Bianca Extra Band 124

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DER BERGRETTER, DIE LIEBE UND ICH von MELISSA SENATE
Axel Dawson ist ihr Held! Vor drei Monaten hat der attraktive Bergretter Sadies kleinen Sohn gefunden, der sich bei einem Ausflug verirrt hatte. Aber Sadie darf sich nicht in Axel verlieben. Sie weiß: Er ist überzeugter Junggeselle, während sie von Ehe und Familie träumt …

DIESE STRAßE FÜHRT INS GLÜCK von JO MCNALLY
Kann die Liebe Bauplanerin Brittany von ihren ehrgeizigen Plänen für das verträumte Gallant Lake abbringen? Immerhin hat der gut aussehende Ladenbesitzer Nate Thomas alles, was Brittany sich von einem Mann wünscht – außer dass er der größte Gegner ihres Projekts ist!

ZWEITE CHANCE IN SUNSHINE BEACH von SYNITHIA WILLIAMS
Wie soll sie bloß ein Spukhaus verkaufen? Nach der Scheidung von ihrem betrügerischen Mann braucht die schöne Immobilienmaklerin Cierra dringend Geld! Geisterjäger Wesley Livingston könnte helfen – sofern er ihr verzeiht, dass Cierra ihm auf der Highschool das Herz gebrochen hat …

DIE RANCH DER SÜßEN HOFFNUNG von JUDY DUARTE
Alana Perez wird Mutter! Es ist das süße Geschenk einer Liebesnacht mit einem Fremden. Zu gern würde sie es ihm sagen, aber sie weiß nur seinen Vornamen. Bis er eines Tages zu ihrer Ranch kommt – ohne eine Erinnerung an Alana und ihre gemeinsamen sinnlichen Stunden …


  • Erscheinungstag 27.06.2023
  • Bandnummer 124
  • ISBN / Artikelnummer 0802230124
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Melissa Senate, Jo McNally, Synithia Williams, Judy Duarte

BIANCA EXTRA BAND 124

1. KAPITEL

Mit ihrem siebenundzwanzig Monate alten Sohn auf einer Hüfte – und zusammen mit achtunddreißig ihrer Angehörigen – ging die alleinerziehende Mutter Sadie Winston durch den Streichelzoo der Dawson Family Guest Ranch. Klein Danny starrte mit großen Augen auf die Ziegen, die auf einem Baumstamm umhersprangen. Eine schwarze mit borstigem Fell schnüffelte neugierig an Dannys Schuh, und er lachte begeistert.

Der gesamte Clan war erst vor ein paar Minuten zu seinem alljährlichen Familientreffen angekommen, und die Scheune war die erste Station ihres Rundgangs. Während Danny aufgeregt auf die Ziegen zeigte, hielt Sadie – hoffentlich nicht zu auffällig – nach einem hochgewachsenen, schwarzhaarigen und blauäugigen Mann namens Axel Dawson Ausschau. Ihm und seinen Geschwistern gehörte die Ferienranch, und sie wusste, dass er jetzt hier lebte. Er war nicht zu übersehen, aber sie entdeckte ihn nirgends.

Danny zeigte aufgeregt auf eine weiße Ziege, die an einer Handvoll Heu kaute, und Sadie setzte ihn ab. Lächelnd beobachtete sie, wie die Ziege herüberkam und mit der Schnauze gegen seine Hand stupste.

Sadie kniete sich hinter ihn, legte die Arme um ihn, schob die Nase in sein nach Babyshampoo duftendes blondes Haar und schloss dankbar die Augen. Fast hätte sie ihn verloren. Über zwei Stunden lang war er weg gewesen, und dass sie ihn wiederbekommen hatte, war der Grund, warum ihre Mutter und ihre Tante die Familie in diesem Jahr auf der Dawson-Ranch versammelt hatten. Als sehr kostspieliges, aber unbezahlbares Dankeschön.

Vor drei Monaten, an einem schönen Nachmittag im Mai, war Danny bei einem Familienausflug zu einem kleinen Berg im Badger Tree Nationalpark verschwunden. Sadie war in ein Gespräch mit ihrer schwangeren Cousine Daphne vertieft gewesen, als sie gehört hatte, wie ihre Mutter „Wo ist Danny?“ sagte. „Danny, wo steckst du, Süßer?“ Die vier Frauen sahen einander an, eilten in jede Richtung auseinander und suchten ihn.

Panik. Nichts. Stille. Nur der Wind in den Baumwipfeln war zu hören, als sie stehen blieben und nach ihm lauschten.

Ihre Mutter holte ihr Handy heraus und wählte den Notruf, als Sadie kopfschütteld und mit tränennassem Gesicht zurückkam. „Danny!“, hatte sie gerufen, so laut sie konnte, und versucht, sich die Angst nicht anmerken zu lassen. Stille.

Als sie Schritte hörten, drehten sich alle danach um, aber es war bloß ein junges Paar mit Wanderstöcken. Nein, sie hatten keinen kleinen Jungen mit blondem Haar und orangen Sportschuhen gesehen. Es tat ihnen leid, aber sie wollten bei der Suche helfen.

Binnen weniger Minuten trafen Suchtrupps, Park Ranger und die örtliche Polizei ein. Ein großer, dunkelhaariger Mann auf dessen orangefarbenem Shirt vor und hinten Badger Tree National Park Search and Rescue, Axel Dawson stand brachte einen gelben Labrador mit und bat um einen Gegenstand, der nach Danny roch. Sadie holte Dannys Hoodie aus dem Rucksack, und Axel hielt ihn dem Hund unter die Nase, bevor er sich die Fotos von Danny auf Sadies Smartphone ansah. Zwei Stunden später war Danny noch immer verschwunden.

Axel hatte Sadie nach besonderen Worten und Songs gefragt, die Danny mochte. Nur mit Mühe war ihr eingefallen, dass sein Lieblingswort Nana war, nicht für Großmutter, sondern Banane, und er den Song „Itsy Bitsy Spider“ liebte.

Axel legte ihr warme, kräftige Hände auf die Schultern und versprach, dass er ihren Sohn finden würde. Er klang so entschlossen und überzeugend, dass sie ihm glaubte.

Zwanzig Minuten später rief der Ranger, der bei ihr geblieben war: „Sie haben Danny gefunden! Es geht ihm gut!“ Alle Umstehenden, auch die wartenden Sanitäter, brachen in Jubel aus. Sadie fiel vor Erleichterung auf die Knie. Ihre Mutter, Tante und Cousine weinten vor Freude und schauten in alle Richtungen. Und dann tauchte zwischen den Bäumen Axel Dawson auf, mit einem blutenden Kratzer an der rechten Wange und Danny auf den Armen. Der Junge sang „Itsy Bitsy Spider“, der gelbe Labrador folgte ihnen.

Sadie eilte ihnen entgegen, schluchzte Danke, drückte ihren Sohn an sich und bedeckte ihn mit Küssen, bevor die Sanitäter sie zum Krankenwagen geleiteten. Danny hatte ein Tier gejagt, war durchs Unterholz in einen Dachsbau gekrochen und dort vor Erschöpfung eingeschlafen. Dude, Axels Suchhund, hatte ihn aufgespürt und bewacht, bis Axel den Jungen aus der Höhle holte.

Sadie erfuhr dies alles von der Polizei und den Sanitätern, die es über Funk von Alex gehört hatten. Sie wollte ihm nochmals danken, aber er schien gerade eine Strafpredigt von einem Vorgesetzten zu bekommen. Dann waren sie und ihre Familie mit Danny ins Krankenhaus gefahren, und sie hatte Axel Dawson nicht mehr gesehen. Am Tag darauf brachte sie seinen Kollegen Kuchen von ihrer Mutter und Tante und einen Hundert-Dollar-Gutschein für ein Restaurant von ihrer Cousine vorbei, aber Dawson hatte die Stadt verlassen.

Offenbar hatte er gegen einige Regeln verstoßen, um Danny zu finden, und war für zwei Wochen nach Hause geschickt worden. Sie ließ sich seine Adresse geben und fuhr ein paar Tage später zu seiner Blockhütte am Fuß des Berges, um sich persönlich bei ihm zu bedanken. Aber ein Ranger erzählte ihr, dass Alex eine Weile auf der Ferienranch seiner Familie in Bear Ridge bleiben wollte. Sadies Mom versuchte sofort, das jährliche Familientreffen dort stattfinden zu lassen, aber die Ranch war bis zum Winter ausgebucht – und die Familie brauchte alle sechs Hütten. Einige Tage später bekam Sadies Mom einen Anruf, dass eine ganze Gruppe für die letzte Augustwoche abgesagt hatte. So ergab es sich, dass achtundreißig von Sadies Angehörigen sich im ländlichen Wyoming versammelten.

„Denk dran, er ist Single“, flüsterte ihre Mutter in Sadies Ohr.

Woher wusste Viv Winston, was ihre Tochter vorhatte?

„Und wenn schon“, wisperte Sadie zurück. „Ich habe dir doch erzählt, was der Park Ranger gesagt hat.“

Drei Ranger, zwei Frauen und ein Mann, hatten Danny im Krankenhaus besucht. Als sie wieder gegangen waren, hatte Sadie gehört, wie eine Frau die andere fragte, ob „McGorgeous“ auch hier sei.

