Bianca Weekend Band 26

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KALT WIE EIS – HEISS WIE FEUER von KRISTIN HARDY

Ihre Leidenschaft für den mutigen Nick raubt Susan den Schlaf, und ihr Verlangen, ihn ein einziges Mal zu lieben, wird übermächtig. Aber sie muss sich kühl geben und ihn vergessen! Nicht noch einmal könnte sie einen geliebten Menschen in einem Feuer verlieren …

SÜSSE SEHNSUCHT ERFÜLLT MEIN HERZ von ALLISON LEIGH

Erleichtert atmet Bethany auf. Nicht ihr Ex hat sie in der Einsamkeit aufgespürt, sondern der Feuerwehrmann Darr Fortune. Als er ihr seine Hilfe anbietet, erwacht in ihr eine süße Sehnsucht. Ob Darr ihr und ihrem ungeborenen Kind endlich das wahre Glück bringt?

GLÜCKLICH IN DEINEN STARKEN ARMEN von KARA LENNOX

Seit Ethan die zerbrechliche Kathryn aus dem lodernden Inferno in ihrer Wohnung getragen hat, weiß er: Gerne würde er an ihrer Seite durchs Leben gehen. Doch trotz des überwältigenden Knisterns zwischen ihnen weist Kathryn ihn unerklärlicherweise zurück …


  • Erscheinungstag 28.09.2024
  • Bandnummer 26
  • ISBN / Artikelnummer 8053240026
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Kristin Hardy, Allison Leigh, Kara Lennox

BIANCA WEEKEND BAND 26

1. KAPITEL

Unglaublich, wie schnell sich so viel Papier ansammeln kann. Verdrossen betrachtete Nick Trask die Stapel auf seinem Schreibtisch. Er war zur Feuerwehr gegangen, weil er Brände bekämpfen wollte, nicht um sich mit ödem Schreibkram abzugeben.

Wenn ihn die Leute fragten, warum er mit Leib und Seele Feuerwehrmann war, zuckte er mit den Schultern und erklärte, es sei eine dankbare Aufgabe. Das stimmte, aber er sagte nicht, was ihn daran noch reizte – der Kampf mit den Flammen, das unbeschreibliche Gefühl des Triumphs, wenn er Leben gerettet hatte, der Adrenalinrausch, während er alles riskierte, um den gefräßigen, rot glühenden Drachen zu bändigen.

Solche Momente entschädigten ihn für Tage wie diesen. Gleich nach Schichtbeginn hatten sie zu einem Brand ausrücken müssen, nur ein paar Häuserblocks von der Wache entfernt. Bruce Jackson war aufs Dach geklettert, um ein Loch hineinzuschneiden, damit der Qualm abziehen konnte. Mit beiden Händen an der Kettensäge musste er feststellen, dass die sechs Meter lange Leiter eine kaputte Sprosse hatte. Alles in allem hatte er Glück gehabt – sofern man ein gebrochenes Schlüsselbein als Glück bezeichnen konnte.

Von da an war der Tag den Bach runtergegangen.

Unfallberichte, Schadensberichte, Berichte über Ausrüstungsmängel … Nick war versucht, mit dem Feuerzeug kurzen Prozess zu machen. Natürlich wäre es kein Thema, einen Haufen Formulare auszufüllen, wenn nicht ständig das Telefon geklingelt hätte. Ein Rettungseinsatz, ein Wagenbrand, drei medizinische Notrufe. Obwohl er in jeder freien Minute über den Berichten gesessen hatte, war er erst zur Hälfte damit fertig. Der Schichtwechsel stand kurz bevor, und dann musste alles tipptopp sein.

Er schüttelte den Kopf, während er einen Blick auf die Fachbücher warf, die er in der Hoffnung aufgeschlagen hatte, für seine Prüfung lernen zu können. Dazu standen die Chancen denkbar schlecht.

„He, Cap, ich brauche mal deine Hilfe!“ Der Ruf kam von unten aus der Garage. Schwere Stiefel trampelten die Stufen hinauf. „Captain?“ Ein bulliger Feuerwehrmann mittleren Alters steckte den Kopf ins Büro.

