Baccara Exklusiv Band 246

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HEIßE KÜSSE, HEIMLICHES BEGEHREN von MAUREEN CHILD

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  • Erscheinungstag 01.06.2024
  • Bandnummer 246
  • ISBN / Artikelnummer 0858240246
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Maureen Child, Karen Booth, Kara Lennox

BACCARA EXKLUSIV BAND 246

1. KAPITEL

„Für fünfzigtausend Dollar kannst du das Baby haben.“

Adam Quinn schluckte einen plötzlichen Anfall von Zorn hinunter und betrachtete die Frau, die ihm gegenüberstand. Kim Tressler war ungefähr dreißig Jahre alt. Sie hatte hellblondes Haar und trug ein schwarzes, so eng geschnittenes Kleid, dass sich jede Kurve ihres Körpers darunter abzeichnete. Die stark geschminkten blauen Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, aus denen sie Adam Quinn böse anfunkelte. Ihr Mund war ein einziger roter Strich.

Tunlichst vermied Adam es, das Baby länger als nötig anzuschauen, das Kim auf der linken Hüfte trug … den Sohn seines toten Bruders. Er musste einen klaren Kopf bewahren, solange er es mit dieser Frau zu tun hatte, und das konnte er nur, wenn er nicht auf das Kind sah.

Als Besitzer einer der weltweit größten Bau- und Immobilienfirmen war Adam daran gewöhnt, Konflikte zu lösen. Im Laufe seines Geschäftslebens hatte er es schon mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu tun gehabt und zahlreiche Kämpfe ausgefochten. Und aus allen war er stets als Sieger hervorgegangen. Aber diesmal ging es nicht ums Business. Das hier war eine rein private Sache. Und die ging ihm mächtig an die Nieren.

Vor ihm auf dem Schreibtisch lag der geöffnete DNA-Test, der bestätigte, dass der Vater des Babys Devon Quinn war, Adams jüngerer Bruder. Er hätte den Test eigentlich nicht benötigt, denn das Kind war Devon wie aus dem Gesicht geschnitten. Ebenso klar war, dass er den Jungen auf keinen Fall bei seiner Mutter lassen würde, so kalt und berechnend, wie sie war. Typisch Devon. Er hatte immer einen schlechten Geschmack gehabt, was Frauen betraf.

Die einzige Ausnahme bildete seine Exfrau, Sienna West. Bei dem Gedanken an sie fühlte Adam ein Ziehen in der Brust, das jetzt völlig fehl am Platz war. Er durfte nicht an Sienna denken, solange ihm Kim gegenüberstand. Es war wichtig, dass er sich ausschließlich auf sie konzentrierte.

„Fünfzigtausend“, wiederholte er.

„Das ist ein faires Angebot“, meinte sie schulterzuckend. Als das Baby durch die plötzliche Bewegung aufwachte und unruhig wurde, schüttelte sie es unwirsch, während sie den Blick neugierig durch Adams Büro schweifen ließ.

Ihm war völlig klar, was in ihr vorging.

Sein Büro war riesig und strahlte Macht und Reichtum aus. Ein massiver Schreibtisch aus Mahagoni stand zwischen ihm und Kim. Breite Glasfronten boten einen wunderschönen Ausblick auf den Pazifischen Ozean, wo sich Surfer und Segler tummelten. An den hellgrauen Wänden hingen gerahmte Fotos von einigen seiner größten Projekte, und auf dem schimmernden Holzboden lagen wertvolle Teppiche in dunklen Rottönen. Adam hatte hart dafür gearbeitet, dass seine Firma da war, wo sie heute stand, und er war stolz darauf. Sollte dieses geldgierige Weib ruhig alles anstarren, als hingen Preisschilder daran.

Als das Kind leise zu wimmern begann, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Adam. „Also. Das ist Devons Sprössling, und er hat versprochen, dass er für uns beide sorgen wird, als er mich zu dem Baby überredet hat. Er wollte das Kind, ich nicht. Jetzt ist er tot, und das alles geht mich nichts mehr an. Ich muss mich auf meine Karriere konzentrieren. Für ein Kind habe ich keine Zeit. Ich will es nicht, aber Sie als sein Bruder …“

Nur mit größter Mühe gelang es Adam, sich zu beherrschen. Wie konnte sie nur so herzlos sein? Das Baby tat ihm unendlich leid. Gleichzeitig fragte er sich, was, um Himmels willen, sein Bruder in dieser Frau gesehen hatte. Mal abgesehen davon, dass Devon selbst ziemlich oberflächlich gewesen war, musste er doch mit so einer Frau kein Kind in die Welt setzen. Schließlich machte sie keinen Hehl daraus, dass sie nur an Geld interessiert war.

Es schockierte ihn, dass sie so schnell mit ihrer Vergangenheit und dem gemeinsamen Leben mit seinem Bruder abgeschlossen hatte. Zweifellos hatte Devon seine Schwächen gehabt, aber er verdiente doch etwas Besseres als diese Frau. Andererseits sah ihm das alles ziemlich ähnlich. Er hatte nie weiter als bis zum nächsten Abenteuer gedacht. Oder bis zur nächsten Geliebten. Leider war er ausgerechnet bei dieser hängen geblieben. Und ein Testament hatte er trotz des Kindes nicht verfasst, weil er vermutlich damit gerechnet hatte, ewig zu leben.

Stattdessen war er vor etwas mehr als sechs Monaten bei einem schrecklichen Bootsunfall in Südfrankreich ums Leben gekommen. Adams Schmerz über den Tod seines Bruders war noch frisch. Ein Jahr vor dessen Tod hatte er das letzte Mal mit Devon gesprochen. Jetzt würde er nie mehr die Gelegenheit dazu haben.

„Hat das Kind eigentlich auch einen Namen?“, wandte er sich an Kim. Da sie immer nur über das Baby sprach, hatte er den Verdacht, dass sie vielleicht einfach darauf verzichtet hatte.

„Selbstverständlich“, antwortete Kim. „Es heißt Jack.“

Wie ihr Vater. Adam wusste nicht, ob er wütend oder gerührt sein sollte. Erst hatte sich Devon von der Familie abgewandt und dann seinen Sohn nach dessen Großvater benannt, der schon lange tot war.

Aber schon wieder schweiften seine Gedanken ab. Er musste sich zusammenreißen.

„Warum kommen Sie erst jetzt zu mir?“, fragte Adam, während er sich in seinem Sessel zurücklehnte.

„Ich hatte zu tun.“ Sie blies eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zuckte zusammen, als das Kind mit dem Händchen nach ihrer Wange fasste. „Die Publicity um Devons Unfall war enorm. Deshalb hatte ich einige wichtige Fototermine bei einer bekannten Modelagentur in Frankreich.“

Unglaublich! Sie sah den Tod seines Bruders tatsächlich als lukratives Geschäft. Die letzte Geliebte des Unfallopfers. In Adam kochte der pure Zorn hoch, obwohl er wusste, dass dies der falsche Moment für Emotionen war. Kim durfte nichts von seinem inneren Aufruhr merken. Es war schon schlimm genug, dass er dem eiskalten Biest auch nur einen Cent überlassen musste, aber so eine Mutter konnte er dem kleinen Jungen wahrlich nicht zumuten.

Kim seufzte laut und wippte ungeduldig auf den Hacken ihrer hohen Sandaletten hin und her. „Was ist denn nun? Bezahlen Sie das Geld oder …?“

Er unterbrach sie augenblicklich. „Wie bitte?“

Mit beiden Händen stützte er sich auf dem Schreibtisch ab, während er aufstand und ihr fest in die Augen sah. Sie sollte gleich merken, wer hier der Boss war. Was erlaubte sich diese Frau? Schließlich war sie zu ihm gekommen, nicht umgekehrt. Es war doch klar, wer hier etwas von wem wollte.

„Was genau werden Sie sonst tun, Ms. Tressler? Den Kleinen ins Waisenhaus geben? Oder ihn woandershin verkaufen?“

Ihre Augen sprühten Funken, doch sie war klug genug, nichts zu erwidern.

„Wir wissen beide, dass nichts von alldem passieren wird. Im Übrigen würde ich Ihnen meine Anwälte auf den Hals hetzen, und dann könnten Sie froh sein, wenn Sie noch neben einem Sack Hundefutter posieren dürften.“

Hasserfüllt sah die Frau ihn an.

„Sie wollen Geld, und das werden Sie bekommen“, erklärte er. Dann kam er um den Schreibtisch herum und nahm ihr entschlossen das Kind aus dem Arm. Keinen Moment länger sollte sie seinen Neffen in ihren Klauen halten. Der kleine Junge schaute ihn aus großen Augen an, als würde er sich fragen, was das alles eigentlich sollte.

Adam hielt ihn unsicher fest. Er konnte ihm den Blick nicht verübeln. Schließlich hatte man ihn um die halbe Welt gezerrt, und jetzt lag er im Arm eines völlig fremden Menschen. Es war ein Wunder, dass er nicht wie am Spieß schrie. Das traf allerdings auch auf Adam zu. In seinem bisherigen Leben hatte er nicht viel mit Kindern zu tun gehabt. Geschweige denn mit Babys. Aber das würde sich nun ändern.

