Bianca Extra Band 141

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CINDERELLA UNTERM MISTELZWEIG von CHRISTY JEFFRIES

Die Weihnachts-Gala ist für Camilla wie ein Traum: Der begehrteste Junggeselle der Stadt, der vermögende Jordan Taylor, flirtet mit ihr und will sie wiedersehen. Dabei ist sie doch nur eine Kellnerin! Aber beim Abschied nennt er sie bei einem falschen Namen – für wen hält er sie?

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  • Erscheinungstag 19.10.2024
  • Bandnummer 141
  • ISBN / Artikelnummer 0802240141
  • Seitenanzahl 432

Leseprobe

Christy Jeffries

1. KAPITEL

Jordan Taylor wusste natürlich, dass Partys in sehr reichen und geschäftlich gut vernetzten Kreisen gern von hübschen Damen besucht wurden. Auf der Denim-and-Diamonds-Gala seines Vaters und dessen aktueller Ehefrau würde also auch dafür gesorgt sein.

Die Schlagwörter des Mottos – Jeans und Diamanten – waren allerdings nicht zu gleichen Teilen repräsentiert: Diamanten waren deutlich in der Überzahl.

Für das Fest war auf der Ranch der Familie Taylor alles aufgeboten: ein riesiges Zelt, das im Garten aufgebaut war, üppige Blumendekorationen, feinste Filets von Taylors besten Rindern, eine ausgezeichnete Band und ein extra errichteter Tanzboden. Dazu flossen Ströme von Champagner.

Die Freunde und Nachbarn in Bronco Heights, Montana, mochten glauben, Zweck der Veranstaltung sei die Spendensammlung für notleidende Familien im ärmeren Stadtteil Bronco Valley. Doch Jordan wusste es besser: Cornelius Taylor III nutzte jede Gelegenheit, sich selbst, sein Geschäft, seine Ranch und seine Familie in Szene zu setzen – und zwar in genau dieser Reihenfolge.

In seinem Smoking, den er extra für diesen Anlass aus der hintersten Ecke seines Schrankes geholt hatte, lehnte Jordan lässig an einem der mit Jeansstoff behängten Stehtische und prostete seinem Vater sowie dessen erheblich jüngerer Ehefrau Jessica, die im Mittelpunkt der eleganten Gästeschar Hof hielten, leicht spöttisch zu. Mit einem Schluck leerte er sein Glas mit erstklassigem Scotch und hielt Ausschau nach weiblicher Gesellschaft, die ihm den Abend versüßen könnte.

Entgegen seinem Ruf war Jordan durchaus wählerisch. Sein Blick glitt über die anwesenden Damen: zu jung, zu alt, zu langweilig, zu verheiratet, zu zickig …

Um ein attraktives weibliches Wesen zu finden, das er noch nicht kannte – oder vielmehr, das ihn nicht kannte –, würde er wohl außerhalb Broncos suchen müssen. Oder besser gleich jenseits von Montana.

Soeben erschien seine Schwester Daphne am Eingang und zögerte kurz. Rasch schnappte Jordan sich zwei Champagnergläser vom Tablett eines vorbeieilenden Kellners und steuerte direkt auf Daphne zu.

„Die abtrünnige Tochter ist zurück!“ Er küsste ihre Wange und überreichte ihr eines der Kristallgläser.

„Deswegen muss man aber nicht gleich ein Gelage geben“, gab sie zurück und stürzte den Champagner hinunter. „Du weißt ja, dass ich so was nicht ausstehen kann.“

Grinsend reichte Jordan ihr auch das zweite Glas. „Deshalb habe ich bei der Partyplanerin rechtzeitig eine Salatbar und ein Angebot für Vegetarier bestellt.“

Als Daphne ihrer viehzüchtenden Familie eröffnet hatte, sie sei nun Vegetarierin, hatte Cornelius Taylor das für einen vorübergehenden Spleen seiner jüngsten Tochter gehalten. Als sie dann noch einen Gnadenhof für Tiere eröffnet hatte, anstatt ins Familiengeschäft einzusteigen, hatte er ihr vorgeworfen, das Erbe der Taylor’schen Vorfahren mit Füßen zu treten. Auch ihre drei Onkel und eine Schar Cousins und Cousinen standen treu zur Familientradition, und Daphne hatte sich einer ziemlichen Front gegenübergesehen. Umso mehr bewunderte Jordan den Mut seiner Schwester.

„Danke.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin zu nervös, um zu essen. Wie hat Dad reagiert, als du ihm sagtest, dass ich komme?“

Das wollte Jordan lieber nicht wiederholen. Die barschen Worte seines Vaters würden die Kluft nur vertiefen. Aus genau diesem Grund hatte Jordan um Daphnes Besuch herum diese Gala organisiert. Vor so vielen Gästen konnte sein Vater schlecht lospoltern.

Daphne verzog das Gesicht. „Glücklicherweise hat Dad ja heute den Kronprinzen von Bronco Heights als seinen Vorzeige-Erben dabei.“ Sie leerte das zweite Glas. „Nicht, dass du diese Bezeichnung nicht verdienst. Wie nannte dich dieser Klatschkolumnist letzte Woche doch gleich? Den ‚Unzähmbaren‘?“

„Ich mag die Frauen nun mal.“ Jordan verschränkte die Arme über der Brust. „Und weshalb ist das jetzt eine Klatschmeldung wert?“

„Weil du Frauen gesagt hast, Plural, Jordan. Nach ein, zwei Wochen wird dir jede langweilig und du hast die nächste, bevor wir uns von der vorigen auch nur den Namen merken konnten. Das geht wie am Fließband!“

„Wie soll ich mich binden, wenn ich die Richtige noch nicht getroffen habe?“

„Es besteht keine Notwendigkeit, dich so schnell zu binden, mein Sohn!“, mischte sich Cornelius ein und gab Jordan einen Klaps auf die Schulter. „Auch ich hätte mir länger die Hörner abstoßen sollen, bevor ich deine Mutter traf. Das hätte mir jede Menge Alimente und Anwaltsgebühren erspart.“

Jordan presste seine Lippen aufeinander. Dass Cornelius Jordans Mutter erwähnte, was so gut wie nie geschah, sollte wohl seine Verbundenheit mit seinem Ältesten demonstrieren – und gleichzeitig seine Tochter brüskieren. Doch die stieg nicht darauf ein.

„Daphne!“ Jessica rauschte heran und hängte sich bei Daphne ein. „Wie schön, dass du kommen konntest! Hier ist jemand, den du unbedingt treffen musst!“ Damit zog sie mit Daphne ab.

„Hat sie dich nach einem Darlehn gefragt?“, knurrte Cornelius.

„Daphne? Nein. Weshalb sollte sie?“

„Für ihr Hippie-Hearts-Tierheim.“

„Du weißt ganz genau, dass es ‚Happy Hearts‘ heißt! Und nein, sie kommt klar finanziell.“

„Und sollte das nicht der Fall sein, lass es mich wissen. Auch wenn ich ihre jüngsten Entscheidungen nicht billige, müssen wir Taylors ein Auge aufeinander haben. Nicht, dass ihre Futterlieferanten oder Hilfskräfte sie noch ausnutzen!“

Jordan wusste schon, was gleich wieder folgen würde.

„Noch einen McAllen bitte!“, bestellte er rasch einen weiteren Whiskey bei einem vorbeieilenden Kellner. „Oder bringen Sie besser gleich die ganze Flasche!“ Anders war die ständige Leier seines Vaters über ‚Ausbeutung‘, ‚Goldgräber‘ und ‚es auf das Familienvermögen abgesehen haben‘ nicht zu ertragen.

Jordan hatte schon auf Durchzug geschaltet, als plötzlich ein Traum in Gold seine Aufmerksamkeit wieder schärfte: Eine Brünette in einem schillernden Paillettenkleid schenkte der Person neben ihr ein hinreißendes Lächeln. Vielleicht war auch ihr tiefer V-Ausschnitt Jordan ins Auge gestochen. Auf jeden Fall zogen diese vollen roten Lippen und das umwerfende Lächeln ihn augenblicklich in ihren Bann.

Ihr Haar war zu einem langen dunklen Pferdeschwanz gebunden und ihr olivfarbener Teint schimmerte wie polierter Topas. Funken schienen aus diesen großen braunen Augen zu sprühen, als sie über eine Bemerkung ihres Gesprächspartners lachte. Zu gern wäre Jordan in dem Moment an dessen Stelle gewesen.

„Wer ist die Frau da drüben?“, unterbrach er den endlosen Monolog seines Vaters.