Nick legte den Stift hin. „Tut mir leid, O’Hanlan, ich sitze immer noch über den Berichten.“

„Neulich hast du mich gefragt, warum ich nicht auch die Prüfung mache, um meine Beförderungschancen zu verbessern. Da hast du’s. Ihr Chefs müsst euch mit dem Papierkram herumschlagen. Ich bin ein Mann der Tat.“

Nick schmunzelte. „Ein Mann der Tat, soso.“

„In jeder Minute des Tages.“

„Kein Wunder, dass deine Frau immer so ängstlich dreinschaut. Hör zu, ich muss mich hier durchwühlen, wenn ich rechtzeitig fertig werden will. Versuch, jemand anderen zu finden, der dir hilft, okay?“

„Kein Problem. Hab verstanden. Manche Typen sind eben geborene Bürokraten. Aber … nur für den Fall, dass deine Finger ermüden und du mal wieder wissen willst, wie unsere Maschinen aussehen …“

„Warst du jemals Vertreter, O’Hanlan?“

„Ich sag nur, welche Möglichkeiten du hast.“ O’Hanlan deutete mit dem Kopf auf den Fuhrpark unten und wackelte mit den Augenbrauen.

Nick grinste und warf den Stift hin. Als Captain war er schließlich verpflichtet, sich um sämtliche Probleme zu kümmern. „Okay, du hast mich überredet.“

„Cap?“ Todd Beaulieu kam ihnen auf der Treppe entgegen, in der Hand ein Stück Papier. „Diesen Zettel habe ich beim Telefon gefunden. Sieht ganz so aus, als hätte gestern jemand angerufen, um Sie zu sprechen.“

„Gestern?“

„Vermute, die aus der anderen Schicht haben vergessen, es weiterzugeben.“ Beaulieu zeigte auf die Notiz. „Verdammt, O’Hanlan, diese Sauklaue sieht aus wie deine.“

„Hey, ich habe Belobigungen für meine Handschrift bekommen. Kann ich euch zeigen.“

„Wahrscheinlich waren es Geheimcodes“, konterte Beaulieu.

Nick griff nach dem Zettel und versuchte, ihn zu entziffern. „Irgendjemand will irgendetwas morgen tun. Das bedeutet heute. Wir werden es noch herausfinden.“ Er wandte sich zur Treppe. „Was hast du diesmal kaputt gemacht, O’Hanlan?“

Während sie am Tanklöschfahrzeug vorbei zum Drehleiterwagen gingen, verstummte die Musik, und eine sachliche Frauenstimme begann die Morgennachrichten zu verlesen.

„Stadtrat Donald Ayre, der erneut bei den Wahlen im nächsten Monat kandidiert, sprach in Dorchester über seinen aktuellen Plan zur Gewährleistung der Sicherheit für Bostoner Feuerwehrmänner.“

„Unsere Brandbekämpfung ist nicht sicher, solange unsere Feuerwehrmänner nicht sicher sind“, erklärte Ayre wichtigtuerisch. „Dafür zu sorgen, wird meine Aufgabe sein, und deshalb will ich wiedergewählt werden.“

O’Hanlan verdrehte die Augen. „Der gute alte Ayre macht sich wieder für uns stark.“ Er kletterte auf den Wagen. „Seltsam, als er das letzte Mal von der Feuerwehr geschwafelt hat, standen auch Wahlen an.“

„Und im Wahljahr davor ebenfalls. Leider redet er nicht von den Budgetkürzungen, die er befürwortet hat, kaum dass die Wahlen vorbei waren.“

„Vielleicht prahlt er nicht gern mit seinen Leistungen. Und außerdem, was für unsere Großväter gut genug war, reicht uns als Ausrüstung doch auch, oder?“

Nick presste die Lippen zusammen. „Ich wette zwanzig Dollar, dass unser erlauchter Stadtrat innerhalb der nächsten zwei Wochen auf einem bunten Foto erscheint, zusammen mit einem Hightechgerät, das unsere Abteilung für Testzwecke anschaffen, aber nie benutzen wird.“

„Gönn ihm das Vergnügen. Was hat der Kerl sonst schon vom Leben? Einen bequemen, weichen Sessel bei den Ratssitzungen, Freiparken in der gesamten Stadt. Und kostenloses Mittagessen.“ O’Hanlans Augen leuchteten auf. „He, vielleicht sollte ich in die Politik gehen?“

