Baccara Exklusiv Band 254

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VIEL MEHR ALS EINE HEISSE NACHT von JENNIFER LABRECQUE

Tessa ist nur in Alaska, um die Polarlichter zu filmen – nicht um sich zu verlieben! Doch in den starken Armen ihres attraktiven Reiseführers Clint verbringt sie die sinnlichste Nacht ihres Lebens. Nie mehr will sie ihn verlassen! Aber passt sie auf Dauer in seine Welt?

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  • Erscheinungstag 11.01.2025
  • Bandnummer 254
  • ISBN / Artikelnummer 0858250254
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Jennifer LaBrecque

1. KAPITEL

Clint Sisnuket lehnte am Fensterrahmen des Büros, das zu dem kleinen Flugplatz in Good Riddance, Alaska, gehörte. Er beobachtete die Schneeflocken, die aus dem dunklen Himmel fielen.

„Dalton wird gleich um Landeerlaubnis bitten“, sagte Merrilee Danville Weatherspoon, die den winzigen Airport leitete.

Clint wandte sich lächelnd zu ihr um. Er mochte Merrilee, obwohl sie die Lebensart der Eskimos manchmal nicht verstand. Doch wenigstens respektierte Merrilee im Gegensatz zu Clints frankokanadischer Mutter die Einheimischen. „Ich warte gar nicht auf Dalton.“ Der ortsansässige Buschpilot war aus Anchorage unterwegs mit Clints neuem Kunden. Sie würden schon irgendwann landen. „Ich bewundere den Himmel.“

„Tu das“, erwiderte sie. Clint hatte entdeckt, dass Menschen, die wie Merrilee aus dem Süden stammten, gerne und viel redeten. Das war nicht unangenehm, aber eben anders. Auch nach fünfundzwanzig Jahren in Alaska würde Merrilee ihre südlichen Wurzeln nie verleugnen können. „Ihr werdet den Himmel in der nächsten Woche noch ausgiebig bewundern können, Kobuk und du.“

Der Schlittenhund hob kurz den Kopf, als er seinen Namen hörte, legte ihn dann aber gleich wieder auf die Pfoten. Ausnahmsweise belegten Jeb Taylor und Dwight Simmons einmal nicht die beiden Schaukelstühle vor dem Tisch mit dem Schachbrett.

Ein Lächeln glitt über Clints Gesicht. „T. S. Bellingham will die Nordlichter filmen, also werden Kobuk und ich ihm dabei helfen.“

Viele Menschen waren fasziniert von den Polarlichtern, auch Aurora Borealis genannt. Clint gehörte zu ihnen. Sein Volk glaubte daran, dass die Lichter Geister der Verstorbenen waren, die am Himmel tanzten. Daran glaubte Clint selbst zwar nicht, aber auch er konnte sich ihrer geheimnisvollen Schönheit nicht entziehen. „Bei dem vorhergesagten Sturm werden wir sie morgen allerdings wohl kaum zu sehen bekommen.“

„Ich kümmere mich gleich mal um den neuesten Wetterbericht“, sagte Merrilee und griff nach dem Funkgerät.

Es krachte und rauschte, bis eine körperlose Stimme einen aufziehenden Sturm ankündigte, der sie in zwei Stunden erreichen würde.

In diesem Augenblick polterte Bull Swenson die Stufen herunter. Angeblich hieß Bull in Wirklichkeit Edward, aber Bull passte viel besser zu dem kräftigen, muskulösen Mann mit der dichten, weißen Mähne und dem dazu passenden Vollbart. Selbst mit seinen sechzig Jahren konnte er es noch jederzeit mit Männern aufnehmen, die nur halb so alt waren wie er. Bull nickte ihm zu. „Clint.“

„Bull.“

Der ältere Mann sah Merrilee voller Zuneigung an.

Bull und Merrilee waren Gesprächsthema, seit sie sich kannten. Die ganze Stadt wusste, dass Bull sie hin und wieder um ihre Hand bat und sie ihm regelmäßig einen Korb gab. Eine unglückliche erste Ehe schien der Grund zu sein.

Merrilee schenkte eine Tasse Kaffee ein und reichte sie Bull. „Wir bekommen einen Sturm.“

„Das hätte ich euch auch sagen können. Die Schmerzen in meinem Knie und meiner Schulter bringen mich fast um.“

„Möchtest du eine Schmerztablette?“ Merrilee hatte die Hand schon nach der Pillendose auf dem Regal über ihrem Schreibtisch ausgestreckt. Clint fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, einen so fürsorglichen Menschen in seinem Leben zu haben. Wenn es nach seiner Großmutter ginge, dann wäre Ellie Lightfoot dieser Mensch. Allerdings fühlte sich Clint nicht zu Ellie hingezogen, obwohl sie hübsch, gebildet und eine Einheimische war – also alle Eigenschaften besaß, die eine gute Partnerin mitbringen sollte.

„Gern.“ Ächzend rieb sich Bull die Schulter. „Verdammter Vietkong.“

„Hier.“ Merrilee reichte Bull zwei orange Pillen. „Sieht ganz danach aus, als würde sich dieser Videodreh um einen halben Tag verzögern.“

Bull schüttelte den Kopf. „Für mich ist das Ganze sowieso absurd. Dieser Bellingham dreht einen Film über Alaska, aber es soll kein Dokumentarfilm sein, sondern nur mit Musik untermalte Landschaftsaufnahmen.“

„Also ich habe mir eines seiner Strandvideos bestellt, und das fand ich richtig gut“, bemerkte Merrilee. Sehnsucht schimmerte in ihren Augen. „So sehr ich Alaska auch liebe, so vermisse ich doch die Redneck Riviera.“

„Redneck Riviera?“, fragte Clint.

Sie lachte. „Die Golfküste in Alabama hat die schönsten weißen Sandstrände, die du dir vorstellen kannst. In meiner Kindheit fuhr ich mit meiner Familie jeden Sommer hin. Und dieses Landschaftsvideo ist fast so gut, als wäre man selbst da.“

„Vielleicht sollten wir diesen Sommer hinfahren“, schlug Bull unvermittelt vor.

Sie warf ihm einen überraschten Blick zu. „Wohl kaum möglich. Im Sommer herrscht hier Hochbetrieb für uns beide. Schließlich ist das hier nicht nur ein Landeplatz, sondern auch ein Bed and Breakfast.“

Bull zuckte mit den Schultern. „Wir werden beide nicht jünger. Wenn du den Strand so sehr vermisst, dann sollten wir fahren.“

„Lieb von dir, aber ich bin ganz zufrieden mit meinem Video.“

Bull nahm einen Schluck des dampfenden Kaffees. „Na gut, vielleicht sind die Videos von diesem Bellingham doch nicht so verrückt.“

Clint nickte. „Ich hab zwar noch keinen seiner Filme gesehen, aber er will alles aufnehmen, was ihm vor die Linse kommt. Wir werden morgen hinauffliegen und uns ein paar Tage in der Fischerhütte aufhalten. Von dort aus sind die Polarlichter spektakulär, und Wölfe und Vögel gibt es dort auch.“ Er und Bellingham hatten eine ganze Reihe Mails ausgetauscht, und Bellingham hatte sehr klar definiert, was er filmen wollte. Clint seinerseits hatte ebenso klar zum Ausdruck gebracht, dass es kalt sein würde und die Hütte einfach war, aber so günstig gelegen, dass man dort sehr gut die Polarlichter filmen konnte. Außerdem war ein Wolfsrudel in der Gegend gesichtet worden.

Mit einem Knistern meldete sich das Funkgerät. Durch das Rauschen erklang Dalton Saunders Stimme, die um Landeerlaubnis bat.

Die Lichter des Flugzeugs tauchten auf, und innerhalb weniger Minuten war das kleine Flugzeug am Boden, und Saunders öffnete die Passagiertür für Bellingham. Clint runzelte die Stirn. Nicht, dass es von Bedeutung gewesen wäre, aber Bellingham sah von hier aus sehr viel kleiner aus als Saunders und auch ziemlich mager, obwohl er in einen dicken Parka gehüllt war. Doch es machte Clint nichts aus, die Ausrüstung schleppen zu müssen – und Kobuk war ein Arbeitshund.

Bellingham und Saunders ergriffen jeder ein Gepäckstück und überquerten die Landebahn im Schein der Lichter, in denen der Schnee wunderbar glitzerte und funkelte.

Im selben Moment, als sie über die Schwelle traten, spürte Clint ein unerklärliches Gefühl. Er brauchte eine Sekunde, um zu erkennen, dass die Person vor ihm eine Frau war. Ihr zartes, blasses Gesicht wurde von der mit Pelz eingefassten Kapuze ihres Parkas eingerahmt. Sie hatte leuchtende dunkelgrüne Augen, Sommersprossen auf der Nase und ein bezauberndes Lächeln.

