Bianca Extra Band 138

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ZUM ZWEITEN MAL IN DICH VERLIEBT von MELISSA SENATE

Es war ein Sommer voller Zärtlichkeit und Leidenschaft – der schmerzlich endete. Bei ihrem unerwarteten Wiedersehen findet Amanda den Rancher Holt Dalton genauso begehrenswert wie damals. Aber er darf ihr kein zweites Mal das Herz brechen!

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  • Erscheinungstag 27.07.2024
  • Bandnummer 138
  • ISBN / Artikelnummer 0802240138
  • Seitenanzahl 432

Leseprobe

Melissa Senate, Heatherly Bell, Teri Wilson, Catherine Mann

BIANCA EXTRA BAND 138

1. KAPITEL

Seit maximal drei Sekunden beobachtete Holt Dalton zwei Kätzchen, die mit einem Strohhalm spielten, als sein Sohn Robby rief: „Guck mal, Daddy!“

Eigentlich waren sie zum Tierasyl Happy Hearts Animal Sanctuary gefahren, um einen Hund zu adoptieren. Doch der Weg dorthin führte an der Katzenabteilung vorbei und Robby wollte unbedingt zusehen, wie die Samtpfoten in ihrem Spielzimmer herumtollten.

Wie die Kätzchen, so der tollkühne Siebenjährige. Er stand auf einem riesigen Strohstapel und schwang die Arme vor und zurück, als wollte er sich zum Sprung bereit machen – auf eine dünne Schicht Heu gute drei Meter tiefer.

Wie er so schnell dort hinaufgeklettert war, konnte Holt sich beim besten Willen nicht erklären. „Robby, nein! Du willst dir doch nicht die Knochen brechen!“

„Die rote Katze da drüben ist auch runtergesprungen und der ist nichts passiert.“

Die fragliche Tigerkatze putze sich gerade seelenruhig auf einem sonnenbeschienenen Fleckchen.

„Aber du bist keine Katze.“

Im Gegensatz zu den neun Leben einer Katze hat Robby bloß eines und er ist mein Ein und Alles. Holt war alleinerziehend, schon seit der Trennung von seiner Ex-Frau Sally Anne vor vier Jahren. Sie hatte bereits vor der Hochzeit klargestellt, dass sie keine Kinder wollte, war dann aber ungewollt schwanger geworden. Nun lebte sie in Colorado, mit einem Mann namens Enzo, und ihr Kontakt zu Robby beschränkte sich auf kleine Geschenksendungen zu Weihnachten und zum Geburtstag.

„Juhu!“, rief Robby – und sprang.

Holt stand mit ausgebreiteten Armen parat und bekam als Dank für seine Mühe einen Kinderfuß in den Magen gerammt.

„Danke, dass du mich aufgefangen hast, Daddy.“

„Ich habe doch gesagt, dass du nicht springen sollst. Wenn ich dich verfehlt hätte …“

„Du doch nicht!“ Robby entwand sich der Umarmung und stürmte zur Tür hinaus ins Freie.

„Warte!“, rief Holt vergeblich und lief ihm nach.

Zum Glück blieb Robby an einem nahen Weidezaun stehen. „Ich möchte dich mit nach Hause nehmen und dich Holt nennen“, sagte er zu einer schwarzen Kuh mit weißem Bauchstreifen der Rasse Beltie. „So heißt mein Dad und der ist mein Held Nummer eins. Aber es ist komisch, ein Haustier wie ihn zu nennen, oder?“

Er plapperte weiter und berichtete von seiner neuen Lehrerin, die er Ende des Monats zu Beginn der zweiten Schulklasse bekommen sollte.

Mit Tieren zu sprechen, schien ihn zu beruhigen. Momentan zeigte er keinerlei Anzeichen der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHD genannt, die seine Lehrer bei ihm vermuteten. So gesehen war es eine kluge Entscheidung, sich ein Haustier anzuschaffen.

„Ist dein Dad auch dein Held?“, fragte er die Kuh. Er blickte sich auf der Weide um. „Welcher ist überhaupt dein Dad?“

„Oh, wie süß ist das denn!“, rief eine Frauenstimme.

Holt drehte sich um. Obwohl er glaubte, dass ihn nichts mehr schockieren konnte, spürte er seine Knie weich werden. Er musste halluzinieren. Denn Amanda Jenkins konnte unmöglich mitten auf dem Gelände von Happy Hearts in Bronco, Montana stehen.

Er blinzelte mehrmals. Sie war eindeutig da. Zehn Jahre älter, aber anscheinend kein bisschen verändert. Dieselben langen dunklen Locken. Dieselben wunderschönen dunklen Augen und vollen rosaroten Lippen. Sie war zierlich und gab sich eher unauffällig. Doch er hatte nur Augen für sie gehabt, sobald sie sich bei der Arbeit im Camp KidPower, einem Sommerlager für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, zum ersten Mal begegnet waren.

Nun rang sie total verblüfft nach Atem. „Holt?“

„Schön, dich wiederzusehen, Amanda.“ Er konnte den Blick nicht von ihr lösen, während Erinnerungen an jenen lang vergangenen Sommer auf ihn einstürmten. An die gemeinsamen Unternehmungen und tiefsinnigen Gespräche. An ihre Lippen auf seinen. An ihre sanften Hände auf seinem Körper. Ein angenehmer Schauer rann ihm über den Rücken.

„Was in aller Welt machst du hier in Bronco?“ Sie blickte zu Robby, der noch immer mit der Kuh redete. „Und du hast ein Kind?“

Er nickte, nahm sich den Stetson ab, strich sich schnell mit einer Hand durch das Haar. „Ich lebe jetzt in Bronco Heights. Meine Familie hat letztes Jahr eine große Ranch gekauft. Dalton’s Grange. Ich habe dort ein Blockhaus für Robby und mich und züchte Vieh mit meinen Eltern und meinen vier Brüdern.“

„Du wohnst schon seit einem Jahr dort? Ich bin seit zwei Jahren hier. Nicht zu fassen, dass wir uns noch nicht begegnet sind!“

„Na ja, wir haben nie in denselben Kreisen verkehrt.“

Sie kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. „Dieselben Kreise? Wir waren praktisch dieselbe Person. Weißt du nicht mehr, wie wir immer gesagt haben: ‚Ich bin du und du bist ich‘?“ Sie lächelte gedankenverloren. Dann runzelte sie die Stirn und hob das Kinn. „Ich weiß nicht, warum ich das zur Sprache gebracht habe. Altes Zeugs, das nicht mehr zählt.“

Für mich schon. Er erinnerte sich deutlich. Wie sie am See im Gras gelegen, Händchen gehalten, geschmust, über alles und jedes geredet hatten. Ich bin du und du bist ich. Ja, genau so hatte es sich damals angefühlt, wenn sie zusammen gewesen waren. Nur sie beide. Als gäbe es niemanden sonst auf der Welt. Aber in Wirklichkeit? Da waren sie sich ganz und gar nicht ähnlich.

Er hatte ihr den Grund für seine Küchenarbeit in dem Camp nie anvertraut – und auch niemandem sonst. Sie hatte ihn für einen College-Studenten gehalten und einige positive Vermutungen über ihn angestellt, und in diesen neun Wochen hatte er den Mann verkörpert, für den sie ihn hielt. Aber der Sommer war vergangen. Wie alle guten Dinge immer zu Ende gehen.

„Daddy, ich will unbedingt einen Hund, aber ich will auch ein Rind!“ Robby lief zu Holt und deutete zu der Beltie. „Siehst du ihn, Daddy? Ich nenne ihn Daring Drake nach dem besten Wildpferdreiter in Montana. Können wir ihn adoptieren, Daddy?“

Happy Hearts war ein Ort, an dem ausgemusterte Tiere in Frieden und Harmonie mit der Natur leben konnten. Die Besitzerin, Daphne Taylor, rettete Nutztiere und Haustiere aller Art, brachte sie auf ihrem Anwesen unter und gab vermittelbare Exemplare zur Adoption frei. Deswegen waren Holt und Robby gekommen. Um einen Hund zu adoptieren. Keine Katze. Keine Kuh.

„Das Rind ist eine Schönheit – nebenbei bemerkt ein Weibchen. Aber die Rinder auf Dalton’s Grange sind keine Haustiere, sondern Arbeitstiere.“

„Ach ja.“ Robby runzelte die Stirn und wandte sich an die Kuh. „Tut mir leid, Kumpel. Ich kann dich nicht adoptieren. Aber vielleicht kann ich dich ab und zu besuchen.“

„Das wäre sehr nett, Robby“, sagte Amanda mit einem warmherzigen Lächeln. „Ich bin übrigens Amanda Jenkins. Du kannst mich Amanda nennen.“

Er schüttelte ihr kräftig die Hand. „Ich bin Robby. Letztes Jahr war ein Mädchen in meiner Klasse, die Amanda heißt. Sie ist in der besten Lesegruppe. Ich bin in der Schlechtesten.“ Ohne Atempause fragte er: „Zeigst du uns jetzt die Hunde?“

Holt musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie trug einen weißen Blazer über einem knielangen gelben Kleid, mehrere goldene Armreife und flache Schuhe, die teuer aussahen. Er bezweifelte, dass sie in diesem eleganten Outfit in dem Tierasyl arbeitete.