Nick musterte ihn prüfend von oben bis unten. „Ich weiß nicht, ob du noch mehr Mittagessen verträgst, O’Hanlan.“

„Meinst du das hier?“ Er tätschelte seinen beachtlichen Bauch. „Das sind alles Muskeln, Freundchen.“

„Na schön. Wo ist das Problem, mit dem du nicht allein fertig wirst?“

O’Hanlan beugte sich über die gigantische Feuerleiter, die zusammengeklappt auf dem Wagen ruhte. „Beim letzten Einsatz hat sie ein bisschen geklemmt. Ist nicht so ausgefahren, wie sie sollte. Ich habe mir die Sache angesehen. Der Schraubbolzen hier sitzt locker und ist teilweise abgeschert.“ Er rüttelte an der Leiter, und der Bolzen klapperte. „Ich würde ihn einfach austauschen, aber mit meinen Pranken komme ich nicht ran.“

Nick sah genauer hin, dann auf seine Armbanduhr. „Was hältst du davon, wenn ich ihn zum Reparieren gebe?“

„Nichts.“ O’Hanlan unternahm einen fruchtlosen Versuch, den Bolzen zu fassen zu bekommen. „Bis die Werkstattfritzen den Antrag haben, vergeht ein Monat. Ein weiterer, bis die mit der Reparatur durch sind. Oder wir müssen uns mit den Relikten aus dem letzten Bürgerkrieg behelfen.“

„Ich dachte, ein Mann der Tat wie du liebt Herausforderungen?“

„Meine Energie brauche ich am Einsatzort und nicht dafür, den Wagen hinzuschieben“, betonte er. „Mensch, da versuche ich, dir eine Verschnaufpause vom Schreibtisch zu verschaffen, und du beschwerst dich, du Aktenkrämer!“

„Das ist dein Problem, O’Hanlan. Du denkst immer erst an die anderen.“ Er hockte sich hin, um besser sehen zu können. „Gib mir mal den Schraubenschlüssel.“

Susan Hillyard ging zügig auf die Feuerwache zu. Die Oktobersonne blendete sie, und sie wünschte, sie hätte ihre Sonnenbrille dabei. Ein paar Jungs lungerten an der Ecke und drehten sich um, als sie vorbeimarschierte.

„He, Süße, wo willst du so schnell hin?“ Einer folgte ihr ein paar Schritte, und seine Kumpels lachten. „Komm, Baby, ich zeig dir das Paradies.“

Sie ignorierte ihn. Graffiti zierten die Mauern zu ihrer Rechten. Im Süden von Boston, hier, wo die Vororte North Dorchester und Roxbury ineinander übergingen, sah selbst der Bürgersteig abgenutzt aus. Susan verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Ihr Interesse galt einzig und allein den Männern in der Feuerwache dort drüben.

Der Druck in ihrem Magen verstärkte sich.

Sobald sie durch jene Tür trat, begann die letzte Phase. Fünf Jahre lang hatte sie wie besessen daran gearbeitet, diese Ausrüstung zu entwickeln. Fünf Jahre … der Preis war nicht zu hoch, um Einsatzkräfte vor dem Flammentod zu bewahren.

Die Tore standen offen. Sie ging langsamer. Es war eine halbe Ewigkeit her, dass sie den Fuß in eine Feuerwache gesetzt hatte. Sie hatte gedacht, inzwischen bereit zu sein.

Ein Irrtum.

Tu es.

Sie unterdrückte die Angst, holte tief Luft und betrat die kühle hohe Halle. Ein massiger dunkelhaariger Mann mit jungenhaften Zügen stapelte an einer Wand Kanister.

Ein junger Feuerwehrmann, auf dem Kopf eine Kappe mit dem Logo der Red Sox, fegte den Boden. Er sah auf, stellte den Besen weg und wischte sich die Hände ab. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Ihre Absätze klickten auf dem Zementfußboden. „Hallo.“ Sie lächelte und wettete insgeheim, dass er keinen Tag älter als neunzehn war. „Ich suche Nick Trask.“

Jetzt wurde er rot. „Den Captain? Ich glaube, er ist in seinem Büro. Warten Sie, ich hole ihn.“

Der Dunkelhaarige drehte sich um. „He, Roter! Will sie zu Trask?“

Susan erstarrte.

