Bianca Extra Band 147

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

EIN NEUER ANFANG IN FOREVER von MARIE FERRARELLA

„Du hast eine Tochter. Ihre Mutter ist gestorben.“ Ungläubig liest Matt den Brief. Ja, er hatte damals eine Affäre in Forever, Texas. Aber er als Daddy? Genau das sieht die schöne Riley in ihm. Sie zeigt ihm eine neue Welt voller Wärme und Zuneigung – und voller Liebe?

ZURÜCK IN DEINEM LEBEN von SERA TAÍNO

Vor fünf Jahren zerbrach Natalias Herz: Sie gab ihre große Liebe Leo für seine medizinische Karriere frei. Doch jetzt sieht sie ihren Ex wieder: Leo ist in dem Komitee, das über ihre Klinik entscheidet. Es liegt in seinen Händen, was daraus wird! Und ob ihr Herz jemals heilt …

DER VERWECHSELTE COWBOY von MELISSA SENATE

Auf der Suche nach seinem leiblichen Vater kommt Chase Dawson in einen kleinen Ort in Wyoming – wo ihn alle zu hassen scheinen. Besonders die hübsche Hannah, die ihn sofort fasziniert! Wie kann er sie überzeugen, dass sie ihn verwechselt? Und dass er ihre Liebe wert ist?

ZU JUNG, ZU FRECH – ZU UNWIDERSTEHLICH von MAKENNA LEE

Keine Frage, Barkeeper Damon Fortune Maloney ist ein süßer Typ. Aber für diesen Bad Boy ist im Leben der verwitweten Single-Mom Sari kein Platz: viel zu jung, zu frech, zu begehrt. Trotzdem erlaubt sie sich einen Flirt mit ihm – mit ungeahnten Folgen …


  • Erscheinungstag 05.04.2025
  • Bandnummer 147
  • ISBN / Artikelnummer 0802250147
  • Seitenanzahl 432

Leseprobe

Marie Ferrarella

PROLOG

Riley Robertson fiel es plötzlich schwer, die Tränen zurückzuhalten, die sie in sich aufsteigen fühlte. Sie hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde, aber irgendwie hatte sie sich geweigert, zu glauben, dass es tatsächlich passieren würde. Dass Breena Alexander, ihre beste Freundin, wirklich sterben würde.

Hartnäckig, wie sie war, hatte Breena sich trotz all dem, was die Krankheit ihrem Körper abverlangte, geweigert, in die Klinik zu gehen. Nicht in die neue, erst vor Kurzem in Forever eröffnete und auch nicht in die alte, etwa fünfzig Meilen entfernte.

Immer wieder, auch jetzt noch, hatte Riley versucht, Breena Mut zu machen und sie dazu zu bringen, die Dinge in einem positiven Licht zu sehen. Aber ihre Freundin hatte gespürt, dass ihr so gut wie keine Zeit mehr blieb. Breena hatte sich entschieden, diese letzten Tage mit ihrer vier Jahre alten Tochter Vikki zu verbringen, auch wenn sie die Zeit nicht so verbringen konnte, wie sie wollte, denn die Krankheit erlaubte es ihr nur noch selten, aus dem Bett aufzustehen.

„Im Krankenhaus darf Vikki mich nicht besuchen und erst recht nicht bei mir bleiben“, erklärte Breena. „Nein, ich will so lange wie menschenmöglich zu Hause sein. Meinst du, du kannst hin und wieder nach uns beiden sehen?“, fragte Breena ihre beste Freundin voller Hoffnung.

Riley, die erste Krankenschwester in der kleinen Stadt Forever, Texas, die ausgebildet war, eigenständig Anamnesen aufzunehmen und Untersuchungen durchzuführen, schüttelte den Kopf und nahm die Hand ihrer Freundin in ihre. „Natürlich. Ich habe noch Resturlaub, den kann ich mit dir und Vikki verbringen. Das …“, begann Riley.

„Nein“, unterbrach Breena sie. „Das tust du nicht“, widersprach sie so energisch, wie die Krankheit es noch zuließ. „Ich will dich nicht von der Arbeit abhalten. Deine anderen Patienten brauchen dich auch. Komm einfach bei uns vorbei, wann immer du kannst.“

Riley seufzte. Das war so typisch. Breena wollte niemandem zur Last fallen.

„Willst du mir wirklich bis zur allerletzten Minute widersprechen?“

Ein zartes, schwaches Lächeln umspielte Breenas blasse Lippen. „Nachzugeben macht einfach keinen Spaß. Das hast du mir selbst beigebracht.“ Und dann zögerte Breena. „Riley, ich muss dir etwas erzählen“, sagte sie leise.

Nicht sicher, was Breena sagen wollte, drückte Riley ihre Hand. Breena sah mit einem Mal so ernst aus. Wollte ihre Freundin etwa, dass sie Vikki adoptierte? Riley würde keinen Moment zögern und Ja sagen.

„Schieß los“, drängte Riley, als Breena noch immer schwieg. „Ich höre dir zu.“

Breena holte Luft und hielt inne. Das Atmen verursachte ihr Schmerzen, und das Reden fiel ihr seit einigen Tagen immer schwerer. „Es geht um Vikkis Vater …“, begann sie.

Als Freundinnen hatten Breena und Riley keine Geheimnisse voreinander. Deshalb wusste Riley als Einzige, wer Vikkis Vater war. Er kam nicht von hier, sondern aus Arizona und hatte in einem Sommer vor fünf Jahren in Forever Urlaub gemacht. Matt Logan und Breena hatten sich sofort ineinander verliebt. Sie hatten jede Minute zusammen verbracht, bis er abreisen musste, um sein letztes Studienjahr auf dem College abzuschließen.

Als Breena erfahren hatte, dass sie schwanger war, hatte Riley sie gedrängt, es Matt zu erzählen, aber das war für Breena überhaupt nicht infrage gekommen. Mehr noch, sie hatte Riley strikt verboten, mit Matt Kontakt aufzunehmen und ihn zu informieren. Er hatte am Anfang seiner beruflichen Karriere gestanden, und wenn er erfahren hätte, dass sie ein Kind von ihm bekam, hätte er seine Pläne aufgegeben und irgendeinen Job angenommen, um sie und das Baby zu unterstützen. Das hatte Breena unter keinen Umständen gewollt. Deshalb hatte Riley schwören müssen, Breenas Geheimnis nicht zu verraten.

Doch jetzt lag Breena im Sterben, und die Umstände hatten sich auf dramatische Weise geändert.

„Na los, erzähl schon“, drängte Riley sie sanft.

„Er weiß es nicht …“, fing Breena an.

Riley konnte nicht fassen, dass Breena nie versucht hatte, Matt von seiner immerhin schon vier Jahre alten Tochter zu erzählen.

„Er weiß nicht, dass du im Sterben liegst?“, fragte Riley verunsichert.

Breena schüttelte den Kopf. „Nein, das meine ich nicht“, sagte sie mit heiserer Stimme. „Er weiß nicht, dass er eine Tochter hat. Ich habe es ihm nie erzählt.“

Es kam selten vor, dass Riley sprachlos war, aber jetzt war sie es. Es dauerte einen Moment, bis sie antworten konnte. „Warum nicht? Ich weiß, damals hattest du deine Gründe. Aber jetzt …?“

Breena schien vor Rileys Augen zu schrumpfen und fast unter ihrer Bettdecke zu verschwinden. „Irgendwie hat es nie gepasst. So etwas lässt man nicht mal eben einfließen.“

„Also hast du es ihm verschwiegen?“, rief Riley ungläubig.

„Es war ein Urlaubsabenteuer“, erklärte Breena. „Als der Sommer vorbei war, ist er nach Arizona zurückgekehrt, und als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin, wusste ich einfach nicht, wie ich es ihm sagen sollte.“

Riley gingen alle möglichen Sätze durch den Kopf, aber sie behielt sie für sich. Alle bis auf einen einzigen. „Wie wäre es damit?“, fragte sie. „Liebling, erinnerst du dich an unseren perfekten Sommer in Forever? Stell dir vor, er ist noch perfekter geworden.“

Breena gab keinen Kommentar zu Rileys Vorschlag ab. Stattdessen äußerte sie nur eine einzige Bitte.

„Wenn ich tot bin, könntest du ihn dann für mich kontaktieren? Vikki verdient es, mit ihrem Vater zusammen zu sein. Oder ihn wenigstens kennenzulernen. Sein Name ist Matt Logan.“

„Ich weiß, wie er heißt, Breena“, erinnerte Riley ihre Freundin und fragte sich, ob die Krankheit das Gedächtnis ihrer Freundin beeinträchtigte. „Hast du eine aktuelle Adresse, unter der ich ihn erreichen kann?“, fragte sie.