„Gib’s auf“, hatte die andere geantwortet. „Axel Dawson ist und bleibt ein Einzelgänger und scheut Beziehungen.“

Sadie hatte die Information abgespeichert. Axel war tatsächlich nett anzusehen, und er hatte ihren Sohn gerettet. Die Kombination war äußerst wirksam. Sie hatte immer wieder daran gedacht, ihn besser kennenzulernen, während ihre Familie sich auf seiner Ranch traf. Aber vielleicht sollte sie ihn einfach nur als Superhelden bewundern, denn Sadie Winston wollte nichts, absolut nichts, mit einem Mann zu tun haben, der „Beziehungen scheute“.

„Unsinn.“ Viv wedelte mit der Hand. „Jeder will Liebe.“

Auf Sadie traf das jedenfalls zu. Als Ernährungsberaterin in der Geriatrie des Converse County General Hospital in Prairie City, einer Nachbarstadt von Bear Ridge, hatte Sadie einen erfüllenden Beruf, ein kleines Haus in der Stadtmitte, viele Freunde und eine große Familie, aber sie war es endgültig leid, allein bei Hochzeiten und Familienfesten zu erscheinen. Sie wollte einen Partner fürs Leben finden, verdammt. Jemanden, der sich sorgte, wenn sie zu spät kam. Mit dem sie morgens aufwachen konnte. Jemanden, der Danny so liebte, wie sie es tat. Sie hatte Dannys Vater geheiratet, obwohl er ihr gesagt hatte, dass er kein Mann für eine Ehe war. Sie hatte geglaubt, dass er sie genug liebte, um sich zu ändern.

Aber als sie ihm erzählte, dass sie schwanger war, verschwand er mit dem Rodeo, bei dem er ritt – schneller, als sie die Antrag ausfüllen konnte, um ihren Nachnamen zu ändern. Seitdem lautete Sadies Motto Wenn jemand dir sagt, wer er ist, glaub ihm. Axel hatte hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er kein Mann zum Heiraten war.

„Zul!“

Sadies Herz klopfte. Zul war Dannys Versuch, Axel auszusprechen. Dank der Tatsache, dass ihre Familie seit drei Monaten von dem Mann als ihrem Helden sprach, hatte Danny eins seiner Stofftiere, einen gelben Löwen mit zottiger brauner Mähne, „Zul“ getauft. Sadies Großmutter Vanessa hatte dem Löwen ein kleines rotes Cape genähnt, und Danny nahm ihn überallhin mit. Jetzt hielt Sadies Tante den Löwen, damit Danny die Tiere streicheln konnte. „Wann Zul?“, hatte Danny jeden Tag gefragt.

Endlich hatte sie eine Antwort für ihn. Denn als der Junge zur Scheune rannte, sah sie einen hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann mit ozeanblauen Augen abrupt stehen bleiben.

Axel Dawson.

Ein Junge, höchstens zwei Jahre alt, mit einem Cowboyhut aus Stroh, kam in vollem Tempo auf Axel zugerannt. Wow, kleiner Mann. Gleich würde er mit Axels Knien kollidieren. Und da Axel sich fast das linke Knie lädiert hatte, als er am Vormittag Hermione, die berüchtigte Ausbrecherziege der Ranch, eingefangen hatte, war er sich nicht sicher, ob es einen solchen Zusammenstoß verkraften würde.

Der Hut flog vom Kopf des Jungen, und zwei Frauen in den Fünfzigern eilten ihm nach.

Axel blinzelte in den Sonnenschein. War das etwa der kleine Danny Winston? Und hinter ihm seine Großtante und Großmutter? Die Großmutter hieß Viv, wenn er sich recht erinnerte, aber der Name der Großtante fiel ihm nicht ein.

Axels Hals wurde trocken, und er schluckte. Der Augustnachmittag wurde plötzlich noch heißer. Lass mich Halluzinationen haben, dachte er. Nein, er betete.

„Danny, langsam!“, rief eine der Frauen.

Sein Gebet wurde nicht erhört. Der kleine Junge in dem T-Shirt mit Dinosauriern, blauen Shorts und orangefarbenen Sneakern war eindeutig Danny Winston.

Axels Schwester, auf der Ranch für Gästebetreuung zuständig, hatte ihm von dem Familientreffen erzählt. Der Clan sollte heute ankommen – oder war es schon. Hatte er nach dem Namen gefragt? Vermutlich nicht. Axels Job drehte sich um die Sicherheit der Gäste und die Touren, die er mit ihnen unternahm. Ihn interessierte mehr, wer dazu neigte, sich zu verirren.

„Zul!“ Danny schlang die Arme um Axels Bein.

„Hallo, Partner“, sagte er und nahm ihn auf die Arme.

„Hi, Zul!“

„Hey, Danny. Schön, dich wiederzusehen.“

Der Junge strahlte ihn an. Axel war erstaunt, dass er ihn nach drei Monaten noch wiedererkannte, aber vielleicht hatte er einen Tipp bekommen. Das ist der nette Mann, der dich gerettet hat.

„Unser Held!“, ertönte eine Frauenstimme.

Axel schaute Dannys Großmutter entgegen. Ihre Schwester, Dannys Großtante, folgte ihr, in den Händen einen Stofflöwen in einem roten Cape.

„Wir haben gehofft, dass Sie hier sind!“, sagte die Großmutter und streckte die Hand aus. Axel nahm Danny auf den anderen Arm, um sie zu schütteln. „Ich bin Viv, Sadies Mutter. Wir haben unser Familientreffen hierher verlegt, Ihnen zu Ehren, als Dank dafür, dass Sie unseren Danny gefunden haben.“

Die Großtante gab ihm ebenfalls die Hand. „Ich bin Tabby Winston, Vivs Schwester.“

Als er sie anlächelte, sah er, wie Viv die Stirn runzelte. Er spürte die Anspannung zwischen den beiden Frauen. Was war los?

„Ich lebe jetzt hier“, erklärte er. „Vorher habe ich in einem Blockhaus am Fuß von Badger Mountain gewohnt, aber vor ein paar Monaten bin ich hierher umgezogen. Mein Bruder, der Vormann, und meine Schwester, die für die Gästebetreuung zuständig ist, wollten jemanden, der sich rund um die Uhr um die Sicherheit kümmert, und mir hat das Leben als Cowboy gefehlt, also bin ich hier.“

Das war nicht die ganze Geschichte, aber er zog die gefälligere Version vor. In den Bergen, in gefährlichen Situationen war keine Zeit dafür, sich den Kopf über Beweggründe zu zerbrechen. Das Leben auf einer Ranch war sicherer, und leider hatte Axel zu oft Gelegenheit, über viele Dinge nachzudenken. Unter anderem darüber, warum er nicht aufhören konnte, sich an Danny Winstons Mutter Sadie zu erinnern.

Er sah sich um, entdeckte sie aber nirgends.

„Zul!“, sagte Danny und streckte den Arm aus.

„Hier, mein Süßer.“ Seine Großtante gab ihm den Löwen.

„Heißen wir beide Zul?“, fragte Axel und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

„Er hat seinen Löwen zu Axel dem Superlöwen ernannt und nimmt ihn überallhin mit“, erwiderte Viv.

Danny hob den Löwen über den Kopf. „Soup Zul!“

Verlegen reichte Axel den Jungen seiner Großmutter.

Viv nahm ihn. „Das sagt er, seit wir ihm erzählt haben, dass wir auf die Ranch fahren, auf der der Held lebt, der ihn gerettet hat.“

Held. Als solcher sah Axel sich nicht. Aus vielen Gründen.

Eine wunderschöne Frau mit langem, hellbondem Haar und blassbraunen Augen, die er nie vergessen hatte, tauchte zwischen den anderen Kindern auf. Sadie Winston.

„Da bist du ja, Danny!“, sagte Sadie und atmete tief durch. „Mein kleiner Sprinter verschwindet gern und bringt seine Mutter an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.“ Ihr Blick fiel auf Axel. „Er wird Sie diese Woche auf Trab halten.“

„Schön, Sie wiederzusehen“, antwortete er. Was für eine Untertreibung. Ihr Anblick löste in ihm alle möglichen Gefühle aus, die er lieber nicht analysieren wollte. Ihr Haar leuchtete in der Sonne und hielt seinen Blick eine Sekunde lang fest. Sie trug ein weißes T-Shirt, eine olivfarbene Hose und graue Sneakers.

Aus den Augenwinkeln sah er, wie ihre Mutter mit Danny zu den Hühnern ging und ihre Großtante sich einer Gruppe bei den Alpakas anschloss.

Er und Sadie waren allein, und plötzlich musste er daran denken, wie er ihr die Hände auf die zitternden Schultern gelegt und versprochen hatte, ihren Sohn zu finden. An ihr anmutiges Gesicht und die Angst in ihren Augen.

Axel räusperte sich. „Es war nett von Ihrer Familie, das Treffen hier zu veranstalten. Unnötig, aber nett.“

„Seit drei Monaten redet meine Familie von niemand anderem als Ihnen. Glauben Sie mir, es war nötig.“ Ihr Lächeln erhellte das Gesicht. „Ich hoffe, Sie haben mit Dannys Rettung nicht Ihren Job riskiert.“

„Nein, nicht damit, sondern mit meiner ‚trotzigen Unfähigkeit, die Regeln zu befolgen‘. Hat mein Chef gesagt. Aber es war besser so. Es hat mich nach langer Abwesenheit wieder nach Hause gebracht und …“ Er brach ab, als ihm bewusst wurde, dass er nicht darüber sprechen wollte.