Verunsichert durch diese Frau und seine Reaktion auf sie tat Clint etwas, was er selten tat. Er sprach, ohne vorher nachzudenken. „Wo ist Bellingham?“

Saunders genoss ganz offensichtlich die Situation. „Direkt vor deiner Nase.“

Die Frau zog ihre Handschuhe aus und schob die Kapuze zurück. Seidiges blondes Haar fiel wie ein Vorhang auf ihre Schultern. „Ich bin T. S. Bellingham.“ Sie streckte ihm die Hand hin. „Und Sie müssen Mr Sisnuket sein.“

Obwohl er sie nie zuvor gesehen hatte, überkam ihn ein erschreckend starkes Gefühl des Wiedererkennens. Und ihre ausgestreckte Hand konnte er natürlich nicht ignorieren. Seine Finger schlossen sich um ihre. Ihre Haut war warm und weich, ihr Händedruck fest und entschieden. Eine neue Schockwelle durchflutete ihn.

Im Moment der Berührung riss sie die Augen auf, ihre Lippen öffneten sich, und sie entzog ihm hastig ihre Hand. Also hatte sie es auch gespürt.

Glücklicherweise durchbrach Merrilee mit ihrer Begrüßung die eigenartige Stimmung, und Clint schob verlegen die Hand in die Hosentasche. Genau das war es, was er bei Ellie Lightfoot vermisste, obwohl sie doch im Gegensatz zu dieser grünäugigen Blondine aus seinem Volk stammte. Nichts wünschte er sich weniger, als fast eine Woche in der Gesellschaft dieser Frau zu verbringen. Die fünf vor ihm liegenden Tage erschienen ihm jetzt schon endlos.

Tessa Bellingham zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf die Frau zu richten, die sie begrüßte.

„Willkommen in Good Riddance, Alaska, wo Sie all Ihre Sorgen hinter sich lassen können“, sagte die Frau, die sich als Merrilee Danville Weatherspoon vorstellte. „Geben Sie mir Ihren Mantel.“ Tessa schlüpfte aus dem Daunenparka und reichte ihn ihr. Mit einem einzigen Blick musterte Merrilee Tessa von Kopf bis Fuß. „Das ist ja einmal eine richtige Überraschung. Wir dachten alle, Sie seien ein Mann.“

Tessa nickte und lächelte. „Manchmal ist es einfacher so. Ich nenne mich seit Jahren T. S. Bellingham.“ Als allein lebende Frau ohne Angehörige hatte sie früh gelernt, dass es besser war, nicht überall herumzuposaunen, dass sie eine Frau war. „Bei Vereinbarungen über das Internet ist es normalerweise nicht ersichtlich, ob man männlich oder weiblich ist.“

„Da haben Sie recht. Ich liebe übrigens Ihr Strandvideo.“

„Vielen Dank, das höre ich immer gern.“ Ein wunderschöner dunkelbrauner Hund mit weißem Gesicht, weißer Brust und weißen Vorderbeinen und einer hellbraunen Maske kam von der anderen Seite des Raums, um an ihr zu schnüffeln. Der Hund wirkte weder besonders gefährlich noch übermäßig freundlich.

„Halten Sie ihm Ihre Hand hin“, sagte Clint Sisnuket. Es waren die ersten Worte, die er direkt an sie richtete. Seine Stimme war tief, und ihr Tonfall verriet seine Herkunft. Flüchtig streifte sie der Gedanke, einfach die Augen zu schließen und ihm zuzuhören …

Er mochte sie nicht – sie meinte den Mann, nicht den Hund. Vielleicht würde der Hund auch noch beschließen, dass er sie nicht mochte, aber bei dem Mann war sie sicher. Abneigung war vielleicht nicht das richtige Wort. Aber sie spürte, dass er sehr reserviert war. Ob die anderen im Raum es auch spürten?

„Hoffentlich denkt er nicht, dass ich ihm ein Leckerli anbiete“, sagte sie und hielt dem Hund die Hand hin.

„Nein, er zieht Beine als Leckerli vor.“

Tessa lächelte. Wenigstens besaß der Mann Sinn für Humor – auch wenn dieser Witz hier ziemlich lahm war.

Der Hund schnüffelte an ihr und schmiegte dann überraschend den Kopf an ihre Hand. „Kobuk mag Sie“, bemerkte Clint Sisnuket.

Sie streichelte ihm über sein dickes Fell und kraulte ihn hinter den Ohren. „Hallo, Kobuk, du bist aber ein ganz Hübscher.“ Kobuk wedelte mit dem Schwanz. „Das gefällt dir, nicht wahr? Ich bin froh, dass du mich magst.“

„Na ja, eigentlich mag er jeden.“ So wie Clint Sisnuket das sagte, klang es, als würde der Hund ziemlich niedrige Maßstäbe anlegen.

Doch Tessa ließ sich nicht entmutigen. „Ist er ein Malamute oder ein Husky? Ich kenne die beiden Rassen nicht gut genug, um sie unterscheiden zu können.“

Moment. Ließ Mister Unnahbar da etwa einen Hauch von Anerkennung durchblitzen? „Malamute. Huskys sind kleiner.“

Merrilee und Dalton Saunders kümmerten sich wieder um ihre Aufgaben. Tessa mochte den Buschpiloten mit seinem Humor und dem offenen Lachen. Auf dem Flug von Anchorage nach Good Riddance hatte er ihr ziemlich viel über seine Verlobte Dr. Skye Shanahan erzählt.

Er hatte so glücklich verliebt gewirkt, dass Tessa sich gefragt hatte, wie es wohl wäre, einen liebenden Partner an der Seite zu haben – obwohl sie nicht auf der Suche nach einem Mann war. Sie war schon so lange allein, im Grunde schon ihr ganzes Leben lang. Das kannte sie, und damit fühlte sie sich wohl.

„Ach ja.“ Merrilee schnippte mit den Fingern. „Fast hätte ich es vergessen, Dalton. Richte bitte Skye aus, dass Gus an Thanksgiving für sie einspringt.“

„Mach ich. Gus ist ein tolles Mädchen.“

Dann war Gus also eine Frau? Okay.

„Übernächste Woche feiern wir Thanksgiving. Die ganze Stadt kommt zusammen, und jeder bringt etwas zu essen mit“, erklärte Merrilee. „Skye ist eine gute Ärztin, aber kochen kann sie nicht. Außerdem hat sie viel zu tun, deshalb übernimmt es meine Nichte Gus, ein Gericht für sie zu kochen. Gus betreibt die Bar und das Restaurant nebenan – sie hat in Paris gelernt.“

All die Namen und Informationen waren etwas verwirrend für Tessa. Ihr gefiel jedoch der Gedanke, dass sich die ganze Stadt zusammentat, auch wenn sie persönlich nicht allzu viel von Feiertagen hielt, weil sie dieses warme Gefühl der Zusammengehörigkeit an Feiertagen nicht kannte.

Im Grunde konnte sie sich glücklich schätzen. Das sagte sie sich auch immer wieder. Tante Lucy und Onkel Ted hatten ihr ein gemütliches Zuhause in Tucson geboten, nachdem Tessas Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, als sie noch ein Kind war. Nach ihrem neunzehnten Geburtstag verstarben Tante und Onkel dann im Abstand von wenigen Monaten, und sie erbte deren Haus. Sie hatte immer ein Dach über dem Kopf gehabt, aber irgendwie hatte immer ein schmerzhafter Schatten über hohen Feiertagen gelegen.

Sie kam und ging, wie es ihr passte, und musste sich vor niemandem rechtfertigen. Doch obwohl sie in Tucson aufgewachsen war, hatte sie sich nie wirklich zugehörig gefühlt. Und Feiertage waren definitiv nicht ihre Lieblingstage. Sicher, ihre beste Freundin Val und deren Eltern luden sie immer an Thanksgiving oder Weihnachten zu sich ein, aber irgendwie kam sie sich dabei wie das fünfte Rad am Wagen vor.

