Julia Weekend Band 125

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VERLIEBT IM WINTERPARADIES von CATHY WILLIAMS

 Es sind Tage voller Liebesglück, die Miranda nach einem Skiunfall mit dem vermeintlich mittellosen Luke in seiner Blockhütte verbringt. Als er sie dann auch noch bittet, den Umbau eines Chalets zu planen, will sich Miranda endlich in ihrem Job beweisen – bis sie erfährt, wer Luke wirklich ist … 

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  • Erscheinungstag 23.11.2024
  • Bandnummer 125
  • ISBN / Artikelnummer 0838240125
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Cathy Williams

1. KAPITEL

Miranda blieb stehen und blickte sich um. Das war ein Fehler. Panik stieg in ihr auf. Wo war sie? Welche Richtung sollte sie jetzt einschlagen? Wie lange irrte sie schon in dieser weißen Wüste umher? Es war ihr zwar gelungen, der Lawine auszuweichen, doch um welchen Preis? Nun steckte sie in einem Schneesturm fest und hatte die Orientierung verloren. Zu allem Überfluss wurde es langsam dunkel, und die eigentlich wunderschöne Landschaft wirkte zunehmend feindlicher.

Nein! ermahnte Miranda sich energisch. Sie durfte nicht aufgeben. Immerhin war sie eine versierte Skiläuferin. Schon im zarten Alter von drei hatte sie das erste Mal auf den Brettern gestanden. Das war jetzt zweiundzwanzig Jahre her. So leicht ließ sie sich nicht unterkriegen! Sie machte sich wieder auf den Weg. Der Schnee peitschte ihr ins Gesicht, und sie konnte trotz Brille kaum etwas erkennen. Hoffentlich fuhr sie nicht im Kreis oder entfernte sich immer weiter von …

Stopp! Daran durfte sie nicht einmal denken. Energisch blickte sie sich um. Nur wenige Meter entfernt entdeckte sie einige Tannen, die in diesem jungfräulich weißen Gelände wenigstens etwas Schutz boten. Langsam bewegte sie sich auf die Bäume zu. Es wurde immer dunkler. Bald würde sie nichts mehr sehen können.

Erschöpft lehnte sie sich gleich darauf an einen großen Stamm. Sie war allein und würde bald ein Rendezvous mit dem Tod haben – darüber machte sie sich keine Illusionen. Und warum das alles? Nur weil Freddie, ihr so genannter Freund, seine Hormone nicht unter Kontrolle gehabt hatte! Es hatte nicht lange gedauert, und er war den Reizen einer achtzehnjährigen Italienerin erlegen, die eigentlich ihrem Chalet als Zimmermädchen zugeteilt war. Wie konnte er es wagen, ihr, Miranda, so etwas anzutun!

Miranda machte die Augen zu und zählte langsam bis zehn. Ruhig bleiben, das war hier die Devise. Das war allerdings leichter gesagt als getan. Wie lange konnte sie bei diesen unwirtlichen Temperaturen in der Dunkelheit überleben? Sie trug einen Skianzug und wasserdichte, dicke Handschuhe. Eigentlich die ideale Kleidung – wenn sie nicht in dieser Einöde gestrandet wäre. Was war, wenn sie hier übernachten musste? Die Tannen schirmten sie nur begrenzt ab. Bald würde die Kälte erbarmungslos das Material ihres Anzugs durchdringen. Was dann?

Miranda stöhnte leise. Es war zwecklos. Sie hatte sich hoffnungslos verirrt. Das Chalet war so weit entfernt wie der Mond. Sie würde nie wieder zurückfinden. Ob Freddie oder irgendjemand von den anderen fünfzehn Skiläufern, mit denen sie hergekommen war, sie überhaupt vermisste? Wahrscheinlich nicht. Sie waren bestimmt gerade dabei, die erste Flasche Champagner zu öffnen und sich zu überlegen, was es zum Abendessen geben sollte. Selbst wenn ihr Verschwinden wider Erwarten auffallen sollte, hatte ihr Exfreund sich bestimmt schon eine Geschichte zurechtgelegt, in der er unschuldig war wie ein Lamm. Was konnte er dafür, dass seine Freundin so eifersüchtig war! Er hatte sich jedenfalls nichts vorzuwerfen … Miranda konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihn alle bedauerten. Nein, von dieser Seite konnte sie keine Hilfe erwarten. Die anderen dachten vermutlich, dass sie ins Hotel gezogen war, um Abstand zu gewinnen. Woher sollten sie denn auch wissen, in welcher verzweifelten Lage sie sich befand?

Erneut blickte Miranda sich um. Das Schneetreiben war so heftig, sie konnte kaum noch etwas erkennen. Aber Moment mal, was war das dahinten? Es sah aus wie ein kleines Wäldchen. Vielleicht war das ihre Chance. Dort war sie besser vor den kalten Temperaturen geschützt, wenn sie die Nacht in dieser weißen Hölle verbringen musste – und das war mehr als wahrscheinlich. Sie überprüfte die Bindungen und machte sich auf den Weg. Vorsichtig glitt sie einen steilen Abhang hinunter. Jetzt bloß keinen Fehler machen! Die Rettung wartete dort hinten, unter den Bäumen. Also los!

Die weiße, unendlich erscheinende Landschaft war inzwischen in fast völlige Dunkelheit getaucht. Hätte sie, Miranda, sich nicht so auf ihr Ziel konzentriert, hätte sie wahrscheinlich den Stumpf bemerkt, der vor ihr lag. So stürzte sie jedoch und rollte hilflos die Böschung hinunter. Ihr rechter Ski löste sich automatisch und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Als sie schließlich unten ankam und mühsam aufstand, durchzuckte sie ein stechender Schmerz. Sie hatte sich das Knie verdreht. Vielleicht war sogar etwas gerissen.

Das war’s dann wohl! Trotzdem kam Aufgeben nicht infrage. Es waren nur noch einige Meter. Das schaffe ich, dachte sie und unterdrückte die Panik, die in ihr aufstieg. Sie benutzte die Stöcke als Krücken und humpelte zum kleinen Wäldchen.

Es war wenigstens nicht umsonst gewesen! Die dichten Bäume boten Schutz vor dem Schneesturm. Erleichtert blieb Miranda stehen und blickte sich um. Was war das dort hinten? Es sah aus wie ein flackerndes Licht. Müde machte sie die Augen zu. Wie gern hätte sie sich einfach hingelegt und geschlafen! Ich muss mich bewegen, dachte sie, sonst bin ich verloren. Sie war aber so müde … Egal! Sie nahm alle Kraft zusammen und bewegte sich im Schneckentempo auf das Licht zu. Hoffentlich war es keine Fata Morgana!

Wenn sie das hier überstand und wieder gesund nach Hause zurückkam, würde sie ihr Leben von Grund auf ändern. Es gab viel wichtigere Dinge als die rastlose Suche nach der besten Party und dem größten Kick. Sie wollte sich nicht länger von ihrem wohlhabenden Dad aushalten lassen, der ihr seit dem Tod ihrer Mutter jeden Wunsch von den Augen ablas und großzügig das Scheckbuch zückte, ohne zu fragen. Und was die Männer anging – von ihnen war sie gründlich kuriert. Kein Freddie und keine reichen, verwöhnten Söhne mehr, für die das Wort Arbeit nicht existierte.

Das Licht war jetzt deutlich zu sehen. Vorsichtig humpelte Miranda weiter. Die Bäume kamen ihr vor wie schwarze, bedrohliche Türme, und sie blickte starr geradeaus. Gleich darauf hatte sie es geschafft. Sie betrat eine Lichtung und konnte jetzt auch erkennen, woher der helle Schein kam, dem sie gefolgt war. Erleichtert atmete sie auf. Es war ein kleines Chalet. Die Gardinen waren zugezogen, aber es war deutlich zu erkennen, dass dort jemand wohnte. Sie war gerettet! Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie begann zu schluchzen. Mühsam schleppte sie sich weiter und erreichte schließlich die Tür. Nachdem sie einmal laut geklopft hatte, sank sie zu Boden.

So sah sie von ihrem Retter zuerst nur die Füße, oder besser gesagt, seine ziemlich abgetragenen braunen Halbschuhe. Seine Stimme kam von weit her. Sie war tief und klang vertrauenerweckend. Miranda hätte gern sein Gesicht betrachtet, doch sie hatte keine Kraft mehr. Seufzend schloss sie die Augen und ließ es zu, dass er sie hochhob und ins Haus trug.

