen, sensationslüsternen Blicken der Höflinge den Rücken kehren konnte. Orrick trachtete einzig und allein danach, allem zu entfliehen. Erst dann wollte und konnte er weitere Pläne in Angriff nehmen.

„Mutter“, rief er, „sorge bitte dafür, dass Lady Marguerites Reisekörbe auf unsere Fuhrwerke verladen werden. Ich nehme an, ihre Zofen haben das meiste bereits gepackt.“

Lady Constance war froh, gebraucht zu werden, und verteilte die Arbeit unter den Bediensteten. Marguerite dagegen stand immer noch starr und teilnahmslos inmitten der hektischen Betriebsamkeit. Orrick empfand Mitleid für sie, konnte nur ahnen, was in ihr vorging, nachdem sie erkennen musste, dass sie sich in dem geliebten Mann so schrecklich geirrt hatte und diese Schmach im Beisein so vieler hämischer Menschen ertragen musste, die ihre Niederlage voller Schadenfreude genossen.

„Marguerite“, sagte er leise. „Habt Ihr eine Zofe, die Euch nach Silloth begleitet?“

Sie blieb stumm. Er wollte sie schon bei den Schultern nehmen und wachrütteln, als eine junge Frau sich näherte und einen Knicks machte.

„Monsieur, ich bin Edmee, Lady Marguerites Zofe. Ich begleite Euch gerne.“

„Gut. Hilf deiner Herrin, Reisekleidung anzulegen. Wir brechen in einer halben Stunde auf.“

„Sehr wohl, Monsieur“, antwortete Edmee und wollte gehen, aber Orrick hielt sie zurück.

„Sprichst du englisch?“

„Nein, Monsieur. Nur normannisch und französisch.“

„Aha. Nun geh deiner Herrin bei den Vorbereitungen zur Hand.“

Orrick schüttelte den Kopf – ein weiteres Problem. Abgesehen von seiner Mutter und ihren Gesellschaftsdamen sprach in Silloth niemand französisch, manche seiner Leute sprachen neben englisch noch einen alten gälischen Dialekt. Aber die gebildete Marguerite war gewiss des Englischen mächtig.

Es blieb keine Zeit, sich Gedanken über Nebensächlichkeiten zu machen. Im Vertrauen darauf, dass seine Anweisungen ausgeführt wurden, kehrte er in seine eigenen Gemächer zurück. Kurz darauf brach er samt Frau, Mutter und Gefolge Richtung Norden in seine Heimat auf.

Hätte Orrick geahnt, wie beschwerlich der Ritt sein würde, hätte er ihn möglicherweise um ein paar Tage verschoben. Das Wetter schien sich gegen sie verschworen zu haben. Es stürmte und regnete tagelang, machte das Fortkommen beschwerlich und zwang ihn, die Gastfreundschaft einiger Lords, welche auf seiner eingeschlagenen Route wohnten, zu beanspruchen. Dies tat er vor allem wegen der angegriffenen Gemütsverfassung seiner Gemahlin, der er die Nächte unter freiem Himmel nicht zumuten wollte. Seine Ehefrau.

Seit der Abreise aus Woodstock hatte sich nichts an Marguerites verwirrtem Seelenzustand geändert. Seine Mutter berichtete ihm, dass sie Essen und Trinken verweigerte und kein Wort sprach, nicht einmal mit Edmee. Sie ließ alles über sich ergehen, tat gehorsam das, was man ihr sagte, und wirkte abwesend wie eine Schlafwandlerin.

Orrick hatte sein Frühmahl eingenommen, erhob sich und überlegte besorgt, was gegen die Schwermut unternommen werden konnte, die Marguerite befallen hatte. Der Grund ihres Trübsinns lag mit Sicherheit an ihrem ungläubigen Entsetzen, dass die Hochzeit tatsächlich stattgefunden hatte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Die Beschwernisse der Reise verschlimmerten ihre Verzweiflung zusehends. Es lag nur noch ein knapper Tagesritt vor ihnen. Orrick hoffte zuversichtlich, dass sich ihre Niedergeschlagenheit nach der Ankunft in Silloth und einer gewissen Zeit der Eingewöhnung bessern würde. Schlimmstenfalls würde er die Dorfheilerin kommen lassen, die ihr einen Arzneitrank zur Aufhellung ihrer Stimmung verabreichen sollte.

Auf seine Anweisung wurde seine frisch angetraute Braut in den Hof der Burg ihres Gastgebers begleitet. Dort half Orrick ihr in den Sattel, wobei er festzustellen glaubte, dass ihre Mitte sich fülliger anfühlte, als ihre schlanke Figur vermuten ließ. Er schwang sich aufs Pferd, führte ihre Stute am Zügel und ritt neben ihr her auf der Straße nach Westen.

Unterwegs besann er sich auf sein lange vernachlässigtes diplomatisches Geschick und seine Redegewandtheit. Mit allen Mitteln versuchte er sie zu einem Gespräch zu animieren, doch alle Bemühungen blieben erfolglos. Orrick stellte Marguerite Fragen über ihre Familie, probierte, ihr Einzelheiten über ihr Leben in der Normandie zu entlocken. Doch selbst das war vergebens. Auch seine Anstrengungen, Silloth, seine Bewohner und die umliegende Landschaft zu beschreiben, bewirkten keine Veränderung in ihrem geistesabwesenden Gesichtsausdruck.

Unverdrossen fuhr Orrick fort, ihr von den Menschen zu berichten, die sie bald kennen lernen würde, und welche Erwartungen an die künftige Herrin von Silloth gestellt wurden, in der Hoffnung, dass wenigstens ein Bruchteil von dem, was er ihr erzählte, in ihrem Gedächtnis haften blieb.

Ohne in Abbeytown Station zu machen, wollte Orrick direkt nach Hause. Kurz vor Sonnenuntergang ritt die Reisegesellschaft durch das Dorf am Fuße der Burganlage. Der begeisterte Empfang seiner Lehnbauern erfreute ihn. Erst beim Anblick der offenen Tore seiner Burg wurde ihm in aller Deutlichkeit bewusst, wie unbehaglich ihm am Hofe des Königs zumute gewesen war. Mit einem Schenkeldruck spornte er sein Pferd an, ritt in den Hof und straffte die Zügel an den Stufen des hohen quadratischen Wohnturms. Er drehte sich zu Marguerite an seiner Seite und stutzte. Die Leere in ihrem Gesicht war blankem Entsetzen gewichen, mit dem sie ihre Umgebung wahrnahm und dann den Blick auf ihn richtete.

Bevor er absteigen konnte, um ihr aus dem Sattel zu helfen, drängte sich ein Mann durch die neugierige Menge, die sich um die Ankömmlinge versammelt hatte. Orrick war zu langsam, um einzuschreiten. Der hünenhafte schottische Krieger hob Marguerite vom Pferd wie ein Kind, hielt sie an gestreckten Armen vor sich und musterte sie von Kopf bis Fuß.

Orrick sprang vom Pferd und eilte an die Seite des Freundes. „Gavin, stelle die Lady augenblicklich auf die Füße.“

„Sie scheint mir nicht besonders kräftig zu sein, Orrick. Bist du sicher, dass sie die Richtige für dich ist?“ Das verwegene Grinsen seines Ziehbruders zeigte allen, wie köstlich er sich amüsierte, während Marguerite zu Tode erschrocken war. Ihre angstvoll aufgerissenen Augen im bleichen Gesicht bereiteten Orrick Sorgen.

„Lady Marguerite hat eine anstrengende Reise hinter sich. Nimm die Hände von ihr und lass sie zufrieden, damit ich sie in ihre Gemächer begleiten kann.“

Gavin stellte sie ab, doch ihre Knie versagten ihr den Dienst, sie fand keinen Halt. Statt sie aber Orrick auszuhändigen, zog Gavin die Schwankende wieder an sich. Marguerite stemmte die Hände gegen den mächtigen Brustkasten des dreisten Fremden und lehnte sich so weit wie möglich zurück. Dann geschah etwas völlig Unerwartetes.

Mit einer Kraft, die ihrem angegriffenen Zustand und ihrer zarten Gestalt nicht zuzutrauen war, stieß die Braut einen spitzen durchdringenden Schrei aus, vor dem die Umstehenden mit schmerzhaft verzogenen Gesichtern irritiert zurückwichen. Nur Gavin, der Urheber dieser peinlichen Szene, verzog keine Miene. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend, wobei Marguerite in seinen Armen ordentlich geschüttelt wurde.

Orrick versuchte sie zu beruhigen, doch dann erstarb ihr Angstruf in einem Röcheln, ihre Augen rollten nach hinten, und sie verlor das Bewusstsein.

„Anscheinend hat sie etwas Mumm in den Knochen, Orrick“, stellte Gavin fest, während er seinem Freund die Last in die Arme legte. „Vielleicht ist sie doch die Richtige für dich.“

„Du elender Mistkerl“, knurrte Orrick zähneknirschend.

„Beruhige dich, mein Bester. Ich wollte deine Braut nur gebührend in deinem Haus begrüßen.“

„Zum Teufel mit dir, Gavin. Sehr taktvoll, sie mit diesem Schauspiel vor allen Dorfbewohnern bloßzustellen.“

Verärgert wandte er sich ab und stieg mit seiner leblosen Gemahlin in den Armen die Stufen zur Burg hinauf, rief nach ihrer Dienerin, der er im Gehen Anweisungen erteilte. Er durchquerte die Halle, eilte durch Flure und Treppen ins Obergeschoss, bis er das Gemach erreichte, welches an das seine grenzte. Hinter ihm kamen Diener, die Eimer mit heißem Wasser schleppten, andere trugen die Reisekörbe der neuen Herrin, und wieder andere brachten Essen und Trinken. Orrick legte sie aufs Bett und überließ es ihrer Zofe, sich um sie zu kümmern.

Auch er war erschöpft von der langen Reise. Nun, da er sie endlich in sein Heim gebracht hatte, würde sich alles zum Guten wenden. Die Hindernisse, die ihm während der Reise beinahe unüberwindlich erschienen waren, würden sich bald ausräumen lassen. Alle brauchten Zeit, sich auszuruhen und zu erholen.

Im Flur vor dem Gemach warteten seine Mutter und sein Burgvogt Norwyn mit besorgten Mienen. Zunächst wollte er sich das Anliegen seiner Mutter anhören, ehe er mit dem Vogt sprach.

