Baccara Exklusiv Band 236

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DIE MAGIE DEINER KÜSSE von ROBYN GRADY
Laura ist fassungslos! Ihr Mann hatte einen Unfall und kann sich an nichts mehr erinnern – auch nicht an die heißen Küsse, die sie früher ausgetauscht haben. Wird es wieder wie einst werden? Doch Laura spürt, dass er ihr etwas verschweigt …

SÜSSER SKANDAL von LINDA CONRAD
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TRÄUMST DU DENSELBEN TRAUM? von SHELLEY GALLOWAY
Ein erfülltes Liebesleben? Bisher existierte es nur in Vivis Fantasie. Da trifft sie Cary und ist fasziniert von dem attraktiven Mann, mit dem sie bald nicht nur seine Hundeleidenschaft teilt. Doch Cary will mehr als heiße Nächte mit ihr – ist es auch ihr Traum?


  • Erscheinungstag 25.08.2023
  • Bandnummer 236
  • ISBN / Artikelnummer 0858230236
  • Seitenanzahl 512

Leseprobe

Robyn Grady, Linda Conrad, Shelley Galloway

BACCARA EXKLUSIV BAND 236

1. KAPITEL

Leises Gemurmel drang vom Flur durch die Tür ins Krankenhauszimmer. Laura Bishop hob den verbundenen Kopf vom Kissen und lauschte angestrengt. Eine der beiden Stimmen war weiblich, die andere männlich – draußen unterhielten sich ihre lebhafte Schwester und ihr energischer Ehemann. Und beide schienen sehr aufgeregt zu sein. Laura biss sich auf die Unterlippe und versuchte, etwas von dem Gespräch zu verstehen. Vergebens.

Eines war jedoch klar: Weder Grace noch Samuel klangen besonders fröhlich.

An diesem Morgen war Laura ausgerutscht und gestürzt. Grace, die gerade zu Besuch war, hatte darauf bestanden, die Kopfverletzung untersuchen zu lassen. Später in der Notaufnahme hatte Laura sie gebeten, für sie in Samuels Büro in Sydney anzurufen, da sie im Wartezimmer kein Handy benutzen durfte. Dabei hasste Laura es, ihn stören zu müssen. Doch erfahrungsgemäß konnte die Warterei in der Notaufnahme ewig dauern. Und sie wollte nicht, dass er sich Sorgen machte, wenn er nach der Arbeit in ein leeres Haus kam.

Außerdem bestand Samuel darauf, grundsätzlich über alles informiert zu werden. Was vermutlich an seinem ausgeprägten Beschützerinstinkt lag … der manchmal vielleicht etwas zu ausgeprägt war. Aber Laura verstand seine Sorge, sie war durchaus begründet. Denn sie waren beide vorbelastet; sie durch einen angeborenen Herzfehler, er durch seine spezielle Familiengeschichte.

Jemand drückte die Türklinke herunter. Als die Tür einen Spalt weit geöffnet wurde, stützte Laura sich auf die Ellbogen.

„Ich will nicht, dass sie sich aufregt“, hörte sie Grace auf dem Flur scharf flüstern.

Ihr Ehemann schimpfte leise zurück. „Ich habe nicht vor, sie aufzuregen.“

Laura zuckte zusammen und legte sich wieder hin. Wann würden die zwei wichtigsten Menschen in ihrem Leben endlich das Kriegsbeil begraben? Grace schien tatsächlich die einzige Frau auf der Welt zu sein, die gegen den unwiderstehlichen Charme eines Samuel Bishop vollkommen immun war. Laura konnte das kaum nachvollziehen. Denn vom ersten Augenblick an war sie seinem umwerfenden Charisma und seinen tiefen Blicken verfallen gewesen. Doch irgendwie …

Seit einiger Zeit stellte sie sich immer wieder diese merkwürdigen Fragen. Dabei liebte sie Samuel über alles. Und sie war sicher, dass auch er sie liebte. Aber nach dem, was sie vergangene Woche erfahren hatte, zweifelte sie. War die Entscheidung, ihn zu heiraten, nicht doch etwas übereilt gewesen?

Die Tür ging weiter auf. Als Laura die vertraute athletische Gestalt ihres Mannes sah und sie einander in die Augen schauten, wurde Laura noch schwindeliger. Noch immer verspürte sie bei seinem Anblick ein erotisches Kribbeln.

In dem dunklen Maßanzug sah Samuel genauso anziehend aus wie an jenem ersten Abend, als er im eleganten Smoking auf sie zugekommen war. Er hatte sie mit seinen tiefblauen Augen verführerisch angesehen und zum Tanz aufgefordert. Auch jetzt genügte allein dieser magische Blick, und ihr Herz schlug schneller. Allerdings lag keine Spur von Begehren in seinem Blick. Nichts in seinen Augen verriet, was er gerade empfand.

Laura erschauerte.

Sonst war er doch immer so fürsorglich und aufmerksam. War er etwa verärgert, weil sie ausgerutscht war? Weil sie ihn dadurch von der Arbeit abhielt? Um diese Gedanken zu verscheuchen, schüttelte Laura den Kopf. Dabei berührte sie den Verband über ihrer linken Schläfe und lächelte unbeholfen.

„Bin offenbar hingefallen.“

Er runzelte die Stirn und sah sie kühl an. „Offenbar?“

Seine dürftige Reaktion beunruhigte sie. Angestrengt dachte sie nach. „Ich … weiß nicht mehr genau. Der Arzt sagt, das sei nicht ungewöhnlich bei jemandem, der auf den Kopf gefallen ist. Dass er sich nicht an den Vorfall erinnern kann.“

Ruhig knöpfte er sich das Jackett auf und strich mit der Hand über die dunkelrote Seidenkrawatte. Er hatte lange schlanke Finger und geschmeidige Hände. Sie liebte diese Hände. Sie liebte es, wie er ihr damit gekonnt Freude bereitete.

„Und an was kannst du dich erinnern?“

Sie wandte den Blick ab und ließ ihn durch das nüchtern eingerichtete, aber komfortable Privatzimmer schweifen. „Ich erinnere mich an die Ankunft im Krankenhaus. An den Arzt, Röntgenaufnahmen … und an die anderen Untersuchungen.“

Samuel kniff die blauen Augen zusammen.

Krankenhäuser waren nicht gerade sein Lieblingsthema. Klar geworden war ihr das schon nach den ersten zwei Monaten ihrer Beziehung – an jenem Abend, an dem er ihr den Antrag gemacht hatte. Er hatte einen umwerfend schönen Diamantring hervorgezaubert, und sie hatte spontan und voller Liebe Ja gesagt. Später, als sie im Luxusbett seines Penthouses dicht an ihn geschmiegt gelegen hatte, hatte sie ihm von ihrer angeborenen Herzschwäche erzählt – im Fachjargon hypertrophe Kardiomyopathie. Da sie nie auf Mitleid aus gewesen war, hatte sie ihre Krankheit für gewöhnlich nicht an die große Glocke gehängt. Doch als ihr zukünftiger Ehemann hatte Samuel es wissen müssen.

„Grace hat mir gesagt, sie hat dich gesehen, als sie die Auffahrt zum Haus hinaufgefahren ist“, sagte Samuel, strich sich den Saum des Sakkos glatt und schob die Hand in die Hosentasche. „Wie du von der Brücke im Garten gestürzt bist.“

Laura nickte. Aus etwa zwei Meter Höhe. „Genau das hat sie mir auch erzählt.“ Aber sie selbst konnte sich an nichts erinnern.

Sie sah ihm an, dass er angestrengt nachdachte. „Außerdem hat Grace gesagt, dass du dich benommen fühlst. Sie glaubt, du bist … ein wenig verwirrt.“

„Ich bin sehr wohl bei Verstand.“ Sie setzte sich etwas auf. „Um genau zu sein, sehe ich heute alles viel klarer als noch vor einiger Zeit.“

In seinen Augen flackerte es auf. Sie wusste, dass ihm der zweideutige Unterton ihrer Worte nicht entgangen war, doch er hakte nicht nach. Stattdessen hielt er Abstand und rückte auch nicht näher, um sie zu umarmen und zu trösten. So, wie er es an dem Abend seines Heiratsantrags getan hatte.

Nachdem sie ihm in jener Nacht von ihrer Krankheit erzählt hatte, hatte er sie eng an sich gezogen und sanft geküsst. Außerdem war er interessiert gewesen, ob ihre Herzschwäche vererbbar war. Was das betraf, war sie bestens informiert. Falls dieser Fall eintreten sollte, kam aus medizinischen Gründen ein vorzeitiger Schwangerschaftsabbruch infrage. Damals hatte sie seinem Blick entnehmen können, dass ihm diese Vorstellung ebenso wenig gefiel wie ihr. Gott sei Dank. Die Vorstellung, das Risiko in Kauf zu nehmen, hatte ihm allerdings auch nicht behagt.