Die Wärme tat so gut! Träumte sie vielleicht? Würde sie gleich aufwachen und feststellen, dass sie unter einem Baum saß und verzweifelt versuchte, der Kälte und dem Schneesturm zu trotzen? Egal! Damit konnte sie sich später befassen. Jetzt war alles in Ordnung, und nur das zählte. Miranda merkte, wie sie sanft auf ein breites, bequemes Sofa gelegt wurde – oder war es ein Bett? Gut, dann konnte sie jetzt endlich schlafen …

„Wer sind Sie, und was, zum Teufel, haben Sie hier zu suchen?“

Sie zuckte zusammen. Seine Stimme klang wütend. Warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Mühsam blickte Miranda auf. Ihr Retter hatte markante Gesichtszüge, faszinierende blaue Augen – und er sprach mit einem englischen Akzent. Er betrachtete sie misstrauisch, als wäre sie ein Eindringling, den er am liebsten wieder hinaus in den Schnee befördert hätte.

Mr. Unbekannt trug verwaschene, weite Jeans und ein T-Shirt mit weißen Streifen, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Das war allerdings nicht wichtig. Was zählte, war, dass dieser Mann nicht gerade begeistert darüber war, sie vor der Haustür gefunden zu haben. Warum nur? Miranda vergaß den Schmerz und funkelte ihn böse an. Wie konnte er es wagen, so unhöflich zu sein? Normalerweise reagierten die Männer ganz anders, wenn sie sie erblickten! Na gut, im Moment sah sie vielleicht nicht gerade präsentabel aus, aber trotzdem … Für wen hielt er sich eigentlich? Sie brauchte Hilfe, und er …

„Bekomme ich heute vielleicht noch eine Antwort?“

Jetzt reichte es! Miranda setzte sich auf und stöhnte leise, als sich dabei ihr Knie meldete. „Au! Mein Bein tut weh.“

Zuerst dachte sie, ihrem Retter wäre es völlig egal, doch da hatte sie sich geirrt. Er nahm die Hände aus den Taschen, streifte ihr vorsichtig die Skistiefel ab und betrachtete dann die Schwellung.

„Was ist passiert?“ Kopfschüttelnd untersuchte er die schmerzende Stelle. Seine Finger waren angenehm kühl und geschickt.

Erleichtert ließ Miranda sich zurücksinken. Wenigstens betrachtete er sie jetzt nicht mehr so durchdringend und verlangte Antworten von ihr!

„Ich bin Ski gefahren und gestürzt“, flüsterte sie.

Der Mann fluchte leise.

„Es tut mir leid.“ Sie wusste selbst nicht, warum sie sich entschuldigte.

„Bleiben Sie liegen. Ich bin gleich wieder da.“

Miranda beobachtete, wie er hinausging, und fühlte sich gleich besser. Was war los mit ihr? Normalerweise ließ sie sich von Männern nicht einschüchtern. Mr. Unbekannt war der Erste, dem dieses Meisterstück gelungen war. Typisch für mich, dachte sie entnervt. Gerade jetzt, da sie sich nicht wehren konnte, musste ihr so etwas passieren! Wo war er wohl hingegangen? Holte er Hilfe oder einfach nur eine Karte, um ihr den Weg zur nächsten Hütte zu zeigen, damit sie keinen Grund hatte, länger hier zu bleiben?

„Es ist nichts gebrochen.“ Ihr Retter tauchte plötzlich wieder auf. Er hielt einen Erste-Hilfe-Kasten in der Hand. „Es handelt sich um eine böse Verstauchung. Wie lange sind Sie mit der Verletzung unterwegs gewesen?“

„Ungefähr eine halbe Stunde.“ Sie runzelte die Stirn. „Glaube ich jedenfalls. Hören Sie … Sie müssen das nicht tun“, sagte sie schnell, als er die Box öffnete und nach einem passenden Verband suchte, „ich kann das selbst.“

Der Mann lachte spöttisch. „Ach ja? Genauso gut, wie Sie unfallfrei Ski fahren? Ihr verdammten Anfänger wisst doch gar nicht, was ihr tut! Warum bleibt ihr nicht auf den Idiotenhügeln, anstatt in der Gegend herumzukurven und die gefährlichsten Abfahrten zu suchen?“ Er öffnete die Verpackung, nahm die Bandage heraus und begann, ihr Knie zu verarzten.

„Sie irren sich“, antwortete sie kühl. „Ich bin eine sehr gute Skiläuferin.“

Der Mann betrachtete sie ungläubig und kümmerte sich dann wieder schweigend um ihre Verletzung. Miranda war es recht. Was war los mit ihm? Seine Manieren ließen mehr als zu wünschen übrig, er war ein richtiges Ekel. Unhöflich, arrogant … Normalerweise hätte sie ihm schon lange die Meinung gesagt, aber sie war ihm hilflos ausgeliefert. Im Moment jedenfalls. Vielleicht hatte er ja ein Telefon. Ein Anruf bei ihrem Dad genügte, und dieser würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie hier herauszuholen. Bis dahin musste sie sich mit ihrem Retter arrangieren. „Sind Sie sicher, dass es nur eine Verstauchung ist?“

Er betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. „Ja.“

„Woher wollen Sie das wissen? Haben Sie zufällig Medizin studiert?“

„Nein. Das brauche ich auch nicht.“

Es war unglaublich! „Nicht? Wer und was sind Sie dann?“

Der Mann dachte nicht daran zu antworten. Geschickt befestigte er den Verband und stand danach auf. Er wandte sich ab, ging zum Kamin, in dem ein helles Feuer loderte, und setzte sich auf einen davor stehenden Stuhl.

Dieser Mann konnte einen zur Weißglut treiben! Miranda nahm die Mütze ab und schüttelte ihr langes blondes Haar aus. „Wollen Sie mir nicht wenigstens Ihren Namen verraten?“

„Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Sie befinden sich in meinem Haus, und ich stelle hier die Fragen. Verstanden?“

Sie glaubte, sich verhört zu haben. Was fiel ihm ein? So konnte er mit ihr nicht … Doch es sollte viel schlimmer kommen.

„Überlegen Sie sich gut, was Sie antworten. Wenn Ihre Geschichte glaubwürdig klingt, dürfen Sie ein Bad nehmen, und ich leihe Ihnen etwas zum Anziehen. Falls nicht, setze ich Sie wieder vor die Tür. Sie haben die Wahl.“

Das konnte nur ein Albtraum sein! Für wen hielt dieser Kerl sich eigentlich? Es war unerträglich!

„Als Erstes verraten Sie mir, was Sie hier zu suchen haben. Die Abfahrten in dieser Gegend können sehr gefährlich sein. Haben Sie das nicht gewusst?“

„Ich wurde von einer Lawine überrascht …“

„Wo?“

„In der Nähe unseres Chalet in Val d’Isère.“ Miranda zögerte. Sollte sie diesem Fremden wirklich alles erzählen? Ja, das war wohl das Beste. Er ließ sie sonst nicht in Ruhe. „Na ja, ich habe mich mit meinem Freund gestritten und wollte einen klaren Kopf bekommen. Also bin ich Ski gelaufen. Die Lawine hat mich überrascht, und ich habe die Orientierung verloren.“

„Wie kann man nur so unvorsichtig sein! Ihr verdammten Touristen!“

Am liebsten wäre Miranda aufgesprungen und hätte die Flucht ergriffen – auch wenn sie die Nacht draußen in der Kälte in einem Schneesturm hätte verbringen müssen. Das wäre immer noch besser gewesen, als sich diese Unverschämtheiten anzuhören. Nur leider ließ ihre Verletzung das nicht zu. Sie musste also ausharren, bis Hilfe kam. „Danach bin ich in den Schneesturm geraten und habe mich endgültig verirrt. Ich habe das Wäldchen entdeckt und wollte dort die Nacht verbringen. Unglücklicherweise bin ich auf dem Weg dorthin gestürzt und habe mich verletzt. Ich hätte eben besser aufpassen müssen. Als ich die Bäume erreicht hatte, habe ich das Licht gesehen und bin hierher gehumpelt.“

„Es weiß also niemand, dass Sie hier sind.“

Das klang nicht gut! Miranda musterte den Fremden nervös. Wer war er? Was machte er ganz allein in dieser kleinen Hütte? Vielleicht versteckte er sich ja? Wurde er von der Polizei gesucht? Möglich war alles. Sie war so erleichtert gewesen, als sie den hellen Schein gesehen hatte … Na toll, dachte sie. Vielleicht war sie vom Regen in die Traufe gekommen.

Wenn ja, hatte sie ein Problem. Er war bestimmt zehn Zentimeter größer als sie und war zwar schlank, aber muskulös. Gegenwehr kam nicht infrage. Sie hatte keine Chance.

Ihr Retter beobachtete sie schweigend, und sie hatte das Gefühl, dass er ihre Gedanken lesen konnte. Schnell blickte sie zur Seite. „Was ist nun? Darf ich baden?“ Ihre Stimme bebte.

