Im Licht der Hoffnung

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Erst verführt Logan sie zu einem Kuss, danach verbannt er sie ohne Erklärung für immer aus seinem Leben … Clementine ist am Boden zerstört. Bis sie kurz vor Weihnachten den traurigen Grund für sein Verhalten erfährt. Gibt es etwa doch noch Hoffnung für ihre Liebe?


  • Erscheinungstag 20.04.2020
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716332
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ich weiß nicht, ob man es dir je gesagt hat, Logan, aber dein leiblicher Vater war nicht Haywood Grainger. Ich weiß es, denn ich bin dein leiblicher Vater. Der Gedanke, diese Welt verlassen zu müssen, ohne dass du es erfährst, ist mir unerträglich. Du musst die Wahrheit kennenlernen

Logan Grainger hatte in den vergangenen drei Monaten alles versucht, um nicht an jenen verhängnisvollen Brief zu denken, den ihm ein vollkommen Fremder auf dem Sterbebett geschrieben hatte. Und doch war der Brief ständig präsent, die Worte schlichen sich in Logans Gedanken und ließen ihn kaum noch zur Ruhe kommen.

Schon beim Aufstehen hatte er die Worte im Kopf und dann während seiner frühmorgendlichen Arbeiten im Stall: beim Ausmisten der Pferdeboxen, beim Füttern der Tiere und beim Kontrollrundgang über die Ranch. Und selbst später, wenn er ins Haupthaus zurückkehrte, um seine beiden dreijährigen Neffen zu wecken, dann ertappte er sich immer wieder dabei, wie seine Gedanken zu dem Brief schweiften.

Wie viele Meilen Weidezaun war er schon abgeritten und hatte sich dabei immerzu dieselbe Frage gestellt: Entsprach der Brief der Wahrheit?

Immerhin gab es dafür keine Beweise. Noch nicht.

Logan hatte sich nämlich bisher nicht bemüht, nach Beweisen zu suchen. Die Vorstellung, dass der Fremde recht hatte, war einfach zu schmerzhaft. Und die Zweifel an seiner Vergangenheit hatten sich längst eingeschlichen. Immerhin war Logan mit seinen knappen ein Meter neunzig ein beträchtliches Stück größer als sein Vater und seine Mutter. Davon abgesehen hatten seine Eltern beide blondes Haar, während Logans Haar einen satten tief dunkelbraunen Ton hatte.

Allein die strahlend blauen Augen hatte er eindeutig von seiner Mutter geerbt. Mit dem Unterschied, dass Logan sein Gegenüber oft mit einem scharfen Clint-Eastwood-ähnlichen Blick aus zusammengekniffenen Augen musterte.

Im Nachhinein fielen ihm einige Gelegenheiten ein, bei denen die Leute darauf hingewiesen hatten, wie wenig ähnlich Logan seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder sei. Seine Mutter hatte darauf immer sofort eine Antwort parat gehabt: Oh, er ist ein Grainger durch und durch!

Aber laut einem gewissen Clyde T. Parsons war Logan das Resultat einer sehr kurzen Romanze zwischen diesem und Logans Mutter, noch bevor sie verheiratet gewesen war. Offensichtlich hatte Clyde sie geschwängert, kalte Füße bekommen und die Stadt verlassen.

Seine Mutter war allein zurückgeblieben. Ob Haywood Grainger gewusst hatte, dass sie schwanger gewesen war, als er sie wenig später zum Traualtar geführt hatte? War ihm bewusst gewesen, dass ihr erstgeborener Sohn nicht von ihm stammte?

Falls er es gewusst hatte, so hatte er es Logan zumindest nie spüren lassen.

Ich bin dein Vater. Ich bin dein Vater. Ich bin dein Vater.

Dieser verdammte Satz aus Clydes Brief geisterte wieder und wieder durch Logans Kopf. Er warf eine nagende existenzielle Frage auf, die Logan bis ins Mark erschütterte: Wer bin ich? Und wer zur Hölle ist Clyde T. Parsons?

