Ein Ball wie ein Traum

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Wie sehr sehnt sich Adrianna danach, endlich Mutter zu werden! Doch dafür bräuchte sie einen Mann, der eine Familie mit ihr gründen will. Da bittet sie ausgerechnet Tripp Randall, in den sie schon ewig unglücklich verliebt ist, ihn zum Galaball zu begleiten …


  • Erscheinungstag 12.04.2021
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506359
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Mit klopfendem Herzen beobachtete Adrianna Lee von der Tür aus die frischgebackenen Eltern, die sich liebevoll über ihr Neugeborenes beugten. Auch nach all den Jahren als Hebamme war das immer noch der schönste Lohn für ihre Arbeit.

Diesmal lag ihr die junge Familie besonders am Herzen, denn Betsy und Ryan waren Freunde von ihr. Wehmütig beobachtete sie, wie das Baby die winzigen Finger um den Zeigefinger des Vaters schlang. Sie wünschte sich so sehr, auch endlich Mutter zu werden – aber dafür brauchte sie erst mal einen Mann, der eine Familie mit ihr gründen wollte. Leider träumte sie nicht einfach von irgendeinem. Der Mann ihrer Träume hatte ein Gesicht und einen Namen: Tripp Randall. Und es gab ein kleines, aber nicht unerhebliches Problem: Er war nicht im Geringsten an ihr interessiert.

„Ich habe die guten Neuigkeiten gehört.“

Adrianna drehte sich um, als sie die tiefe Stimme hinter sich vernahm. Da stand er, der Mann, der ihr das Herz gestohlen hatte, als sie vierzehn war. Damals hatte er ihr geholfen, ein riesiges Bündel Zweige an den Straßenrand zu tragen. Er war auch mit siebzehn schon umwerfend attraktiv gewesen und hatte ihr mit einem einzigen Blick weiche Knie beschert. Nur war er leider damals der feste Freund der Nachbarstochter gewesen – und damit unerreichbar für Adrianna.

Heute war er der Klinikchef vom Krankenhaus in Jackson Hole, Witwer und immer noch ein schöner, aber aussichtsloser Traum.

Tripp stellte sich neben sie und fragte leise. „Wie ist es gelaufen?“

„Besonders gut“, erwiderte Adrianna stolz. „Der Kleine ist kerngesund, und Betsy musste sich nicht sehr anstrengen.“

„Glaub ihr kein Wort“, rief Betsy vom Bett her. „Es heißt nicht umsonst Wehen.“

„Ich hab mir ganz schöne Sorgen gemacht, obwohl Adrianna immer wieder meinte, alles liefe normal“, fügte Ryan hinzu.

Adrianna spürte, wie Tripp fast unmerklich zusammenzuckte. Er kannte die Risiken einer Schwangerschaft aus eigener Erfahrung, denn er hatte seine Frau Gayle und ihr ungeborenes Kind vor drei Jahren bei einer Frühgeburt verloren.

Sie hob die Hand, um sie tröstend auf seinen Arm zu legen, überlegte es sich aber im letzten Moment anders.

„Ich freue mich für euch beide“, sagte Tripp herzlich. Seine Stimme verriet nichts von den traurigen Erinnerungen, die ihn zweifellos in diesem Moment eingeholt hatten. „Habt ihr schon einen Namen ausgesucht?“

„Nathan“, erklärte Betsy strahlend.

„Nate Harcourt.“ Tripp ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. „Das ist ein guter Name für einen Rodeoreiter.“

Betsy warf ihrem Mann, der professioneller Rodeoreiter gewesen war, bevor er ihr zuliebe den gefährlichen Beruf aufgegeben hatte, einen entsetzten Blick zu.

„Keine Sorge, Liebes, da haben wir noch viel, viel Zeit“, sagte Ryan und streichelte seiner Frau beruhigend die Schulter, während er stirnrunzelnd zu Tripp hinüberblickte.