„Nein. Die wichtigste Frage habe ich noch nicht gestellt. Wie heißen Sie?“ Er lehnte sich zurück und streckte die Beine aus.

Miranda hätte am liebsten geschrien. Was sollte das? Wollte er sie auf den Arm nehmen? Sicher hatte er gemerkt, dass sie sich vor ihm fürchtete. Sie beschloss, keine Schwäche mehr zu zeigen. „Miranda Nash“, sagte sie kühl.

„Was für eine Überraschung!“ Er betrachtete sie nachdenklich.

Was sollte das heißen? Dieser Mann war voller Rätsel. „Sie kennen vielleicht meinen Vater. Lord Geoffrey Nash.“ Ich hoffe, er hat die Warnung verstanden, überlegte sie. Wenn ihr etwas passierte, kam er nicht ungestraft davon. Dafür würde ihr Dad schon sorgen.

„Das ist ja interessant.“ Der Mann schien unbeeindruckt.

„Sie wissen also, wer er ist?“

„Meine liebe Miss Nash, Sie stellen zu viele Fragen.“ Er lachte leise, und das ärgerte sie mehr als sein unhöfliches Benehmen. Nahm er sie nicht ernst?

„Haben Sie ein Telefon?“

„Die Leitung ist tot.“ Er zuckte die Schultern. „Kein Wunder bei diesem Schneesturm. Ich habe keine Ahnung, wann sie wieder repariert wird. Der Wetterbericht für die nächsten Wochen ist nicht gerade vielversprechend. Es wird also noch etwas dauern.“

Erneut glaubte sie, sich verhört zu haben. „Die nächsten Wochen?“ Das konnte nicht wahr sein!

„Mein Handy funktioniert aber.“

Miranda funkelte ihn an. Das hätte er auch eher sagen können! „Kann ich es bitte haben? Ich möchte meinen Dad anrufen.“ Sie hätte ihn schütteln können. Der Mann saß ungerührt da und schien es zu genießen, sie zu quälen.

„Sicher, Mylady.“ Er verbeugte sich spöttisch, zog das Telefon aus seiner Hosentasche und warf es ihr zu.

Schnell tippte Miranda die Nummer ihres Vaters ein. Er meldete sich sofort. Sie berichtete ihm von ihrer Notlage, und er machte sich gleich große Sorgen. Lächelnd beruhigte sie ihn. Ihr Dad vergötterte sie, und sie liebte ihn über alles. Er war immer da, wenn sie ihn brauchte. Sie konnte sich auf ihn verlassen. Hätte sie nur auf ihn gehört! Er hatte sie vor Freddie gewarnt. Wie hatte er ihn noch genannt? Einen dummen Jungen mit mehr Geld als Gehirn. Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.

„Wie heißt der Mann, der dich gerettet hat? Wo genau befindet sich sein Chalet?“ Nachdem Lord Nash sich überzeugt hatte, dass ihr nichts zugestoßen war, entwarf er sofort einen Rettungsplan.

Genau darauf hatte Miranda gehofft. Sie bat ihn, einen Moment zu warten, und fragte den Fremden nach seinem Namen.

„Geben Sie mir das Handy.“ Er stand auf, kam zu ihr und streckte die Hand aus.

Miranda zögerte kurz, gehorchte dann aber. Er wandte sich ab und ging hinaus. Sie hätte ihm am liebsten etwas hinterhergeworfen. Was sollte das? Immerhin sprach er mit ihrem Vater! Wieso machte er ein Geheimnis daraus? Ungeduldig wartete sie. Warum dauerte es so lange?

Endlich kam er zurück und reichte ihr das Telefon. Miranda verabschiedete sich, schaltete das Gerät aus und legte es auf den Tisch neben dem Sofa. „Was hatten Sie mit meinem Dad zu bereden? Wie heißen Sie? Warum wollen Sie mir nicht wenigstens das verraten?“

Ihr Retter ging zum Kamin und warf ein Holzscheit ins Feuer. „Sie sind wirklich neugierig, stimmt’s?“ Er wandte sich um und betrachtete sie lange. „Ich habe Ihrem Vater nur versichert, dass alles in Ordnung ist. Sie sind hier in Sicherheit. Und übrigens – mein Name ist Luke Decroix.“

„Mein Dad hat Ihnen einfach so geglaubt?“

„Natürlich. Ich bin der vollendete Gentleman.“

Beinah hätte sie gelacht. „Das ist wirklich ein guter Witz.“

Ihr Spott ließ ihn völlig kalt. „Natürlich werden Sie ihn jeden Tag anrufen. Darauf hat er bestanden. So wie es aussieht, muss ich mich wohl oder übel um Sie kümmern, bis der Schneesturm …“

„Das brauchen Sie nicht. Ich kann für mich allein sorgen, vielen Dank.“ Sie funkelte ihn wütend an.

„Ach ja? Wie denn? Können Sie Holz hacken und Schnee schaufeln?“

„Nein.“

„Wie sieht’s mit Putzen aus?“

Miranda schwieg und blickte sich um. Sie befand sich in einem großen Wohnzimmer mit Bücherregalen, einem Kamin und einigen abgenutzten Stühlen. Durch die offene Tür konnte sie die Küche sehen, in der ein großer Esstisch stand. Eine Holztreppe führte nach oben zu einer von einem Geländer begrenzten Galerie. Dort oben befanden sich wahrscheinlich die Schlafzimmer. Das Chalet war größer, als sie gedacht hatte.

„Sie haben bestimmt noch nie einen Staubsauger in der Hand gehabt, oder?“ Der Mann schüttelte frustriert den Kopf.

Miranda zuckte zusammen, und Röte stieg ihr ins Gesicht.

„Können Sie wenigstens kochen?“

„Ich glaube schon.“

„Sie glauben?“

„Woher soll ich das wissen? Ich habe es noch nie ausprobiert. Wir haben eine Haushälterin. Ihr Name ist Ethel. Sie kümmert sich um Dad und mich …“ Warum entschuldigte sie sich? Ihr Leben ging ihn nichts an. Energisch strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Ich kann es ja mal versuchen. So schwierig ist es bestimmt nicht.“

„Was machen Sie eigentlich so den ganzen Tag? Im Bett liegen?“

Sie hätte ihn ohrfeigen können. „Ich bin Innenarchitektin.“ Was nicht unbedingt viel bedeutet, überlegte sie schuldbewusst. Ihr Dad hatte ihr die Ausbildung finanziert und ihr die ersten Kunden vermittelt. Bald darauf hatte sie jedoch den Spaß an der Arbeit verloren. Ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen hatten ihr wenig Zeit gelassen, und da sie nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen musste, war es ihr nicht schwer gefallen, sich angenehmeren Dingen zuzuwenden.

„Arbeiten Sie auch in Ihrem Beruf?“

Schon wieder hatte er sie durchschaut. Miranda warf ihm einen bösen Blick zu, antwortete aber nicht.

„Genau wie ich vermutet habe.“ Luke Decroix nickte. „Also nicht.“

„Wie kommen Sie darauf, Mr. Neunmalklug?“, fragte sie aufgebracht.

„Ihr Schweigen hat es mir verraten. Sie leben also von Daddys Scheckbuch, und Ihr Lebensinhalt ist … ja, was eigentlich? Partys feiern? Dort Urlaub zu machen, wo es gerade in ist?“ Er lachte höhnisch. „Sie brauchen mir nicht zu antworten. Ich kenne Leute wie Sie.“ Er kam auf sie zu und reichte ihr die Hand. „Sie sollten sich umziehen, sonst erkälten Sie sich noch. Ich leihe Ihnen einige von meinen Sachen, obwohl sie für Mylady sicher nicht fein genug sind. Pech gehabt, Miss Nash, Sie werden damit vorlieb nehmen müssen.“

Miranda zögerte, nahm seine Hilfe dann allerdings an. Was blieb ihr anderes übrig? „Ich danke Ihnen.“ Vorsichtig belastete sie das Knie und zuckte zusammen. Es schmerzte immer noch. Das bedeutete nichts Gutes. Ganz sicher war sie morgen früh nicht in der Lage, auf die Skier zu steigen und diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Sie war diesem Mann auch die nächsten Tage auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Draußen hörte sie den Wind heulen. Es schien, als hätte sich der Sturm noch verschlimmert. Nette Aussichten! Hatte sich denn alles gegen sie verschworen?

„Das Badezimmer ist oben. Soll ich Sie tragen?“ Luke Decroix lächelte spöttisch. Er hatte sie die ganze Zeit beobachtet und natürlich gemerkt, dass sie kaum auftreten konnte.