„Die in dem goldenen Kleid?“ Cornelius kniff die Augen zusammen, denn eine Brille zu tragen verbot ihm seine Eitelkeit. „Das ist die Tochter von José Balthazar. Ich traf sie letztes Jahr auf einer Veranstaltung des Internationalen Viehzüchterverbands in Rio. Ihr Name fällt mir gerade nicht ein, aber ich bat Jessica, ihr eine Einladung über ihre amerikanische Niederlassung zu schicken.“

Jordan war hellwach. Bildschön, von Haus aus reich und vermutlich eine clevere Geschäftsfrau, falls sie nach ihrem Vater geriet – genau die richtige Ablenkung von seinem persönlichen Familiendrama.

Der Kellner erschien mit der Whiskeyflasche und zwei Kristall-Tumblern auf einem Silbertablett.

„Ich sollte mich Miss Balthazar wohl mal vorstellen“, sagte Jordan zu seinem Vater, schnappte sich mit einer Hand die Flasche und mit der anderen das Tablett. „Muss ja schließlich über unsere Auslandsgeschäfte auf dem Laufenden sein.“

„Sorg dafür, dass sie einen schönen Abend hat!“, hatte Cornelius schnell noch einen ungebetenen Ratschlag parat. „Wir brauchen die Balthazars und ihre Logistikpartner, um unsere Exportkosten niedrig zu halten!“

Dabei waren Geschäfte das Letzte, was Jordan gerade im Sinn hatte.

In dem Märchen geht Cinderella aus purer Neugier zu dem Ball, um zu sehen, wie die reichen Menschen leben. Camilla Sanchez war heute aus einem anderen Grund auf dem Fest: um Kontakte zu knüpfen zu potenziellen Investoren für das Restaurant, das sie seit sechs Jahren sorgfältig plante.

Denn bei Diamonds and Denim wurde gesammelt, um Projekte zu unterstützen, und zwar äußerst großzügig durch die oberen Zehntausend von Montana, zu denen Camilla ganz und gar nicht gehörte.

Bronco bestand aus zwei Zonen: Bronco Heights, wo die wohlhabenden Viehbarone und Großgrundbesitzer sich auf Veranstaltungen wie dieser die Klinke in die Hand gaben und ihren Reichtum zur Schau stellten, und Bronco Valley, wo Camilla wohnte.

So aufgeregt sie auch gewesen war, als ihr Chef DJ Traub und seine Frau sie eingeladen hatten, sie zu der Party zu begleiten und an ihrem Tisch zu sitzen, hatte es keine Stunde gedauert, bis Camilla sich wie erschlagen und fehl am Platze fühlte. Weder konnte sie einen Spendenscheck ausschreiben noch bei den Auktionen mitbieten und rechnete insgeheim damit, jeden Moment hinausgewiesen zu werden. Sie war der Jeansstoff unter den ganzen Diamanten hier.

Höflich lächelte sie Melanie Driscoll, ihrer früheren Vorgesetzten, zu und wollte gerade auf ihre Armbanduhr schauen; doch an deren Stelle zierten heute nur einige Modeschmuck-Armbänder ihr Handgelenk. Ob wohl auch Cinderella jemals vorzeitig von dem Ball des Prinzen hatte flüchten wollen?

Wenigstens würde ihr geliehenes Abendkleid, das sie sich von ihrem Kellnerinnen-Gehalt niemals hätte leisten können, nicht um Mitternacht verschwinden. So etwas Freizügiges hatte sie noch nie getragen. Sie schaute an sich herunter und versuchte, den tiefen Ausschnitt diskret zu richten. Als sie wieder hochblickte, sah sie sich den schwarzen Seidenaufschlägen einer Smokingjacke gegenüber.

„Gestatten Sie mir, Sie auf der Taylor Ranch willkommen zu heißen!“ Der Klang der sehr männlichen und doch sanften Stimme löste ein Prickeln bei ihr aus, bevor sie überhaupt den Blick heben konnte.

Jordan Taylor musste sich nicht extra vorstellen. Er war auf der Highschool einige Jahrgänge über ihr gewesen und Topspieler der American-Football-Mannschaft. Die Medien waren voll von Fotos und Berichten über ihn. Überhaupt war jedem, der mindestens ein halbes Jahr in Montana lebte, die berühmte Familie Taylor ein Begriff. Über Jordan wurde auch als „Der Kronprinz“, „Bronco Heights fähigster Rancher“ oder „Der Unzähmbare“ gesprochen.

Ausgerechnet er hieß sie hier willkommen und bot ihr ein Glas … Scotch? an? Mochte sie überhaupt Scotch? Nun ja, wenn sie ihn von ihrem Restaurant-Projekt und ihren Kenntnissen überzeugen wollte, musste sie jetzt loslegen. Also nahm sie beherzt das Glas, das er mit einer eleganten Bewegung aus der sicher sündteuren Flasche befüllt hatte, entgegen.

Kurz haderte sie, ob sie sich vorstellen sollte. Aber das wäre vielleicht merkwürdig, denn er hatte das ja auch nicht getan. Um sich zu beruhigen, schenkte sie ihm ein Lächeln und nickte ihm angesichts seiner kellnerischen Leistung zu. „Darin haben Sie anscheinend Übung!“

Sein charmantes Grinsen ließ zwei Grübchen in seinen Wangen erscheinen. Ein reicher Junge, der gewohnt war, zu bekommen, was er immer er wollte. „Ich habe während meiner Collegezeit öfter den Barkeeper gespielt.“

„Oh, tatsächlich?“ Camilla nippte an dem Glas und versuchte, sich zu konzentrieren. Schließlich war sie hier, um Investoren zu finden. Und wenn er Erfahrungen im Service hatte, war er vielleicht interessiert an ihrem Projekt. „In einem Restaurant oder einer Bar oder …“

Er lachte. „Nein, nicht beruflich, sondern bei den Partys unserer Studentenverbindung. Ich kann eine heftige Sangria mixen!“

Selbstverständlich hatte der Erbe des Taylor-Vermögens nicht jobben müssen! Camilla spülte ihre Verlegenheit mit einem kräftigen Schluck hinunter und war genug Profi im Service, um sogleich ein freundliches Lächeln hervorzuzaubern: „Das wusste die Studentinnen-Schwesternschaft sicher zu schätzen!“

„Unter uns gesagt …“ er beugte sich näher zu ihr und Camilla wurde ganz warm – das musste der Scotch sein! –, „… Mein Job als Barkeeper war eher mein Trick, mir die Damen der Schwesternschaft vom Hals zu halten. Oder zumindest nicht mit ihnen tanzen zu müssen.“

Der Leadsänger der Band forderte die Gäste auf, die Versteigerungsobjekte zu besichtigen und sich in die Bieterlisten für die „stille Auktion“ – eine Auktion ohne Auktionator – einzutragen.

Während sich die Tanzfläche leerte, fragte Jordan: „Wie geht es Ihrem Vater?“

„Meinem Vater?“ Woher kennt Jordan Taylor meinen Vater? Aaron Sanchez war seit dreißig Jahren Briefzusteller und stellte einem Jordan Taylor seine Post wohl kaum persönlich zu.

„Gut“, gab sie vage zurück.

„Wie ich hörte, musste er sich letzten Monat einer Operation unterziehen.“ Jordan leerte sein Glas. „Meine Assistentin hat ihm einen Präsentkorb mit Wein geschickt, glaube ich.“

„Einen Präsentkorb?“ wiederholte sie irritiert. Eine Nachbarin hatte einen Auflauf vorbeigebracht nach der Ballen-Operation ihres Vaters. Aber an einen Präsentkorb, noch dazu von den Taylors, konnte sie sich nicht erinnern.

„Apropos Väter“, fuhr Jordan fort. „Mein Vater erwähnte, dass Sie und Ihre Familie Ihre Geschäftsverbindungen in Bronco Heights ausbauen wollen.“

Nun war Camilla vollends perplex. Woher konnte er das wissen? Ließen die Taylors etwa ihre Gäste im Vorfeld ausspionieren? Und „Geschäftsverbindungen ausbauen“ war dann doch etwas hochtrabend. Ihre Mutter führte einen etwas besseren Schönheitssalon, aber das war es dann auch schon mit den „Geschäftsverbindungen“ der Familie Sanchez. Sie räusperte sich.