„Da oben ist er nicht. Er ist bei O’Hanlan.“ Er deutete auf den Gerätewagen. „Dort drüben.“

„Danke, Beaulieu.“ Der Junge grinste verlegen. „Sorry.“ Er musterte Susan. „Geht es Ihnen gut?“

Sie zwang sich, normal weiterzuatmen. „Alles okay, danke.“ Nun erst entdeckte sie das rotbraune Haar, das unter der Mütze hervorlugte. „Ich kannte jemanden, der auch Roter genannt wurde.“

„Ich heiße Jim Sorensen“, sagte er und nahm die Kappe ab. „Aber Sie wissen ja, wie das ist. Sie sehen meine roten Haare, und das war’s dann.“

„Ja, ich weiß, wie das ist.“

„Okay, ich halte die Mutter, und du schiebst den Bolzen durch“, murmelte Nick konzentriert. „Ein Stoß, dann müsste es klappen.“ Sie stemmten sich gegen die Leiter, und das Metall bewegte sich kreischend.

„Warte, wenn ich mit der Hand da reinkomme, kann ich …“ Ein Schmerzensschrei folgte, dann ein Fluch. O’Hanlan hielt sich die Knöchel. „Ich bin Feuerwehrmann, kein verdammter Mechaniker!“

„Du warst dagegen, die Werkstatttruppe zu alarmieren. Los, du Mann der Tat, wir versuchen es noch einmal.“

„Ab durch die Mitte, du blödes Ding“, knurrte O’Hanlan vor sich hin. „Jetzt aber. Gleich haben …“ Er unterbrach sich abrupt und stieß einen leisen Pfiff aus. „Junge, Junge. Warum hab ich mich nicht freiwillig zum Fegen gemeldet?“

Ohne sich umzudrehen, wusste Nick, dass es um eine Frau ging. Dann hörte er ihre Stimme. Leise, leicht rauchig – wie sie in ein Schlafzimmer gehörte. Sein Körper reagierte, noch bevor er die Frau gesehen hatte.

Als er sich umdrehte, fiel sein Blick zuerst auf ihr Haar. Sie trug es zurückgebunden und mit einer Spange befestigt. Gebändigt wirkte es deshalb noch lange nicht. Dichte üppige Locken – taillenlang, vermutete er – und feuerrot. Und ihr Gesicht … das Gesicht passte zur Stimme. Sinnlich, mit hohen Wangenknochen, großen schimmernden Augen und einem Mund, von dem er sich bereits vorstellte, wie er sich auf seiner Haut anfühlen würde. Der schmale waldgrüne Hosenanzug betonte ihre schlanke, an den richtigen Stellen wohl gerundete Figur. Die Frau sah toll aus, keine Frage.

„Guck dir unseren Roten an.“ O’Hanlan lachte leise. „Der stolpert gleich über seine eigenen Füße.“ Er drehte sich wieder um. „Nick?“

Er hatte sie angestarrt. Nick merkte es und riss sich zusammen. „Und du bist natürlich ein Meister der Selbstkontrolle.“ Er beugte sich wieder über die Leiter. „Komm, lass uns das hier fertig machen.“

„Ich bin glücklich verheiratet, Mann“, brummte O’Hanlan, während er den Bolzen an seinen Platz schob. „Außerdem würde Leanne mir das Fell über die Ohren ziehen, wenn sie mich dabei erwischt, dass ich andere Frauen angaffe.“ Er linste über die Schulter. „Deshalb tue ich es nur hier.“

Nick zwängte seine Hand zwischen die Streben, um die Mutter festzuziehen. „Bleib bei der Brandbekämpfung. Das ist sicherer.“

„Hallo? Entschuldigen Sie, ich suche Nick Trask.“

Ihre Stimme strich über seine Haut, bezauberte, erregte ihn. Er lehnte sich über die Leiter. Ihre Blicke trafen sich. Aus der Nähe betrachtet war der Rotschopf hinreißend!