„Gut. Dann lassen Sie uns die Sache über die Bühne bringen, und schon bin ich weg.“

Er warf ihr einen kalten Blick zu und drückte auf die Gegensprechanlage. Wenige Sekunden später meldete sich Kevin, sein Assistent.

„Kevin, schick mir bitte zwei Anwälte rein. Wir müssen einen Vertrag aufsetzen. Jetzt gleich.“

„Wird gemacht.“

„Anwälte?“, fragte Kim mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Was denken Sie denn? Dass ich Ihnen eine so hohe Summe Geld aushändige, ohne sicherzustellen, dass Sie nicht noch mal herkommen? Wie naiv sind Sie eigentlich?“

Adam kannte Frauen wie Kim zur Genüge. Im Laufe von Devons Liebesleben hatte seine Firma Dutzende von ihnen ausbezahlt, um sie loszuwerden. Jedes Mal, wenn Devon genug von einer hatte, kam er damit zu Adam. Mit Ausnahme von Sienna West. Sie hatte sich standhaft geweigert, bei der Scheidung Geld anzunehmen, obwohl es ihr zustand und Adam alles darangesetzt hatte, sie umzustimmen.

„Und wenn ich nicht unterschreibe?“, fragte Kim lauernd.

„Denken Sie nicht mal daran“, gab Adam kalt zurück. „Sie wollen das Geld viel zu sehr, als dass sie den Vertrag ausschlagen werden. Und noch etwas: Lassen Sie sich keine krummen Touren einfallen. Sonst strenge ich sofort einen Prozess gegen Sie an, den Sie nicht gewinnen werden. Ich kann jahrelang durchhalten. Bis dahin sind Sie verhungert. Haben wir uns verstanden?“

Sie sah aus, als würde sie ihm ins Gesicht springen wollen, doch sie blieb ruhig sitzen.

„Ja, verstanden.“

Er wusste, dass die Sache damit erledigt war.

Adam sah auf das Baby in seinem Arm hinab und überlegte, was er jetzt anfangen sollte. Er wusste überhaupt nichts über Babys. Aus seiner Familie konnte er niemanden fragen. Sein Vater war schon lange tot, und seine Mutter lebte mit ihrem neuen Freund in Florida. Außerdem war sie nicht der großmütterliche Typ.

Er würde jemanden engagieren müssen. Ein Kindermädchen. Aber bis dahin … Wieder drückte er auf den Knopf der Gegensprechanlage. „Kevin, kommst du bitte kurz?“

Gleich darauf wurde die Tür geöffnet, und Kevin Jameson trat ein. Er war groß, hatte dunkelblondes Haar, blaue Augen und einen durchdringenden Blick. So wie jetzt, als er Kim betrachtete wie ein widerliches Insekt. „Wie kann ich helfen?“, fragte er Adam.

Wortlos drückte ihm Adam das Baby in den Arm. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte er laut über Kevins panischen Gesichtsausdruck gelacht. „Bitte kümmere dich um das Kind, bis ich hier fertig bin“, wies er seinen verblüfften Assistenten an.

„Ich?“

„Genau. Seine Sachen sind da drüben in der Tasche.“ Er winkte zwei Männer in dunklen Anzügen heran, die eben den Raum betraten. „Danke, Kevin.“

Kevin war ein alter Freund und Zimmernachbar aus dem Studium. Die beiden hatten ein enges Vertrauensverhältnis, und Adam war sicher, dass er sich später noch einiges über Kevins plötzlichen Job als Kindermädchen anhören musste. Aber erst einmal konzentrierte er sich voll und ganz auf den Vertrag, den seine beiden Anwälte gerade aufsetzten.

Nachdem sich die Tür hinter Kevin geschlossen hatte, wandte sich Adam an Kim. „Sie erhalten eine einmalige Zahlung und verzichten auf alle elterlichen Rechte. Klar?“

Sie sah nicht besonders glücklich damit aus, hielt aber den Mund. Ganz sicher hatte sie gehofft, noch öfter Geld von ihm fordern zu können, aber da hatte sie sich verrechnet. Adam hatte genug Erfahrung, um solch eine Situation von vornherein auszuschließen.

„Ja, gut.“

„In Ordnung. Meine Herren, bitte setzen Sie jetzt den Vertrag auf. Alle Rechte, die Devons Sohn Jack betreffen, werden an mich übertragen. Dieses Dokument muss juristisch absolut wasserdicht sein, sodass ich damit vor jedem Gericht bestehen kann.“

Kims Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Sie trauen mir wirklich nicht über den Weg, was?“

„Warum sollte ich? Einer Mutter, die ihren Sohn verkauft? Sie machen Witze.“

Eine Stunde später saßen sich Adam und Kevin mit hochgelegten Beinen an Adams Schreibtisch gegenüber.

„Das zahl ich dir heim! Mir einfach ein Kind in den Arm zu drücken“, schimpfte Kevin.

„Dachte ich mir doch, dass du das toll finden würdest.“ Lachend lehnte Adam sich in seinem Stuhl zurück und trank einen Schluck Kaffee. Jetzt hätte er allerdings einen Scotch bevorzugt. „Du hast an der Tür gelauscht und alles mitgekriegt, stimmt’s? Ich meine, bevor du wegen des Babys reingekommen bist.“

„Allerdings.“ Kevin stellte seine Tasse auf dem Tisch ab. „Als ich sie mit dem Kind gesehen habe, wusste ich sofort, dass Ärger im Anmarsch ist.“ Er schüttelte den Kopf. „Der Junge sieht genau so aus wie sein Vater. Also, Devon hat sich ja so einige merkwürdige Damen an Land gezogen, aber die hier toppt echt alle. Wie ist er bloß an so eine Frau geraten?“

„Eine, die ihr eigenes Kind verkauft“, stellte Adam grimmig fest.

„Weißt du, was? An solchen Tagen bin ich heilfroh, dass ich schwul bin.“

Erneut lachte Adam. Dann sah er sich plötzlich erschrocken um. „Wo ist denn das Baby eigentlich?“

Kevin legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. „Ich habe es in der Obhut von Kara gelassen. Sie hat selbst drei Kinder, also im Gegensatz zu mir jede Menge Erfahrung. Oder soll ich dir den Kleinen wiederbringen?“ Er öffnete ein Auge und grinste Adam an.

„Ich habe keine Ahnung von kleinen Kindern.“

„Aber ich, oder was?“ Kevin schüttelte sich. „Jetzt ist der Junge jedenfalls bei Kara, und ich habe Teddy zum Einkaufen geschickt. Windeln, Babynahrung und was man sonst so braucht.“

„Okay. Momentan ist also für alles gesorgt. Aber was mache ich mit ihm?“ Adam überlegte. Er brauchte dringend Hilfe. „Ich muss ein Kindermädchen finden“, überlegte er laut.

„Bitte schau mich dabei nicht so an.“

„Das würde ich dem Baby nicht antun“, erwiderte Adam trocken.

„Sehr komisch.“ Kevin nippte an seinem Kaffee. „Soll ich mich um Anzeigen und Bewerbungsgespräche kümmern?“

Kevin genoss Adams volles Vertrauen. Mit Sicherheit würde er für jeden Job die beste Person finden. Aber hier ging es um etwas so Persönliches, dass Adam die Sache selbst in die Hand nehmen wollte. „Danke, aber ich möchte mich diesmal selbst darum kümmern. Und vor allem brauche ich heute noch jemanden.“

„Das wirst du nicht hinkriegen“, prophezeite Kevin.

„Hey, wie wäre es mit deiner Mutter?“, fragte Adam. Das war eine brillante Idee. Kevins Mutter hatte Adam vor Jahren quasi adoptiert. Sie war warmherzig, witzig und dank Kevins Schwester Nora auch schon Großmutter. „Meinst du, sie könnte für eine Weile einspringen?“

„Das würde sie bestimmt liebend gern tun. Babys sind ihr Ein und Alles“, sagte Kevin und nickte.

„Super, dann …“

„Aber leider“, unterbrach ihn Kevin, „ist sie gerade auf dieser Kreuzfahrt durch Alaska, die du ihr zum Geburtstag geschenkt hast.“

„Ach, verdammt!“ Mit gerunzelten Brauen dachte Adam nach.