In der Stille des Krankenhauszimmers neigte Samuel den Kopf zur Seite und sah sie prüfend an. Als wäre sie eine Fremde. Laura hatte das Gefühl, ihre ohnehin schon schwachen Nerven endgültig zu verlieren. Weil sie den Abstand nicht länger ertrug, streckte sie die Hand nach ihm aus.

„Samuel, bitte setz dich zu mir. Wir müssen miteinander reden.“

Sofort versteifte er sich, seine Haltung wurde noch verkrampfter. Beinahe misstrauisch sah er sie an, und ihr Magen schien sich noch enger zusammenzuziehen. Als Samuel sie dann noch eindringlich musterte, fingen ihre Wangen, ihre Lippen und ihre Haut förmlich an zu glühen. Doch es war ganz und gar kein angenehmes Gefühl. Irgendwie strahlte er etwas Merkwürdiges aus …

Hätte sie ihn nicht besser gekannt, sie hätte geglaubt, er lehnte sie ab.

Schließlich trat er doch näher. Seine Bewegungen waren so kontrolliert, als befürchtete er, aus dem Hinterhalt überfallen zu werden. Hatte der Arzt mit ihm über mehr als nur den Unfall gesprochen? Falls nicht, sollte sie es schleunigst tun, bevor ihr jemand zuvorkam. Wie würde er wohl reagieren, wenn sie ihm erklärte, dass sie vor Kurzem einen Schwangerschaftstest gemacht hatte?

Sie setzte sich auf und schwang die Beine aus dem Bett, damit sie nebeneinandersitzen konnten. Mit wenigen Schritten war Samuel bei ihr. Streng schlug er die Decke zurück, und sie fühlte sich plötzlich unwohl. Ihrem Blick ausweichend, wies er aufs Kissen.

„Leg dich wieder hin.“

Sie unterdrückte das unangemessene Bedürfnis zu lachen.

„Samuel. Mir geht’s gut.“

Eine Augenbraue hochgezogen, sah er sie an. „Tatsächlich?“

„Absolut.“

„Weißt du, wo du bist?“

Sie unterdrückte ein Stöhnen. Was sollten all diese Fragen, mit denen man sie schon den halben Tag quälte?

„Das habe ich doch alles schon mit dem Arzt besprochen.“ Und mit Grace und mit den Krankenschwestern. Doch als er sie weiterhin anstarrte, nannte sie seufzend den Namen der Klinik. Außerdem fügte sie hinzu: „Im Westen Sydneys, östlich der Blue Mountains.“ Dort, wo ihr gemeinsames Zuhause war.

„Wer bin ich?“

Sie versuchte trotz allem zu lächeln und schlug die Beine übereinander. „Winston Churchill.“

Endlich trat eine vertraute Wärme in seine Augen – ein angenehmes sinnliches Leuchten, das in ihr das Verlangen weckte, ihn zu berühren. Doch im nächsten Moment räusperte er sich, wie er es immer schon getan hatte, wenn er etwas Unangenehmes zu sagen hatte. „Bitte bleib ernst.“

Fast hätte sie die Augen verdreht. Doch jeder, der Samuel kannte, wusste, wie unnachgiebig er war. Je früher er sich beruhigte, desto früher könnte sie ihm alles sagen. Und je früher sie mit all dem hier fertig sein würden, desto schneller könnten sie mit ihrem Leben weitermachen. So Gott wollte.

„Dein Name ist Samuel Coal Bishop“, sagte sie. „Du bist verrückt nach der ‚Financial Review‘ und einer guten Flasche Wein. Außerdem hast du heute einen Grund zu feiern.“ Sie lächelte … sanft und verführerisch. „Denn heute sind wir auf den Tag genau drei Monate miteinander verheiratet.“

Ihre Worte gingen Samuel durch Mark und Bein und brachten ihn völlig aus dem Gleichgewicht. Er musste sich zusammennehmen, um nicht zu taumeln. Stattdessen fuhr er sich nervös durchs Haar.

Großer Gott, sie hat den Verstand verloren.

Grace, die Krankenschwestern … Sie hatten gesagt, dass Laura sich den Kopf gestoßen habe und ein bisschen durcheinander sei. Aber niemand hatte ihn aufgeklärt, dass zwei Jahre ihres Lebens aus ihrem Gedächtnis gelöscht worden waren! Und dass sie immer noch glaubte, sie wären verheiratet. Und dann war da noch der Sturz von derselben Brücke …

Am liebsten hätte Samuel sich geschüttelt. War das ein schlechter Witz? Würde jetzt gleich ein Moderator auf ihn zuspringen und auf eine versteckte Kamera zeigen?

Doch ein Blick in Lauras ahnungslose smaragdgrüne Augen, und Samuel wusste, dass sie es völlig ernst meinte. In ihrem Gesicht erkannte er die grenzenlose Liebe und das unschuldige Wesen der Frau wieder, die er einst geheiratet hatte. Für ihn war es absolut rätselhaft, warum er heute herbestellt worden war. Doch allmählich leuchtete ihm ein, warum Laura ihre Schwester gebeten hatte, ihn zu informieren. Jetzt verstand er auch Grace’ Unfähigkeit, ihm in die Augen zu sehen, als er sie eben aufgefordert hatte, ihm zu sagen, was mit Laura los war.

Samuel spürte die Wut in sich aufsteigen. Er hätte darauf bestehen sollen, zuerst mit einem Arzt zu sprechen.

Jetzt war er natürlich der Sündenbock. Und er wusste auch, wer ihn dazu machte und warum.

Lauras Schwester machte einzig und allein ihn für das Scheitern der Ehe verantwortlich. Wahrscheinlich hoffte sie, dass allein der Anblick des gemeinen Kerls, der sie verlassen hatte, genügte. Und schon würde eine Flut von schlechten Erinnerungen bei Laura ausgelöst, sodass ihr Gedächtnis wieder funktionierte. Wieder einmal wurde Samuel dem Unruhestifter die Rolle des Bösewichts zugeschoben. Während Grace den ersten Platz im Leben ihrer Schwester einnahm und triumphieren durfte. Er hatte zwar noch nie viel von ihr gehalten, aber das hier war die Höhe. Ohne Frage hatte er ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.

Genau wie Laura.

Er sah Laura an, wie sehr die Gesprächspause sie beunruhigte. Stirnrunzelnd zog Samuel den Knoten der Krawatte zurecht und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Doch je mehr er sich bemühte, desto auswegloser erschien ihm alles.

Fest standen nur zwei Dinge. Weder konnte er aus dem Zimmer stürzen und sie ahnungslos zurücklassen. Noch konnte er ihr die unverblümte Wahrheit ins Gesicht sagen. Auch wenn er und Laura unter weniger angenehmen – um nicht zu sagen bösartigen – Umständen auseinandergegangen waren, sie litt unter den Folgen eines Sturzes.

Außerdem hatte er sie, verdammt noch mal, geliebt. Und zwar von ganzem Herzen. Sollte sie ihm später dankbar sein oder ihn verfluchen, im Moment musste er alles tun, um sie zu beruhigen. Und sei es durch diese … Wiedervereinigung.

Es gelang ihm zu lächeln. „Laura, dir geht es nicht gut. Du solltest über Nacht hierbleiben. Ich werde mit dem Arzt sprechen und …“ Er hielt inne und blinzelte. Und was? Dann räusperte er sich. „Und danach sehen wir weiter.“

Sie legte ihre Beine nebeneinander, stemmte die Hände in die Hüfte und hob trotzig das Kinn. „Nein.“

Er runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

Mit flehendem Blick streckte sie die Hand nach ihm aus.

Ihm wurde schlagartig kalt. Er sollte ihre Aufforderung, sie anzufassen, ignorieren, sollte alles verhindern, um ihr körperlich näher zu kommen. Denn er hatte ihren Berührungen noch nie widerstehen können.

Doch das letzte Mal, dass sie sich nahe gewesen waren, lag nun schon über ein Jahr zurück. Vielleicht war dieser Teil von ihm – dieser unbändige körperliche Hunger – längst erstickt. Zusammen mit der Liebe, die sie einst füreinander empfunden hatten.

Um sie zu beruhigen, streckte er die Hand aus und ließ es zu, dass sich ihre zarten Finger mit seinen verschränkten. Prompt begann sein Blut zu pulsieren. Und als sie ihn mit leuchtenden Augen ansah, ergriff ihn ein ebenso lustvoller wie schmerzhafter Schauer, der ihm den Atem raubte.

„Darling“, raunte sie. „Ich habe viel zu viel Lebenszeit in Krankenhäusern verbracht. Ich weiß, du meinst es gut, aber ich muss nicht in Watte gepackt werden. Ich bin kein Kind mehr. Ich habe meinen eigenen Kopf, und der sagt mir, es ist alles okay.“

Samuel schluckte, löste sanft die Hand aus ihrer, trat einen Schritt zurück und bemühte sich, streng zu klingen. „Ich denke, du bist nicht in der Verfassung, das zu entscheiden.“

Der Glanz in ihren Augen verschwand, schlagartig wirkte sie, als wäre sie in Gedanken weggetreten. „Als wir geheiratet haben, habe ich doch nicht meinen Verstand an der Garderobe abgegeben …“

Sie brach abrupt ab und drehte mit einer raschen Bewegung den Kopf zur Seite, als hätte ihr jemand einen Schlag versetzt. Allmählich schien sich ihre Benommenheit zu legen. Doch im selben Moment trat ein erschrockener Ausdruck auf ihr Gesicht.