„Ich bin Nick Trask. Gedulden Sie sich eine Minute, bin gleich bei Ihnen.“

„Eine Minute?“ O’Hanlan grinste. „Wenn du für mich übernimmst, bin ich in dreißig Sekunden dort unten.“

„Immer mit der Ruhe, Kumpel.“ Nick drückte ihm den Schraubenschlüssel in die Hand und klopfte ihm auf die Schulter. „Denk an dein Fell, okay?“

Sie hatte schon immer eine Schwäche für Männer in Uniformen gehabt. Susan beobachtete, wie der schlanke, athletische Mann sich vom Wagen schwang. Die Uniform saß, als wäre sie für ihn gemacht. Finger weg, dachte sie. Feuerwehrmänner sind tabu. Er kam näher, und ihr Puls wurde einen Takt schneller.

„Nick Trask“, sagte er und wischte sich die Hände an einem Lappen ab.

Dunkel, dachte Susan. Und gefährlich. Schwarzes Haar, tief gebräunte Haut und Augen wie schwarze Tinte. Kantige Gesichtszüge, die nicht klassisch schön waren, aber atemberaubend männlich.

Susan wappnete sich. „Susan Hillyard, Exler Corporation.“ Sie streckte die Hand aus. „Ich bin im Auftrag von Stadtrat Ayre hier.“ Sie war nicht sicher, was sie mehr verwirrte – seine verschlossene Miene oder die Hitze, die sie unerwartet durchströmte, kaum dass sie seine Hand berührt hatte. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Captain Trask.“

„Ebenfalls“, antwortete er höflich, aber nicht gerade herzlich. Jetzt sah sie auch, dass seine Augen nicht schwarz waren, sondern grau. Dunkelgrau wie Rauch oder wie ein stürmischer Himmel in der Abenddämmerung. „Was kann ich für Sie und den Stadtrat tun?“

„Wir waren für heute verabredet.“

„Wir?“

„Ich habe gestern angerufen, um den Termin noch einmal zu bestätigen.“

„Davon weiß ich …“ Er stutzte und zog einen rosa Zettel aus der Tasche. „Ach so, Sie waren das. Tut mir leid, aber ich habe die Nachricht erst vor zehn Minuten bekommen, und wir hatten einen hektischen Tag, also …“

„Das macht nichts“, unterbrach sie ihn freundlich. „Ich werde Ihre Zeit nicht lange beanspruchen. Wir müssen über die Ausrüstung reden.“

„Die Ausrüstung?“ Er stemmte die Hände in die Seiten und nickte. „Ayre verschwendet keine Zeit, das muss man ihm lassen.“

Der sarkastische Unterton irritierte sie, aber sie ließ sich nichts anmerken. „Es geht um die Ablaufkoordination, die Planung der Testphase. Stadtrat Ayre …“

„Ja, ich weiß, Stadtrat Ayre“, fiel er ihr ins Wort und sah kurz zu seinen Männern hinüber, die offenbar aufmerksam zuhörten. „Kommen Sie mit in mein Büro. Dort können Sie mir erzählen, was Ayre diesmal vorhat.“

„Zu Befehl, Sir“, murmelte Susan vor sich hin, folgte ihm jedoch die Stufen hinauf. Nick Trask mochte ein guter Feuerwehrmann sein, aber zuvorkommend war er gerade nicht.

Ordentlich auch nicht, stellte sie gleich darauf fest.

„Nehmen Sie Platz.“

Susan stand an der Tür des winzigen Büros und traute ihren Augen nicht. Überall lagen Bücher und haufenweise Papier herum.

„Auf welchen Stapel darf ich mich setzen, Captain Trask?“

Ihr Ton war liebenswürdig, aber ihr spöttischer Blick sprach Bände.

Nick befreite den Besucherstuhl von seinen Fachbüchern. „Bitte.“ Das Telefon klingelte. „Einheit 67, Trask am Apparat“, meldete er sich ungeduldig. „Ach ja, richtig. Giancoli hat mir gesagt, dass die Bremsen am Tankzug runter sind.“ Er glitt auf seinen Sessel und beachtete Susan nicht mehr.

Sie stellte ihre Aktentasche ab und nutzte die Gelegenheit, sich gründlich umzusehen. Fotos bedeckten die Wände. Darauf fröhlich grinsende Feuerwehrmänner vor ihren blitzblanken Löschzügen oder eine Gruppe Männer um einen Küchentisch versammelt. Ein Zeitungsausschnitt zeigte grimmige Kerle in voller Montur, denen die Erschöpfung von den rußgeschwärzten Gesichtern abzulesen war. Brand im Hillview-Pflegeheim. Beherzter Einsatz der Einheit 67 verhindert eine Katastrophe, las sie.