Er beugte sich vor und fragte leise: „Was bedrückt dich, Mutter?“

Sie erwiderte fast ebenso tonlos wie er, doch ihre Stimme dröhnte ihm wie Donnerhall in den Ohren. „Ist sie mit dem Bastard des Königs schwanger?“

Orrick war wie vom Schlag getroffen, fuhr entsetzt herum und sah durch die offene Tür ins Zimmer. Marguerite lag reglos auf dem Bett. An diese Möglichkeit hatte er nicht gedacht. Auf eine solche Idee konnte nur seine Mutter kommen. Da die Wahrheit über Marguerites Zustand sich bald herausstellen würde, konnte er seine Mutter getrost nach möglichen Anzeichen fragen.

„Hätte ihre Regelblutung auf der Reise einsetzen müssen?“ Orrick rieb sich die Stirn gegen den pochenden Schmerz, der eingesetzt hatte. Das versteinerte Gesicht von Lady Constance, ihre schmalen Lippen gaben ihm die Antwort. „Nun, dann gilt es abzuwarten, bis die Angelegenheit sich klärt.“

Seine Mutter wandte sich zum Gehen, Orrick aber hielt sie am Arm zurück. Sein durchbohrender Blick flog warnend von ihr zu Norwyn. „Kein Wort über diesen Verdacht. Sollte mir ein Wort über ihre Schwangerschaft zu Ohren kommen, kenne ich die Urheber.“

Er ließ Lady Constances Arm los, starrte sie fordernd an und wartete auf ihre Zustimmung. Als sie nickte, fügte er hinzu: „Wir sind jetzt alle erschöpft. Nach einer kräftigen Mahlzeit und einer erholsamen Nachtruhe können wir wieder klar denken.“

Lady Constance und Norwyn wollten sich entfernen, aber Orrick hatte noch etwas auf dem Herzen.

„Lady Marguerites Zofe kann kein Englisch. Stelle ihr jemanden zur Seite, der ihr behilflich ist. Ihr Name ist Edmee.“

„Kann Marguerite ihr unsere Sprache nicht beibringen? Sie ist doch hoffentlich des Englischen mächtig“, meinte seine Mutter.

„Ich habe ihr diese Frage noch nicht gestellt, ich hatte andere Sorgen. Aber ich fürchte, dass Marguerite nicht sonderlich erbaut wäre, einer Kammerfrau Sprachunterricht zu erteilen.“

„Ich fürchte, keine meiner Damen findet sich bereit, einer Zofe zu dienen, Orrick. Dessen solltest du gewahr sein.“

Das Stechen hinter seinen Schläfen hatte sich verstärkt, er biss die Zähne aufeinander, bis seine Kiefermuskulatur schmerzte. Er war am Ende seiner Geduld, und als er Atem holte, um seinem Ärger Luft zu machen, meldete sich Gerard aus dem Schatten des Flurs.

„Mylord, ich könnte dem Mädchen Unterricht geben.“

Orrick überlegte kurz, im Moment war das wohl die einzige Lösung. „Gut, Gerard, einverstanden. Zeig ihr, was sie im Haus wissen muss, und bring ihr ein paar englische Begriffe bei. Norwyn, sie braucht zusätzlich Unterstützung von deiner Seite. Gib Anweisungen …“

Norwyn hob die Hand. „Bereits erledigt, Mylord. Die Gemächer sind vorbereitet, und ich habe die Mägde eingeteilt, die sich um das Wohl der neuen Herrin kümmern.“

„Gut gemacht. Ich brauche …“

„Wein und Essen stehen in Eurem Gemach“, antwortete Norwyn diensteifrig. „Heißes Wasser für Eurer Bad wird in Kürze heraufgebracht. Und nachdem Ihr geruht habt, können wir die Bücher durchgehen.“

An Norwyns Zuverlässigkeit und Gründlichkeit war nichts auszusetzen. Er war bereits in jungen Jahren bei seinem Vater in die Lehre gegangen und in die Aufgaben eines künftigen Burgvogts eingewiesen worden. Obwohl er den Posten erst seit einiger Zeit innehatte, erwies er sich als tüchtig und umsichtig, die Wirtschaft der Burg zu führen und die Verwaltung von Dorf, Lehnbauern und Ländereien von Silloth zu leiten. Orrick konnte sich also beruhigt zurückziehen.

In seinem Gemach entledigte er sich seines Kettenhemds, schälte sich aus der verschwitzten Tunika, legte Hosen und Stiefel ab, ließ sich in dem dampfenden Holzzuber nieder und entließ seine Diener. Während er sich im wohltuend warmen Wasser zurücklehnte, fragte er sich bang, was ihn wohl in dieser Ehe erwartete.

5. KAPITEL

Marguerite versuchte vergeblich, die Augen aufzuschlagen, doch ihr Körper weigerte sich, ihr zu gehorchen. Bei der geringsten Bewegung taten alle Knochen und Gelenke, Muskeln und Sehnen weh. So überließ sie sich seufzend der Wärme des weichen Daunenbetts, um wieder ins tröstliche Vergessen des Schlafs zu versinken.

Von lautem Stimmengewirr erneut geweckt, vergrub sie sich diesmal nicht in ihren Kissen, sondern setzte sich auf. Marguerite strich sich das Haar aus dem Gesicht und streckte sich, um die Verspannungen in Rücken und Beinen zu lockern, blickte sich langsam in dem großen Zimmer um, ehe sie begriff, wo sie war.

Sie befand sich im schwarzen Turm von Silloth Castle. Hier würde sie für den Rest ihres Lebens gefangen sein.

Marguerite schlüpfte aus dem Bett und trat an das einzige Fenster, welches in einer tiefen Mauernische eingelassen war. Auf der Fensterbank lag ein weiches Polster. Ermattet setzte sie sich darauf und betrachtete die ornamental verschlungenen Bandmuster, welche in die Fensterumrandung eingemeißelt waren.

Die Mauern der Burg sind zehn Fuß dick, Silloth ist eine der wenigen aus Stein erbauten Festungen im Norden Englands.

Orricks Stimme, die ihr sein Heim geschildert hatte, kehrte ihr ins Gedächtnis zurück. Alles, woran sie sich erinnern konnte, als sie den unheimlichen, hoch aufragenden Steinquader zum ersten Mal gesehen hatte, war der Eindruck, nie zuvor ein abweisenderes und kälteres Gebäude gesehen zu haben. Hohe Steinwälle, dahinter ein schmuckloser Bau, der düster in den Himmel ragte.

Die Burganlage wurde aus Stein erbaut, um Sturm und Meer zu trotzen. Eine Burg aus Holz würde den Naturgewalten hier oben auf den Felsklippen nicht lange standhalten.

Sie näherte ihr Gesicht den in Blei gefassten kleinen Glasscheiben, um draußen etwas zu erkennen, doch die Dunkelheit hüllte das Land ein. Sie musste warten, bis es hell wurde, um die Umgebung ihres Gefängnisses zu sehen. Tränen stiegen in ihr auf und strömten ihr übers Gesicht.

Warum hatte Henry ihr das angetan? Sie hatte ihm ihre Liebe geschenkt, hatte versprochen, Buße zu tun und sich seinen Wünschen zu beugen. Mit Leib und Seele hatte sie ihm gehört. Sie hatte ihm gestanden, mit ihren Forderungen ihre Grenzen überschritten zu haben. Aber Henry hatte sich nicht erweichen lassen und sie in die Verbannung geschickt.

Nun war sie mit diesem Lord aus dem Norden verheiratet, der sie in den entferntesten Winkel des Königsreichs verschleppt hatte. Was sollte nur aus ihr werden? Bald würde sie in dieser gottverlassenen Wildnis vergessen sein. Sie hatte ihre Position an der Seite des Königs und bei Hofe verloren. Eine jüngere und schönere Frau würde ihren Platz in Henrys Leben und in seinem Bett einnehmen.

Der Schmerz in ihrer Brust drohte sie zu zerreißen und brach schließlich in erschütterndem Schluchzen aus ihr heraus. Kraftlos fiel sie zu Boden, barg das Gesicht im Kissen und weinte ihren Kummer hinaus. Als ihre Tränen schließlich versiegten, übermannte sie erneut ein tiefer Schlaf der Erschöpfung.

Die Geräusche, welche sie später weckten, wurden von Mägden verursacht, die sich eifrig in ihrem Gemach zu schaffen machten. Marguerite schlug die Augen auf und blinzelte in die helle Morgensonne, die durchs Fenster strömte und den Raum mit Licht erfüllte. Ohne sich zu erinnern, wie sie dahin gekommen war, fand sie sich im Bett wieder, bis zum Hals in warme Decken gehüllt. Die Reisekörbe mit ihren Kleidern standen herum und wurden von zwei jungen Mädchen unter Edmees wachsamer Anleitung ausgepackt und in einer großen geschnitzten Holztruhe verstaut. Dann bemerkte Edmee, dass ihre Herrin erwacht war.

„Madame, Ihr seid wach! Waren wir zu laut? Euer Herr Gemahl war der Meinung, Ihr würdet Euch heimischer fühlen, wenn Ihr beim Aufstehen Eure vertrauten Gegenstände vorfindet.“

„Ach ja?“ Mehr wollte sie dazu nicht sagen. Teilnahmslos stellte sie fest, dass genau das geschah – ihre Kleider wurden sorgfältig gefaltet und eingeräumt; ihr Spiegel, ihre Haarbürsten und Kämme lagen fein säuberlich auf einem zierlichen Frisiertisch neben dem Fenster.

„Es tut mir leid, dass ich nicht hier war, als Ihr letzte Nacht aufgewacht seid, aber Euer Herr Gemahl hatte mir befohlen, in der Halle etwas zu essen.“

Edmee fuhr fort, ihre Abwesenheit zu erklären, aber Marguerite hörte ihr nicht zu, fragte sich nur verwundert, wie sie von der Fensterbank in ihr Bett gekommen war. Marguerite warf den beiden Mädchen einen Blick zu, die ihre Arbeit verrichteten, ohne auf das Gespräch zu achten, da sie ihre Sprache nicht verstanden.

„Edmee, sprechen die Mädchen kein Normannisch?“

Die beiden redeten leise miteinander, ohne zu ahnen, dass von ihnen die Rede war. Bevor Edmee antworten konnte, klopfte es. Die Tür wurde geöffnet, und Diener traten ein mit einem Holzzuber und Wassereimern. Mit Umsicht wurde ein Bad für sie bereitet, Schüsseln und Platten mit Essen wurden auf dem Tisch abgestellt. Sobald dies erledigt war, zogen sich die Diener stumm zurück. Marguerite glaubte beinahe zu träumen.