Er hatte einige Regeln gebrochen, bei denen es vor allem um seine eigene Sicherheit ging. Weil die Sonne bereits unterging. Zur Strafe war er für zwei Wochen beurlaubt worden und er hatte die Zeit hier verbracht. Auf der Ranch, die seine Geschwister nach dem Tod ihres Vaters geerbt hatten. Und er war geblieben. Der Job gefiel ihm. Er ritt fast täglich über das weite Land und hatte sich inzwischen sogar an die vielen Kinder gewöhnt. Ihre Sicherheit lag ihm am Herzen, und jedes Mal, wenn er ein Kind davor bewahrte, von einer Klippe zu stürzen, gewann er ein Stück von sich selbst zurück.

„Declan, nimm sofort das Huhn vom Schoß deiner Urgroßtante!“, rief eine jüngere Frau.

„Ich habe ihn gebeten, es auf meinen Schoß zu setzen“, protestierte die alte Lady und streichelte das Federvieh. „Mir fehlen die Hühner, die ich früher hatte.“ Ihr Lächeln wärmte Axels Herz.

„Das ist meine Großmutter Izzy“, sagte Sadie. „Sie ist neunundneunzig. Auf Izzy geht die Tradition der Familientreffen zurück. Sie hat sie auf ihrer kleinen Ranch veranstaltet, aber jetzt wohnt sie mit einer ihrer Töchter in der Stadt.“

„Sie sieht glücklich aus“, stellte Axel fest.

Sadies Mutter kehrte mit Danny und seinem Superheldlöwen zurück. „Axel, wir möchten Sie zu unserem Lagerfeuer am Fluss einladen. So gegen acht? Die Kinder müssen dann bald zu Bett, also wird es nicht lange dauern. Bitte sagen Sie, dass Sie kommen.“

Er warf Sadie einen Blick zu. Sie wirkte überrascht. Er freute sich darauf, sie heute Abend wiederzusehen, und das war ein Problem, über das er nicht nachdenken wollte. Sie war ihm unter die Haut gegangen, und er hatte die unerklärliche Anziehung deutlich gespürt. Er hatte es auf die dramatische Situation, auf die Angst um ihren Sohn und sein Versprechen zurückgeführt. Mehr als das durfte er daraus nicht machen.

„Zul und Zul!“, rief Danny begeistert und zeigte mit dem Löwen auf Axel.

O Mann!

„Bitte kommen Sie“, sagte Großtante Tabby. Ihre Schwester, Sadies Mutter, wandte sich demonstrativ ab. Wieder fühlte Axel die Anspannung zwischen den beiden.

Er sah Sadie an. Sie nagte an ihrer Lippe, und ihre Wangen waren leicht gerötet. „Natürlich komme ich“, antwortete er, und die Frauen strahlten.

Nur Sadie nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht, aber es ging ihn nichts an.

Er würde mit ihnen anstoßen, und dann wäre die Heldenverehrung erledigt. Er würde fünfzehn Minuten bleiben, ein paar Hände schütteln, einige Kinder anlächeln, und dann wäre er frei. So lief das immer.

„Wie lächerlich ist das denn?“, sagte Evie, Sadies drei Jahre jüngere Schwester, und warf sich auf das zweite Bett in ihrer Blockhütte. „Mom und Tante Tabby haben seit drei Monaten kein Wort miteinander gesprochen und sich nur angeschrien!“

„Sehr lächerlich“, erwiderte Sadie mit einem Blick auf Danny, der in seinem Reisekinderbett an ihrem Fußende schlief.

Auf dem Weg vom Streichelzoo zur Hütte hatte sie den Rollstuhl ihrer Urgroßmutter geschoben, während ihre Mutter und Großmutter sie ausfragten. Hatte Axel sie um ihre Handynummer gebeten? Wollte er mit ihr ausgehen? Würden sie beide am späten Nachmittag in den Sonnenuntergang reiten?

Rette mich, hatte sie gebetet.

„Er sieht wirklich toll aus“, schwärmte ihre Urgroßmutter.

„Wisst ihr, er erinnert mich an diesen attraktiven irischen Schauspieler – wie heißt er noch? Der mit schwarzem Haar und blauen Augen?“

Pierce Brosnan.

Sadie seufzte. „Ich weiß, ihr wollt mich verheiraten, aber Axel ist nicht der Richtige. Er will keine feste Beziehung. Soll ich mich in jemanden verlieben, der mir niemals einen Antrag machen wird?“

„Wie deine arme Schwester“, flüsterte ihre Mutter, nachdem sie sich mit einem Blick über die Schulter überzeugt hatte, dass Evie nicht in der Nähe war. In der Familie gab es nur ein Thema – Evies Trennung von dem Mann, auf dessen Antrag sie gewartet hatte, vor zwei Tagen an ihrem neunundzwanzigsten Geburtstag. Manchmal war Sadies Familie einfach nur anstrengend, aber manchmal auch ein echtes Geschenk des Himmels. Die Winstons hatten sich rührend um Evie gekümmert, sie getröstet und mit Eiscreme und Taschentüchern versorgt. Das Treffen war gut für Evie – eine Woche voller Streicheleinheiten und langer Spaziergänge in der Natur.

Sadie konnte nur hoffen, dass auch ihre Mutter und Tante davon profitieren würden. Die beiden sprachen nicht darüber, warum sie sich zerstritten hatten, und waren zum ersten Mal in separaten Hütten untergebracht.

„Es fühlt sich so falsch an, dass Tante Tabby nicht bei uns wohnt“, sagte Evie, während sie ihr schulterlanges Haar zu einem Pferdeschwanz band.

„Ich weiß“, erwiderte Sadie. „Ich hätte gern auf der Couch geschlafen und ihr mein Bett überlassen, aber sie hat darauf bestanden, sich eine Hütte mit ihren Cousinen und deren Familien zu teilen.“

„Ja, weil sie nicht mit ihrer Schwester in einem Zimmer schlafen will.“ Evie sprang auf, um ihren Koffer auszupacken. „Sie und Mom haben sich gestritten, nachdem Danny verschwunden war, oder? Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen, dann wüsste ich mehr.“

Die älteren Winston-Schwestern hatten sich immer so nahegestanden, und jetzt: zusammengekniffene Augen, Stirnrunzeln und sarkastische Kommentare. „Sie reden nicht darüber.“ Sadie liebte beide Frauen, aber das hier war das jährliche Familientreffen, und sie sollten es genießen, anstatt irgendeine Fehde auszutragen.

„Na ja“, begann Evie. „Wenn Mom mich das nächste Mal fragt, wie ich meine Trennung verkrafte, werde ich sie nach der Trennung von ihrer Schwester fragen. Vielleicht hört sie dann auf, mich zu löchern!“ Sie stopfte eine Hose in die Schublade.

Besorgt musterte Sadie ihre Schwester. Vor zwei Tagen hatte Evie ihrem Freund nach drei Jahren ein Ultimatum gestellt, aber anstatt ihr den erwarteten Heiratsantrag zu machen, hatte er traurig erklärt, dass er einfach noch nicht so weit war. Evie hatte die wunderschönen Ohrringe, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, auf dem Tisch im schicken Restaurant gelassen und war schluchzend hinausgeeilt. Das wusste Sadie, weil Evie sie zwei Minuten später angerufen hatte. Sie war sofort in den Wagen gestiegen und hatte Evie nach Hause gefahren, wo sie sich stundenlang in ihren Armen ausgeweint hatte.

Das war sie ihr schuldig, denn Evie hatte Sadie vor fast drei Jahren auf ähnliche Weise getröstet, als Sadies damaliger Ehemann seiner schwangeren Frau gebeichtet hatte, dass er nicht für die Vaterschaft geschaffen war und mit dem Rodeo weiterziehen wollte.

Die Scheidung hatte alle ihre Träume platzen lassen, und Dannys Vater hatte seinen Sohn bis heute nicht gesehen. Inzwischen traute sie sich wieder, zu einem Blind Date oder mit einem interessant wirkenden Mann Kaffee trinken oder essen zu gehen, aber bisher war niemand über eine Vier minus hinausgekommen.

„Marshall hat mir nicht geschrieben!“, murmelte Evie mit einem Blick auf ihr stummes Smartphone. „Zwei Tage und nichts. Vermisst er mich nicht mal? Drei Jahre und nichts?“ Sie ließ sich aufs Bett fallen.

Sadie legte sich zu ihr und nahm ihre Hand.

„Ich will ihn heiraten, Sadie. Ich will vier Kinder mit ihm haben. Ich will einen süßen Hund aus dem Tierheim in Prairie City adoptieren und meine Zukunft mit dem Mann beginnen, den ich mehr liebe als alles andere. Aber jetzt ist alles vorbei.“ Sie schluchzte. „Warum war ich nicht damit zufrieden, wie es war?“

„Du warst ehrlich, Evie“, sagte Sadie sanft. „Zu dir und zu ihm.“

Evie wischte sich die Tränen ab. „Und was habe ich jetzt davon?“

Sadie musste lachen, und plötzlich lachte auch Evie. Als sie laut seufzte, kam ein leiser Laut aus dem Reisebett. Danny war aufgewacht. „Perfektes Timing, Evie. Lass uns die Cafeteria plündern.“ Es war halb drei, und Abendessen gab es erst ab halb fünf. Aber für hungrige Neuankömmlinge standen immer Snacks und Erfrischungen bereit.