„Gestern Abend hat sie mir ein Video geschickt.“ Kevin schmunzelte. „Sie und Tante Noreen haben richtig viel Spaß. Mom hat für Nick und mich Pelzmäntel gekauft. Für den Winter.“

„Hör mal, wir wohnen in Südkalifornien.“

Kevin zuckte mit den Schultern. „Das hat sie anscheinend nicht gestört. Ach ja, und sie bedankt sich noch mal ganz herzlich bei dir.“

„Hab ich gern getan. Deine Schwester lebt in San Diego, also kann ich sie nicht fragen.“

„Nora hat schon drei Kinder, aber ich glaube, sie würde ein viertes gar nicht bemerken. Du müsstest nur hinfahren.“

Ratlos schaute Adam seinen Freund an. „Wen kennen wir denn noch?“

„Jede Menge Leute.“ Kevin überlegte. „Aber irgendwie ist niemand dabei, dem ich ein Baby anvertrauen würde. Außer vielleicht Nick, aber das kannst du vergessen.“

Kevins Ehemann Nick liebte Kinder. Er hatte selbst zwei Schwestern und einen Bruder, die ihn zum mehrfachen Onkel gemacht hatten, und war auch für Noras Kinder ein liebevoller Onkel.

„Es wäre ja nur für kurze Zeit“, meinte Adam hoffnungsvoll.

Kevin schüttelte den Kopf. „Schon eine Nacht ist zu lang. Nick träumt ohnehin schon die ganze Zeit von einer Adoption. Ich werde ihm keine zusätzlichen Argumente liefern.“

„In Ordnung.“ Fieberhaft dachte Adam nach. Nichts war in Ordnung. Natürlich hatte er genau das Richtige getan, als er seinen Neffen dieser unmöglichen Frau entrissen hatte, die ihn überhaupt nicht verdiente, aber nun musste er mit den Konsequenzen klarkommen. Irgendjemand musste ihm helfen. Seine Exfrau Tricia kam überhaupt nicht in Frage. Allein der Gedanke brachte ihn zum Lachen. Tricia arbeitete als TV-Reporterin und hatte noch weniger Ahnung von Kindern als er. Außerdem hatten sie seit ihrer Trennung vor fünf Jahren praktisch keinen Kontakt mehr gehabt.

Plötzlich wurde Adam klar, wie einsam er war. Nachdenklich setzte er seine Kaffeetasse ab und trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte herum. Die meisten Leute, die er kannte, waren Geschäftspartner. Er hatte eigentlich gar keine Zeit für Freundschaften, deshalb kannte er auch nur Menschen, die ebenso beschäftigt waren wie er.

„Lass das.“

Verwirrt schaute Adam auf. „Wie bitte?“

„Hör auf zu trommeln. Du machst mich nervös.“

„Meine Güte“, sagte Adam und fuhr sich durchs Haar. „Es muss doch irgendeine Lösung geben.“

„Was ist mit Delores?“

Adam schüttelte den Kopf. „Sie ist Haushälterin, keine Nanny.“

„Aber für eine Weile …“

„Außerdem verreist sie morgen. Sie will ihre Schwester in Ontario besuchen.“

„Na toll.“

„Logisch. Der Sommer fängt an. Die Leute fahren in den Urlaub.“

Plötzlich hatte er eine Eingebung. Das konnte tatsächlich funktionieren! Oder absolut nach hinten losgehen. Doch die Idee ließ ihn nicht mehr los.

Kevin beobachtete ihn aufmerksam. „Was hast du vor? Du denkst doch an jemanden, oder?“

Adam nickte. „An Sienna.“

Kevin war ehrlich erschüttert. „Du hast ernsthaft vor, Devons Exfrau zu bitten, sich um Devons Sohn zu kümmern? Den er mit einer anderen Frau hat? Respekt.“

Verwirrt sah Adam ihn an. „So hatte ich das noch gar nicht gesehen.“

„Das solltest du aber. Erinnere dich bitte daran, dass sie Devon verlassen hat, weil er keine Kinder wollte.“

Adam winkte ab. „Das war doch nur einer der Gründe.“

„Eben.“ Kevin stand auf und sah seinen Freund streng an. „Mann, Devon hat sie absolut mies behandelt, und du willst jetzt so tun, als wäre nie was gewesen?“

„Hier geht es um eine streng geschäftliche Angelegenheit“, behauptete Adam.

„Ach so. Na dann ist ja alles prima. Bestimmt versteht sie das.“

Adam überhörte den Sarkasmus in Kevins Stimme und ging zum Fenster, das einen atemberaubenden Ausblick auf das Meer bot. Jetzt, da er einmal den Gedanken gefasst hatte, gab es kein Zurück mehr. Sienna war die Frau seiner Wahl.

Adam ließ den Blick über die Szenerie vor ihm schweifen. Auf dem Meer tanzten kleine Segelboote in der Sonne, während Surfer auf den Wellen an den Strand rauschten. Delphine tauchten auf und nieder wie Balletttänzer. „Sie ist die Einzige, der ich diese Aufgabe zutrauen würde.“

„Das kann schon sein, aber warum sollte sie dir helfen?“, gab Kevin zu bedenken. Er stand auf und gesellte sich zu seinem Freund. „Wenn ich mich recht erinnere, wollte sie bei der Scheidung kein Geld von Devon. Weshalb sollte sie jetzt was von dir annehmen?“

Adam sah Kevin an. „Weil ich ihr keine Wahl lassen werde“, sagte er entschlossen.

Vorsichtig rückte Sienna West das Baby in die richtige Position, drehte das Köpfchen mit dem zauberhaften Gesicht zu sich her, trat einen Schritt zurück und drückte auf den Auslöser. Das Licht war einfach perfekt. Die zart zitronengelbe Decke, auf der das Kind lag, brachte den Bronzeton der Haut wunderbar zur Geltung. Der kleine, wunderschöne Körper war umgeben von gelb-weißen Gänseblümchen – eine Szenerie wie aus dem Bilderbuch.

In rascher Folge nahm Sienna noch einige Bilder auf. Dann legte ihre Assistentin Terri noch ein Gänseblümchen direkt neben den Kopf des Kindes an das winzige Ohr, und Sienna machte die letzten Aufnahmen. Schließlich lehnte sie sich zufrieden zurück. Sie warf einen prüfenden Blick auf das Display ihrer Kamera und lächelte. Natürlich würden nicht alle Fotos gelungen sein, und sie musste noch ordentlich sortieren, aber alles in allem war sie mehr als zufrieden.

Seit über einer halben Stunde arbeiteten sie schon mit dem entzückenden Säugling, der alles schlafend über sich hatte ergehen lassen. Sogar das Umbetten, das Bürsten der feinen Haare und die ständig wechselnde Beleuchtung. Bestimmt würde er bald aufwachen.

Sienna drehte sich zu den stolzen Eltern um, die im Hintergrund warteten. „Ich glaube, das war’s. Wir haben alles.“

„Die sind bestimmt toll geworden“, meinte die junge Mutter und hob ihre Tochter vorsichtig in die Arme.

„Da bin ich mir sicher“, erwiderte Sienna lächelnd. „Bei so einem bezaubernden Baby kann es gar nicht anders sein.“

„Ja, sie ist wunderbar, nicht wahr?“, ließ sich jetzt der Vater vernehmen, während er sanft über die Wangen des Kindes strich.

Sienna nutzte den Moment. Unbemerkt von den jungen Eltern, die in den Anblick ihres Babys versunken waren, hob sie die Kamera und machte einige Schnappschüsse. Eine junge Familie, voller Liebe und Hingabe füreinander. Sie fing die zärtliche Fürsorge der jungen Mutter ebenso ein wie die schützende Geste des Vaters, der seine beiden Frauen ganz nah bei sich hatte.

Sienna lächelte in sich hinein. Das Familienfoto, das sie jetzt im Display der Kamera betrachtete, war ihr wunderbar gelungen. Sie hatte vor, es den beiden jungen Eltern als Überraschung zu schenken. Vielleicht durfte sie es ja auch für ihre eigene Website verwenden.

„In ungefähr einer Woche können Sie auf die Fotos zugreifen. Terri wird Ihnen den Code geben“, erklärte sie. „Dann können Sie sich alle Aufnahmen in Ruhe ansehen und entscheiden, welche Ihnen am besten gefallen.“

Die junge Mutter küsste ihr Kind und lachte. „Ich fürchte, das wird der schwierigste Teil.“

„Auf jeden Fall“, pflichtete Terri ihr bei und hielt den beiden die Tür auf. „Kommen Sie bitte mit. Während Sie Kenzie anziehen, suche ich Ihnen den Code raus.“

Lächelnd sah Sienna ihnen hinterher. Terri konnte fabelhaft mit Kunden umgehen. Sie hatte selbst vier Kinder und sechs Enkel, daher kannte sie sich hervorragend mit Babys aus. Außerdem hatte sie ein gutes Händchen für nervöse Eltern und unruhige Kinder. Sienna hatte es noch keinen Augenblick bereut, sie eingestellt zu haben.

Sie nahm die Memory Card aus ihrer Digitalkamera, steckte sie in den Computer und öffnete einen neuen Ordner für die Familie Johnson.