„Ich habe mit den Adoptionen nichts zu tun. Dafür ist Daphne Taylor zuständig. Sie ist die Besitzerin. Ich mache online Werbung für Happy Hearts, damit die Leute von den Tieren und den Veranstaltungen hier erfahren.“

„Ach so. Ist es nicht toll, dass ich einen Hund kriege? Meine Mom hat einen Hund, aber den kenne ich nicht. Eigentlich gehört er gar nicht ihr. Er gehört Enzo. Das ist ihr Freund. Sie wohnen in Colado“, erzählte Robby, als ob ihn der mangelnde Kontakt zu seiner Mutter gar nicht kümmerte.

Aber der Schein trügt gewaltig, dachte Holt missmutig. „Colorado“, korrigierte er automatisch. Er zwang sich zu lächeln. „Also dann, auf zu den Hunden.“

„Ich gebe Daphne Bescheid, dass sie euch dort treffen soll.“ Amanda holte ihr Handy heraus und tippte mit beiden Daumen eine Nachricht ein. „Sie kommt gleich. Ich zeige euch den Weg.“ Sie klemmte sich die Haare hinter ein Ohr und enthüllte zarte Ohrringe aus Gold und Rubin – ein Geschenk von ihren Eltern zu ihrem sechzehnten Geburtstag, wie Holt sich erinnerte.

Im Hundebereich war es sonnig und schattig, ruhig und lebhaft zugleich. Auf großen weißen Tafeln standen die Hundenamen und die Zeiten, zu denen sie Gassi geführt wurden. An einer Wand hingen unzählige Leinen und auf mehreren Tischen stapelten sich Futter und Spielzeuge.

Robby ging vor den Zwingern auf und ab. Holt folgte ihm, während Amanda in der Tür stehen blieb. Er vermutete, dass sie genau wie er noch immer aufgewühlt von dem unverhofften Wiedersehen nach zehn Jahren war. Aber vielleicht machte er sich nur etwas vor. Sie waren nicht im Guten auseinandergegangen und hatten lediglich einen Sommer miteinander verbracht. Vielleicht hat sie in all der Zeit keinen einzigen Gedanken an mich verschwendet.

Robby blieb vor dem Zwinger eines mittelgroßen schwarz-weißen Border-Collie-Mix stehen. Der Hund saß einfach mit seitlich geneigtem Kopf da. Er sprang nicht am Gitter hoch, er bellte nicht, er legte lediglich eine Pfote auf eine Gitterstange, als wollte er Hallo sagen. Und dabei sah er aus, als würde er grinsen.

„Hi, ich bin Robby. Ich bin sieben. Ich mag gern laufen, reden, Fernsehen gucken, Cheeseburger, Eiscreme, meine Großeltern, meine Onkels und den Wildpferdreiter Daring Drake.“

Amanda lächelte. Dass sie von dem unablässigen Geplapper angetan statt genervt wirkte, gefiel Holt sehr gut. Er war in den letzten Jahren mit einigen Frauen ausgegangen, in der Hoffnung, seine Mrs. Right zu finden. Aber sie alle hatten entweder keinerlei Interesse an Robby gezeigt oder nicht mit seiner überschäumenden Energie umgehen können.

Der Hund zwängte seine Schnauze durch die Gitterstäbe. Eine Hälfte seines Kopfes war weiß und die andere schwarz. Sein Körper war in beiden Farben gefleckt und seine Beine waren gesprenkelt.

Daphne Taylor trat zu ihnen. Sie war etwa in Holts Alter und hatte Dalton’s Grange vor einer Woche einen Besuch abgestattet, das künftige Zuhause eines ihrer Schützlinge auf Herz und Nieren geprüft und bereitwillig ihr Okay gegeben. „Schön, euch wiederzusehen.“ Sie begrüßte Vater und Sohn mit Handschlag, bevor sie den Hund anleinte und aus dem Zwinger holte. „Das ist Bentley.“

Robby kniete sich hin und schlang die Arme um ihn. „Ich bin in Whitehorn geboren. Das ist eine kleine Stadt in Montana. Und dann sind wir nach Bronco gezogen. Du wirst auf Dalton’s Grange wohnen. Das ist unsere Ranch.“

Bentley leckte ihm das Gesicht ab und legte ihm eine Pfote auf die Schulter.

„Du magst mich! Ich mag dich auch.“

Daphnes Handy klingelte. Sie entschuldigte sich und ging.

Holt las die Informationen an der Zwingertür. „Bentley. Vier Jahre. Von älteren Besitzern abgegeben. Verträgt sich mit Kindern und Tieren jeder Art. freundlich und stubenrein. Gute Grundausbildung. Paarbindung mit Oliver.“ Er blickte Amanda an. „Paarbindung?“

„Ach ja.“ Besorgt nagte sie an der Unterlippe. „Bentley wurde zusammen mit Kater Oliver eingeliefert. Sie sind zusammen aufgewachsen und hängen sehr aneinander. Daphne gibt sie nur zusammen weg.“

Robby machte ein langes Gesicht. „Heißt das, dass wir ihn nicht kriegen?“, fragte er mit zitternden Lippen. Er umarmte Bentley ganz fest. „Ist Oliver dein bester Freund? Du hast Glück. Ich hab keinen besten Freund.“ Er stand auf und wischte sich über die Augen. „Oliver und Bentley sollen zusammenbleiben. Sie sind beste Freunde.“

„Tja, dann müssen wir wohl beide mit nach Hause nehmen.“

Er riss die Augen weit auf, sprang auf und warf sich Holt in die Arme. „Danke, Daddy!“

„Jetzt werdet ihr drei beste Freunde“, prophezeite Amanda mit einem blendenden Lächeln. „Ich gebe Daphne Bescheid, dass sie Oliver mitbringen soll.“

Er musterte sie verstohlen. Sie war seine beste Freundin gewesen. Früher einmal, während ihrer zweimonatigen Beziehung. Und auch danach war ihr Einfluss auf ihn groß geblieben. Er hatte immer danach gestrebt, der Mann zu sein, den sie in ihm gesehen hatte. Das war ihm allerdings erst viel später klar geworden.

Sechs Monate nach der Trennung war er zu ihrem College gefahren, um sich mit ihr auszusöhnen. Dort angekommen, hatte er sie jedoch Arm in Arm mit einem Mann in das Studentenwohnheim gehen sehen.

Also war Holt unverrichteter Dinge nach Hause zurückgekehrt und auf ein Date nach dem anderen gegangen, um nicht mehr unablässig an sie zu denken.

Robby kniete sich wieder hin und versicherte Bentley, wie gut es ihm und Oliver auf Dalton’s Grange gefallen würde.

Amanda schmunzelte. „Dein Sohn ist entzückend. Er wird sich sehr liebevoll und aufmerksam um die beiden kümmern.“

Was du bei mir versäumt hast, hörte er sie im Geist sagen. Was verrückt war. Denn ihr Gesichtsausdruck blieb unverändert. Vermutlich fühlte er sich nur schuldig, weil er sie am Ende des Ferienlagers einfach stehen gelassen hatte.

Du hast mir den ganzen Sommer lang bloß was vorgemacht!, hatte sie ihm zutiefst verletzt und vorwurfsvoll nachgerufen.

Am liebsten wäre er zu ihr zurückgelaufen, um sich zu entschuldigen und ihr die Wahrheit zu gestehen, nämlich dass er in Wirklichkeit jemand war, mit dem sie nichts zu tun haben wollte. Ein Querulant, der zwei Mal wegen dummer Vergehen vorübergehend festgenommen worden war und im Camp KidPower gerichtlich angeordnete Sozialstunden abgeleistet hatte. Er hatte mit zweiundzwanzig vor dem Nichts gestanden; ihr hatte die Welt zu Füßen gelegen. Denn sie stammte aus einer gut situierten Familie. Ihre Eltern hatten sich zwar wenig um sie gekümmert, aber sie war fokussiert und durchsetzungsfähig und hatte etwas aus ihrem Leben gemacht.

Seine Eltern waren praktisch mittellos gewesen, bis sein Vater vor gut einem Jahr beim Glücksspiel zu viel Geld gekommen war, was ihm einen Neuanfang in Bronco ermöglicht hatte – und zwar in Bronco Heights, ausnahmsweise auf der „richtigen“ Seite der Stadt.