Es blieb ihr wohl nichts erspart! Miranda hätte gern abgelehnt, doch ohne ihn war sie völlig hilflos. Entnervt blickte sie auf und ihm direkt in die blauen Augen. Sie atmete tief durch. Dieser Mann übte ein ungeahnte Wirkung auf sie aus. Er war geheimnisvoll und faszinierend zugleich. Mit dem dunklen Haar und dem athletischen Körper war er sehr attraktiv, wie sie sich widerstrebend eingestand. Was waren denn das für Gedanken? Sie hatte ganz andere Probleme. Schnell sah sie zu Boden. „Ja, bitte.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Schnell hob er sie hoch und trug sie aus dem Zimmer und die große Holztreppe hinauf.

Es war wundervoll, so umsorgt zu werden. Miranda fühlte sich wunderbar geborgen, und sie machte die Augen zu. Er benutzte kein teures After Shave, sondern duftete einfach nur männlich und unbeschreiblich aufregend. Es war, als hätte er nie etwas anderes getan als Holz gehackt und Ski gefahren.

Luke Decroix ging die Galerie entlang bis zu einer Tür, die er mit dem Fuß öffnete. „Es gibt nur ein Badezimmer.“ Er betrat den Raum und setzte sie vorsichtig auf einem Stuhl ab, der neben der Wanne stand. „Ich habe keine Lust, hinter Ihnen herzuräumen. Also hinterlassen Sie alles so, wie Sie es vorgefunden haben. Verstanden?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich ab und ließ Wasser einlaufen. Er überprüfte die Temperatur mit der Hand und nickte zufrieden. „Ich werde Ihnen beim Ausziehen helfen.“ Er straffte sich und drehte sich wieder zu ihr um.

Das fehlte gerade noch! „Wenn Sie mich anrühren, schreie ich.“ Sie bedachte ihn mit einem wütenden Blick.

Luke Decroix lachte spöttisch. Ehe sie sich’s versah, stand er vor ihr, beugte sich herunter und umschloss ihr Gesicht. Sie war gefangen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn anzusehen. Wieder war sie fasziniert von seinen markanten, männlichen Gesichtszügen. Er kam ihr vor wie Raubtier, das seine Beute belauerte. „Wer soll Sie hier schon hören?“

Daran hatte sie nicht gedacht. Sie war ihm ausgeliefert.

Wieder schien er ihre Gedanken gelesen zu haben, denn er ließ sie los und wandte sich ab. „Keine Angst. Ich vergreife mich nicht an hilflosen Frauen.“ Er ging zur Tür. „Ich werde uns in der Zwischenzeit etwas zu essen machen.“

Miranda wartete, bis er verschwunden war, und versuchte dann, ihre Skisachen abzustreifen. Als es ihr endlich gelungen war, hatte sie das Gefühl, dass sie gerade einen Marathonlauf absolviert hatte. Vorsichtig sank sie in das heiße Wasser und legte das verletzte Bein auf den Badewannenrand. Es war einfach wunderbar, nur so dazuliegen und die Wärme zu genießen.

Eine halbe Stunde später wickelte sie sich ein Handtuch um und überlegte, was sie anziehen sollte. Der Schutzanzug war viel zu dick. Zum Teufel! Daran hatte sie vorhin nicht gedacht. Sie humpelte zur Treppe und rief nach ihrem Gastgeber.

Dieser ließ sich aufreizend viel Zeit, bis er endlich mit einem Kochlöffel in der Hand erschien. „Was gibt’s?“

„Ich brauche neue Sachen. Haben Sie etwas für mich?“

„Was?“

Sie hätte ihn erwürgen können! Er machte sich anscheinend über sie lustig. Typisch! Er nutzte ihre Lage schamlos aus. Schnell wiederholte sie ihre Frage. Luke Decroix betrachtete sie von oben bis unten, und sie spürte, wie sie errötete. Das Handtuch war ein Witz. Es verhüllte so gut wie nichts! Er schien es zu genießen, sie zu quälen.

„Wie lautet das Zauberwörtchen?“

Beinah hätte sie mit dem Fuß aufgestampft. „Bitte!“ Er brachte sie zur Weißglut.

„Das ist viel besser.“ Luke Decroix legte den Löffel auf den Holztisch, der am Fuß der Treppe stand, und kam nach oben. „Kommen Sie mit ins Gästezimmer.“ Er ging voran, öffnete die Tür und ließ sie als Erste eintreten.

Neugierig blickte sie sich um. Es war ein kleiner, aber gemütlich eingerichteter Raum mit einem offenen Kamin, einem schmalem Bett, einem Ankleidetisch mit Spiegel und einer Kommode. Wie sollte sie dort schlafen? Sie war ein Doppelbett gewohnt. Sogar im Hotel buchte sie immer ein größeres Zimmer. Sie brauchte einfach den Platz. Das konnte ja heiter werden! Schweigend lehnte sie sich an die Tür.

„Ist Mylady mit ihrem Quartier nicht zufrieden?“ Luke Decroix ging an ihr vorbei. Er öffnete eine der Schubladen, nahm einige Sachen heraus und reichte sie ihr.

„Es ist alles bestens. Vielen Dank.“ Miranda versuchte, ruhig zu bleiben.

„Gut für Sie. Hier gibt es nur ein großes Bett, und das steht in meinem Zimmer. So weit geht meine Gastfreundschaft dann auch nicht. Will Euer Hoheit nicht endlich ihr Reich betreten?“ Er verbeugte sich spöttisch.

„Hören Sie auf damit.“ Sie konnte es nicht länger ertragen.

„Womit?“

„Mich so zu nennen.“

„Warum?“

„Weil ich nicht so heiße.“

Luke Decroix ignorierte sie. „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie mir ins Haus schneien, hätte ich vorher geheizt.“ Er zeigte auf den kalten Kamin. „Ich werde Ihnen gleich einige Holzscheite heraufbringen und ein Feuer machen. Ziehen Sie sich in der Zwischenzeit an. Sie frieren bestimmt.“

„Vielen Dank, Mr. Decroix.“

„Warum so förmlich? Wir werden die nächsten Tage miteinander verbringen, ob Sie wollen oder nicht. Nennen Sie mich Luke.“

Nachdenklich betrachtete sie ihn. Es war nicht nur sein Gesicht, das ihn so anziehend machte. Seine ungezügelte Kraft, der athletische Körper und die geschmeidigen Bewegungen ließen bestimmt viele Frauenherzen höher schlagen – und auch sie, Miranda, musste zugeben, dass sie nicht immun dagegen war. Schnell blickte sie zur Seite. Er durfte nicht merken, was in ihr vorging. „Mein Dad wird Sie für Ihre Hilfe großzügig entschädigen.“

Er lachte spöttisch. „Wie nett!“

Miranda wandte sich ab und humpelte langsam zum Bett. Inzwischen war ihr kalt geworden, und sie dachte nicht daran, noch länger hier herumzustehen. Sie legte die Sachen ans Fußende, schlüpfte unter die Decke und zog sie bis zum Kinn. „Ich weiß nicht, was Sie wollen. Die meisten Leute würden sich darüber freuen.“

Luke betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. „Sehe ich so aus, als bräuchte ich Daddys Geld?“

Was sollte sie antworten? Sie hatte ihn nicht beleidigen wollen. „So habe ich es nicht gemeint. Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind oder womit Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen. Eins kann ich mir allerdings denken: In dieser Schneewüste gibt es bestimmt nicht viele tolle Jobs, oder?“ Sein finsterer Blick schien sie zu durchdringen, und sie wäre am liebsten im Erdboden versunken. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! An dieses Sprichwort hätte sie eher denken sollen.

Schließlich schüttelte er den Kopf. „Ich wohne nicht das ganze Jahr hier, Miranda. Wenn Sie es genau wissen wollen – ich hüte nur ein.“

„Ach so.“ Das erklärte seinen englischen Akzent. Wahrscheinlich gehörte er zu den Männern, die keine festen Bindungen eingehen wollten, sondern umherreisten und ihr Geld mit Gelegenheitsarbeiten verdienten.

Schweigend musterte er sie und zuckte schließlich die Schultern. „Ich bringe Ihnen gleich etwas zu essen. Morgen früh wird Ihr Knie schon viel besser sein.“ Er verneigte sich betont unterwürfig, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.

Wenigstens hatte er sie nicht mehr Mylady oder Hoheit genannt! Wenn er den Butler spielen wollte, sollte er doch! Sie war viel zu müde, um sich darüber aufzuregen. Erleichtert machte sie die Augen zu. Vielleicht konnte sie ja etwas schlafen, bevor er zurückkam …

2. KAPITEL

Es war warm im Zimmer. Das war das Erste, was Miranda merkte, als sie aufwachte. Und sie trug ein T-Shirt, das ihr viel zu groß war. Was, zum Teufel, war geschehen? Sie blickte sich um. Plötzlich fiel ihr alles wieder ein, und sie sah Luke Delacroix’ zynisches Gesicht vor sich …

In diesem Moment ging die Tür auf, und ihr Gastgeber kam mit einem Tablett herein. Er war kraftvoll, athletisch und ein Bild von einem Mann. Miranda atmete tief durch. Es schien, als hätte er sie mit einem Bann belegt. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden.