„Na komm“, sagte Adrianna und legte diesmal Tripp doch die Hand auf den Arm. „Lassen wir die beiden ein bisschen mit ihrem Sohn allein, bevor du seine Karriere planst.“

Tripp gratulierte den beiden noch hastig, dann zog ihn Adrianna auf den Flur und schloss die Tür hinter ihnen.

„Hey, wenn du mit mir allein sein willst, musst du nur fragen.“

Das schelmische Funkeln in seinen Augen brachte Adrianna zum Lächeln und ließ sie ihre Strafpredigt vergessen. Tripp hatte einen ansteckenden Humor, und dazu sah er auch noch umwerfend gut aus. Sein blondes Haar reichte ihm bis zum Kragen und war kunstvoll verwuschelt – eine ständige Einladung, die Finger darin zu vergraben. Sein Dreitagebart unterstrich sein jungenhaftes, etwas verwegenes Aussehen.

Wenn man Tripp im Wally’s sah, einer beliebten örtlichen Bar, wo er in Jeans und Cowboystiefeln vor einer Flasche Bier saß, konnte man sich kaum vorstellen, dass er der Chef einer Klinik mit einem Millionenbudget war. Doch seine Leistungen waren beeindruckend. Obwohl er die Position erst seit einem Jahr innehatte, fanden seine innovativen Ideen überall Anklang.

Sie waren erst ein paar Schritte den Flur hinuntergegangen, als eine Krankenschwester wegen einer Unterschrift auf sie zukam. Während Adrianna das Rezept unterschrieb, fiel ihr auf, wie die Schwester mit Tripp flirtete.

„Wir sehen Sie nicht oft auf der Wöchnerinnen-Station, Mr Randall“, flötete die frisch geschiedene junge Frau mit gekonntem Augenaufschlag.

Offenbar hatte sie es auf Tripp abgesehen. Adrianna verstand sie nur zu gut. Tripp trug den cremefarbenen Armani-Anzug, der ihr so gut gefiel, und die blaue Krawatte, die seine ebenfalls blauen Augen leuchten ließ. Und er roch wunderbar. Schon allein der würzige Duft seines Aftershaves konnte eine Frau schwach werden lassen.

„Was führt Sie denn heute her?“ Die Schwester hatte es offenbar nicht eilig, zu ihren Patienten zurückzukehren.

„Freunde von mir sind Eltern geworden.“ Er warf Adrianna einen langen Blick zu. „Und ich wollte Ms Lee ein Angebot machen.“

Die Schwester wirkte enttäuscht, doch das schien Tripp gar nicht aufzufallen.

„Nun ja, wenn ich mal irgendwas für Sie tun kann, melden Sie sich einfach“, sagte sie.

Ihre Stimme hatte einen eindeutig zweideutigen Unterton, doch Tripp lächelte nur unverbindlich. Als die Kollegin von der Wöchnerinnen-Station von einer weiteren Krankenschwester herbeigewinkt wurde, nahm sie sich dennoch die Zeit für ein strahlendes Lächeln, bevor sie mit schwingenden Hüften davonging.

Adrianna bekämpfte ihren akuten Anflug von Eifersucht. Sie wartete, bis die andere außer Hörweite war und ließ dann ihren Ärger an Tripp aus.

Angebot? Ist dir kein unverfänglicheres Wort eingefallen? Jetzt denkt die Schwester wahrscheinlich, du willst mit mir schlafen.“

Überrascht blickte Tripp sie an, und Adrianna unterdrückte ein Stöhnen. Wenn das keine Freudsche Fehlleistung gewesen war!

„Ach was.“ Tripp wedelte wegwerfend mit der Hand. „Jeder weiß doch, dass wir nur Freunde sind.”

Bevor sie etwas sagen konnte, summte ihr Pager. Sie schaute aufs Display, das anzeigte, dass bei einer ihrer Patientinnen die Wehen eingesetzt hatten.