Daphne kam mit einer Transportbox zurück und stellte sie auf den Boden. „Oliver ist vier Jahre alt. Er mag gern am Rücken gekrault werden, mit kleinen Bällen und Schnüren spielen und sich zum Schlafen an Bentley kuscheln. Er ist ein richtiger Schatz.“

Robby kniete sich vor die Box. „Er ist schwarz und weiß genau wie Bentley! Ich liebe Oliver!“ Er legte sich auf den Bauch, grinste seinen neuen Kater durch die Gittertür an und erzählte ihm seine Lebensgeschichte.

„Unsere kleine Familie hat soeben zweifachen Zuwachs bekommen“, entschied Holt.

Daphne lächelte erfreut. „Sehr gut! Dank einer großzügigen Spende der Vorbesitzer können wir Ihnen sämtliches Zubehör für die beiden mitgeben – von einem Hundebett über ihr Lieblingsfutter bis hin zu brandneuem Spielzeug. Ich hole die Sachen und die Adoptionspapiere und dann treffen wir uns in der Lobby.“

„Ich zeige euch den Weg und bin dann mal weg“, sagte Amanda. Sie ging voraus in die Lobby und blieb bei einem Torbogen stehen. „Also dann, auf Wiedersehen.“

Robby strahlte sie an. „Danke, dass du mir geholfen hast.“

„Sehr gern. Bentley und Oliver haben Glück, dass sie zu einem netten Jungen wie dir kommen, der Hunde und Katzen liebt und dem so viel an Freundschaft liegt.“

Holt schenkte ihr ein dankbares Lächeln. Sie begegnete seinem Blick und schien etwas sagen zu wollen. Doch sie schwieg.

Daphne kam mit dem Zubehör und den Papieren. „Ach, Amanda, ich habe da eine Idee. Du willst doch einen Artikel mit Fotostrecke über eine Adoption für die Website von Happy Hearts verfassen. Wie wäre es, wenn du über diese Vermittlung berichtest? Es ist so eine großartige Story – zwei beste Freunde finden ein neues Zuhause bei einem kleinen Jungen auf einer wundervollen Ranch.“

Amanda wurde blass. Sie brachte ein Lächeln zustande, aber sie sah aus, als wäre sie am liebsten im Erdboden versunken. „Wenn du meinst.“

„Super. Ich schicke dir die Kontaktdaten, damit ihr euch einen Termin ausmachen könnt.“ Daphne wandte sich an Holt. „Natürlich nur, wenn Sie damit einverstanden sind?“

Er nickte. „Ja, natürlich“, versicherte er eifrig und dankte ihr im Stillen dafür, dass sie ihm ein Wiedersehen mit Amanda garantierte.

Amanda stieg in ihren Wagen, um vom Parkplatz von Happy Hearts zu flitzen und Distanz zwischen sich und Holt zu schaffen. Doch zunächst brauchte sie einen Moment, um sich zu sammeln.

Holt Dalton in Fleisch und Blut! Nach all den Jahren. Ihre erste Liebe. Ihr Ein und Alles. Sie hatte vor ihm für einige Männer geschwärmt und war kurze Bindungen eingegangen. Doch als sie ihm mit einundzwanzig begegnet war, hatte sie endlich erfahren, was Floskeln wie „die große Liebe“ und „der Richtige“ bedeuteten.

Jede weibliche Angestellte im Camp KidPower hatte sich auf den ersten Blick in den großen attraktiven Holt verguckt, doch er hatte Amanda schon am ersten Tag mit seiner ungeteilten Aufmerksamkeit überrascht. Er hatte hinter die Fassade geblickt und in ihr, der schüchternen, stillen, belesenen jungen Frau mit Pferdeschwanz und Brille, etwas Aufregendes und Unwiderstehliches gesehen. Ihm gegenüber hatte sie sich geöffnet, mehr zu sich selbst gefunden. Sie war davon ausgegangen, dass sie für immer zusammenbleiben würden. Doch am Ende des Sommers hatte er sich einfach abgewendet, als ob sie ihm nichts bedeutete.

Sie blickte zum Gebäude hinüber und sah ihn durch ein Fenster an einem Tisch sitzen und Papiere ausfüllen. Es überraschte sie nicht, dass er zu einem umwerfenden Mann geworden war. Sie hatte sehr lange gebraucht, um über ihn hinwegzukommen, und sich schließlich zwingen müssen, die Sache lockerer zu sehen und auszugehen. Im Laufe der Jahre war sie einige unbedeutende kurze Beziehungen eingegangen. Keiner der Männer hatte einem Vergleich mit Holt standgehalten, bis ihr vor zwei Jahren Tyler begegnet war. Sie hatte geglaubt, endlich ihren Traummann gefunden zu haben, und war sogar auf seine verrückte Idee eingegangen, nach Las Vegas durchzubrennen.

Tyler hatte eine Honeymoon-Suite im zweiundvierzigsten Stock eines Luxushotels und eine Trauungszeremonie in der hoteleigenen Hochzeitskapelle gebucht. In seinem eleganten Smoking war er in das Spielcasino hinuntergegangen, um ihr Zeit zu geben, in ihr wunderschönes Brautkleid zu schlüpfen und sich für ihn herauszuputzen. Und dann hatte sie vergeblich auf ihn gewartet. Er hatte einfach kalte Füße bekommen und ihr lapidar per SMS mitgeteilt, dass er es sich anders überlegt hatte.

Sie hatte eine gute Stunde lang hemmungslos geweint und sich dann einen Leihwagen genommen, um nach Whitehorn in Montana zurückzukehren. Dort hatte sie eine lebensverändernde Entscheidung getroffen. In ihrer Heimatstadt hatte sie nicht viel gehalten. Durch ihre Schüchternheit hatte sie nur wenige Freunde, ihre Arbeit bei einer Bank war ziemlich langweilig und ihre Eltern lebten schon seit Jahren in Arizona.

Bei einer Recherche nach den besten Wohnorten in Montana war sie auf Bronco gestoßen. Der Ort war größer und vielseitiger als Whitehorn. Vor allem aber wohnte dort eine sehr gute Freundin aus dem College, Brittany Brandt, die zufällig eine Mitbewohnerin gesucht hatte.

Amanda hatte ein Dankesgebet an das Universum geschickt und war zwei Wochen später mit ihrer Katze Poindexter nach Bronco umgezogen. Auf Anhieb hatte ihr der vornehme Apartmentkomplex mit Blick auf die Berge, Außenpool, Whirlpool und zahlreichen Singles unter den Bewohnern gefallen. Getreu ihrem zurückhaltenden Wesen war sie jedoch in ihrem Schneckenhaus geblieben und hatte sich auf die Arbeit konzentriert. Sie hatte ihre Erfahrung in Social Media und Marketing genutzt, um ein eigenes kleines Geschäft zu gründen. Inzwischen besaß sie einen soliden Klientenstamm, von Happy Hearts bis zur Bronco Bank. Da sie ihre Arbeit überwiegend online ausführen konnte, hatte sie als introvertiertes scheues Wesen ihre Komfortzone gefunden.

Doch dann war etwas Unerwartetes passiert. Bei einer Besprechung in der Tagesstätte Tender Years Daycare über Marketingstrategien hatten die fröhlichen kleinen Kinder sie zum Umdenken bewegt. Ihr war bewusst geworden, dass sie sich ein Baby wünschte. Das Problem war nur, dass sie es nicht allein aufziehen wollte. Jedes Mal, wenn sie sich vorstellte, ein Händchen zu halten, war da ein Mann an ihrer Seite, der die andere winzige Hand hielt.

Das war ein großes Problem, da sie in absehbarer Zeit keinen Mann an sich heranlassen wollte, nachdem Holt und Tyler ihr das Herz gebrochen hatten.

Doch wider Erwarten war sie selbst durch zehn Jahre Distanz und die geplatzte Verlobung nicht immun gegen Holt geworden.

Dass er Vater war, überraschte sie nicht. Damals im Camp hatte er im Gegensatz zu ihr zwar nicht als Betreuer, sondern als Küchenhilfe gearbeitet, aber er war den Kindern mit Warmherzigkeit, Freundlichkeit und Respekt begegnet.

Sie spielte ernsthaft mit dem Gedanken, den Artikel über Holt und seinen Sohn abzusagen. Aber nein. Sie war ein Profi und wollte ihr Berufsleben nicht von ihrem Privatleben beeinträchtigen lassen. Sie nahm sich vor, sich ihm gegenüber einfach ganz geschäftsmäßig zu geben. Er wohnte bereits seit einem Jahr in der Stadt, ohne dass sie sich begegnet waren. Also war es durchaus möglich, dass nach dem Interview und der Fotosession ein weiteres Jahr verging, ohne dass sie ihm über den Weg lief. Oder seinem niedlichen Sohn. Oder deren entzückenden neuen Familienmitgliedern Oliver und Bentley.

Sobald Amanda sich wieder im Griff hatte, startete sie den Motor. Im selben Augenblick kam Robby mit Bentley an einer Leine aus dem Gebäude. Holt folgte ihm mit der Katzenbox in einer Hand und zwei prall gefüllten Tragetaschen in der anderen. Er stellte alles in den Fußraum vor den Rücksitzen, und dann stiegen Robby und Bentley ein.