Vor allem wenn sein Blick auf seine Neffen fiel, wurde ihm das Ausmaß dieser Fragen bewusst. Die Zwillinge waren nämlich Waisen. Außer ihrem Onkel Logan hatten sie niemanden mehr auf der Welt, der sich um sie kümmern konnte.

Allerdings … War er überhaupt ihr Onkel? Wenn Parsons die Wahrheit sagte, dann war er nicht einmal ein echter Grainger. Gehörten Harry und Henry also wirklich zu ihm? Ganz egal, wie, meine Mutter war schließlich meine echte Mutter, sagte er sich zum tausendsten Mal.

Wenn Parsons wirklich mein biologischer Vater ist, dann bin ich immerhin der Halbbruder. Und demnach der Halbonkel der Zwillinge.

Scheiß drauf, dachte er. Zwischen ihm und den Jungs gab es keine halben Sachen. Er hatte sich ihnen aus vollem Herzen verschrieben.

„Schau mal, Onkel Logan!“, wurde Logan in diesem Augenblick aus seinen Gedanken gerissen. Henry, der Ältere der beiden Zwillinge – älter um genau eine Minute und zwölf Sekunden –, nahm einen für seine Verhältnisse gewaltigen Anlauf durch die Scheune und warf sich in einen Heuhaufen.

Sein Bruder Harry tat es ihm nach, hatte sich aber inzwischen in einem gewaltigen Ballen aus rotem Lametta verfangen. Das Lametta behinderte ihn zwar beim Laufen, hielt ihn aber keineswegs davon ab, sich mit ebenso großer Wucht wie Henry ins Heu hineinzuwerfen.

Logan holte tief Atem. Sie gehören zu mir, versicherte er sich erneut. Ein dicker Aktenordner voller Schriftsätze konnte das untermauern.

Nachdem sein jüngerer Bruder Seth und dessen Frau Mandy im vergangenen Frühjahr mit einem kleinen Privatflugzeug abgestürzt waren, hatte man Logan ganz offiziell das Sorgerecht für seine Neffen zugeteilt. Mandy hatte keine Familie mehr, und Seth hatte nichts als einen ungebunden lebenden älteren Bruder, der sein Leben dem Rodeo verschrieben hatte.

Aber nachdem Logan vor neun Monaten vom Tod seines Bruders unterrichtet worden war, hatte er das Rodeoreiten aufgegeben. Er hatte alles aufgegeben und war nach Blue Gulch zurückgekehrt.

Dort hatte er das Leben aufgenommen, das Seth verloren hatte – auf der Ranch, für die er so hart gekämpft hatte. Inzwischen hatte Logan einen beträchtlichen Anteil seiner Ersparnisse in die Ranch investiert. Er war stolz auf die große, gesunde Viehherde, die renovierte Scheune und das neue Dach des Farmhauses.

Immerhin stellte die Grainger-Ranch das Erbe für die Jungs dar, und Logan wollte das Anwesen nicht nur am Laufen halten: Er wollte etwas Großartiges daraus machen.

In der Zwischenzeit würde er dafür sorgen, dass sie ein schönes Weihnachtsfest feiern konnten. Es würde ihr erstes ohne Eltern sein.

Heute war der letzte Tag im November, und Logan hatte Henry und Harry versprochen, dass sie im Stall einen großen Weihnachtsbaum für die Pferde schmücken durften.

„Onkel Logan, darf ich eine Schneeflocke an Lulus Tür hängen?“, fragte Harry und zog eine leicht zerdrückte weiße Flocke aus Papier aus der Tasche, die er am Morgen im Kindergarten gebastelt hatte.

„Aber sicher“, ermunterte Logan den Jungen.

Daraufhin wollte natürlich auch Henry etwas an die Tür hängen, und Logan half den beiden, den Papierschmuck an der Box der Stute zu befestigen. Die blonden Haarschöpfe der Jungs leuchteten unter der Stalllampe, und Logan zupfte hier und da einige Grashalme aus ihrem Haar.