Breena nickte. „Ja. Aber versprich mir, dass du ihn erst kontaktierst, wenn ich … du weißt schon“, bat sie und brachte es nicht fertig, die letzten Worte auszusprechen.

Das brauchte sie auch nicht.

Es brach Riley das Herz, und die Tränen schnürten ihr fast den Hals zu. Sie schluckte mühsam und nickte. „Ich verstehe“, flüsterte sie.

Der schreckliche Tag, auf den Breena angespielt hatte, kam schneller, als die beiden Frauen erwartet hatten. Nur zweieinhalb Wochen nachdem Breena ihre letzte Bitte an ihre beste Freundin ausgesprochen hatte, schloss Breena die Augen für immer. Viele Menschen hatten Breena ins Herz geschlossen und trauerten nun um die freundliche, sanftmütige junge Grundschullehrerin, die viel zu früh gestorben war.

„Ich werde Matt Logan nach Forever zurückholen, Breena“, flüsterte Riley, als sie am Bett ihrer Freundin stand und Breenas leblose Hand in ihrer hielt, als wollte sie das Versprechen damit besiegeln. Sie wurde schon kalt. Rileys Mutter Rita war gekommen, um vor allem der kleinen Vikki Beistand zu leisten. „Und wenn ich ihn dazu in Plastik wickeln und quer über einen Pferderücken legen muss. Ob er will oder nicht, ich bringe ihn her, damit er endlich seine Tochter kennenlernt.“

Ihre Stimme versagte. Sie schluckte und stieß dann einen tiefen Seufzer aus. Eine Weile saß sie schweigend am Bett ihrer Freundin.

„Ich werde dich vermissen, Breena“, flüsterte sie schließlich. Sie strich ihrer Freundin das rote Haar aus dem blassen Gesicht und ließ endlich ihren Tränen freien Lauf. Sie weinte, wie sie noch nie geweint hatte.

1. KAPITEL

Riley spürte, wie die winzigen Finger sich fest um ihre schlossen, und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie klein das vier Jahre alte Mädchen war. Vikki stand vor der großen Flügeltür und schaute sich mit großen Augen um. Breena hatte einmal gesagt, dass die Augen ihrer rothaarigen Tochter sie an hellblaue Untertassen erinnerten.

Vikki zog an Rileys Hand und bedeutete der Freundin ihrer Mutter, in die Hocke zu gehen, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. Riley erfüllte ihr den Wunsch und kniete sich vor sie, denn sie ahnte, dass das Mädchen ihr eine wichtige Frage stellen wollte.

„Wohne ich jetzt hier?“, flüsterte Vikki fast ehrfürchtig.

Riley lächelte das kleine Mädchen an, das sein ganzes Leben in der Stadt gewohnt hatte. Diese Ranch und das große Haus, vor dem sie beide standen, mussten Vikki wie ein Palast und ein Park in einem Märchenland erscheinen. Sie war zwar schon häufiger hier gewesen, aber nach dem Tod der Mutter schien Vikki alles um sich herum mit anderen Augen zu sehen.

„Ja, du wohnst jetzt hier“, sagte Riley sanft. „Zusammen mit meiner Mutter, meinem Großvater und Rosa, ihrer Haushälterin.“

„Haushälterin?“, wiederholte Vikki staunend. Riley wollte ihr gerade erklären, was eine Haushälterin war, da zog das kleine Mädchen mit staunendem Blick seine eigene Schlussfolgerung. „Sie müssen sehr reich sein.“

Riley dachte an die Geschichten, mit denen sie und ihre Schwester aufgewachsen waren, und musste lächeln. „Nein, eigentlich nicht. Mein Großvater und meine Großmutter haben dieses Haus vor vielen, vielen Jahren mit den eigenen Händen gebaut. Damals hat alles viel weniger gekostet“, erklärte sie, um Vikkis nächster Frage zuvorzukommen.

Riley drehte am Knauf. Die Tür hätte verschlossen sein müssen, aber sie ließ sich öffnen. Mit Vikki an der Hand ging sie hinein.

Zum allerersten Mal, seit sie das kleine Mädchen kannte, wirkte Vikki schüchtern. Riley konnte nur beten, dass diese Phase schnell vorüberging. Und dass sie sich auf der Ranch willkommen und bei den neuen Menschen in ihrem jungen Leben wohlfühlte.

Riley schloss die Haustür hinter ihnen und ertappte sich dabei, wie sie unwillkürlich die Stirn runzelte. Obwohl sie und ihre Schwestern ihren Großvater immer wieder freundlich ermahnten, schloss er die Tür nicht ab.

Nicht zum ersten Mal.

Mike Robertson lernt einfach nicht dazu, dachte sie verärgert. Oder er weigert sich, es zu tun.

Der Mann wird mir Rede und Antwort stehen, schwor Riley sich stumm.

„Wow“, sagte Vikki und sah sich um, als hätte sie gerade ein Märchenschloss betreten. Das Ranchhaus war zweigeschossig, und die Decken waren so hoch, dass selbst große Besucher sich darin sehr klein vorkamen.

Das kleine Mädchen drehte sich zu Riley. „Dein Großvater hat es wirklich selbst gebaut?“, fragte sie staunend. „Und er und deine Mom und diese Rosa wohnen hier?“ Vikki war anzusehen, dass sie das alles erst einmal verarbeiten musste. „Mama und ich teilen uns ein Schlafzimmer“, erzählte Vikki, als wüsste Riley das nicht. „Wir haben ein Zimmer geteilt. Jetzt nicht mehr“, fügte Vikki traurig hinzu.

Im nächsten Moment schien ihr aufzugehen, dass sie der Freundin ihrer Mutter nichts Neues verriet. Sie seufzte betrübt. „Aber das weißt du ja.“

Die Tatsache, dass Vikki sich nicht wie eine Vierjährige, sondern wie eine kleine alte Lady ausdrückte, faszinierte Riley immer wieder.

Breena hatte erzählt, dass sie von Anfang an mit ihrer Tochter so gesprochen hatte, als würde Vikki jedes Wort verstehen. Auf die Idee, dass Vikki möglicherweise nicht begriff, was sie zu ihr sagte, war Breena nicht gekommen. Rileys Freundin hatte einfach vorausgesetzt, dass ihre Tochter alles verstand, auch wenn es manchmal ein wenig länger dauerte.

„Ja, das weiß ich“, sagte Riley. „Und ja, mein Großvater und meine Mutter wohnen hier, meine beiden Schwestern kommen nur hin und wieder zu Besuch. Raegan ist verheiratet“, erklärte sie Vikki, „und bringt ihren Ehemann mit, wenn sie kommt.“

Vikkis Neugier war unstillbar. „Wie heißt er?“, wollte sie wissen.

„Alan White Eagle“, antwortete Riley.

„Hat deine andere Schwester keinen Mann?“, fragte Vikki. Für ihr Alter hatte sie eine erstaunlich gute Auffassungsgabe.

Riley lächelte. Vikki war wirklich unglaublich intelligent. „Nein, sie hat keinen Mann.“

Vikki neigte den Kopf zur Seite und schaute zu Riley hinauf. „Und du auch nicht?“

„Nein, Schätzchen, ich auch nicht“, bestätigte Riley lächelnd.

Das war ein ziemlich ernstes Thema für eine Vierjährige, aber Riley war froh, ein anderes, schmerzhafteres Thema vermeiden zu können – Breenas Beisetzung. Sie hatte ihre Freundin in aller Stille mit nur wenigen Trauergästen beerdigt und die Trauerfeier möglichst kindgerecht gestaltet, damit das kleine Mädchen keine schlimmen Erinnerungen an das Grab und den Sarg ihrer Mutter mitnahm.

„Und Rosa ist auch nicht verheiratet“, fügte Riley hinzu.

„Rosa?“, fragte Vikki neugierig. Offenbar hatte sie den Namen wieder vergessen. Vielleicht war sie doch noch nicht so erwachsen und manchmal ein ganz normales kleines Mädchen.

„Rosa ist die Haushälterin und Köchin meines Großvaters“, erklärte sie zum zweiten Mal.

„Das Haus muss gehalten werden?“, fragte Vikki und drehte sich einmal um die eigene Achse, als gäbe sie sich die größte Mühe, das, was sie sah, mit dem, was ihr erzählt wurde, in Einklang zu bringen.

Lachend legte Riley den Arm um die schmalen Schultern der Vierjährigen und zog sie an sich. „Ja, genau“, sagte sie dem kleinen Mädchen.