„Sie sind also endlich wach.“ Luke ging zum Fenster und öffnete die Gardinen. Draußen tobte immer noch der Schneesturm, und alles war in graues Licht getaucht. „Frühstück.“ Er stellte seine Last aufs Bett.

Miranda setzte sich auf. „Wie lange habe ich geschlafen?“

„Mehr als zehn Stunden.“

„Was?“

„Als ich mit dem Abendessen nach oben gekommen bin, haben Sie schon selig geschlummert und laut geschnarcht.“

„Das ist nicht wahr. So etwas tue ich nicht.“

„Woher wollen Sie das wissen?“ Luke nahm sich einen Stuhl, stellte ihn ans Bett und setzte sich. „Ihr Freund wird es Ihnen bestimmt nicht erzählen, und Sie hören es nicht. Na ja, egal. Jedenfalls habe ich Feuer im Kamin gemacht. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, Sie über Nacht erfrieren zu lassen. Sie sehen also, ich bin ein Gentleman.“ Er beobachtete, wie sie den Orangensaft trank und dann hungrig den Toast und das Rührei mit Speck aß. „Selbstverständlich habe ich Ihnen vorher noch das T-Shirt übergestreift. Nur mit einem nassen Handtuch bekleidet, wollte ich Sie nicht schlafen lassen.“

Miranda glaubte, sich verhört zu haben. „Sie haben …?“

„Ja. Sind Sie nun schockiert?“ Lachend lehnte er sich zurück und streckte die Beine aus. „Streicht Daddy mir jetzt die Belohnung?“

„Das ist nicht witzig!“ Sie hatte eigentlich angenommen, dass sie sich selbst umgezogen hatte und sich nur nicht mehr daran erinnern konnte, weil sie so erschöpft gewesen war. Wollte er sie auf den Arm nehmen? Nein. Seine Augen funkelten belustigt. Der Mann log nicht. Er hatte tatsächlich die Frechheit besessen, sie zu berühren … an den Schultern, Armen, Brüsten … Der Gedanke daran war unerträglich! „Dazu hatten Sie kein Recht!“

„Entschuldigen Sie, Euer Hoheit, aber Sie hätten sich sonst eine Lungenentzündung geholt.“

„Sie hätten mich wecken können.“

„Ich habe es versucht. Ohne Erfolg. Das wird Ihnen hoffentlich eine Lehre sein. Nächstes Mal bleiben Sie einfach auf der Anfängerpiste, dann kann nichts passieren.“ Luke runzelte die Stirn. „Sie haben Ihr Ei nicht aufgegessen.“

„Mir ist der Appetit vergangen.“ Sie lehnte sich zurück.

„Das ist schlecht. Sie müssen wieder zu Kräften kommen.“ Er beugte sich vor. „Muss ich Sie etwa füttern?“

Du meine Güte! Miranda schüttelte energisch den Kopf und aß den Teller in Rekordzeit leer. Danach lehnte sie sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Sehr gut.“ Luke stand auf, nahm das Tablett und stellte es auf den Tisch. „Und jetzt …“ Er zog ihr die Decke weg. „… werden wir Ihr Knie trainieren.“ Sie protestierte aufgebracht, aber er war erbarmungslos. „Keine Widerrede. Stehen Sie auf.“

„Oder?“

„Das wollen Sie doch gar nicht wissen“, antwortete er sanft und reichte ihr die Hand. Als sie nicht reagierte, beugte er sich über sie und funkelte sie an. „Muss ich Sie erst daran erinnern, dass ich Sie in meinem Haus wohnen lasse, obwohl ich Sie nicht eingeladen habe? Ich könnte Sie auch vor die Tür setzen.“

Sie dachte nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. „Ihr Haus?“

„Ja. Ich sehe hier nach dem Rechten, also betrachte ich es im Augenblick als mein Eigentum. Wenn Sie glauben, Sie können hier die Prinzessin auf der Erbse spielen und sich nach Strich und Faden verwöhnen lassen, haben Sie sich gründlich getäuscht. Sie können gern Ihre Dienstboten umherscheuchen, Miss Daddy-zahlt-alles. Bei mir werden Sie sich die Zähne ausbeißen. Ich bin nicht bereit, mich den Launen eines verwöhnten reichen Mädchens zu beugen!“

„Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden, Sie … Sie …?“ Ihre Stimme bebte.

Luke lachte. „Das sind Sie nicht gewohnt, oder? Dann wird es Zeit. Sie stehen jetzt auf, und zwar sofort.“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch Miranda drängte sie zurück. Sie würde nicht weinen. Nicht vor diesem arroganten, unerträglichen Mann! Miranda nahm die Hand, die er ihr reichte, und stellte sich vorsichtig auf ein Bein. Wenigstens war das T-Shirt lang genug. Sie hatte nicht vor, ihm mehr zu zeigen als nötig. Wahrscheinlich wartete er nur darauf.

„Versuchen Sie, auch das verletzte Knie zu belasten.“

„Das kann ich nicht.“

„Hören Sie auf zu jammern! Sie sind kein Kind mehr.“

Er ließ sie bestimmt nicht eher in Ruhe, bis sie ihm gehorchte. Miranda biss sich auf die Lippe und setzte den anderen Fuß auf den Boden. Der stechende Schmerz war verschwunden. Es tat zwar immer noch weh, aber es war auszuhalten.

„Als Erstes werde ich Ihnen den Verband abnehmen. Dann kühlen Sie die Verletzung mit kaltem Wasser. Danach lege ich Ihnen einen neue Bandage an.“

„Das kann ich auch allein.“

„Das möchte ich lieber nicht ausprobieren. Lord Daddy macht mich einen Kopf kürzer, wenn ich nicht gut auf Sie aufpasse. Ganz zu schweigen von der großartigen Belohnung, die mir entgeht. Das würde ich mir mein Leben lang nicht verzeihen.“

Miranda schüttelte den Kopf und blickte ihn wütend an. „Warum sind Sie eigentlich so unfreundlich? Was habe ich Ihnen getan? Sie kennen mich gar nicht. Trotzdem verachten Sie meinen Vater und mich und lassen es mich deutlich spüren. Ihre gemeinen Kommentare können Sie sich schenken. Wer gibt Ihnen das Recht, über mich und meine Familie zu urteilen? Niemand. Ich weiß, was mit Ihnen los ist. Sie sind neidisch. Ich bin reich und Sie nicht. Das ist der Grund für Ihre Boshaftigkeit. Denken Sie einmal nach, Mr. Decroix. Was kann ich dafür, dass Sie auf der Schattenseite des Lebens stehen?“

Luke betrachtete sie nachdenklich und nickte schließlich. „Ich denke, Sie haben recht. Es ist nicht Ihre Schuld.“

Eigentlich hätte sie sich über ihren Sieg freuen müssen, doch sie hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Bis jetzt war er die ganze Zeit nur feindselig gewesen, und sein plötzlicher Stimmungsumschwung war ihr nicht geheuer. Plante Luke etwas? Sie beschloss, auf der Hut zu sein. Am besten war es, das Thema zu wechseln.

„Mein Bein fühlt sich schon viel besser an. Trotzdem sollten wir es jetzt lieber kühlen.“ Miranda stützte sich auf ihn und ließ sich langsam zum Badezimmer führen. Dort setzte sie sich auf den Stuhl neben der Wanne und sah Luke zu, wie er Wasser in eine Plastikschüssel füllte, ein Tuch hineintauchte und es ihr anschließend ums Knie wickelte. Sie atmete tief durch. „Oh! Es ist eiskalt.“

„Das muss es auch sein, denn nur dadurch geht die Schwellung zurück. Keine Angst, Sie gewöhnen sich daran.“ Nach einer Weile betrachtete er das Knie forschend, trocknete es ab und verband es neu. „Das sieht schon sehr gut aus“, sagte er zufrieden. „Ihren Skianzug habe ich zwar vor dem Kamin im Wohnzimmer getrocknet, aber Sie können ihn hier wohl kaum anziehen. Deshalb habe ich Ihnen einige Sachen zum Wechseln auf die Kommode gelegt. Außerdem sollten Sie Ihr Haar zusammenbinden. Diese lange Mähne ist viel zu unpraktisch.“

„Diese Mähne, wie Sie so schön sagen, ist das wertvollste Attribut einer Frau.“

„Ach ja? Und ich dachte immer, es wäre der Verstand.“ Er lächelte jungenhaft, wandte sich ab und ging hinaus.