Als alle Fotos hochgeladen waren, schaute sie sich die Aufnahmen kritisch an. Diejenigen, die ihr nicht gefielen, wanderten sofort in den Papierkorb. Einige allerdings übertrafen ihre Erwartungen sogar noch. Vor allem die Schnappschüsse, die sie ganz am Ende von der jungen Familie gemacht hatte, waren von einer solch intensiven Zärtlichkeit, dass ihr das Herz wehtat. Die Liebe in den Augen der jungen Mutter und der Beschützerinstinkt, den der Vater ausstrahlte, waren für jeden Betrachter sichtbar. Das winzige Baby, dicht an die Mutter geschmiegt, wirkte noch zerbrechlicher neben der großen Hand des Mannes, der es sanft berührte.

Sienna seufzte leise. Vor langer Zeit hatte sie selbst auch davon geträumt, Kinder zu haben. Davon, eine eigene Familie zu gründen, mit einem Mann, den sie liebte und für den sie die Welt bedeutete. Einmal hatte sie es auch versucht, aber ohne Erfolg. Statt ihr Glück zu finden, war ihr alles zwischen den Fingern zerronnen. Was wunderbar begonnen hatte, hatte sich am Ende als Illusion entpuppt.

Devon Quinn war zugleich der Mann ihrer Träume und ihr Albtraum gewesen. Gut aussehend, charmant, mit einem verführerischen Lächeln und einem Funkeln in den Augen, das Sienna Liebe und Abenteuer versprach. Aber sie hatte nur gesehen, was sie sehen wollte, und sehr schnell war ihr klar geworden, dass die Ehe mit Devon der größte Fehler ihres Lebens war.

Jetzt war Sienna geschieden und hatte ein kleines Unternehmen, das immer noch ums Überleben kämpfte. Sie fotografierte nun die Kinder anderer Leute.

„Oh Mann“, schalt Sienna sich. „Hör auf mit der Grübelei.“

Normalerweise hatte sie damit kein Problem. Sie war ein Mensch, der nicht dazu neigte, in der Vergangenheit zu leben und vertanen Chancen hinterherzutrauern. Lieber konzentrierte sie sich auf die Gegenwart.

„Sienna?“ Terri stand in der Tür.

„Was gibt’s? Haben die Johnsons noch etwas auf dem Herzen?“

„Nein“, sagte Teri zögernd. „Sie sind schon gegangen. Aber da ist jemand anderes, der dich sprechen möchte.“

Terri war augenscheinlich nicht glücklich über den Besucher, sodass sich Sienna fragte, wer, um Himmels willen, da zu ihr wollte.

„Wer ist es denn?“

„Ich“, vernahm sie da eine vertraute Stimme.

Terri zuckte zusammen, als die tiefe Stimme direkt hinter ihrem Rücken erklang. Langsam erhob Sienna sich. Dabei wandte sie keine Sekunde den Blick von dem Besucher, der hinter Terri im Türrahmen stand. Diese Stimme hätte sie aus Tausenden wiedererkannt, obwohl sie sie seit zwei Jahren nicht gehört hatte. Es war eine tiefe, volle Stimme, gewohnt, Anweisungen zu geben, die von anderen wie selbstverständlich befolgt wurden.

Außer von Sienna. Sie richtete sich nicht nach den Anweisungen anderer, sondern handelte nach ihren eigenen Vorstellungen.

Dennoch tat ihr Herz einen Sprung, und ihr wurde heiß, als sich ihre Blicke trafen und sich einen langen Moment nicht voneinander lösen konnten.

Adam Quinn.

Ihr ehemaliger Schwager. Jetzt, da sie ihn eine ganze Weile nicht gesehen hatte, fiel ihr zum ersten Mal die Ähnlichkeit zwischen den Brüdern auf. Gleichzeitig entdeckte sie aber noch viel mehr. Dinge, die sie früher nie wahrgenommen hatte. Zum Beispiel, dass Adams braune Augen fest auf sie geheftet waren, während Devons Blick immer umhergewandert war, als würde er ständig nach neuen interessanten Objekten suchen. Und im Gegensatz zu seinem Bruder, der fast immer ein gewinnendes Lächeln zur Schau getragen hatte, schien Adam ungewöhnlich ernst.

Er war größer, als Sienna ihn in Erinnerung hatte. Groß und eindrucksvoll. Wer sich ihm in den Weg stellte, musste mit Hindernissen rechnen.

Sein Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen. So war es jedes Mal gewesen, wenn sie Adam gesehen hatte. Sienna hasste es zwar, sich das einzugestehen, aber leugnen konnte sie es nicht. Dabei hatte sie sich geschworen, dass Adam absolut tabu war. Jedenfalls theoretisch.

Zwei lange Jahre hatte sie nicht mit ihm gesprochen oder ihn gesehen. Und dennoch stand sie jetzt unter Strom, als sie ihn anschaute. Warum trug sie ausgerechnet jetzt nichts Netteres als ein weißes Hemd und ihre alten Jeans?

„Adam“, brachte sie schließlich heiser heraus. „Was machst du denn hier?“

Er trat hinter Terri hervor in den Raum. Terri machte bereitwillig Platz. Ja, so war es immer gewesen. Niemand stellte sich Adam Quinn in den Weg.

„Ich muss mit dir reden“, sagte er. „In einer privaten Angelegenheit.“

2. KAPITEL

Adam hatte sich kein bisschen verändert.

Unwillkürlich schüttelte Sienna den Kopf. Da stand er und gab Anordnungen – wie an dem Tag, als sie sich zuletzt gesehen hatten. Damals war es um ihre Scheidung gegangen. Adam hatte ihr erklärt, wie sie das Ganze handhaben sollte. Eine finanzielle Regelung hatte er selbstverständlich auch schon ausgearbeitet.

Die meisten Frauen wären bei der Aussicht auf so viel Geld wahrscheinlich vor Freude außer sich gewesen und hätten ihm für seine Großzügigkeit auf Knien gedankt, aber nicht Sienna. Sie hatte ihm dasselbe gesagt wie seinem Bruder. Das Geld der Quinns würde sie nicht anrühren. Sie wollte nur, dass diese Ehe endlich vorbei war.

Und nun, zwei Jahre später, spielte er dieselbe Rolle. Gut, sie würde sich anhören, was er zu sagen hatte, und dann wieder zur Tagesordnung übergehen. Je schneller sie das Feuer löschen konnte, das ihr Blut langsam zum Kochen brachte, desto besser.

„Terri“, sagte sie, „würdest du uns bitte allein lassen?“

„Natürlich, Sienna. Wenn du mich brauchst, ich bin drüben.“

„Danke.“ Sienna lächelte herzlich. „Das ist sehr lieb von dir.“

„Was denkt sie denn von mir?“, fragte Adam entrüstet, nachdem sich die Tür hinter Terri geschlossen hatte.

„Keine Ahnung. Aber erstens siehst du furchteinflößend aus, und zweitens hat Terri eine sehr lebhafte Fantasie.“

„Ich sehe furchteinflößend aus?“ Das gefiel ihm offenbar ganz und gar nicht.

„Wenn man dich nicht kennt, schon“, erwiderte Sienna ruhig.

„Du fürchtest dich also nicht vor mir.“ Er steckte die Hände in die Hosentaschen und beobachtete sie abwartend.

„Nein“, gab sie zurück. Allerdings fragte sie sich, was wohl der Grund seines Besuchs sein mochte.

„Gut zu wissen.“ Stirnrunzelnd sah er sich in ihrem Fotostudio um. Sienna versuchte, ihre Umgebung mit seinen Augen zu sehen. Sie mochte ihr kleines Reich, auch wenn es längst nicht perfekt war. Wichtig war, dass hier Bilder zum Leben erwachten. Der Raum selbst war in ruhigen Farbtönen gehalten. In den Regalen waren fein säuberlich alle möglichen Requisiten aufgebaut; angefangen von lustigen Hüten über Tücher und Decken bis hin zu altmodischen Schiefertafeln, auf die man mit Kreide seinen Namen schreiben konnte. Jetzt stand ein Tisch mit gelbem Überwurf und mehreren kleinen Kissen in der Mitte des Studios, wo die Babyaufnahmen entstanden waren. Die großen Fenster erlaubten gute Tageslichtaufnahmen, und für zusätzliches Licht sorgten unzählige Scheinwerfer, die im Studio verteilt waren.

Verstohlen betrachtete Sienna ihren Besucher. Für ihren Geschmack sah Adam bei Weitem zu gut aus, aber die Fotografin in ihr konnte der Versuchung nicht widerstehen. Leise hob sie die Kamera und machte zwei schnelle Aufnahmen von ihm. Schatten spielten auf seinem Gesicht, während es draußen bereits zu dämmern begann. In diesem Licht sah er aus wie die leibhaftige Verführung. Als sie die Kamera sinken ließ, starrte er sie abwehrend an.

„Ich bin nicht hier, um für dich zu posieren, Sienna“, tadelte er sie.

„Das dachte ich mir. Warum also dann?“ Sie schielte auf das Display ihrer Kamera. Sein Foto hatte fast hypnotische Züge. Oh Mann, in was geriet sie da hinein?