In diesem Moment kam Mike Robertson, Rileys Großvater, aus der Küche. Hochgewachsen, muskulös, mit vollem grauen Haar stand er noch immer seinen Mann und arbeitete täglich lange Stunden zusammen mit seinen Cowboys auf der Ranch.

Sofort fiel sein Blick auf das kleine Mädchen, das ein wenig verloren in seinem großen Wohnzimmer stand.

„Und wer ist diese hübsche kleine Lady?“, fragte er und nahm Vikkis Hand.

„Du weißt genau, wer ich bin, Pop“, sagte Vikki zu Rileys Großvater und lachte.

Wie schön, sie lachen zu hören, dachte Riley. Das sie schon eine ganze Weile nicht mehr gehört hatte.

„Stimmt“, antwortete Mike. „Du bist Vikki, richtig?“

Die Kleine nickte. „Richtig!“

Vikki war schon oft hier gewesen, aber bisher immer nur mit ihrer Mutter zusammen.

„Pop“, sagte Riley, „Vikki bleibt eine Weile bei uns.“

„Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir ein Willkommensgeschenk besorgt.“ Er zwinkerte Vikki zu.

Vikki sah Riley an.

„Bei uns? Ich dachte, du wohnst nicht mehr hier“, sagte sie.

Vikki war wirklich schlau und ließ sich so schnell kein X für ein U vormachen. Das Mädchen war der lebende Beweis dafür, wie scharfsinnig Kinder sein konnten.

„Rileys altes Kinderzimmer sieht noch so aus wie früher. Wir haben nichts verändert“, erklärte Mike. „Die Zimmer ihrer Schwestern sind auch noch da. Wir verbringen hier immer die Feiertage zusammen. Wie früher.“ Er zwinkerte Vikki zu, als hätte er ihr ein großes Geheimnis verraten. „Möchtest du das nächste Mal dabei sein?“

Das kleine Mädchen hatte traurig dreingeschaut, aber jetzt nickte es ernst. „Ja.“

„Großartig, dann bist du jetzt mit uns verabredet“, sagte Mike schmunzelnd.

„Ich habe eine Verabredung!“, rief Vikki. „Wie eine richtige Erwachsene! Wie Mama!“

Mike wechselte einen Blick mit Riley. „Ja, du hast eine Verabredung. Aber zum Glück musst du noch nicht erwachsen sein“, sagte er dem vierjährigen Rotschopf.

Vikki dachte nach und strahlte ihn freudig an. „Okay.“

Mike nahm ihre Hand und schüttelte sie feierlich. „Okay.“

Riley winkte ihren Großvater kurz zur Seite. „Ich leihe mir Pop kurz aus, Vikki“, sagte sie.

Das kleine Mädchen nickte ernst. „Okay.“

Riley kehrte dem Kind den Rücken zu und sah ihren Großvater an. „Pop, kann ich sie eine Weile bei dir lassen? Ich muss Vikkis Sachen packen und möchte es nicht vor ihren Augen tun. Diese ganze Situation ist für sie noch sehr neu, also versuche ich, einen Schritt nach dem anderen zu machen.“

„Wolltest du deshalb keine große Trauerfeier?“, fragte ihr Großvater leise.

„Ja, ich dachte mir, eine kleine Feier sei das Beste. Hoffentlich tut das Vikki weniger weh.“

Mike sah seine Enkelin an und schaute dann in Vikkis Richtung. „Sie wird darüber hinwegkommen“, sagte er leise.

„Das hoffe ich auch. Aber vorläufig gehe ich auf Nummer sicher“, sagte Riley.

Er nickte. Seit es sie gab, hielt er zu seinen Enkelinnen und seiner Schwiegertochter Rita, das würde er auch weiterhin tun. „Tu, was du für das Beste hältst, Riley“, sagte Mike. „Du weißt, ich stehe immer hinter dir.“

Dankbar, dass ihre Mutter Rileys Großvater vor so vielen Jahren aufgespürt hatte, umarmte Riley ihn spontan. „Auf dich kann ich immer zählen, Pop.“ Sie lächelte den älteren Mann an.

„Ja, du kannst dich immer auf mich verlassen“, bekräftigte Mike.

Lächelnd streichelte sie seine Wange. „Danke.“

Damit ging sie zurück zu Vikki, die sich noch immer still umsah. Das Mädchen schien alles genau zu betrachten, als sähe sie es mit neuen Augen.

Riley fragte sich, was in ihrem Kopf vorging, und ging vor Vikki in die Hocke. „Ich werde eine Weile fort sein, Schatz. Ich möchte, dass du hierbleibst und Pop Gesellschaft leistest.“

Vikki nickte feierlich. „Mach dir keine Sorgen. Ich passe solange auf ihn auf“, versprach sie und schob ihre kleine Hand in Mikes.

Er lächelte breit. „Jetzt fühle ich mich schon besser“, sagte der hartgesottene Mann und sah Riley an. Er war schon so lange ihr Großvater, dass er die Drillinge kannte wie seine Westentasche. „Kommst du klar?“, fragte er den „mittleren Drilling“.

„Auf jeden Fall, Pop“, versicherte Riley.

„Ich könnte Rosa bitten, dich zu begleiten.“

„Das ist nicht nötig. Ich komme klar, Pop“, wiederholte sie.

Mike nickte. Von ihm würde sie keinen Widerspruch hören. Er ließ das Thema ruhen. „Wir haben euch Mädchen gut aufgezogen, deine Mutter und ich“, sagte er stolz. „Übrigens, was hast du vor, nachdem du Vikkis Sachen gepackt hast?“, fragte er neugierig.

Rileys Mund wurde schmal. Sie kniff die Augen zusammen und schaute einen Moment lang auf Vikki. Wenn es allein nach mir ginge, dachte sie, würde ich das Mädchen adoptieren. Es wäre nicht einfach, aber machbar. Und sie liebte Vikki. Sie liebte das kleine Mädchen, seit sie auf die Welt gekommen war.

Aber Vikki zu adoptieren war nicht das Versprechen, das sie ihrer sterbenden Freundin gegeben hatte.

Ihre Hand schloss sich um den Zettel in ihrer Tasche. Auf dem Zettel stand Matt Logans Adresse, falls sie noch stimmte.

„Ich habe vor, ihren Vater zu finden“, sagte Riley leise.

„Weißt du denn, wo du anfangen musst?“, fragte ihr Großvater sanft.

„Breena hat mir seine Anschrift gegeben“, antwortete sie.

Und dann stellte Mike die Frage, die ihm nicht aus dem Kopf ging, seit Rileys beste Freundin Mutter geworden war.

„Es ist vier Jahre her. Warum hat sie ihn in der ganzen Zeit nicht kontaktiert?“, fragte er seine Enkeltochter.

„Aus Stolz, nehme ich an. Breena war immer sehr unabhängig, selbst als wir Kinder waren. Sie wollte nie Hilfe annehmen“, erinnerte sich Riley wehmütig.

„Aber zugleich war sie immer die Erste, die anderen ihre Hilfe anbot“, sagte ihr Großvater mit einem ebenso wehmütigen Lächeln.

Das hatte Riley auch so erlebt. „Breena hat anderen gern geholfen, aber sie wollte selbst nicht hilfsbedürftig sein.“

„Also willst du nach Arizona und diesen Kerl an den Haaren herbeischleifen?“, fragte Mike und registrierte Rileys überraschte Miene. „Was denn? Ich höre eben genau zu“, sagte er fast entschuldigend.

„Ich werde dem Mann einen Brief schreiben und erzählen, was passiert ist. Dass er jetzt Vater und Breena gestorben ist. Wenn mir seine Antwort nicht gefällt, dann fahre ich hin und schleife ihn an den Haaren hierher zurück.“

Lachend schüttelte Mike den Kopf. „Mit euch Mädchen kann man was erleben.“

Riley lächelte. „Nein, langweilig wird es mit uns nie.“ Sie wandte sich Vikki zu. „Ich bin bald wieder hier, Schätzchen“, versprach sie. Vikki nickte ernst. „Bis dahin hörst du auf Pop, einverstanden?“

„Das werde ich“, versprach das kleine Mädchen.

Matt Logan saß in seinem Büro und starrte auf den Brief, der heute Morgen gekommen war. Der dunkelhaarige Mann hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Fast fühlte er sich, als würde er schlafwandeln, obwohl seine grünen Augen nicht geschlossen waren. Im Gegenteil, sie waren weit geöffnet.