„Es kommt wirklich die ganze Stadt zusammen?“

„Nun, eben alle, die Lust dazu haben. Das größte Problem ist es immer, einen Ort zu finden, wo alle Platz haben, aber das kriegen wir hin. Nächstes Jahr um diese Zeit ist unser neues Gemeindezentrum fertig, und dann ist dieses Problem auch gelöst. Zu schade, dass Sie zu Thanksgiving nicht mehr hier sind. Aber wahrscheinlich haben Sie ohnehin andere Pläne.“ Allerdings hatte Tessa Pläne. Sie würde sich etwas zu essen liefern lassen und dann die hier aufgenommenen Filme sichten und schneiden. „Wie wäre es mit einem Kaffee oder einem schönen heißen Tee?“, fuhr Merrilee fort. „Und falls Sie etwas Stärkeres brauchen, dann finden Sie es nebenan in Gus’ Bar.“

Tessa erwiderte ihr Lächeln. „Vielen Dank, aber das würde mich auf der Stelle umhauen. Ein heißer Tee wäre wunderbar.“

Dalton trank seinen Kaffee aus und sah zu Clint. „Ist dein Köter einsatzbereit? Ich habe Clives Generator im Flugzeug. Er wird ihn vielleicht brauchen, falls wirklich ein Sturm aufzieht.“

Clint lächelte jetzt, und Tessa war völlig unvorbereitet auf den Schock, den sein Lächeln in ihr auslöste. Er blickte zu seinem Hund hinüber. „Arbeit, Kobuk?“

Der Hund sprang auf, und Tessa hätte schwören können, dass er Clints Lächeln erwiderte. Aufgeregt tänzelte er im Raum herum.

„Mein Köter ist bereit“, erwiderte Clint und ließ wieder dieses mörderische Lächeln aufblitzen.

„Hilfst du uns kurz, Bull?“

„Klar.“

An der Tür hielt Clint inne und blickte über die Schulter zurück zu Tessa. „Wir gehen den Wochenplan durch, wenn ich zurück bin. Es wird nicht lange dauern.“ Lieber Himmel!

„Ich bewege mich nicht von der Stelle“, erwiderte sie und tat völlig unbeeindruckt.

Die drei Männer und der Hund verschwanden in der Dunkelheit. „Ich weiß nicht, was Sie über Malamutes wissen“, wandte sich Merrilee an Tessa. „Aber sie sind Arbeitstiere. Manche der Touristen, die hier auftauchen, verstehen das nicht. Sie halten es für Tierquälerei, aber diese Hunderasse ist am glücklichsten, wenn sie einen beladenen Schlitten zieht. Was den Tee angeht – lieber grünen Tee oder Earl Grey?“

„Earl Grey“, antwortete Tessa und ging zum Fenster hinüber. Kobuk war inzwischen auf dem Flugfeld vor einen Schlitten gespannt. Die Männer hoben einen großen Generator aus der Ladeluke. Ihr fiel auf, mit welcher Leichtigkeit Clint sich dabei bewegte.

In dem dunklen Zwielicht draußen sah sie, wie die Schneeflocken seinen dunklen Kopf sprenkelten. Auf eine sehr maskuline Weise war er ein attraktiver Mann, und Tessa verspürte eine heiße Welle der Lust. Verlegen wandte sie den Blick ab. Sie hatte das lächerliche Gefühl, dass Clint selbst aus der Entfernung und obwohl sie sich vorher noch nie begegnet waren, genau wusste, welche Gefühlsstürme er mit einem einzigen Blick in ihr auslöste.

„Hier ist Ihr Tee.“ Merrilee reichte ihr eine Porzellantasse.

„Vielen Dank“, erwiderte Tessa, dankbar für die Ablenkung. Dies war ein äußerst unwillkommenes Novum. Auf all ihren Geschäftsreisen hatte sie sich noch nie sexuell zu einem ihrer Führer hingezogen gefühlt. Mit Clint Sisnuket musste sie auf der Hut sein. Mit ihm eine Beziehung einzugehen, wäre mehr als unprofessionell.

Es gab nichts Schöneres, als den Wind und den Schnee zu spüren, während sie im Gleichschritt mit Kobuk die Straße hinuntermarschierten. Clint und Dalton liefen neben dem Schlitten her, der mit dem festgezurrten Kompressor beladen war. Bull war nach dem Beladen zu Donnas Engine and Motor Repair hinübergelaufen, um nach einem Schneemobilmotor zu fragen. Clive, der am anderen Ende der Main Street wohnte, konnte beim Abladen helfen.

„Alles klar bei dir?“, fragte Dalton.

„Sicher. Warum nicht?“

„Du schienst beim Anblick von Miss Bellingham ein wenig durcheinander. Du hattest etwas anderes erwartet, nicht wahr?“

So etwas wie diese Frau hatte er allerdings nicht erwartet. „Stimmt. Ich dachte, da käme ein Typ mittleren Alters, aber im Grunde ist es mir egal. Kein Problem.“ Clint war ein Profi. Tessa Bellinghams verführerische grüne Augen und ihre sinnliche Unterlippe änderten nichts daran. Sie war eine Kundin. Nicht mehr und nicht weniger.

Dalton nickte und warf ihm einen skeptischen Blick zu. Clint würde nicht denselben Fehler machen wie sein Vater, der sich in eine hellhäutige Blondine verliebt hatte. Schließlich hatte er das unglückliche Ende dieser Liebe miterlebt.

Dinky Monroe winkte ihnen aus dem Schaufenster von Curls Laden zu. Curl war Tierpräparator, Friseur und Bestatter in einer Person. Clint erwiderte den Gruß, indem er sich mit zwei Fingern an die Schläfe tippte.

„Hast du schon gehört? Nächste Woche kommt Dinkys neue Frau in die Stadt.“

Clint lachte und schüttelte den Kopf. „Ja, meine Großmutter hat es neulich beim Abendessen erwähnt.“

Bräute aus dem Internet hatten inzwischen die Katalogbräute von früher ersetzt.

„Deine Großmutter ist anscheinend immer auf dem neuesten Stand.“

Clint musste grinsen. Seine Großmutter regierte die Familie und auch einen beträchtlichen Teil der Stadt. Zweifellos würde der Klatsch über Tessa Bellingham sie schnell erreichen. Dann war es wieder einmal Zeit für eines ihrer „Gespräche“. Diese „Gespräche“ hatten begonnen, als Clint sieben Jahre alt war, und waren seitdem fester Bestandteil ihrer Beziehung.

Der Wind hatte inzwischen merklich aufgefrischt. Clint hatte richtig viel zu tun, um Kobuk in Schach zu halten.

Am anderen Ende der Main Street beeilten sie sich, Clives Generator abzuladen.

„Gut, dann lass uns umkehren und etwas essen, ehe es richtig unangenehm wird“, schlug Dalton vor. „Wir werden morgen wegen des Sturms vermutlich erst spät starten können.“

„Kein Problem. Das kriegen wir hin.“ Je weniger Zeit Clint mit seiner Kundin in einer abgelegenen Hütte verbringen musste, desto besser.

2. KAPITEL

Während Merrilee einen Anruf erledigte, nippte Tessa an ihrem Tee.

Neugierig sah sie sich in dem großen Raum um. Ganz sicher war es ein ganz anderer Stil als der, den sie von ihrer Heimat im Südwesten her gewohnt war. Den Hauptakzent setzten die Wände und die Decke aus Holz sowie der zwar abgetretene, aber auf Hochglanz polierte Holzboden. Zwei große Fenster gingen auf das Flugfeld hinaus, während man von den beiden anderen aus die Straße überblicken konnte. Geblümte Vorhänge mit cremefarbener Spitzenbordüre umrahmten die Fenster.

Hinten in der rechten Ecke stand ein Schreibtisch, auf dem jede Menge Unterlagen, das Telefon und ein Funkgerät standen – offensichtlich die Kommandozentrale des kleinen Landeplatzes. Rechts vom Schreibtisch hing ein großer Wandkalender mit Eintragungen in verschiedenen Farben.

Die gegenüberliegende Ecke wurde von einem Fernseher sowie zwei Sesseln und einem Zweiersofa samt Kaffeetischchen eingenommen.

Sowohl über der Eingangs- als auch über der Hintertür hingen Schilder mit der Aufschrift „Willkommen in Good Riddance, Alaska“. Zwei gepolsterte Schaukelstühle flankierten den dickbäuchigen Ofen, und zwei weitere standen vor einem Schachbrett. Von der linken vorderen Ecke aus führte eine Treppe nach oben, wo sich wohl die Schlafzimmer befanden.

An den Wänden hingen überall gerahmte Fotografien. Große runde Flickenteppiche markierten die einzelnen Bereiche des Raumes. Rechts vom Ofen befand sich eine Tür mit der Aufschrift „Willkommen bei Gus“. Tessa hörte gedämpft Musik, Stimmengewirr und Gelächter von der anderen Seite.

Ihr Flug war in aller Frühe in Tucson gestartet, und der Zwischenstopp in Los Angeles hatte lange gedauert. Nachdem sie sich nun hier im Raum orientiert hatte, ließ sie sich in den Schaukelstuhl neben dem warmen Ofen fallen. Ihre anfängliche Euphorie über die Ankunft wich nun einer wohligen Müdigkeit.