Orricks Anblick, der plötzlich auf der Schwelle stand, belehrte sie jedoch eines Besseren.

„Mylady, gestattet mir, Euch in meinem Heim zu begrüßen“, sagte er mit einer höflichen Verneigung. Er sprach englisch, was sie mit gespieltem Unverständnis quittierte. Marguerite war nicht bereit, ihn wissen zu lassen, dass sie seine Sprache verstand. Deshalb bedachte sie ihn mit einem verständnislosen Blick und wartete.

„Da mir bekannt ist, dass Ihr mehrere Sprachen in Wort und Schrift beherrscht, hatte ich gehofft, Englisch sei darunter“, fuhr er im normannischen Französisch ihrer Heimat fort.

Sie warf Edmee einen Blick zu, um sie zu warnen, bevor sie etwas erwiderte.

„Nein, ich spreche meinen normannischen Dialekt und französisch, wie es bei Hofe gesprochen wird, auch Latein und Griechisch und ein wenig italienisch, aber nicht englisch. Ich spreche die auf dem Kontinent üblichen Sprachen, wo ich hoffte, mein Leben zu verbringen.“ Ihre Worte sollten ihn verletzen und ihm deutlich machen, wie sehr sie es verabscheute, in diesem abgelegenen Winkel des Plantagenet-Reiches im Exil zu sein.

Sie wusste nicht, ob ihre Pfeilspitze getroffen hatte, da er nur nickte und die Dienerinnen fortschickte. Edmee zögerte einen Moment, doch nach Orricks finsterem Blick knickste sie hastig, huschte aus dem Zimmer, und er schloss die Tür hinter ihr.

„Mylady“, begann er und trat näher. „Da Ihr offenbar eine große Sprachbegabung besitzt, bitte ich Euch, auch meine Muttersprache zu lernen. Als Burgherrin müsst Ihr in der Lage sein, Euch mit meinen Untertanen zu verständigen.“

„Ich werde nicht lange genug bleiben, um in diese Verlegenheit zu kommen“, platzte sie heraus. Tief in ihrem Innern wollte sie ihre Situation immer noch nicht wahrhaben, glaubte nach wie vor, Henry wolle sie nur noch länger auf die Folter spannen und habe sie nicht für immer verstoßen.

Lord Orrick durchquerte den Raum, baute sich drohend vor ihr auf und wollte sie nötigen, den Kopf zu heben. Sie weigerte sich und drehte das Gesicht zur Seite. Er aber hob ihr das Kinn mit zwei Fingern und zwang sie, ihn anzusehen. Sich gegen ihn zur Wehr zu setzen, wäre sinnlos gewesen, hätte ihr nur blutunterlaufene Flecken am Kinn eingebracht, was sie nicht riskieren wollte.

„Ich hatte gedacht, dass Ihr zur Einsicht gelangt, wenn Ihr aus Eurer Schwermut erwacht und nach der anstrengenden Reise quer durch England wieder zu Kräften gekommen seid. Doch darin habe ich mich offenbar geirrt. Begreift endlich, dass Henry Euch verlassen hat. Er hat sich – in königlicher Manier – eines Problems entledigt und es mir übertragen.“

Marguerite kamen die Tränen. Ein Schlag ins Gesicht hätte sie nicht schwerer verletzen können. Dieser Mann wusste um ihre Ängste und ihre innigsten Wünsche und spielte sie gegen sie aus.

Er gab sie frei und trat zurück. Marguerite senkte den Kopf und wagte erst nach einer Weile wieder aufzuschauen. Als er weitersprach, klang seine Stimme versöhnlicher, aber der Ausdruck seiner Augen blieb hart.

„Marguerite, zwischen uns gibt es einiges zu klären, aber dafür ist später Zeit. Im Augenblick solltet Ihr Euch erfrischen und ruhen.“ Mit einer Handbewegung wies er zur Badewanne und den Speisen auf dem Tisch. „Kommt zum Nachtmahl in die Halle herunter, damit ich Euch meiner Familie und meinen Leuten vorstellen kann.“

Ohne auf Antwort von ihr zu warten, ging er zur Tür. In Marguerites Kopf schwirrten so viele Gedanken und Fragen herum, dass sie nicht wusste, wo sie beginnen sollte.

Nur des einen war sie sich gewiss. Sie wollte nicht hier bleiben und schon gar nicht mit Orrick verheiratet sein. Marguerite sehnte sich an den Hof zurück und wollte das Zerwürfnis mit ihrem König schlichten. Aber im Augenblick blieb ihr nichts anderes übrig, als abzuwarten und Fluchtpläne zu schmieden, um diesem schauerlichen Ort und dieser grässlichen Ehe zu entrinnen.

Orrick öffnete die Tür und rief nach ihrer Zofe, die eilfertig eintrat. Bevor er ging, fing Marguerite einen letzten flüchtigen Blick von ihm auf. Das Mitleid, das sie in seinen Augen las, machte sie betroffen, und sie nahm sich fest vor, etwas dagegen zu unternehmen. Alles hätte sie ertragen – Zorn, Enttäuschung, selbst Hass. Jedoch kein Erbarmen.

Erschöpft von diesem Wortwechsel ließ sie sich von Edmee entkleiden und stieg in ein heißes Bad, das sie so lange vermisst hatte … seit dem Tag, an dem sie unfreiwillig Woodstock und den König verlassen musste.

„Kommt die Lady zum Frühstück herunter?“, fragte Gavin, als Orrick sich zu seinem Platz an der langen Tafel begab. Für Orricks Geschmack ließ Gavin sich seine Schadenfreude an seiner misslichen Lage zu deutlich anmerken.

„Nein“, antwortete er einsilbig und setzte sich. Nach einer Pause fügte er hinzu: „Marguerite ist noch angegriffen von der Reise. Sie wird erst das Nachtmahl mit uns einnehmen.“

Gavin lachte, und Orrick hätte ihm sein hämisches Grinsen am liebsten aus dem Gesicht geschlagen. Er wartete mit seiner Zurechtweisung, bis die Magd ihm einen Humpen Bier vorsetzte und sich entfernte. „Das ist nur deine Schuld. Du hast sie zur Begrüßung fast zu Tode erschreckt.“ Seine Worte klangen allerdings nicht sonderlich überzeugend.

„Hast du ihr gesagt, dass du morgen schon wieder fortreitest?“

„Nein.“

„Was hast du ihr eigentlich erzählt? Hast du sie wenigstens nach der Wahrheit gefragt?“ Gavin senkte die Stimme. „Hast du sie wenigstens gefragt, ob sie vom König schwanger ist?“

„Nein, habe ich nicht.“ Orrick brach Brot und nahm ein Stück Käse.

„Was hast du überhaupt mit ihr gesprochen? Du musst doch wissen, woran du mit ihr bist, und zwar bald.“

Gavin meinte es gut, dessen war sich Orrick bewusst. Seine eigenen Zweifel, die ihn bereits vor der Hochzeit geplagt hatten, waren schlimmer geworden, und diese Fragerei behagte ihm ganz und gar nicht.

„Wir hatten eine kurze Unterredung, in der die Lady mich mit Beleidigungen überhäufte, die ich geflissentlich zu überhören versuchte.“

„Ich sage dir, was sie braucht. Die Lady muss an ihr schändliches Verhalten erinnert werden. Der Lady muss klar werden, wieso sie überhaupt hier ist. Die Lady…

„Sie wird alles zur rechten Zeit erfahren, mein Lieber.“ Orrick schlug Gavin auf den Rücken. „Es war völlig unnötig, sie gleich bei ihrer Ankunft so vorzuführen.“

Gavin machte ein skeptisches Gesicht, weil er Orricks weiches Herz kannte. Seiner Meinung nach sollte Orrick ihr gehörig die Meinung sagen und ihr reinen Wein einschenken. Andererseits konnte er stets mit Gavins Unterstützung rechnen, zumal wenn es darum ging, seine widerspenstige Gemahlin zu zähmen. Ehe Orrick das Gespräch auf seinen bevorstehenden Besuch in der Abtei lenkte, trank er einen großen Schluck Bier.

„Ich werde mich ungefähr zwei Tage im Kloster aufhalten.“

„So lange?“

„Der Besuch in Woodstock hat länger gedauert als geplant, und ich habe mit Godfrey viel zu besprechen. Kommst du mit?“

„Nimmst du Norwyn mit?“

„Nein, er bleibt hier.“

„Dann gehe ich auch nicht“, entgegnete er. „Schließlich werde ich in Silloth als Geisel gehalten.“

„Hat dich das ein einziges Mal davon abgehalten, mich auf eine Reise zu begleiten?“ Orrick bemerkte das Funkeln in den Augen des Kameraden und ahnte, was in ihm vorging. „Ich dulde nicht, dass sie gekränkt wird. Weder von meiner Mutter noch von dir.“

Gavin wollte entrüstet widersprechen. Orrick winkte ab. „Sie ist nur mir Rechenschaft schuldig und keinem sonst, kapiert?“

„Ja, Orrick. Ich verstehe.“

„Marguerite ist zum ersten Mal in ihrem Leben auf sich selbst gestellt, ohne Schutz durch ihren Namen oder ihre privilegierte Stellung. Sie legt es darauf an, ihre Grenzen auszuloten. Du weißt besser als jeder andere, dass auch meine Geduld nicht unendlich ist. Das wird meine Gemahlin gleichfalls erkennen, und zwar bald.“

Gavin nickte, und die beiden aßen schweigend. Es gab noch viel zu tun, bevor Orrick sich wieder in den Sattel schwingen würde. Schwierige Probleme standen ihm mit seiner Frau noch bevor. Davor graute ihm, doch er würde sich ihnen stellen müssen. Zunächst hatte er weitere Pflichten zu erfüllen. Ungeachtet seiner persönlichen Miseren. Es galt, sich um die Verwaltung der Ländereien der Abtei und um die profitable Salzgewinnung zu kümmern; Aufgaben, die er nicht vernachlässigen durfte.

Orrick stand auf und nickte Gavin zu, der mit einer Magd schäkerte. Er hatte die Besprechung mit seinem Burgvogt am Abend zuvor verschoben und wollte nun die Bücher prüfen und Anweisungen geben, was in seiner Abwesenheit zu tun war.