Als der Bote den Briefumschlag auf den Schreibtisch gelegt hatte, hätte Matt ihn beinahe weggeworfen, weil er ihn für Werbung hielt. In der Konkurrenz mit der elektronischen Kommunikation – SMS, E-Mail und so weiter – sahen Postwurfsendungen heute alle ziemlich seriös aus.

Aber dann hatte er auf dem Umschlag den Poststempel „Forever, Texas“ gesehen. In der kleinen Stadt hatte er vor fünf Jahren Urlaub gemacht hatte. Der beste Sommer seines Lebens. Danach war er nach Arizona und in seinen gewohnten Alltag zurückgekehrt, um seine Ausbildung abzuschließen. Aber die drei wunderschönen Monate mit Breena Alexander gingen ihm immer noch nicht aus dem Kopf.

Je mehr Zeit er mit ihr verbracht hatte, desto perfekter war sie ihm erschienen. Und nach einer Weile wollte er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen. Sie hatte wirklich einen nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht.

Aber irgendwann hatte er einsehen müssen, dass dieser Eindruck ganz offenbar einseitig war. Leider schien Breena kein dauerhaftes Interesse an ihm zu haben. Sämtliche Briefe, die er ihr geschrieben hatte, blieben unbeantwortet. Irgendwann kamen sie sogar ungeöffnet zurück.

Tief gekränkt und wütend wollte er sie zur Rede stellen und fragen, warum sie sich so benahm. Aber er fand keine Zeit dafür. Matt schloss sein Studium ab und musste verbittert einsehen, dass seine Gefühle nicht erwidert wurden.

Er pflegte seinen verletzten Stolz und zwang sich, nach vorn zu schauen. Irgendwann musste er nur noch ein Mal am Tag an die rothaarige Breena mit dem Lachen in den Augen denken. Und dann alle zwei Tage. Bis er schließlich nur noch ab und zu an die hübsche Frau mit den strahlenden hellblauen Augen dachte.

Seine Freunde gaben sich alle Mühe, ihn mit vielversprechenden jungen Frauen zusammenzubringen. Aber ganz ehrlich, er hatte kein Interesse an den Frauen, mit denen seine Freunde ihn verkuppeln wollten, und kein Interesse an einer neuen Beziehung. Wie er es sah, brachten Beziehungen nur Schmerz, und davon hatte er mehr als genug erlitten.

Also konzentrierte er sich auf seine Ausbildung und dann auf seine Karriere als Ingenieur für Bewässerungssysteme. Er war nicht der Typ, der ins Grübeln verfiel und in Selbstmitleid ertrank. Seine Eltern, so erinnerte er sich, hatten ihm eine positive Grundeinstellung vermittelt.

Zum Glück drängten George und Amy Logan ihn zu nichts. Sie ließen ihm die Zeit und den Freiraum, sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Sie waren immer da, wenn er reden wollte, und hielten sich zurück, wenn er allein sein wollte.

Aber jetzt, als er auf den gefalteten Bogen im Umschlag starrte, fragte Matt sich, was in dem Brief stand. Plötzlich fühlte Matt sich um fünf Jahre in die Vergangenheit versetzt, mit der er glaubte, abgeschlossen zu haben.

Hatte Breena sich endlich dazu durchgerungen, sich bei ihm zu melden? Oder war dies doch nur eine raffinierte Werbesendung, in der irgendein angeblicher Prinz aus Übersee ihm mitteilte, dass er fünf Millionen Dollar gewonnen habe und nur noch die Gebühr für die offizielle Registrierung überweisen müsse, um an den Geldsegen zu kommen?

Aber der Poststempel sagte etwas anderes.

Trotzdem wehrte er sich gegen den überwältigenden Impuls, das Schreiben zu zerknüllen und in die Ecke zu pfeffern. Der Brief konnte ihm durchaus einigen Ärger einbringen.

Unentschlossen zögerte er eine Weile, bevor er vorsichtig den einzelnen blütenweißen Briefbogen aus dem Umschlag zog und ihn vor sich auf den Schreibtisch legte.

Dann holte er tief Luft und las die Nachricht. Nicht einmal oder zweimal, sondern gleich dreimal, weil er überzeugt war, dass seine Augen ihm einen bösen Streich spielten.

Erst beim dritten Mal war er sich sicher, dass er nicht hereingelegt werden sollte. Es war eindeutig ein echtes – und folgenreiches – Schreiben. Aber es kam nicht von Breena. Den Brief hatte ihre Freundin Riley Robertson geschrieben. Eine Freundin, die Breena ihm in jenem Sommer gleich mehrfach in leuchtenden Farben beschrieben hatte.

Er war zu egoistisch gewesen, um Riley kennenzulernen. Er hatte Breena mit niemandem teilen wollen. Seine Zeit in Forever, Texas, war einfach zu kurz gewesen, und er hatte jede Sekunde davon mit Breena verbringen wollen.

Nur mit Breena.

Matt hatte geglaubt, er könnte es nachholen und ihre Freunde kennenlernen, wenn er in den Winterferien nach Forever zurückkehrte.

Aber da war er nicht zurückgekehrt. Nicht in den Winterferien. Und danach auch nicht.

Ich hätte es tun sollen, dachte Matt jetzt, ich hätte mir die Zeit nehmen sollen, als ich in jenem Winter die Gelegenheit dazu hatte. Aber er hatte wirklich geglaubt, dass Breena ihn nicht wiedersehen wollte. Es gab keine andere Erklärung dafür, dass sie keinen einzigen seiner Briefe beantwortet hatte. Und er hatte ihr mehr als ein Dutzend in den ersten sechs Monaten geschickt. Vergeblich.

Nach einer Weile hatte er auf seinen Stolz gehört und aufgegeben. Sie erwiderte seine Gefühle offenbar nicht. Wahrscheinlich hatte Breena einen anderen Mann kennengelernt, der sie glücklicher machte als er.

Aber die Worte in dem Brief trafen ihn wie ein harter, schmerzhafter Schlag in die Magengrube. Sprachlos und wie betäubt starrte Matt auf das Blatt Papier.

Je öfter er die Worte überflog, desto mehr taten sie ihm weh.

Selbst als er sie zum vierten Mal las, weigerte der Schmerz sich zu vergehen. Im Gegenteil, er blieb und schien sich in seine Seele zu bohren und sogar zu wachsen.

Warum war er nicht einfach nach Forever zurückgekehrt, als sich ihm in jenem ersten Jahr die Chance dazu bot?

Er wusste nur zu genau, warum er es nicht getan hatte.

Sein verdammter Stolz hatte ihn gelähmt. Sein Stolz hatte ihn in Arizona festgehalten. Sein Stolz und die Angst, wieder verletzt zu werden.

Und jetzt war Breena für immer fort, und er würde sie nie wiedersehen, niemals wieder mit ihr reden können, damit sie verstand, was er für sie empfand.

Aber jetzt gab es etwas viel Wichtigeres.

Er hatte Nachwuchs.

Er, Matthew Anthony Logan, hatte ein Kind gezeugt. Und er hatte keine Ahnung, was er fühlte.

Betäubt. Besser ließ es sich wohl nicht beschreiben.

Er hatte nie richtig darüber nachgedacht, Vater zu werden. Kinder zu bekommen. Eine Familie zu gründen. Vor fünf Jahren war es für ihn nicht infrage gekommen. Irgendwann, wenn die Umstände günstiger waren, würde er es sich vielleicht vorstellen können. Aber jetzt passte es definitiv nicht in seine Lebensplanung, denn dazu war ihm sein Beruf zu wichtig. Jetzt musste er erst einmal die Grundlagen für eine erfolgreiche Karriere schaffen.

Aber der Sommer mit Breena in Forever, Texas, hatte ihn aus dem Konzept gebracht.

Vor Breena war er nie wirklich verliebt gewesen und hatte sich beim besten Willen nicht vorstellen können, auf Dauer mit einer Frau zusammen zu sein.

Deshalb hatte es auch so wehgetan, ihr – wenn auch nur auf dem Papier – sein Herz zu schenken, nur um es vor die Füße geworfen zu bekommen. Nur so konnte er ihr Schweigen deuten. Nur das konnte erklären, warum sie keinen einzigen seiner Anrufe erwidert, keinen einzigen seiner Briefe beantwortet hatte.

Matt starrte auf den Brief auf seinem Schreibtisch, ohne die Worte darin wirklich wahrzunehmen. Trotzdem brannten sie sich in seinem Kopf ein, bis er sie vor seinem geistigen Auge allzu deutlich sah.