Als sie davonfuhren, wurde Amanda bewusst, dass sie ihnen gern gefolgt wäre, um zu beobachten, wie sie die Tiere in ihr neues Zuhause einführten. Kopfschüttelnd schaltete sie ihren Lieblingssender im Radio ein und lauschte andächtig einem melancholischen Country-Song über unerfüllte Liebe. Das sollte dir den Kopf zurechtrücken.

2. KAPITEL

„Hey, Amanda! Brezel dich auf!“, rief Brittany, während sie in die Küche stürmte. Sie war von der Arbeit als Eventplanerin nach Hause gekommen, um sich schnell umzuziehen und das Make-up aufzufrischen, und sie sah wie immer fabelhaft aus – diesmal in einem schulterfreien roten Jumpsuit und silbernen High Heels. Sie war dreiunddreißig, groß und schlank, mit hellbrauner Haut und langen schwarzen Haaren. „Das DJ’s gibt eine Benefizveranstaltung und ich hab dich auf die Gästeliste gesetzt. Zieh dir was Schickes an.“

Amanda, die im Gegensatz zu Brittany eher eine Stubenhockerin war, goss ihren Kräutertee auf und deutete auf ihr Outfit aus Yogahose, Tanktop und dicken Socken. Sie liebte das Essen in dem angesagten Szenelokal, doch durch die Begegnung mit Holt war ihr der Appetit vergangen. „Ich habe heute ein Date mit Poindexter. Ich will mir eine Dokumentation über die Geschichte von Montana ansehen. Dabei geht es sogar um Bronco und das ‚unerklärliche Phänomen‘.“

„Zugegeben, das klingt verlockend. Ich würde mich auch gern mit einer Schüssel Popcorn auf das Sofa kuscheln. Aber die Arbeit ruft. Willst du wirklich nicht mitkommen? Du würdest eine Menge heißer Singles treffen.“

„Wirklich nicht. Viel Spaß.“

„Ich werde versuchen, leise zu sein, wenn ich nach Hause komme.“ Brittany streichelte Poindexter und eilte hinaus.

Das Interessante an der quirligen Partymaus war, dass sie so wahnsinnig gern ausging und datete, aber nicht auf der Suche nach einem Ehemann war. Sie liebte ihr Singledasein.

Amandas biologische Uhr tickte dagegen laut und deutlich, aber sie hasste es, mit Männern auszugehen, weil es entweder zu gar nichts oder zu Kummer führte.

Gerade als sie den Fernseher einschalten wollte, klingelte es. Sie ging öffnen und fand ihre Nachbarin Melanie, todschick in einem neonpinken Kleid, auf der Schwelle. „Wow! Du siehst umwerfend aus.“

„Ich schließe aus deinem Outfit, dass du nicht mitkommst?“

„Poindexter und ich gucken uns eine Dokumentation an. Ich hatte einen harten Tag.“

„Aha. Ich bin hier, weil ich dein Angebot annehmen möchte, so viel wie möglich über das verschollene Baby von Josiah und Winona herauszufinden. Meine Recherchen sind alle im Sand verlaufen.“

„Kannst du mein Gedächtnis auffrischen?“ Amanda holte ihr Handy heraus. „Außerdem möchte ich die Informationen vorsichtshalber aufzeichnen.“

Melanie nickte und holte tief Luft. „Beatrix Abernathy ist die verschollene Tochter von Gabes Verwandten.“ Sie war seit Kurzem mit Gabriel Abernathy aus einer prominenten Rancher-Dynastie in Bronco Heights verlobt. „Sein Urgroßvater Josiah hat ein Tagebuch geführt und unter den Dielen der Ranch Ambling A in Rust Creek Falls versteckt. Vor Jahrzehnten ist seine Familie von dort nach Bronco umgezogen. Die neuen Besitzer haben das über siebzig Jahre alte Tagebuch gefunden und sind tief berührt von der wunderschönen Liebesgeschichte. Josiah Abernathy hatte als Teenager eine geheime Liebe namens Winona Cobbs. Sie wurde schwanger. Nach der Geburt hat man ihr gesagt, das Baby wäre gestorben, und sie in eine Anstalt eingewiesen. Aber das war gelogen.“

„Oh weh! Wie schade, dass die Liebe nicht gesiegt hat.“

Melanie seufzte schwer. „Josiah hat erfahren, dass das Baby lebt, aber seine Eltern haben ihn gezwungen, es zur Adoption freizugeben. In dem Tagebuch befindet sich ein Brief an Winona, in dem steht, dass er weiß, wer seine Tochter adoptiert hat, und verspricht, sie eines Tages nach Hause zu holen. Aber das ist ihm offensichtlich nicht gelungen. Nach meinen Nachforschungen hat niemand jemals von einer Beatrix Abernathy gehört. Ich muss sie unbedingt finden.“

„Und da komme ich mit meiner Online-Kompetenz ins Spiel. Ich denke, dass ich dir helfen kann.“

„Danke, Amanda. Das ist für mich in zweierlei Hinsicht sehr wichtig. Wie du weißt, werde ich bald eine Abernathy. Außerdem kenne und bewundere ich Winona, die in der Nähe meiner Eltern wohnt. Sie war als schrullige Psycho verschrien.“ Melanie schüttelte den Kopf. „Es geht ihr gar nicht gut. Und Josiah ist mit Alzheimer in einem Pflegeheim. Kannst du dir vorstellen, wie überrascht Gabe und ich waren, als er uns in einem Augenblick totaler Klarheit gebeten hat, seine Tochter zu finden? Ich hoffe wirklich, dass wir es schaffen. Das Baby wurde wahrscheinlich vor über siebzig Jahren in Rust Creek Falls geboren.“

„Und in Josiahs Tagebuch steht nichts, was weiterhelfen könnte?“

„Nein. Leider. Und es gibt da noch ein Problem“, sagte Melanie. „Die psychiatrische Einrichtung in Kalispell, in die Winona damals eingewiesen wurde, ist vor vierzig Jahren abgebrannt.“

„Das erschwert die Recherche allerdings.“

„Leider.“ Melanie seufzte. „Aber die Story hat alle, die mit dem Tagebuch in Berührung gekommen sind, echt angerührt. Hey, wer weiß? Vielleicht bringt die ganze Sache auch etwas Romantik in dein Leben.“

Unwillkürlich dachte Amanda an Holt Dalton. Doch das flüchtige Wiedersehen, selbst mit der Aussicht auf ein Interview mit Fotoshooting für die Website von Happy Hearts, konnte zu nichts führen. Weil sie es nicht zulassen wollte. Doppelt gebranntes Kind scheut das Feuer vierfach. Wenn das kein Sprichwort ist, sollte es eins werden. „Tja, das glaube ich kaum, aber ich strecke auf alle Fälle mal meine Fühler aus.“

„Danke.“ Melanies Handy piepste. „Mist! Als Finanzchefin vom DJ’s ist man immer im Dienst. Ich muss zur Party. Ist Brittany schon dort?“

Amanda nickte. „Du weißt ja, dass sie bei ihren Events immer gern als Erste zur Stelle ist.“

„Zum Glück. Noch mal danke“, sagte Melanie und ging.

Lächelnd schloss Amanda die Tür. Die Doku über Montana konnte warten. Sie hatte ein sehr interessantes Rätsel zu lösen, das sie sicherlich von Holt Dalton ablenkte. Zumindest für eine kleine Weile.

Diese Hoffnung erwies sich als Irrtum, sobald eine Textnachricht von Holt einging, die da lautete: „Ich kann deine Hilfe gebrauchen. Oliver und Bentley haben sich unter Robbys Bett verkrochen und jetzt glaubt er, dass sie ihn hassen. Er fragt andauernd, ob die ‚nette Amanda‘ kommen und mit ihnen reden kann. Kann sie?“

Sie schluckte schwer, suchte Dalton’s Grange in ihrer Maps App und antwortete: „Ich bin in einer Viertelstunde da.“

„Du bist meine Rettung. Blockhütte mit hellblauer Tür eine halbe Meile hinter dem Haupthaus. Nicht zu verfehlen.“

„Bis gleich“, schrieb sie zurück.

Er schickte ihr ein grinsendes Emoji mit einem Cowboyhut.

Sie starrte auf das Cowboy-Smiley und mahnte sich zur Vorsicht. Lass dich nicht von einem niedlichen Kind und zwei süßen Tieren verleiten, dich auf Holt Dalton einzulassen. Du darfst diesem Mann nicht trauen!

Als es an der Haustür klingelte, hockten Oliver und Bentley noch immer in der hintersten Ecke unter dem Bett. Robby lag in Tränen aufgelöst auf dem Fußboden, das Gesicht in der Ellbogenbeuge vergraben.