Merrilee beendete ihr Telefonat. „Ich bitte um Entschuldigung. Wollen Sie zuerst essen oder lieber duschen? Das Bad ist oben, und zu essen gibt es nebenan.“ Ihr Lachen war ansteckend.

„Eine Dusche wäre wunderbar.“

„Verstehe. Dann kommen Sie mit mir.“

Tessa stemmte sich aus dem Schaukelstuhl und folgte Merrilee die Holztreppe hinauf. Auch hier oben waren die Wände und Zimmerdecken aus hellem, lackiertem Holz, das eine heimelige Atmosphäre verbreitete.

Merrilee öffnete die Tür zu einem Zimmer, in das sich Tessa sofort verliebte. Auf einem großen Bett lag ein Quilt in allen Schattierungen aus Violett, Pink und Gelb. Gehäkelte Deckchen lagen auf dem einfachen Nachtkästchen und der Kommode. Vor den Fenstern hingen spitzenbesetzte Vorhänge. Ein schwacher Duft nach Lavendel hing im Raum.

Tessa strich über den offensichtlich handgearbeiteten Quilt. „Hier gefällt es mir. Es ist so warm und gemütlich.“

„Danke. Genau das wollte ich erreichen.“ Merrilee blickte sich zufrieden um. „Es ist gerade renoviert worden. Letzten Monat ist das Dach eingestürzt, und nach der Reparatur habe ich es gleich etwas aufgehübscht.“

„Es ist einfach wunderschön, und ich freue mich, dass ich hier übernachten darf.“

Merrilee strahlte. „Prima. Tja, das Bad ist allerdings ein Gemeinschaftsbad und liegt am Ende des Flurs.“

„Kein Problem“, sagte Tessa und lachte. „Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich ab morgen kein fließendes Wasser mehr haben werde. Sie können sich nicht vorstellen, was ich auf meinen Reisen schon alles erlebt habe.“

Neugierig schaute Merrilee sie an. „Wie sind Sie zu diesem Job gekommen? Er ist ja ziemlich ungewöhnlich.“

„Das war ein glücklicher Zufall. Ich habe mich auf eine Internetanzeige beworben und stellte fest, dass mir das Reisen und die Filmerei Spaß machten.“ Tessa zuckte mit den Schultern. „Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.“

„Wird Ihnen das Reisen nicht manchmal zu anstrengend?“ Merrilee ließ sich auf die Kante eines kleinen Sessels mit einem sonnengelben Bezug nieder.

Tessa setzte sich auf das Bett. Sie fühlte sich wohl in der Gesellschaft dieser Frau, die sie gerade erst kennengelernt hatte. Vielleicht lag es daran, dass dieses Zimmer Kindheitserinnerungen in ihr weckte.

„Manchmal schon.“ Sie hielt inne. „Aber obwohl ich in Tucson lebe, fühle ich mich dort nicht zu Hause. Verstehen Sie, was ich meine?“

„Ach, meine Liebe, ich bin im Süden aufgewachsen und habe immer noch eine Menge südlichen Temperaments in mir, aber ich habe mich dort nie wirklich heimatlich gefühlt. Als ich damals mit meinem Wohnmobil hier ankam, spürte ich seltsamerweise sofort – das ist es! Hier ist meine Heimat. Obwohl das Leben hier anfangs nicht immer ein Zuckerschlecken war.“

Tessa nickte zustimmend. „Irgendwie habe ich immer das Gefühl, auf der Suche zu sein.“

Sie lächelte wehmütig. „Aber ich bin davon überzeugt, dass ich auf meinen Reisen früher oder später den Ort finden werde, an den ich gehöre. Und wenn nicht, dann bleibe ich eben eine Kosmopolitin.“

Tessa spürte, dass Merrilee sie genau verstand.

„Lebt Ihre Familie in Tucson?“

„Nein. Meine Eltern starben, als ich acht Jahre alt war. Ich zog dann nach Tucson, um bei der Tante und dem Onkel meiner Mom zu leben. Das alles liegt lange zurück.“

„Das tut mir leid. Die Eltern zu verlieren ist nie einfach. Ich war fünfzig, als meine Eltern starben, und es war trotzdem schlimm.“

Aus irgendeinem verrückten Grund war Tessa plötzlich zu Tränen gerührt.

„Wartet ein junger Mann auf Sie in Tucson?“, fragte Merrilee jetzt vorsichtig.

„Nein. Die meisten Männer kommen nicht damit zurecht, dass ich ständig unterwegs bin. Außerdem bin ich lieber frei und ungebunden.“ Der frühe Tod ihrer Eltern und dann der Verlust von Tante Lucy und Onkel Ted waren zu schmerzhaft gewesen. Diese Erfahrung wollte sie nie wieder machen müssen.

Merrilee nickte nur, aber aus ihrem Blick sprach Verständnis. Tessa wandte den Blick ab. Es machte sie verlegen, dass sie so viel von sich selbst preisgegeben hatte. „Ich gehe jetzt mal unter die Dusche“, sagte sie, um das Thema zu wechseln.

„Aber natürlich“, erwiderte Merrilee und erhob sich.

Clint betrat hinter Dalton das Flugplatzbüro, nachdem er auf der Schwelle noch Kobuks Pfoten abgeputzt hatte. Zufällig tauchte Bull genau hinter ihnen auf. Nach der dunklen Kälte draußen waren der Duft nach frischem Kaffee und die Wärme des Feuers wunderbar wohltuend.

Merrilee blickte von ihrem Schreibtisch auf. „Nehmt euch einen heißen Kaffee.“

Dalton nickte. „Vielen Dank. Der Wind ist schon richtig stürmisch.“

„Es soll noch heftiger werden“, sagte Merrilee.

Clint suchte den Raum ab, doch Tessa war nirgends zu sehen.

„Tessa ist oben und gönnt sich noch einmal den Luxus einer heißen Dusche“, erklärte Merrilee, der nichts entging. Dann wandte sie sich wieder Dalton und den Flugplänen zu.

Merrilees Worte beschworen in Clint ein Bild von Tessa Bellingham herauf, das er am liebsten schnell wieder gelöscht hätte. Er stellte sich vor, wie sie mit nach hinten geneigtem Kopf unter dem Wasserstrahl stand, der sich über ihren nackten Körper ergoss. Seit sie vorhin aus ihrem Parka geschlüpft war, war er fasziniert vom Schwung ihrer Hüften, ihrer schmalen Taille und ihren vollen Brüsten. Sie hatte die Figur einer richtigen Frau.

Doch es war keine gute Idee, herumzustehen und sich eine nackte Tessa unter der Dusche vorzustellen. Und hoffentlich verbrauchte sie nicht das ganze heiße Wasser, denn er selbst konnte auch eine Dusche gebrauchen.

Er beschloss, ebenfalls im Bed and Breakfast zu übernachten, damit sie morgen in aller Frühe starten konnten. Seine eigene Blockhütte lag ein Stück außerhalb der Stadt, und Merrilee hatte ihm schon öfter eine kostenlose Übernachtung angeboten. Allerdings achtete Clint immer darauf, dass sie genügend freie Betten hatte und er ihr nicht das letzte wegschnappte.

Oben wurde das Wasser abgedreht. Clint gab Kobuk seine Abendration und füllte seinen Wassernapf auf. Doch diese profanen Tätigkeiten hielten ihn nicht davon ab, sich vorzustellen, wie sich die Frau oben mit einem flauschigen Badetuch abtrocknete, erst Hals und Schultern, dann die Arme, die Brüste, zwischen den Schenkeln und dann die Beine. Er versuchte, an etwas anderes zu denken, und ging im Geist die Vorratsliste durch, die er für ihren Ausflug zusammengestellt hatte, doch er bekam die Bilder von Tessa nicht aus seinem Kopf.

Schließlich wurde er richtig sauer auf sich, zog die Liste heraus und setzte sich in einen der Sessel am Ofen. Nach ein paar Minuten kam Tessa die Treppe herunter. Ihr Haar war noch feucht.

Er spürte, wie eine Welle unerwünschten Begehrens in ihm aufstieg. Ohne Make-up schimmerte ihre Haut sauber und frisch. Ihre grünen Augen erinnerten ihn an Fichtennadeln. Sie durchquerte den Raum und setzte sich in den Schaukelstuhl neben ihn. Sie duftete nach Seife und Shampoo und Frau. Clint versuchte, an etwas anderes zu denken. Er arbeitete schon seit langer Zeit als Fremdenführer und hatte jede Menge Kunden gehabt, manche davon junge, attraktive Frauen, aber er hatte immer darauf geachtet, Distanz zu wahren. Doch seit Tessa durch die Tür getreten war, war es um seine Distanz geschehen, und es schien ihm nicht zu gelingen, sie wieder aufzubauen.