Mein Name ist Riley Robertson. Ich bin Krankenschwester in Forever, Texas, und Breena Alexander war meine beste Freundin. Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Breena vor einer Woche an einer sehr aggressiven Form von Brustkrebs gestorben ist. Wir haben alles für sie getan, obwohl sie sich weigerte, ins Krankenhaus zu gehen. Sie konnte sehr störrisch sein. Und sie hatte einen sehr guten Grund, nicht im Krankenhaus zu bleiben. Dann hätte sie nämlich nicht mit ihrer Tochter Vikki zusammen sein können. Ihre vier Jahre alte Tochter.

Meine vier Jahre alte Tochter?

Matt wusste nicht mehr, wie oft er diese Worte gelesen und wieder gelesen hatte. Jedes Mal schienen die Buchstaben vor seinen Augen zu verschwimmen, als würde sich sein Verstand weigern, sie aufzunehmen.

„Ich habe keine Tochter“, sagte er laut zu dem Brief, als würde die Sache damit verschwinden und unwahr werden.

Aber er wusste, dass es so nicht funktionierte.

Trotzdem, wenn diese Vikki wirklich seine Tochter war, warum hatte Breena es ihm nicht längst erzählt? Warum hatte sie diese Neuigkeit für sich behalten, als sei sie ein großes dunkles Geheimnis? Warum hatte sie ihm in den letzten vier Jahren nicht wenigstens ein einziges Mal von ihrem gemeinsamen Kind erzählt?

Es ist ja nicht so, als hätte sie keine Gelegenheit dazu gehabt, dachte er. Er hatte in jenem ersten Jahr sein Bestes getan, um mit Breena in Verbindung zu bleiben. Aber die Frau hatte nicht reagiert, nicht auf die E-Mails, nicht auf die Anrufe.

Nichts. Absolut nichts.

Es war, als hätte sie aufgehört zu existieren.

Vielleicht, so dachte er hoffnungsvoll, war die ganze Sache ja nur ein geschmackloser Scherz, den einer seiner Ingenieurskollegen sich ausgedacht hatte.

Aber von denen wusste keiner von Breena. In jenem letzten Sommer war er kurz vor dem Ende seines Studiums nach Forever gegangen. Und bevor er in dem Ingenieurbüro, in dem er jetzt arbeitete, angefangen hatte.

Matt runzelte die Stirn und schaute wieder auf den Brief. Seit er bei Willoughby & Jones arbeitete, hatte er keinen Urlaub genommen. Und das waren mittlerweile drei lange Jahre.

Mir steht viel Urlaub zu, dachte Matt. Und plötzlich wusste er, wo er ihn verbringen würde.

Er rang mit sich, ob er diese Riley vorwarnen sollte oder nicht. Aber, ganz ehrlich, das war im Moment nicht wichtig. Wichtig war allein, zu überprüfen, ob Breena wirklich gestorben war, und dann herauszufinden, ob er wirklich Vater war.

Vater einer kleinen Tochter.

Ihm lief es kalt den Rücken herunter. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es war, Vater zu sein, erst recht nicht Vater einer Tochter.

Es musste ein übler Scherz sein. Jedenfalls hoffte er das inständig. Denn falls es doch stimmte, brachte es jede Menge Probleme mit sich. Probleme, auf die er nicht vorbereitet war.

Matt hatte nie ernsthaft daran gedacht, Vater zu werden. Und damals war auch eine Heirat für ihn kein Thema – jedenfalls nicht, bis er Breena kennengelernt hatte. Aber selbst jetzt konnte er sich nicht vorstellen, ein Kind zu haben. Er wusste, dass seine Mutter nur zu gern Großmutter wäre, aber hier ging es nicht darum, ihr den Wunsch zu erfüllen und danach so weiterzumachen wie immer. Es ging um eine lebenslange, unkündbare Verpflichtung. Um eine, für die er noch nicht bereit war.

Nein, ich mache mir grundlos Sorgen, dachte Matt. Breena hatte ihn zwar nicht informiert, dass ihre heiße Romanze nicht folgenlos geblieben war, aber sie war nicht der Typ, der ein so bedeutendes Geheimnis für sich behielt.

Sicher, er und Breena hatten nur den einen Sommer verbracht, aber er war kein naiver junger Bursche mehr. Er hätte es gespürt, wenn Breena ihn belogen hätte. Aber sein sonst so untrügliches Gespür hatte sich nicht geregt.

Er wusste einfach, dass das, was sie zusammen erlebt hatten, wahr und echt gewesen war. Er konnte sich zwar nicht erklären, warum Breena auf seine Kontaktversuche nicht reagiert hatte, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sie einen vernünftigen Grund dafür gehabt hatte. Jetzt, da er seinen Abschluss in der Tasche und eine feste Stelle im Ingenieursbüro hatte, konnte er sich anderen Dingen zuwenden – und dieses Rätsel um Breena und das kleine Mädchen lösen.

Das kann nur ein Missverständnis sein, sagte er sich. Oder bestenfalls ein Streich, den einer seiner Freunde ihm spielte.

Aber er hatte niemandem Breenas Namen verraten. Anfangs hatte er das für sich behalten, weil er sein kleines Geheimnis ganz allein genießen wollte. Und als die Dinge sich nicht so entwickelten, wie er wollte, hatte er erst recht niemanden von dem Sommer mit Breena erzählt. Er hätte sich nur geschämt, es hätte wehgetan, offen zuzugeben, dass die Frau, die sein Herz gestohlen hatte, ihm wesentlich mehr bedeutete als er ihr.

Fast sein ganzes Leben lang hatten erst Mädchen und danach junge Frauen ihm Avancen gemacht. Nie andersherum. Nicht dass er ihnen aus dem Weg gegangen war. Nein, gemieden hatte er stets feste Beziehungen, die Verantwortung und Pflichten mit sich brachten.

Welch Ironie des Schicksals, dass es Matt ausgerechnet bei Breena so ergangen war. Dass er sich ein einziges Mal auf eine richtige Beziehung hatte einlassen wollen und ausgerechnet auf eine Frau getroffen war, die das nicht wollte.

Aber jetzt holte die Geschichte ihn ein – und das auf völlig überraschende Art und Weise.

Vorausgesetzt, diese Riley schrieb die Wahrheit.

Die erste Frage lautete: Konnte er ihr glauben, oder gab es einen anderen Grund für diesen Brief, der aus heiterem Himmel auf seinem Schreibtisch gelandet war?

Die ganze Sache warf ihn aus der Bahn, und er konnte sie nicht einfach ignorieren.

Ich brauche Antworten, dachte Matt. Und die würde er nur bekommen, wenn er der Sache auf den Grund ging. Und das konnte er nur, wenn er so schnell wie möglich in die kleine Stadt im Westen reiste, in der er vor fünf Jahren zum ersten Mal sein Herz an eine Frau verloren hatte.

Und zwar je früher, desto besser, entschied Matt.

2. KAPITEL

Als Matt die Stadtgrenze von Forever, Texas, passierte, schaute er sich langsam um. Er war sich nicht sicher, was er erwartet hatte.

Vor über fünf Jahren war er zuletzt hier gewesen. Forever war gewachsen, und doch wirkte die Stadt auf ihn noch immer vertraut.

Jetzt gab es ein Hotel, anders als damals. Vor allem hatte Forever jetzt ein nagelneues zweigeschossiges Krankenhaus, sodass die Einwohner nicht mehr fünfzig Kilometer weit fahren mussten, wenn sie eine intensivere Untersuchung und Behandlung benötigten.

Auf dem Schild der einzigen Arztpraxis standen noch immer die Namen der drei Ärzte, die damals schon praktiziert hatten, aber inzwischen waren einige dazukommen. Mehrere sogar, aber er machte sich nicht die Mühe, die neuen Namen zu lesen, denn ihretwegen war er nicht hier.

Auch der Diner sah noch genauso aus wie vor fünf Jahren, auch wenn er etwas aufgehübscht worden war. Das wusste Matt, weil er und Breena hin und wieder dort zu Mittag gegessen hatten.

Aber meistens hatte Breena selbst gekocht. Er war mit den Kochkünsten seiner Mutter aufgewachsen. Breena kochte sogar noch besser als seine Mutter. Sie war eine hervorragende Köchin gewesen. Eine Klasse für sich.

Matt bog auf den kleinen Parkplatz neben Miss Joan’s Diner ein, hielt und stellte den Motor aus. Er steckte die Wagenschlüssel ein und schloss die Augen, als er sich in die Vergangenheit versetzt fühlte. Er dachte an den Sommer, den er hier vor fünf Jahren erlebt hatte, und verspürte plötzlich einen überwältigenden Drang.

Den Drang, nachzusehen, ob sich im Diner etwas verändert hatte oder ob die Zeit in dem kleinen Restaurant stehen geblieben war.