„Ich wette, das ist Amanda“, sagte Holt. „Willst du mit mir zur Tür kommen?“

„Ich bleib lieber hier. Sonst denken Bentley und Oliver, dass ich sie im Stich gelassen hab.“

Holt ging öffnen. Amanda, leger gekleidet in weißer Jeans, schwarzem Tanktop und flachen silbernen Sandalen, erinnerte sehr an das Mädchen, das er vor zehn Jahren geliebt hatte. Ihr langes üppiges Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Hals und Schultern waren nackt. Sie war sehr, sehr hübsch – und sexy. „Danke, dass du gekommen bist.“

„Ich muss zugeben, dass ich erst mal eine Weile auf deiner Veranda gestanden und das Anwesen bewundert habe. Nicht mal wow wird Dalton’s Grange gerecht.“

Die Ranch lag in die Berge gebettet und war tatsächlich spektakulär. Holt fühlte sich schon von Anfang an wohl in seinem Blockhaus, einer kleineren Version des Hauptgebäudes im Stil einer riesigen Landhausvilla. „Es ist sehr friedlich hier. Wenn mein Kopf zu platzen droht, muss ich mich nur umsehen und die Berge, die Wälder und das Vieh auf mich einwirken lassen, und schon kann ich wieder frei atmen.“

„Droht dein Kopf oft zu platzen?“

Er nickte.

„Dann bin ich froh, dass du dich nur umsehen musst, um Frieden zu finden.“

„Daddy?“, rief Robby. „Kann Amanda kommen und mit Bentley und Oliver reden?“

„Stecken die beiden immer noch unter dem Bett?“, fragte sie.

Holt nickte und ließ sie eintreten.

Sie bewunderte die gewölbte Holzdecke, die Bogentüren, die farbenfrohen Läufer und großen Ledersofas im Wohnzimmer und den breiten gewundenen Treppenaufgang mit einer umfangreichen Fotogalerie.

„Robbys Zimmer ist oben.“

Während sie hinaufgingen, musterte Amanda die Fotos von Holt und seinen vier Brüdern. „Eine große Familie. Ich schätze, sie hat in den letzten zehn Jahren reichlich Zuwachs bekommen. Wie viele Cousins hat Robby?“

„Keinen. Meine Brüder sind allesamt Singles und meine Ex war Einzelkind.“

„Du kannst froh sein, eine so große Familie zu haben. Ich bin auch Einzelkind, wie du weißt, und meine Großeltern sind alle tot. Ich habe nur meine Eltern, aber die haben sich in Arizona zur Ruhe gesetzt, sodass ich sie nicht so oft sehe, wie ich gern möchte.“

„Zu Thanksgiving geht es demnach bei dir sehr ruhig zu“, vermutete er.

Sie nickte. „Letztes Jahr waren meine Eltern auf Kreuzfahrt, sodass ich ganz allein war. Zum Glück hat meine Mitbewohnerin Brittany mich zu ihrer Familienfeier eingeladen. Sie hat vier Geschwister. Ich habe vorher noch nie einen so riesigen Truthahn gesehen.“

„Daddy!“, rief Robby mit tränenerstickter Stimme.

„Wir sind schon da“, antwortete er, während sie das Kinderzimmer betraten, das lauter Lieblingsdinge von Robby beherbergte. Dazu zählten vor allem die Farbe Waldgrün, eine Buchreihe über den Detektiv Rocco, der Waschbär, und nun auch das Bett und Spielzeug für Bentley und Oliver.

„Hi, Robby“, sagte Amanda. „Als ich meinen Kater Poindexter nach der Adoption mit nach Hause genommen habe, wollte er über vier Stunden nicht unter dem Bett hervorkommen.“

Staunend riss er die Augen auf. „Wirklich? Aber du bist doch nett.“

Sie setzte sich zu ihm. „Das bist du auch. Oliver und Bentley mögen dich und sind sehr gern hier. Aber Tiere, besonders Katzen, werden sehr nervös, wenn sie in ein neues Zuhause kommen. Nichts riecht vertraut. Also verstecken sie sich, bis sie sich wohler fühlen. Dann kommen sie raus und erforschen ihre Umgebung. Bentley ist eigentlich mutiger, aber er bleibt bei Oliver, damit er sich sicherer fühlt.“

Seine Miene erhellte sich. „So was Ähnliches hat Daddy auch gesagt.“

Sie lächelte. „Dein Daddy hat garantiert recht. Warum spielst du nicht einfach oder liest oder tust, was immer du normalerweise in deinem Zimmer tust? Ich wette, dass die beiden dann schon bald rauskommen.“

Er griff nach einem Plüschtier. „Ich kann ja meine Spielsachen hier aufbauen, damit Oliver und Bentley sie kennenlernen, wenn sie rauskommen.“

„Das ist eine gute Idee“, lobte Holt. Er wandte sich an Amanda. „Ich wollte Kaffee machen. Wie wär’s?“

„Gern.“

Er strich Robby über den Kopf. „Wir gehen nach unten. Sag Bescheid, wenn die beiden rauskommen.“

„Okay, Daddy.“

Amanda begleitete Holt in die Küche, blickte sich um und staunte: „Dieser Mix aus antik und supermodern ist fantastisch.“

„Ja, das finde ich auch. Ich koche gern hier.“

„Du kannst kochen?“

„Allerdings. Eine Weile nach unserem Sommercamp wusste ich nichts mit mir anzufangen. Ich habe auf Ranches gearbeitet, aber nicht viel verdient. Also habe ich meine Küchenerfahrung aus Camp KidPower genutzt und mein Einkommen mit Kochen aufgebessert. Wie sich herausstellte, kann ich selbst ein billiges Stück Fleisch zart und köstlich zubereiten.“

„Was meinst du damit, dass du mit dir nichts anzufangen wusstest?“, fragte sie verwirrt. „Du hast doch Agrarwissenschaften studiert und wolltest ein Ranch-Imperium gründen, oder?“

Er schaltete die Kaffeemaschine ein. „Ich habe das Studium nach zwei Jahren abgebrochen. Und der Job bei KidPower war ein gerichtlich angeordneter Sozialdienst wegen Verstößen gegen das Gesetz – geringfügige Delikte wie ungebührliches Benehmen, Trinken in der Öffentlichkeit und Ähnliches. Ich stand praktisch vor dem Nichts. Bis mein Leben durch die Bekanntschaft mit dir eine neue Richtung genommen hat.“

Verblüfft starrte sie ihn an. „Warum hast du mir das nie erzählt?“

Holt zögerte flüchtig. „Du hast mich akzeptiert, wie ich war. Um es mir nicht mit dir zu verderben, wollte ich dich nicht wissen lassen, dass ich ein Rowdy war, wie mein Vater mich zu nennen pflegte.“

Amanda dachte einen Moment darüber nach. „Ich weiß, wovon du redest. Die meisten Jungs fanden mich langweilig und arrogant. Aber du hast mich so akzeptiert, wie ich war.“

„Du warst allerdings sehr schüchtern. Aber nur, bis man dich näher kennengelernt hat. Dann hast du nicht aufgehört zu reden.“ Er grinste, ebenso wie sie, und damit war das Eis einfach so gebrochen. Jeglicher Groll, den sie womöglich in den vergangenen zehn Jahren genährt hatte, schien sich aufzulösen. Oder vielleicht war es auch nur Wunschdenken auf seiner Seite.

„Du hättest es mir sagen sollen, Holt. Ich hätte dich nicht weniger gemocht.“

Da war er sich nicht so sicher.

„Apropos dein Vater. Es wundert mich, dass du auf demselben Grundstück mit deinen Eltern wohnst. Du hast doch damals gesagt, dass du mit deinem Dad nicht besonders gut auskommst.“

Der Kaffee war fertig. Er schenkte zwei Becher ein, stellte sie zusammen mit Sahne und Zucker auf den Tisch und setzte sich. „Das hat mich selbst überrascht. Ich verstehe mich immer noch nicht besonders gut mit ihm, aber ich arbeite daran. Das ist mein Plan für diesen Sommer: Frieden mit ihm zu schließen. Ich habe noch fast einen Monat Zeit dazu.“

Amanda rührte Sahne und Zucker in ihren Becher. „Streitet ihr viel?“

Er nickte und nahm einen großen Schluck. „Ich wünsche mir von ihm, etwas zu sein, was er nicht ist.“

„Das klingt, als ob jemand anderer dir das eingeredet hat.“

Er schmunzelte. „Ständig. Meine Mutter. Meine Brüder.“

„Was soll er denn sein?“

„Geduldiger mit seinem Enkel.“ Er ging zum Küchenschrank. „Möchtest du ein Stück Nusskuchen? Ich habe ihn heute Morgen gebacken.“

„Bei Kuchen sage ich nie Nein. Schon gar nicht bei selbst gemachtem.“

Er legte zwei Stücke auf Teller und kehrte damit zum Tisch zurück.