„Samuel … mein Gott. Es tut mir leid.“ Verwirrt sah sie ihn mit schimmernden Augen an. „Das habe ich nicht so gemeint. Nichts davon.“

Er atmete langsam aus. Offenbar konnte der Gedächtnisverlust nicht über ihre wahren, kaum wohlwollenden Gefühle hinwegtäuschen, die sie für ihn hegte. Gerade hatte sie genau wie die Laura geklungen, die ihn angegiftet und dann aufgefordert hatte zu gehen. Wie die Laura, die ihm genau vor einem Jahr die Scheidungspapiere zugeschickt hatte.

Sie war diejenige, die ihre Ehe beendet hatte. Natürlich war er darüber sehr aufgebracht gewesen, sogar bis ins Mark verletzt. Und doch hatte er sie nie gehasst. Auch jetzt verspürte er keinen Hass. Aber er liebte sie auch nicht.

Er nickte ihr zu. „Du solltest dich wieder hinlegen.“

„Ich will mit dir reden.

Er schlug die Decke zurück. „Leg dich hin.“

Als sie sich trotzig erhob, musste er gegen das Bedürfnis ankämpfen, sie in ihrem Interesse zu zwingen, das zu tun, was er ihr sagte. Doch das war aus verschiedenen Gründen völlig unangebracht. Sie war noch immer eine wunderschöne Frau … Sie war sogar noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Sein Verstand sagte ihm, dass sie nicht zusammenleben konnten. Doch sein Körper sagte ihm etwas anderes. Nämlich, dass sie einzigartig und dazu unerträglich begehrenswert war.

Es wäre so einfach gewesen, auf ihre scheinbare Zuneigung einzugehen und die Situation schamlos auszunutzen. So furchtbar einfach – und so verwerflich wie keine Tat zuvor.

Er lockerte den Knoten der Krawatte und versuchte ein letztes Mal, sie zu überzeugen. „Auch wenn du vielleicht glaubst, dass du recht hast …“

„Ich habe gedacht, ich wäre schwanger.“

Der Boden schien sich unter ihm aufzutun. Taumelnd lehnte Samuel sich an die Wand, um sich gleich darauf auf die sichere Kante des Betts zu setzen. Seine Gedanken rasten. In seinen Ohren schrillte es, und er hatte das Gefühl, als wäre direkt vor seinem Gesicht eine Bombe explodiert. Dann fand er endlich seine Stimme wieder, um mit seiner Exfrau zu sprechen. Obwohl es eher ein Krächzen war. „Du hast … was gedacht?“

„Ich habe geglaubt, wir bekommen ein Kind.“

Sie rutschte zu ihm, nahm seine Hand fest und sah ihn fragend an. „Ich war so glücklich. Und gleichzeitig hatte ich solche Angst davor, wie du reagieren würdest.“

Während seine Brust zu schmerzen begann, erfüllte ihn gleichzeitig eine abgrundtiefe und grausame Leere. Noch einmal würde er das hier nicht überstehen. Um keinen Preis. Nicht einmal wenn Laura so vertrauensvoll und aufgewühlt erschien.

Er sah sie ernst an, mit der festen Absicht, ihr die Wahrheit zu sagen. „Hör mir zu … Das kann nicht sein.“

„Ich weiß, wir haben verhütet“, erwiderte sie, „aber nichts funktioniert hundertprozentig.“

Ihm schien sich die Kehle zuzuschnüren. Das hier überstieg seine schlimmsten Befürchtungen. Musste er sie nicht sofort vor vollendete Tatsachen stellen? Wäre er an ihrer Stelle gewesen, es wäre ihm lieber gewesen. Er hätte nicht wie ein Idiot dastehen wollen. Und Laura wollte das sicherlich auch nicht. Sie waren nicht mehr verheiratet, und noch viel weniger erwarteten sie ein Kind.

Ihre grünen Augen leuchteten, als sie ihn ansah. Und als sie begann, ihre Finger fest um seine Hand zu schließen, durchfuhr es ihn heiß und glühend. Er schloss die Augen und versuchte gegen das Verlangen anzukämpfen, sie einfach in die Arme zu schließen und zu streicheln, wie es jeder gute Ehemann getan hätte. Alles war so lebendig, so klar … als wäre es gestern gewesen. Das Kennenlernen, die Hochzeit und die Hochzeitsreise. Der damalige Sturz von der Brücke und ihr schleichender, quälender Tod als Paar.

„Du bist nicht schwanger.“ Seine Worte waren klar und kontrolliert. Oder, falls doch, dann bin ich nicht der Vater.

Ihre zarten Nasenflügel bebten, sie nickte gefasst. „Der Arzt hat es mir gesagt. Ich hatte mich geirrt.“ Wieder trat ein Hoffnungsschimmer in ihre Augen. „Bei dem Gedanken, dass ein Baby in mir heranwächst, ein kleines Leben, das wir erschaffen haben, spürte ich …“

Plötzlich wurde ihr Blick abwesend, gleichzeitig aber auch entschlossen. Dann straffte sie die Schultern und errötete. „Meine Krankheit ändert nichts an dem, was ich empfinde“, sagte sie. „Ich weiß, es bleibt ein Risiko. Aber ich will ein Kind, Samuel. Unser Kind.“ Sie drückte seine Hand noch fester, drehte den Kopf und führte seine Hand an ihre erhitzte Wange. „Wir müssen einfach nur Vertrauen haben.“

Er schloss die Augen, als ein unbarmherziges Kribbeln durch seinen Körper jagte. Schon einmal hatten sie dieses Gespräch geführt, vor zwei Jahren. Damals war es der Anfang vom Ende gewesen … einer nicht enden wollenden bitteren Entwicklung.

Lauras brüchige Stimme durchbrach seine Gedanken. „Es tut mir leid. Ich hätte nicht damit herausplatzen sollen.“

Erneut lockerte er seine Krawatte und, weil er das Gefühl hatte, kaum Luft zu bekommen, streckte den Hals. Er brauchte dringend eine ruhige Umgebung, um herauszufinden, ob es einen Ausweg aus dieser verrückten Situation gab.

Während er seine Hand aus ihrer löste, fasste er sich.

„Kann ich etwas für dich tun? Brauchst du irgendetwas?“ Was seine persönliche Wunschliste anging, stand ein Glas Scotch ganz oben an erster Stelle.

„Eine Sache.“ Sie stand auf, trat dicht an ihn heran und legte ihre warme Hand auf seine Brust. Gegen seinen Willen loderten kleine Flammen in ihm auf, als sie sich ihm mit halb geöffneten Lippen näherte. „Ich sehne mich nach einem Kuss von dir.“

2. KAPITEL

Sein Gefühl sowie ein Blick in ihre Augen sagten Samuel, dass Laura ihn in diesem Moment wirklich liebte. Dabei vergaß er allerdings nicht ihre tiefen Gedächtnislücken. Während er versuchte zu schlucken, löste er sich sanft aus der Umarmung seiner Exfrau.

Ihrer verführerischen Einladung zu widerstehen war eine große Herausforderung. Seinem körperlichen Bedürfnis, dem Verlangen einfach nachzugeben und ihr Angebot anzunehmen, setzte sein Verstand jedoch ein entschiedenes Nein entgegen. Es wäre unmoralisch, ihren Zustand auszunutzen.

Andererseits durfte er auch nicht zu unsensibel reagieren. Denn natürlich wollte er sie nicht in das schwarze Loch stoßen, vor dem sie gerade stand. Also redete er sanft auf sie ein. „Laura, nicht hier.“

„Nicht hier?“ Irritiert sah sie ihn an. „Wir sind verheiratet. Wir küssen uns doch ständig.“

Sein Herz begann zu klopfen. Wie, um Himmels willen, sollte er sie aus diesem Schlamassel bloß wieder hinausführen? Am besten war es, eine professionelle Meinung einzuholen und sich selbst ein Bild über ihren Gesundheitszustand zu machen.

Laura starrte ihn immer noch an, verwirrt und gekränkt. Was verständlich war, denn in den ersten drei Monaten ihrer Ehe hatten sie die Finger nicht voneinander lassen können. Und sogar jetzt …

Damit sie sich beruhigte, strich er gegen seinen Willen mit dem Handrücken über ihren Arm. Sofort ließ diese winzige Berührung etwas in ihm aufflackern, das wie ein Warnsignal durch seine Adern schoss. Die Zähne fest zusammengepresst, ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. „Ich werde mit dem Arzt sprechen.“

„Über den Schwangerschaftstest?“

In seinem Magen zog es sich zusammen. „Genau.“

Er ließ sie in dem weißen Krankenhausnachthemd neben ihrem Bett zurück und ging. Draußen auf dem Flur brauchte er einen Moment, um sich zu sortieren. Laura war zwar gestürzt und litt unter Amnesie, doch eigentlich war er derjenige, der völlig aus dem Gleichgewicht geraten war. Es musste doch eine vernünftige Lösung geben, um aus dieser komplizierten Situation herauszukommen, ohne dass Gefühle verletzt wurden. Und diese Lösung würde er verdammt noch mal finden.