„Dann schieß mal los mit deinem Angebot, ich muss gleich weiter.“

„Am Samstag ist die Spendengala des Krankenhauses im Spring Gulch Country Club“, erklärte Tripp, als wüsste sie das nicht selbst. „Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn wir zusammen hingehen.“

„Du fragst mich, ob ich mit dir zum Ball gehe? Warum?“

Adrianna gab sich keine Mühe, um den heißen Brei herumzureden. Seit seiner Rückkehr nach Jackson Hole hatten sie diese Diskussion in der einen oder anderen Form schon zu oft geführt.

Obwohl ihnen beiden die seltsame Anziehungskraft zwischen ihnen bewusst war, hatte er mehr als einmal klargestellt, dass er sie nur als gute Freundin sah. Beim letzten Mal hatte sie aus reinem Selbstschutz gelogen und ihm gesagt, ihr ginge es ebenso.

„Na ja, ich muss dort sein, und du solltest dich auch blicken lassen. Da können wir doch gleich zusammen hingehen.“

Faktisch stimmte das. Aber es gab jede Menge anderer Frauen, die für eine solche Einladung gemordet hätten.

„Warum ich?“, fragte sie, ehrlich erstaunt. „Warum gehst du nicht mit jemandem hin, mit dem es ein Date sein könnte?“

Allein die Worte auszusprechen, war eine Qual. Sie könnten ein Traumpaar sein … wenn er ihr nur eine Chance geben würde!

„Du bist eine schöne Frau“, erklärte Tripp eilig, als sie sich wieder in Bewegung setzte. „Jeder Mann wäre stolz darauf, dich an seiner Seite zu haben.“

Adrianna blieb stehen und stemmte die Hände in die Seite. „Das beantwortet aber meine Frage nicht.“

Diesmal redete er nicht drum herum. „Mit dir gibt es keine enttäuschten Erwartungen. Ich kann mich um die Spender kümmern, ohne mir Sorgen zu machen, dass ich dich vernachlässige. Umgekehrt genauso. Und wir haben doch immer Spaß zusammen, oder?“

Widerwillig nickte sie. Ja, sie hatten immer Spaß. Und sie war sehr gerne mit ihm zusammen. Aber diese reine Freundschaft reichte ihr nicht mehr. In ein paar Wochen wurde sie dreißig. Und sie hatte immer gehofft, dass sie in dem Alter einen Ehemann und ein paar Kinder haben würde.

Wenn sie sich allerdings weiter mit Tripp Randall abgab, würde daraus nie etwas werden. Sie musste ihm absagen. Schließlich würde auch eine Menge alleinstehende Männer den Ball besuchen. Es war also unklug, dort mit Tripp aufzutauchen. Es sei denn …

„Na gut“, sagte sie und hielt kurz den Atem an, als er ihr ein strahlendes Lächeln schenkte. „Unter einer Bedingung.“

Er nahm ihre Hand und küsste den Handrücken. „Was immer du möchtest.“

Sie ignorierte das warme Kribbeln, das ihren Arm hinaufschoss, und blickte ihm lächelnd in die Augen. „Du musst mir versprechen, dich allen deinen Freunden vorzustellen, die Singles sind.“

Tripp fuhr sich mit dem Finger unter dem gestärkten Kragen entlang, der ihm die Luft abschnürte. Warum konnte das Krankenhaus keine Spendengala abhalten, auf der man in Jeans und Stiefeln auftauchen konnte statt im Smoking?

Halt durch, sagte er sich, und konzentrierte sich wieder auf den Monolog des grauhaarigen älteren Herren, der ihm seit einer Viertelstunde von den Erfolgen seiner Herefordrinderzucht erzählte.

„Glaub mir, dieser Bulle wird …“, fuhr der Rancher fort.