„Ich brauche deine Hilfe.“

Überrascht blickte sie ihn an. Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet. „Tatsächlich? Das sieht dir so gar nicht ähnlich.“

Seine Augen verengten sich. „Wie meinst du das?“

„Du bist einfach nicht der Typ Mann, der jemanden um Hilfe bittet.“

„Ach, so gut kennst du mich?“

„Ich denke schon“, gab sie zurück. Aber wer kannte Adam schon. Wahrscheinlich nicht einmal seine Exfrau. Normalerweise behielt Adam Quinn seine Gedanken und Gefühle für sich. Er hatte das beste Pokerface im gesamten Universum, und der Versuch, hinter seine Fassade zu schauen, konnte einem wochenlang Kopfschmerzen bereiten.

Das erste Mal hatte Sienna Adam nach ihrer Hochzeit mit Devon getroffen. Sie war überrascht gewesen, zwei so unterschiedliche Brüder vor sich zu sehen. Die Tatsache, dass Adam mit seiner ruhigen, ernsten Art ihr Herz schneller schlagen ließ, fand sie damals ziemlich peinlich. Jetzt fühlte sie sich dabei allerdings auch nicht viel besser.

Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf musterte sie ihn. Sie hätte gern das Licht angemacht, denn seine Augen lagen im Schatten und erlaubten ihr keinen noch so kleinen Einblick in seine Gefühlswelt. „Es tut mir leid, was mit deinem Bruder passiert ist“, sagte sie schließlich leise und ein wenig schuldbewusst. „Eigentlich wollte ich dich … danach mal anrufen. Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte.“

„Tja.“ Er nahm die Hände aus den Taschen und betrachtete ein kleines Stoffkaninchen, das sie für das Babyfoto benutzt hatte. „Ich weiß. Devon hat dich ziemlich mies behandelt.“ Nachdenklich drehte er das Plüschtier in den Fingern.

Sienna focht einen inneren Kampf aus. So einfach war die Sache nicht. Ob eine Beziehung funktionierte oder nicht, hing immer von beiden Partnern ab.

„Es war nicht allein Devons Schuld, dass unsere Ehe schiefgegangen ist. Ich habe einfach nicht zu ihm gepasst.“

„Sehr großzügig von dir.“

„Keineswegs“, erwiderte Sienna. „Ich versuche nur, ehrlich zu sein. Aber jetzt zu dir. Ich habe dich seit zwei Jahren weder gesehen, noch hab ich von dir gehört. Was willst du von mir?“

Er ließ das Stofftier auf den Tisch fallen und sah ihr ins Gesicht. „Heute war Devons letzte Geliebte bei mir.“

Die Mitteilung löste nicht einmal die kleinste Gefühlsregung in Sienna aus, sodass sie sich dazu beglückwünschen konnte, endgültig über Devon hinweg zu sein.

„Und?“

„Und“, fuhr er fort, während er sich durchs Haar fuhr, „sie hat mir ihren Sohn verkauft.“

„Sie hat ihren Sohn verkauft?“ Sienna traute ihren Ohren nicht. „Und du hast mitgespielt? Du hast für ihn bezahlt? Für deinen eigenen Neffen?“

Adam erstarrte und schaute sie aus zusammengekniffenen Augen an. Sein Kiefer mahlte.

„Ich kann’s einfach nicht glauben. Meine Güte, Adam.“ Sienna dachte an die kleine Kenzie Johnson und die Liebe, die heute Nachmittag in ihrem Studio beinah greifbar gewesen war. Die Eltern dieses kleinen Mädchens hatten vor Zuneigung und Stolz gestrahlt. Und Devons Sohn hatte man wie ein gebrauchtes Auto einfach verkauft. „Du hast wirklich für deinen eigenen Neffen bezahlt?“

„Ich hatte keine Wahl, Sienna!“, stieß Adam wütend hervor. Sie merkte sofort, dass sie in ein Wespennest gestochen hatte. Nervös lief er hin und her. „Hätte ich den Jungen etwa bei ihr lassen sollen? Sie hat ihn ja kaum angeschaut, während sie mit mir verhandelt hat. Sie hatte einen Preis, und den hat sie mir genannt. Ende der Geschichte.“

Siennas Ärger wandelte sich in Mitgefühl. Adam hatte seinen Bruder verloren, und ein halbes Jahr später wurde sein Neffe wie ein Stück Vieh angeboten. Ihr fehlten die Worte. Manchmal war die Realität schlimmer als jeder Albtraum. „Sie hat ihren Sohn verkauft“, wiederholte sie, noch immer völlig schockiert. „Ihr eigenes Baby.“

Ein winziger Stachel bohrte sich in ihre Brust. Als sie Devon geheiratet hatte, war sie davon ausgegangen, eine Familie mit ihm zu gründen. Aber genau das war eines der Dinge gewesen, die zur Trennung geführt hatten. Devon hatte in Kindern vor allem „Spaßbremsen“ gesehen, und Siennas Wünsche und Vorstellungen waren für ihn dabei nicht wichtig gewesen. Diese Gleichgültigkeit hatte ihr mehr als alles andere verdeutlicht, dass die Ehe mit Devon zum Scheitern verurteilt war.

Und nun hatte er einen Sohn von einer Frau, die das Baby weder wollte noch verdiente.

„Fünfzigtausend.“ Adam knirschte mit den Zähnen. „Ihre Karriere geht ihr wirklich über alles.“

„Du hättest ihr keinen Cent zahlen sollen“, meinte Sienna.

Zornig funkelte er sie an. „Was hättest du denn an meiner Stelle gemacht?“

„Ach, keine Ahnung. Vielleicht hätte man sie anzeigen können? Du hast doch so viele Anwälte im Hintergrund, warum hast du die nicht eingesetzt? Stattdessen stellst du ihr einen Scheck aus. Unglaublich!“

Frustriert rieb sich Adam über das Gesicht. „Ich wollte den Kleinen so schnell wie möglich aus ihren Klauen bekommen.“

„Und wieso denkst du, dass du sie nun los bist? Sie wird bestimmt zurückkommen und noch mehr fordern. Womöglich verfolgt sie das arme Kind ein Leben lang.“

„Hältst du mich für einen solchen Idioten?“, polterte Adam los, während er sie weiter wütend anstarrte. „Selbstverständlich haben meine Anwälte einen wasserdichten Vertrag mit ihr abgeschlossen, in dem sie auf alle Rechte als Mutter verzichtet. Jetzt bin ich Jacks rechtmäßiger Vormund.“

„Er heißt Jack?“, fragte Sienna ungläubig.

„Ja.“ Seine Stimme klang brüchig, und Sienna hatte das Gefühl, ihn noch nie so aus der Bahn geworfen erlebt zu haben.

„Devon hat seinen Sohn nach unserem Vater benannt. Und nun wird er weder den einen noch den anderen jemals kennenlernen.“

Eine plötzliche Welle von Sympathie für Adam, Devon und vor allem das Baby durchflutete Sienna. Als sie Devon damals verlassen hatte, wollte sie eigentlich mit der ganzen Familie nichts mehr zu tun haben. Sie hatte sich die letzten zwei Jahre nach Kräften bemüht, Adam aus dem Weg zu gehen. Obwohl sie beide in völlig verschiedenen Kreisen verkehrten, war das gar nicht immer einfach gewesen. Im Gegensatz zu Adam war sie zwar weder reich noch berühmt, einige ihrer Kunden hingegen schon.

Außerdem hatte sie schon ein paar der Häuser aufgenommen, die von Adam entworfen und gebaut worden waren. Dennoch waren sie sich in den vergangenen zwei Jahren nicht begegnet. Und jetzt stand er einfach so vor ihr.

Wenig erfolgreich versuchte sie, sich mit langsamen, tiefen Atemzügen zu beruhigen. „Okay. Also, die Frau hat dein Geld genommen und sich verabschiedet. Richtig?“

„Schnell wie der Wind“, bestätigte Adam. „Ich schätze, sie ist sofort zum Flughafen gerannt.“

„Immerhin etwas“, murmelte Sienna angewidert.

„Das sehe ich auch so“, gab Adam ihr recht. Ruhelos lief er im Studio auf und ab, nahm hier und da einen Gegenstand in die Hand und betrachtete schließlich die Schiefertafel.

„Und wie geht’s nun weiter?“, erkundigte sich Sienna.

Er kritzelte mit einem Stückchen Kreide auf die Tafel. „Deshalb bin ich hier.“

„Aha. Was soll mir das sagen?“

Wortlos drehte er die Tafel zu ihr um. Der Satz, der dort stand, ließ sie ratlos zurück: Ich brauche eine Nanny.

„Warum sagst du mir das?“, fragte sie ihn.

„Weil ich genau dich brauche, Sienna.“

„Mich?“ Sie riss die Augen auf. Was dachte er sich nur dabei? Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie sollte für Devons Sohn die Nanny spielen?