„Wollen wir unsere Pläne für morgen besprechen?“, fragte sie.

„Wir sollten die Vorratsliste durchgehen, damit wir nichts vergessen.“

„Gibt es vielleicht zufällig einen Supermarkt an der Straße, die wir ansteuern?“

Clint musste lachen. „Dort gibt es noch nicht mal eine Straße.“

Sie lächelte flüchtig. „Perfekt. Das klingt, als wäre es genau der richtige Ort für mein Video.“

„Es gibt kein fließendes Wasser dort, das wissen Sie.“

„Natürlich, das haben wir ja schon per Mail besprochen, Mr Sisnuket …“

„Clint. Alle nennen mich Clint.“

Sie neigte den Kopf. „Okay. Clint. Ich will nur klarstellen, dass ich genau weiß, worauf ich mich einlasse. Ich war bereits an einigen sehr abgelegenen Orten, wo ich unter primitivsten Bedingungen filmen musste. Ich habe damit kein Problem. Kein Strom. Kein fließendes Wasser. Egal. Ich bin härter, als ich offenbar aussehe. Auf jeden Fall bin ich weder eine schwache, kleine Frau noch eine Primadonna.“

Das würde sich ja noch zeigen. „Okay.“

„Sie sind nicht überzeugt, wie ich sehe, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Ganze etwas unvoreingenommener sehen könnten. Man sollte ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen.“

Clint war wirklich nicht auf den Kopf gefallen, aber er brauchte eine Sekunde, ehe er begriff, dass sie ihm soeben Engstirnigkeit unterstellt hatte. Und das machte ihn richtig sauer. Den widerlichen Geschmack von Engstirnigkeit hatte er zum ersten Mal in seinem Leben bei der Familie seiner Mutter verspürt, als er mit ihr nach Montreal gezogen war. Seine Mutter war einst in Good Riddance als Mitglied einer Filmcrew aufgetaucht. Sein Vater hätte es wissen müssen – er hätte wissen müssen, dass die Frau aus der Stadt mit der hellen Haut und dem hellen Haar sich nie an ein Leben in einer Kleinstadt in Alaska gewöhnen würde. Doch er hatte nur auf sein Herz gehört und nicht auf seinen Verstand und hatte gegen den Willen seiner Familie und seines Stammes Georgina Wallace geheiratet. Ein Jahr später kam Clint zur Welt.

Als Clint fünf Jahre alt war, hatte seine Mutter ihre Ehe und ihr Leben in der Wildnis Alaskas hingeworfen und war mit ihm nach Montreal zurückgezogen. Für Clint eine schreckliche Erfahrung. Er vermisste seinen Vater und seine weitläufige Verwandtschaft, vor allem seinen Cousin Nelson, der ihm wie ein Bruder nahegestanden hatte. Dazu kam die Tatsache, dass die Familie seiner Mutter glaubte, sie habe unter ihrem Stand geheiratet. Und das Mischlingskind, dem man seine Herkunft deutlich ansah, war ihnen alles andere als willkommen.

Und als hätte er seine Lektion nicht bereits gelernt, hatte er sich an der Universität von Alaska in Carrie verliebt, eine Blondine mit blauen Augen, die ihn beiläufig hatte wissen lassen, dass sie niemals eine ernsthafte Beziehung mit ihm eingehen könne, weil sie keine gemischtrassigen Kinder haben wollte.

Falls Tessa also wissen wollte, wie es sich anfühlte, nur nach seinem Äußeren beurteilt zu werden, dann konnte er ihr dazu abendfüllende Vorträge halten. Schon wollte er den Mund öffnen … doch dann ließ er es bleiben. Sie hatte recht.

Er hatte keinerlei Bedenken gehabt, T. S. Bellingham auf diesen Ausflug zu begleiten. Aufgrund ihrer Korrespondenz war er zu der Überzeugung gelangt, dass T. S. kompetent war und genau wusste, was er zu erwarten hatte. Doch ein Blick auf die kurvige Blondine mit den zarten Gesichtszügen hatte ausgereicht, um sie als problematisch und inkompetent einzustufen. Er hatte sich nicht nur spießig gezeigt, sondern all seine Vorurteile auf sie übertragen, ohne ihr auch nur eine einzige Chance zu geben.

Nun öffnete er den Mund, um sich zu entschuldigen. „Sie haben recht. Es tut mir sehr leid. Dabei bin ich selbst oft genug das Opfer von Vorurteilen gewesen.“

Sie lächelte ihn an. Spontan, offen und reizend. Und sein Herz antwortete ihr darauf auf seine eigene Art, schnell aufsteigend wie der mächtige Adler, sein Totemtier, sein tierischer Bruder.

„Wow. Sie sind wirklich ein seltener Vertreter der männlichen Gattung, Clint Sisnuket.“

„Wieso das?“

Ihr Lächeln trieb ihn in schwindelerregende Höhen. „Sie sind ein Mann … und Sie haben sich gerade entschuldigt.“

Leider war er sich im Augenblick seiner Männlichkeit nur allzu sehr bewusst …

Während sich die anderen unterhielten, schob Merrilee ihre Brille zurück und versuchte sich zu entspannen. Seit sie vor dreieinhalb Wochen diesen in Georgia abgestempelten dummen Brief erhalten hatte, war sie so nervös wie eine Katze auf einem heißen Blechdach. „Es ist lange her. Wir haben einiges zu besprechen. Ich kann dir geben, was du willst.“ Diese Worte hatten sich geradezu in ihr Gehirn eingebrannt. Das Einzige, was sie zu diesem Zeitpunkt von ihm wollte, war seine Todesanzeige.

„Einen Penny für deine Gedanken“, unterbrach Bull sie. Prüfend blickte er sie aus seinen sherryfarbenen Augen an. Sie waren ihr als Erstes aufgefallen, als sie Bull Swenson vor fünfundzwanzig Jahren kennenlernte. Ihre Großmutter bewahrte ihren Sherry in einer Kristallkaraffe auf einem Sideboard auf. Als Kind fand Merrilee nichts schöner, als wenn Sonnenstrahlen durchs Fenster fielen und die Flüssigkeit in ein goldenes Braun verwandelten. Als sie Bull zum ersten Mal in die Augen gesehen hatte, hatte sie das Gefühl gehabt, in sonnengetränkten Sherry zu schauen. In diesem Moment hatte Amors Pfeil sie getroffen.

Jetzt drückte ihr die Angst die Kehle zu. Bull bedeutete alles für sie. Was würde geschehen, wenn er herausfände, dass sie nicht ehrlich zu ihm gewesen war? Wie würde er reagieren, wenn er erkennen musste, dass ein Teil ihrer Beziehung auf einer Lüge basierte?

Sie rang sich ein Lachen ab. „Nur einen Penny? Viel zu wenig. So billig ist Merrilee Weatherspoon nicht zu haben, mein Lieber.“

Bull stimmte in ihr Lachen ein, doch auf seinem wettergegerbten Gesicht lag eine Wachsamkeit, die ihr sagte, dass er ihre Angespanntheit sehr wohl spürte. Zum Glück erwachte gerade in diesem Moment das Funkgerät zum Leben.

Sie stellte auf Lautsprecher und konnte kaum fassen, was sie hörte. Auch Dalton und Bull blieb der Mund offen stehen. Sie bat um Wiederholung. Aber sie hatten alle richtig gehört. Trotz des drohenden Sturms war ein Flugzeug von Anchorage aus unterwegs und bat um Landeerlaubnis in Good Riddance. Das würde eine harte und holperige Landung geben.

Entgeistert schaute sie Bull, Dalton, Clint und Tessa Bellingham der Reihe nach an.

„Da ist jemand entweder komplett verrückt oder total verzweifelt“, sagte Bull kopfschüttelnd.

„Vielleicht beides gleichzeitig. Ich kann nur hoffen, dass der Pilot, wer auch immer es ist, doppelte Ladung aufgenommen hat …“ Dalton schaute aus dem Fenster in den wirbelnden Schnee.

„Es ist Durden“, sagte Merrilee.

Clint nickte. „Typisch Durden. Er wird hier übernachten müssen.“

Dalton lehnte sich an den Schreibtisch. „Allerdings. Heute Abend kommt hier keiner mehr raus.“

„Zum Glück haben wir immer einen Vorrat an Ersatz-Schlafsäcken.“ Merrilee zwang sich zu einem Lächeln und warf Bull einen Blick zu. „Und zur Not kann ich ja vielleicht bei dir übernachten.“

„Jederzeit. Immer“, antwortete er. Sie und Bull hatten immer getrennte Wohnungen behalten. Es schien so besser zu funktionieren, obwohl sie wusste, dass Bull sich wünschte, sie würden unter einem Dach leben. Er hatte sie so oft um ihre Hand gebeten, dass sie es gar nicht mehr zählen konnte.