„Gute Idee“, sagte Evie und stand auf.

Sadie gestand sich ein, dass sie nichts dagegen hätte, Axel Dawson zu begegnen. Sie würde ihn heute Abend sehen, aber bis dahin waren es noch Stunden. Aber zugleich warnte sie sich davor, sich zu große Hoffnungen zu machen.

Dude, der Hund, verstand seinen Job, und Axel, der Hundeführer, verstand seinen Hund.

Dass Sadie nicht aufhören konnte, an Axel zu denken, war Heldenverehrung. Mehr nicht. Richte den Blick nach vorn.

Leicht gesagt. Es zu tun war eine andere Geschichte. Aber leckere Desserts halfen immer, genau wie Dannys liebenswerte Eigenheiten, also stand Sadie ebenfalls auf, nahm ihren Sohn aus dem Reisebett und freute sich darüber, wie seine riesigen haselnußbraunen Augen seine Tante Evie wieder aufmunterten, bevor sie die Hütte verließen.

„Die Winstons haben gefragt, ob sie heute Abend am Fluss ein Lagerfeuer machen dürfen“, hörte Axel seine Schwester sagen. „Wenn du Rauchschwaden siehst, sind es nicht die Hütten, die brennen.“

Axel drehte sich zu Daisy Dawson um. Sie stand auf seiner Veranda und beugte sich zum Fliegengitter. „Sie haben mich eingeladen“, sagte er. „Ich bin praktisch der Ehrengast.“

Daisy kam herein, goss sich einen Kaffee ein und setzte sich zu ihm an den Küchentisch. Er war schon beim zweiten Becher und ging seine Notizen über die Gäste durch. Eine Frau saß im Rollstuhl, ein Teenager hatte ein gebrochenes Handgelenk, und ein Kind fürchtete sich vor Schlangen. Davon abgesehen war die Gruppe bei guter Gesundheit und fit genug für leichte Ausflüge. Die meisten waren keine Reiter, also musste er aufpassen, sobald sie im Sattel saßen.

„Erinnerst du dich daran, wie sie mich in den Urlaub geschickt haben, nachdem ich im Mai auf Badger Mountain ein Kind gerettet hatte?“, fragte Axel.

Daisy nippte am Kaffee und nickte. „Natürlich. Das hat dich endlich nach Hause gebracht. Ich schulde der Rettung alles.“

Axel unterdrückte ein Lächeln. Seine Schwester hatte immer wieder versucht, ihn zurück auf die Ranch zu holen, auf der sie aufgewachsen waren.

„Na ja, die Familie, die sich in dieser Woche hier trifft, ist genau die Familie“, erklärte er. „Ich glaube, sie haben als eine Art von Dankeschön bei uns gebucht.“

Daisys Augen wurden groß. „Wirklich? Ich wünschte, sie hätten es mir erzählt. Dann hätte ich mir etwas Besonderes zur Begrüßung ausgedacht.“

Axel leerte seinen Becher. „Für sie bin ich noch immer ein Held. Ich gehe nur zum Lagerfeuer, weil sie auf mein Wohl anstoßen wollen.“

Daisy lächelte. „Du bist ein Held, Axel. Finde dich damit ab.“

Das konnte er nicht. Helden ließen andere nicht im Stich, und er hatte genügend Menschen enttäuscht, vor allem die Frauen, die in den letzten Jahren in sein Leben getreten und wieder gegangen waren. Und niemanden mehr als seinen Vater eine Woche vor dessen Tod.

Daisys Smartphone meldete sich. „Die Pflicht ruft.“ Sie sprang auf. „Ich treffe mich mit Sara, um das Lagerfeuer aufzubauen.“

Axel nickte. „Ich helfe euch.“ Er würde sein Staff Shirt anbehalten, um auf etwas Abstand zu den Winstons zu bleiben. Er war kein Gast, der mit ihnen plaudern konnte, er arbeitete auf der Ranch. Dude kam angetrottet, und Axel tätschelte seinen Kumpel.

„Du bleibst hier und machst ein Nickerchen, Partner. Ich bin bald zurück.“

„Versteht er dich?“, fragte Daisy.

Axel lachte. „Nein, aber er hört heraus, dass alles gut ist.“

„Vielleicht kann ich Harrison überreden, einen Hund zu adoptieren. Ich will zwei Möpse, einen schwarzen und einen beigefarbenen.“

Axel zog eine Augenbraue hoch. „Möpse? Die mit den platten Gesichtern?“

„Die sind hinreißend!“

„Ich mag große Hunde, aber ja, sie sind ziemlich süß. Meinst du, Harrison macht mit? Er scheint mir kein Hundetyp zu sein.“

Daisys Ehemann war ein Geschäftsmann, der ursprünglich vorgehabt hatte, ihnen die Ranch abzunehmen. Zehn Jahre zuvor hatte ihr Vater die Ranch nach einem verlorenen Pokerspiel Harrisons Vater überschrieben. Er war betrunken gewesen, und schließlich hatte Harrison darauf verzichtet und dafür den Hauptpreis bekommen: Daisy.

Als er mit seiner Schwester das Blockhaus verließ, musste Axel an den Brief denken, den sein Vater ihm – wie allen Geschwistern – hinterlassen hatte. Axels lag noch immer ungeöffnet in seiner Sockenschublade.

Helden hatten keine Angst vor Briefen, aber Axel graute davor, ihn zu lesen.

Daisy ging zu dem Buggy, mit dem sie hergefahren war. Es war ein umgebautes Golfmobil, wie sie alle einen hatten. Daisys war an den Seiten mit gelben Blättern bemalt. „Du nimmst besser dein eigenes“, sagte sie. „Sonst musst du auf mich warten. Ich bleibe nämlich, bis das Feuer aus ist.“

„Gute Idee. Wir sehen uns am Fluss“, erwiderte er und stieg in seinen Buggy.

Er konnte es nicht abwarten, Sadie Winston zu begegnen, und freute sich darauf, Danny in seinen leuchtenden Sneakern herumlaufen zu sehen. Vielleicht würde er es heute Abend endlich schaffen, die beiden aus dem Kopf zu bekommen.

Aber hatte das jemals funktioniert?

2. KAPITEL

Alle achtunddreißig Winstons hatten sich auf einer Anhöhe am Fluss um das Lagerfeuer versammelt. Sadie saß mit den anderen auf Wolldecken, nippte am Wein, aß Käse und beobachtete, wie Axel Dawson um das Feuer herumging. Hochgewachsen, über einsfünfundachtzig, schlank und athletisch, mit dunklem Haar und markantem Gesicht, war er im Schein der Flammen noch attraktiver als sonst. Er trug sexy Jeans und das dunkelgrüne Poloshirt der Ranch.

Sadie drehte sich um, als ihre Großmutter mit ihrer Gabel gegen ein Glas klopfte. „Willkommen“, begann die zierliche Frau. „Wir sind hier, um eine wunderbare Zeit zu haben, aber auch um einem ganz besonderen Menschen zu danken – Axel Dawson, der vor ein paar Monaten unseren Danny gesucht und gefunden hat. Axels Familie gehört diese Ranch, und jetzt arbeitet er hier. Ich möchte auf das Wohl von Mr. Dawson, dem Helden unserer Familie, trinken! Hoch die Gläser oder Becher!“

Alle jubelten und applaudierten. Danny war eingeschlafen.

Sadie schaute zu Axel hinüber und hätte schwören können, dass der Held errötete, was ihn – verdammt – noch reizvoller machte.

„Ich hatte keine Ahnung, dass er so heiß ist“, flüsterte Evie ihr zu. „Er ist zwar kein Marshall Ackerman, aber wow.“

Lächelnd drückte Sadie die Hand ihrer Schwester. Marshall Ackerman war der Mann, der sich Evies Ultimatum widersetzt hatte.

„Ich weiß“, wisperte Sadie zurück. „Aber der Mann scheut feste Beziehungen.“

„Da ist er nicht der Einzige.“ Evie runzelte die Stirn, dann hob sie ihr Glas. „Männer – wer braucht die schon?“

„Darauf trinke ich“, sagte Sadie und stieß mit ihr an.

Als die Familie sich wieder setzte und auf sein Wohl trank, sah Axel aus, als würde er am liebsten flüchten. Sadies Blick traf sich mit seinem, und er nickte ihr zu. Sie nickte zurück.

Während der nächsten zehn Minuten schüttelte Axel Hände und erzählte immer wieder, wie er Danny damals gefunden hatte, wobei er den Anteil seines gelben Labradors keineswegs unterschlug. Sadies Blick folgte Axel von Gruppe zu Gruppe.

„Entschuldigung“, sagte Daisy Dawson beim Näherkommen. „Ich suche Evie Winston.“

„Das bin ich“, meldete sich Evie.