„Ich denke, Tripp kann sich denken, wie der Bulle sich macht“, unterbrach ihn seine Frau und schenkte ihm einen mitfühlenden Blick. „Lass den armen Jungen mal wieder aus deinen Fängen, damit er sich um sein Mädchen kümmern kann.“ Sie deutete auf eine Gruppe von Freunden in der Nähe und zog ihren Mann mit sich fort.

Tripp nahm sich ein Glas Wein vom Tablett eines Kellners und blickte sich im großen Ballsaal des Country Clubs um. Der Raum bot mit seinen Kronleuchtern aus Hirschgeweihen und dem gemauerten Kamin ein rustikales Ambiente. Die Tanzfläche war von Blumenbuketts in Bodenvasen umgeben. Die meisten der festlich gekleideten Gäste kannte Tripp schon von klein auf.

Sein Blick fiel auf seine Eltern auf der Tanzfläche, und seine Mutter lächelte ihm herzlich zu. Es war gut, wieder zu Hause zu sein. Dass sein Vater, der früher den ganzen Tag auf dem Pferderücken zugebracht hatte, jetzt nur noch einige langsame Tanzschritte schaffte, war eine Sache. Dass er überhaupt noch unter ihnen weilte, erfüllte Tripp mit Dankbarkeit. Er bereute es nicht, dass er so lange an der Ostküste studiert hatte – aber er hätte viel früher nach Hause zurückkehren sollen.

So langsam wurde es Zeit, dass er der Tanzfläche auch mal einen Besuch abstattete. Es waren viele alleinstehende Ladies hier, doch der erste Tanz gehörte der Frau, mit der er gekommen war. Adrianna stand am Rand der Tanzfläche und unterhielt sich mit einer Ärztin.

„Sie haben einen Kennerblick“, sagte ein Mann neben ihm. „Sie ist das hübscheste Fohlen im Stall.“

Überrascht drehte Tripp sich um. Den Mann, der mit einem Whiskyglas neben ihm stand, kannte er nicht, obwohl er mit Mitte dreißig in seinem Alter war. Er konnte also nicht aus Jackson Hole stammen. Er war groß, gut gebaut und hatte das selbstbewusste Auftreten von jemandem, der es gewohnt ist, Befehle zu geben. Das dunkle Haar trug er in einem stylischen Kurzhaarschnitt, eine teure Rolex am Handgelenk. Das Auffallendste an ihm waren jedoch die stahlgrauen Augen.

Tripp streckte ihm die Hand hin. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Tripp Randall, der Leiter der örtlichen Klinik.“

Der Fremde erwiderte den kräftigen Händedruck. „Winston Ferris.“ Sein Lächeln ließ strahlend weiße Zähne sehen. „Nennen Sie mich Winn.”

„Sind Sie neu in Jackson Hole?“

„Ja.“ Winn blickte wieder zur Tanzfläche. „Mein Vater ist seit zwei Jahren hier.“

Jim Ferris. Er gehörte erst seit einigen Jahren zu den Kuratoren der Klinik und hatte sich laut Tripps Vater seiner Einstellung als Klinikchef am meisten entgegengestemmt.

„Und, wollen Sie länger hier bleiben?“, fragte er Winn.

„Das weiß ich noch nicht.“ In Winns Augen trat ein lustvolles Glitzern. „Aber wenn sie dort mit mir in die Kiste steigt, würde ich drüber nachdenken.“

Tripp folgte seinem Blick. Neben der Tanzfläche stand jetzt eine Gruppe Frauen lachend zusammen. Winns Interesse hätte jeder der Schönheiten gelten können, doch Tripp wusste instinktiv, welches „Fohlen“ er meinte.

Als er vorher Adrianna abgeholt hatte, waren ihm bei ihrem Anblick sofort tausend Dinge eingefallen, die er lieber gemacht hätte, als auf einen Wohltätigkeitsball zu gehen. Dinge, über die er in Zusammenhang mit einer Frau, die nur eine gute Freundin war, nicht nachdenken sollte. Zumal sie auch eine gute Freundin seiner verstorbenen Frau gewesen war.