„Also das Restaurant, das ich eröffnen will, ist eher mein Projekt als das meiner Familie. Natürlich unterstützen sie mich, soweit sie können, aber tatsächlich suche ich externe Investoren.“

In dem Moment, als sie „externe Investoren“ gesagt hatte, hatte Jordan seinen Blick von ihr gelöst und schien etwas Interessanteres entdeckt zu haben. Na super! Offenbar langweilte sie ihn bereits! Immerhin war er höflich genug zu fragen: „Was für eine Art Restaurant?“

„Vorwiegend mexikanisch, aber kein Texmex. Ich habe Unmengen alter Rezepte von meiner Großmutter. Zwar bin ich keine gelernte Köchin und müsste für die Küche jemanden einstellen. Aber ansonsten habe ich viel Erfahrung im Restaurantbetrieb.“ Camilla hatte ihr Verkaufsgespräch vor dem heutigen Abend mehrmals vor dem Spiegel durchgespielt. Doch nun, wo sie vor dem wohlhabendsten – und zudem bestaussehenden – Mann in Montana stand, lief alles schief.

Jordan schien ihr gar nicht mehr zuzuhören, sondern fixierte eine sehr hübsche und sehr schwangere Frau an der anderen Seite der Tanzfläche.

„Müssten Sie mit ihr sprechen?“, fragte Camilla mit dem gleichen freundlichen Lächeln, mit dem sie ihre Gäste fragte, ob sie die Rechnung bringen solle.

„Oh nein.“ Jordan schenkte ihr wieder seine Aufmerksamkeit. „Erica ist mit meiner Schwester befreundet und ich dachte nur gerade, dass Daphne sich bestimmt über ein vertrautes Gesicht freuen würde.“

„Dann ist sie also eine Freundin der Familie?“, hakte Camilla nach, auch wenn ihr klar war, dass es sie nicht mal etwas anginge, wenn er jede Lady auf der Gala anstarren würde. Als „begehrtester Rancher“ wurde er sicher nicht bezeichnet, weil er sich auf eine einzige Frau beschränkte. Er war äußerst charmant und Camilla war genug gut aussehenden Männern begegnet, um einen Aufreißer zu erkennen.

„Unsere Familien kennen sich schon lange. Erica und ich sind sogar ein paar Mal miteinander ausgegangen, als ich in den Collegeferien zu Haus war. Sie zog kürzlich wieder nach Bronco und es ist seltsam, Menschen wiederzusehen, mit denen ich praktisch aufwuchs und die jetzt als Erwachsene ganz andere Leben haben.“

Seine Worte berührten Camilla und ein Blick in seine Augen ließ sie für einen Moment lang zweifeln, ob all die Gerüchte über ihn wirklich stimmten. Doch der Augenblick war schnell vorbei.

„Das kenne ich“, sagte sie. „Wenn eine meiner Freundinnen heiratet oder ein Baby bekommt, fühlt es sich für mich immer so an, als würden alle ihren Weg weitergehen und nur ich trete auf der Stelle.“

„Genau!“ Er schwenkte die Scotchflasche. „Wenn man mit dreißig nicht unter der Haube ist und die Familienplanung in Angriff genommen hat, denken alle, irgendwas stimmt nicht mit einem.“

Ihr Blick glitt an seinen breiten Schultern und schmalen Hüften in dem maßgeschneiderten Smoking hinunter.

„Ich bezweifle sehr, dass irgendjemand glaubt, mit Ihnen stimme etwas nicht!“ Kaum war es heraus, hätte Camilla sich auf die Zunge beißen mögen, und hoffte, ihre Worte seien in den ersten Takten des neuen Songs untergegangen.

Doch sein mokantes Lächeln machte ihre Hoffnung zunichte. „Wenn die schönste Frau im Saal das sagt, lasse ich das mal so stehen.“

Camilla spürte, wie sie rot wurde. Hoffentlich kaschierte ihr preiswertes Rouge diese Peinlichkeit!

„Das ist doch nicht meine persönliche Einschätzung!“, sagte sie rasch. „Was das Thema Bindung angeht, sitzen wir wohl eher im selben Boot. Man ist so eingespannt, dass man sich gar nicht vorstellen kann, wie da noch Kapazität für einen Partner bleiben sollte.“

Er hob die Brauen und Camilla wollte gerade geschickt auf ihr Restaurant zurückkommen, als er unvermittelt fragte: „Kennen Sie diesen Song?“

Die Band spielte einen Song von Bruno Mars, und Camilla bewegte unwillkürlich ihre Hüften zu dem Hip-Hop-Beat. „Das ist einer meiner Lieblingssongs.“

„Meiner auch.“ Er nahm ihr das Glas aus der Hand, stellte die Flasche und die Gläser auf einem nahen Stehtisch ab und dirigierte Camilla in Richtung Tanzfläche. „Zeigen wir doch mal allen, dass wir uns noch austoben müssen, bevor wir uns binden!“

Zu dem Hip-Hop-Song tanzte jeder für sich. Trotzdem war da sofort eine Verbindung zwischen ihren Körpern, eine gewisse Synchronizität der Bewegungen. Das nächste Lied war von Beyoncé und lockte noch mehr Menschen auf die Tanzfläche. Doch die Art, wie Camilla und Jordan sich miteinander bewegten, schien auch den anderen Tanzenden aufzufallen, denn trotz der vollen Tanzfläche ließen sie den beiden Raum. Die mitreißende Musik sog Camilla ein und lenkte ihren scharfen Verstand ab; sie musste sich zusammenreißen, damit ihr Blick sich nicht in Jordans Augen verlor. Diese samtbraunen Augen, die sie anschauten, als sei sie die einzige Frau hier auf dem Fest …

Jordans Ruf interessierte sie minütlich weniger, und spätestens beim dritten Song hatte ihr Entzücken, dass der begehrteste Junggeselle von Bronco Heights sie zu seiner Tanzpartnerin auserkoren hatte, die Oberhand gewonnen.

Irgendwann hatte er sein Jackett ausgezogen und Camilla sah sich seinem breiten Brustkorb gegenüber, während sie sich gleichzeitig etwas sorgte, die Träger ihres Kleides könnten ins Rutschen geraten und zu viel von ihrer eigenen Brust enthüllen.

Das hatte sie auch schon ihrer Schwester Sofia, die Stylistin in einer exklusiven Boutique in Bronco Heights war und ihr das Kleid ausgeliehen hatte, zu bedenken gegeben; doch die hatte abgewunken.

Ihr diskretes Zurechtrücken der Träger zog Jordans Blick erst recht auf die gefährdete Zone.

Glücklicherweise wurde als Nächstes ein Schmuselied gespielt, bei dem Jordan sie ganz einfach in seine Arme nahm, was das Problem erst mal löste.

Sie spürte den warmen Stoff seines gestärkten Smokinghemds auf ihrem Dekolleté und legte ihre Arme um seinen Nacken. Sinnlicher Zedernholzduft stieg von seiner erhitzten Haut auf.

Zog er die spielerischen kleinen Kreise mit den Fingerspitzen auf ihrem Rücken, die ihr Gänsehaut verursachten, unbewusst oder wohlkalkuliert? Egal, genieß einfach den Moment! sagte sie sich. Wie lange schon war sie nicht mehr tanzen gewesen, seitdem sie nebenbei als Kellnerin jobbte und abends nur noch müde war!

„Hey, Camilla!“, riss die Stimme von DJ Traub sie aus ihrer Stimmung. Er tanzte mit seiner Frau jetzt neben ihr. „Hast du Jordan schon von deinen Restaurant-Plänen erzählt?“

Ach ja! Sie war ja hier, um Investoren zu finden, und nicht, um den Verführungskünsten des stadtbekannten Ladykillers zu erliegen!

Jordan antwortete an ihrer Stelle: „Camilla und ich sprachen kurz darüber. Wir haben nur noch nicht geklärt, ob Taylor Beef einer ihrer Hauptlieferanten wird.“

Camilla schaute erstaunt zu ihm auf. Jordan erwiderte ihren Blick und schlug vor: „Vielleicht sollten wir eine kleine Kostprobe nehmen?“

Meinte er das ernst? Sollte sich das so schnell und leicht fügen?

Sie ließ sich von ihm zu einer der Kochstationen führen, wo Häppchen von Beef Wellington und Roastbeef gereicht wurden. Der scharfe klare Duft der begleitenden Meerrettich-Knoblauch-Soße erdete Camilla wieder.

„Scheint ja kein Problem zu sein, deine Restaurant-Pläne zu realisieren, wenn schon DJ Traub darüber redet“, wechselte er locker zum ‚du‘ und reichte ihr einen Teller mit Häppchen, wobei seine Finger ihre leicht berührten.