„Wissen die Pferde, dass bald Weihnachten ist?“, wollte Harry wissen. Er sah Logan aus großen blassbraunen Augen an – Augen, die denen seines Vaters so ähnlich waren.

Logan hob die Jungs hoch und balancierte ihr Gewicht auf seinen Hüften. „Was glaubt ihr denn?“

„Ja“, sagte Harry.

„Bestimmt“, bekräftigte Henry.

Das brachte Logan zum Lächeln. „Ich glaube auch. Und jetzt lasst uns ins Haus gehen. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich euch Eiscreme versprochen.“ Er gab jedem der Jungen einen Kuss auf die Wange und setzte sie sanft auf dem Boden ab. „Wir können den Stall auch noch morgen fertigschmücken.“

„Kann Clementine kommen und helfen?“, fragte Henry.

„Ich vermisse sie“, bestätigte sein Bruder.

Ein Bild von Clementine Hurleys hübschem Gesicht flackerte durch Logans Gedanken. Sie hatte langes, seidiges dunkles Haar, das sie stets zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Ihre großen braunen Augen waren umrahmt von dichten dunklen Wimpern. Und ihre Figur in Jeans und T-Shirt hatte sich ihm ebenfalls sehr genau eingeprägt …

Er zwang sich, ihr Bild in den Hintergrund zu drängen.

„Nein, Jungs“, sagte er sanft, denn er wusste genau, wie sehr sie ihre frühere Babysitterin gemocht hatten.

Er würde niemals jenen Tag im August vergessen, an dem sie das letzte Mal auf die Jungs aufgepasst hatte. Nach einem langen ermüdenden Arbeitstag hatte er das Haus betreten und war froh darüber gewesen, die Jungs zu sehen, und zugleich froh darüber, sie zu sehen.

Leider waren die Zwillinge bereits eingeschlafen, nachdem sie ihnen eine Geschichte vorgelesen hatte, und so war ihm nichts übrig geblieben, als die schlafenden Jungs behutsam in ihr Zimmer zu tragen und in ihre Betten zu legen.

Als er wieder nach unten ins Wohnzimmer gekommen war, hatte Clementine auf ihn gewartet. Sie hatte lediglich gefragt, wie er mit dem Kälbchen zurechtgekommen war, und einem plötzlichen Impuls folgend war er auf sie zugegangen und hatte sie geküsst.

Er hatte einfach ihr Gesicht mit der Hand umfangen, ihr Kinn angehoben und sie geküsst.

Und sie hatte den Kuss erwidert. Leidenschaftlich.

Dann war er zurückgewichen. Nach dem Debakel mit seiner vergangenen Affäre war er nicht sicher gewesen, ob er bereit für einen Neuanfang war. Bethany hatte er beim Rodeo kennengelernt, doch insgeheim nannte er sie nur noch die falsche Schlange.

Dank Bethany Appleton hatte er sein Selbstvertrauen verloren, seinen guten Ruf und beinahe seine Lebensgrundlage. Nach dem unerhörten Vorfall mit Bethany hatte man ihn zum allgemeinen Gespött gemacht, auch wenn es immerhin dazu geführt hatte, dass die Leute einen Monat lang in Massen zum Rodeo strömten, um den Handschellen-Cowboy im Ring zu sehen.

Abgesehen von dieser unschönen Geschichte war er gerade erst Vormund für die Jungs geworden. Er hatte genug Probleme und wollte sich völlig auf ihre Erziehung und auf die Ranch konzentrieren.

Für eine Romanze war zu diesem Zeitpunkt überhaupt kein Platz in seinem Leben gewesen.

An jenem Abend schien Clementine zu spüren, wie aufgewühlt Logan innerlich war, und hatte es ihm leicht gemacht, indem sie einen unverfänglichen Plauderton angeschlagen hatte. „Übrigens bin ich draußen dem Postboten begegnet. Ich habe deine Post mitgenommen“, erklärte sie leichthin.