Sie nahm einen Bissen. „Wie behandelt dein Dad denn seinen Enkel?“

„Er will, dass Robby nicht so viel redet, nicht so schnell rennt, nicht so viele Fragen stellt, nicht so ein Wirbelwind ist.“

„Zu viel Energie für Grandpa?“

„Robby ist sehr energiegeladen, redselig, manchmal ungeschickt, nicht immer artig. Er ist eben sieben.“

„Schreit dein Vater ihn an?“

„Er ist eher schroff. Das ärgert mich, obwohl meine Mutter es mehr als wettmacht. Ich weiß, dass Robby anstrengend sein kann, aber mein Dad würde sich über jedes Kind ärgern, das nicht mucksmäuschenstill ist.“ Holt spielte oft mit dem Gedanken, einfach mit Robby wegzuziehen. Aber er war wegen seiner Mutter Deborah gekommen, und ihretwegen blieb er.

Amanda aß noch einen Bissen. „Ich denke, deine Familie hat sich aus denselben Gründen wie ich für Bronco entschieden. Es ist großartig hier. Der Wilde Westen, die alten Geistergeschichten, die vornehme City Bronco Heights. Ich liebe es hier.“

„Ich auch. Und Robby ebenfalls. Als die Ranch in Whitehorn pleitegegangen ist, wollte mein Dad zuerst nach Rust Creek Falls ziehen, wo wir viele Angehörige haben. Aber unser Familienzweig hatte damals keinen guten Ruf und deshalb hat er einfach behauptet, das Kaff wäre zu dörflich für seinen Geschmack. Er hatte Glück im Spiel, sodass er sich diese Ranch leisten konnte. Meine Brüder und ich sind hergezogen, um darauf zu achten, dass er keine Dummheiten macht, und uns um unsere Mutter zu kümmern, die einen Herzinfarkt hatte.“

„Geht es ihr wieder gut?“

„Bestens. Aber wir hätten sie beinahe verloren und das hat uns allen eine Heidenangst eingejagt.“

„Also habt ihr in Bronco ganz neu angefangen. Genau wie ich.“

Holt zog eine Augenbraue hoch. „Wie du?“

Anstatt zu antworten, nahm sie einen Schluck Kaffee.

Er begriff, dass sie nicht darüber reden wollte. Er konnte es nachvollziehen. Auch er wollte vieles für sich behalten. „Hier in der Gegend gibt es einige wohlhabende Rancher, denen wir nicht besonders willkommen sind. Für die sind wir Neureiche ohne Vorgeschichte und gelinde gesagt zu ungeschliffen.“

Sie grinste. „Tja, wenn du ungeschliffen bist, Holt Dalton, dann bist du ein Rohdiamant. Außerdem habe ich nichts Ungeschliffenes an dir entdeckt, obwohl ich viel Zeit mit dir verbracht habe – wenn auch bloß für einen Sommer vor zehn Jahren.“

Spontan griff er nach ihrer Hand und drückte sie. „Nett von dir, das zu sagen.“

„Daddy! Amanda! Kommt mal!“

Sie gingen ins Kinderzimmer hinauf. Bentley und Oliver lagen aneinander gekuschelt im Hundebett. Robby saß im Schneidersitz auf dem Teppich und las ihnen aus einem Leselernbuch vor, wobei er mit dem rechten Zeigefinger von Wort zu Wort fuhr. „Und dann sagte …“, er runzelte die Stirn, „… Rocco, der Waschbär … Das ist ein großes … Rätsel.“ Strahlend blickte er auf. „Ich kann das Wort jetzt auswendig! Rätsel! Das ist was, was man nicht so leicht rauskriegt.“ Er las weiter. „Aber ich kann es …“ Angestrengt starrte er auf die Seite. Dann drehte er sich zur Tür um. „Daddy? Wie heißt das Wort noch?“

Holt ging zu ihm, blickte in das Buch und las: „Lösen.“

„Aber ich kann es lösen“, las Robby und sagte zu Bentley und Oliver: „Keine Angst. Rocco, der Waschbär kann echt gut Rätsel lösen. Er findet die geklaute Kreide ganz bestimmt.“

Amanda trat zu Holt und flüsterte ihm zu: „Herzallerliebst.“

Er lächelte sie an und hielt ihren Blick ungebührlich lange gefangen, weil es ihm verdammt schwerfiel, sich abzuwenden. „Gut gemacht, Kumpel.“

„Glaubst du, dass es Bentley und Oliver gefällt, wenn ich ihnen vorlese?“

„Sie lieben es“, versicherte Amanda. „Guck doch bloß mal, wie zufrieden und glücklich sie aussehen.“

Sein Gesicht erhellte sich. „Ich kann aber nicht gut lesen. Ich bin in der Schule in der schlechtesten Gruppe. Aber vielleicht wird es besser, wenn ich Bentley und Oliver immer vorlese.“

„Das ist bestimmt eine gute Übung für dich.“

Es klingelte an der Haustür. Holt entschuldigte sich und ging hinunter. Durch das Fenster sah er den Pick-up seines Vaters in der Auffahrt. Na, großartig. Bestimmt will er sich wieder mal über irgendwas beschweren.

Doch es war Deborah, die auf der Veranda stand. Sie war groß wie alle Daltons, hatte aber blonde Haare und blaue Augen wie Robby. „Speziallieferung für Robby Dalton“, eröffnete sie und hielt eine Einkaufstasche mit dem Logo des lokalen Zoogeschäfts hoch.

Er küsste sie auf die Wange. „Das ist sehr lieb von dir, Mom.“

„Und auch von deinem Vater. Er war beim Einkauf dabei und hat sogar den Quietscher in Bentleys neuem Spielzeug getestet.“

„Danke für die Warnung“, murmelte Holt, der lautes Gequietsche hasste. Er blickte an ihr vorbei zum Truck. „Ist Dad nicht hier?“

„Er rollt gerade den Teig für unseren Pizza-Abend aus.“

„Komm mit nach oben. Dein Timing ist perfekt. Robby hat die Tiere gerade unter dem Bett hervorgelockt. Ach ja, und wir haben Besuch. Amanda Jenkins. Wir haben vor zehn Jahren in dem Sommercamp zusammengearbeitet. Sie ist bei Happy Hearts für Social Media verantwortlich und wir haben uns heute dort getroffen.“

Sie warf ihm einen überraschten und neugierigen Blick zu. Kein Wunder. Wann hatte er das letzte Mal eine Frau mit nach Hause gebracht? Auf keinen Fall in diesem Jahr.

Sie betrat das Kinderzimmer, lächelte Amanda an und wandte sich an ihren Enkel. „Robby, ich habe deinen neuen Haustieren etwas zum Einzug mitgebracht.“

„Danke, Gram!“ Er stand langsam auf, um die Tiere nicht zu erschrecken, und packte die Geschenke aus. „Ein Hase für Bentley und eine Maus für Oliver! Super!“

Deborah schmunzelte. „Ich habe außerdem eine Indoor-Hundehütte für Bentley und einen Kratzbaum für Oliver, damit er seine Krallen schärfen und nach oben klettern kann. Die Sachen sind noch im Auto.“

Er warf sich ihr in die Arme. „Du bist die beste Gram auf der ganzen Welt!“

Lachend drückte sie ihn an sich.

„Mom, das ist Amanda Jenkins“, erklärte Holt. „Amanda, meine Mutter Deborah Dalton. Ich habe ihr vorhin erzählt, dass wir uns damals im Sommercamp kennengelernt und bei Happy Hearts wiedergetroffen haben.“

„Wie klein die Welt doch ist!“, sinnierte Deborah. „Bleiben Sie doch zum Dinner. Es ist in einer halben Stunde fertig. Ich habe so einen tollen Backofen mit Pizzastein und heute gibt es das Lieblingsessen der ganzen Familie.“

Amanda presste die Lippen zusammen und blickte zu Holt.

Er hatte den Eindruck, dass sie bei ihm Hilfe suchte, um die Einladung abzulehnen. Doch er wollte, dass sie blieb.

Robby strahlte sie an. „Mega! Du bleibst zum Essen!“ Zu Deborah sagte er: „Sie hat uns bei Happy Hearts geholfen. Sie ist sehr nett.“

„Das ist sie allerdings“, bestätigte Holt. „Amanda, ich hoffe, dass du bleiben kannst. Oder hast du was anderes vor?“ Da, ich biete dir einen Ausweg, aber nimm ihn bitte nicht an!

„Ich bleibe sehr gern.“ Sie wandte sich an Deborah. „Vielen Dank für die Einladung. Kann ich helfen?“

„Aber nein. Genießen Sie nur Ihren Besuch bei meinem Sohn und meinem Enkel.“

„Ich bringe Oliver und Bentley Tricks bei“, verkündete Robby. Er setzte sich wieder auf den Fußboden und erzählte ihnen, dass seine Gram ihm immer seine Lieblingspizza mit viel Champignons machte.