„Ich bin Fotografin, Adam“, erklärte sie kopfschüttelnd. „Und ich baue mir gerade so etwas wie eine gesicherte Existenz auf.“

„Ich verlange ja nicht von dir, dass du deinen Beruf aufgibst. Es ist doch nur vorübergehend.“

„Das hast du so beschlossen, ja?“

„Schau mal.“ Ungeduldig legte er die Tafel auf das Regal zurück. „Ich weiß doch, dass das für dich sehr seltsam klingen muss, aber du bist nun mal die einzige Frau, die ich fragen kann.“

„Ach komm.“ Sie lachte kurz auf. „Du kennst jede Menge Frauen, Adam. Oder bist du neuerdings unter die Mönche gegangen?“

„Natürlich kenne ich viele Frauen, die toll im Bett sind. Jetzt brauche ich aber eine Frau, die gut mit Babys umgehen kann.“

„Wie darf ich das denn verstehen?“, murmelte Sienna, während sie in ihrer Fantasie Adam nackt im Bett vor sich sah. Nicht, dass es zwischen ihnen jemals so weit gekommen war.

„Nimm es einfach als Kompliment“, antwortete er. Seine Stimme klang angespannt. „Sienna, bitte.“ Wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Unwillkürlich fragte sie sich, ob die Geste impulsiv oder einstudiert war. „Mir ist bewusst, dass Devon dich wie ein Stück Dreck behandelt hat und dass du keinen Grund dazu hast, jemandem aus unserer Familie einen Gefallen zu tun, aber …“

„Hör auf, Adam“, schnitt Sienna ihm das Wort ab. „Du tust Devon Unrecht. Und ich habe auch nichts gegen dich.“ Das war eine glatte Untertreibung. Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sie Adam zum ersten Mal begegnet war. Es war nach ihrer Hochzeit mit Devon gewesen. In dem Moment, als sein älterer Bruder ihre Hand geschüttelt hatte, war ein Funke übergesprungen, den sie sich nie gern eingestanden hatte. Sienna hatte sich oft gefragt, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie Adam zuerst getroffen hätte. Aber darum ging es ja jetzt nicht.

„Ich bin froh, das zu hören, denn ich brauche dich. Das Baby braucht dich.“

Sie holte tief Luft. „Das war unter der Gürtellinie, Adam Quinn.“

Er lächelte. „Ich weiß. Aber ich muss eben mit allen Mitteln kämpfen. Das verstehst du sicher.“

Wiederwillig musste Sienna anerkennen, dass er sich sehr um eine Lösung bemühte. Es war ihm bestimmt nicht egal, was aus seinem Neffen wurde. Andere Männer hätten vielleicht versucht, irgendwie aus der Nummer herauszukommen, aber nicht Adam. Nur machte das die ganze Sache nicht einfacher.

„Und es wäre wirklich nur vorübergehend?“

Er nickte. „Bis wir jemanden gefunden haben, der dauerhaft für Jack sorgen kann. Vielleicht wüsstest du ja jemanden. Bestimmt würdest du eine geeignete Person finden.“

„Ich weiß nicht …“ Unschlüssig schaute sich Sienna in ihrem Fotostudio um. Sie hatte sich all das hart erarbeitet. Wenn sie Adams Angebot annahm, würde sie eine ziemlich lange Pause einlegen müssen. Andererseits konnte sie unmöglich ein Baby im Stich lassen, dessen eigene Mutter nichts von ihm wissen wollte.

„Ich bin bereit, jeden Preis zu zahlen.“

Sienna straffte sich. „Dass Devons Frau dir ihr Kind verkauft hat, bedeutet nicht, dass ich ebenso käuflich bin. Ich will dein Geld nicht, Adam. Das habe ich dir schon gesagt, als Devon und ich geschieden wurden. Von ihm wollte ich kein Geld und von dir erst recht nicht. Daran hat sich nichts geändert. Ich möchte mein Leben aus eigener Kraft meistern.“

„Gut. Das respektiere und bewundere ich. Aber in deiner Schuld möchte ich auch nicht stehen. Vielleicht kann ich dir wenigstens dabei behilflich sein, Karriere zu machen?“

Sie lachte kurz auf. „Wie soll das denn gehen? Willst du für mich Modell stehen?“

„Nicht direkt.“ Er kam näher. Sienna fühlte ihr Herz klopfen, als er dicht vor ihr stand und sie seinen unverwechselbaren Duft wahrnahm. Unwillkürlich hielt sie die Luft an.

„Dein Fotostudio ist ziemlich klein“, bemerkte er, während er den Blick durch den Raum schweifen ließ.

„Mir reicht es“, gab Sienna scharf zurück.

„Das sollte dir nie genug sein, Sienna“, erwiderte er grimmig. „Auf diese Weise kommst du nicht weit.“

„Ich arbeite darauf hin, eines Tages ein größeres Studio zu besitzen“, antwortete sie verärgert.

„Warum willst du noch länger warten?“, fragte er leichthin. Sienna beobachtete ihn genau. Sie war sicher, er hatte längst einen Plan im Kopf.

„Was meinst du damit?“

„Ich schlage dir einen Deal vor. Du hilfst mir mit dem Baby …“

„Hör auf, ihn das Baby zu nennen“, unterbrach sie ihn ungehalten. „Er hat doch einen Namen, oder? Jack, wenn ich mich richtig erinnere?“

„Richtig. Also, du hilfst mir mit Jack, und ich besorge dir dafür ein traumhaftes Studio.“

„Adam, ich …“

„Es wird alles nach deinen Wünschen ablaufen“, unterbrach er sie mit leuchtenden Augen. „Du suchst dir den Ort aus, und meine Leute erledigen den Rest. Eventuelle Umbauten, Einrichtung, alles, was du brauchst. Du musst es nur sagen.“

Siennas Herz schlug ihr bis zum Hals. Adams Worte klangen verführerisch und verheißungsvoll. Ihr Studio war zugegebenermaßen klein, aber sie hatte einiges Geld gespart und wollte irgendwann ein größeres kaufen, um noch mehr zahlungskräftige Kunden zu gewinnen. Natürlich hatte sie den Traum, die begehrteste Fotografin von Huntington Beach oder – besser noch – der ganzen Westküste zu werden. Adam konnte ihr ohne Zweifel dabei helfen. Aber um welchen Preis …

„Was denkst du?“, fragte er. „Ich sehe dir an, dass dich mein Angebot nicht kaltlässt.“

Irritiert sah sie ihn an. „Hör auf, mich unter Druck zu setzen.“

„Hör du auf, immer das Schlimmste zu denken.“

„Das tue ich nicht“, verteidigte sich Sienna. „Ich dachte nur gerade … wenn ich dein Angebot annehme, bin ich dann wirklich besser als Jacks Mutter? Geht es mir dann nicht auch nur um meinen Profit?“

„Nein.“

Kein weiteres Wort folgte. Für ihn war also alles klar. Für sie leider nicht.

„Du hast doch gar nichts mit dieser Frau zu tun, Sienna. Wie kannst du dich mit ihr vergleichen? In erster Linie tust du mir einen Gefallen, wenn du mir aus der Patsche hilfst.“

Sienna merkte, dass sie ins Schwanken kam. Sie musste ihm etwas entgegensetzen. Irgendetwas. „Ich habe einen Job, Adam. Und da kann ich kein Baby gebrauchen.“

„Das ist klar. Wir werden einen Weg finden.“

Sie wusste, dass er jedes Wort davon ernst meinte. Niemand konnte Adam Quinn aufhalten, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Devon hatte seinen älteren Bruder einmal als menschlichen Bulldozer bezeichnet, der alles niederwalzte, was sich ihm in den Weg stellte.

Am Anfang hatte Sienna ihren Mann Devon ähnlich eingeschätzt, bis sie gemerkt hatte, dass es ihm nur um sein Charisma ging. Ehrgeiz spielte keine Rolle. Auch sein Charme war keineswegs echt, sondern kalkuliert und einstudiert.

Adam dagegen hatte überhaupt keinen Sinn für Charme. So etwas war ihm völlig egal. Er war eine Naturgewalt und kämpfte für das, was er erreichen wollte. So wie jetzt bei ihr. Und inzwischen war er schon verdammt nahe an seinem Ziel. Devons Cleverness oder sein Lächeln brauchte er dafür nicht. Er setzte einfach seine ganze Persönlichkeit ein und machte keinen Hehl aus seinen Interessen. Das war zwar im ersten Moment nicht einfach für sein Gegenüber, aber letztendlich die bessere Variante.

„Ich will ja gar nicht, dass du deine Arbeit aufgibst“, sagte er. „Siehst du denn nicht, dass du auch viel davon hättest, mir zu helfen? Ich biete dir ein größeres, moderneres Fotostudio ganz nach deinen Wünschen an. Jetzt gleich und nicht erst in ein paar Jahren. Nur damit du mir aushilfst.“

Bei diesen Worten sah er aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Dieser Mann war es mit Sicherheit nicht gewohnt, jemanden um Hilfe zu bitten.

„Du bekommst das tollste Studio in ganz Kalifornien“, setzte er noch einmal nach.