Den ganzen Tag, während er mit seinem Verwalter arbeitete, anschließend eine Unterredung mit dem Hauptmann seiner Soldaten führte und später mit den Pächtern über die zu erwartenden Ernteerträge sprach, wanderten seine Gedanken immer wieder zu seiner angetrauten Ehefrau. Gestern Nacht hatte er die Verbindungstür zu ihrem Gemach einen Spalt geöffnet, hatte ihr Schluchzen gehört und gesehen, wie sie weinend vor der Fensterbank kauerte. Ihr Kummer, ihre Verzweiflung hatte an seinem Herzen gezerrt. Er hatte gewartet, bis sie eingeschlafen war, und sie dann behutsam ins Bett getragen und zugedeckt.

Orrick besaß einige Erfahrung im Umgang mit Frauen, aber in Herzensangelegenheiten war er ziemlich unbeholfen. Vergeblich hatte er sich bemüht, ihr Henrys Vorgehen nahe zu bringen und sie zu trösten. Sie liebte den König offenbar so sehr, dass sie nicht wahrhaben konnte und wollte, dass sein Herz und seine Empfindungen, wenn er je tiefe Gefühle für sie gehabt hatte, erkaltet waren. Orrick hatte mittlerweile eine Erklärung dafür gefunden, warum der Monarch ausgerechnet ihn zum Bräutigam für seine abgelegte Mätresse erwählt hatte – seine untadelige Abstammung, seine Königstreue und nicht zuletzt die große Entfernung vom Königshof, die eine Begegnung mit ihr ausschloss.

Orrick wusste, dass es zwischen ihr und ihm keinen Frieden geben würde, solange sie nicht einsah, dass ihr Aufenthalt in Silloth nicht nur vorübergehend war. Seine Burg war ihr neues Heim, daran war nicht zu rütteln. Orricks Chancen, eine glückliche Ehe mit ihr zu führen, hingen davon ab, ob seine Gemahlin ihre törichten Hoffnungen fahren ließ, der König würde sie zurückholen. Leider machte Lady Marguerite nicht den Eindruck, bald Vernunft anzunehmen, und es würde wahrscheinlich noch lange dauern, bis diese störrische Frau zur Einsicht kam.

Orrick mochte zwar nicht viel über die Liebe wissen, kannte aber die Gepflogenheiten der Plantagenets aus Erzählungen seines Vaters, der ein Vertrauter der Familie gewesen war. Er hatte es stets verstanden, sich von Intrigen bei Hofe fern zu halten, wusste allerdings darüber Bescheid. Der König war ein entschlossener Herrscher, und nachdem er sich dafür entschieden hatte, seine ehemalige Geliebte einem anderen zur Frau zu geben, hatte er sie aus seinen Gedanken und seinem Herzen verbannt.

Lady Marguerite musste ihre Lektion lernen, offenbar auf schmerzliche Weise. Das heutige Abendessen würde den Anfang machen.

6. KAPITEL

Stolz erfüllte sein Herz, als er den Blick durch die Halle schweifen ließ. Das Gesinde hatte sich redlich darum bemüht, einen guten Eindruck auf die neue Herrin zu machen. Der Boden war gefegt und mit frischer, duftender Streu ausgelegt. Die Tische waren blank geschrubbt, und alle Anwesenden hatten sich gewaschen und Sonntagsstaat angelegt. Sogar Gavin hatte sich rasiert und sah beinahe aus wie ein englischer Edelmann, nicht wie ein wilder schottischer Krieger.

Nun harrte alles gespannt Lady Marguerites Erscheinen. Sie hatte sich zur angekündigten Essenszeit verspätet, Orrick aber wollte nachsichtig sein. Er war bereits beim zweiten Becher Wein, als sie schließlich eintrat.

Das Warten hatte sich gelohnt.

Marguerite trug ein rosafarbenes Kleid, das ihren Teint rosig schimmern ließ. Sie wirkte ausgeruht, schritt selbstbewusst zur Empore und die Stufen hinauf, bis sie vor ihrem Gemahl stand. Gebannt von ihrer Schönheit, musste Orrick sich bezähmen, um nicht über den Tisch zu springen und ihr entgegenzueilen. Gavin, der zu spüren schien, was in ihm vorging, räusperte sich vernehmlich. Orrick begriff, was der Freund ihm damit zu verstehen geben wollte.

Beherrsche dich!

Benimm dich würdevoll!

Zum Teufel damit!

Orrick umrundete den Tisch und schritt auf sie zu. Er hielt den Atem an, als sie in einem artigen Knicks vor ihm versank, ganz wie es einer Ehefrau anstand, die ihrem Gemahl Respekt erwies. Er nahm sie bei der Hand und half ihr, sich zu erheben, verblüfft von ihrer Sittsamkeit, hatte er doch ein mürrisches, abweisendes Gesicht von ihr erwartet. Stattdessen präsentierte sie sich ihm und seinen Untertanen als liebenswürdige Herrin ohne Fehl und Tadel.

Behutsam hauchte er einen Kuss auf die Innenseite ihres Handgelenks, ohne den Blick von ihr zu wenden. Marguerites Erstaunen wurde nur von ihm bemerkt. Während sie sich mit einer halben Drehung an seine Seite stellte, verschränkte er seine Finger mit den ihren und wandte sich an die Anwesenden.

„Ich danke euch allen für eure Mühen, das heutige Mahl zu diesem besonderen Anlass festlich zu gestalten. Ich möchte euch meine Gemahlin vorstellen und bitte euch, sie willkommen zu heißen. Lady Marguerite d’Alençon.“ Seine Stimme klang ein wenig brüchig, als er seine Gattin präsentierte. Einige der älteren Diener waren schon vor seiner Geburt im Dienste seiner Eltern gewesen. Auch sie waren seltsam gerührt bei seiner Ankündigung.

Marguerite sah ihn fragend an. Er hatte englisch gesprochen und sie gab vor, kein Wort verstanden zu haben, abgesehen von ihrem Namen.

„Mylady, ich habe meinen Leuten dafür gedankt, Euch diesen festlichen Empfang bereitet zu haben. Alle Bediensteten haben sich zur Feier dieses Tages große Mühe gegeben“, erklärte er in ihrer Sprache. Dann redete er wieder in Englisch zu seinen Untertanen. „Meine Ehefrau ist unserer Sprache nicht mächtig, doch das wird sich bald ändern. Deshalb bitte ich euch um Unterstützung, damit sie sich bei uns heimisch fühlt.“

Im Hintergrund der Halle setzte vereinzeltes Klatschen ein, das sich vervielfältigte und verstärkte. Einige riefen den Namen der neuen Herrin, manche jubelten laut „Hurra! Hurra!“ Orrick lächelte sie zufrieden an.

Marguerite neigte anmutig den Kopf zum Dank für die herzliche Begrüßung und strahlte ihn scheu an. Als er sie zu ihrem Platz führte, stellte er erstaunt fest, dass sie kurz bei seiner Mutter verharrte und einen Knicks machte. Diese Ehrerbietung wurde von der Versammlung mit Beifall begrüßt. Bei Gavin zögerte Marguerite kurz und ging grußlos an ihm vorbei.

Nachdem alle schließlich Platz genommen hatten, kamen auf Orricks Wink die Diener mit Wasserschalen und Tüchern, sodass die Tafelrunde sich die Hände säubern konnte. Anschließend wurden große Platten aufgetragen mit gedünstetem Fisch, gebratenem Huhn, Rind und Lamm. Man reichte Körbe mit frisch gebackenem Brot herum, dazu frische Butter. Schüsseln mit gedünstetem Kohl und Erbsen, gewürzt mit Senfsamen und Pfefferkörnern wurden aufgetischt; gekochte, in Zucker glasierte Rüben vervollständigten den ersten Gang. Orrick nickte, und die Gäste legten einander vor. Zur Feier des Tages hatte Orrick die silbernen Servierplatten, Löffel und Gabeln sowie die besten Schüsseln aus dem Familienbesitz für die nachträgliche Hochzeitstafel verwenden lassen.

Während des Mahls gab Orrick seiner Frau die saftigsten Bratenstücke auf den Teller. Eine Bewirtung, welche sie huldvoll entgegennahm. Er bemühte sich außerdem, die Tischgespräche für sie zu übersetzen. Nachdem die Hauptgänge beendet waren, wurde ein köstliches Dessert gereicht. Die Köchinnen hatten Kuchen aus Äpfeln und Birnen gebacken, die warm kredenzt wurden. Das Aroma von Nelken und Zimt erfüllte die Halle. Diese Süßspeise war Orricks Lieblingsgericht, wie er Marguerite schmunzelnd gestand.

Der Abend ließ sich wesentlich gelöster und harmonischer an, als er anzunehmen gewagt hatte. Bald lehnte Orrick sich entspannt und wohlig gesättigt zurück. Befreit sprach er dem Wein zu. Hatte seine Gemahlin sich etwa überraschend schnell in ihr Schicksal gefügt? War ihnen eine glückliche Zukunft beschieden?

Diese hoffnungsvollen Gedanken nährten weitere Spekulationen. Er war sich ihrer Gegenwart während des Festmahls deutlich bewusst, nahm den Lavendelduft wahr, der ihr entströmte, spürte ihre weiche Haut, als sie ihre zarte Hand in die seine legte. Ihr herrlich goldenes Haar trug sie zu Zöpfen geflochten, und wieder kribbelte es ihn in den Fingern, es zu berühren. Als sie sich zu ihm neigte, um ein paar leise Worte an ihn zu richten, konnte er sich kaum bezähmen, sie nicht auf ihren vollen rosigen Mund zu küssen.

Aber ein Blick in das bekümmerte Gesicht seiner Mutter gemahnte ihn an das, was er nicht vergessen durfte. Bevor er die Hochzeitsnacht mit ihr verbrachte, musste er wissen, ob sie tatsächlich schwanger war, um nicht zu riskieren, den Bastard des Königs als seinen Stammhalter großzuziehen. Wieder stieg ihm ihr verführerischer Duft in die Nase, ihre rauchige Stimme klang an seinem Ohr. Unsicher fragte er sich, ob er den Rat seiner Mutter befolgen sollte.

Sie war seine Ehefrau, sobald sie ihm einen Sohn gebar, würde er sein rechtmäßiger Erbe sein. Da er keinen Widerspruch gegen die Ehe eingelegt hatte, besaß er auch keinen Regressanspruch und musste das Kind, welches sie eventuell zur Welt brachte, als sein eigenes akzeptieren. Falls sie ein Baby von Henry erwartete und er diese Tatsache öffentlich bekannt geben würde, wäre er dem Spott aller preisgegeben, da ihre Rolle als Henrys Mätresse hinlänglich bekannt war.