Im Schwesternzimmer wurde er an einen Mann im weißen Kittel am Ende des Gangs verwiesen, der gerade eine Dokumentenmappe durchblätterte. Sofort ging Samuel auf ihn zu.

„Doktor …“ Er warf einen Blick auf das Namensschild und blieb stehen. „… Stokes. Ich bin Samuel Bishop. Sie haben Laura Bishop untersucht, richtig?“

Der Arzt blickte über den Rand seiner Brille und legte die Mappe ab. „Sind Sie der Mann von Mrs. Bishop?“

„Mehr oder weniger.“

Der Arzt nahm ihn verständnisvoll beiseite, um für die anderen Patienten und Besucher außer Hörweite zu sein. „Schädeltrauma“, fasste Doktor Stokes die Antwort mit einem Wort zusammen. „Mit vorübergehendem Gedächtnisverlust.“

Samuel nickte. „Wie lange dauert so etwas?“

„Normalerweise kehrt das Gedächtnis in solchen Fällen innerhalb von ein paar Tagen zurück. Es kann allerdings auch länger dauern. Nur in ganz seltenen Fällen verändert sich nichts.“

Seine Gedanken rasten. Er musste es wissen. „In ganz seltenen Fällen?“

„Die Untersuchungen ergaben keinerlei Brüche oder Prellungen. Es spricht nichts dagegen, dass Sie beide nach Hause fahren. Wenn die Patientin schläft, wecken Sie sie alle drei bis vier Stunden und stellen ihr immer die gleichen Fragen – Name, Adresse –, um sicherzugehen, dass sie stabil ist. Die Nachuntersuchung übernimmt dann ihr Hausarzt.“

Nach Hause fahren …?

Der Arzt schenkte ihm einen mitfühlenden Blick und schob die Hände in die Taschen seines Kittels. „Geben Sie ihrem Erinnerungsvermögen einen sanften Schubs.“ Vielleicht zeigen Sie ihr ein paar Fotos. Wenn sie wieder in ihrer vertrauten Umgebung ist, wird sie sich sicherlich bald wieder an alles erinnern. „Viel Glück, Mr. Bishop.“

Nachdem der Arzt gegangen war, ließ Samuel sich in einen Sessel fallen. Was er brauchte, war weitaus mehr als nur Glück.

Sein Handy vibrierte in der Hosentasche. Es war sein stellvertretender Geschäftsführer, Willis McKee.

Wo steckst du? Wir haben einen Käufer an der Angel, der dich sprechen will. Am liebsten sofort.

Samuel biss die Zähne zusammen. So schnell?

Er hätte nicht erwartet, dass sein millionenschweres Unternehmen Bishop Maschinenbau, das er erst vor einer Woche zum Verkauf angeboten hatte, in so kurzer Zeit einen Interessenten finden würde. Erst recht nicht bei dem Preis, den er angesetzt hatte. Er wusste nicht genau, was er davon halten sollte.

Im Laufe der von der Trennung überschatteten letzten Monate war er sehr ruhelos gewesen. Er hatte sich gefragt, ob er überhaupt eine neue berufliche Herausforderung brauchte. Immerhin war bereits ein Kapitel seines Privatlebens beendet worden. Andererseits hatte er sich nicht viel Gedanken darüber gemacht, in welche Richtung sein Leben gehen sollte.

Zumindest war er froh gewesen, dass es ihm am Ende gelungen war, wieder nach vorne zu schauen.

Samuel ließ das Handy zurück in die Tasche gleiten. Jetzt war Laura wieder in sein Leben getreten. Und nach Aussage des Arztes konnte niemand sagen, für wie lange. Was zum Teufel sollte er jetzt tun? Er konnte ja nicht einfach gehen. Aber bleiben? Er hatte das Gefühl, in einer furchtbaren Zwickmühle zu stecken.

Als ihm jemand auf die Schulter klopfte, wurde er aus den Gedanken gerissen. Als er realisierte, dass es Grace war, stöhnte er auf.

Sie war wirklich die Letzte, die er sehen wollte.

Grace machte es sich in einem Sessel neben ihm bequem und legte ihre perfekt manikürten Hände in den Schoß. „Jetzt bist du also im Bilde.“

Er warf ihr einen ausdruckslosen Blick zu. „Danke, dass du so nett warst, mich nicht vorzuwarnen.“

„Sie erinnert sich also an gar nichts?“

„Laura glaubt, dass wir heute auf den Tag drei Monate verheiratet sind.“

„Und wie werdet ihr feiern?“

Er stand auf. „Lass es, Grace.“ Er ging in die Richtung von Lauras Zimmer. Wahrscheinlich würde ihm ein weiteres Gespräch mit dieser Person nicht erspart bleiben. Doch in diesem Moment war das Risiko, dass er ihr an die Gurgel ging, einfach zu groß. Bisher war er Grace’ Gehässigkeiten entkommen. Das war das einzig Gute an dem Beziehungsdesaster zwischen Laura und ihm gewesen.

Ständig steckte sie ihre Nase in fremde Angelegenheiten und sorgte für Ärger. Außerdem war Grace ein grauenhafter Kontrollfreak. Natürlich wusste Samuel, dass ein paar Leute das Gleiche über ihn sagten. Doch das war etwas anderes. Er hatte ein Unternehmen zu leiten.

„Ich glaube immer noch, dass du die Ehe hättest retten können.“

Grace’ Worte trafen ihn unerwartet und heftig. Mit wachsender Wut im Bauch drehte er sich um. „Erstens, die Ehe existiert nicht mehr. Zweitens …“ Weil ihm allmählich der Kragen zu platzen drohte, trat er einen Schritt zurück. „… willst du mir wirklich weismachen, du würdest Laura und mich gerne wieder zusammen sehen? Wohl kaum.“

In aller Seelenruhe stand Grace auf. Sie hatte schon immer Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt – die lackierten Fingernägel, das streng hochgesteckte platinblonde Haar. Am liebsten hätte er sie provoziert, doch dafür war das hier nicht der richtige Ort. Einige Leute blickten schon neugierig herüber.

„Du irrst dich, wenn du glaubst, dass ich Laura lieber unglücklich sähe.“

„Du wolltest nie, dass wir heiraten.“

„Ich wollte nicht, dass ihr so früh heiratet. Ihr hättet beide mehr Zeit gebraucht, um euch über einiges klar zu werden.“

„Dann kannst du dich ja jetzt freuen.“

Sie sah ihn direkt an. „Hast du mal darüber nachgedacht, dass man die Dinge auch positiver sehen kann? Vielleicht hast du jetzt die Gelegenheit, anders mit der Situation umzugehen. Zu versuchen, ihr zuzuhören. Sie zu verstehen.“

Wortlos starrte Samuel sie an. Grace hatte keine Ahnung. Während der schwierigen Zeit hatte sie ja auch nicht im gemeinsamen Haus gelebt. Er hatte sein Bestes gegeben, von Anfang an. Als Laura ihm erklärt hatte, dass sie gegen eine Adoption war und ein eigenes Kind wollte, hatte er versucht, sie zu verstehen.

Dass sie mit ihrer Ehe gescheitert waren, hatte weniger etwas mit seinem Verhalten als mit Lauras Einstellung zu tun. Sie war niemals darüber hinweggekommen, dass sie die falschen Entscheidungen getroffen hatte.

Grace seufzte. „Ich habe mich von Laura bereits verabschiedet.“ Sie nahm ihre Handtasche und ging in Richtung Ausgang. „Pass gut auf sie auf.“

Fast hätte er gebrüllt. Wohin zum Teufel, dachte sie, gehen zu können? Jetzt, da Laura sie brauchte, lief sie einfach weg? Hätten ihre Eltern noch gelebt, hätten sie eingegriffen, da war er sicher. Doch Lauras Mutter und Vater waren bereits verstorben, lange bevor sie ihn getroffen hatte.

Ob er wollte oder nicht, es war nun an ihm und Laura, die Situation in den Griff zu bekommen.

Niedergeschlagen ging er wieder zu ihrem Zimmer. Als er eintrat, stand sie mit verschränkten Armen am Fenster. Sie drehte sich um. Ihr zartes Gesicht war blass. Am liebsten, so schien es, wäre sie sofort zu ihm gelaufen, doch sie zögerte.

„Ich habe mit dem Arzt gesprochen“, sagte er.