Sie hätte ihn schütteln können. Er war der unverschämteste Mann, der ihr je begegnet war. Wie sollte sie es nur die nächsten Tage mit ihm aushalten? Der Gedanke daran war unerträglich. Hoffentlich hörte dieser verdammte Schneesturm bald auf! Bis dahin musste sie sich eben mit Luke Decroix arrangieren.

Langsam ging Miranda zum Spiegel und blickte hinein. Ihr bis zur Taille reichendes blondes Haar umgab sie wie ein faszinierender Schleier, und sie konnte zu Recht stolz darauf sein. Ihre unergründlichen blauen Augen und ihr schlanker, wohlgeformter Körper hatten schon so manchen Mann um den Verstand gebracht. Ihr Aussehen hatte ihr in der Welt der Reichen und Schönen alle Türen geöffnet. Wie wäre es wohl gewesen, wenn sie hässlich gewesen wäre? Wäre sie dann genauso beliebt gewesen? Wahrscheinlich nicht. Zum ersten Mal in ihrem Leben dachte sie darüber nach, dass ein hübsches Gesicht auch seine Nachteile hatte. Es zog Gigolos wie Freddie magisch an. Ihm war es nie darum gegangen, was sich hinter dieser schillernden Fassade verbarg. Ihre inneren Werte hatten ihn nie interessiert. Er wollte sich nur mit einer attraktiven Frau schmücken, die zudem noch einen reichen Daddy hatte. Das war schon sehr frustrierend!

Schnell wusch Miranda sich das Gesicht und ging anschließend zurück ins Gästezimmer. Dort zog sie das T-Shirt und die Jeans an, die Luke für sie bereitgelegt hatte. Die Sachen waren ihr viel zu weit, und sie musste den Gürtel benutzen, den er ihr vorsorglich herausgesucht hatte. Danach verließ sie den Raum und ging, ohne um Hilfe zu bitten, langsam die Treppe hinunter. Sie kam sehr wohl allein klar, und das wollte sie ihm beweisen.

Luke war gerade dabei, den Abwasch zu erledigen. Sie stand unschlüssig an der Küchentür. Was sollte sie tun?

„Kommen Sie herein, und machen Sie es sich bequem. Ich beiße nicht.“ Einladend zeigte er auf den großen Kieferntisch, um den vier Holzstühle gruppiert waren.

Gehorsam nahm sie Platz und beobachtete, wie er geschickt das Geschirr spülte. „Wie lange werden Sie hier den Verwalter spielen?“, fragte sie, als das Schweigen unerträglich wurde.

Er wandte sich um und sah sie einen Moment lang verblüfft an. Dann schien er zu verstehen. „Ach, das meinen Sie … Es ist nur für kurze Zeit.“

„Was werden Sie danach machen?“

„Weiterziehen.“

„Wohin?“ Er macht seine Arbeit gut, dachte sie beeindruckt. Die Küche war blitzblank, und das Holz in der Ecke war sorgfältig aufgestapelt.

„Keine Ahnung.“ Luke zuckte die Schultern und wechselte das Thema. „Normalerweise bin ich um diese Tageszeit immer draußen, aber heute muss ich etwas im Haus erledigen. Kommen Sie mir ja nicht in die Quere.“

Miranda funkelte ihn wütend an. „Das habe ich auch nicht vor. Ich werde etwas lesen.“

„Umso besser.“ Er verstaute die letzten Teller im Schrank und wandte sich dann ihr zu. „Ich muss nämlich an meinem Laptop arbeiten und brauche dafür all meine Konzentration. Glauben Sie also ja nicht, ich werde den ganzen Tag lang den Animateur für Sie spielen.“

„Das erwarte ich auch nicht.“

„Wirklich?“ Luke betrachtete sie ungläubig.

Sie hatte nicht vor, sich aus der Reserve locken zu lassen. „Sie haben einen Computer? Ich hätte nicht gedacht …“

„Was? Dass ich mit Keyboard und Rechner umgehen kann?“ Er lächelte spöttisch. „Sie haben richtig gehört, Mylady. Manchmal kommen sogar wir Neandertaler in den Genuss der neuesten technischen Errungenschaften. Unglaublich, nicht? Was ist mit Ihnen, Miss Nash? Ich wette, Sie haben keine Ahnung, wie man so ein Wunderwerk bedient, stimmt’s?“

Miranda schwieg.

„Das überrascht mich nicht.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Auf den Skipisten dieser Welt braucht man ja keinen. Bei Pferderennen und im Sommer auf den Bahamas auch nicht.“

„Ich …“

„Was?“

„Sie liegen völlig falsch. Während meines Studiums habe ich einen EDV-Kurs belegt. Ich kenne mich also sehr gut aus.“ Miranda blickte auf und funkelte ihn aufgebracht an.

„Stimmt, Sie sind ja berufstätig. Das hatte ich ganz vergessen.“ Luke lächelte selbstgefällig, und sie hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst. „Warten Sie hier, ich bin gleich zurück.“ Schnell stand er auf, verließ die Küche und kam gleich darauf mit einem schwarzen Laptop zurück. Er stellte das Gerät auf den Tisch, öffnete es und drückte einige Tasten. „Hier, bitte.“ Luke schob es ihr zu. „Warum beschäftigen Sie sich nicht damit? Ich gehe in der Zwischenzeit Holz hacken und Schnee schaufeln.“ Er stellte sich hinter sie und klickte mit der Maus ein Symbol an. Gleich darauf erschien der Grundriss eines Gebäudes auf dem Bildschirm.

„Was ist das?“

„Das, meine liebe Innenarchitektin, ist ein Haus.“

„Wem gehört es?“

„Meinem Boss. Er möchte es renovieren. Da ich hin und wieder ganz gern mit dem Computer spiele, hat er mich gebeten, mir einmal den Entwurf anzusehen.“

Für wie dumm hielt er sie eigentlich? „Warum sollte er gerade Sie damit beauftragen?“

Luke zögerte nicht eine Sekunde. Es kam ihr vor, als hätte er mit dieser Frage gerechnet. „Wir kennen uns schon sehr lange, und er vertraut mir. Sehen Sie dieses kleine Teil hier? Das nennt sich Maus. Schon mal gehört? Damit können Sie die tollsten Dinge anstellen.“

Miranda zählte langsam bis zehn. Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Darauf wartete er bestimmt nur. Sollte er doch seinen Spaß haben. Sie würde es ihm zeigen. Schon jetzt hatte sie einige gute Ideen, wie man dieses Haus am besten einrichten konnte. Auch wenn ihre Vorschläge wahrscheinlich in den Papierkorb wanderten, war es trotzdem aufregend, wieder einmal etwas Produktives zu tun. „Sie kümmern sich also jedes Jahr um dieses Chalet?“

„Ja. Wahrscheinlich dachte mein Chef, ich würde mich hier in der Einöde langweilen. Deshalb hat er mir den Computer mitgegeben. Er konnte ja nicht ahnen, dass unerwarteter Besuch vor der Tür steht, oder besser gesagt, liegt.“ Er lächelte jungenhaft und straffte sich. „Warum gehen Sie nicht ins Wohnzimmer, setzen sich vor das schöne heiße Kaminfeuer und zeigen mir, was Sie mit diesem kleinen Spielzeug alles anfangen können?“

Warum nicht? dachte sie. So konnte sie ihre Zeit wenigstens sinnvoll nutzen. Wenig später nahm sie auf dem Sofa Platz und stellte den Laptop auf den Couchtisch. „Dann werde ich mal loslegen.“ Sie blickte auf und sah Luke an der Tür stehen. Er hatte eine wasserdichte Jacke und Schneestiefel angezogen.

„Gute Idee. Ich bin schon gespannt, was Ihnen einfällt. Ach ja, wenn ich mein kleines Fitnessprogramm erledigt habe, können Sie Ihren Vater anrufen.“ Luke wandte sich ab, ging zur Tür und öffnete sie. Schneeflocken wirbelten herein, und sie konnte den Wind heulen hören. „Ich habe übrigens schon mit ihm gesprochen. Vor einer halben Stunde.“

Was fiel ihm eigentlich ein? Das war ja wohl die Höhe! Miranda wollte protestieren, doch er war schon in der weißen Hölle verschwunden. Sie lehnte sich zurück. Wahrscheinlich dachte ihr Dad, Mr. Decroix war ein älterer Hausverwalter mit einer Familie, die in einem der Bergdörfer wohnte. Von wegen! Hätte er gewusst, mit wem sie hier eingeschlossen war, hätte er bestimmt schon längst ein Rettungsteam losgeschickt, um sie aus diesem Dilemma zu befreien. Verzagt sah sie aus dem Fenster. Sie machte sich etwas vor. Die Helfer wären nicht zu ihr durchgekommen. Der Himmel war dunkel, es stürmte ununterbrochen, und das Schneetreiben war eher schlimmer geworden. Sie wusste ja nicht einmal, wo genau sie war! Der Skiort, ihre Freunde, der treulose Freddie und die schicken Cafés und Diskotheken – alles kam ihr vor wie ein Traum. War sie wirklich dort gewesen?