Er erinnerte sich daran, was Breena ihm über die Wirtin erzählt hatte. „Miss Joan“, so hatte sie die Frau genannt, die den Diner betrieb und angeblich seit Anbeginn der Zeit in Forever lebte. Matt hatte nur gelacht und geglaubt, dass Breena ihn auf den Arm nehmen wollte. Aber sie hatte beteuert, dass sie die Wahrheit sagte, und darauf bestanden, dass er die Frau kennenlernte, die in Forever als inoffizieller Schutzengel aller Einwohner galt.

Widerwillig hatte er sich darauf eingelassen und festgestellt, dass Miss Joan die Schroffheit in Person war. Doch seltsamerweise hatten er und Miss Joan sich auf Anhieb gut verstanden. Außerdem war Miss Joan immer außergewöhnlich nett zu Breena.

Er hatte schnell gemerkt, dass Miss Joan normalerweise alles andere als nett zu ihren Mitmenschen war.

Jetzt, fünf Jahre später, öffnete Matt die Augen und rang mit sich, ob er in den Diner gehen sollte oder nicht. Vielleicht war Miss Joan gar nicht mehr da, auch wenn ihr Name noch auf dem Schild stand.

Wie auch immer, er hatte nichts zu verlieren. Außerdem brauchte er dringend einen Becher Kaffee, und plötzlich verspürte er das überraschende Bedürfnis, Miss Joan wiederzusehen.

Als er die Holzstufen vor dem Eingang betrat, bemerkte er, wie abgetreten und schief sie waren. Er hatte sein Studium mit Schreinerarbeiten finanziert, und sofort überlegte der Amateurhandwerker in ihm, was getan werden musste, um die Treppe zu renovieren.

Matt lächelte in sich hinein. Seine Mutter hatte recht. Er musste endlich lernen, sich zu entspannen.

Er sollte wirklich hin und wieder ein wenig kürzertreten. Als er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass der Sommer, den er mit Breena in Forever verbracht hatte, die einzige Zeit in seinem Leben gewesen war, in der er tatsächlich nichts getan hatte – obwohl das Zusammensein mit Breena bestimmt nicht „nichts“ war.

Abgesehen von den drei Monaten mit ihr hatte er im Grunde immer gearbeitet. Er konnte sich an keine Zeit erinnern, in der er sich nicht in die Arbeit gestürzt hatte. Das war nicht schlimm, denn die Arbeit war das Einzige, was ihm Vergnügen bereitete und seinem Leben einen Sinn gab.

Vor der Tür des Diners zögerte er kurz. War es klug, nach dieser langen Zeit hineinzugehen?

Vielleicht handelte er sich damit nur Probleme ein, die er gerade jetzt als Letztes brauchte.

Wahrscheinlich war Miss Joan ohnehin nicht mehr hier. Außer ihr hatte er in Forever niemanden kennengelernt, jedenfalls niemanden, an den er sich erinnerte.

Damals hatte er nur für Breena Augen gehabt, und bevor der Brief gekommen war, hatte er versucht, selbst sie zu vergessen.

Und jetzt hatte er ehrlich gesagt keine Ahnung, was er denken sollte.

Einen langen Moment stand Matt einfach nur da und zerbrach sich den Kopf über seinen nächsten Schritt.

Vielleicht sollte er kehrtmachen und …

In der nächsten Sekunde straffte er die Schultern und gab sich einen Ruck. Er war noch nie davongelaufen. Und dies ist nicht der Zeitpunkt, um damit anzufangen, sagte er sich.

Er atmete tief durch, legte die Hand um den Türknauf und drehte ihn.

Als er den Diner betrat, kam er sich vor, als hätte er einen Zeitsprung gemacht. Ein Déjà-vu. Das Gefühl war überwältigend.

Als Erstes stellte er fest, dass sich nichts geändert hatte.

Der Diner sah noch genauso aus wie vor fünf Jahren, sauber und ordentlich, selbst wenn Hochbetrieb herrschte und die Leute am Eingang auf einen freien Tisch oder Platz an der Theke warteten. Breena hatte ihm erzählt, dass Miss Joan hohe Ansprüche an ihr Personal hatte. Ihre Mitarbeiter mussten permanent hinter sich und den Gästen sauber machen.

Eine Sekunde hätte er schwören können, dass er Breena neben sich spürte.

Verdammt, fluchte er stumm. Er hätte schon vor Jahren nach Forever zurückkehren sollen. Er hätte nicht zulassen dürfen, dass sein dämlicher Stolz ihn davon abhielt. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er gleich hergefahren wäre, nachdem Breena seinen ersten Brief nicht beantwortet hatte.

Nur mit Mühe widerstand er der Versuchung, sich auf dem Absatz umzudrehen und wieder hinauszugehen. Das ist nicht meine Art, ermahnte er sich stumm. Er war hier und musste sich im Diner und in Forever umschauen.

Außerdem, so rief er sich in Erinnerung, gab es da noch den Brief. Den Brief, der ihm mitteilte, dass er ein Kind hatte.

War das wahr? Oder spielte ihm jemand einen üblen Streich?

Er musste es herausfinden.

Matts erster Impuls war, an einem kleinen Tisch Platz zu nehmen und allein zu bleiben. Aber er verwarf die Idee schnell wieder. Nach der langen Fahrt hierher konnte er sich ebenso gut an die Theke setzen und abwarten, was sich daraus ergab.

Wahrscheinlich erkennt Miss Joan mich sowieso nicht wieder, dachte er. Schließlich bediente die alte Frau alle möglichen Gäste. Es gab keinen Grund, warum sie sich ausgerechnet an ihn erinnern sollte. Sehr auffällig bin ich ja nicht, dachte er.

Matt ging zur Theke und setzte sich auf einen Hocker.

Miss Joan blickte kurz hoch und hantierte dann hinter der Theke weiter mit dem Geschirr.

Na also, dachte er, ich habe recht. Die Frau erkannte ihn nicht. Warum sollte sie auch?

Aber dann hörte er plötzlich ihre Stimme. Sie sprach ihn an.

„Wen haben wir denn da?“, sagte Miss Joan mit einer heiseren Schärfe, die ihn zusammenzucken ließ. Dann hob sie den Kopf und musterte ihn aus ihren dunkelbraunen Augen. „Du kommst etwas zu spät.“

Er war verblüfft. Um ihn herum schien alles zu verblassen. Alles außer Miss Joan.

„Sie erinnern sich an mich?“, fragte er überrascht.

Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. „Natürlich. Sie sind der Mann, der seinen Urlaub hier verbracht hat, der dem armen Mädchen das Herz gebrochen hat und dann einfach verschwand, um in sein altes Leben zurückzukehren.“

Seine Nackenhaare sträubten sich. „So war es nicht“, ließ er sie kurz und knapp wissen.

Miss Joan gefiel, dass Breenas Ex-Liebhaber ihr widersprach. Das wagte kaum jemand. Sie wäre die Letzte, die behaupten würde, dass sie ein umgänglicher Mensch war. Aber so einfach würde sie es ihm nicht machen. Sie würde ihn eine Weile schwitzen lassen.

„So sah es für mich aber aus. Du hast sie verlassen, als sie dich brauchte“, fuhr sie leiser fort. „Falls ich mich irre, beweis mir das Gegenteil.“

Matt hatte nicht vor, sich zu rechtfertigen. Nicht einmal seiner eigenen Familie hatte er erzählt, was ihm in jenem Sommer passiert war. Aber er erinnerte sich daran, wie sehr Breena die Frau vor ihm geschätzt hatte. Sie hatte ihm erzählt, dass Miss Joan für sie wie eine Mutter war. Ihre leibliche Mutter war gestorben, als sie noch ein Kind war.

Das war der Grund, warum er Miss Joan vertraute. Breena hätte das bestimmt so gewollt.

„Sie irren sich“, antwortete er nur.

„Das reicht nicht, mein Junge“, sagte Miss Joan scharf. „Inwiefern irre ich mich? Erklär es mir“, befahl sie. „Ich höre dir zu.“ Dann wandte sie sich einer jungen Mitarbeiterin zu. „Sally, ich möchte, dass du mich für fünf Minuten ablöst.“

Es war keine Bitte. Es war eine kaum verhüllte Anweisung.

Überrascht sah Sally ihre Chefin an. Miss Joan ließ sich nie ablösen. Die attraktive Kellnerin wirkte verblüfft. „Geht es Ihnen gut, Miss Joan?“

„Natürlich geht es mir gut“, erwiderte Miss Joan. „Vertrittst du mich jetzt für ein paar Minuten oder nicht?“, fragte sie.