Bull war ein guter Mann. Sie hatte sich gleich bei ihrer ersten Begegnung Hals über Kopf in ihn verliebt, und trotzdem hatte sie die nächsten Jahre ständig damit gerechnet, dass sich hinter seiner liebenswerten Fassade ein Idiot verbarg, der sie letztendlich enttäuschen würde. Jetzt – fünfundzwanzig Jahre später – wusste sie, dass er sie niemals enttäuschen würde. Er war ein durch und durch aufrichtiger Mann. Wenn Bull einem sein Wort gab, konnte man darauf vertrauen, dass er es hielt.

„Ihr könnt schon mal alle zu Gus rübergehen und zu Abend essen, während ich darauf warte, dass diese Verrückten auftauchen“, sagte Merrilee. Sie brauchte unbedingt ein paar Minuten für sich.

„Ich bringe dir später einen Teller“, sagte Bull. „Worauf hättest du besonders Lust?“

„Bring mir einfach die Empfehlung des Tages.“ Im Augenblick hatte sie ohnehin keinen Appetit.

„Bis dann.“

Clint, Tessa, Dalton und Bull benutzten die Durchgangstür zu Gus’ Kneipe.

Merrilee biss sich auf die Lippen. Die Wahrheit lag so tief begraben … Doch nun erwachten die Leichen in Merrilees Keller zu neuem Leben.

Tessa blickte sich um, ganz gefangen von all dem Lärm, den Gerüchen und der gemütlichen Atmosphäre. Gus’ Kneipe gefiel ihr sofort ausnehmend gut. Die altmodische Bar mit den Barhockern aus Messing, auf denen einige Gäste saßen, die Nischen und Tische, dazwischen Billardtische, eine kleine Bühne und ein Dartboard. Vom Stil her lag sie irgendwo zwischen einer in die Jahre gekommenen Bar und einem gehobenen Imbiss. Und genau deshalb mochte Tessa sie auf den ersten Blick.

Die Düfte aus der Küche waren zudem himmlisch.

Eine Frau zwischen Mitte und Ende zwanzig kam lächelnd auf sie zu. Ihr dunkles Haar hatte vorn eine auffallend weiße Strähne und machte sie sehr apart. „Hi. Willkommen, ich heiße Gus.“

Tessa ergriff die ausgestreckte Hand der Frau. „Sehr erfreut. Ich heiße Tessa Bellingham.“ Gus hatte einen angenehm kräftigen Händedruck. „Es riecht unglaublich gut hier bei Ihnen. Mein Mittagessen liegt schon ziemlich lange zurück.“ Sie lächelte, und wie zur Bestätigung ihrer Worte meldete sich ihr Magen.

Alle lachten. „Dann will ich euch mal gleich an einen Tisch bringen“, sagte Gus mit einem Augenzwinkern. „Wegen des Sturms sind wir heute ziemlich voll. Macht es Ihnen etwas aus, mit Skye und Nelson an dem großen Tisch dort drüben zu sitzen?“

Skye war Dalton Saunders Verlobte. Tessa wollte sie gern kennenlernen. „Überhaupt nicht. Je mehr Leute, desto besser.“

Jetzt meldete sich Bull zu Wort. „Gus, würdest du zwei Teller mit dem Tagesmenü für mich und Merrilee fertig machen? Sie muss drüben auf einen Verrückten warten, der noch landen will, ehe der Sturm richtig losgeht. Ich leiste ihr dabei Gesellschaft.“

„Kommt sofort“, erwiderte Gus und wandte sich den anderen zu. „Ich schicke euch Teddy, damit sie eure Bestellung aufnimmt.“

Gus entfernte sich in Richtung der offenen Küche. Dalton bahnte sich einen Weg durch die Tische, ihm folgte Tessa mit Clint im Schlepptau.

Sie erreichten den Tisch, und Dalton küsste eine hübsche Frau – seine Verlobte, vermutete Tessa – mit sommersprossigem, hellem Teint, strahlend blauen Augen und lockigem roten Haar. Skye Shanahan und Dalton Saunders waren ein ausgesprochen schönes Paar.

Der Mann neben Skye am Tisch hatte langes, schwarzes, im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar. Die hohen Wangenknochen und der dunklere Hautton wiesen ihn eindeutig als Einheimischen aus. Skye stellte ihn Tessa als Nelson Sisnuket, Clints Cousin und Skyes Assistenten, vor. Beide – Skye und Nelson – hießen Tessa freundlich willkommen.

Skye lächelte Tessa über den Tisch hinweg zu. „Wenn Sie kein Problem mit Fleisch und Wildgerichten haben, dann kann ich Ihnen das Elchragout wärmstens empfehlen. Es ist ausgezeichnet.“

Tessa nickte. „Dann nehme ich das Elchragout. Wenn ich irgendwo neu bin, dann probiere ich immer gern die regionalen Gerichte.“

„Regionaler geht es nicht. Und der Elch ist frisch“, erklärte Nelson ihr und warf Skye einen neckenden Blick zu. „Wurde gestern geliefert.“

Skyes Hals und Gesicht wurden rot, worauf Dalton grinste und Clint flüchtig lächelte.

„Der Elch kam von einem Typen, der auf Daltons Grund und Boden wilderte“, erklärte Nelson. „Und was noch schlimmer ist, er versuchte auch noch, Skye zu bezirzen. Er bot den Elch dann als Wiedergutmachung an, und Dalton schickte ihn zu Gus.“

Dalton zuckte mit den Schultern. „Was soll’s? Wir essen hier nun wirklich häufig. Ich kann nicht kochen, und es ist sicher besser, wenn Gus den Elch zubereitet als Skye.“

„Pass auf, was du sagst, mein Lieber“, drohte Skye ihm mit einem Augenzwinkern.

„Er hat Ihnen wirklich einen Elch angeboten?“, fragte Tessa.

„Erst fand ich es auch ziemlich seltsam.“ Skye verdrehte die Augen. „Aber man gewöhnt sich erschreckend schnell an die Gebräuche hier in Good Riddance. Irgendwie gelingt es diesem Städtchen, sich in dein Herz zu schleichen.“

„Ich dachte, genau das wäre mir gelungen“, beschwerte sich Dalton. „Und jetzt kommt heraus, dass du wegen der Stadt zurückgekehrt bist.“

Das liebevolle Geplänkel der beiden weckte in Tessa eine ungewohnte Sehnsucht.

„Auf manche Menschen hat Good Riddance diesen Effekt“, sagte Nelson mit einem Seitenblick auf Tessa. „Gus kam vor vier Jahren aus New York und kehrte nie mehr zurück.“

„Gus ist das Beste, was Good Riddance je widerfuhr.“ Dalton lachte breit, als er das sagte.

„Du willst anscheinend heute Nacht auf dem Sofa schlafen“, bemerkte Skye spitz.

„Tut mir leid, Süße, das ist mein Magen, der da spricht, nicht mein Herz.“

Tessa lachte laut auf, und Dalton grinste ihr zu. „Sie werden schon sehen, das Essen ist Spitze.“

„Gus hat in Paris gelernt“, sagte Skye zu Tessa und nickte mit dem Kopf.

„Wow, und da ist sie hier gelandet?“

„Wie bereits gesagt, Good Riddance hat auf manche diesen Effekt“, sagte Nelson.

„Aber oft genug nutzt sich die Begeisterung über das Leben in der Wildnis auch nach einer Weile ab“, erklärte Clint. Sein Tonfall war zwar neutral, doch etwas in seiner Körperhaltung sagte Tessa, dass sich hinter seinen Worten eine persönliche Erfahrung verbarg.

Was sie bisher von Good Riddance gesehen hatte, gefiel Tessa, aber natürlich war es noch viel zu früh für ein Urteil. Clints Arm streifte flüchtig ihre Schulter, und sofort spürte sie eine Armee von Schmetterlingen in ihrem Bauch. Es gab da einige Dinge in Good Riddance, die ihr besser gefielen als andere, und der Mann neben ihr stand ganz oben auf der Liste. Sehr bedauerlich für ihr Seelenheil.

3. KAPITEL

Lieber Himmel! Merrilee starrte den Mann mit einer Mischung aus Abscheu und Verachtung an. Fünfundzwanzig Jahre waren vergangen, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, und immer noch war das nicht lang genug. Natürlich hatte sie gehofft, diesen jämmerlichen Typen nie wiederzusehen. Doch hier war er nun – Theodore Jackson Weatherspoon, besser bekannt als Tad.