DJ Traub, Inhaber von „DJ’s Deluxe“, war einer der bekanntesten Gastronomen in Montana. Dass er Camilla als Gast hierher mitgenommen hatte, zeigte, dass er an sie glaubte. Nun war es an ihr, Nägel mit Köpfen zu machen. Sie atmete tief durch und sagt beherzt:

„Vielleicht möchtest du meine Finanzplanung mal einsehen?“

„Sehr gern!“

Jordans Lächeln verursachte Camilla weiche Knie. „Soweit klar ist, dass ich das als Freund tue – nicht als Investor.“

„Oh.“ Mühsam verbarg sie ihre Enttäuschung.

Jordan hob ihr Kinn leicht mit einem Finger und schaute ihr direkt in die Augen. „Camilla, ich vermische niemals Geschäft und Vergnügen. Würden wir zusammenarbeiten, könnten wir nicht so miteinander tanzen. Und ich genieße es wirklich sehr, mit dir zu tanzen.“

„Aber ich kann dir einen meiner Onkel vorstellen“, fuhr er fort. „Lass uns noch was zu trinken holen und ein bisschen tanzen und dann suchen wir Onkel Thaddeus und reden vielleicht mit meinen Compagnons.“

Camilla folgte ihm zu einer der Bars im Umfeld des Zeltes. Einen Moment lang hatte sie gehofft, Jordan als Investor zu gewinnen sei ein leichtes Unterfangen. Doch das war wohl naiv gewesen; so etwas erforderte wohl weitreichendere Anstrengungen und Beziehungen. Außerdem hatte er vermutlich recht, dass sie aufgrund der Anziehung zwischen ihnen nicht gleichzeitig Geschäftspartner sein konnten.

Als Cornelius Taylor das Mikrofon ergriff, um zu verkünden, welch astronomischen Spendenbetrag sie eingenommen hatten, wollte sie Jordan gerade fragen, welcher Institution die Spende zufließen würde; doch sie registrierte, wie er die Zähne zusammenbiss, als sein Vater die Bühne betrat, und hielt sich wohlweislich zurück.

Anschließend zog Jordan sie wieder auf die Tanzfläche und in seine Arme und gab ihr etwas Nachhilfe in Rumba. Sie revanchierte sich mit einem Modetanz, den er brav mitmachte, und Camilla amüsierte sich königlich.

Beim nächsten langsamen Tanz hoffte sie gerade, das Lied möge niemals enden, als ein anderes Paar mit ihnen zusammenstieß.

Es war Erica Abernathy Dalton mit ihrem Ehemann und ihr Gesicht war leichenblass. „Ich glaube, das Baby kommt!“

2. KAPITEL

Camilla spürte den kurzen Druck von Jordans Hand an ihrer Taille, bevor er sie losließ.

„Ich rufe einen Krankenwagen. Kannst du bei ihnen bleiben?“

„Natürlich!“ Sie glitt an Ericas freie Seite und half ihrem Mann, Erica von der Tanzfläche zu führen.

Mit dem Thema Geburt hatte Camilla sich bislang nicht befasst und Jordan gegenüber erwähnt, dass sie keine Ambitionen hatte, es in absehbarer Zeit ihren Freundinnen gleichzutun, die heirateten und Kinder bekamen. All dies schien kompliziert, schmerzhaft und noch weit weg. Bis jetzt.

Ericas Mund war zu einem „O“ geformt, durch das sie in kurzen Abständen pustete. „Die Wehen werden jetzt stärker!“

Einige Gäste hatten sich um sie versammelt und wollten helfen. Die Band hörte auf zu spielen und man fragte sich, was los sei.

Jordan kehrte zurück mit seinem Handy am Ohr. „Der Krankenwagen ist unterwegs. In welchen Abständen kommen die Wehen?“

Inzwischen war Erica auf einen Stuhl gesetzt worden und als immer mehr Gäste herbeikamen, wurde Camilla allmählich abgedrängt. Sie kämpfte auch nicht dagegen an, denn weder kannte sie diese Leute noch hatte sie Ahnung von Geburten.

Jordan jedoch ergriff die Initiative, forderte die Gäste auf, Abstand zu Erica zu halten, wies einen Mann an, ihr ein Glas Wasser zu holen, und instruierte den Sicherheitsdienst, die Zufahrt für den Krankenwagen freizuhalten. Fasziniert beobachtete Camilla, wie sehr seine jetzt ganz selbstverständliche Übernahme der Führung zu seiner vorherigen Lässigkeit kontrastierte.

Jordan würde für den weiteren Abend eingespannt sein und sie konnte wohl kaum seinem Onkel ihr Geschäftsmodell vorstellen, während hier eine Frau in den Wehen lag. Wahrscheinlich war jetzt der beste Moment, das Fest zu verlassen. Sie holte ihre Tasche von ihrem Tisch und wollte gerade dem Parkwächter ihr Ticket übergeben, damit der ihren Wagen vorfuhr, als Jordan sie einholte.

„Camilla, warte! Ich sah, dass du gehen willst, und möchte dich wenigstens verabschieden.“

„Mach dir um mich keine Gedanken. Ich wollte nicht im Weg stehen und dachte, die meisten Leute werden ohnehin bald gehen.“

„Ich würde dich gern heimfahren, aber ich werde wohl den Rettungswagen abwarten müssen.“ Er reckte den Hals in Richtung Einfahrt. Seine Unbekümmertheit war offensichtlicher Besorgnis gewichen. „Weshalb dauert das nur so lange!“

Er ist es wohl nicht gewohnt, zu warten, dachte Camilla leicht amüsiert. Fast tat er ihr ein wenig leid, wie er da so ungeduldig in seinen eleganten schwarzen Cowboystiefeln auf und ab wippte.

„Alles gut!“, sagte sie lächelnd. „Ich hatte einen wirklich schönen Abend.“

„Gut.“ Seine Schultern entspannten sich und er ließ einen Finger über ihren nackten Arm gleiten. „Du ahnst nicht, wie viel schöner mein Abend durch dich wurde.“

Das sagst du sicher allen Frauen, lag ihr auf der Zunge. Doch der ernste Ausdruck in seinen braunen Augen ließ sie schweigen.

„Bevor ich dich entdeckte, hatte ich die Minuten gezählt, wann ich endlich gehen kann.“ Er trat einen Schritt näher und ein Prickeln rann über Camillas Rücken. „Aber als wir ins Gespräch kamen, bekam der Abend etwas Magisches.“

Sie legte den Kopf etwas in den Nacken, um ihm voll ins Gesicht blicken zu können, als er sich etwas herabbeugte und mit seinen Lippen ganz leicht ihren geöffneten Mund streifte. Vielleicht war das nicht mal ein richtiger Kuss gewesen; die Intensität dieser kleinen Intimität übertraf jedoch alles, was Camilla je empfunden hatte. Zumindest in der Öffentlichkeit.

Sie reckte sich ihm entgegen, um das noch einmal zu erleben; doch in einiger Entfernung heulte eine Sirene auf, Leute kamen aus dem Zelt und Camilla machte einen Satz zurück. Jordan drückte ihre Hand. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Miss Balthazar.“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus: Wer zum Teufel ist Miss Balthazar? Hatte er mich mit ihr verwechselt?

Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, ob die Traubs ihm gegenüber ihren Nachnamen erwähnt hatten; doch sie war wie blockiert. Glücklicherweise fuhr der Parkwächter gerade ihren Wagen vor. Schnell weg hier, bevor Jordan merkte, dass sie nicht die war, für die er sie hielt!

„Vielen Dank für den schönen Abend!“, rief sie, bevor sie verschwand – Cinderella auf der Flucht.

Aber Cinderella hatte wenigstens einen Schuh zurückgelassen.

In seinem Büro scrollte Jordan auf seinem Notebook die Zusagen-Liste der Spenden-Gala runter.

„Wenn du mir sagst, wen du suchst, werde ich sie vermutlich schneller finden“, sagte seine Assistentin Mac, die ihm über die Schulter schaute.

„Wie kommst du denn darauf, dass ich eine Frau suche?“

„Weil es bei dir immer um Frauen geht.“ Mac beugte sich vor und kniff die Augen zusammen, denn ihre Brille klemmte über dem Schirm ihrer Baseball-Cap, auf der der Schriftzug „Bronco Valley Little League“ prangte. Mac war in den Fünfzigerjahren von Jordans Großvater frisch von der Sekretärinnenschule weg eingestellt worden und erinnerte Jordan gern daran, dass sie länger als alle anderen bei Taylor Beef angestellt war. „Außerdem hattest du mich bisher nie gebeten, dir E-Mails von Klein-Cornelius’ Marketingteam weiterzuleiten. Irgendwas ist da doch im Busche.“

„Niemand außer dir kann sich rausnehmen, meinen alten Herrn ‚Klein-Cornelius‘ zu nennen“.