Um Zeit zu gewinnen, hatte er den Stapel Briefe zur Hand genommen und die Absender überflogen. Abgesehen von den üblichen Rechnungen hatte eine Absenderadresse seine Aufmerksamkeit erregt. Es handelte sich um eine Adresse in Tuckerville in Texas, die er noch nie im Leben gesehen hatte.

„Ich sollte den Brief öffnen“, hatte er gesagt – in der festen Absicht, sich noch zu dem Kuss zu äußern. War er wirklich bereit für eine Beziehung?

In einem Leben vor Bethany war er der Vorstellung nicht abgeneigt gewesen, eines Tages Frau und Kinder zu haben – jedes Weihnachten und jede Geburtstagsfeier mit seinem Bruder Seth und Mandys Familie hatten ihn darin bestärkt, wie wunderbar eine Ehe funktionieren konnte.

In der Zeit nach Bethany war er zynisch und misstrauisch geworden. Hinter jedem hübschen Gesicht konnte ein hässliches Wesen verborgen sein, so viel hatte er gelernt.

Und während er Clementines Blick auf seinem Gesicht gespürt hatte, war er völlig von dem Inhalt des Briefs überrascht worden.

Der Absender hieß Clyde T. Parsons und hatte eine richtige Bombe platzen lassen.

Vermutlich war sämtliche Farbe aus Logans Gesicht gewichen, denn Clementine war zu ihm geeilt und hatte ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei.

„Nein“, hatte er gesagt. „Ist es nicht. Ich muss allein sein. Bitte geh jetzt.“

Trotz seines Schocks hatte sich ihm Clementines Gesichtsausdruck bis heute eingebrannt. Sie hatte verletzt gewirkt. Verwirrt. Doch es war ihm nicht möglich gewesen, sie zu trösten – das in Ordnung zu bringen, was er wenige Minuten zuvor ausgelöst hatte.

Dann hatte sie genickt, war schweigend zur Tür gegangen und hatte ihn allein gelassen.

Der Inhalt des Briefs war mit voller Wucht in sein Bewusstsein gedrungen – und hatte jeden weiteren Gedanken an Clementine verdrängt.

Sein gesamtes Leben basierte also auf einer Lüge. Er war kein Grainger. Sein vermeintlicher Vater war überhaupt nicht sein Vater. Die Menschen, die er am meisten geliebt hatte, hatten ihn belogen.

Und ein völlig Fremder hatte ihm die Wahrheit offenbart – ein Mann, der behauptete, sein leiblicher Vater zu sein.

Es musste die Wahrheit sein, entschied Logan in diesem Augenblick. Er ergriff die Hände seiner Neffen und ging mit ihnen über den Hof zum Haupthaus. Warum hätte Parsons lügen sollen? Auf dem Sterbebett dachte man sich keine Lügen aus. Auf dem Sterbebett sagte man die Wahrheit, um sein Herz zu erleichtern. Um in Frieden gehen zu können.

Aber zu wem macht mich das? brannte die Frage in Logans Herz.

Sollte er das nicht herausfinden? Er konnte den Brief schließlich nicht bis in alle Ewigkeit ignorieren. Den Brief und den kleinen goldenen Schlüssel, der sich im Umschlag befunden hatte. Im letzten Absatz des Briefs stand Folgendes geschrieben:

Ich hatte nie viel Geld. Aber seit dem Tag, an dem du geboren wurdest, habe ich jede Woche etwas von meinem Ersparten beiseitegelegt. Bis du achtzehn Jahre alt wurdest, habe ich jede Woche etwas in ein Postschließfach in Tuckerville gebracht. Achtzehn Jahre ist eine lange Zeit, aber ich habe keine Ahnung, wie viel sich in dem Fach befindet. Manchmal blieb am Ende der Woche nicht mehr übrig als fünf Dollar, manchmal waren es fünfzig. Doch ich habe nie eine Woche ausgelassen, kein einziges Mal. Ich will, dass du das weißt.