„Sie haben Besuch. Er wartet am Tor“, sagte Daisy. „Ein Marshall Ackerman. Soll ich ihn hereinlassen?“

„Marshall ist hier?“, rief Evie und sah Sadie an. „Er ist zur Vernunft gekommen!“

Hoffentlich, dachte Sadie. Der Mann wäre wohl kaum anderthalb Stunden von Prairie City hergefahren, um Evie eine vergessene Zahnbürste zurückzubringen.

„Das Tor ist eine Viertelmeile entfernt“, fuhr Daisy fort. „Ich bringe Sie hin.“

„Danke.“ Evie lächelte so hoffnungsvoll, und Sadie hoffte inständig, dass Marshall Ackerman einen Diamantring in der Tasche hatte.

„Alles in Ordnung?“ Axel erschien neben ihr. „Ich habe meine Schwester mit einer Ihrer Angehörigen davongehen sehen.“

„Alles gut.“ Sadie richtete sich auf. „Der Exfreund meiner Schwester wartet am Tor. Sie waren drei Jahre zusammen. Evie hat ihm ein Ultimatum gestellt, aber anstatt ihr einen Heiratsantrag zu machen, hat er sorry gesagt. Das war vor zwei Tagen, an Evies Geburtstag, aber jetzt ist er hier?“

„Um den Antrag nachzuholen?“

„Das hofft sie. Meine Familie hält viel vom Heiraten.“

Er tat so, als würde er schaudern. „Ich nicht.“

„Warum? Wenn ich fragen darf.“

Erst nach einem Moment sah er sie an. „Allein bei der Vorstellung zu heiraten habe ich das Gefühl, mir bleibt die Luft weg.“

Unwillkürlich musste Sadie an ihren Exmann denken. Ich fühle mich wie in Treibsand, Sadie. Tut mir leid, aber so ist es nun mal. Ich dachte, ich könnte das hier, aber …

„Die Ehe ist für Sie wie Ersticken?“

„So weit würde ich nicht gehen. Es ist nur nichts für mich. Ich bin ein einsamer Wolf.“

Wenn jemand dir sagt, wer er ist, glaub ihm …

Sie hob das Kinn. „Na ja, mir gefällt die Idee, den Richtigen zu finden.“ Sie nippte am Wein. „Liebe, Partnerschaft, ein Leben teilen. Darum geht es.“

Er nickte. „Ich habe einen tollen Hund.“

Sie musste lachen – obwohl es nicht komisch war. Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, drehte sich um und sah wie ihre Mutter, Großmutter und Urgroßmutter zusammen mit ihrem Großvater, zwei Onkeln und drei Cousinen in ihre Richtung schauten. Ihre Mutter zwinkerte ihr zu. Ihre Großmutter hob das Glas. Ihre Urgroßmutter strahlte und klatschte leise in die Hände.

Hätte sie eine Megafon, hätte sie wiederholt, was Axel gerade über die Ehe gesagt hatte. Ein langsames Ersticken, Leute! Das hatte sie gesagt, aber er hatte es gedacht.

Ihre Großmutter schob Sadies Mutter im Rollstuhl herüber. Die beiden sahen sich unglaublich ähnlich, auch wenn Vanessa zwanzig Jahre jünger als die weißhaarige Izzy war. Sadie liebte sie beide über alles. „Izzy und ich sind beschwipst“, sagte Vanessa Winston. „Wir sehen uns beim Frühstück. Ich habe gehört, dass der Koch die besten Chocolate-Chip-Pfannkuchen in ganz Wyoming macht.“

Axel nickte. „Das stimmt. Cowboy Joes Pfannkuchen sind göttlich. Vorgestern hatte ich sechs, und die sind nicht klein.“

Vanessa und Izzy schmunzelten. Sadie sah ihnen an, wie begeistert sie über den Anblick waren – sie und Axel im Zwiegespräch, vom Lagerfeuer beschienen, zwischen ihnen Danny in seinem Kinderwagen.

„Nacht, ihr zwei“, sagte Izzy. „Bleibt nicht zu lange draußen.“

Sadie holte tief Luft. „Tun wir nicht, Great-Gram. Gute Nacht.“

„Ich kann Sie gern zur Hütte schieben“, bot Axel an.

„O nein, mein Lieber“, sagte Vanessa. „Sie bleiben hier und haben einen schönen Abend mit Sadie. Wussten Sie, dass sie mal für ihren Zimtstrudel einen Preis bekommen hat? Sie ist eine begnadete Bäckerin.“

Erdboden, bitte verschluck mich.

„Ich liebe Zimtkuchen“, erwiderte Axel mit einem verschmitzten Lächeln.

„Hast du das gehört, mein Mädchen?“ Vanessa zwinkerte ihr zu.

„Bis morgen“, sagte Izzy, als Vanessa sie auf den Weg schob.

„Gute Nacht“, rief Axel und sah ihnen nach, bis sie außer Sicht waren. Dann schmunzelte er.

„Izzy, meine Urgroßmutter, ist neunundneunzig“, sagte Sadie.

„Sie haben großes Glück. Meine Großeltern und Urgroßeltern leben alle nicht mehr. Mein Dad auch nicht. Meine Mutter lebt in Florida und hat einen kleinen Orangenhain.“

„Das klingt wunderbar. Jeden Morgen frisch gepressten Orangensaft.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Sie haben viele Geschwister, nicht wahr?“

„Ja. Wir sind sechs. Drei von uns leben und arbeiten auf der Ranch. Die anderen drei sind in ganz Wyoming verstreut und waren zur Eröffnung der Ranch hier. Und zu Daisys Hochzeit. An dem Tag hat sie den kleinen Tony bekommen, also konnten wir alle ihn auf der Welt willkommen heißen.“

„Sie haben einen kleinen Neffen?“, sagte Sadie.

Er nickte. „Ich habe noch einen Neffen und eine Nichte. Die Zwillinge meines Bruders Noah. Er führt die Ranch mit seiner Frau Sara. Und ich habe mich als ganz guter Babysitter erwiesen. Aus irgendeinem Grund lieben Chase und Annabel mich.“

Sadie lachte. „Also mögen Sie Babys, wollen aber selbst keine?“ Sie fühlte, wie sie errötete.

Er wich ihrem Blick aus. Zum Glück blieb ihm eine Antwort erspart, denn Sadie sah Daisy Dawson, Evie und Marshall Ackerman auf sie zukommen. Und Evie und Marshall hielten sich an den Händen!

Dann fiel ihr Blick auf den Diamantring, der im Flammenschein an Evies linker Hand funkelte. Sie freute sich für ihre Schwester.

Daisy eilte zu den Mitarbeitern, die das Lagerfeuer bewachten, und Evie und Marshall gesellten sich zu Sadie und Axel.

„Wie ich sehe, sind Glückwünsche angebracht“, sagte Sadie mit Freudentränen in den Augen und betrachtete den Ring. „Er ist wunderschön! Ich freue mich ja so für euch beide.“

Evie umarmte Sadie. „Ich liebe Überraschungen. Und die hier war die beste!“

Marshall lächelte seiner Verlobten zu. „Ich war ein Idiot – nein, ein kompletter Idiot“, sagte er, und auch seine braunen Augen schimmerten. „Aber nach zwei Tagen wurde mir klar, dass ich ohne die Frau meiner Träume nicht leben kann. Es tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe.“

„Ich vergebe dir.“ Evie küsste ihn. „Oh! Marshall, das ist Axel Dawson. Er hat Danny damals gerettet. Und Axel, das ist mein Verlobter Marshall Ackerman.“

Axel gab ihm die Hand. „Glückwunsch.“

Marshall lächelte. „Danke, dass Sie meinen zukünfigen Neffen gefunden haben. Ich bin ganz verrückt nach dem kleinen Burschen.“

„Wir müssen die gute Nachricht verbreiten“, sagte Evie. „Mom wird ausflippen!“

Sadie beobachtete, wie ihre Schwester und Marshall es ihrer Mutter erzählten und sie einen Freudenschrei ausstieß. Die Neuigkeit sprach sich schnell herum.

„Glückwunsch. Sie haben einen neuen Schwager“, sagte Axel zu Sadie.

„Ich bin froh, dass er eingesehen hat, worauf er fast verzichtet hätte.“

Axel sah sie ernst an. Hoffentlich glaubte er nicht, ihre Antwort wäre eine versteckte Botschaft an ihn. Was war bloß los mit ihr?

„Zeit, den Kleinen ins Bett zu bringen.“

„Ich bringe Sie hin.“

Seufz.

„Ich schiebe die Karre“, bot er an.

„Ritterlich. Ihr Dad hat Sie gut erzogen.“ Sie lächelte, aber seine Miene ließ sie schlagartig ernst werden. Sie trat zur Seite, er nahm den Kinderwagen, und sie machten sich auf den Weg.