„Und?“

Samuel überlegte, was er antworten sollte. Erst dachte er über Grace’ Worte nach – die zweite Chance –, dann fiel ihm die Bemerkung des Arztes über die seltenen Fälle ein. Würde Laura ihr Gedächtnis nie mehr zurückbekommen? Bot dieser Unfall tatsächlich eine Möglichkeit für einen Neuanfang? Würde er es überhaupt wollen, nach all dem Kummer, den er bis vor einem Jahr hatte erleiden müssen? Er liebte sie nicht. Jedenfalls nicht mehr. Dafür war einfach zu viel geschehen. Vorerst würde er also nichts überstürzen.

Er ging zu ihr. Als er ihr die Hand reichte, flackerte Hoffnung in ihren Augen auf.

„Zieh dich an“, sagte er mit einem schwachen, aber ermunternden Lächeln. „Der Arzt sagt, wir können nach Hause fahren.“

Eine Stunde später, Samuel fuhr die Biegung der vertrauten Bergstraße hinauf, blickte Laura lächelnd aus dem Fenster. Dieser wunderbare wolkenfreie Himmel, die unendlich weiten Eukalyptus- und Kiefernwälder und all die bunten Vögel … Alles wirkte irgendwie strahlender.

Vom ersten Moment an, als Samuel zwei Wochen, nachdem sie sich kennengelernt hatten, mit ihr durch diese Landschaft gefahren war, hatte sie diesen Teil der Blue Mountains geliebt. Und nun, nur einige Monate später, konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, woanders zu leben. Oder einen anderen Menschen zu lieben. Obwohl …

Verstohlen warf sie einen Blick auf Samuel. Irgendwie sah er an diesem Nachmittag verändert aus. Wahrscheinlich war er müde nach einer anstrengenden Arbeitswoche. Nur diese feinen Linien über seinen Augen waren ihr bisher noch nie aufgefallen. Außerdem wirkte er sehr distanziert, seit sie losgefahren waren. Sie musste nicht Einstein sein, um zu erkennen, dass er das Thema mied, das sie im Krankenhaus angesprochen hatte. Er weigerte sich, neu darüber zu verhandeln, was sie sich vor ihrem Eheschwur versprochen hatten.

In jener Nacht, in der er ihr nahegelegt hatte, ein Kind zu adoptieren, hatte sie verletzt reagiert. Dabei hatte er sicherlich bloß sachlich bleiben wollen. Ja, er wusste, dass ein Leben mit ihrer Krankheit möglich war. Trotzdem gab es das Risiko, dass ein Kind mit einer noch schwereren Form der Herzschwäche zur Welt kommen könnte. Er hatte ihr gesagt, dass es das Wichtigste wäre, zusammen ein gesundes Baby aufzuziehen. Ein Adoptivkind.

Seine Bedenken hatte sie durchaus verstanden – sie tat es immer noch –, doch sie hatte auch gewollt, dass er ihre Gefühle respektierte. Solange sie zurückdenken konnte, hatte sie sich immer eine eigene Familie gewünscht. Vor allem mit Ende zwanzig, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Obwohl sie einen Universitätsabschluss in der Tasche hatte – ihre Eltern hatten viel Wert auf Bildung gelegt –, hatte sie sich gewünscht, Hausfrau und Mutter zu sein. Sie hatte kein Interesse an einem karriereorientierten Leben. Und ihr war auch egal, was andere darüber dachten. Sie wollte ihren Kindern die gleiche Liebe und Unterstützung schenken, die auch ihr zuteilgeworden war. Der Gedanke, das Kind einer anderen Frau großzuziehen, war ihr dabei nie in den Sinn gekommen.

Obwohl sie sich natürlich ein gesundes Baby wünschte. Eigentlich war es Unsinn, übervorsichtig zu sein. Denn es war keinesfalls sicher, dass ein leibliches Kind automatisch ihre Krankheit erben würde. Außerdem gab es Medikamente und die Möglichkeit, einen Defibrillator zu implantieren, der die Herztätigkeit regulierte.

Solange sie Kinder bekommen konnte – und es sprach nichts dagegen –, wollte sie es versuchen. Ihre Belohnung wäre das Risiko wert. Ein leibliches Kind.

Gedankenverloren strich Laura über die Armlehne, dann wurde sie plötzlich stutzig. Sie war so in Gedanken vertieft gewesen, dass es ihr gar nicht aufgefallen war. „Du hast gar nicht erwähnt, dass du einen neuen Wagen kaufen wolltest.“

Samuel, dessen Augen hinter der dunklen Pilotenbrille nicht zu sehen waren, starrte geradeaus auf die Straße. „Willis hat einen guten Preis für den Landrover ausgehandelt.“

Fieberhaft dachte sie nach. „Welcher Willis? Ich kann mich nicht erinnern, dass du den Namen vorher schon mal erwähnt hast.“

„Habe ich nicht? Er ist mein Assistent. Mein neuer Assistent.“

„Was ist denn mit Cecil Clark passiert? Ich dachte, du schätzt seine Arbeit?“

„Er … hat ein anderes Angebot bekommen.“

Die Räder des Wagens knirschten auf dem Kiesweg, als Samuel am Ende der langen Auffahrt anhielt. Er parkte den Wagen vor dem luxuriösen, im Stil einer Ranch gebauten Haus am Abhang. Der Luxus setzte sich innen fort – individuell gestaltete, riesige Kamine, ebenso geräumige wie gemütliche Zimmer, zwei große Arbeitszimmer und ein voll ausgestatteter Trainingsraum mit Sauna und Pool.

Sonntags servierte Laura für gewöhnlich Frühstück auf der Veranda, damit sie gemeinsam den Sonnenaufgang genießen konnten. Noch mehr genoss sie allerdings die Stunden danach … in denen sie sich im Schlafzimmer ihrem begehrenswerten und leidenschaftlichen Ehemann hingab.

Gedankenverloren berührte Laura die Stelle an der Schläfe, wo der Verband saß. Hatten sie ihr kleines Ritual auch vergangenen Sonntag ausgekostet? Sie konnte sich nicht erinnern.

Samuel stieg aus und ging um den Wagen herum, um ihr die Tür zu öffnen. Gemeinsam gingen sie die mit Schiefer gepflasterten Treppenstufen zu der edlen Eingangstür aus Glas und antikem Holz hinauf. Räuspernd blieb er auf dem Treppenabsatz stehen und bewegte unbeholfen den Schlüsselbund in der Hand.

„Mein, ähm, Haustürschlüssel hängt wahrscheinlich am anderen Bund.“

„Ich habe meinen dabei.“ Sie konnte sich gar nicht erinnern, dass sie sich ihre Handtasche geschnappt hatte, bevor sie in die Klinik gefahren waren. Merkwürdig, sie konnte sich nicht einmal an diese Handtasche erinnern. Sie griff in die Tasche, kramte darin herum und fischte einen Schlüsselbund heraus … doch urplötzlich erstarrte sie. Panik erfasste sie. „Meine Ringe“, brachte sie hervor. „Die Schwester muss sie mir abgenommen haben, bevor sie die Röntgenaufnahmen gemacht haben.“

Doch ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass ihr diamantbesetzter Ehering und der wundervolle Verlobungsring bestimmt im Krankenhaus aufbewahrt wurden. Wahrscheinlich hatten sie nur vergessen, ihr den Schmuck wiederzugeben, und es gab keinen Grund zur Sorge. Trotzdem hatte sie kein gutes Gefühl. Ohne ihre Ringe fühlte sie sich nackt und verletzlich.

Während sie auf der breiten Veranda stand, im Hintergrund strahlte die Sonne über den Eukalyptusbäumen, trat Samuel näher. „Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich darum. Und du ruhst dich erst mal etwas aus.“

Sie verschränkte die Finger mit seinen, legte seine Hand an die Stelle ihres Herzens und lächelte ihn verheißungsvoll an. „Du siehst aus, als könntest du auch etwas Ruhe gebrauchen.“

In seinen Augen flackerte es auf. „Ich bin heute nicht gestürzt.“

Sie war enttäuscht. Er klang so … leidenschaftslos. Doch anders als eben im Krankenhaus, wusste sie nun auch, warum. Natürlich wollte er ihr körperlich nahe sein. Aber als verantwortungsbewusster Mensch hielt er sich an die ärztlichen Anweisungen. Trotzdem …

„Weißt du was?“ Sie trat näher an ihn heran, bis sich ihre Körper fast berührten. „Ich kann mir nichts Entspannenderes vorstellen als ein Schäferstündchen mit meinem Mann.“

Wieder war da dieser merkwürdige Ausdruck in seinen Augen. „Lass uns hineingehen.“ Mit der freien Hand öffnete er die Tür. „Ich werde dir etwas zu trinken bringen.“

„Champagner?“, fragte sie und versuchte, sich die Enttäuschung über seine Abfuhr nicht anmerken zu lassen. „Schließlich ist es unser Hochzeitstag.“

„Tee.“ Er schloss die Tür und ging hinter ihr ins Haus. „In ein paar Tagen werden wir sehen, ob du immer noch Lust auf Champagner hast.“

3. KAPITEL

Als Laura schließlich allein ins Schlafzimmer ging, sandte Samuel stumm ein Stoßgebet zum Himmel.