Er bot ihr all ihre Träume auf dem Silbertablett an. Sienna wurde ein wenig schwindlig, als sie sich plötzlich so nah am Ziel ihrer Wünsche sah. Ja, sie wollte furchtbar gern ein tolles großes Studio mit allem, was dazugehörte. Damit könnte sie wirklich Karriere machen. Wenn sie Adams Angebot dagegen ablehnte, würde es Jahre dauern, bis sie so weit wäre.

Trotzdem zögerte sie. Zu viele Dinge waren in der Vergangenheit passiert, und plötzlich stand der Geist von Adams totem Bruder zwischen ihnen. Dazu kam, dass sie sich ganz eindeutig zu Adam hingezogen fühlte. Und während ihr das klar wurde, versuchte sie eine Art Pokerface aufzusetzen. Auf keinen Fall durfte er jetzt ihre Gedanken lesen.

Er beobachtete sie scharf. Sienna fühlte sich unbehaglich. Ganz gegen ihren Willen konnte sie ihren Blick nicht von Adams männlicher Statur, von seinen tiefbraunen Augen und den schönen, starken Händen losreißen. Oh Gott, was geschah da nur mit ihr?

Als ob er genau wüsste, was in ihr vorging, umspielte ein feines Lächeln seine Mundwinkel.

Sienna holte tief Luft und beschloss, die Sache hinter sich zu bringen. „Okay, einverstanden. Ich mache es. Aber nur …“

„Großartig“, unterbrach er sie und warf einen Blick auf die Platinuhr, die er am Arm trug. „Wann bist du heute fertig?“

„Warte, nicht so schnell, Adam, wir müssen erst noch einige Punkte besprechen.“

„Ja, ja“, sagte er ungeduldig. „Später. Also, wann kannst du weg?“

„Ähm …“ Wenn er weiter in dem Tempo vorpreschte, würde sie nie zu Wort kommen. Aber sie musste ihm einige grundsätzliche Prinzipien klarmachen, auch wenn sie ihm wahrscheinlich nicht gefallen würden. Allerdings hatte das wohl momentan keinen Zweck. Sie würde das Gespräch auf später verschieben müssen.

„In einer Stunde.“

„Gut, das passt. Wir treffen uns bei dir zu Hause. Ich helfe dir, deine Sachen zu mir zu bringen.“

Sienna riss die Augen auf. Sie hatte sich wohl verhört? „Wie bitte? Was willst du tun?“

„Wenn du dich richtig um das Baby kümmern willst, musst du mit zu mir kommen, das ist doch klar.“ Kopfschüttelnd sah er sie an.

Sienna fühlte sich von seinem Blick wie durchbohrt. Keinen Moment hatte sie daran gedacht, dass er natürlich recht hatte. Sie musste da sein, wo sich das Kind befand. Also in Adams Haus. Das war mit Sicherheit keine gute Idee.

„Das hab ich nicht bedacht …“, sagte sie langsam. „Ich meine, dass ich mit bei dir wohnen soll.“

„Nur in meinem Haus, Sienna, nicht mit mir.“

Sie nickte. „Klar, das ist natürlich ein Riesenunterschied.“

Ihr Sarkasmus entlockte ihm ein genervtes Schulterzucken. Offensichtlich war seine Geduld langsam erschöpft. „Das Haus ist sehr weitläufig, Sienna. Du musst nicht mal in meine Nähe kommen. Natürlich wirst du deine eigene Suite haben.“

Erstaunt riss sie die Augen auf. Eine Suite … Meine Güte, wofür hielt er sie? „Ich weiß wirklich nicht …“

„Wir haben einen Deal, Sienna. Denk daran, was ich dir versprochen habe. Dein eigenes Studio, exklusiv gestaltet nach deinen Wünschen.“

Ob die Schlange im Garten Eden in Wahrheit Adam Quinn gewesen war?

„Ein Innenarchitekt kann dir beim Einrichten der Räume helfen.“

Sie versuchte, bei seinen Worten nicht vor Begeisterung zu lächeln. Wahrscheinlich war ihr ohnehin deutlich anzumerken, was in ihr vorging.

„Ich habe dir bereits zugesagt, Adam. Du musst mich also nicht weiter überreden. Oder hast du Angst, ich springe doch wieder ab?“

„Ein bisschen“, gab er zu. „Andererseits weiß ich, dass wir beide etwas davon haben. Kann ich mich also auf dich verlassen?“

Sienna dachte noch einmal kurz über ihre Entscheidung nach. Warum sollte sie ablehnen? Einem Baby fehlte die Mutter, und der Mann vor ihr war der Verzweiflung nahe. Ganz abgesehen von der Aussicht auf ein traumhaftes Fotostudio.

Und da war noch etwas anderes … Sie traute sich kaum, den Gedanken zu Ende zu denken. Mit seiner tiefen Stimme und dem unwiderstehlichen Blick hatte Adam Quinn sie fest in seinen Bann gezogen.

„Okay“, hörte sie sich sagen. „Ich bin dabei.“

Erleichtert atmete er auf. „Gut. Das ist wirklich gut. Wir treffen uns in zwei Stunden bei dir, in Ordnung? Dann bringen wir alles zu mir.“

„Ja, in Ordnung. Ich muss noch mit den Nachbarn reden, wegen der Post und so. Soll ich dir meine Adresse aufschreiben?“

„Ich weiß, wo du wohnst, Sienna.“

Erstaunt sah sie ihn an. „Woher?“

Er hielt ihrem Blick stand. „Ich habe es immer gewusst.“

3. KAPITEL

Zwei Stunden später parkte Adam neben Siennas kleinem Bungalow in Seal Beach. Ein großer alter Baum warf seinen Schatten auf das Häuschen, das für Adams Geschmack eher heruntergekommen als einladend wirkte. Was für ein Tag! Er hatte ungewöhnlich starke Kopfschmerzen, die vermutlich in den nächsten paar Stunden nicht verschwinden würden, und fühlte sich insgesamt so schlecht wie schon lange nicht mehr.

Eingehend betrachtete er das Haus, das vor ihm im Sonnenschein lag. Die bunten Blumen auf dem Beet leuchteten in allen Farben, aber der Rasen war schon zu lange nicht mehr gemäht worden. Insgesamt wirkte alles ein wenig vernachlässigt.

Er konnte nicht nachvollziehen, weshalb Sienna nach der Scheidung von Devon eine vernünftige finanzielle Regelung abgelehnt hatte. Stolz hin oder her, wenn er unangebracht war, dann sollte man das auch einsehen, denn mit Sicherheit hätte Sienna etwas Geld gebrauchen können.

Die Straße selbst wirkte recht einladend, mit älteren, aber gut gepflegten Häusern und Vorgärten. Ein paar Kinder spielten gegenüber Basketball, und in der Nähe brummte ein Rasenmäher.

Nervös trommelte Adam auf dem Lenkrad herum. In der Einfahrt erspähte er Siennas grünen Sedan, der an einigen Stellen deutlich rostete. Aus irgendeinem Grund ärgerte ihn das gewaltig.

„Was für eine sture Frau“, murmelte er vor sich hin. „Sie hätte nach der Trennung Millionen verlangen können.“

Missmutig stieg er aus dem Wagen aus und ging zur Tür. Auf dem kurzen Weg dorthin machte er sich im Geist Notizen über alles, was ihm missfiel. Risse in den Steinplatten, Putz, der von der Wand bröckelte … Unwillkürlich knirschte er mit den Zähnen.

Das mit dem Fotostudio war beschlossene Sache, aber er würde es sich nicht nehmen lassen, auch ihr Haus zu renovieren. Sie würde das tollste und modernste Studio in Kalifornien haben. Und ein vernünftiges Haus dazu. Natürlich würde das wieder endlose Diskussionen nach sich ziehen, aber das war ihm egal. Er war entschlossen, seinen Willen durchzusetzen.

Seinen Bruder Devon zu heiraten war keine gute Entscheidung gewesen, was Sienna schnell zu spüren bekommen hatte. Adam wollte und konnte die Fehler seiner Familie nicht ignorieren. Aber wenn es ging, betrieb er Schadensbegrenzung, und in Siennas Fall hatte er definitiv die Möglichkeiten dazu. Dieses winzige Haus würde er jedenfalls nach allen Regeln der Kunst in einen Palast verwandeln.

Sienna öffnete die Tür, bevor er überhaupt klopfen konnte. Offensichtlich hatte sie schon auf ihn gewartet. Irgendwie sah sie müde und unglücklich aus. Hatte sie es sich am Ende doch noch anders überlegt? Da würde sie bei ihm aber auf Granit beißen.

„Du freust dich kein bisschen, mich zu sehen“, sagte er zur Begrüßung.

„Stimmt. Du kannst wirklich Gedanken lesen.“

Er lachte kurz auf. „Wenigstens bist du ehrlich.“

„Ich hab es nicht so gemeint, wie es sich angehört hat. Natürlich freue ich mich, dich zu sehen. Ich meine, ich wusste ja, dass du kommst …“ Sie brach ab und holte tief Luft. Dann versuchte sie es erneut.