„Mein Dad hat alles zerstört, was er anfasste“, sagte Axel. „Er war Alkoholiker.“

Sie blieb stehen. „Das tut mir leid. Es muss hart gewesen sein, so aufzuwachsen.“

Er nickte und ging weiter. „Meine Mutter hat ihn verlassen. Wir haben in der Stadt gewohnt, aber sie ist an jedem zweiten Wochenende mit uns hergefahren. So habe ich Daisy und Noah kennengelernt. Und ihre Mutter. Sie war eine gute Frau, ist aber viel zu früh gestorben. Danach waren Rex und ich nur noch selten hier, weil meine Mutter uns nicht mit Bo Dawson allein lassen wollte. Ford, unser ältester Bruder, hat auch eine andere Mutter, und als er alt genug war, hat er sich geweigert, auf die Ranch zu kommen.“

„Fällt es Ihnen schwer, hier zu sein?“, fragte sie. „Sie leben erst seit ein paar Monaten hier, richtig?“

Er nickte. „Zuerst war es schwer. Aber es gibt auch gute Erinnerungen an die Ranch. Mein Dad hatte absolut nichts, als er starb, aber er hat uns allen diese Ranch hinterlassen. Und Briefe. Jeder von uns hat einen bekommen.“

„Hat Ihrer Ihnen geholfen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn noch nicht aufgemacht.“

Ihre Augen wurden groß. „Sind Sie nicht neugierig?“

„Doch. Aber ich bringe es nicht fertig, ihn zu öffnen.“

Hmm.

„So, da sind wir“, sagte er rasch, als hätte er zu viel erzählt.

Sadie schaute auf die einladende Blockhütte mit der roten Tür. An den Fenstern blühten Blumen und auf der überdachten Veranda standen zwei weiße gepolsterte Schaukelstühle. In einem davon saß ihre Großmutter mit einem Glas Eistee und Keksen neben ihr. Izzys Rollstuhl parkte neben der kleinen Rampe. Izzy kam mit ihrem Gehstock ganz gut zurecht, nahm aber lieber den Rollstuhl für weitere Strecken.

„Wie nett von Ihnen, Sadie nach Hause zu bringen“, sagte Vanessa mit einem breiten Lächeln.

Sadie spitzte die Lippen. „Weißt du was, Gram? Evie hat sich verlobt! Marshall ist gekommen und hat ihr einen Antrag gemacht. Die beiden sind noch am Lagerfeuer.“

„Was?“ Gram flog die Stufen herunter und umarmte Sadie. „Das ist wunderbar!“

„Was ist wunderbar?“ Izzy erschien in ihrem geblümten knöchellangen Bademantel und mit dem leuchtend roten Stock auf der Veranda.

„Sie sind verlobt!“, rief Vanessa überglücklich. „Ich muss ein paar Leute anrufen – bin gleich zurück!“

Gram hatte sich nach der Trennung liebevoll um Evie gekümmert. Bestimmt wollte sie ihre besten Freundinnen anrufen – aus dem Bridgeklub, dem Strickkreis und dem Kochkurs.

Als Gram hineineilte, setzte Izzy sich in den Schaukelstuhl und nahm sich einen Keks. „Verlobt! Was für ein Freudentag!“ Ihre Augen wurden feucht, und sie klopfte sich auf die Brust. „Kommt her, ihr zwei! Lasst euch umarmen! Meine Sadie ist verlobt!“

Sadie warf Axel einen Blick zu. Izzy konnte unmöglich glauben, dass sie und Axel die Verlobten waren. „Nein, Great-Gram, es …“

„Ich sag dir was, Sadie, mein Mädchen“, unterbrach Izzy sie. „Als dein lausiger Ehemann abgehauen ist und dich allein und schwanger zurückgelassen hat, habe ich mich wochenlang in den Schlaf geweint. Alles, was ich auf der Welt wollte, war, dass du glücklich bist. Und jetzt weiß ich, dass mein Mädchen die wahre Liebe mit einem echten Helden gefunden hat. Ihr beide habt eine alte Frau so glücklich macht“, sagte sie mit Tränen in den Augen.

O nein. Nein, nein, nein. „Great-Gram, ich …“

Axel neigte sich zu Sadie. „Sie können sie morgen früh aufklären. Oder Vanessa tut es, wenn Izzy hereinkommt. Wahrscheinlich ist sie nur müde und sehr emotional.“

Sadie nickte.

„So, komm schon und nimm deine Great-Gram in die Arme.“

Sadie ging hinauf und umarmte Izzy.

„So glücklich war ich nicht mehr, seit dein Urgroßvater noch bei uns war“, flüsterte Izzy und legte die Hände um Sadies Gesicht. „Ich liebe dich so sehr, Sadie. Du verdienst es, glücklich zu sein.“ Sie wandte sich Axel zu. „Und du bist unser Familienheld. Der süße kleine Junge in der Karre bekommt endlich einen Daddy und zwar einen wunderbaren.“ Ihre haselnussbraunen Augen schimmerten. „Komm, umarme deine Great-Gram. So darfst du mich nennen. Oder Izzy. Wie du möchtest.“

Axel lächelte angespannt, beugte sich hinab und drückte seine neue Urgroßmutter an sich.

„Wenn ich heute Nacht von euch gehe, und das kann durchaus passieren, gehe ich glücklich“, sagte Izzy, eine Hand auf dem Herzen.

Sadies Augen wurden so groß, dass es fast wehtat. Sie sah Axel an. Er wirkte ebenso schockiert.

„Gute Nacht, Izzy“, brachte er heraus und rang sich ein unbeschwertes Lächeln ab.

„Hab ich dir nicht gesagt, du darfst mich Great-Gram nennen? Du gehörst jetzt zur Familie!“

Sadie biss sich auf die Lippe. Izzy war manchmal etwas verwirrt. Morgen früh, wenn sie ausgeschlafen hatte, konnten sie das Missverständnis aufklären.

„Bis morgen, Great-Gram“, krächzte Axel. Er sah erst Sadie, dann Danny an und ergriff die Flucht.

„Ich bin kaputt“, sagte Izzy und stemmte sich mit dem Stock hoch.

„Ich lege Danny hin und bin gleich wieder da.“ Sadie parkte den Kinderwagen neben Izzys Rollstuhl, eilte mit Danny hinein und hoffte, Vanessa zwischen zwei Anrufen zu erwischen. Aber Vanessa schwärmte gerade von dem Kleid, das sie sich zur Hochzeit kaufen wollte.

Sadie ging in ihr Zimmer, legte Danny in sein Reisebett und kehrte auf die Veranda zurück, um Izzy in die Hütte zu helfen. Vanessa telefonierte noch immer und senkte die Stimme, als Sadie ihre Urgroßmutter zu Bett brachte. Izzy schlief ein und begann nach Sekunden zu schnarchen.

Es war für alle ein aufregender Tag gewesen, vor allem für die Neunundneunzigjährige.

Vanessa erzählte gerade, dass sie keine Ahnung hatte, ob Evie Marshalls Nachnamen annehmen oder ihren eigenen behalten würde. Sadie wusste, dass ihre Großmutter noch mindestens eine Stunde am Hörer bleiben würde. Sie lächelte ihr zu und schlüpfte in ihr Zimmer.

Für heute Abend und bis zum Morgen war Sadie mit Axel Dawson verlobt. Und sie hatte nichts dagegen.

Am nächsten Morgen frottierte Axel sich gähnend das Haar, strich mit den Händen hindurch und zog sein Staff Shirt und Jeans an. Er hatte schlecht geschlafen und war immer wieder aufgewacht, als hätte er etwas Wichtiges vergessen. Und dann fiel es ihm ein: Er war scheinverlobt. Mit Sadie Winston. Selbst eine vorgetäuschte Verlobung hatte ihn so sehr aufgewühlt, dass er nicht schlafen konnte. All das Gerede von einem Helden als Ehemann und wunderbarer Vater für Danny.

Na ja, inzwischen dürfte sich alles aufgeklärt haben. Izzys Tochter oder Enkelin oder Urenkelin hatten ihr vermutlich irgendwann am Abend die Wahrheit erzählt. Marshall Ackerman war der einzige Bräutigam in spe auf der Ranch.

Es war erst sechs Uhr früh, und die Sonne ging gerade erst auf, aber es gab heute viel vorzubereiten – Wanderungen, Ausritte, Schwimmen im Fluss und ein paar Aufgaben, bei denen er seiner Schwägerin Sara helfen wollte. Axel zog die Schublade auf, um Socken herauszuholen, und da war er. Der Brief.

Er sollte ihn irgendwo anders deponieren, damit er ihn nicht so oft sah. Was mochte sein Vater ihm geschrieben haben? Noah, Daisy und Ford hatten erzählt, was in ihren stand. In Daisys Umschlag waren außerdem die Eheringe ihrer Mutter gewesen. Bo war ein spielsüchtiger Alkoholiker mit Geldproblemen gewesen, aber er hatte sie nicht verkauft, sondern als Druckmittel eingesetzt, damit Daisy nicht komplett mit ihn brach.

Wie Axel es getan hatte. Und dann war sein Vater eine Woche später gestorben.

Zeke und Rex hatten den Inhalt ihrer Briefe für sich behalten. Rex war immer verschwiegen gewesen. Axel war sich ziemlich sicher, dass er insgeheim für die Regierung arbeitete – oder den ganzen Tag auf einem Boot verbrachte, um Hummer zu fangen. Der Mann verriet so gut wie nichts über sich. Zeke war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der viel dafür getan hatte, dass Noah die Ranch wieder auf die Beine stellen konnte. Aber jedes Mal, wenn die sechs Geschwister sich trafen und Daisy die Briefe ansprach, wechselte Zeke das Thema oder musste plötzlich ein wichtiges Telefonat führen. 

Axel nahm den Brief und hielt ihn gegen das Licht, wie er es schon tausendmal getan hatte. Die Schrift war zu erkennen, aber keine Worte. Er legte ihn zurück. Er wollte wissen, das darin stand – und wollte es nicht. Die Geschichte seines Lebens.