Da war er gerade noch mal davongekommen. Er hoffte inständig, dass seine Exfrau ihr Gedächtnis so schnell wie möglich wiedererlangte. Diese Farce musste endlich ein Ende haben.

Für Laura bestand kein Zweifel daran, dass sie miteinander verheiratet waren. Und ein Paar teilte nun einmal körperliche Bedürfnisse miteinander, was er und Laura auch sehr oft getan hatten. Am meisten ärgerte er sich darüber, wie stark sein Körper auf die bloße Vorstellung reagierte, sie zu umarmen. Nackt. Sie zu lieben und sie wieder ganz für sich zu haben.

Nachdem sie betrübt über den langen Massivholzboden des Flurs in Richtung Schlafzimmer verschwunden war, fuhr Samuel sich durchs Haar und blickte sich um. Dieselben Möbel, derselbe wunderschöne Kamin. Wie oft hatten sie sich wohl vor dem prasselnden Feuer geliebt?

Nach einer Weile verdrängte er den Gedanken daran und ging zur Eingangstür.

Die Versuchung, sich einfach aus dem Staub zu machen, war groß. Er wusste, das alles würde traurig enden. Doch zu verschwinden kam nicht infrage. Jedenfalls nicht in diesem Moment. Sollte Lauras Erinnerungsvermögen nicht bis zum nächsten Sonntag zurückgekehrt sein, dann würde er eine Geschäftsreise vortäuschen … Oder Grace müsste sich etwas einfallen lassen. Doch bis dahin war er gezwungen, die Sache auszusitzen.

Däumchen drehen würde er allerdings nicht. Auch wenn sein Büro ganz woanders war, konnte er vieles von hier aus erledigen.

Er holte seinen Laptop aus dem Wagen und bezog kurzerhand sein altes Arbeitszimmer. Dort ließ er den Blick über die schweren Rosenholzmöbel schweifen. Er betrachtete die rotbraune Couch, seinen Zauberwürfel und das gerahmte Foto von Laura, das erstaunlicherweise immer noch auf seinem Schreibtisch stand.

Zum Teufel, dachte er. Er war davon ausgegangen, dass sie jedes Erinnerungsstück hatte entsorgen lassen. Dieser Gedanke führte ihn schließlich wieder zu dem „Verlust“ der Eheringe.

Wahrscheinlich hatte sie sie in die Toilette oder in den Kamin geschmissen. So wie er es mit seinem Ring getan hatte, bevor er außer sich vor Wut die Tür hinter sich zugeknallt und sich geschworen hatte, nie wieder einen Fuß in dieses Haus zu setzen. Jedenfalls war er damals fest entschlossen gewesen. Dieses Mal würde es nur ein kurzes Gastspiel für ihn werden. Immerhin war der Trennungsprozess schon quälend lang gewesen.

Er setzte sich auf den Schreibtischstuhl und lud die aktuellsten Ergebnisse von Bishop Maschinenbau auf den Laptop.

Da er gelernter Ingenieur war, hatte er eine Leidenschaft für Maschinen und Apparate. Nicht selten übernahm er als Chef die Bedienung der Maschinen selbst, wenn seine Arbeiter verhindert waren. Er betrachtete sich genauso als Teil des Unternehmens wie seine Arbeiter. Doch in Australien eine Produktionsstätte am Laufen zu halten war ein schwieriges Unterfangen. Der unstete Kurs des australischen Dollars, die Konkurrenz der Billiglohnländer – nicht leicht für ihn als Unternehmer.

Als kurz nach der Trennung von Laura Verträge geplatzt waren, hatte er sich entmutigt gefragt, ob er als Geschäftsmann ebenso zum Scheitern verurteilt war wie als Ehemann. Wenn er begann, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln, wäre es vielleicht besser, die Firma einem anderen zu überlassen. Jemandem, der mehr Nervenstärke besaß. Am liebsten wäre er selbst dieser Jemand gewesen.

Er überflog seine E-Mails, konnte sich aber kaum konzentrieren. Vor seinem geistigen Auge sah er Laura, die in dünne Laken gehüllt auf dem Bett lag. Er musste daran denken, dass, wenn sie zueinander fanden, es sich anfühlte, als wären sie wie füreinander gemacht – und einen Moment lang kämpfte er gegen das starke Verlangen, zu ihr zu gehen.

Missmutig schob er den Laptop von sich und starrte an die Decke. Verdammt, er hatte das Ende ihrer Ehe nie gewollt. Doch bei allem Gefasel von Grace über eine zweite Chance; er wäre verrückt, diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen. Er saß hier, weil er keine andere Möglichkeit gehabt hatte. Wenn Laura erst einmal ihr Gedächtnis wiederhatte, könnten beide diese Episode vergessen und in ihre eigenen, getrennten Welten zurückkehren.

Laura erwachte mit klopfendem Herzen. Im Zimmer war es still und dunkel. Der Wecker zeigte kurz nach zwei Uhr.

Zitternd zog sie die Decke höher. Sie fühlte sich einsam, doch als sie an Samuel dachte, lächelte sie und fühlte sich gleich viel besser. Vorsichtig drehte sie sich um und streckte suchend den Arm in der Dunkelheit aus …

Der Platz neben ihr war unberührt und leer. Wieso hatte er sich nicht zu ihr gelegt? Wusste er denn nicht, dass seine Umarmung das beste Mittel war, damit sie bald wieder gesund war?

Wenn nicht, sollte sie schleunigst zu ihm gehen und es ihm sagen.

Nachdem sie sich einen seidigen Morgenrock übergeworfen hatte, betrat sie den Flur. Unter Samuels Bürotür schien Licht auf den schweren Holzboden. Stirnrunzelnd zog sie den Morgenrock enger um sich. Er arbeitete um zwei Uhr in der Frühe?

Sie ging weiter, blieb aber im Türrahmen stehen. Der Anblick, der sich ihr bot, brachte ihr Herz zum Schmelzen. Samuel lag ausgestreckt auf seinem großen ledernen Chesterfieldsofa. Schuhe und Hose hatte er ausgezogen, das weiße Hemd war bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Laura erkannte an dem gleichmäßigen Auf und Ab seiner muskulösen Brust, dass er schlief. Gott, sie liebte ihn so sehr. Und sie wollte ihn über alles. Aber da war noch ein anderes Gefühl … eines, das sie sich nicht genau erklären konnte.

Sie vermisste ihn. Als hätte sie ihn jahrelang nicht gesehen. Plötzlich überkam ein unbändiges Gefühl der Sehnsucht sie, und sie musste unwillkürlich lächeln. Er war gerade einmal die halbe Nacht fort gewesen.

Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen, hätte den Gürtel des Morgenrocks gelöst und sich eng an Samuel geschmiegt. Um dann mit dem Oberschenkel seine langen, geschmeidigen Beine entlangzustreichen und seine Lust zu wecken. Sie würde sich der Anordnung des Arztes, sich zu schonen, widersetzen, seinen Körper verwöhnen und ihm sinnliche Worte ins Ohr flüstern. Ganz sicher würde er sich ihr ergeben und sie lieben.

Oder würde er besorgt reagieren?

Während sie überlegte, was sie tun sollte, ging ein Ruck durch seinen durchtrainierten Körper, und Samuel erwachte. Von einer auf die andere Sekunde saß er kerzengerade auf dem Sofa. Er starrte zur Tür, in der sie stand. Sein dunkles Haar war zerzaust, seine gebräunten, muskulösen Beine waren fest und wohlgeformt. Laura verzehrte sich danach, mit den Fingern über jeden Zentimeter dieses makellosen Körpers zu fahren.

Er starrte sie mit seinen blauen Augen an. Als er die Silhouette ihres Körpers musterte, wurde sein Blick schmal. Das Aufflackern in seinen Augen verriet ihr, dass er sich danach sehnte, ihren Körper zu berühren und zu küssen.

Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Seine Stimme klang rau und verschlafen. „Es ist spät. Geh zurück ins Bett.“

„Nur wenn du mitkommst.“

Er hielt ihrem Blick stand, doch schließlich deutete er auf den Schreibtisch. „In ein paar Minuten. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen.“

Sie ging auf ihn zu, setzte sich neben ihn und sah ihn ruhig an. „Es lässt sich nicht vermeiden, weißt du.“

„Vermeiden … was denn?“

„Wir müssen reden.“

Sie legte die Hand auf sein Bein. Die er sofort wieder wegnahm. „Nicht mitten in der Nacht.“ Als er aufstand, ergriff sie seine Hand und zog ihn zurück. Er hatte zwar die Kraft zu widerstehen, gab sich aber geschlagen und setzte sich wieder.