Marguerite sah zu ihm auf, während er ihr eine vorwitzige Locke aus dem Gesicht strich. Sie wich ihm nicht aus. Im Gegenteil, sie schmiegte ihre Wange in seine Hand und verwandelte seine Geste der Herzlichkeit in eine zärtliche Berührung. Hitze durchströmte ihn, er verspürte ein verräterisches Ziehen in den Lenden. Das Blut rauschte ihm in den Adern, und er wusste, dass er sie in dieser Nacht nehmen würde, ohne die Antwort auf die von seiner Mutter aufgeworfene Frage wissen zu wollen.

Seine Angetraute war keine scheue Jungfrau. Sie hatte Erfahrung in körperlicher Liebe und schien seine Aufmerksamkeiten zu genießen. War es nicht ratsam, ihre erste gemeinsame Nacht möglichst rasch zu vollziehen, um ihre beiderseitigen Ängste und Unsicherheiten zu beschwichtigen und auszuräumen?

Ja. So sollte es sein. Er wollte nicht warten. Sie musste sein Eigen werden.

Als lese sie seine Gedanken, neigte Marguerite sich ihm zu.

„Mylord, ist es mir gestattet, meine Gemächer aufzusuchen?“

Das Verlangen, sie zu küssen, wuchs so sehr, dass er glaubte, verdursten zu müssen, wenn er nicht endlich von ihrem Mund kostete. Sie wartete lächelnd auf seine Antwort.

Orrick räusperte sich und nickte. „Selbstverständlich. Mutter, würdest du Lady Marguerite begleiten?“

Lady Constance schien zwar nicht sonderlich begeistert, bejahte Orricks Ersuchen jedoch und erhob sich. Auch Marguerite stand auf und machte einen formgewandten Knicks. Er bemerkte den rosigen Hauch, der von ihrem tiefen Ausschnitt in ihren Hals aufstieg und ihre hellen Wangen überzog. Er küsste ihr die Hand und sah ihr nach, als sie das Podium verließ. Seine Mutter blickte ihn lange eindringlich an, ehe sie seiner Gemahlin folgte.

Er wusste um ihre Besorgnis. Aber an der Tatsache, dass er mit Marguerite verheiratet war, konnte seine Mutter nichts ändern. Er musste diesen wichtigen Schritt tun, um ihre Beziehung zu festigen.

„Die Laune der Lady scheint sich nach einer wohltuenden Nachtruhe und einer guten Mahlzeit erheblich gebessert zu haben.“ Gavins Worte drangen in Orricks Gedanken.

„Den Eindruck habe ich auch.“

Gavin zog ihn am Ärmel und zwang ihn, sich wieder zu setzen. „Du solltest dich vorsehen und nicht zu eifrig erscheinen, sonst büßt du deinen Vorteil ein, Orrick.“

„Welchen Vorteil?“

„Du bist hier der Herr im Haus. Selbst wenn du vor Sehnsucht nach ihr vergehst, solltest du mehr Gelassenheit an den Tag legen.“

„Sie ist meine Frau, und es ist mein Recht, sie zu besitzen“, antwortete er und wandte sich mit finsterer Miene dem Freund zu, dessen Worte ihn stutzig machten. „Sprich aus, was du damit andeuten willst.“

„Lass dich nur nicht von dem Theater, dass sie dir und uns allen vorspielt, zum Narren halten. Ich nehme ihr die Rolle der sittsamen Ehefrau nicht ab. Damit bezweckt sie etwas.“

„Und das wäre …?“

„Ich weiß es nicht, jedenfalls wäre ich an deiner Stelle auf der Hut.“

„Willst du etwa behaupten, sie ist eine Gefahr für mich?“ Ein absurder Gedanke, andererseits hatte er gelernt, auf Gavins Urteil zu hören. „Sprich deinen Verdacht aus.“

Gavin holte tief Luft und ließ den Blick über die Festtafel und die Halle gleiten. Dann schüttelte er den Kopf und sagte leise: „Geh nur und befriedige deine Lust an ihr. Im Augenblick kannst du nicht klar denken und mein Rat würde dir nichts bedeuten. Erst wenn du dein Verlangen an ihr gestillt hast, bist du Vernunftgründen wieder zugänglich.“

Gavins unverblümte Warnung verblüffte ihn. Er wollte widersprechen, doch Gavin hinderte ihn daran.

„Lass es gut sein, Orrick. Hoffentlich findest du dein Glück im Ehebett.“ Gavin nahm den Krug Wein vom Tisch, drückte ihn seinem Ziehbruder in die Hand und entfernte sich.

Orricks Gedanken kreisten um die Frau, die auf ihn wartete. Ein Blick in die Runde seiner Leute überzeugte ihn davon, dass alle ahnten, was in ihm vorging. Ohne ein weiteres Wort verließ er die Halle mit der Kanne in der Hand und machte sich auf den Weg ins Brautgemach.

Ihre Haut prickelte an der Stelle, wo er sie liebkost hatte. Ein Schauer durchflog sie beim Gedanken an seine weichen Lippen an ihrem Handgelenk, an die Art, wie er ihre Wange gestreift hatte. Das Bankett war gottlob! überstanden. Wenn sie auch die nächste Stunde durchhielt, wäre sie ihn und seine lästigen Aufmerksamkeiten wenigstens für ein paar Tage los. Deshalb hatte sie ihm etwas vorgespielt – er sollte glauben, sie sei für ihn bereit. Danach war es ihr hoffentlich möglich, ihn sich vom Leib zu halten, bis sie eine Lösung gefunden hatte, wie sie zu Henry zurückkehren konnte.

Marguerite begab sich ins obere Stockwerk, gefolgt von Edmee und Orricks Mutter, die leise miteinander tuschelten, was sie weder hören konnte noch wollte. In ihrem Gemach bemerkte sie die halb geöffnete Verbindungstür zu seinem Zimmer, begab sich an den Frisiertisch und setzte sich. Edmee goss Wasser, das in einem Kessel über der offenen Feuerstelle warm gehalten wurde, in eine Schüssel, die sie ihrer Herrin brachte.

Die Spannung im Zimmer wuchs, da ihre Schwiegermutter an der Tür stehen blieb und ihr zusah. Schließlich schickte Lady Constance das Mädchen weg und schloss die Tür hinter ihr.

„Orrick ist ein guter Mann, Marguerite.“

„Daran zweifle ich nicht.“ Sie wandte sich Lady Constance zu.

„Wenn Ihr ihm eine Chance gebt, kann er Euch glücklich machen.“

Marguerite zwang sich zu einem gewinnenden Lächeln. „Ja, gewiss“, meinte sie zustimmend.

„Falls Ihr aber ein falsches Spiel mit ihm treibt, geht Ihr ein hohes Risiko ein. Er behandelt Euch gütig und hat sich sehr bemüht, Euch willkommen zu heißen und Euch zu akzeptieren, trotz Eurer … Eurer Vergangenheit. Ich rate Euch, seine Güte nicht mit Schwäche zu verwechseln, sonst werdet Ihr es eines Tages bereuen, ihn unterschätzt zu haben.“

„Habe ich mir etwas zuschulden kommen lassen, was Eure Gefühle verletzte? Ich möchte für mein Benehmen während der Reise um Verzeihung bitten. Ich muss gestehen, der lange Ritt war überaus anstrengend für mich.“ Sie neigte demutsvoll den Kopf.

„Ihr habt mich nicht beleidigt, meine Liebe. Ich biete Euch lediglich meinen Rat an, von Frau zu Frau, da ich nachfühlen kann, wie Euch in dieser fremden Umgebung zumute ist.“

Ein Klopfen an der Tür unterbrach das Gespräch. Marguerite richtete sich erleichtert auf, um zu öffnen, ohne auf den kalten Blick von Lady Constance zu achten.

„Lord Orrick ist auf dem Weg nach oben.“

Marguerite ließ die Zofe eintreten und wandte sich an Orricks Mutter. „Entschuldigt mich bitte, ich möchte mich für meinen Gemahl vorbereiten.“

Lady Constance trat näher und sprach leise. Ihre Worte waren nicht für die Dienstboten bestimmt. „Ich erachte Euch für klug, Marguerite. Nehmt Euch meine Warnung zu Herzen.“

Marguerite ließ sich nicht anmerken, wie tief diese versteckte Drohung sie traf, um ihrer Schwiegermutter keine Genugtuung zu geben. Sie setzte eine Miene verdutzter Unschuld auf, die sie perfekt beherrschte, und machte die Augenlider mehrmals hintereinander schnell auf und zu. Orricks bevorstehendes Erscheinen verhinderte jedes weitere Wort. Edmee schloss die Tür, nachdem Lady Constance das Zimmer verlassen hatte.

Marguerite hörte Orricks Schritte an ihrer Tür vorbeigehen, hörte, wie er mit seinem Kammerdiener sprach. Sie trat ans offene Feuer und ließ sich von Edmee die Verschnürung lösen, die Tunika und das Gewand darunter abstreifen. Als das Mädchen ihr auch das Hemd ausziehen wollte, winkte Marguerite ab und schickte sie weg.

Seit Monaten hatte sie sich keinem Mann mehr nackt gezeigt und scheute jetzt davor zurück. Sie ließ die Hände über ihre Brüste und ihren Leib gleiten und fragte sich bang, ob er ihre füllige Mitte bemerkt hatte. Würde er wissen, dass sie vor wenigen Wochen ein Kind geboren hatte? Konnte ein Mann diese Anzeichen überhaupt erkennen? Dies war eine der Situationen, in denen sie sich danach sehnte, sich einem Menschen anvertrauen zu können. Marguerite war ihr ganzes Leben daran gewöhnt, Entscheidungen allein zu treffen, und dieser Wunsch erwachte nur selten in ihr, dennoch …

Das Knacken eines Holzscheits im Feuer ließ sie auffahren, holte sie aus ihren Grübeleien. Erst da spürte sie, dass sie nicht allein war. Langsam drehte sie sich um und bemerkte Orrick, der im Schatten an der Verbindungstür stand. Sie konnte seinen Atem hören und hätte schwören können, die Hitze zu spüren, die ihm entströmte, glühender als das Feuer im Kamin. Marguerite hatte sich vorgenommen, mit seiner Begierde zu spielen, um das, was ihr bevorstand, möglichst schnell hinter sich zu bringen. Eine hastige Vereinigung, und alles sollte vorüber sein.

Im Schein der Flammen wirkte ihr dünnes Unterkleid durchsichtig, und ihre verführerischen weiblichen Formen waren sehr deutlich zu erkennen. Sie war sich ihres aufreizenden Effekts wohl bewusst. Um sein Verlangen noch mehr zu reizen, löste sie bedächtig die Schleifen aus ihren Zöpfen und ließ ihre schimmernden Locken mit einer anmutigen Drehung an sich herabfließen.