Selbst wenn Tripp wieder bereit gewesen wäre, mit einer Frau etwas anzufangen – Adrianna kam dafür auf keinen Fall in Frage. Sie erinnerte ihn viel zu sehr an seine Vergangenheit.

Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass eine gewisse Anziehungskraft zwischen ihnen bestand. Als er sie heute Abend abgeholt hatte, war unbändiges Verlangen in ihm aufgestiegen. Am liebsten hätte er sie in die Arme gezogen und sie geküsst. Oder die Haarnadeln aus ihrer Hochsteckfrisur gezogen und die Hände in ihren seidigen Strähnen vergraben. Hätte ihr die schmalen Träger des verführerischen Kleides von den Schultern gestreift und zugesehen, wie es langsam zu Boden glitt …

„Wer ist sie?“

Winns Frage riss ihn aus seinen Fantasien. Eigentlich hätte er darüber erleichtert sein sollen, schließlich waren diese Gedanken in Zusammenhang mit Adrianna völlig unangebracht. Aber die Hartnäckigkeit des Fremden ärgerte ihn.

„Welche?“, fragte er gespielt gelangweilt.

„Die heiße Brünette. Die dieser brasilianischen Schauspielerin so ähnlich sieht.“

Gespielt gelassen trank Tripp einen Schluck Wein. „Adrianna Lee. Sie ist Hebamme an der Klinik.“

„Ist sie verheiratet?“

Der lüsterne Blick, mit dem Winn Adrianna geradezu auszog, gefiel Tripp ganz und gar nicht. Aber es nützte nichts, ihn anzulügen. Winn konnte die Wahrheit schnell selbst herausfinden.

„Nein“, antwortete er widerwillig.

„Das könnte eine interessante Nacht werden“, sagte Winn selbstgefällig lächelnd. „Eine Frage noch: Wissen Sie, ob Sie mit jemandem liiert ist?“

Tripp dachte an das Versprechen, dass er Adrianna gegeben hatte. Doch Winn war ein neuer Bekannter, kein Freund. Und selbst wenn er einer gewesen wäre – Adrianna hatte was Besseres verdient als einen Mann, der sie mit einem Pferd verglich.

„Ist sie mit jemandem liiert?“, wiederholte Winn. Seine grauen Augen glitzerten erwartungsfroh.

Tripp lächelte ihn freundlich an. „Allerdings“, erwiderte er. „Sie ist mit mir hier.“

2. KAPITEL

Adrianna spürte, dass Tripps Blick auf ihr ruhte, obwohl er fast am anderen Ende des Raums stand. Es war ihr „Tripp-Radar“, wie sie es nannte, wenn sie mit ihren Freundinnen sprach.

„Kennst du den Typen, mit dem Tripp sich unterhält?“, fragte sie Lexi Delacourt, mit der sie am Rand der Tanzfläche stand.

„Nein, leider nicht. Dabei sieht er verflixt gut aus. Oh, sie kommen in unsere Richtung.“

Die beiden Männer, Tripp groß und blond, der Fremde groß und dunkelhaarig, bahnten sich einen Weg durch die Menge. Und obwohl Tripps Bekannter tatsächlich sehr attraktiv war, ließ er Adrianna völlig kalt.

Was man von Tripp nicht sagen konnte. Als sie ihn heute in seinem schwarzen Smoking gesehen hatte, hatte sie mindestens ebenso starkes Herzklopfen gehabt wie am Abend des Schulabschlussballs. Leider hatte er damals Gayle aus dem Nachbarhaus zum Ball abgeholt, während Adrianna sich mit einer Packung Schokoladeneis auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte. Seitdem hatte sie Tripp nie wieder so festlich gekleidet gesehen.