Holt freute sich sehr über Amandas Entscheidung. Er wollte sich noch nicht von ihr verabschieden, sondern diese neue ältere Version näher kennenlernen. Doch er sah ihr an, dass sie ihm gegenüber argwöhnisch war. Vielleicht war das besser so. Er hatte eine Menge um die Ohren. Seine Arbeit auf der Ranch. Noch fast einen Monat Sommerferien ohne Betreuung für Robby. Und dazu das gestörte Verhältnis zu seinem Vater, das letzte Woche auf einen Tiefpunkt gesunken war, als Neal Dalton einen Riesenaufstand gemacht hatte, weil Robby eines der Hühner beim Füttern entwischt war.

Seit diesem letzten Vorfall distanzierte Holt sich von seinem Vater und sprach kaum noch ein Wort mit ihm, denn er war die unablässigen Beschwerden gründlich leid.

Doch Deborah hatte ihn ausdrücklich gebeten, an diesem Dinner teilzunehmen. Nun musste er eine Konfrontation mit seinem Vater und dazu Amandas Rückkehr in sein Leben verkraften – und er hatte keine Ahnung, wie er beides bewerkstelligen sollte.

3. KAPITEL

Das Haupthaus auf Dalton’s Grange, dessen gewölbte Decken und Bogentüren an Holts Blockhütte erinnerten, war riesengroß. Bei acht Daltons, die auf dem Grundstück lebten, brauchte es natürlich viel Raum für Familienzusammenkünfte.

Der Esstisch bot genügend Platz für alle. Holt und Amanda saßen einander gegenüber im mittleren Bereich. Robby saß zwischen ihm und seinem vierunddreißigjährigen Onkel Morgan, der durch blonde Haare und blaue Augen aus der Reihe tanzte. Trotzdem war die Familienähnlichkeit unverkennbar durch Augenform, Nase und sogar Mimik. Holt war mit zweiunddreißig der Zweitälteste. Der dreißigjährige Boone bildete die goldene Mitte. Shep und Dale waren beide in den Zwanzigern und lebten mit Neal und Deborah im Haupthaus.

Amanda hatte die Zeit vor dem Dinner für das Interview und die Fotostrecke für die Website von Happy Hearts genutzt. Außer Fotos von Robby und seinen Haustieren hatte sie nun zu viele Bilder von Holt in ihrem Handy – allzeit verfügbar zum Bewundern.

Sie hatte verwunderte neugierige Blicke auf sich gespürt, als sie den Dalton-Männern vorgestellt worden war. Offensichtlich brachte Holt für gewöhnlich keine Frau mit nach Hause.

Nun nahm sie sich ein Stück Gemüse-Pizza, die köstlich aussah, und blickte in die Runde, während die Daltons über die Ranch im Allgemeinen und ein entlaufenes Pferd im Besonderen plauderten. Schließlich richtete sich das Gespräch auf Bentley und Oliver, die den Kratzbaum und die Hundehütte eifrig in Besitz genommen hatten.

Während Robby unaufhaltsam über seine neuen Lieblinge plapperte, schien sein Großvater am Kopfende des Tisches immer gereizter zu werden. Seine missmutige Miene bestätigte, dass seine Ungeduld gegenüber seinem Enkel tatsächlich so ausgeprägt war, wie Holt behauptet hatte.

„Gramps, kommst du nach dem Essen auch mit zu Bentley und Oliver wie die anderen?“, fragte Robby.

Alle Augen richteten sich auf Neal. Deborah fixierte ihn mit einem warnenden Blick.

„Natürlich“, sagte er mit einem Lächeln.

Robby strahlte und nahm sich noch ein Stück Champignon-Pizza.

Amanda atmete auf. Es bestand Hoffnung. Neal hätte Nein sagen können, aber anscheinend lag ihm mehr an seinem Enkel, als er sich oftmals anmerken ließ.

Im Laufe des Abends, der von angeregten Gesprächen und viel Gelächter geprägt war, wuchs in ihr eine gewisse Wehmut. In ihrer eigenen Familie waren die Mahlzeiten ganz anders abgelaufen. Bei Tisch war kaum ein Wort gefallen. Vielleicht hatte sie sich deshalb zu einem Bücherwurm entwickelt, denn das Lesen erlaubte ihr, in andere Welten einzutauchen, ein Teil der Storys, der fiktiven Familien zu werden. Bei jedem Roman, den sie las, konnte sie in die Rolle der Titelheldin schlüpfen. Und nun, auf Dalton’s Grange, fühlte sie sich wie in einem besonders guten Buch.

An diesem Abend fiel es ihr ungewöhnlich leicht, mit anderen Menschen zu reden. Die Daltons bildeten einen warmherzigen gastfreundlichen Clan, selbst wenn Neal sich weniger zugänglich gab.

„Also dann, auf zum Nachtisch bei mir“, drängte Holt. „Ich habe heute Morgen drei Kuchen gebacken.“

„Daddy ist der beste Koch“, prahlte Robby und fügte schnell hinzu: „Gleich nach Gram.“

Deborah lachte. „Ich bilde mir ein, dass dein Daddy alles, was er in der Küche kann, von mir gelernt hat.“

„Warum hat das nicht auf mich abgefärbt?“, fragte Morgan.

Während die Brüder einander neckten, wünschte Amanda sich eine genauso eng gestrickte Familie, die an einem gewöhnlichen Wochentag zu einem Essen zusammenfand, weil alle nahe beieinander wohnten und aneinander hingen.

Auf dem Weg zum Blockhaus flüsterte sie Holt zu: „Ich fahre gleich nach Hause. Ich will nicht länger stören.“

„Du willst dir meinen Schokokuchen entgehen lassen? Meine Zitronensahnetorte? Machst du Witze?“

Und so kam es, dass sie kurz darauf in dem großen Ledersessel beim Kamin saß und beobachtete, wie Holts Brüder viel Tamtam um Bentley machten, während Oliver sich nur bis auf die Treppe vorwagte.

Holt servierte Kaffee und seine Kreationen im Wohnzimmer. Die Daltons aßen und tranken, redeten und lachten, und Amanda liebte es, in dieser geselligen Runde zu sitzen.

Dann wollte Robby testen, ob Bentley apportieren konnte. Dazu warf er eine Fernbedienung durch den Raum, die eine Lampe traf und umwarf, woraufhin Neal Dalton einen Wutanfall bekam.

„Robby! Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht? Eine Fernbedienung ist doch kein Stöckchen! Und im Haus wirft man nicht mit Gegenständen!“

Beschämt ließ Robby den Kopf hängen und barg das Gesicht in Bentleys schwarz-weißem Fell.

„Sachte, Dad!“, mahnte Holt. „Es war doch bloß ein Missgeschick.“

„Ganz genau“, pflichtete Deborah ihm bei. „Ich fege die Scherben schnell auf.“

„Ich mach das schon, Mom. Genieß du deinen Kaffee.“

Neal schüttelte den Kopf. „Wer kann schon seinen Kaffee genießen, wenn überall Glasscherben herumliegen?“

„Dad, willst du etwa behaupten, dass du bei fünf Söhnen nicht daran gewöhnt bist, dass irgendwas zu Bruch geht? Komm schon, mach dich mal lockerer.“

„Ich bin grantig, weil ich müde bin.“ Neal schenkte Robby ein vages Lächeln, stand auf und ging zur Tür. „Komm, Deborah. Wir müssen morgen früh aufstehen.“

Holt flüsterte ihr zu „Es ist okay, Mom.“

„Der Kuchen war köstlich.“ Sie blickte Amanda an. „Es hat mich entzückt, Sie kennenzulernen.“

Sobald die beiden gegangen waren, sagte Morgan zu Robby: „Mach dir nichts aus Grantig-Gramps.“

„Genau.“ Boone strich seinem Neffen durch das Haar. „Er hat es nicht so gemeint. Er ist bloß müde von einem langen Tag bei einem kranken Bullen.“

Holt hakte nach: „Wie gehts dem Bullen?“

„Er wirds überleben.“

Dale berichtete: „Ich hab mal eine Fernbedienung nach Shep geworfen, weil der sich über mich lustig gemacht hat. Dabei habe ich Gramps’ Lieblingsbecher vom Tisch geschleudert. Er hat mir zehn Minuten lang die Hölle heißgemacht und mir Stubenarrest verpasst. Mom hat mir später gesagt, dass er gar nicht auf mich sauer war, sondern wegen einer saftigen Steuernachzahlung so mies drauf war.“

„Daran kann ich mich erinnern“, bestätigte Shep. „Und nebenbei bemerkt zielst du immer noch so miserabel wie damals.“

Robby lachte. „Also ist Gramps gar nicht sauer auf mich?“

„Aber nein“, versicherte Holt. „Du hast die Lampe ja nicht mit Absicht umgeworfen. Aber wenn du nächstes Mal apportieren spielen willst, musst du vorher nach draußen gehen. Verstanden?“

„Ja, Daddy.“

„Und nimm dafür keine Fernbedienung. Nimm lieber Onkel Morgans Schuh.“

Grinsend täuschte Morgan einen Boxhieb in Holts Magen vor. „Das wirst du mir büßen!“

Robby lachte.