Susan ließ den Blick schweifen und entdeckte zwei nachlässig aufeinandergelegte gerahmte Auszeichnungen auf dem Aktenschrank. Die obere lobte einen Nick Trask für besondere Tapferkeit im Dienst. Beeindruckt wandte sie sich ihm wieder zu. Er telefonierte noch immer und schien seine Besucherin völlig vergessen zu haben.

Das ließ ihr Zeit, ihn genauer zu mustern. Seine markanten Züge verrieten eine starke Persönlichkeit, sein Mund machte eine Frau neugierig. Nick Trask war ein gefährlich attraktiver Mann. Susan verspürte ein beunruhigendes Flattern im Magen. Um sich abzulenken, stellte sie sich ans Fenster.

Draußen bellte ein Hund, unten auf der Straße spielten ein paar Jungen Fußball.

Im Zimmer knisterte die Luft.

Nick rutschte im Sessel nach vorn. „Okay, alles klar. Sagen Sie mir Bescheid, wenn es losgeht. Großartig. Bis später.“ Er legte auf und drehte sich zu Susan Hillyard um.

Das Licht spielte ihm einen Streich. Ihr Haar leuchtete, als stünde es in Flammen. Stumm betrachtete er sie. Dann schüttelte er den Kopf und hatte sich wieder in der Gewalt.

Im selben Moment drehte sie sich um und trat vom Fenster zurück. „Alles erledigt?“

„Ja. Tut mir leid, dass Sie warten mussten.“ Noch immer leicht verwirrt, kam er sofort zur Sache. „Also, Miss Hillyard, was hat Ihnen der Stadtrat versprochen? Was sollen wir für Sie tun?“

Susan presste die Lippen zusammen und setzte sich. „Ich glaube, der Stadtrat ist ernsthaft an Ihrer Sicherheit interessiert, wie Sie gleich feststellen werden. Sehen Sie, ich habe schon vor Wochen einen Termin vereinbaren lassen“, fügte sie frostig hinzu. „Und ich hatte angenommen, Sie wären bereit, sich mit mir zu unterhalten.“

Nick verfluchte die widrigen Umstände und vor allem Donald Ayre. Egal was die Klassefrau ihm verkaufen wollte, sie und ihr Auftrag würden ihn Zeit kosten, die er nicht hatte.

„Na schön“, begann er und raffte zusammen, was er an Geduld aufbieten konnte, „fangen Sie an. Am besten ganz von vorn.“

Susan holte tief Luft. „Ich arbeite für die Exler Corporation“, sagte sie vorsichtig, „und ich habe Orienteer entwickelt, ein System, um Einsatzkräfte in brennenden Gebäuden aufzuspüren.“

„Wie das?“

„Grundlage ist ein Mikrochip, der GPS-Koordinaten mit einer Datenbank von Gebäudeplänen verknüpft, um Menschen zu lokalisieren, wo auch immer es nötig wird. Sie wollen Ihre Leute in einem brennenden Hochhauskomplex finden? Orienteer macht es möglich. Das System leitet sie sogar nach draußen. Niemand muss sterben wie damals beim Hartford-Brand.“ Ihre Stimme stockte kurz, so schien es ihm jedenfalls. Aber als sie fortfuhr, klang sie bestimmt, und er war nicht sicher, ob er es sich nicht nur eingebildet hatte. „Die Erprobungsphase ist abgeschlossen, Fehler wurden behoben. Als letzter Schritt fehlt nur noch der Test im Ernstfall.“

„Ausgeschlossen.“ Nick schüttelte den Kopf. „Meine Männer sind keine Versuchskaninchen.“

„Wie bitte?“

„Das kommt nicht infrage.“ Oh ja, er wusste genau, wie die Sache laufen würde. Man zog für die Politiker eine Show ab, investierte kostbare Mittel aus dem Abteilungsbudget, und wenn die Fotos im Kasten und die Wahlen vorbei waren, redete niemand mehr davon, die Anschaffung des neuen Systems zu finanzieren. Das allein wäre schon schlimm genug, aber seine Jungs für einen Fototermin unwägbaren Gefahren auszusetzen, das ging ihm einfach zu weit.