„Wahrscheinlich, weil ich ebenso wie dir schon ihm die Windeln gewechselt habe. Und deshalb kann ich auch die Leute hier um Namenslisten bitten, ohne dass jemand Fragen stellt.“

Mac war in den Achtzigern und ihre Assistenz für Jordan beschränkte sich primär darauf, wie ein Zerberus darüber zu wachen, dass Cornelius und die anderen Vorstandsmitglieder ihn während seiner Arbeit nicht nervten. Als Gegenleistung für ihre Loyalität durfte sie ihren Arbeitsplatz nutzen, um die beiden Kinder-Softball-Mannschaften und drei Hobby-Softball-Teams zu managen.

Na gut – wenn sie sich nun mal nicht abschütteln ließ: „Ich suche eine Camilla Balthazar. Aber die steht nicht auf der Liste. Da steht überhaupt keine Camilla.“

„Da steht ‚Alexis Balthazar‘.“ Sie deutete auf den Namen in der Liste.

Jordan war bereits aufgefallen, dass Camillas Nachname nie genannt worden war; auch DJ Traub hatte sie lediglich Camilla genannt.

„Die Nummer neben ‚Alexis Balthazar‘ gehört zu deren Nordamerika-Zentrale. Kannst du mal versuchen, mich direkt mit Alexis zu verbinden?“

„Nö.“ Sie richtete sich auf. „Ich muss los und aufpassen, dass die Bronco Bombers uns nicht alle Werfer-Talente abgraben.“ Und weg war sie.

Jordan schloss grinsend die Tür hinter ihr. Dann wählte er selbst die Nummer und landete er bei Alexis Balthazars Assistentin, die ihm sagte, der Firmenjet habe am Vorabend unvorhergesehen in Brüssel landen müssen. Miss Balthazar bedaure, die Diamond- and-Denim-Gala verpasst zu haben, würde aber eine angemessene Spende schicken, sobald sie wieder in den USA sei.

Einen Moment lang war Jordan völlig perplex, dann googelte er „Alexis Balthazar“ in der Bildersuche. Die junge Frau auf den Fotos hatte zwar auch langes dunkles Haar, aber sie war definitiv nicht die von gestern Abend.

Hatte José noch eine weitere Tochter? Jordan suchte auf der Firmen-Website nach einer Mitarbeiterliste, aber auch dort gab es keine Camilla. Er forschte noch etwas weiter im Internet, als eine Textnachricht von Daphne auf seinem Handy einging:

„Erica hat eine Tochter! Sie heißt Josie, nach ihrem Opa Josiah. Mutter und Kind sind wohlauf.“

Verdammt! Jordan war so auf Camilla fixiert gewesen, dass er sich um seine Schwester gar nicht mehr gekümmert hatte. Rasch drückte er ihre Kurzwahl-Nummer.

„Lief wohl nicht so gut zwischen dir und dem alten Herrn gestern Abend?“

„Es war ein völliges Desaster. Er meinte, es sei nie zu spät, mich zu entschuldigen und zuzugeben, dass der Gnadenhof ein Fehler gewesen sei. Ich bin da gar nicht drauf eingegangen.“

„Gut so.“ Er stellte das Telefon auf Lautsprecher und googelte weiter.

„Abgesehen davon, dass er mich dann stehen ließ und mich den restlichen Abend total ignorierte, selbst als wir zufällig nebeneina­nder an der Bar standen. Das war total unangenehm!“

„Klingt ganz nach ihm. Er kann es einfach nicht ertragen, wenn es nicht nach seinem Willen geht.“

„Ja, ich weiß!“, grollte Daphne. „Nach dem Motto: ‚Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.‘ Was klappert da eigentlich die ganze Zeit? Tippst du, während du mit mir telefonierst?“

„Mehr oder weniger. Ich versuche, jemanden von der Party gestern Abend zu finden. Erinnerst du dich an José Balthazar?“

„Nicht wirklich. Aber seine Tochter Alexis und ich waren während der Highschool zusammen im Ferienlager.“

„Hat er noch weitere Töchter? Da war gestern eine Frau namens Camilla und …“

„Die Brünette mit dem goldenen Paillettenkleid?“

„Ja!“ Sein Puls beschleunigte sich. „Hast du mit ihr gesprochen?“

„Außer dir hatte niemand Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, Jordan! So wie ihr zwei miteinander getanzt habt, hätte sich auch niemand an sie herangewagt.“

„Also habe ich mir das doch nicht nur eingebildet, dass da eine besondere Verbindung zwischen uns war!“, triumphierte er und vollführte eine Drehung mit seinem Schreibtischsessel.

„Die halbe weibliche Bevölkerung von Montana glaubt, sie habe eine besondere Verbindung zu dir!“

„Aber das war was anderes! Diesmal habe ich das gespürt!“

Er sah förmlich vor sich, wie Daphne mit den Augen rollte, bevor sie sagte: „Da kann ich dir leider nicht helfen. Ich habe keine Ahnung, wer sie ist.“

„Dad sagte, sie sei José Balthazars Tochter.“

„Nein. So viel ich weiß, ist Alexis das einzige Mädchen in der Familie. Außerdem weißt du ja, wie viel Dad ohne Brille sieht.“

Verdammt! Daran hatte er gar nicht mehr gedacht.

„Und wie finde ich sie jetzt? Ich kenne nicht mal ihren richtigen Namen! Kannst du nicht deine Freunde fragen, ob …“

„Du klingst gerade wie Dad!“

„Das ist unter der Gürtellinie!“

„Es stimmt aber! Wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast, verbeißt du dich darin.“

Jordan hatte gelernt, sich zu beherrschen. Doch ausgerechnet mit seinem Vater verglichen zu werden, von dem er sich schon immer distanziert hatte, brachte ihn an seine Grenzen.

„Hör zu, ich muss los“, sagte er so höflich wie möglich, damit Daphne nicht merkte, wie sehr ihre Worte ihn getroffen hatten. Sie hatte unter ihrer Familie schon genug zu leiden.

„Damit du weiter nach deiner Cinderella suchen kannst?“

„Nein, damit ich Erica ein Geschenk ins Krankenhaus liefern lassen kann“, wich er aus, denn das hatte er ebenfalls vorgehabt. Allerdings würde er sofort danach die Suche wieder aufnehmen.

Ob seine Stiefmutter wohl schon Fotos der Veranstaltung hochgeladen hatte? Er klickte ihre Social-Media-Seite an: Tatsächlich! Auf dem allerletzten Foto entdeckte er in der Vergrößerung eine Frau in einem goldenen Paillettenkleid am Tisch von DJ Traub und seiner Frau.

Er klickte die Homepage von DJ’s Restaurant an und inspizierte die dortigen Fotos. Auf einem Foto von der Eröffnung war tatsächlich eine Frau, die Camilla sein könnte.

Regelrecht elektrisiert schnappte er sich seine Autoschlüssel und lief aus dem Gebäude. Plötzlich hatte er Heißhunger auf ein perfekt zubereitetes Porterhouse-Steak.

Camilla musste sich anstrengen, das Gewicht des Tabletts zu stemmen, auf dessen Platten kunstvoll die heutige Spezialität angerichtet war: Filet im Pfeffermantel an Pilz-Rotwein-Soße, dazu Kartoffelgratin und gedämpfter Spargel mit gekräuterter Zitronenbutter. Sie war erschöpft und freute sich auf ihren Feierabend und ihr Bett.

Dass Jordan sie mit falschem Namen angesprochen hatte, hatte sie letzte Nacht schlecht schlafen lassen: Hatte er ihr nur zugehört, weil er sie verwechselt hatte? Trotzdem hatte sie morgens um acht fit sein müssen für ihren Kurs in Betriebswirtschaftslehre, der glücklicherweise online stattfand, sodass sie im Pyjama teilnehmen konnte. Anschließend hätte sie sich gern noch mal hingelegt vor Beginn ihrer Nachmittagsschicht im Restaurant; leider hatte sie jedoch ihrer Schwester versprochen, gleich am nächsten Tag das ausgeliehene Kleid in die Reinigung zu bringen. Anschließend rief ihr Vater an, der zu einem Arzttermin gefahren werden musste; selbst fahren durfte er nach der OP noch nicht und ihre Mutter war im Salon nicht abkömmlich. So hatte sich Camillas Mittagsschläfchen in Luft aufgelöst.