Sally hob beschwichtigend die Hände. „Ich löse Sie gern ab, Miss Joan“, versicherte sie der älteren Frau rasch.

Miss Joan nickte zufrieden, wobei ihr das rote Haar in die Stirn fiel. „Schon besser“, lobte sie die Kellnerin, bevor sie Matt einen Blick zuwarf. „Komm mit“, sagte sie und ließ keinen Zweifel daran, dass ihm keine andere Wahl blieb.

Sie drehte sich auf dem Absatz ihrer Gummisohle um und ging in eine Ecke des Diners, die in der Nähe des Eingangs zur Küche lag. Matt folgte ihr. Sie setzte sich und bedeutete ihm, ihr gegenüber Platz zu nehmen.

„Okay. Ich höre.“

Auch das war eine Anweisung, und Matt wusste, dass er nur einen Versuch hatte.

„Als der Sommer vorbei war, musste ich nach Arizona zurück, um mein Studium abzuschließen“, begann er.

„Und dazu musstest du eine Einzelhaft antreten?“, fragte Miss Joan ironisch.

Kurz starrte er sie verständnislos an. Dann ging ihm auf, dass ihre Worte höhnisch gemeint waren.

„Nein, natürlich nicht. Ich habe Breena mehrmals angerufen. Ich habe ihr E-Mails und Briefe geschickt. Viele Briefe.“ Seine Stimme bekam einen verbitterten Unterton, als er fortfuhr. „Sie hat nie abgenommen, wenn ich angerufen habe. Sie hat keine einzige E-Mail und keinen Brief beantwortet. Nach fast einem Jahr, in dem ich immer wieder versucht habe, sie zu erreichen, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mir falsche Hoffnungen gemacht habe. Ich hielt unsere Freundschaft für den Beginn einer wunderbaren Beziehung. Aber Breena war nicht an einer festen Beziehung interessiert.“

„Also hast du aufgegeben“, folgerte Miss Joan scharf und sah ihm in die Augen.

„Nein, ich habe nicht aufgegeben“, widersprach Matt. „Ich habe es immer wieder versucht. Aber nach einem Jahr ohne jeden Erfolg war ich es leid, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.“

„Du hättest zu Weihnachten oder im nächsten Sommer nach Forever kommen können“, sagte sie mit einem finsteren Ausdruck auf dem faltigen Gesicht.

„Ich musste ein Projekt fertigstellen und war damit beschäftigt, mich bei verschiedenen Ingenieurbüros zu bewerben. Ich wollte in meinem Beruf Fuß fassen. Außerdem hatte Breena gezeigt, dass sie nicht interessiert war. Ich wollte nicht auf Händen und Füßen angekrochen kommen und sie anflehen, es sich anders zu überlegen“, erklärte er Miss Joan.

Die Frau holte tief Luft. Sie hatte genug Zeit gehabt, darüber nachzudenken, und sie hatte ihre eigene Theorie entwickelt.

„Breena wusste, wie wichtig dir dein Beruf war, und wollte nicht, dass du ihretwegen auf etwas verzichtest, was dir so viel bedeutet. Deshalb hat sie das für sie größte Opfer gebracht und dir nichts von ihrer Lage erzählt. Sie wollte nicht, dass du das Gefühl hast, du müsstest sie retten und dafür alles aufgeben, wofür du so hart gearbeitet hast.“

„Wir hätten eine Kompromisslösung finden können“, wandte er ein.

„Das Risiko wollte sie nicht eingehen“, erklärte Miss Joan. „Also hat sie dir verschwiegen, dass sie ein Baby von dir bekommt.“

Verbittert ballte er die Hände auf dem Tisch zu Fäusten und trauerte um das gemeinsame Leben, das ihm und Breena versagt geblieben war. „Das hätte sie aber tun sollen.“

„Begreifst du denn gar nichts?“, fragte Miss Joan aufgebracht. „Das Mädchen hat dich zu sehr geliebt, um zuzulassen, dass du deinen Traum für sie aufgibst.“

Die Worte der Frau schienen in Matts Kopf widerzuhallen. Sie ergaben einen Sinn. Aber Breena hatte ihm keine Chance gegeben, seine Tochter kennenzulernen. Was konnte er jetzt noch tun? Ein Vater sein und entscheiden, was das Beste für sein kleines Mädchen war.

„Seien Sie ehrlich“, bat er Miss Joan. „Glauben Sie wirklich, dass Breena mich so sehr geliebt hat?“

Sie schüttelte enttäuscht den Kopf und murmelte etwas wenig Schmeichelhaftes vor sich hin. Dann sah sie ihn an. „Wie kann man nur so dumm sein?“, entgegnete sie. „Ja, Matthew, das glaube ich.“

Sein Blick wurde bohrend, als wollte er sie zwingen, ihm die Wahrheit zu sagen. Sosehr er ihr glauben wollte, es brauchte mehr, um ihn zu überzeugen. „Hat sie Ihnen das gesagt?“

Miss Joan machte eine ungeduldige Handbewegung. „Das musste sie nicht. Ich durchschaue meine Mitmenschen“, sagte sie. „Breena hat dich geliebt. Vermutlich mehr, als du es wahrscheinlich verdient hast.“

„So langsam glaube ich, Sie könnten recht haben“, gestand er widerwillig und bereute zutiefst, dass er nicht schon viel früher nach Forever gekommen war, um mit Breena zu reden, als er es noch gekonnt hätte.

„Jetzt werd’ mir nicht zum Weichei, mein Junge“, fuhr Miss Joan im Befehlston den jungen Mann an, der ihr gegenübersaß. „Die Breena Alexander, die ich kannte, hat sich in einen Mann verliebt, nicht in einen Jungen mit großen Hundeaugen und Trauermiene.“

Matt hatte nur gehört, dass Breena in ihn verliebt gewesen war.

„Das hat sie Ihnen erzählt?“ Er musste es wissen. Er brauchte eine klare, eindeutige Antwort. Die Vorstellung, dass Breena ihn tatsächlich geliebt hatte, machte ihn zugleich glücklich und betrübt. Er musste sich sicher sein, dass die Diner-Wirtin nicht nur gedankenlos mit dem Begriff umging. „Dass sie in mich verliebt war?“

Seufzend schüttelte Miss Joan den Kopf. „Sie hat es in Großbuchstaben an Rileys Scheune geschrieben“, erwiderte sie. Aber dann legte sie den sarkastischen Ton ab und wurde wieder ernst. „Nein, sie hat es nicht offen ausgesprochen, dafür war sie zu diskret. Aber ich habe keine Zweifel an ihren Gefühlen. Als ihr klar wurde, dass sie schwanger ist …“ Miss Joan hatte nicht lange gebraucht, um sich alles zusammenzureimen. „Sie hat regelrecht gestrahlt. Sie hat nichts bereut. Glauben Sie mir, ich habe ihr angesehen, wie sehr sie sich auf das Kind gefreut hat.“

Verzweiflung überkam Matt. Hätte ich es doch nur gewusst, dann wäre ich für sie da gewesen, dachte er.

„Hat niemand sie gefragt, warum sie den Vater des Babys nicht kontaktiert?“, wollte er wissen. In seiner Heimat hätte man das getan, man hätte Breena gedrängt, mit dem Vater des Babys Kontakt aufzunehmen, anstatt die Schwangerschaft allein durchzustehen.

Wieder schüttelte Miss Joan den Kopf. „Nein. Hier kümmern sich alle nur um ihre eigenen Angelegenheiten. Und wenn sie das nicht tun, hat das unangenehme Folgen. Man mischt sich nicht ein, wenn man keinen Ärger will.“ Miss Joan war nur wichtig gewesen, dass sie wusste, was Sache war.

Matt sah die Diner-Wirtin an.

„Ärger?“, fragte Matt. „Mit wem bekommt man Ärger?“

Sie schaute ihn an, als sei er schwer von Begriff. „Mit mir natürlich, Junge. Mit mir bekommt man Ärger, und zwar gewaltigen. Jeder, vor allem, wenn er so nett ist wie Breena, sollte sein Leben so leben dürfen, wie es ihm gefällt. Und zwar ohne dass jemand sich einmischt und ihm Vorschriften macht – es sei denn, dieser Jemand bin ich.“ Eine Sekunde lang umspielte ein trockenes Lächeln die noch trockeneren Lippen der Frau.

Jetzt stellten sich Matt nur noch mehr Fragen.

„Hat Breena Ihnen erzählt, dass ich der Vater des Babys bin?“ Unvorstellbar, dass die Frau, die sein Herz erobert hatte, damals mit einem anderen Mann geschlafen hatte. Aber logisch gesehen war das die naheliegende Frage.