Aber Logan wollte es gar nicht wissen. Er wollte überhaupt nichts davon wissen.

Am folgenden Tag hatte er Clementine mitgeteilt, dass er sie nicht länger als Babysitterin brauchen würde. Und damit hatte er sie aus seinem Leben ausgeschlossen wie er jeden anderen aus seinem Leben ausgeschlossen hatte. Nicht, dass das noch besonders viele Menschen gewesen wären.

Seine Eltern waren vor beinahe zehn Jahren gestorben, und Logan war ohnehin immer ein Einzelgänger gewesen.

Trotzdem war er in den ersten Monaten nach seiner Heimkehr sehr warm und herzlich willkommen geheißen worden. Clementine, die er bis dahin nur als die bemerkenswert hübsche Kellnerin aus dem Hurley’s Homestyle Restaurant kannte, hatte eines Tages vor seiner Tür gestanden, um ihr Beileid für den Verlust seines Bruders auszudrücken.

Sie hatte einen riesigen Pappkarton voll von Speisen mitgebracht, alle hübsch portioniert und in etikettierten Behältern angerichtet, und obendrein so viele einzeln verpackte Kuchen und Pies zum Einfrieren, dass er fast ein Jahr lang davon zehren konnte.

Er hatte versucht, die ungeheure Anziehungskraft zu ignorieren, die von ihr ausging. Sie hatte von sich aus angeboten, auf die Jungs aufzupassen, und wenig später hatte er das Angebot dankbar angenommen, denn die Arbeit auf der Ranch verschlang beinahe seine gesamte Zeit.

Und da war sie, in seinem Haus, und zwangsläufig hatten sie sich näher kennengelernt. Den letzten misslichen Monat seiner Karriere als Rodeoreiter hatte er allerdings verschwiegen.

Clementine Hurley hatte in ihrem Leben bereits selbst eine Menge durchgemacht und war unglaublich verständnisvoll. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto größer wurde die Anziehung, und es hatte ihn selbst überrascht, wie lange er sich ihr gegenüber zurückzuhalten vermochte.

Bis er es nicht mehr konnte und sie geküsst hatte.

Aber das war jetzt vorbei. Logans Welt bestand aus seinen Neffen, seinem Land, seiner Herde und der überschaubaren Anzahl an Menschen, die mit den Jungs zu tun hatten, wie ihre Erzieherin im Kindergarten, der Kinderarzt und die Bibliothekarin. Und natürlich Miss Karen, eine großmütterliche Frau, die er als neue Babysitterin angestellt hatte.

Mit diesen Menschen ließ sich ausreichend Smalltalk halten, um nicht völlig den Bezug zur Welt zu verlieren und aus dem sozialen Netz herauszufallen. Ansonsten vergrub sich Logan in seine Einsamkeit, um sich zu sammeln und zu grübeln und um irgendeinen Sinn in dem Brief zu finden.

Falls es überhaupt einen Sinn darin gab.

Erst die Sache mit Bethany, dann der Tod seines Bruders und schließlich dieser Brief … Logan war am Ende. Er wünschte sich nichts sehnlicher als Ruhe.

Wer diese Ruhe ernsthaft in Gefahr brachte, war Clementine Hurley. Ihretwegen wünschte er sich Dinge, an die er gar nicht denken wollte. Sein Vertrauen in die Welt war grundlegend erschüttert.

Parsons Brief hatte alles infrage gestellt.

Wie konnten seine Eltern – seine liebevollen und so hart arbeitenden Eltern – ihm etwas so Wichtiges vorenthalten? Seine Herkunft, seine Anlagen – vielleicht sogar sein Schicksal – waren jetzt angreifbar.

Nicht der zu sein, für den man sich immer gehalten hatte, war eine zutiefst erschreckende Erfahrung.

„Ich wünschte, Clementine würde uns beim Schmücken helfen“, erklärte Henry und riss Logan damit aus seinen Gedanken. „Ich mag Miss Karen. Aber ich mag Clementine mehr.“

„Ich auch“, fügte Harry hinzu.