Orrick näherte sich wie eine lauernde Wildkatze, streifte im Gehen seinen losen Umhang ab und stand nackt vor ihr. Unwillkürlich flog ihr Blick bewundernd über seinen sehnigen muskulösen Körper und erfasste seine stattliche Männlichkeit. Er ballte die Fäuste, öffnete sie wieder und trat einen weiteren Schritt näher. Um ihn noch mehr anzustacheln, brachte sie ihre Haarfülle mit einer leichten Wendung ihres Hauptes in Bewegung. Orrick konnte nicht länger an sich halten, zog sie in seine Arme und presste sie ganz fest an sich. Er grub die Finger in ihr Haar, schlang sich zwei Stränge um die Hände und bog ihr den Kopf in den Nacken.

Heiß und leidenschaftlich küsste er sie. Seine Zunge drängte sich in ihren Mund, liebkoste ihre. Er schmeckte nach Wein und Lust. Gefangen in seiner Umarmung, schmiegte sie sich enger an ihn und kreiste lustvoll die Hüften. Sie erwiderte seinen Kuss, ließ ihre Zunge in seinem Mund tanzen und spürte, wie seine Männlichkeit wuchs. Atemlos löste er schließlich seinen Mund von ihr. Marguerite schloss die Augen, um ihn nicht sehen zu lassen, wie unbeteiligt sie war.

Plötzlich ließ er von ihr ab, trat einen Schritt zurück. Ein kühler Lufthauch wehte sie an. Unter halb verhangenen Lidern beobachtete sie, wie er sie von Kopf bis Fuß maß, bis seine Augen sich auf ihre Brüste richteten. Sein Atem beschleunigte sich, und unerwartet geriet auch sie in Wallung. Unter seinem Blick begannen ihre Brustspitzen zu prickeln, Hitze durchströmte sie, zwischen ihren Schenkeln setzte ein feuchtes Pulsieren ein.

Erst nachdem er etwas weiter zurückgewichen war, sprach er. Seine Stimme klang belegt vor Begehren. „Verzeihung, Mylady, ich ließ mich von meiner Erregung hinreißen.“

Marguerite wusste nichts darauf zu sagen. Ihr Blut rauschte in ihren Adern. Nie hätte sie vermutet, dass ein anderer Mann als Henry solche Empfindungen in ihr auslösen könnte. Ihr Vorsatz, die bevorstehende Vereinigung teilnahmslos über sich ergehen zu lassen, geriet ins Wanken.

„Ich fürchte, ich muss noch etwas Wichtiges klären, bevor wir …“ Er brachte es nicht über sich, das Wort auszusprechen, aber sie schien zu wissen, was er meinte. Sie nickte ihm aufmunternd zu. Er platzte heraus: „Seid Ihr schwanger?“

Auf ein Kreuzverhör bezüglich ihres Verhältnisses zum König war sie gefasst, sogar auf unliebsame Erkundigungen über ihre Liebeserfahrung. Nur diese Frage traf sie völlig unerwartet.

„Schwanger?“ Sie begegnete seinem klaren Blick, in dem sie kein Verlangen mehr las. Noch reckte sich seine Männlichkeit ihr entgegen, aber sie wusste, dass seine Erregung gänzlich schwinden würde, sobald seine Gedanken sich mit etwas anderem als der bevorstehenden Vereinigung befassten. Verdammt! Sie hatte nicht die Absicht, diese Situation noch hinauszuzögern.

„Tragt Ihr das Kind des Königs unter Eurem Herzen?“, wiederholte Orrick energisch.

„Wieso interessiert Euch das? Und in diesem Augenblick?“ Marguerite wollte schnell wieder zur Sache kommen. Sie setzte sich an den Frisiertisch und bürstete ihr Haar, in der Hoffnung, er würde wunschgemäß darauf reagieren.

„Aufgrund der überstürzten Hast, mit der Henry unsere Ehe forderte. Wegen Eurer Vergangenheit in seinem Bett, die kein Geheimnis ist. Zu guter Letzt, weil er mit seiner Gemahlin und anderen Frauen viele Kinder in die Welt gesetzt hat. All diese Dinge führten mich zu dieser Frage.“

Plötzlich fühlte Marguerite sich beschmutzt. Nie hatte ein Mensch es gewagt, ihr dieses Gefühl zu geben. Ihr Puls beschleunigte sich erneut, diesmal allerdings vor Zorn. Sie stand auf und blickte ihn herausfordernd an. „Würdet Ihr mir glauben, wenn ich Nein sagte?“

Als er mit der Antwort zögerte, schleuderte sie die Haarbürste in ihrer Hand nach ihm. Orrick wich blitzschnell aus und kam näher. „Ihr fürchtet wohl, dass Ihr Euch nicht mit ihm messen könnt. Ihr habt Angst, in einem Vergleich mit ihm schlecht abzuschneiden und …“

Im nächsten Moment war er bei ihr. Sie begriff, dass sie zu weit gegangen war. Mit einer Handbewegung zerfetzte er ihr das Hemd und schleuderte es zu Boden. Er zog sie heftig an sich und nahm ihren Mund mit einem groben Kuss in Besitz. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, warf er sich mit ihr auf das Bett, ohne sich von ihr zu lösen. Mit einer Drehung lag er auf ihr, sie war unter seinem harten sehnigen Körper gefangen.

„Du gehörst mir, vor Gott und dem König, und ich werde dich mit niemandem teilen“, raunte er ihr heiser ins Ohr. „Bei mir wirst du an keinen anderen denken.“

Er spreizte ihr die Schenkel mit den Knien. Mittlerweile war Orrick in seiner Wut und seinem Verlangen nicht mehr aufzuhalten. Seine heftigen Worte waren genau das, was sie erwartet hatte, nachdem sie seine Befürchtungen ausgesprochen hatte. Marguerite hatte frühzeitig in ihrem Leben gelernt, dass Männer es auf den Tod nicht ausstehen konnten, an anderen gemessen zu werden, schon gar nicht im Schlafgemach.

Sie tat nichts, um ihn zu ermuntern, leistete jedoch auch keinen Widerstand. Er schob die Hände unter sie und hob ihre Hüften. Aber als sie glaubte, er würde sich in sie stoßen, hielt er inne und sah ihr in die Augen. Auf einmal war er wie verwandelt. Oh ja, er wollte sich mit ihr vereinen. Sie las die Lust in seinem Blick. Doch dann ließ er ihre Hüften los, schob sich an ihr hoch, bis sie eng aneinander geschmiegt lagen.

Sein krauses Brusthaar kitzelte ihre Brüste, seine deutlich fühlbare Erregung presste sich in ihren Schoß. Er verschränkte seine Finger mit den ihren und hielt ihr die Arme über den Kopf. Sein Kuss war heiß und zugleich beängstigend zärtlich. Sein Verlangen konnte sie hinnehmen – sogar ertragen, mit Gewalt genommen zu werden. Aber dieser unerwarteten Liebkosung wusste sie nichts entgegenzusetzen, war ihr hilflos ausgeliefert.

Er bedeckte ihr Gesicht und ihren Hals mit sinnlichen Küssen. Sie bäumte sich gegen ihn auf, als sein Mund sich ihren Brüsten näherte. Marguerite konnte ein lustvolles Stöhnen nicht unterdrücken, sobald er seinen heißen Mund um ihre Brustknospe schloss, diese mit der Zunge umspielte und zärtlich biss, bis die Perle sich aufrichtete.

Sie begann sich unter ihm zu winden, reckte ihren Oberkörper hoch. Erst als sie ihm entfesselt die Hüften anbot, ließ er ihre Arme los. Sie krallte die Finger in seine Schultern, doch statt ihn von sich zu stoßen, zog sie ihn näher. Er setzte seine Liebesfolter fort, küsste jedes Fleckchen ihrer seidigen Haut, ihre Rippenbögen entlang über ihren sanft gerundeten Bauch bis zu den Schenkeln. Die Bartstoppeln seiner Wangen kratzten an ihrer Haut, während er ihr die Schenkel noch weiter öffnete. Sobald sie seine Absicht erkannte, wühlte sie die Finger in sein Haar, um ihn daran zu hindern, aber sein Mund hatte sein Ziel bereits erreicht.

Sie war verloren.

Er hörte erst auf, sie zu liebkosen, als sie in ihrer Erlösung schrie. Noch während sie von Zuckungen geschüttelt wurde, schob er sich an ihr hinauf und glitt in ihren heißen, feuchten Schoß. Ohne Gewalt, ohne Hast. Mit einem einzigen kraftvollen Stoß senkte er sich in sie und erfüllte sie bis zum Bersten. Sie spürte, wie er sich sanft in ihr bewegte. Es fühlte sich völlig anders an als alles, was sie bislang erlebt hatte.

Verwirrt und hilflos schlug sie die Augen auf und sah zu ihm auf, beobachtete, wie er sich über ihr bewegte. Seine Stöße wurden schneller, heftiger, seine Gesichtszüge spannten sich. Sie wusste, dass er bereit war. Er bäumte sich auf und verströmte sich mit einem dunklen Stöhnen. Zuckend bewegte er sich in ihr, dann sank er ausgelaugt auf ihren schweißnassen Körper.

So blieb er lange liegen, bis seine Atemzüge sich beruhigt hatten, dann rollte er sich von ihr. Er betrachtete sie eine Weile und verließ das Bett. Marguerite krallte die Finger ins Laken, um sich daran zu hindern, die Arme nach ihm auszustrecken. Sie musste sich beherrschen. Keinesfalls sollte er denken, er habe gewonnen. Orrick durfte nicht glauben, er könne sie jederzeit nehmen, wann immer ihm der Sinn danach stand. Die Worte, die ihn verletzen sollten, sprudelten aus ihrem Mund.

„Habt Ihr Eure Lust gestillt für diese Nacht, oder wollt Ihr mich ein zweites Mal nehmen, wie Henry es zu tun pflegte?“

Der Pfeil hatte sein Ziel getroffen.

Taumelnd wich er zurück, ging wortlos und schlug die Verbindungstür mit einem Knall zu. Gut so. Es würde eine Weile dauern, bis er die Demütigung verkraftet hatte und sich ihr erneut näherte.

Marguerite kroch aus dem Bett, ging mit zitternden Knien zum Waschtisch und säuberte sich mit lauwarmem Wasser. Da ihr zerrissenes Hemd nicht mehr zu gebrauchen war, kroch sie nackt ins Bett und zog die Decke bis zu den Schultern hoch. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie, als habe sich etwas in ihrem Körper verändert. Vor dem Einschlafen überlegte sie, ob sie mit ihrer Taktik Erfolg gehabt hatte.