„Hallo, die Damen.“ Überraschenderweise küsste Tripp Adrianna nicht nur auf die Wange, sondern legte ihr auch den Arm um die Schultern. „Ich hoffe, wir stören nicht?“

Angesichts seiner unerwarteten Geste fehlten Adrianna die Worte, doch Lexi winkte lässig ab. „Nein, wir haben uns nur gerade über den Buchclub unterhalten. Nichts Wichtiges“, improvisierte sie.

Der Dunkelhaarige hob eine Augenbraue. „Was lesen Sie denn gerade?“

Der Wolkenatlas von …“

„David Mitchell“, ergänzte der Fremde für sie. „Ein Roman, der es schafft, sowohl kunstvoll als auch unterhaltsam zu sein.“

Lexi warf Adrianna einen Blick zu. „Deshalb hast du das Buch doch vorgeschlagen.“

„Ihnen hat es also auch gefallen?“ Der Fremde ließ seinen stahlgrauen Blick auf Adrianna ruhen.

„Ja, kann man so sagen.“ Lexi hatte recht, der Mann sah wirklich umwerfend aus. Und er strahlte ein angenehmes Selbstvertrauen aus. Trotzdem regte sich in ihr rein gar nichts.

Gib ihm eine Chance, sagte sie sich selbst. Manchmal braucht es eben ein bisschen Zeit, bis der Funke überspringt.

„Ich glaube, wir kennen uns noch nicht“, sagte Lexi höflich, als Tripp keinerlei Anstalten machte, sie einander vorzustellen. „Ich bin Lexi Delacourt, und das ist meine Freundin Adrianna Lee.“

„Winston Ferris.“ Der Mann streckte ihr die Hand hin. „Bitte nennen Sie mich Winn. Winston ist viel zu steif.“

„Und, ist Ihre Frau heute auch hier?“, fragte Lexi. Sie tat es offenbar für Adrianna, denn sie selbst war glücklich verheiratet.

„Ich bin ledig“, erwiderte Winn lächelnd. „Und zur Zeit auch nicht liiert.“

Zufrieden warf Lexi Adrianna einen vielsagenden Blick zu, den die so gut es ging ignorierte.

„Ferris?“, hakte Lexi nach. „Sind Sie vielleicht mit Jim verwandt?“

„Er ist mein Vater.“ Obwohl Winn mit Lexi sprach, ließ er die Augen nicht von Adrianna.

„Mein Mann war ein paarmal mit ihm golfen.“ Lexi trank einen Schluck Wein. „Offenbar ist er beim Putten unschlagbar.“

Winn lächelte nur und wandte sich an Adrianna. „Und Sie? Haben Sie einen Ehemann? Oder einen Freund?“

Wahrscheinlich hätte sie geschmeichelt sein sollen, dass dieser Mann an ihr interessiert war, doch seine direkte Art kam bei ihr nicht gut an. Außerdem war es nicht gerade gentlemanlike, sie so unverhohlen anzumachen, wo sie doch mit jemand anderem hier war. Es sei denn, Tripp hatte ihm gesagt, dass sie nur gute Freunde waren.

Sie warf Tripp einen Seitenblick zu.

„Ich habe doch gesagt, dass Adrianna mit mir hier ist“, erklärte der prompt. Adrianna traute ihren Ohren kaum. Nicht nur wegen des warnenden Untertons in seiner Stimme. Auch die Wortwahl war sehr zweideutig. Es klang, als wären sie tatsächlich ein Paar.

„Richtig.“ Winns Lachen klang ein wenig affektiert. „Wie konnte ich das vergessen?“

Tripp wandte sich Adrianna zu. „Wir sollten endlich mal tanzen.“ Er ließ den Arm von ihrer Schulter gleiten und nahm ihre Hand. Bevor er die Finger mit ihren verschränkte, streichelte er mit dem Daumen ihre Handfläche.