Zumindest glaubte sie, dass es sich um Tad handelte. Oder war es nur eine schlechte Kopie von ihm? Das Deckenlicht schien auf seine kümmerliche Haarpracht, die in einem entsetzlichen Orangerot gefärbt war. Und dieses Inferno wurde noch überboten von seiner aufgesprühten Sonnenbräune. Während der Tad von damals am liebsten Buttondown-Hemden von Ralph Lauren zu Kakihosen kombiniert hatte, trug dieser Typ ein T-Shirt mit einem sinnfreien Aufdruck und Jeans, die viel zu tief auf seinen Hüften saßen. Hielt er sich für einen Teenager? Und wer war dieses Mädchen von höchstens Mitte zwanzig mit den aufgespritzten Lippen und den Silikonbrüsten, das an seinem Arm hing?

„Hallöchen, Merrilee.“

„Tad?“ Am liebsten hätte sie sich gezwickt, um sicherzugehen, dass dies kein Albtraum war.

Sein Grinsen war genauso dämlich wie er selbst. „Nicht schlecht für einen Einundfünfzigjährigen, was?“

„Außer, dass du nicht einundfünfzig bist, sondern dreiundsechzig.“

Die Blonde an seinem Arm schürzte überrascht die Lippen. „Dreiundsechzig, Daddy?“

„Merrilee ist etwas verwirrt, Baby Doll.“ Tad tätschelte ihre Hand und wandte sich dann mit einem – wie er glaubte – jungenhaft-charmanten Lächeln an Merrilee. „Du warst nie besonders gut in Mathematik, nicht wahr Merry?“

Sie wollte ihm schon sagen, dass er sie gernhaben könne, aber unter den gegebenen Umständen schien ihr das unklug. Vielleicht saß er in gewisser Weise am längeren Hebel, doch sie befanden sich hier immerhin auf ihrem eigenen Terrain. „Nenn mich nicht Merry.“

Noch ehe Tad antworten konnte, kam Bull mit zwei Tellern in der Hand durch die Verbindungstür. Sie bemerkte, wie er die Neuankömmlinge musterte, während er durch den Raum ging und die Teller auf dem Schreibtisch abstellte. Dann streckte er die Hand aus und stellte sich vor: „Bull Swenson.“

„Tad Weatherspoon“, sagte der Vollidiot und schüttelte Bull die Hand.

Natürlich erkannte Bull den Namen sofort, obwohl er ihn nur ein einziges Mal vor fünfundzwanzig Jahren gehört hatte. Er warf Merrilee einen raschen Blick zu. „Ah, der Exgatte, ja?“

Jetzt blickte Tad zu Merrilee. „In voller Größe.“

„Das ist Jenna.“ Tad wies stolz auf die Frau an seiner Seite.

„Ich bin seine Verlobte“, erklärte Baby Doll alias Jenna und streckte ihre Hand aus, um stolz ihren dreikarätigen Diamanten zu präsentieren. Noch immer konnte Merrilee die Qualität eines Diamanten selbst auf größere Entfernung abschätzen, und hier war sie nicht besonders hoch. Baby Doll kannte den Unterschied anscheinend nicht. Hauptsache groß und protzig.

„Sehr erfreut, Jenna. Hübscher Ring.“ Ganz Gentleman bewunderte Bull das Schmuckstück.

„Sie wollte Bling-bling, also bekam sie Bling-bling“, plusterte Tad sich auf.

„Sind Sie hungrig, Jenna?“, fragte Merrilee und fuhr gleich fort, ohne Jennas Antwort abzuwarten. „Ich wette, Sie können nach diesem wackligen Flug einen Drink vertragen. Bull, bring Jenna doch rüber zu Gus. Inzwischen bespreche ich mit Tad ihre Unterbringung für heute Nacht.“

Ein schwacher Versuch, aber etwas Besseres fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. Bulls Miene zeigte ihr deutlich, dass sie ihm einiges zu erklären hatte, ehe der Abend zu Ende ging.

Die Tür hatte sich kaum hinter Bull und Jenna geschlossen, als sie sofort zur Sache kam. „Was willst du?“

„Meine Güte, Merry, es ist fünfundzwanzig Jahre her, und dir fällt nichts anderes ein?“

Hatte sie ihm nicht gesagt, er solle sie nicht Merry nennen? Aber sie ließ es dabei bewenden, schließlich würde es sie nicht umbringen. „Lass mich eines gleich klarstellen, Tad. Wenn du einer einzigen Menschenseele hier verrätst, dass wir noch immer verheiratet sind, dann gnade dir Gott.“

„Ich glaube, so gut habe ich noch nie gegessen“, sagte Tessa zufrieden, während sie an Clints Seite durch das Restaurant ging.

„Ja, Gus ist eine perfekte Köchin.“

Am anderen Ende des Raums erblickte er Bull mit einer Frau, die aussah, als wäre sie auf dem Weg zum Beauty-Salon falsch abgebogen. Bull sah auf und begegnete Clints Blick. Er wirkte mürrisch – auf jeden Fall viel mürrischer als sonst.

Clint hielt Tessa die Tür auf, damit sie ihm voran das Büro betreten konnte. Das Essen war hervorragend gewesen, und zu seiner großen Verblüffung hatte er Tessas Gesellschaft sehr genossen. Er musste allerdings zugeben, dass er reichlich neugierig darauf war, wer mit dieser Barbie unter widrigen Bedingungen hier gelandet war.

Sie platzten in eine offensichtlich unerfreuliche Unterhaltung zwischen Merrilee und einem ziemlich seltsam aussehenden älteren Mann. Als Merrilee sich zu ihnen umwandte, hob sie zwar die Mundwinkel, ihre Augen lächelten jedoch nicht. „Wie war das Abendessen?“

Tessa blickte von Merrilee zu dem Fremden. Sie schien die Spannung ebenfalls zu spüren. „Super.“

„Sehr gut. Tessa, das ist Tad Weatherspoon. Tad, darf ich dir Clint Sisnuket und Tessa Bellingham vorstellen? Clint ist einer unserer besten Fremdenführer, und Tessa kam heute Nachmittag mit dem Flugzeug von Tucson. Sie dreht und produziert fantastische Landschafts-Videos. Ich kenne eines ihrer Strand-Videos und bin völlig begeistert davon. Es ist, als wäre man höchstpersönlich in Orange Beach unten in Alabama.“

Weatherspoon? Und warum redete Merrilee so ungewöhnlich viel? Dieser Tad Weatherspoon hatte Merrilee offensichtlich aus dem Gleichgewicht gebracht, und das wollte etwas heißen. Clint kannte Merrilee nur vergnügt und fast immer unerschütterlich. Bis jetzt.

„Freut mich“, sagte Tad und stellte dabei lächelnd seine gebleichten Kauwerkzeuge zur Schau. „Ich bin der Grund, warum Merry nach Alaska gezogen ist. Sie wollte so weit wie möglich weg von mir …“

Merrilee lächelte angespannt.

Clint wusste nicht, was er sagen sollte, und entschied sich für: „Wir sind alle froh, sie hier zu haben.“

„Tja, Merry war schon immer hyperaktiv, also gibt es nichts Besseres für sie, als gleich eine ganze Stadt zu managen. Sagen Sie, wenn Sie hier als so eine Art Fremdenführer arbeiten, dann könnten Sie diese Woche doch meiner Verlobten Jenna und mir ein wenig die Gegend zeigen. Sie haben sie ja vielleicht drüben im Restaurant schon gesehen.“ Er grinste einfältig, doch mit einer gewissen Bauernschläue.

Merrilee ergriff das Wort, ehe Clint antworten konnte.

„Clint ist für diese Woche schon gebucht. Und du willst sicher nicht allzu lange bleiben.“

Clint hatte den Eindruck, dass Merrilee und ihr Ex ein Katz-und-Maus-Spiel betrieben, es war nur nicht klar, wer die Katze war und wer die Maus.

„Wir sind flexibel“, erklärte Tad und zeigte wieder seine perlweißen Zähne. „Vielleicht können Sie uns einen anderen Guide empfehlen, oder wir warten, bis Sie frei sind …“

Merrilee rang sich ein Lächeln ab. „Das wird nicht funktionieren.“

„Wer weiß, vielleicht gefällt es uns so gut in Good Riddance, dass wir gar nicht mehr weg wollen.“

Clint warf einen Seitenblick auf Tessa, die das Geplänkel mit großen Augen verfolgte. In den letzten drei Stunden war es ziemlich aufregend geworden in Good Riddance.