Mit seinem Zorn konnte sie umgehen. Als er nahe daran gewesen war, ihr Gewalt anzutun, hatte Marguerite ihr Groll geholfen, ihm furchtlos die Stirn zu bieten.

Aber sein Liebesspiel machte ihr Angst.

Vor dieser Zärtlichkeit musste sie sich in Acht nehmen, sonst war sie hilflos.

7. KAPITEL

Als Marguerite am nächsten Morgen erwachte, erfuhr sie von Edmee, dass der Burgherr nach Abbeytown geritten war und erst in ein paar Tagen zurückerwartet wurde.

Mit Hilfe ihrer Zofe wusch und kleidete Marguerite sich an. Sie ließ sich das Frühmahl bringen, da sie sich scheute, den Burgbewohnern zu begegnen, in erster Linie ihrer Schwiegermutter und diesem grobschlächtigen Schotten. Aber später wollte sie einen Spaziergang machen, um ein wenig ihre neue Umgebung zu erkunden.

Die Bank unter dem Fenster war ein gemütliches Plätzchen in der Morgensonne, die durchs Fenster schien und eine angenehme Wärme verbreitete. Marguerite setzte sich und beobachtete das emsige Treiben auf dem Burghof, wo die Bediensteten ihrer Arbeit nachgingen. Die Tore von Silloth standen für Besucher weit offen. Wenn die Leute gehen und kommen konnten, wie es ihnen gefiel, bestand gewiss die Möglichkeit, einen Boten nach Süden zu schicken. Marguerite wies Edmee an, ihr Pergament und Schreibzeug zu bringen.

Zu ihrem eigenen Erstaunen aß sie mit großem Appetit alles, was ihr auf dem Tablett gebracht wurde. Eigentlich hatte sie erwartet, zu müde zu sein, um überhaupt einen Bissen hinunterzubringen. Nun ja, sie hatte die Nacht überstanden und war Lord Orrick zu Willen gewesen. Da er einige Tage von Silloth fernbleiben würde, hatte sie genügend Zeit, um nachzudenken und Henry eine Botschaft zukommen zu lassen, in der sie ihn erneut um Vergebung bitten wollte.

Mit einem scharfen Messer spitzte sie den Federkiel und entwarf den Brief zunächst in Gedanken. Sie schilderte die beschwerliche Reise in diesen abgeschiedenen Winkel, die kalte Trutzburg, das unwirtliche raue Bergland und beklagte, wie sehr sie die Annehmlichkeiten und Zerstreuungen bei Hofe und an seiner Seite vermisste.

Marguerite tauchte die Feder in die Tinte und ging zum persönlichen Teil ihrer Nachricht über, schrieb dem König, dass sie sich pflichtgemäß Lord Orrick hingegeben hatte, und wie unangenehm es für sie war, von einem fremden Mann berührt zu werden, da ihr Herz ausschließlich Henry gehöre. Ihr Körper war zwar gegen ihren Willen von einem anderen genommen worden, doch ihre Liebe besäße nur er, schwor sie inbrünstig. Obgleich sie in diesem Abschnitt ihres Berichts nicht ganz die Wahrheit sagte, fühlte sie sich immer noch zu Henry gehörig. Auf einmal erinnerte sie sich an Orricks erregtes Flüstern – Du gehörst mir … in meinem Bett wirst du an keinen anderen denken.

Ihr Herz lehnte sich entschieden gegen diesen dreisten Besitzanspruch auf. Andererseits hatte er, ohne gewalttätig zu sein, ihren Körper in einer Art und Weise beglückt, die ihr Angst machte. Während Orrick mit ihr vereintegewesen war, hatte sie keinen einzigen Gedanken an Henry verschwendet. Sie hatte nur gefühlt. Ein Schauer überkam sie, als sie erkannte, dass das Erschreckende weniger daran lag, nicht an Henry gedacht zu haben. Weit gefährlicher war, wie dieser Mann es fertig gebracht hatte, ihr jede Kontrolle über ihren Verstand und ihr Handeln zu nehmen.

Marguerite legte die Feder beiseite, drückte die Fingerkuppen an die Schläfen und besann sich zurück auf die Zeit vor einem Jahr. Damals hatte sie sich bei Henry darüber beklagt, dass sie ihm zu wenig bedeute. Ach, wie sehr wünschte sie sich, nie gefordert zu haben, er möge ihr mehr Zuwendung schenken. Könnte sie nur das Rad zurückdrehen, ihre Klagen ungeschehen machen und ihr Geständnis über ihr gemeinsames Kind zurücknehmen.

Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als dem Geliebten begreiflich zu machen, dass sie ihren Hochmut und ihr törichtes Begehren zutiefst bereute. Sie verbrachte Stunden an ihrem Schreibpult und war mit dem Ergebnis zufrieden – zwei Briefe an ihren Onkel und eine Freundin bei Hofe, denen sie jeweils eine Abschrift ihres Briefes an Henry beilegte. Sie wagte nicht, ein direktes Schreiben aus Silloth an den König zu richten, deshalb wollte sie ihm ihre Nachricht durch zwei Vermittler überbringen lassen, zwei Menschen ihres Vertrauens, auf deren Unterstützung sie zählen konnte.

Schließlich rief sie Edmee zu sich und wies sie an, die Briefe dem Burgvogt auszuhändigen, der einen Boten damit beauftragen sollte, sie in die Residenz des Königs zu bringen. Kurz darauf sprachen der Burgvogt und Lord Orricks Kammerdiener bei ihr vor, beide mit roten Gesichtern und verlegenen Verbeugungen. Der Burgvogt gab eine umständliche Erklärung ab, welche Schwierigkeiten es bereite, die Briefe zu befördern. Da er nur englisch sprach, machte Marguerite ein verständnisloses Gesicht. Selbst wenn sie gewollt hätte, war es mühsam, das Englisch zu verstehen, welches diese Bauern hier im Norden redeten, einen schwerfälligen ungehobelten Dialekt. Der Kammerdiener begriff endlich die Situation und übersetzte für sie.

„Mylady, Norwyn ist nicht befugt, ohne Lord Orricks Erlaubnis einen Boten an den Königshof zu schicken. Unser Herr ist nämlich nur in äußerst dringenden Notfällen dazu bereit, Kontakt mit dem Monarchen oder seinen Beamten aufzunehmen.“

„Zweifelt ihr an meinen Absichten und meinem Bedürfnis, diese Mitteilungen“, – sie wies auf die gefalteten und versiegelten Briefe – „an meine Verwandten zu schicken, um sie von meiner wohlbehaltenen Ankunft auf Silloth zu unterrichten?“

„Mylady“, sagte Gerard nun, nachdem er ihre Frage gedolmetscht und die Antwort des Burgvogts erhalten hatte. „Norwyn will sich Euch keineswegs widersetzen. Er möchte Euch nur zu verstehen geben, dass er Euch diese Bitte ohne Lord Orricks Genehmigung nicht erfüllen kann.“

Sie beobachtete die Verlegenheit der beiden Männer mit Genugtuung. „Nun, dann besteht keinerlei Grund zur Sorge, da Lord Orrick mir versichert hat, ich könne jederzeit und so oft mir danach ist, Briefe an meine Familie schreiben.“

Sie wartete, bis ihre Worte dem Burgvogt übersetzt waren, und lächelte siegesgewiss. Diese Tölpel würden nicht wagen, ihr zu widersprechen und ihr zu verwehren, die Nachrichten weiterzuleiten. Die beiden Gefolgsleute wechselten einen Blick, keiner glaubte ihrer Aussage, aber keiner brachte den Mut auf, ihr das ins Gesicht zu sagen.

„Wenn das so ist, zeigt mein Sohn sich Euch noch großzügiger, als ich erwartet habe.“ Lady Constance betrat das Gemach, nickte dem Burgvogt zu und fuhr englisch fort: „Wenn Lord Orrick seiner Gemahlin dieses Versprechen gemacht hat, Norwyn, müsst Ihr Euch danach richten.“

Marguerite hielt den Atem an, als Lord Orricks Mutter sie und die Schreiben scharf musterte, die Norwyn an sich genommen hatte. Mit einem unwirschen Wink entließ sie die Untergebenen. „Nach seiner Rückkehr soll Orrick entscheiden, in welcher Form Lady Marguerites Botschaften an ihre Familie in Zukunft befördert werden.“

Norwyn und Gerard gingen. Marguerite wartete auf eine Erklärung, warum Lady Constance sie aufgesucht hatte. War es möglich, dass Orrick seiner Mutter die Geschehnisse der letzten Nacht anvertraut hatte? Die Frau hatte sich zwar während der Reise als hilfsbereit erwiesen, aber Marguerite spürte den Unmut, die Feindseligkeit, welche sie ihr entgegenbrachte. Also beschloss sie, zum Angriff überzugehen.

„Danke für Eure Unterstützung. Ich finde es unerhört, dass diese Diener die Stirn hatten, mir die Bitte abzuschlagen, meine Briefe zustellen zu lassen.“

Marguerite trat ans Fenster und setzte sich. Sie wies auf den Stuhl vor dem Frisiertisch und lud Orricks Mutter ein, gleichfalls Platz zu nehmen. Diese lehnte ihr Angebot mit einer abwehrenden Handbewegung ab, ohne auf Marguerites Entrüstung einzugehen.

„Bisher waren die Aufgaben der Burgherrin mir übertragen, doch dieses Recht steht nun Euch zu. Wenn Ihr wünscht, bin ich gerne behilflich, Euch in die Wirtschaftsführung einzuweisen, bis Ihr mit dem Haushalt auf Silloth vertraut seid. Wie Ihr seht, ist Norwyn noch neu in seinen Arbeitsbereichen und braucht selbst noch etwas Anleitung.“

Verblüfft von diesem Angebot, dachte Marguerite fieberhaft nach. Falls sie mit Orrick verheiratet bleiben würde, lag es in ihrer Verantwortung, die Arbeiten auf der Burg zu beaufsichtigen und einzuteilen und sich um das Wohlergehen der Burgbewohner zu kümmern. Aber sie hatte nicht die Absicht, so lange zu bleiben, um diese Pflichten zu übernehmen.