Miss Joan lächelte nur vielsagend.

Breena hatte ihm einmal mit einem bewundernden Unterton erzählt, dass Miss Joan immer alles zu wissen schien. Dass es vollkommen sinnlos war, auch nur zu versuchen, Miss Joan etwas vorzumachen, weil sie alle durchschaute.

Seine nächste Frage schien die Wirtin zu überraschen. Anstatt sie über das Baby auszufragen, wie sie es erwartete, wollte er etwas anderes wissen. „Ist Breena hier begraben?“

Miss Joan runzelte die Stirn. „Dies war ihre Heimat, mein Junge“, antwortete sie. „Wo sonst hätte man sie zur letzten Ruhe betten sollen?“

„Können Sie mich hinbringen?“, bat er. „Oder mir wenigstens beschreiben, wo sich ihr Grab befindet?“

Damit schien Miss Joan nicht gerechnet zu haben. Er fand die Bitte nicht gar so ungewöhnlich, aber gleich darauf wurde ihm klar, warum Miss Joan so überrascht reagierte.

„Das kann sie im Moment nicht“, sagte eine sehr ernste Stimme hinter ihm. „Aber wenn Sie es wirklich sehen wollen, kann ich Sie hinbringen.“

Erstaunt drehte er sich um, denn er war davon ausgegangen, dass niemand ihre Unterhaltung hören konnte. Verwirrt schaute er zu einer äußerst attraktiven jungen Frau hinauf. Das Blau ihrer Augen war das intensivste, das er je gesehen hatte.

Auf ihrem Gesicht lag nicht einmal der Anflug eines Lächelns. Im Gegenteil, abgesehen von Miss Joan war er noch keinem Menschen mit einer so grimmigen Miene begegnet.

Er starrte sie an. Miss Joan schwieg, anstatt ihn und die junge Frau miteinander bekannt zu machen. „Entschuldigung, Sie sind …?“

Riley ging um den Tisch herum, bis sie vor dem Mann stand, mit dem Miss Joan redete.

Sie wusste auch ohne Vorstellung, wer er war.

„Ich bin unglaublich überrascht, dass Sie tatsächlich hier auftauchen“, antwortete sie schließlich.

Matt war sich unsicher, wie er reagieren sollte, und warf Miss Joan einen fragenden Blick zu. Die beiden Frauen schwiegen und schienen ihn zappeln lassen zu wollen. Aber er war nach Forever gekommen, weil er zu wenig wusste. Er brauchte mehr Informationen, und je früher er die erhielt, desto früher würde er gehen können – weg von den missbilligenden Blicken dieser beiden Frauen.

Er wollte Breenas Grab besuchen und sich von ihr verabschieden. Sonst würde er ihren Tod und diese Situation nicht begreifen können.

Nach einer Weile bekam Miss Joan offenbar Mitleid mit ihm, denn sie zeigte mit dem Kinn in Richtung der jungen Frau, die an ihren Tisch getreten war.

„Das ist Riley Robertson, die erste hoch qualifizierte Krankenschwester aus Forever und Breenas beste Freundin“, sagte sie. „Sie ist diejenige, die dir geschrieben hat.“

„Das hätte ich mir denken können“, sagte Matt zu Miss Joan, nicht zu der Frau, die ihn noch immer voller Verachtung ansah.

Miss Joan gab keinen Kommentar dazu ab. „Und dies ist Matt Logan“, fuhr sie ungerührt fort und blickte zwischen ihnen hin und her. „Okay, ihr zwei. Gebt euch die Hand, dann geht jeder in seine Ringecke zurück.“ Sie machte eine Pause. „Das hätte Breena von euch erwartet“, schloss sie streng.

Und dann griff sie Rileys Angebot auf. „Ich schlage vor, du bringst Matt zu Breenas Grab. Schließlich will er es besuchen.“

Ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch.

Riley sah plötzlich aus, als würde sie ihr Angebot bereuen. Aber offenbar ließ Miss Joan ihr keine Wahl.

„Okay, wenn er es wirklich sehen will, kann ich ihn hinbringen“, gab sie nach.

„Er will es wirklich sehen“, versicherte Miss Joan ihr und warf Matt einen herausfordernden Blick zu. „Richtig?“

„Richtig“, antwortete er, nicht, weil er eingeschüchtert war, sondern weil es stimmte.

Seit er wusste, dass Breena tot war, fühlte er den Verlust, als hätte jemand ihm einen Nagel in die Brust gebohrt. Die Erkenntnis, dass er sie und ihr Lächeln niemals wieder sehen würde, hatte ihn mit voller Wucht getroffen.

Wieder warf er sich vor, nicht schon im ersten Winter nach Forever zurückgekehrt zu sein. Dass er sich von seinem Stolz zur Untätigkeit hatte verleiten lassen. Er hatte sich sogar eingeredet, dass es nett von ihm war, Breena keinen Kontakt aufzuzwingen. Das ist es doch, was sie will, hatte er gedacht. Also sollte sie genau das bekommen, den kompletten Kontaktabbruch.

Du Idiot.

Wie hatte er das nur glauben können?

Riley drehte sich wieder zu ihm. „Können wir?“, fragte sie den Fremden, der ihrer besten Freundin das Herz gebrochen hatte und den sie jetzt zum Friedhof fahren musste, damit er Breenas Grab besuchen konnte.

„Ja“, antwortete Matt mit monotoner, nahezu ausdrucksloser Stimme.

Sie würdigte ihn keines Blicks, kehrte ihm den Rücken zu und marschierte nach draußen.

3. KAPITEL

Obwohl die Fahrt von Miss Joan’s Diner zum Friedhof kurz war, musste Riley sich mehrmals auf die Zunge beißen, um den Mund zu halten.

Denn sie wollte diesen Mann unbedingt fragen, warum er sich in den vergangenen vier Jahren nicht bei Breena gemeldet hatte. Vielleicht hatte Breena seine Briefe oder E-Mails oder Anrufe nicht beantwortet, aber das war noch lange kein Grund, aufzugeben. Der Mann hatte gewusst, wo sie wohnte, er hätte herfliegen oder mit dem Auto kommen können.

Warum hatte er es nicht getan?

Wenn Breena über ihn gesprochen hatte, und das hatte sie in den höchsten Tönen getan, war klar, dass er ihr viel bedeutete und sie beide nicht im Streit auseinandergegangen waren.

Warum war Breena nur so sturköpfig gewesen? Der Grund, den sie dafür genannt hatte, ergab einfach keinen Sinn.

Riley hatte sich oftmals beherrschen müssen, um den Stier nicht bei den Hörnern zu packen und den Mann einfach selbst zu kontaktieren. Gleich im ersten Jahr hatte sie den Poststempel auf einem seiner Briefe gesehen und herausgefunden, wo Matt Logan wohnte. Aber da Breena ihre Einmischung als Verrat empfunden hätte und sie ihre beste Freundin nicht hintergehen wollte, hatte sie Matt Logan nicht zur Rede gestellt, sosehr sie das auch wollte.

Aber jetzt, in der Rückschau, bereute Riley es wie kaum etwas anderes in ihrem Leben. Wenigstens wäre Breena in ihren letzten Jahren glücklich gewesen.

Riley blinkte rechts und parkte vor dem marmorgesäumten Eingangstor des makellos gepflegten Friedhofs.

„Breenas Grab liegt dort drüben, ganz am Ende“, sagte sie beim Aussteigen zu dem Mann, der Breenas Herz erobert hatte.

Riley wartete, bis er neben ihr stand, und ging voran durch das kleine Meer von Grabsteinen, bis sie vor einem hübschen, neu aufgestellten Engel mit anrührender, unschuldiger Miene stehen blieb. Der Engel schaute zum Himmel hinauf.

Matt schaute sich um. „Das ist schön“, sagte er leise, fast zu sich selbst.

Sie nahm an, dass er den Engel meinte. „Wir haben alle zusammengelegt“, erzählte sie ihm, bevor sie die Worte herunterschlucken konnte.

„Wir?“, fragte er.

...

Autor

Sera Taíno
Mehr erfahren
Melissa Senate
<p>Melissa Senate schreibt auch unter dem Pseudonym Meg Maxwell, und ihre Romane wurden bereits in mehr als 25 Ländern veröffentlicht. Melissa lebt mit ihrem Teenager-Sohn, ihrem süßen Schäfermischling Flash und der spitzbübischen Schmusekatze Cleo an der Küste von Maine im Norden der USA. Besuchen Sie ihre Webseite MelissaSenate.com.</p>
Mehr erfahren
Makenna Lee
Mehr erfahren