Also arbeitete sie durch und war im Restaurant gerade dabei, eine Getränkebestellung aufzunehmen, als sie bemerkte, dass jemand sie von der Bar aus beobachtete.

Jordan Taylor.

Camilla erstarrte. Was wollte der hier?

„Welche Biersorten haben Sie?“ Die Frage des Restaurantgastes holte sie zurück in die Realität. Obwohl Camilla die Wein- und Bierkarte in- und auswendig kannte, war sie so verunsichert, dass sie sagte: „Ich hole Ihnen die Getränkekarte.“

Kaum hatte sie das ausgesprochen, als sie sich auf die Zunge hätte beißen mögen. Denn nun musste sie zur Bar gehen und die Karte holen!

„Hey!“, sagte Jordan, während sein jungenhaft-charmantes Grinsen wieder die Grübchen auf seinen Wangen erscheinen ließ.

„Was machst du hier?“

„Ich könnte natürlich behaupten, nach der Arbeit sei mir nach einem Drink und einem perfekt gebratenen Steak. Aber um ehrlich zu sein: Ich hoffte, dich wiederzusehen.“

„Weshalb?“

„Weil ich den ganzen Tag versucht habe, dich zu finden.“

„Mich oder Miss Balthazar?“

„Die Verwechslung tut mir wirklich leid. Mein Vater hatte mir gesagt, dass du die Tochter eines unserer Geschäftspartner seist. Er ist zu eitel, eine Brille zu tragen, und ich war zu fasziniert von dir, um mich um deinen Namen zu scheren.“

Er reichte ihr ganz offiziell die Hand.

Als ob er mich nicht letzte Nacht schon geküsst hätte – zumindest so was Ähnliches, ärgerte sie sich.

„Ich bin übrigens Jordan Taylor.“

„Ja, weiß ich.“ Dass sie ihr Tablett noch immer unter ihren rechten Arm geklemmt hielt, wäre ein guter Grund gewesen, den Handschlag nicht zu erwidern. Doch sie wollte weder beleidigt erscheinen noch sich von seiner Anwesenheit zu sehr aus dem Konzept bringen lassen. Daher legte sie das Tablett auf den Tresen und ergriff seine Hand. Sie gab sich Mühe, sich das Kribbeln, dass diese Berührung bei ihr auslöste, nicht anmerken zu lassen, und sagte: „Bitte entschuldige mich, ich muss weiterarbeiten.“

„Warte! Darf ich dich vielleicht auf einen Drink einladen? Wir könnten uns hinsetzen und uns unterhalten.“

„Hör zu! Ich weiß, dass du gestern Abend dachtest, ich sei jemand anders. Aber ich gehöre nicht zu deiner Schickeria, sondern ich bin eine Kellnerin. Und ich arbeite hier.“

„Stimmt.“ Er nickte. „Gibst du mir dann bitte deine Telefonnummer, damit ich dich später anrufen kann?“

„Pass auf, Jordan: Ich hatte gestern einen wundervollen Abend und ich fühle mich geschmeichelt, dass du hergekommen bist. Aber wir wissen beide, wie das ausgehen würde.“

„Wie was ausgehen würde?“

„Das!“ Sie wedelte mit der Hand zwischen ihm und sich. „Mit uns. Das gäbe ein paar nette Stunden, vielleicht sogar Tage. Und wenn ich keinen Vollzeitjob hätte und nicht mitten in meinem Betriebswirtschaftskurs wäre und nicht daran arbeiten würde, mein eigenes Restaurant auf die Beine zu stellen, hätte ich vielleicht sogar nichts gegen ein bisschen … Ablenkung.“ „Anmache“ hatte sie sich gerade noch verkneifen können.

Er schaute auf das Namensschild an ihrem weißen Shirt. „Du hast mir noch immer nicht deinen Namen gesagt.“

„Wozu brauchst du den?“

„Ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die vielleicht in dein Restaurant investieren möchten.“

War er vielleicht doch nicht nur ein hartnäckiger Draufgänger? Und in der Regel war ja auch er derjenige, dem die Frauen nachliefen. Trotzdem sollte er sich bloß nicht einbilden, sie habe mehr als geschäftliches Interesse an ihm.

„Camilla Sanchez. Wenn jemand von deinen Geschäftspartnern mich kontaktieren möchte, dann bitte nicht hier während der Hauptgeschäftszeiten.“

„Klar.“ Ein befriedigtes Grinsen huschte über sein viel zu gut aussehendes Gesicht.

Und weg war sie, zurück zum Tisch ihrer Gäste, wo ihr auffiel, dass sie die Getränkekarte vergessen hatte. Erst nach einer guten Stunde hatte sie zu ihrer Routine zurückgefunden.

Gegen neun waren ihre letzten Gäste gegangen. Sie sammelte ihr Trinkgeld ein und faltete ihre Schürtze zusammen.

Am Tisch der Platzanweiserin wartete Jordan Taylor auf sie.

3. KAPITEL

„Du gibst wohl nicht so schnell auf, was?“ Camilla klang wenig begeistert.

„Du sagtest doch, wenn du nicht arbeitest, könne man dich kontaktieren“, parierte Jordan.

„Nein. Ich sagte, wenn einer deiner Geschäftspartner mich kontaktieren möchte, dann bitte nicht hier während der Hauptgeschäftszeiten. Und du sagtest, du willst nicht in mein Geschäft investieren, weil … welches Klischee hast du doch gleich bemüht? Ach ja: weil du Geschäftliches und Privates trennst.“

„Dazu stehe ich nach wie vor. Ich würde dich gern auf einen Drink einladen und dann reden wir über unsere nicht geschäftliche Verbindung.“ Er winkte dem Barkeeper.

„Was? Hier?“ Das fehlte noch, hier vor den Augen ihrer Kollegen!

Jordan senkte den Kopf und seine Grübchen kamen ihr bedenklich nahe, was ihren Puls beschleunigte. „Würdest du eine privatere Umgebung vorziehen?“

„Nein!“, entgegnete sie entschieden und kämpfte gegen das Kribbeln in ihrem Bauch an. „Wir können wo hingehen, wo es voll und hell ist. Auf die Bowlingbahn zum Beispiel.“

Er warf den Kopf zurück und lachte laut auf, woraufhin Camillas Kollegen prompt zu ihnen rüberschauten. Am liebsten wäre sie im Boden versunken. Bestimmt denken jetzt alle, ich sei so naiv, auf den reichen Playboy reinzufallen!

Sie griff ihn am Ellbogen und dirigierte Jordan zum Ausgang. „Komm! Das Bronco Brick Oven hat noch eine Stunde auf.“

Der Pizzaladen lag nicht weit entfernt.

Jordan hielt Camilla die Tür auf und sie spürte die Wärme seiner anderen Hand auf ihrer Hüfte. Ein Schauer rann durch ihren Körper. Wieso reagiere ich so stark auf ihn? fragte sie sich irritiert.

„Dies ist kein Date!“, betonte sie sicherheitshalber. Das hielt Jordan nicht davon ab, eine Nische im letzten Winkel des Restaurants anzusteuern.

„Nun sitze ich hier also mit dir“, stellte sie fest, nachdem sie einander gegenüber Platz genommen hatten. „Macht mich das jetzt zu einer weiteren Frau, die Jordan Taylors Charme nicht widerstehen kann?“

„Du musst nicht alles glauben, was die Medien verbreiten.“ Wieder war da dieses jungenhafte Grinsen und Camilla beschloss, jedes einzelne Wort zu glauben, das sie über ihn gelesen hatte. „Darf ein Mann eine Frau, die er bei einer Party getroffen hat und gern besser kennenlernen möchte, nicht ausführen?“

„Unter normalen Umständen schon. Aber die Frau, die du gestern getroffen hast, war nicht wirklich ich.“

„Dann erzähl mir, wer du wirklich bist!“ Er stützte sich auf seine Ellbogen und war ganz Ohr.