Miranda seufzte leise und schaltete den Computer ein. Das lenkte sie wenigstens ab. Konzentriert machte sie sich an die Arbeit. Sie probierte mehrere Möglichkeiten aus, ließ ihre Ideen einfließen und hatte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder einmal richtig Spaß. Ab und zu blickte sie aus dem Fenster und konnte Luke beobachten, wie er erst mit einer Schaufel und dann mit einer Axt über der Schulter durch den Schnee stapfte. Er nahm seinen Job als Verwalter wirklich ernst.

Als er schließlich wieder ins Chalet zurückkehrte, trug er einen Korb mit Holzscheiten. Er stellte ihn ab und zog danach die Jacke und die Stiefel aus. Sein dunkles Haar war nass. Er kam ins Wohnzimmer und hockte sich vor den Kamin. Erleichtert wärmte er sich die Hände am Feuer und fuhr sich anschließend durchs Haar. „Sie sind immer noch bei der Arbeit? Erstaunlich. Ich hätte nie gedacht, dass Sie solange durchhalten.“ Dann zog er seinen dicken Pullover aus, stand auf und setzte sich neben sie auf das Sofa. „Lassen Sie mal sehen.“

Luke war ihr gefährlich nahe. Stirnrunzelnd rückte sie zur Seite. „Ich habe gerade erst angefangen. Wie sieht es draußen aus? Lässt der Sturm nach?“

„Wie gefällt Ihnen das Haus?“

Wieso antwortete er ihr eigentlich nie? Aufgebracht klappte Miranda den Laptop zu. „Sie wollten mir Ihr Handy leihen, damit ich meinen Vater anrufen kann.“ Plötzlich fiel ihr wieder ein, was er getan hatte, und sie wurde wütend. „Was gibt Ihnen eigentlich das Recht, ihn zu kontaktieren, ohne mich zu fragen? Woher haben Sie seine Nummer? Was hatten Sie überhaupt mit ihm zu besprechen?“

„Immer nur Fragen! Hat Ihre Mutter Sie nie vor zu viel Neugier gewarnt?“

„Meine Mom ist gestorben, als ich acht Jahre alt war.“

„Oh, das tut mir leid.“ Er legte die Füße auf den Tisch und lehnte sich zurück. Dann verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und betrachtete sie nachdenklich.

Wie gebannt blickte sie ihm in die blauen Augen. Sie waren unergründlich, und Miranda schien es, als wäre sie allein auf einem weiten Ozean. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie ertrinken. „Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

„Tatsächlich?“ Luke lachte leise. „Ich habe so meine Mittel und Wege, um an Telefonnummern zu kommen. Nachdem Sie Ihren Vater angerufen hatten, habe ich einfach die Wahlwiederholung gedrückt. Ich wollte Seiner Lordschaft nur mitteilen, dass seine Tochter die Nacht gut überstanden hat.“ Er zog das Handy aus der Tasche und reichte es ihr. „Hier, bitte. Sprechen Sie selbst mit ihm.“

Schweigend wählte sie die Nummer. Zu allem Überfluss schien ihr Dad von Luke Decroix ganz begeistert zu sein. „Es tut dir vielleicht einmal ganz gut, einige Tage in dieser gottverlassenen Gegend auszuspannen.“

Miranda glaubte, sich verhört zu haben. Das konnte er nicht ernst meinen! Sie blickte auf und stellte fest, dass ihr Gastgeber sich kein Wort entgehen ließ. Sie rückte noch weiter von ihm ab und wandte ihm den Rücken zu. Verdammt sollte er sein. „Kannst du nicht vielleicht …?“

Ihr Dad ließ sie nicht ausreden. Er musste zu einer Sitzung, und der Fahrer wartete schon. Er versprach, sie an diesem Abend anzurufen, sobald er zu Hause war. Entnervt beendete sie das Gespräch und gab Luke das Handy zurück.

Er legte es auf den Couchtisch und wandte sich dann wieder ihr zu. „Also, wie weit sind Sie mit dem Grundriss gekommen? Haben Sie überhaupt irgendetwas zu Stande gebracht?“

„Wie sollte ich? Sie haben mir ja die wichtigsten Informationen vorenthalten. Was plant Ihr Chef genau? Will er die Wände versetzen? Neue Fenster einbauen?“

„Siehe da, es spricht die Innenarchitektin.“

„Wenn Sie mich nicht ernst nehmen, können wir die Sache gleich vergessen. Ich gebe Ihnen Ihr kleines Spielzeug zurück, und Sie können damit tun und lassen, was Sie wollen. In Ihrem Bücherregal habe ich einige Krimis entdeckt, die ich noch nicht kenne. Sie haben sicher nichts dagegen, wenn ich sie mir ausleihe?“

Luke antwortete nicht, sondern beugte sich vor. Er nahm den Laptop, öffnete ihn und betrachtete ihr Werk. „Sie können also doch mit einem Computer umgehen. Ich bitte untertänigst um Entschuldigung für meine Unterstellungen.“ Seine Augen funkelten spöttisch. Interessiert sah er sich ihre Vorschläge für die einzelnen Räume an. „Das Esszimmer ist zu groß.“

„Woher wollen Sie das wissen? Ach ja, ich vergaß. Sie kennen Ihren Boss so gut, dass Sie natürlich genau wissen, wie oft er Besuch hat und wie viele Personen er einlädt. Handelt es sich bei diesem geheimnisvollen Arbeitgeber eigentlich um einen Mann oder eine Frau?“

„Es ist viel zu groß. Da bin ich mir sicher.“

Er ließ sich einfach nichts entlocken. „Was hat Ihr Chef denn nun mit dem Haus vor?“

„Er will nicht länger in London wohnen, sondern aufs Land ziehen. Da er von dort aus arbeiten will, braucht er vor allem Büroräume.“

„Was macht er beruflich?“

„So genau weiß ich das nicht. Ich glaube, er ist an der Börse tätig.“

„Was? Das hat er Ihnen nicht verraten? Ich fasse es nicht!“ Miranda lachte ungläubig. Endlich konnte sie es ihm heimzahlen! „Wahrscheinlich hält er Sie nicht für intelligent genug – und ich gebe ihm recht. Sie haben sowieso keine Ahnung von der Finanzwelt.“

Leider ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen. „Was ist das?“ Er zeigte auf den Bildschirm.

Zum Teufel mit ihm! Ihr Spott prallte an ihm ab. „Ich habe Teile der Wand entfernt und einen Bogen eingesetzt. Ihr Arbeitgeber könnte zusätzlich noch Buntglasfenster einbauen lassen, das macht das Ganze noch viel heller.“

„Das ist eine gute Idee. Sie wird ihm gefallen. Und das dort? Was wird das?“

„Damit bin ich noch nicht fertig.“

„Das beantwortet meine Frage nicht.“

„Na ja … Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen …“

„Für einen Neandertaler mit einem Spatzengehirn ist es zwar nicht einfach, aber ich werde es versuchen. Probieren Sie’s ruhig einmal.“ Luke blickte immer noch fasziniert auf den Bildschirm. Wenigstens lachte er sie nicht aus!

„Es ist ein schmiedeeisernes Gitter und trennt das Bad vom Schlafzimmer. Man glaubt, in einem unendlich weiten Raum zu stehen.“

Luke nickte. „Nicht schlecht.“ Er schaltete den Laptop aus. Dann stand er auf, warf noch einige Scheite ins Feuer und ging zum Bücherregal. Er suchte einen Roman aus und warf ihn ihr zu. „Hier.“

„Was soll ich damit?“

„Sie wollten doch lesen, oder?“

„Was ist mit dem Grundriss?“

Luke wandte sich um und betrachtete sie forschend. „Was soll damit sein? Ich dachte nur, Sie würden gern eine Pause machen nach all der harten Arbeit.“

Schon wieder machte er sich über sie lustig. Eigentlich sollte ihr ja egal sein, was er von ihr dachte – aber das war es nicht. Seine spöttischen Worte schmerzten. „Das ist nicht fair, Mr. Decroix.“

„Nein? Ich habe Ihrem Vater übrigens gesagt, dass mein Chalet kein Fünf-Sterne-Hotel ist und Sie für Ihren Unterhalt arbeiten müssen. Er war begeistert. Er scheint Sie besser zu kennen als Sie sich selbst.“

Es war unglaublich! Was bildete sich dieser arrogante Mann ein? „Für wen halten Sie sich eigentlich? Ich denke nicht daran, für Sie auch nur einen Finger zu rühren. Und was meinen Dad angeht …“ Miranda atmete tief durch. „Ich glaube Ihnen kein Wort. Warten Sie’s nur ab. Ich habe Sie gewarnt. Sie sollten sich nicht mit einem Lord Nash anlegen.“ Sie merkte selbst, dass dies nur eine leere Drohung war. Diesen Mann schüchterte nichts ein.