„Als ich alt genug war, um zu begreifen, wie es um mich steht“, begann sie, „da habe ich mich irgendwie … anders gefühlt. Meine Eltern haben Wert darauf gelegt, dass jeder Lehrer wusste, was ich tun durfte und was nicht.“

Stirnrunzelnd sah Samuel sie an. „Warum erzählst du mir das jetzt?“

„Ich möchte, dass du verstehst, dass ich genau weiß, was ich dir, mir und all unseren möglichen Kindern abverlangen kann.“

Er senkte den Blick. Als er bemerkte, dass sein Hemd offen stand, begann er es langsam zuzuknöpfen. „Laura, es ist bestimmt schon fast drei Uhr …“

„In der Schule war es manchmal ganz schön einsam“, fuhr sie einfach fort. Ihr war egal, wie spät es war. Sie hatte etwas zu sagen, das er hören musste. „Klassenausflüge konnte ich damals vergessen. Einige haben hinter meinem Rücken über mich geredet.“

Beim letzten Knopf angekommen, ballte er die Hand zur Faust. „Nicht wenn ich da gewesen wäre.“

„Ich hatte auch gute Freunde. Dann kam die Uni, und plötzlich war ich wie jeder andere auch. Ein Jahr nach meinem Abschluss haben wir uns getroffen. In dieser Nacht hast du bis in die frühen Morgenstunden geredet.“

Lächelnd sah sie ihn an. „Acht Wochen und einen Tag später hast du mir den Antrag gemacht. Niemand hätte glücklicher sein können … oder verliebter …“ Sie blickte kurz beiseite, sah ihn dann aber wieder an. „Obwohl du wahrscheinlich nicht verstanden hast, wie sehr ich mir ein eigenes Kind gewünscht habe. Nur hatte ich diese Erkenntnis verdrängt, nachdem ich deinem Vorschlag zugestimmt hatte, ein Kind zu adoptieren.“

Er räusperte sich. „Lass uns morgen früh weiter darüber reden.“

Vorsichtig berührte sie den Verband um ihren Kopf. Da sie ein leichtes Pochen verspürte, nickte sie bloß. Für heute war es genug. Sie hatte ihm die Tür wieder etwas weiter aufgemacht und würde morgen mit ihm weiterreden. Und wenn er verstand, wie wichtig ein eigenes Kind für sie war – und er begriff, dass es nicht zwangsläufig das gleiche Schicksal haben musste –, dann würde er ihr entgegenkommen.

Sie stand auf und reichte ihm die Hand. „Kommst du?“ Als er einen Blick auf ihren Verband warf, grinste sie. Wenn er dachte, er könnte sich schon wieder herausreden, hatte er sich geirrt. „Oder sollen wir hierbleiben und das Gespräch fortführen?“

Er stand auf. „Du hast gewonnen. Aber nimm es nicht zu sehr auf die leichte Schulter.“

Sie hakte sich bei ihm ein und führte ihn raus aus dem Flur in Richtung Schlafzimmer.

Während sie auf ihrer Seite des Bettes den Morgenrock auszog, knöpfte er wieder sein Hemd auf. Dabei ließ er sich viel Zeit. Nachdem sie im Negligé, in dem sie sich ausgesprochen verführerisch fühlte, unter die Decke gekrochen war, betrachtete sie ihn im goldenen Schein der Lampe. Dann kuschelte sie sich ein und zog die Decke auf seiner Seite zurück. „Ich verspreche hoch und heilig“, sagte sie halb augenzwinkernd, „dass ich dir nichts antun werde.“

Einen Augenblick später legte er sich neben sie, stützte sich auf den Ellbogen und sah ihr in die Augen. Dann schob er eine Locke aus ihrem Gesicht und sagte: „Das verspreche ich dir auch.“

Am nächsten Morgen wurde Samuel durch lautes Vogelgezwitscher aus dem Schlaf gerissen. Stöhnend rieb er sich die Augen. Noch bevor er sich wieder an den vorangegangenen Tag erinnern konnte, realisierte er, wo er war. Der Duft von klarer Bergluft durchströmte das Zimmer. Außerdem erkannte er sofort, wer da mit engelsgleicher Figur neben ihm lag.

Laura lag auf dem Rücken, das seidige, auf dem Kissen ausgebreitete Haar wirkte wie ein Heiligenschein. Unter dem Stoff des verschlossenen Negligés sah er die rosigen Spitzen ihrer Brüste.

Wildes Verlangen durchströmte jeden Teil seines Körpers. Reflexartig streckte er die Hand aus, um ihr über die zarte Wange zu streicheln. Doch Gott sei Dank besann er sich rechtzeitig und zog die Hand wieder zurück. Laura hatte ja keine Ahnung, wie ernst er sein Versprechen gemeint hatte, sie nicht anzurühren. Doch als sie sich an ihn geschmiegt hatte, wie hätte er sie davon abhalten können?

Er schloss die Augen und zwang sich, an etwas anderes zu denken.

Und wieder focht er den gleichen Kampf aus. Das brennende Verlangen verleitete ihn fast dazu, seine guten Vorsätze zu vergessen und mit der Hand über ihren fantastischen Körper zu gleiten. Bei dem Gedanken daran wuchs seine Erregung, und er sehnte sich danach, ihre Brüste zu liebkosen und den süßen Duft ihrer Haut einzuatmen.

Samuel hielt es kaum noch aus. Jetzt war es klüger, das Zimmer zu verlassen.

Er versuchte, sich zu beruhigen, und stand leise auf. Als er sich das Hemd überstreifte, fiel ihm das nächste Problem ein. Welche Kleidung sollte er ein ganzes Wochenende lang tragen? Wahrscheinlich musste er einen kurzen Abstecher in die nahegelegene Gemeinde machen.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

Die Läden würden erst in zwei Stunden öffnen.

Hinter ihm drehte sich Laura im Bett herum. Sie lächelte im Schlaf. Der Arzt hatte ihm zwar geraten, sie alle paar Stunden aufzuwecken und ihr einfache Fragen zu stellen, doch gerade noch vor vier Stunden schien es ihr gut zu gehen. Bis auf den Verband um ihren Kopf wirkte sie absolut gesund. Er wollte sie nicht stören. Außerdem war es für ihn sicherer, solange sie schlief. Währenddessen musste er sich nicht ständig fragen, wann sie anfangen würde, sich wieder zu erinnern.

Einige Minuten später war er in seinem Büro, um über sein Smartphone seine Nachrichten abzurufen. Darunter war auch eine neue Mitteilung von Willis.

Wo zum Teufel steckst du?

Wo er steckte? In einer Zeitschleife, in der die Frau, die er einmal geliebt hatte, sich nicht daran erinnern konnte, dass sie ihn aus diesem Haus geworfen hatte.

Er ging nach draußen auf die Veranda und sog frische Morgenluft ein. Das Gezwitscher der Vögel war ohrenbetäubend. Durch das Leben in der Stadt, das er seit einem Jahr führte, hatte er vergessen, wie laut es in der Natur war. Doch er empfand den Lärm als angenehm und spürte, wie sehr er ihn vermisst hatte.

Er tippte Willies Nummer ins Smartphone. Während er auf eine Antwort wartete, schwang er sich elegant über das hölzerne Geländer, setzte sich darauf und beobachtete ein kleines Stachelschwein, das im Gebüsch verschwand. Dann meldete sich Willis am anderen Ende der Leitung.

„Bist du schon im Büro?“

Samuel ließ den Blick über die Eukalyptusbäume schweifen. „Nicht mal in der Nähe.“

„Hast du das, weswegen du gestern auch immer geflüchtet bist, in den Griff bekommen?“

„Es wird sich alles am Montag klären.“

„Gut. Denn ich habe den potenziellen Käufern versprochen, dass du dich dann mit ihnen zusammensetzt. Bis dahin werde ich die Unterlagen zusammenstellen, die sie sehen wollen.“

Während Samuel zuhörte, begutachtete er den verwitterten Holzklotz, den er einst zum Holzhacken aufgestellt hatte. Als Willis endete, stimmte Samuel ihm gedankenverloren zu. „Klingt gut.“

Eine kleine Pause entstand. „Ehrlich gesagt klingst du nicht so aufgeregt, wie ich es erwartet habe.“

„Aber ich bin aufgeregt“, entgegnete Samuel. „Ich bin bloß nicht davon ausgegangen, dass uns jemand zu diesem Zeitpunkt ein Häppchen vor die Nase hält.“

„Hier geht’s nicht um ein Häppchen, Sam. Hier geht’s um Clancy Enterprises.“

Samuel pfiff anerkennend. „Denen gehört die Hälfte der Unternehmen an der Ostküste.“

„Wir reden hier über eine ganze Menge Geld. Und wir haben nicht mehr viel Zeit, denn diese Jungs haben es eilig.“

„Wie eilig?“

Unterschreiben Sie hier. So eilig.“

Als ihm jemand auf die Schulter klopfte, erschrak Samuel fast zu Tode. Er sprang vom Geländer und drehte sich um. Vor ihm stand Laura, eingehüllt in den seidigen pinkfarbenen Morgenrock, die Nasenspitze von der kühlen Morgenluft gerötet.

Als ihr Blick auf das Smartphone fiel, trat sie einen Schritt zurück und flüsterte: „Entschuldige bitte, ich habe nicht gesehen, dass du telefonierst.“

Samuel hörte Willis am anderen Ende der Leitung wie eine Stimme aus einer anderen Welt: „Sam? Bist du noch dran?“

„Schon in Ordnung“, sagte er zu Laura und bemerkte, dass sie immer noch genauso jung und frisch aussah wie damals. „Ich muss Schluss machen. Wir reden später weiter.“

Fröstelnd schlang Laura ihre Arme eng um ihren Körper. Es war zwar Frühling, doch die Morgenstunden waren immer noch sehr kühl.