Tessa wälzte sich von einer Seite auf die andere und schaute zum wiederholten Mal auf die Nachttischuhr. Nach Mitternacht. Sie war müde und hätte längst schlafen müssen.

All die Leute, die sie heute kennengelernt hatte, schwirrten ihr im Kopf herum, und sie konnte einfach nicht aufhören, über sie nachzudenken. Sie war es gewohnt, auf ihren vielen Reisen jede Menge neuer Menschen zu treffen, doch nie zuvor hatten sie neue Bekanntschaften so beschäftigt wie die Einwohner von Good Riddance.

Und an vorderster Stelle stand Clint Sisnuket, der zufällig im Zimmer neben ihr übernachtete. Zumindest gab es heute Nacht eine Wand zwischen ihnen. Morgen würden sie sich eine Hütte mit einem einzigen Raum teilen. Der bloße Gedanke daran ließ ihr Herz schneller schlagen.

Auf den Schock ihres ersten Zusammentreffens war sie in keiner Weise vorbereitet gewesen. Diese dunklen Augen, die hohen Wangenknochen, der schöne Farbton seiner Haut, dieses glänzende dunkle Haar und der warme Tonfall seiner Stimme betörten ihre Sinne.

Andererseits wurde sie nicht schlau aus ihm. Ganz zu Anfang war er ihr gegenüber fast feindselig gewesen, aber während des Abendessens hatte sie ein- oder zweimal das Gefühl gehabt, dass er sich ebenso zu ihr hingezogen fühlte wie sie sich zu ihm. Doch im Grunde war das alles unwichtig. Denn sie war hier, um ihren Job zu machen, und anschließend würde sie weiterziehen.

Da sie immer nervöser wurde, weil sie nicht einschlafen konnte, schob sie schließlich die Decke zur Seite und stand auf. Im Zimmer war es kalt, aber die Kälte empfand sie als angenehm. Sie hatte dicke Wollsocken im Bett angehabt, daher waren ihre Füße warm. Um mit möglichst leichtem Gepäck zu reisen, hatte sie gar keinen Pyjama eingepackt, sondern schlief in Thermo-Unterwäsche. Sie schlang die Arme um die Taille und ging zum Fenster.

Draußen heulte der Wind, und der Schnee wirbelte durcheinander wie Konfetti, das aus einer Maschine geblasen wurde. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis ihr klar wurde, dass die einzige Straße durch das Stadtzentrum nicht von Laternen erleuchtet war, doch ihr gefiel das Szenario mit dem dicht fallenden Schnee. Ein eigenartiges Gefühl erfüllte sie, das sie nicht näher benennen konnte.

Ohne lange nachzudenken, holte sie eine ihrer Kameras und begann, durch das Fenster zu filmen. Wahrscheinlich würde diese Sequenz es nie in eines ihrer Videos schaffen, aber sie wollte eine Erinnerung an diese Nacht.

Zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Aufnahmen schaltete sie die Kamera aus. Ihr Atem beschlug die Fensterscheibe, als sie sich weiter nach vorn lehnte. Am liebsten hätte sie wie früher als Kind ihre Initialen hineingemalt. Irgendetwas an diesem Zimmer und diesem Ort rief Kindheitserinnerungen in ihr wach, Erinnerungen an eine Zeit, als ihre Eltern noch lebten.

Tessa legte die Kamera weg, ging zur Tür und öffnete sie leise. Merrilee hatte ihr eigenes Zimmer dem Piloten gegeben, der Merrilees Exmann und dessen Verlobte hergebracht hatte. Tessa war sich ziemlich sicher, dass Merrilee froh darüber war, eine Ausrede dafür zu haben, nicht unter einem Dach mit Tad Weatherspoon zu schlafen.

Tessa konnte ihr das auch nicht verdenken. Tad mit seiner großen Klappe, den gefärbten Haaren und der künstlichen Bräune war unbestreitbar ein unangenehmer Zeitgenosse. Er und Jenna schliefen in dem Zimmer am anderen Ende des Flurs.

Vorsichtig schloss Tessa die Zimmertür hinter sich. Auf Zehenspitzen ging sie den von einem schummrigen Nachtlicht beleuchteten Flur entlang zum Gemeinschaftsbad und zuckte zusammen, als eine der Dielen unter ihren Füßen laut knarrte.

Anschließend lächelte sie ihrem Spiegelbild im Bad zu, während sie sich die Hände in dem altmodischen Waschbecken wusch.

Als sie auf dem Rückweg zu ihrem Zimmer war, ging plötzlich Clints Tür auf, und er trat auf den Flur.

Nach dem Aufstehen hatte er sich nur eine Jeans und ein Flanellhemd übergezogen. Der Reißverschluss seiner Hose war zwar zu, aber das Hemd stand offen und entblößte seinen muskulösen Oberkörper.

Sie zwang sich, ihn in dem Dämmerlicht nicht allzu sehr anzustarren, doch ihr Herz klopfte wie verrückt. Sie hatte die ganze Zeit schon vermutet, dass er ziemlich sexy war … jetzt wusste sie es.

„Pardon“, murmelte sie, weil ihr nichts anderes einfiel. Doch irgendetwas musste sie sagen, sie konnte ihn nicht einfach nur ausgehungert anstarren wie eine Katze eine Sardinenbüchse. Herrgott nochmal, man könnte ja denken, sie hätte noch nie einen Mann mit offenem Hemd gesehen. Das hatte sie natürlich. Tatsache war einfach nur, dass keiner von all diesen Männern so gut ausgesehen hatte wie Clint.

„Schlafprobleme?“, fragte er leise. In dem nur vom Nachtlicht beleuchteten Flur wirkten seine Züge noch markanter und seine Augen noch dunkler.

„Ein bisschen.“

„Merrilee hat unten einen Schlaftee. Wenn Sie einen Moment warten, dann gehe ich mit Ihnen hinunter und besorge Ihnen eine Tasse.“

„Okay. Ich warte an der Treppe.“

Er nickte. „Bis gleich.“

Tessa setzte sich auf die oberste Treppenstufe und lauschte auf die leisen Geräusche des Hauses unter dem Gewicht des Schnees und dem unerbittlichen Wind. Die Toilettenspülung rauschte und der Wasserhahn lief. Tessa erhob sich, als die Badezimmertür aufging. Während er auf sie zukam, wendete sie den Blick ab.

„Ich gehe voraus“, flüsterte er und ging an ihr vorbei.

Unten angekommen zündete er eine Lampe an und setzte Wasser auf. Inzwischen hatte er sein Hemd zugeknöpft, doch Tessa wusste ja, wie er darunter aussah, und bekam das Bild nicht mehr aus ihrem Kopf. Sie versuchte krampfhaft, ihn nicht anzustarren, und betrachtete stattdessen die gerahmten Bilder an der Wand. Dabei schlang sie die Arme um sich und rieb sie abwesend, um sich warmzuhalten.

„Setzen Sie sich doch in den Schaukelstuhl am Ofen, wenn Ihnen kalt ist“, riet er ihr. „Merrilee lässt das Feuer nie ganz ausgehen, damit der Raum nicht völlig auskühlt.“

Sie riss sich von den Fotos los und setzte sich in einen gepolsterten Schaukelstuhl nahe dem Ofen. Erst jetzt bemerkte sie, dass Kobuk zusammengerollt hinter dem anderen Schaukelstuhl lag. „Die Wärme tut richtig gut.“

Tessa war Clint nicht absichtlich auf dem Flur begegnet, und sie bedauerte jetzt, dass sie keinen BH trug. Die Kombination aus Kälte und dem Anblick eines Mannes mit freiem Oberkörper hatte ihre Brustspitzen hart werden lassen. Sie nahm sich fest vor, in den kommenden Nächten den BH anzubehalten. Sie zog die Beine an, umschlang ihre Knie mit den Armen und war froh über die dicken Socken an ihren Füßen. Clint war barfuß. „Ist Ihnen nicht kalt?“

Er hatte je einen Teebeutel in zwei Becher gehängt und warf ihr einen belustigten Blick zu. „Nein. In der Hütte, in der wir morgen Abend sind, ist es viel kälter. Und vergessen Sie nicht, dass in meinen Adern dickes Eingeborenenblut fließt.“

„Dann sind Sie also immun gegen die Kälte?“

„Sicher nicht immun, aber ich bin Kälte gewöhnt. Ein kleiner Unterschied zu Tucson, oder?“

Es lag eine gewisse Intimität darin, wie sie mitten in der Nacht hier allein saßen, Tee kochten und über das Wetter redeten.

„Ein wenig“, gab sie lächelnd zu. „Schnee ist eine seltene Ware bei uns.“

...

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