Adrianna bekam weiche Knie, als Tripp sie anlächelte. In seinen Augen stand eine Wärme – fast schon ein Feuer – das sie vorher noch nie gesehen hatte.

„Ja, ich würde sehr gern tanzen“, murmelte sie. Als sie sich nervös über die Lippen leckte, flackerte die Flamme in Tripps Augen höher.

„Schön, Sie kennengelernt zu haben“, rief sie über die Schulter, als Tripp sie zur Tanzfläche führte.

Dort zog er sie eng an sich. Sie passten perfekt zueinander. Trotz ihrer hohen Absätze war sie noch einen Kopf kleiner und konnte sich an den richtigen Stellen an ihn schmiegen. Wie es wohl wäre, wenn sie miteinander schliefen? Würden sie sich da auch so gut ergänzen? Sie verdrängte den Gedanken energisch. Dazu würde es nie kommen.

Andererseits hätte sie auch nie damit gerechnet, dass er mal ihre Hand halten würde. Oder sie auf die Wange küssen.

Als die Band eine langsame Version von „Embraceable You“ anstimmte, ein Lieblingslied ihrer Eltern, überkam sie Melancholie. Sie war neunzehn gewesen und aufs College gegangen, als ihre Eltern gestorben waren – an einer Kohlenmonoxidvergiftung, hervorgerufen durch einen blockierten Kaminabzug.

Adrianna hob den Kopf und blickte zu Tripp auf. „Weißt du, dass Gayle die Erste war, die mir nach dem Tod meiner Eltern ihr Beileid ausgesprochen hat?“

Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“

„Meine Eltern haben diesen Song geliebt.“ Sie seufzte ein wenig wehmütig. „Immer wenn er im Radio lief, haben sie alles stehen- und liegen lassen und dazu getanzt.“

Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sie noch immer vor sich sehen.

„Sie waren fünfzehn Jahre verheiratet und hatten die Hoffnung auf Kinder schon aufgegeben, als sie mich bekamen. Das war sicherlich eine Umstellung für sie, aber ich hatte eine wunderbare Kindheit.“

Ihre Probleme hatten erst nach ihrem Tod angefangen, auf dem College. Sie war so einsam gewesen, so naiv, dass sie den Lügen eines gut aussehenden Mannes geglaubt hatte. Dann war ihre Welt zusammengebrochen, und sie hatte niemanden mehr gehabt, nicht einmal mehr Freunde …

Seufzend legte sie den Kopf wieder an Tripps Brust und versuchte, die düsteren Gedanken zu verdrängen.

„Hattest du bisher einen schönen Abend?“, fragte er.

„Ja, es war ganz lustig.“ Als sie wieder aufblickte, zuckte sie leicht zusammen. Seine Lippen waren direkt vor ihren. Wenn sie sich ein klein wenig nach vorn beugte, würden sie sich küssen. Ein richtiger Kuss.

Ihr Herzschlag geriet ins Stottern. Auf einmal hörte sie die Musik nicht mehr.

Hatte sie je die winzigen goldenen Pünktchen in seinen blauen Augen bemerkt? Oder die ganz zarten Sommersprossen auf seinem Nasenrücken?

Tripps Augen wurden eine Spur dunkler. Seine Lippen näherten sich ihren. Voller Vorfreude hielt Adrianna den Atem an. Gleich …

„Ihr beide scheint euch gut zu amüsieren.“

Tripp blieb so unvermittelt stehen, dass Adrianna stolperte.

Autor

Cindy Kirk
<p>Solange sie denken kann, liebt Cindy Kirk das Lesen. Schon als kleines Mädchen in der ersten Klasse hat sie einen Preis dafür gewonnen, hundert Bücher gelesen zu haben! 1999 war es so weit: Ihr erster eigener Roman erschien bei Harlequin. Seitdem muss die Autorin ihr Lieblingshobby Lesen damit unter einen...
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