Genau das schien Luke Decroix auch zu denken. Er ignorierte sie. Schweigend nahm er den Laptop, setzte sich in einen der Sessel und begann zu schreiben.

So konnte es nicht weitergehen! Noch nie zuvor hatte jemand gewagt, sie so zu behandeln. „Warum, zum Teufel, hören Sie mir eigentlich nie zu, wenn ich mit Ihnen rede?“

Keine Reaktion. Luke tippte unbeirrt weiter. Jetzt reichte es Miranda endgültig. Wütend stand sie auf, humpelte, so schnell es ging, zum Computer und riss das Netzkabel heraus. Das hatte er davon! Jetzt musste er sie einfach beachten!

Er sah auf, und ihr wurde sofort bewusst, dass sie einen furchtbaren Fehler begangen hatte. Sein Blick hätte töten können. Sie erschauderte und wich einige Schritte zurück. Ich habe mich mit dem Falschen angelegt, dachte sie entsetzt. Ehe sie sich’s versah, sprang Luke auf, lief auf sie zu und packte sie an den Armen. Erschrocken schrie sie auf.

„Tu so etwas nie wieder, verstanden?“ Er funkelte sie zornig an und schüttelte sie, als wäre sie eine Puppe. „Das ist meine erste und letzte Warnung“, sagte er drohend. „Ich werde nicht dulden, dass du hier einen Aufstand machst wie ein verwöhntes kleines Mädchen. Du bist nicht das Zentrum des Universums, und es dreht sich nicht alles um dich. Sieh das endlich ein.“

„Es tut mir leid.“ Er hatte ja recht. Sie hatte sich wie ein ungezogenes Kind verhalten. „Lassen Sie mich los. Sie tun mir weh.“

Luke gehorchte, blieb aber direkt vor ihr stehen. Schweigend beobachtete er, wie sie sich die Arme rieb und sich wieder unter Kontrolle zu bekommen versuchte. „Setz dich hin.“ Seine Miene war immer noch finster.

Miranda nahm schweigend Platz. Sie zitterte am ganzen Körper. Wahrscheinlich überschüttete er sie jetzt mit weiteren Vorwürfen. Doch sie verdiente es nicht besser. Für ihr unbedachtes Verhalten gab es keine Entschuldigung. Sie machte kurz die Augen zu und bereitete sich auf die unvermeidliche Strafpredigt vor.

Diese ließ nicht lange auf sich warten. „So geht es nicht, Miranda.“ Er nahm ihr gegenüber Platz. Seine Stimme war kalt. „Du bist eine erwachsene Frau und solltest endlich damit anfangen, dich auch so zu benehmen. Ich werde weitere Wutausbrüche nicht mehr dulden, ist das klar?“

Miranda nickte beschämt. „Ich …“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Oh nein! Sie wollte keine Schwäche zeigen. Wann hatte sie das letzte Mal geweint? Miranda konnte sich nicht erinnern. Nicht einmal als sie Freddie in flagranti ertappt hatte, war sie so verzagt gewesen. Ihr Stolz hatte natürlich gelitten, aber sie war wütend und nicht traurig gewesen. Hier bei diesem Mann war alles anders. In ihr tobte ein Gefühlschaos. Vielleicht wurde sie langsam verrückt! Kein Wunder bei dem Dilemma, in dem sie steckte!

Miranda blickte zu Boden und spürte förmlich, wie Luke sie mit Blicken durchdrang. Es gab kein Entkommen. Sie musste sich ihm stellen. „Die Arbeit am Computer hat mir Spaß gemacht“, flüsterte sie. Sie war so durcheinander, ihr fiel nichts Besseres ein. Verstohlen sah sie auf. Er betrachtete sie immer noch wie einen Wurm, den er gleich zertreten wollte. Das brachte sie zur Besinnung. Was ist los mit mir? überlegte sie. Wo war ihre Selbstachtung geblieben? „Du hast es ja auch viel einfacher“, sagte sie trotzig. Sie dachte nicht daran, beim „Sie“ zu bleiben. Wenn er sie duzte, konnte sie es auch.

„Warum?“

„Du bist glücklich mit dem, was du im Leben erreicht hast. Niemand kritisiert dich, und du bist dein eigener Herr.“

Luke runzelte die Stirn. „Was ist mit dir? Gefällt seiner Lordschaft nicht, was du tust? Den Eindruck hatte ich jedenfalls am Telefon.“

Miranda zuckte die Schultern. „Das ist ganz normal. Väter sorgen sich eben um ihre Töchter.“ Warum erzählte sie das eigentlich einem wildfremden Mann? Ganz einfach. Sie würde nicht ewig hier gefangen sein. Bald war dieser Albtraum vorbei. Niemand würde erfahren, was sich in diesem Chalet abgespielt hatte, und das war auch gut so. Sie konnte also ganz offen sein. „Mein Dad findet, ich sollte mein Leben von Grund auf ändern …“

„Also heiraten und Kinder bekommen?“

„Du meine Güte, nein!“ Was für ein Gedanke! „Ich bin erst fünfundzwanzig. Außerdem habe ich bis jetzt noch nicht den passenden Partner gefunden. Dad mag die Jungen, mit denen ich meine Zeit verbringe, sowieso nicht.“

„Vielleicht solltest du nach einem Mann Ausschau halten und dich nicht mit Teenagern abgeben.“

Plötzlich konnte sie Luke nicht mehr in die Augen sehen. Schnell lenkte sie vom Thema ab. „Dad meint, ich sollte mir einen Job suchen.“

„Warum hast du so lange gewartet? Du hast Talent …“

„Was?“

„Du hast mich schon verstanden. Es gefällt dir wohl, wenn ich dir Komplimente mache?“ Er lächelte jungenhaft.

Miranda errötete. „Nein. Deine Meinung ist mir völlig egal.“

Er nickte und betrachtete sie lange. „Gut. Auf Komplikationen kann ich nämlich verzichten.“

3. KAPITEL

Oh ja, dachte Miranda, das gilt auch für mich. Komplikationen waren das Letzte, was sie in ihrer Situation brauchte. Sie hatte nur einen Wunsch: so schnell wie möglich diesen furchtbaren Ort zu verlassen und nach London zurückzukehren.

Zwei Tage später war es endlich so weit. Luke kam von seinem täglichen Fitnesstraining in der Kälte zurück und verkündete fröhlich, dass der Himmel viel besser aussah.

„Was soll das heißen?“ Miranda blickte ihn fragend an.

„Das ist doch klar, Euer Hoheit. Unser Freund, der Schneesturm, hat sich bald ausgetobt.“ Er ging zum Feuer und zog seinen Pullover und diesmal auch das T-Shirt aus. Beides war klitschnass. Fasziniert betrachtete sie das Spiel seiner Muskeln, als er sich nach vorn beugte und die Hände am Feuer wärmte.

„Hör auf, mich so zu nennen.“ Sie war in Gedanken ganz woanders. Seine männliche Ausstrahlung verwirrte sie über alle Maßen.

„Es macht mir einfach zu viel Spaß.“ Luke wandte sich lächelnd um und begann, die Jeans zu öffnen.

„Was, zum Teufel, tust du da?“

„Ich bin vorhin gestolpert und hingefallen. Wenn ich die Sachen anbehalte, hole ich mir eine Lungenentzündung.“

...

Autor

Lucy King
Lucy King lebte schon immer am liebsten in ihrer eigenen Welt, inmitten der bunten Liebesgeschichten von Mills & Boon. Bereits in der Schule schrieb sie lieber über glorreiche Helden und die Magie der Liebe, anstatt Mathematikaufgaben zu lösen. Ihrem ganz persönlichen Helden begegnete sie eines Morgens während eines einsamen Spaziergangs...
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Susan Meier
<p>Susan Meier wuchs als eines von 11 Kindern auf einer kleinen Farm in Pennsylvania auf. Sie genoss es, sich in der Natur aufzuhalten, im Gras zu liegen, in die Wolken zu starren und sich ihren Tagträumen hinzugeben. Dort wurde ihrer Meinung nach auch ihre Liebe zu Geschichten und zum Schreiben...
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