„Hi, Adam.“

„Hi, Sienna.“ Es schmeichelte ihm, dass er sie nervös machte. Auch der Blick, mit dem sie ihn ansah, gefiel ihm sehr. Vermutlich war er ebenso glühend wie seiner, wenn er in ihrer Nähe war. Wie sollte es auch anders sein? Mit ihrer großen schlanken Gestalt und dem hübschen Gesicht war Sienna eine wahre Augenweide. Sie hatte wunderbar weibliche Kurven und große blaue Augen. Die Männer lagen ihr vermutlich scharenweise zu Füßen.

Sie öffnete die Tür, um ihn einzulassen, und trat vor ihm ins Haus.

Routiniert taxierte er die Inneneinrichtung, die ihm auf Anhieb gefiel. Innen war das Haus jedenfalls in einem besseren Zustand als außen. Die Wände waren geschmackvoll gestrichen, im Wohnzimmer dominierten Rottöne, die in der Eingangshalle in ein zartes Rosé übergingen. Verwundert über seine Neugier, stellte er fest, dass er gern den Rest des Hauses gesehen hätte. Es interessierte ihn, wie Sienna lebte.

Die alten Holzböden waren auf Hochglanz poliert, und schöne Teppiche in leuchtenden Farben brachten die dunklen Dielen besonders gut zur Geltung. Die Möbel waren weder neu noch trendy, sondern entsprachen genau Siennas Stil. An den Wänden hingen gerahmte Fotodrucke, die wahrscheinlich aus ihrem Studio stammten. Bilder vom Meer, Landschaftsaufnahmen und Porträts sowie Babyfotos.

Er drehte sich zu ihr um. „Die Strandaufnahmen sind toll“, bemerkte er.

„Danke.“

„Wir haben unten in Dana Point gerade ein neues Gebäude errichtet“, sagte er nachdenklich. „Direkt über dem Meer und in einem ganz besonderen Design.“

„Tatsächlich?“

Adam merkte sofort, wie ihre Augen zu leuchten begannen, und fuhr fort: „Der Architekt hat sich wirklich selbst übertroffen. Das Gebäude ist aus Glas und beschreibt quasi eine Kurve, die dem Ozean entgegensieht. Eine Reihe von kleinen Balkons ist so integriert, dass man an vielen Stellen nach draußen kann. An den Brüstungen wird eine besondere Sorte von Efeu gepflanzt werden, sodass der Eindruck vermittelt wird, das Gebäude würde direkt aus dem Boden wachsen.“ Gedankenverloren starrte er auf eines ihrer Strandfotos. Das Projekt konnte er jetzt genau vor sich sehen. So ging es ihm jedes Mal, wenn eine neue Herausforderung seine Vorstellungskraft forderte. Das war es, was er an seiner Arbeit liebte.

„Wenn das Sonnenlicht und das Wasser sich in dem Glas spiegeln, wird das ganze fantastisch aussehen. Vor allem mit dem Efeu wird es unglaublich lebendig wirken.“

„Wow.“ Sienna hatte das Wort nur gehaucht.

Irritiert sah er sie an. „Wie bitte?“

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „So habe ich dich noch nie erlebt. So … begeistert. Das Haus muss wirklich etwas Besonderes sein.“

„Die meisten Gebäude, die heute gebaut werden, sind ziemlich langweilig, oder? Eintönig.“

Sie nickte und ging voran ins Wohnzimmer. „Stimmt.“

Neugierig sah er sich um. Hier hingen zahlreiche weitere Bilder. Leere Strände, einsame Menschen, niedliche Babys. Jede Aufnahme war perfekt ausgeleuchtet, mit Schatten, die genau die Tiefe vermittelten, die das Motiv am besten in Szene setzte.

Unwillkürlich fragte sich Adam, ob Sienna wusste, wie viel von ihrer Persönlichkeit sich in ihren Fotos widerspiegelte.

„Auf jeden Fall klingt das Projekt, von dem du da erzählst, absolut faszinierend.“

„Es wird fantastisch. Mir wird übrigens gerade klar, dass ich gern während des Entstehungsprozesses einige Fotos machen lassen würde.“

„Also eine Art Dokumentation. Davor, während des Baus und danach. Meinst du das?“

„Genau. Hast du Interesse an dem Job?“

Ihre Augen leuchteten auf. Allein schon aus dem Grund war Adam froh, sie gefragt zu haben. „Unbedingt.“

„Okay, dann lass uns in den nächsten Tagen mal runterfahren, und ich zeige dir alles.“

„Gut, sehr gern.“

Plötzlich wurde ihm bewusst, wie nah sie beieinanderstanden. So nah, dass er ihren Duft einatmen konnte. Als sich ihre Blicke trafen, fühlten beide die Spannung, die zwischen ihnen lag. Adam spürte instinktiv, dass Sienna dasselbe fühlte wie er. Einen Moment war er versucht, sie einfach an sich zu ziehen und … Nein, das durfte er nicht.

„Bist du so weit?“, fragte er heiser und ging zur Tür.

„Ja. Ich hoffe jedenfalls, dass ich alles habe“, fügte sie hinzu und griff nach ihrer Jacke, die über einem Stuhl hing.

Als er das wenige Gepäck erblickte, das sie neben der Tür abgestellt hatte, hob er fragend die Augenbrauen. Eine kleine Reisetasche und ein schmaler Rollenkoffer standen dort nebeneinander.

„Ist das alles?“

„Ja, wieso?“

„Also, die meisten Frauen, die ich kenne, nehmen schon für eine Nacht wesentlich mehr Klamotten mit“, meinte er lachend. „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was sie für zwei Wochen alles anschleppen würden.“

Ihr Lächeln haute ihn um. Und das war schon von Anfang an so gewesen, wenn er Sienna gesehen hatte. Schon beim ersten Kennenlernen hatte ein heißes Feuer in ihm gelodert, aber natürlich hatte er sich nie etwas anmerken lassen, denn schließlich war sie mit seinem Bruder verheiratet. Und nach der Scheidung hatte er angenommen, dass sie vermutlich in ihrem ganzen Leben nie wieder etwas mit der Familie Quinn zu tun haben wollte.

Jetzt allerdings würde er sie mit zu sich nach Hause nehmen. Wenn es ihm nicht gelingen sollte, sein Verlangen im Zaum zu halten, würden es verdammt lange Wochen werden … Aber er wusste, dass er es hinkriegen würde. Darin war er wirklich gut. In schwierigen Situationen fand er immer einen Weg. Entweder konnte er das Problem lösen, oder er ging ihm einfach aus dem Weg. Wichtig war vor allem, sich klar zu fokussieren. Seine Aufgabe bestand jetzt darin, sich auf das zu konzentrieren, was er brauchte, nicht auf das, was er wollte. Und in erster Linie brauchte er Siennas Hilfe.

„Adam?“, unterbrach Sienna seine Gedanken und legte die Hand auf seinen Arm. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja, alles gut.“ Schon diese leichte Berührung schien seine Haut zu versengen. Als könne sie seine Gefühle lesen, zog Sienna rasch die Hand zurück. Adam trat einen Schritt von ihr weg. Ihm war klar, dass er ihre Nähe meiden musste. Am besten fing er gleich damit an. „Wenn das wirklich alles ist, was du brauchst, können wir ja los.“

„Sonst kann ich ja jederzeit zurückkommen, falls wirklich etwas fehlen sollte. Ich bin schließlich nicht am anderen Ende der Welt.“ Wieder lächelte sie. „Außerdem reise ich nun mal gern mit leichtem Gepäck.“

Adam war beeindruckt. Die Frauen, die in seinem Leben auftauchten und wieder daraus verschwanden, waren so ganz anders als Sienna. Ihnen ging es um Geld, Schmuck und gesellschaftliches Ansehen. Nach einer Weile konnte er sie kaum noch voneinander unterscheiden, so sehr ähnelten sie sich in ihrem Lifestyle. Ihre Interessen kreisten ausschließlich um Partys oder Wohltätigkeitsveranstaltungen, bei denen man gesehen wurde. Sehen und gesehen werden … wie ihn das anödete. Er hätte schwören können, dass Sienna noch nicht einmal Make-up aufgelegt hatte. Etwas Mascara und Lipgloss waren das Einzige, was er an Schminke in ihrem wunderschönen Gesicht entdecken konnte.

„Du hättest mich übrigens nicht abholen müssen“, riss sie ihn aus seinen Gedanken. „Ich habe ja mein Auto und erinnere mich gut an den Weg zu deinem Haus.“

„Weißt du“, meinte er, „ich bin mir nicht sicher, ob man das Vehikel da draußen vor deiner Tür wirklich als Auto bezeichnen sollte. Damit wärst du kaum bis nach Newport gekommen.“

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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Karen Booth
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Kara Lennox
Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
Wegen ihrer bahnbrechenden, sehr...
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