„Also erstens bin ich nicht die Tochter eines deiner reichen Geschäftspartner. Meine Eltern sind vor dreißig Jahren aus Mexiko eingewandert. Mein Dad bekommt nach seiner Operation keine Präsentkörbe mit Wein, sondern Thunfischauflauf von der Nachbarin. Ich bin Kellnerin und Studentin, wohne in Bronco Valley in einem winzigen Apartment im Gebäude des Postamtes und trage Jeans und T-Shirts, wenn ich nicht in meiner Kellnerkluft stecke. Ein Ballkleid und High Heels muss ich mir ausleihen. Und für gewöhnlich trinke ich keinen fünfzig Jahre alten Single Malt Scotch, sondern Bier von Fass.“

Just in diesem Moment erschien der Kellner und Jordan sagte: „Wir hätten gern einen Krug Big Sky IPA“. Er schaute Camilla an. „Bier vom Fass. Ist notiert. Was muss ich sonst noch wissen?“

„Dass ich niemals auf leeren Magen trinke.“ Zum Kellner gewandt fuhr sie fort: „Wir hätten gern den italienischen Salat und eine Portion Blätterteigstangen mit Knoblauch.“

Als der Kellner fort war, lehnte Jordan sich wieder zurück. Die Ärmel seines dunkelblauen Hemdes hatte er hochgeschoben. Wie kann jemand nur immer derart lässig wirken – ganz gleich, was er anhat? fragte sich Camilla.

„Also das gestern Abend war nicht dein wahres Ich?“, nahm Jordan den Faden wieder auf.

„Genau!“

„Das würde bedeuten, dass dein wahres Ich nicht gern tanzt. Dass es keine Songs von Beyoncé mag und keinen Cha-Cha-Cha. Dein wahres Ich hasst Roastbeef-Häppchen; da musst du dich gut verstellt haben, denn von denen hast du sechs Stück verdrückt. Und dein wahres Ich brennt nicht für das authentische mexikanische Restaurant, das du eröffnen willst mit den Rezepten deiner Großmutter und deiner schwer errungenen Erfahrung in der Restaurant-Branche.“

Das Bier wurde serviert und Jordan schenkte ihr davon ein.

„Also gut.“ Sie nahm das Glas entgegen. „Aber mal ehrlich, Jordan: Wann hast du dich zuletzt mit jemandem verabredet, der kein Luxusauto fährt?“

Er schürzte die Lippen und blickte an die Decke, als müsse er gründlich nachdenken.

Camilla trank kleine Schlucke Bier, um die Pause zu überbrücken. Doch schließlich atmete sie geräuschvoll aus und sagte: „Dein Schweigen spricht Bände.“

„Vielleicht ist genau das das Problem: Ich habe mich bisher nicht mit den richtigen Frauen verabredet. Schau, Camilla, meine Verabredungen sind ja in aller Munde. Du weißt also, worauf du dich einlässt, wenn du mit mir ausgehst. Ich hingegen habe noch nie jemanden wie dich getroffen und bin ganz sicher noch nie mit einer solchen Frau ausgegangen.“

Sie hob die Augenbrauen. „Du meinst: eine aus der Arbeiterklasse?“

„Ich meine, eine, die das Leben so sehr genießt wie du. Die ambitioniert genug ist, zu einer Party zu gehen, wo sie niemanden kennt, und dort Fremde für ihr Restaurant begeistern will. Eine, die mich die ganze Nacht wachgehalten hat mit der Erinnerung an ihr mitreißendes Lachen und der Frage, wann ich das wieder hören kann.“

Ihr stockte fast der Atem. Wenn sie nicht jetzt leichtsinnig werden wollte, musste sie entweder dringend etwas essen oder ihre Anstrengungen, seinem Charme zu widerstehen, mindestens verdoppeln. Das war allerdings zunehmend schwierig bei einem Mann, der immer das Richtige sagte.

Sie lenkte das Gespräch wieder auf ihn. „Woher weiß ich, ob du nicht nur auf eine Abwechslung mit jemandem aus dem Fußvolk aus bist?“

Er wurde ernst. „Falls irgendwer ein Date mit dir als ‚mit jemandem aus dem Fußvolk‘ bezeichnen sollte, werde ich ihm höchstpersönlich in den Hintern treten!“

„Selbst wenn es dein Vater wäre?“ forderte sie ihn heraus. „Gewalt gegen einen älteren, kurzsichtigen Menschen billige ich nicht. Aber wie würden die begüterten Taylors es finden, wenn du dich mit einer Immigrantentochter aus Bronco Valley triffst?“

„Das geht sie nichts an! Was ich ihnen auch ganz direkt sagen würde, wenn sie wissen wollten, mit wem ich ausgehe.“

Der Kellner brachte das Essen und als er wieder fort war, fragte Jordan: „Wie lange hast du gebraucht, um mich einzuschätzen?“

„Ungefähr fünf Minuten.“

„Weil du meinen Namen kanntest und in den Medien was über mich gelesen hattest.“

Camilla beobachtete, wie er sich genüsslich eine der heißen Blätterteigstangen in den Mund schob. Ihr Herz schmolz wie die Knoblauchbutter, die er sich gerade von den Fingern leckte.

„Und weil ich Typen wie dich kenne. Reiche Jungs, die für das, was sie haben wollten, nie hart arbeiten mussten.“ Sie machte sich über ihren Salat her.

„Du glaubst also nicht, dass ich mir das, was ich will, selbst erarbeiten kann?“

„Bestimmt bist du ein sehr guter Geschäftsmann. Ich habe auch die Artikel im Wirtschaftsteil über dich gelesen, nicht nur die Klatschspalten. Allerdings bin ich keines deiner geschäftlichen Projekte oder ein Geschäftspartner, mit dem man verhandeln kann.“

„Gute Idee. Wir sollten verhandeln.“ Er trank sein Bier aus.

„Ich sagte doch gerade, dass ich dafür nicht offen bin!“ Doch dann gewann ihre Neugier die Oberhand. „Was genau würdest du denn verhandeln wollen?“

„Gib mir vier Wochen, in denen du mindestens zweimal pro Woche mit mir ausgehst, und ich beweise dir, dass ich nicht der Mann bin, für den du mich hältst.“

Sie lachte. „Du hältst es doch wohl nicht ernsthaft für eine gute Idee, dass wir beide miteinander ausgehen?“

„Warum nicht? Hast du Angst, mir zu nahe zu kommen und dich in mich zu verlieben?“

Verlieben? Ausgeschlossen! Die starke Anziehung, die sie verspürte, war eher ein Warnsignal, ihm nicht näherzukommen. Andererseits stachelten Herausforderungen zumeist ihren Ehrgeiz an.

„Ich gebe dir zwei Wochen. Das müsste reichen, damit du einsiehst, dass wir viel zu verschieden sind, als dass aus uns etwas werden könnte.“

Sie würde ihm schon beweisen, dass er falsch lag! Und wenn sich nebenbei vielleicht Gelegenheiten ergaben, potenzielle Investoren kennenzulernen, war es das allemal wert.

Drei Wochen!“ schacherte er, schenkte beiden Bier nach und hob sein Glas. „Das reicht, um dich zu überzeugen, dass wir eine Chance haben!“

„Na gut. Drei Wochen.“ Sie stieß mit ihm an. „Wenn du das überhaupt durchhältst!“

Bereits zum zweiten Mal überprüfte Jordan sein Äußeres im Rückspiegel. Er wollte nicht den Anschein erwecken, sich zu sehr um Camilla zu bemühen; aber sie sollte auch nicht denken, sie sei ihm gleichgültig. Seine Hoffnung auf eine Verabredung am Wochenende hatte sie torpediert mit ihrer Erklärung, Freitag und Samstag seien die umsatzstärksten Abende im Restaurant und sie sei auf das Trinkgeld angewiesen.

Da er nicht bis Mitte der Woche hatte warten wollen, hatte sie vorgeschlagen, ins kalte Wasser zu springen: Abendessen mit ihrer Familie am Sonntag.

Bei seinen bisherigen Bekanntschaften hatte er alles vermieden, das den Eindruck erwecken konnte, es könne ernst werden. Aber wenn er beweisen wollte, dass es mit Camilla anders war, musste er die Sache auch anders angehen.

Der bescheidene Bungalow der Familie Sanchez lag mitten in Bronco Valley in einem älteren Stadtteil. Für die Fahrt dorthin hatte Jordan bewusst auf seinen Tesla verzichtet und einen der Pritschenwagen von der Ranch genommen. Wenn sein Geld für Camilla ein Thema war, musste er es ja nicht noch vor sich hertragen.

Als er den Wagen geparkt hatte und gerade an die Tür klopfen wollte, riss eine etwas jüngere, kleinere Ausgabe von Camilla die Tür auf.

„Komm rein! Camilla ist in der Küche mit Mom und ich will gerade los, noch Mangos besorgen.“ Sie eilte an ihm vorbei und eine ältere, rothaarige Version von Camilla kam in Sichtweite, vermutlich aus der Küche.

„Hallo! Du musst Camillas Freund sein. Ich bin ihre Mutter.“

„Es ist mir ein Vergnügen, Mrs. Sanchez“, antwortete Jordan und reichte ihr den mitgebrachten Blumenstrauß.