Amandas Augen wurden ein wenig feucht angesichts des rührenden Familienzusammenhalts.

Und dann verabschiedeten sich Holts Brüder und sie blieb als einziger Gast im Haus zurück.

Der ursprüngliche Grund für ihren Besuch war weggefallen, da Oliver und Bentley längst unter dem Bett hervorgekrochen waren, und auch das Dinner inklusive Dessert war vorbei. Trotzdem wollte sie noch nicht gehen.

Holt wollte unbedingt Amandas Aufenthalt in seinem Haus verlängern. Daher war er Robby unendlich dankbar, der sie bat, ihm eine Gutenachtgeschichte vorzulesen.

Ohne Zögern erklärte sie sich bereit. Es schien ihr zu gefallen, der neue Lieblingsmensch im Leben eines kleinen Jungen zu sein.

In seinem Zimmer zog sie sich den Schreibtischstuhl an sein Bett, während Holt es sich in dem Sessel beim Fenster bequem machte. In den letzten sieben Jahren, schon vom zweiten Tag nach der Geburt an, hatte er seinem Sohn unzählige Bücher vorgelesen.

Sally Anne hatte es nie interessiert, Robby zu füttern oder zu baden oder mitten in der Nacht zu wickeln. Also hatte Holt all das übernommen. Ihm war die Vaterschaft leichtgefallen, weil er seinen Sohn, der ihm bis auf die babyblauen Augen von seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, seit dem ersten Moment an inniglich liebte.

Amanda nannte den Titel der Kurzgeschichte, die sie ausgesucht hatte. „Rocco und der Fall des verschwundenen Schokokuchens.“

Robby gähnte, zog sich die Decke bis zum Kinn hoch und murmelte: „Die Geschichte ist super.“

„Gute Nacht, Kumpel“, wünschte Holt. „Für den Fall, dass du gleich einschläfst.“

„Nacht, Daddy. Nacht, Bentley. Nacht, Oliver.“

Oliver hockte auf der obersten Stufe seines Kratzbaums, während Bentley es sich auf dem Fußende des Bettes bequem gemacht hatte, als würde er schon immer zur Familie gehören.

Sie begann zu lesen.

„Moment“, unterbrach Robby. „Danke, dass du mir vorliest. Gute Nacht.“

„Das tue ich sehr gern. Gute Nacht.“

Mit jedem Wort, das sie las, fielen ihm die Augen weiter zu, und auf Seite drei schlief er tief und fest.

Lächelnd flüsterte sie: „Dann bin ich hier wohl fertig.“

Leise entgegnete Holt: „Ich hoffe, ich kann dich überreden, auf eine Tasse Kaffee zu bleiben, nachdem das Dessert vorhin so abrupt unterbrochen wurde.“

„Klingt gut.“

Unten in der Küche brühte er Kaffee auf und schlug vor: „Setzen wir uns doch auf die Terrasse, damit Bentley eine Weile in den Garten kann.“

Amanda schwärmte von dem milden Abend und dem wundervollen Mond, aber Holt hatte Augen nur für sie. Es war wie damals bei ihrer allerersten Begegnung, als ihn ein seltsames Gefühl überwältigt hatte, das über bloße Zuneigung hinausging. Er wusste selbst nicht genau, was es war, aber wenn er sie ansah, fühlte sich alles richtig in seiner Welt an. In den letzten Jahren als Single war es ihm bei den gelegentlichen Dates stets vorgekommen, als ob die betreffende Frau und er von verschiedenen Planeten stammten. Mangelnde Übereinstimmung, falsche Chemie. Mit Amanda dagegen passte einfach alles.

Er holte Bentley aus dem Kinderzimmer, setzte sich zu ihr auf die Terrasse und stellte die Kaffeebecher auf den Tisch. Dann lehnte er sich zurück und beobachtete, wie der Hund den Garten erforschte und an jedem Grashalm schnüffelte.

Nach einer Weile sagte er: „Tut mir leid wegen der peinlichen Szene zwischen meinem Dad und Robby.“

„Tja, dadurch habe ich selbst erlebt, was du mit der Ungeduld deines Vaters gemeint hast. Mir hat gut gefallen, wie du Robby erklärt hast, was an seinem Verhalten falsch war.“

Er strich sich mit einer Hand über das Gesicht. „Ich bin froh, dass du das sagst. Ich weiß oft nicht, ob ich zu nachsichtig bin oder ihm zu sehr zusetze.“

„Offensichtlich findest du den richtigen Mittelweg. Was glaubst du wohl, warum du sonst sein Held bist?“

Eine wohlige Wärme breitete sich in Holt aus. Verdammt. Sie setzt mir zu. „Ich hatte ganz vergessen, dass du mitgehört hast, was er bei Happy Hearts zu der Kuh über mich gesagt hat.“

Amanda schmunzelte. „Ich fasse immer noch nicht, dass ich ‚wie süß ist das denn‘ gesagt und dabei gedacht habe, dass ich mit einem Fremden rede. Dabei war es in Wirklichkeit …“

„Der Typ, der die Frau, die er geliebt hat, wie ein herzloser Schuft behandelt hat“, warf er ein.

„Du hast mich eindeutig nicht geliebt. Sonst hättest du dich nicht von mir abgewendet.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe mich abgewendet, gerade weil ich dich geliebt habe. Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber du warst die erste Person, die mich behandelt hat, als wäre ich nicht nur etwas wert, sondern etwas Besonderes. Fast wie ein Golden Boy.“ Er schüttelte den Kopf. „Ausgerechnet ich!“

„Genau der warst du. Ich habe dich nicht erschaffen. Ich habe mich in genau das verliebt, was ich vor mir gesehen habe.“

Das hatte Holt nie vermutet. Er war immer davon ausgegangen, dass sie sein wahres Ich niemals akzeptiert hätte. Aus Angst vor einer Abfuhr hatte er etwas von einem Wandervogel gefaselt, ihr Glück gewünscht und sie einfach stehen lassen. Den Ausdruck auf ihrem Gesicht hatte er nie vergessen. Die Verwirrung. Die Enttäuschung. Den Schock. Und seinen eigenen Kummer über die Trennung trug er seitdem mit sich herum.

Um das leidige Thema zu wechseln, bemerkte er: „Mich wundert, dass du doch nicht Lehrerin für Kinder mit besonderen Bedürfnissen geworden bist.“

Amanda nippte an ihrem Kaffee. „Während des Studiums und einem Schulpraktikum ist mir klar geworden, dass ich viel zu schüchtern bin, um es mit einer Klasse von fünfundzwanzig Grundschulkindern aufzunehmen. Mir hat es gefallen, über Erziehungsmethoden zu lernen, aber der Lehrerberuf erfordert Fähigkeiten, die ich einfach nicht habe.“

„Es muss hart gewesen sein, das einzusehen, oder?“

„Na ja, es ist wichtig zu wissen, wer du bist und wo deine Stärken liegen. Mich als schüchterner Bücherwurm hat es zuerst gewundert, dass ich gut in Marketing und Social Media bin. Aber dabei geht es weniger um den Umgang mit Menschen als mit Werbekampagnen. Ich kann all meine Ideen, meinen Elan und meine Leidenschaft ins Internet projizieren.“

„Das ist interessant. Wie hast du denn rausgefunden, dass du gut in Marketing bist?“

„Ich habe im College an einem Seminar teilgenommen und dann ein Praktikum auf einer luxuriösen Ferienranch für Promis absolviert. Dabei habe ich meine Berufung gefunden. Social Media in der Wildnis von Montana. Ich liebe diesen Beruf, aber ich habe mich nicht ganz von der Pädagogik abgewendet. Ich gebe an der Grundschule ehrenamtlich Nachhilfe.“

Holt drehte den Oberkörper zu ihr um. „Auch im Lesen?“

„Ja. Warum?“

„Würdest du vielleicht Robby in den Sommerferien Privatunterricht geben? Er hat zu wenig Selbstbewusstsein. Ich möchte, dass er in dem Wissen in die zweite Klasse kommt, dass er nicht mehr in die schlechteste Lesegruppe gehört.“

Amanda seufzte. „Kinder sind sich so bewusst, wohin sie akademisch und sozial gehör...

Autor

Melissa Senate
<p>Melissa Senate schreibt auch unter dem Pseudonym Meg Maxwell, und ihre Romane wurden bereits in mehr als 25 Ländern veröffentlicht. Melissa lebt mit ihrem Teenager-Sohn, ihrem süßen Schäfermischling Flash und der spitzbübischen Schmusekatze Cleo an der Küste von Maine im Norden der USA. Besuchen Sie ihre Webseite MelissaSenate.com.</p>
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