„Ich bitte um Nachsicht, Mylady“, begann sie. „Doch ich habe mich bisher nicht wirklich von den Anstrengungen der Reise erholt und ersuche Euch, mir noch ein paar Tage Zeit zu gewähren, ehe ich Euer Angebot annehme.“ Marguerite begegnete dem Blick ihrer Schwiegermutter gelassen. „Zunächst will ich mich ein wenig umsehen und eingewöhnen, bevor ich mich in der Lage sehe, den Anforderungen zu entsprechen, die Ihr, mein Gemahl und seine Leute an mich stellen.“

Sie wusste nicht, ob Lady Constance ihren Worten Glauben schenkte. Sie nickte allerdings und wandte sich zum Gehen. Marguerite erhob sich. Ungeachtet ihrer persönlichen Abneigung gegen ihre Schwiegermutter war ihr tadelloses Benehmen von frühester Kindheit anerzogen worden. Gerade diese Höflichkeit hatte sie in vielen schwierigen und heiklen Situationen gerettet.

„Es ist ein schöner Tag“, sagte Lady Constance und wies zum Fenster, durch das die Sonnenstrahlen fluteten. „Ihr solltet ihn nutzen. Ich schicke Euch Eure Zofe und den Diener Eures Gemahls herauf.“

Marguerite machte ein fragendes Gesicht.

„Orrick gab Gerard Anweisung, Eurer Zofe Englisch beizubringen. Es ist einfacher, wenn er Euch durch die Burg führt und das Dorf zeigt, da er Eure und unsere Sprache spricht.“

„Ich danke Euch, Lady Constance“, entgegnete sie, beinahe ein wenig verlegen über das freundliche Entgegenkommen.

Kurz darauf trat Marguerite mit ihrem kleinen Gefolge auf den Burghof. Orricks Page gab ausführlich Auskunft über die Menschen, die ihnen begegneten, erklärte die einzelnen Wirtschaftsgebäude. Marguerite achtete nicht darauf, wie Gerard während der Besichtigung sich bemühte, die entsprechenden französischen Begriffe zu finden. Aber ihr entging nicht die Aufmerksamkeit, mit der Edmee dem jungen Mann auf dem Rundgang zuhörte.

Silloth machte den Eindruck, eine bestens geführte Burg zu sein, die Dorfbewohner wirkten gesund und zufrieden. Viele der Herrenhäuser und Schlösser, die Marguerite in der Normandie besucht hatte, waren längst nicht so gut in Schuss. Lord Orrick war offenbar ein verantwortungsvoller Lehnsherr, der auf seine Leute achtete und seinen Besitz hervorragend verwaltete.

Edmee und Gerard waren ins Gespräch vertieft, doch Marguerite hatte genug von ihrer neuen Umgebung gesehen und äußerte den Wunsch, sich in ihr Gemach zurückzuziehen. Sie wollte allein sein und entließ Edmee.

„Mylady, ich begleite Euch“, erbot der Diener sich.

„Nein, Gerard. Es ist nicht weit zur Burg. Fahre getrost mit dem Englischunterricht für Edmee fort.“

Edmee lächelte scheu, und Gerard errötete. Marguerite, die ahnte, was sich zwischen den beiden anbahnte, nickte den beiden zu. Die Unterschiede in Sprache und Herkunft waren offenbar kein Hindernis ihrer gegenseitigen Zuneigung.

Sie machte sich auf den Rückweg und ging an der Rückseite des Wohnturms entlang. Auf einem kleinen umfriedeten Platz machten Männer und Halbwüchsige Wehrübungen mit Waffen und Pferden. Offenbar der Turnierplatz, den sie vom Fenster ihres Gemachs aus nicht sehen konnte. Sie trat näher und sah einige Krieger, die mit Schwert und Schild übten, darunter auch Lord Orricks schottischen Freund.

Der Hüne kämpfte mit nacktem Oberkörper, nur mit engen Hosen bekleidet. Das lange rote Haar hatte er mit einer Schnur im Nacken zusammengebunden. Er bewegte sich geschmeidig wie ein wildes Tier, ein erfahrener Soldat und gewiss ein gefürchteter Gegner in der Schlacht. Marguerite blieb an der Umzäunung stehen und schaute ihm eine Weile zu. In kurzer Zeit besiegte er drei Kampfpartner, ohne auch nur die geringsten Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Dann bemerkte er sie, grüßte mit erhobenem Schwert zu ihr herüber und lenkte die Aufmerksamkeit der anderen Männer auf sie.

Marguerite ging ein paar Schritte zurück. Mit einem huldvollen Nicken verbeugten sich die Zuschauer vor ihr. Sie erwiderte den Gruß mit einer huldvollen Neigung des Kopfes und rief den Männern in Französisch zu, sich nicht stören zu lassen. Die meisten wandten sich wieder dem Kampfplatz zu, auf dem der Schotte sich seinem nächsten Herausforderer stellte. Plötzlich drang eine Stimme aus dem Publikum an ihr Ohr, die laut genug war, dass auch andere sie hören konnten.

„Ich würde alle meine ersparten Goldmünzen dafür geben, sie einmal in meinem Bett zu haben“, sagte der Mann zu seinem Nachbarn. „Ich wette, sie ist ihr Geld wert.“

Sein Kumpan lachte. „Tja, aber eine wie die will nichts von dir wissen. Die macht die Beine nur für den König breit … zur Not noch für einen Edelmann.“ Die Männer lachten laut, und die Umstehenden bejahten feixend.

Marguerite zuckte unter der Schmähung zusammen. So dachten also Orricks Leute über sie. Während sie sich voller Abscheu abwandte, fing sie den Blick des Schotten auf.

Hatte er ihr Entsetzen bemerkt? Ahnte er, dass sie verstanden hatte, was die Männer über sie sagten? Die Kerle hätten nicht gewagt, abfällig über sie zu reden, wenn sie wüssten, dass sie ihrer Sprache mächtig war. Zorn stieg in ihr auf, beschleunigte ihren Herzschlag und ihren Atem. Sie könnte sie auspeitschen lassen für ihre verächtlichen Bemerkungen.

Allerdings müsste sie dann Orrick gestehen, dass sie gelogen hatte. Zudem würde sie den Vorteil verlieren, zu erfahren, was über sie gesprochen wurde. Noch bevor sie begriff, was geschah, reagierte Gavin.

Mit langen Schritten war er bei den beiden Männern, packte sie mit jeweils einer Hand am Kragen, hob sie über den Zaun und stellte die verdutzten Kerle auf dem Kampfplatz ab. Schnell schlug er den einen und dann den anderen mit kraftvollen Fausthieben nieder. Er beugte sich über die stöhnenden Männer und redete halblaut auf sie ein. Marguerite konnte seine Worte nicht hören, wollte es auch nicht, wusste aber, dass er von ihr sprach.

Sie wollte nicht länger Zeuge dieser blutigen Szene sein. Fürchtete, dass der Schotte ihr falsches Spiel durchschaut hatte, wandte sich ab und entfernte sich. Erst nach einigen hastigen Schritten bemühte sie sich, ihren inneren Aufruhr zu verbergen, und setzte ihren Weg langsamer fort. Im Haus aber stürmte sie die Stufen hinauf, suchte Zuflucht in ihrem Gemach und setzte sich atemlos in den Alkoven.

Warum verstanden diese Menschen nicht? Weshalb dachten sie schlecht von ihr? Sie war keine Hure, sondern die Geliebte des Königs. Die Gefährtin seines Herzens. Nicht irgendeine Dirne, die für Gold und Schmuck die Beine breit machte. Sie war dazu erzogen, die Partnerin eines Königs zu sein. Daran war nichts Schmachvolles.

Marguerite trat an den Tisch, goss Wein aus dem Krug in einen Kelch und trank ihn bis zur Neige. Ihr Blick fiel auf das Bett, und Orricks Worte, bevor er letzte Nacht wütend aus dem Zimmer gestürmt war, kamen ihr ins Gedächtnis zurück.

Zum zweiten Mal seit ihrer Ankunft in Silloth fühlte sie sich besudelt und schwor sich, so etwas kein drittes Mal geschehen zu lassen. Diese Leute hier waren Bauerntölpel und Leibeigene, die keine Ahnung hatten, wie Menschen königlichen Geblüts lebten und fühlten. Was wussten sie schon von den Sehnsüchten eines Königs nach einer Frau, die seine Träume teilte, seine Liebe und, ja, auch sein Bett. Dass dieser Pöbel mit hässlichen Worten und bösartigen Unterstellungen die Schönheit ihrer Beziehung zu Henry in den Schmutz zog, konnte sie nicht zulassen. Sie war diesen Leuten keine Rechenschaft über ihre Vergangenheit schuldig, auch nicht darüber, warum sie hier war. Marguerite d’Alençon war einzig und allein dem Monarchen gegenüber verpflichtet.

Aus Überzeugung, es sei ihr tiefes Unrecht widerfahren, verließ sie ihr Zimmer in den nächsten drei Tagen nicht.

8. KAPITEL

Zum dritten Mal setzte Orrick das scharfe Messer an den Federkiel, der längst spitz genug war. Wieder und wieder überprüfte er die Listen der Einkünfte aus der Salzgewinnung und der Schafzucht, die von den Mönchen der Abtei betrieben wurde. Dann stand er auf, trat ans Fenster der Studierstube und starrte ins Leere.

„Ihr schaut so häufig aus dem Fenster, Mylord. Erwartet Ihr jemanden?“

Nach einem Blickwechsel gab der Abt seinem Schreibgehilfen mit einem Wink zu verstehen, sich zurückzuziehen. Dann lud Godfrey seinen Gast ein, sich zu setzen.

„Ich möchte Euch etwas aus meinem Leben erzählen, Orrick. Eine Geschichte, die Euer Vater kannte, welche Euch aber vermutlich neu ist.“

Godfreys Worte weckten Orricks Interesse. Der Abt hatte sich viele Jahre um Orricks Erziehung gekümmert, in der Hoffnung, sein Zögling würde dem Orden beitreten. Später, nachdem er mit den Titeln und dem Landbesitz seines Vaters große Verpflichtungen übernommen hatte, suchte Orrick immer wieder den Rat des weisen, gottesfürchtigen Mannes. „Sprecht, Godfrey, Ihr macht mich neugierig.“

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht. Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt...
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Seit 1999, als Margos erstes Buch “ The Bride of Windermere” erschien,, verkaufte sie mehrere historische Liebesromane an Harlequin. Inzwischen arbeitet sie hauptberuflich als Autorin und genießt die Flexibilität ihrer Tagesplanung, die sie zu ihrer Zeit als Krankenschwester nicht hatte. Mit drei Teenies zu Hause und einem regen Familienleben ist...
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