Logan unterdrückte ein Seufzen. Er fühlte sich schlecht dabei, den Jungs ihre geliebte Babysitterin vorzuenthalten. Das war nicht fair – vor allem, weil man ihnen ja bereits alles im Leben geraubt hatte.

Moment mal.

Logan fiel etwas ein. Aus seiner Hosentasche zog er einen Flyer, den er beinahe vergessen hatte.

An alle Kinder aus Blue Gulch im Alter von 2 bis 17 Jahren! Kommt zum Vorsprechen für die Weihnachtsaufführung. Wo? Im Gemeindehaus Blue Gulch. Wann? Mittwoch und Donnerstag 15.30 – 17.30 Uhr. Leiterin: Clementine Hurley

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr: 17.25 Uhr. Und heute war Donnerstag. Wenn er sich beeilte, könnten sie es noch rechtzeitig schaffen. Dann wären die Jungs Teil der Show und könnten Zeit mit ihrer geliebten Babysitterin verbringen, ohne dass sie Logans Haus betreten musste.

Diese Nähe war nur schwer auszuhalten – Clementine in seiner Küche, in seinem Wohnzimmer … und in seiner Vorstellung war es nur noch ein winziger Schritt zu Clementine in seinem Schlafzimmer.

Dazu würde es nicht kommen. Der Kuss gehörte der Vergangenheit an.

„Jungs, erinnert ihr euch an das Weihnachtstheaterstück, von dem ich euch erzählt habe?“, fragte er.

„Ja“, antworteten die beiden im Chor.

„Hättet ihr Lust mitzumachen? Dafür müsst ihr Jingle Bells singen – das Lied, das ich euch vorgespielt habe.“

Sofort begannen die Jungs zu singen, doch über Jingle Bells, Jingle Bells … kamen sie nicht hinaus.

Nun, sie waren drei Jahre alt. Clementine konnte ihnen den Text sicherlich beibringen.

Er würde die Kinder drei Mal in der Woche zu den Proben fahren, und damit war die Sache für ihn erledigt.

Logan fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Wenn man nicht wusste, wer man in Wirklichkeit war, und wenn sich herausstellte, dass man von seinen liebsten Menschen belogen worden war … Wie sollte man sich je wieder jemandem öffnen?

Er zumindest konnte es nicht.

2. KAPITEL

Clementine Hurleys Herz wurde schwer, als sie sah, wie der fünfjährigen Emma die Tränen in die Augen stiegen. „Ich kann’s nicht“, schluchzte die Kleine.

„Stimmt doch gar nicht“, tröstete Clementine. Sie sprang von ihrem Stuhl auf, eilte auf die Bühne und legte Emma den Arm um die Schultern. „Du hast das sehr gut gemacht. Die zweite Strophe ist gar nicht so einfach.“

Emmas große blaue Augen füllten sich mit neuer Hoffnung. „Also darf ich doch mitspielen?“

„Natürlich!“, versicherte Clementine. „Jedes Kind, das für die Weihnachtsaufführung vorspricht, bekommt eine Rolle.“ Sie berührte Emmas Nasenspitze mit dem Zeigefinger.

Das Mädchen strahlte. „Darf ich’s noch mal vorsingen?“

„Aber sicher.“ Clementine kehrte zu dem Klappstuhl zurück, den sie vor der Bühne im Gemeindehaus aufgestellt hatte. Ihr Blick fiel auf die verbliebenen vier Kinder, die noch darauf warteten, vorzusingen.

Seit gestern hatte Clementine etwa dreißig Kinder angehört, die versuchten, das Lied Jingle Bells zu singen. Als nächsten Schritt würde sie die Kinder in Gruppen einteilen.

Die Frau, die für gewöhnlich die Weihnachtsaufführung organisierte, hatte Clementine gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen, weil sie sich ganz der Pflege ihrer kranken Mutter verschrieben hatte.