Gestern auf dem Rückweg vom Lagerfeuer war er sehr gesprächig gewesen. Warum hatte er so viel über seinen Vater erzählt? Vielleicht lag es an Sadie. Man konnte sich gut mit ihr unterhalten, und nachdem er damals Danny gefunden hatte, gab es zwischen ihnen eine Verbindung. Mehr nicht. Also hatte er sich geöffnet. Das tat er selten, also musste es etwas bedeuten. Er wusste nur nicht, was.

Er schnappte sich die Socken, schloss die Schublade und ging mit Dude nach unten. Er brauchte dringend Kaffee. Er hatte den Hund gerade in den Garten gelassen und den Becher an den Mund gehoben, da hörte er die melodische Stimme seiner Schwester auf der Veranda.

„Wie ich höre, sind Glückwünsche angebracht und ich muss mich ja so sehr über meine neue Schwägerin freuen“, sagte Daisy.

Axel schaute durchs Küchenfenster. Daisy lachte ihm fröhlich entgegen.

Was hatte sie gesagt? Glückwünsche? Schwägerin? Was?

„Ich kenne dich, Axel, und du kannst unmöglich verlobt sein. Was zum Teufel ist los?“

Hieß das, die Scheinverlobung hatte sich bereits herumgesprochen? Wie konnte das sein?

„Eine Great-Gram, das ist los“, antwortete er seufzend. Hatte man Izzy nicht erklärt, dass die Verlobten auf keinen Fall Sadie und er waren? Spätestens am Morgen?

Daisy stürmte in seine Küche, goss sich einen Kaffee ein und nahm sich eine Scheibe Bananenbrot. „Okay, heraus damit.“

Er erklärte es ihr.

„Junge, Junge“, sagte sie. „Na ja, heute Morgen haben mir mindestens zehn Winstons dazu gratuliert, dass ich jetzt zur Familie gehöre. Und es war noch nicht mal sechs Uhr. Dank Yoga zum Sonnenaufgang waren schon viele Gäste unterwegs.“

Entsetzt starrte er sie an. „Ich begreife es nicht. Sadie wollte ihrer Großmutter sagen, dass Izzy sie falsch verstanden hat. Und dann wollte sie es gemeinsam ihrer Urgroßmutter klarmachen.“

„Sieht nicht so aus, als hätte jemand die Geschichte erklärt. Also bist du verlobt.“ Daisy schmunzelte. „Ein kleines Mädchen, höchstens sechs Jahre alt, kam zu mir und sagte, sie hätte gehört, dass mein Bruder ihre große Cousine Sadie heiratet und wir jetzt alle eine große Familie sind.“

Axel schluckte.

Daisy lachte. „Ich freue mich für dich, Axel. Wenn es stimmen würde, wäre ein Traum wahr geworden.“

Er stöhnte auf. „Es stimmt nicht. Wir klären das auf.“

„Die Braut ist schon da.“ Daisy zeigte mit dem Kinn zum Fenster.

Axel sah hinaus. Ein Mitarbeiter näherte sich mit einem Golfwagen dem Blockhaus. Neben dem Mann saß Sadie.

„Ich verschwinde“, sagte Daisy. „Wenn ich den Winstons begegne, nicke und lächle ich nur, bevor ich mich zurückziehe. Solange ich von dir nichts anderes höre.“

Er stöhnte auf. „Was für ein Chaos.“

„Aber ein interessantes Chaos“, sagte Daisy lächelnd und ging hinaus.

Axel ließ Dude herein und beobachtete von der Veranda aus, wie Sadie aus dem Buggy sprang. Sie winkte ihm zu, und er winkte zurück. Sie wirkte irgendwie … gestresst. Ihr langes blondes Haar schimmerte in der Sonne, und sie trug ein gelbes Top, weiße Shorts und Sneaker.

„Wie ich höre, sind wir noch verlobt“, begrüßte er sie. „Kleine Winstons haben meiner Schwester gratuliert.“

Sie schloss die Augen, schlug die Hände vors Gesicht, dann schüttelte sie den Kopf und sah ihn. „Ich habe echt Mist gebaut, was?“

„Kommen Sie … komm herein. Ich habe Kaffee und Bagels oder ich mache Rührei, wenn du möchtest.“

Ihre Miene erhellte sich – wahrscheinlich weil er nicht wütend war und sie anschrie. Hatte sie etwa damit gerechnet? Er verstand selbst nicht, warum er so gelassen war.

„Ein Bagel wäre toll“, erwiderte sie. „Und etwa zehn Tassen Kaffee.“

Er lächelte. „Folgen Sie mir. Dude ist auch hungrig.“

Im Blockhaus tätschelte sie den gelben Labrador und schaute sich um. „So habe ich es mir hier nicht vorgestellt.“

„Wie denn? Rustikaler?“

„Ja. Es gefällt mir. Es ist behaglich.“

„Es sollte meine Zuflucht werden. Ich wollte mich hier wohlfühlen“, sagte er nicht ohne Stolz auf das Zuhause, das er sich geschaffen hatte.

„Das kann ich gut verstehen. Nach allem, was du mir gestern Abend über deinen Dad erzählt hast.“

Innerlich seufzend, gefolgt von Sadie und Dude, ging er in die Küche. Dort fütterte er den Hund, goss ihr einen Kaffee ein und winkte sie auf einen Stuhl am Tisch. „Sahne und Zucker sind dort. Bagels gibt es schlicht, mit Sesam oder Zimt und Rosinen.“

„Sesam mit Käse wäre super.“

Er schnitt zwei Bagels auf und schob die Hälften in den Toaster. „Ich würde lieber über alles andere als darüber reden, dass deine ganze Familie uns für verlobt hält.“

„Ich auch.“

Er setzte sich zu ihr und trank seinen Becher aus. „Okay, jetzt bin ich gestärkt. Schieß los.“

Sie atmete tief durch. „Gestern Abend habe ich Izzy zu Bett gebracht, und sie ist sofort eingeschlafen. Ich hatte vor, Vanessa zu erzählen, was passiert war. Dass Izzy sie falsch verstanden hat, als sie ‚Sie sind verlobt‘ gesagt hat. Aber Vanessa hat die ganze Zeit telefoniert. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn als ich im Morgengrauen aufgewacht bin, waren alle wach und redeten von einer Doppelhochzeit – meine Schwester, Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Meine Schwester hopste vor Aufregung, meine Mutter weinte vor Rührung, und meine Großmutter telefonierte und erzählte allen, dass ihre beiden Enkeltöchter sich gerade verlobt hatten. Ich stand total unter Schock. Dann fing Danny an zu weinen, und als ich zurückkam, waren sie schon dabei, Caterer und Brautboutiquen auszusuchen.“

Axel lächelte. „Jetzt, da ich ihnen allen begegnet bin, kann ich mir das gut vorstellen.“

„Ja, meine Familie kann überwältigend sein.“ Sie trank einen großen Schluck Kaffee. „Und als ich ihnen erzählen wollte, dass alles nur ein großes Missverständnis ist, kam meine Tante Tabby hereingeschneit und hat erst mich, dann meine Schwester umarmt. Dann haben sie und meine Mutter sich versöhnt, und ich war so verdutzt, dass ich kein Wort herausbekommen habe. Die zwei haben sich fröhlich unterhalten, Axel. Nicht über sich oder ihren Streit, sondern über die Hochzeit.“

Er nickte, nahm die Bagels aus dem Toster und bestrich sie mit Käse. Er legte Weintrauben dazu und stellte die Teller auf den Tisch.

„Danke“, sagte sie, biss in einen Bagel und lehnte sich zurück. Er war versucht, wieder aufzuspringen und ihr die Schultern zu massieren. Das Bedürfnis, sie zu berühren, war beunruhigend stark. „Nach und nach kamen alle anderen vorbei, um mir und Evie zu gratulieren. Heute Nachmittag soll ich mir Hochzeitskleider ansehen.“ Sie stützte den Kopf auf die Hände.

„Haben sie nicht gefragt, wo der Diamantring ist?“, fragte er mit einem Blick auf ihre linke Hand.

„Doch, aber ich habe geantwortet, dass ich dieses Mal keinen Verlobungsring will, weil es auf die Heirat und den Ehering ankommt.“

Er nickte. „Und was hast du gesagt, wohin du heute Morgen wolltest?“

„Zu meinem Verlobten. Bevor er arbeiten muss.“ Sie errötete.

Er lächelte, aber dann hallte das Wort Verlobter in seinem Kopf wider, und er schnappte nach Luft. „Sie passen auf Danny auf?“

„Ja. Das alles tut mir so leid, Axel. Ich schreibe meiner Schwester und erkläre ihr, was passiert ist, dann kann sie die anderen aufklären. Es ist mir unglaublich peinlich, aber wenn ich zurückkomme, haben sie es vermutlich schon vergessen. Es bleibt ja immer noch eine richtige Verlobung.“

Er wollte nicken, aber dann sah er, wie betrübt und angespannt sie war. Er hörte wieder, was Izzy gestern Abend gesagt hatte. Als dein lausiger Ehemann abgehauen ist und dich allein und schwanger zurückgelassen hat …

Er hatte gewusst, dass Sadie eine alleinerziehende Mutter war. Er hatte es oben auf Badger Mountain gehört, als das Team sie und ihre Familie gefragt hatte, ob es einen Ex gab, der Danny entführt haben konnte. Sie hatte erzählt, dass ihr Exmann sich kein bisschen für sein Kind interessierte. Dass er sie verlassen hatte, als sie in der siebten Woche schwanger gewesen war, und sie seitdem nichts von ihm gehört hatte. Sie hatte die Scheidungspapiere an seine Eltern geschickt, und die hatten sie unterschrieben zurückgesandt. Offenbar hatte ihr Ex behauptet, Danny sei nicht von ihm, und sie hatten ihm geglaubt. Selbst mit einer großen Familie musste es für sie hart gewesen sein.