„War es etwas Dringendes?“, fragte sie.

„Nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.“

Trotzdem musterte sie ihn fragend. Als sie langsam den Kopf schüttelte, wurde Samuel plötzlich aufmerksam. Etwas schien Klick gemacht zu haben. Vielleicht etwas, was er gesagt hatte, oder der Klang seiner Stimme.

Sie neigte den Kopf. „Warum trägst du dasselbe Hemd von gestern?“

Was sollte er darauf antworten? Er lebte hier schon lange nicht mehr. Also würde er auch keine alten Kleidungsstücke mehr finden. Wäre er doch bloß rechtzeitig ins nächste Städtchen aufgebrochen, um ein paar Hemden zu kaufen …

Aber es musste ja so kommen. Warum überhaupt sollte er die ganze Situation umständlich erklären? Er würde sie einfach vor vollendete Tatsachen und den leeren Kleiderschrank stellen, um ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen.

Also gingen sie zurück ins Haus, den Flur entlang ins Schlafzimmer. Und während sie die Decke glatt strich, stand er unbeirrt vor seinem ehemaligen Kleiderschrank und atmete einmal tief durch.

Öffne ihn. Tue es.

Er umfasste den Knauf. Und zog.

Als er ins Innere blickte, verschlug es ihm die Sprache. Der Schrank war voller Kleidung. Seiner Kleidung. Anzüge, Hemden, Jeans. Ja, er hatte alles hiergelassen. In seinem Apartment in Darling Harbor, einem Stadtteil von Sydney, hatte er genügend zum Anziehen.

Damals hatte er angenommen, dass Laura seine Sachen zur Altkleidersammlung bringen würde. Warum bloß hatte sie all seine Sachen nicht rausgeschmissen, obwohl sie ihn doch rausgeschmissen hatte?

„Brauchst du Hilfe?“

Ihre Stimme riss ihn aus den Gedanken. Kurz darauf begann sie, ihm Schultern und Arme zu massieren. Unweigerlich spürte er, wie ein wohliges Prickeln durch seinen Körper fuhr, und instinktiv lehnte er sich zurück. Sie drückte einen Kuss zwischen seine Schulterblätter, und als sie über seine Unterarme strich, versuchte er, standhaft zu bleiben.

„Allerdings müssen wir uns auch nicht anziehen“, raunte sie, während sie mit den Händen suchend an seinen Hüften hinunterglitt und sie sie dort ruhen ließ, wo seine Erregung am deutlichsten zu spüren war.

Er presste die Hände auf ihre und konnte an nichts anderes denken als daran, sie zu nehmen. Sich in ihren Küssen zu verlieren und … Im letzten Moment riss er sich zusammen und schob ihre Hand beiseite. Während er gegen das wilde Verlangen in sich ankämpfte, drehte er sich zu ihr um und zwang sich zu lächeln. „Du bist wirklich sehr überzeugend.“

„Und du würdest dafür sterben, es zu tun.“ Sie sah ihn an, stellte sich auf die Zehenspitzen und streifte spielerisch seinen Mund.

Als Laura mit den Lippen über sein unrasiertes Kinn bis zu seinem Mund fuhr, erwiderte er plötzlich den Kuss. Ihm war, als würde heiße Lava durch ihn strömen, und jede Zelle seines Körpers schrie nach mehr.

Ihr Geschmack war noch derselbe, das Gefühl dasselbe. Plötzlich wusste er, dass er sich immer noch genauso nach seiner Frau verzehrte wie damals.

Als sie aufseufzte, ging es ihm durch Mark und Bein und verursachte ein wahres Inferno zwischen seinen Lenden. Instinktiv glitt er mit der einen Hand zu ihrer Brust. Während er sie sanft umschloss, drang er mit der Zunge tiefer in ihren Mund ein.

Zittrig fuhr sie unter sein Hemd und führte seine freie Hand zum Zentrum ihrer Lust, während er mit der anderen ihre Brustspitze reizte. Er genoss es, sie mit seinen Fingern zu erforschen. Sie trug keinen Slip. Durch den Stoff ihres seidenen Negligés hindurch fühlte er ihre Hitze, sie war bereit für ihn. Am Rande seiner Selbstbeherrschung, stöhnte er auf. „Es fühlt sich so gut an.“

„Schlaf mit mir, Samuel“, murmelte sie heiser.

„Du ahnst nicht, wie sehr ich das will.“

„Oh doch.“

Sie lächelte verführerisch und ließ die Hand wieder an seinem Körper hinuntergleiten, was ihn fast um den Verstand brachte.

Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte vergessen, wie unrealistisch die Situation eigentlich war … hätte sie aufs Bett geworfen und ihre Leidenschaft erwidert. Dennoch …

Er hielt sie immer noch im Arm, atmete tief ein und versuchte, seiner Gedanken Herr zu werden. „Ich … denke, wir sollten aufhören.“

Mit der Zunge fuhr sie über seine Unterlippe. „Nicht denken.“

Himmel, irgendjemand musste das doch.

Die Zähne fest zusammengebissen, drängte er sie sanft von sich. „Der Arzt hat gesagt …“

„Ist mir egal, was der Arzt gesagt hat.“

„Hör mir zu“, raunte er etwas grob. „An dieser Stelle ist Schluss.“

Sie zog ihre Hand zurück und blickte ihn einen Moment lang fragend an. „Ist es, weil ich nicht nach einem Kondom gefragt habe? Glaubst du, ich will hier und auf der Stelle ein Kind mit dir zeugen?“

Na ja, dieses Argument war so gut wie jede andere Ausrede. Er hob den Kopf. „Lass uns herunterkommen und eine Dusche …“

In ihren Augen blitzte es hoffnungsvoll auf. „Großartige Idee!“

„… alleine eine Dusche nehmen. Du bist sicherlich auch hungrig. Und später …“ Später? „Später reden wir darüber“, versprach er ihr.

Genau das würden sie auch tun. Wenn ein Gespräch sie weiterbrachte, dann eines über das Risiko einer Schwangerschaft.

4. KAPITEL

Eine halbe Stunde später hörte Samuel Lauras spitzen Schrei aus dem Schlafzimmer und erschrak. Mit klopfendem Herzen hastete er quer durch das große Wohnzimmer in den Flur.

Was zum Teufel war geschehen?

Hatte sich vielleicht eine dieser braunen Giftschlangen ins Schlafzimmer verirrt? War Laura vielleicht wieder gestürzt? Möglicherweise hatte sie ihr Gedächtnis wiedererlangt und wollte ihm nun den Hals umdrehen.

Vor seinem Arbeitszimmer wären sie fast zusammengeprallt. Ihr Gesicht war gerötet, ihre langen gebräunten Beine wirkten in den weißen Shorts noch geschmeidiger. Mit einem erneuten Aufschrei gestikulierte sie mit den Händen vor seinem Gesicht herum. Dabei wirkte sie weniger verängstigt oder verärgert als vielmehr … aufgeregt.

„Ich hab sie!“ Ungeduldig hüpfte sie von einem Bein aufs andere. „Sie waren hier. Die ganze Zeit.“

Er ergriff ihre Arme, um sie zu beruhigen. „Ganz langsam. Was ist hier?“

Die hier.“

Sie wackelte mit den Fingern, an denen die goldenen und diamantenen Ringe funkelten, die er ihr vor zwei Jahren übergestreift hatte.

„Ich muss sie abgenommen haben, bevor ich ins Krankenhaus gefahren bin“, sagte sie. „Allerdings weiß ich nicht, warum. Ich kann mich nicht erinnern.“

Erleichtert atmete er aus. Keine Stürze, keine Schlangenbisse. Gott sei Dank …

„Das spielt jetzt auch keine Rolle“, murmelte er.

Natürlich tat es das. Der Arzt hatte gesagt, dass ein paar kleine Stupser ihrem Gedächtnis wieder auf die Sprünge helfen würden. Seiner Meinung nach hatte er mehr als einen Anstoß gegeben, indem er sie hierher, an den Ort des Geschehens, zurückgebracht hatte. Nach ihrem letzten großen Streit hatten sie kaum mehr miteinander geredet. Damals hatte ein Wort das andere gegeben. Nachdem er sie im falschen Augenblick mit der Begründung, arbeiten zu müssen, zurückgewiesen hatte, hatte sie damit zurückge...

Autor

Robyn Grady
Es ist schon lange her, doch Robyn Grady erinnert sich noch ganz genau an jenes Weihnachten, an dem sie ein Buch von ihrer großen Schwester geschenkt bekam. Sofort verliebte sie sich in die Geschichte von Aschenputtel, die von märchenhaftem Zauber und Erfüllung tiefster Wünsche erzählte. Je älter sie wurde, desto...
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