Clementine hatte gerne zugesagt. Sie war in Blue Gulch als großartige Babysitterin bekannt und wurde dafür geschätzt, wie gut sie mit Kindern jeder Altersgruppe umgehen konnte.

Zum einen, weil sie selbst schon als Kind in der Weihnachtsaufführung mitgewirkt hatte und gerne bereit war, der Stadt etwas Engagement zurückzugeben.

Zum anderen, weil sie mit der Show so sehr beschäftigt sein würde, dass ihr keine Zeit blieb, über Logan Grainger nachzugrübeln.

Logan Grainger mit seinem dichten dunklen Haar und diesen blauen Augen, in denen man sich einfach verlieren konnte. Die liebevolle Art, wie er mit seinen verwaisten Neffen umging, hatte sie beinahe zum Weinen gebracht.

Sie hatte sich mit Haut und Haar in Logan Grainger verliebt, und als er sie endlich, endlich geküsst hatte, war ihr der Boden unter den Füßen entglitten. Nie im Leben glaubte sie so glücklich zu sein wie in diesem Augenblick.

Und fünfzehn Sekunden später war es vorbei – alles. Der Kuss, der Hoffnungsschimmer, die zarte Aussicht auf eine Möglichkeit. Und ihr Job als Babysitterin.

Der Grund dafür schien ein Brief zu sein. Ein Brief, der irgendetwas verändert hatte. Zumindest hatte er Logan verändert. Aus dem umgänglichen, freundlichen Mann, zwischen dem und ihr es wochenlang eindeutig geknistert hatte, war ein verschlossener Mensch geworden, der sich vollkommen zurückzog.

Sie hatte noch ein paar Mal versucht, mit ihm zu reden, hatte versucht, ihm etwas zu entlocken, aber er hatte sie völlig aus seinem Leben ausgeschlossen. Seither waren drei Monate vergangen.

„Jingle Bells, Jingle Bells, es ist wie ein Traum. Bald schon brennt das Lichtlein hell, bei uns am Weihnachtsbaum“, beendete Emma in diesem Moment die Strophe.

„Gut gemacht, Kleines!“ Clementine applaudierte. „Du darfst jetzt rüber zu Louisa gehen, sie wird dir das Textbuch geben.“

Louisa Perkins half Clementine dabei, die Show vorzubereiten. Sie engagierte sich auch für die Waisenkinder in dem Heim, in dem Emma wohnte. Alle sechs Waisenkinder aus Emmas Gruppe hatten vorgesungen.

Genau wie Clementine damals, noch bevor sie endgültig von Charlaine und Clinton Hurley adoptiert worden war.

Clementine bewunderte Louisa, die für die Waisenkinder so viel Zeit aufbrachte. Als Kind hatte Clementine sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Pflegeeltern gemacht – einige gute, andere nicht so gute. Daher machte es sie sehr glücklich zu wissen, dass Louisa sich als Pflegemutter beworben hatte.

Als Nächstes war ein zehnjähriges Mädchen an der Reihe. Sie sang die ersten beiden Strophen von Jingle Bells nahezu fehlerfrei, was Clementine sehr erleichterte. Nun hatte sie ihre Lila-Mae gefunden – die Hauptrolle der Show.

Die jährliche Aufführung bestand aus zehn Liedern und einem kurzen Theaterstück über die Gründung von Blue Gulch am Weihnachtsabend des Jahres 1885. Jeder Bewohner von Blue Gulch liebte die Show, auch wenn jeder sie bereits ein Dutzend Mal gesehen hatte.

Autor

Meg Maxwell
Melissa Senate hat viele Romane für Harlequin Enterprises und andere Verlage geschrieben, inklusive ihres ersten veröffentlichten Romans „See Jane Date“, der für das Fernsehen verfilmt wurde. Unter dem Pseudonym Meg Maxwell war sie auch Autorin von sieben in der Harlequin Special Edition-Reihe erschienenen Büchern. Ihre Romane werden in über fünfundzwanzig...
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