„Ich schreibe Evie sofort.“ Sie holte ihr Handy heraus. „Sie hat angekündigt, dass sie und Marshall hier auf der Ranch heiraten wollen, in der Lodge am letzten Abend. Außerdem hat sie gesagt, dass jede von uns ihren eigenen großen Tag haben soll und eine Doppelhochzeit nicht infrage kommt.“ Ihre Augen wurden feucht, und verlegen wich sie seinem Blick aus.

Plötzlich ging ihm auf, dass sie verlobt sein wollte, selbst wenn es nur vorgetäuscht war. Sie wollte nicht mehr bemitleidet und umsorgt werden. Sie war es leid, die „arme verlassene Sadie“ zu sein.

Axel legte eine Hand auf ihre, um sie daran zu hindern, ihrer Schwester eine Nachricht zu schreiben. „Ich habe eine Idee.“

Sie hob den Kopf und sah ihn mit großen hellbraunen Augen an.

„Ich verstehe total, was passiert ist, Sadie. In meiner Familie gibt es auch Situationen, in denen man sprachlos ist, obwohl alle über einen reden.“

Ihr war anzusehen, wie erleichtert sie über sein Verständnis war.

„Aber jetzt sind wir verlobt“, fuhr er fort. „Was sollen wir tun? Wir müssen ihnen die Wahrheit erzählen. Ich meine, sie dürfen nicht glauben, dass ich heirate, obwohl ich das nicht vorhabe.“ Er biss in seinen Bagel. „Hier kommt meine Idee … Deine Schwester heiratet am letzten Abend eures Familientreffens. Vorläufig sind alle damit beschäftigt, und wenn ihr wieder zu Hause seid, kannst du ihnen erklären, dass es zwischen uns aus ist. Dass du aber nichts gesagt hast, weil du Evies besonderen Tag nicht verderben wolltest.“

Mit leicht offenem Mund sah sie ihn an. „Das ist dein Ernst?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ja, warum nicht? Eine Neunundneunzigjährige bleibt glücklich. Deine Mutter und Tante söhnen sich aus.“

„Warte. Du bist bereit, eine Woche scheinverlobt zu bleiben? Fürs Allgemeinwohl?“

Und weil etwas mir sagt, dass du es brauchst, Sadie. Er sah ihr Gesicht auf Badger Mountain vor sich, voller Angst um ihren verschwundenen Sohn. Er dachte an all die Fragen, die die Polizei ihr gestellt hatte. Ob sie eine gute Mutter war? Ob sie Danny vernachlässigt hatte? Ob er häufig weglief? Ja, er wollte ihr helfen. Warum denn nicht?

„Ich bin sprachlos, Axel Dawson. Nein, eigentlich nicht. Du bist wirklich ein Held.“

Er lächelte. „Warte ab, bis du deinen Verlobten besser kennst. Er ist keiner.“

Sie neigte den Kopf zur Seite, ihre Miene veränderte sich, und er hätte sich treten können. Warum hielt er nicht den Mund? Warum sprach er aus, was er dachte? Warum war er nicht so verschlossen, wie die meisten Frauen es ihm vorgeworfen hatten?

„Du hast mir zum zweiten Mal das Leben gerettet“, sagte Sadie. „Und mir Frühstück gemacht.“ Sie lächelte.

Wieder spürte er das Bedürfnis, sie zu berühren, ihre Schultern, den blonden Pferdeschwanz. Aber das durfte er nicht. Nicht solange sie scheinverlobt waren.

3. KAPITEL

Es war verrückt. Sadie hatte das Frühstück (mit Cowboy Joes wirklich spektakulären Pfannkuchen) und einen Familienspaziergang am Fluss überstanden, aber jetzt sollte sie mit ihrer Schwester, ihrer Mutter und Tante zu Your Special Day, einer Brautmodenboutique in Prairie City, aufbrechen. Gram würde auf Danny aufpassen.

Sadie saß mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf ihrem Bett. Ihre Schwester stand vor dem Spiegel und band sich einen Pferdeschwanz. Sadie starrte Evie an, ihre beste Freundin, mit der sie immer über alles hatte sprechen können. Und jetzt log sie sie an? Nein – das brachte sie nicht fertig. Sie musste es beichten. Je früher, desto besser.

„Ich wollte es dir nicht erzählen“, begann Evie und drehte sich zu Sadie um. „Weil es zu sehr nach ‚arme Sadie‘ klingt. Aber ich hätte es immer schrecklich gefunden, mich zu verloben, wenn du … noch Single bist.“

Sadie errötete und hüstelte. O Gott. Wie peinlich.

Evie setzte sich zu ihr. „Ich liebe dich über alles, Sadie. Du bist seit dem Tag meiner Geburt meine beste Freundin. Ich habe keine Ahnung, was ich ohne dich tun würde. Du warst mein Fels in der Brandung. Aber als dieser Idiot dich verlassen hat … seitdem bist du meine Heldin. Du bist so stark, so unabhängig und so eine tolle Mutter. Ich wollte meine Liebe nicht zelebrieren, solange du mit einem Baby allein bist.“

Tränen rannen über Sadies Gesicht.

Auch Evies Augen wurden feucht. „Als Marshall mir nach drei Jahren keinen Antrag gemacht hat, war es wie ein Schlag ins Gesicht. Ich dachte, meine Schwester hat das alles nicht durchgemacht, damit Marshall Jay Ackerman so feige sein kann. Und jetzt bin ich verlobt und du auch! Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Dass du glücklich bist, dass du den Richtigen – noch dazu einen so großartigen Mann – gefunden hast und dass wir das hier zusammen tun – den ganzen Brautkram.“

Sadie umarmte ihre Schwester. Sag ihr einfach die Wahrheit! Aber dann verdirbst du ihr die Shoppingtour.

Was für ein Hin und Her. Wenn sie jetzt nicht damit herausrückte, gab es keine Umkehr mehr und sie würde bei Axels Plan mitmachen müssen.

„Bereit, Mädchen?“, rief ihre Mutter aus dem Wohnzimmer.

Evie strahlte. Sadie atmete tief durch. „Ja, wir sind bereit.“

Na ja.

Als Tante Tabby ihren SUV im Zentrum von Prairie City parkte, wünschte Sadie, sie wäre auf der Ferienranch in Bear Ridge. Sie hatte ihr ganzes Leben in Prairie City verbracht. Und auf einer Bank im kleinen Stadtpark hatte sie Kyle Harlow, ihrem damaligen Ehemann, erzählt, dass sie Eltern wurden.

Der Mann, mit dem sie seit zwei Monaten verheiratet war, hatte sich nach der Hochzeit verändert. Er war wortkarg geworden, kam nach der Arbeit nicht nach Hause, dann kam er erst nach Mitternacht und schließlich kam er gar nicht mehr. Sie bat ihn, sich mit ihr auf der Bank am Spielplatz zu treffen, und als er erschien, hatte auch er eine Neuigkeit zu verkünden. Er habe einen Fehler gemacht, sagte er. Er sei nicht für die Ehe geschaffen, er liebe sie, aber er könne nun mal nicht aufhören, auch mit anderen Frauen zu schlafen. Tut mir leid. Ich reise mit dem Rodeo weiter. Sag dem Baby, dass es ohne mich besser dran ist.

Er hatte sie dort sitzen lassen. Sadie hatte ihre Schwester angerufen, und Evie war sofort losgefahren, um sie abzuholen. Sadie war drei Tage nicht zur Arbeit gegangen und hatte sich die Augen ausgeweint.

„Also, Sadie.“ Ihre Mutter hakte sich bei ihr ein. „Nur weil du schon beim ersten Mal ein weißes Kleid getragen und einen großen Empfang gehabt hast, heißt das nicht, dass du jetzt keine noch schönere Hochzeit haben kannst.“

Sadie schluckte. „Ich glaube, ich möchte etwas Kleineres, Privates.“

Viv Winston starrte sie entgeistert an. „Sadie Anne Winston, wage nicht, mit ihm durchzubrennen!“

„Ihr wollt durchbrennen?“, fragte Evie von hinten.

Sadie sah über die Schulter. „Hab ...

Autor

Melissa Senate
<p>Melissa Senate schreibt auch unter dem Pseudonym Meg Maxwell, und ihre Romane wurden bereits in mehr als 25 Ländern veröffentlicht. Melissa lebt mit ihrem Teenager-Sohn, ihrem süßen Schäfermischling Flash und der spitzbübischen Schmusekatze Cleo an der Küste von Maine im Norden der USA. Besuchen Sie ihre Webseite MelissaSenate.com.</p>
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<p>Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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