Angesichts der Blumen lächelte sie ebenso breit und offen wie Camilla. „Bitte nenn mich Denise. Aaron, Camillas Freund ist hier!“

Ein großer Mann mit akkurat geschnittenem graumeliertem Bart humpelte an einer Krücke aus dem offen an den Eingangsbereich angrenzenden Wohnraum herbei. Jordan ging ihm entgegen. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Sanchez.“

Camillas Vater packte Jordans Hand mit festem Griff. „Willkommen in unserem Heim.“

„Vielen Dank.“ Jordan verlagerte den cellophanumwickelten Präsentkorb mit Wein in seinem Arm. „Ich hörte, Sie wurden kürzlich operiert, Sir, und wollte eine Kleinigkeit für Ihre Genesung mitbringen.“

Mr. Sanchez Augen leuchteten auf. „Dieser Cabernet Napa ist dafür sicher geeigneter als die vegane Lasagne, die mein Physiotherapeut letzte Woche vorbeigebracht hast.“

„Wo seid ihr denn alle …“ Camilla stockte, als sie beim Hereinkommen aus der Küche Jordan erblickte.

Wie kann sie nur jedes Mal, wenn ich sie wiedertreffe, noch schöner sein? fragte sich Jordan.

Sie trug eine enge Jeans und ein weißes T-Shirt, hatte ihr Haar zu einem etwas unordentlichen Pferdeschwanz mitten auf dem Kopf zusammengebunden und war barfuß. Ungeduldig strich sie sich eine lose Strähne hinters Ohr und hinterließ dabei eine Mehlspur auf ihrer Wange.

„Da bist du also.“

„Du hast mich eingeladen, erinnerst du dich?“

Ein junger Mann erhob sich vom Sofa. „Kümmere dich nicht um Cam. Sie hat noch nie einen Freund eingeladen und ist wahrscheinlich genauso überrascht wie wir alle, dass du tatsächlich gekommen bist.“

Ich bin nicht überrascht!“, sagte Denise und gab ihrer Tochter einen Knuff. „Mi ja, weshalb stellst du deinem Freund nicht die Familie vor?“

„Richtig. Also der Typ, der mich gern bloßstellt, ist mein ältester Bruder Felix.“

Felix reichte ihm die Hand und fragte: „Möchtest du was trinken?“

Mit Blick auf die leere Flasche in Felix’ Hand antwortete Jordan: „So eine wäre prima.“

„Ein Bier. Kommt gleich.“

„Bring gleich einen Korkenzieher mit“, rief Mr. Sanchez, nahm Jordan den Korb ab und humpelte zurück zu seinem Sessel.

„Dieser da …“, Camilla deutete auf einen schlaksigen Jungen, der auf der Kante einer verblichenen Ottomane hockte, „der wie hypnotisiert auf den Fernseher starrt, das ist Dylan.“

Dylan winkte. „Tut mir leid, Mann, das sind die letzten Sekunden.“

„Und der, der eigentlich seinen Buchstabier-Test korrigieren sollte, ist Dante.“

„Wie soll ich irgendwas korrigieren, wenn die Jazz gerade ein Heimspiel verlieren?“, beschwerte sich der ungefähr Achtjährige, legte aber sein Heft beiseite und stand auf, um Jordan die Hand zu schütteln. „Wie heißt du doch gleich?“

„Jordan Ta …“ In seinen Nachnamen fiel der Schlusspfiff des Spiels und das aufgeregte laute Gerede im Zimmer, mit dem jeder außer Camilla seinen Platz am Esstisch bezog.

„Habe ich was verpasst?“, fragte Felix, der mit Jordans Bier herbeieilte. „Hatten sie einen Drei-Punkte-Wurf?“

„Wir gehen in die Verlängerung, Baby!“ Dylan hob die Faust, worauf Dante stöhnte: „Neiiin!“

Alle redeten durcheinander und mit einer ausladenden Handbewegung kommentierte Camilla: „Dies ist also meine Familie. Ich hoffe, du magst Basketball.“

„Habe ich länger nicht gespielt. Mein Sport an der Highschool war eher Football.“

„Nicht so laut!“, warnte Camilla. „Letztes Jahr brachte Sofia einen Typ mit, der nur Tennis spielt. Er hätte genauso gut sagen können, er hasst kleine Hunde.“

„Der Typ hieß Winston und fuhr ein BMW Cabrio. In Montana. Im Winter!“, mischte sich Dante ein.

Ohne vom Fernseher wegzuschauen, sagte Dylan: „Das kommt davon, dass ihr sie in dem Bonzen-Klamottenladen in Bronco Heights arbeiten lasst! Dann landet sie bei den verwöhnten Typen, die von Daddys Protektion leben, weil sie in der wirklichen Welt nichts auf die Reihe kriegen.“

Gut, dass mein Familienname vorhin untergegangen ist! dachte Jordan.

„Niemand hat Sofia dort arbeiten lassen!“ Camilla stützte kämpferisch die Hände auf die Hüften. „Wir sind nicht mehr im Mittelalter, und sie ist eine erwachsene Frau, die ihre eigenen Entscheidungen trifft.“

„Sagt ausgerechnet das Mädchen, die auch bei den Snobs in den Heights arbeitet“, stichelte Dante.

Jordan fing Camillas Blick auf, der besagte: „Ich habe dich ja gewarnt!“

Doch wenn sie mich erst mal kennenlernen, bevor sie wissen, wer mein Vater ist, ist doch alles gut, befand Jordan. Und er war ja nicht hier, um über sich selbst zu reden, sondern um Zeit mit Camilla zu verbringen.

Camilla verschwand mit ihrer Mom wieder in der Küche und überließ Jordan dem männlichen Part ihrer Familie und dem Basketballspiel. Er suchte sich einen Platz auf dem Sofa und feuerte eine Mannschaft an, für die er sich bisher nie interessiert hatte.

Zwischenzeitlich war Sofia mit den Mangos zurück und als das Jazz-Team schließlich gewann, schaltete Mrs. Sanchez den Fernseher aus und sagte: „Mach mal den Grill an, Aaron! Das Huhn brät sich nicht von allein.“

Da es an diesem sonnigen Herbsttag noch hell war, zog die Familie hinaus auf die Terrasse, wo zusammengewürfelte Stühle um einen langen Tisch standen. Der Garten war gerade groß genug für ein Gemüsebeet, einen schmalen Rasenstreifen und eine Betonplatte mit einem höhenverstellbaren Basketballkorb.

In der Mitte des Tisches stand ein Tablett mit frisch geschnittenem Gemüse mit Limetten-Chili-Überzug, einer Schüssel Tortilla-Chips und einer Mango-Habanera-Soße. Die drei Söhne boten an, zu grillen, damit der Vater sitzen bleiben konnte; doch der alte Herr bestand darauf, es selbst zu tun.

Camilla kam heraus, in der Hand ebenfalls eine Bierflasche, und setzte sich neben Jordan.

„Na, wird es dir nicht doch zu viel?“ raunte sie ihm zu.

Schon bei der Gala hatte sie ihn fasziniert. Doch so, wie er sie hier in ihrem privaten Umfeld erlebte, total entspannt und mit ihrem natürlichen Lächeln, war er völlig hingerissen und seine Gedanken waren alles andere als jugendfrei.

„Ganz im Gegenteil!“, gab er zurück. „Ich habe ja selbst eine große Familie, besonders, wenn man meine Cousins noch mitzählt. Aber lass uns besser ein paar Treffen warten, bevor ich dich denen aussetze.“

Ihr Lächeln verschwand. „Bringen wir erst mal den heutigen Tag hinter uns.“

Er stieß mit seiner Bierflasche bei ihrer an. „Dann lehne ich mich jetzt mal zurück und genieße diesen Abend.“

Doch als er gerade dachte, er habe Camilla jetzt eine Weile für sich, kam Dante mit einem Basketball an. „Wer hat Lust auf Zwei gegen Zwei?“<...

Autor

Kaylie Newell
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Christine Rimmer
<p>Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
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Melissa Senate
<p>Melissa Senate schreibt auch unter dem Pseudonym Meg Maxwell, und ihre Romane wurden bereits in mehr als 25 Ländern veröffentlicht. Melissa lebt mit ihrem Teenager-Sohn, ihrem süßen Schäfermischling Flash und der spitzbübischen Schmusekatze Cleo an der Küste von Maine im Norden der USA. Besuchen Sie ihre Webseite MelissaSenate.com.</p>
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