„Sie können nicht einfach ablehnen.“

„Erstens ist es völlig unpraktisch.“ Das war’s, was ihn an Wichtigtuern wie Ayre gewaltig störte. Anstatt etwas Vernünftiges, etwas wirklich Brauchbares anzubieten, tauchte eine entzückende Forscherin mit einem neuen Projekt auf, und Ayre sah nur die Schlagzeilen und nicht das Risiko.

„Unpraktisch?“ Ihre Augen blitzten. „Wie können Sie das behaupten, wenn Sie nicht das Geringste darüber wissen?“

„Wo wollen Sie all die Baupläne hernehmen?“

„Die Baubehörde hat sie uns bereits zur Verfügung gestellt. Die Mikroprozessoren für die Testeinheiten enthalten die Pläne für sämtliche Gebäude in Boston und Cambridge.“

Er gab einen abfälligen Laut von sich. „Glauben Sie wirklich, dass sie in einer Stadt wie dieser auf dem neuesten Stand sind? Wollen Sie dafür Menschenleben riskieren?“

„Wir checken die Pläne, sobald die Häuser betreten werden.“

„Bis ins Detail? Das schaffen Sie nie.“ Nick atmete tief durch. „Wenn Sie sich nützlich machen wollen, verschaffen Sie mir mehr Wärmebildkameras, entwickeln Sie bessere Atemschutzgeräte. Irgendwas Erprobtes. Etwas Praktisches.“

Ihre Wangen röteten sich. „Die Ausrüstung ist praktisch! Und erprobt auch. Die Testläufe sind abgeschlossen, man hat das System nur noch nicht im Ernstfall angewendet. Das Department und der Stadtrat stehen voll dahinter.“

„Das wundert mich gar nicht. Der Feuerwehrchef und Ayre sind im selben Häuserblock aufgewachsen.“

„Was soll das denn heißen?“

Er seufzte. Sie konnte ja nichts dafür. „Hören Sie, ich bin sicher, Sie haben die besten Absichten, aber Sie wissen nicht, was hier abläuft.“

„Das werden Sie mir doch bestimmt erzählen.“

Ihre Hartnäckigkeit beeindruckte ihn. „In jedem Wahlkampf schreibt Ayre sich die Sicherheit der Feuerwehrleute auf die Fahne. Das sichert ihm die Aufmerksamkeit der Medien, die ihn öffentlichkeitswirksam vor glänzenden roten Löschfahrzeugen ablichten. Die dringend benötigten Fördermittel bleiben aus. Glauben Sie mir, ich habe es nicht nur einmal erlebt.“ Frustriert schüttelte er den Kopf. „Ayre will die Wahl gewinnen, mehr nicht. Und Sie sind das Mittel zum Zweck.“

„Was ist los mit Ihnen? Ich spreche von einer Ausrüstung, die Ihnen nützlich sein kann, und Sie entwickeln Verschwörungstheorien.“

Nick richtete sich auf. „Nein, ich erkläre Ihnen Politik.“

„Und ich rede davon, Leben zu retten“, konterte sie. „Haben Sie Probleme mit Ayre? Sie brauchen ihn ja nicht zu wählen. Darum geht es mir nicht. Mich interessiert einzig und allein, das System endlich zum Einsatz zu bringen.“

„Träumen Sie weiter. Niemand wird Ihnen Ihr Spielzeug abkaufen.“

„Es ist kein Spielzeug!“, protestierte sie hitzig. „Sondern ein ausgeklügeltes System.“

„Ein … Haben Sie überhaupt die geringste Ahnung von Brandbekämpfung?“

Susans Augen brannten plötzlich. Sie schluckte, holte bebend Luft. „Natürlich. Ich habe Feuerwehrleute aus Cambridge zurate gezogen, während ich die Ausrüstung entwickelte.“

„Ausgezeichnet. Sollen die den Test machen.“

„Wir haben bei der Stadt Boston angefragt, und die Stadt hat Sie genannt. Es geht hier nicht um irgendein läppisches Projekt. Dieser Test ist von entscheidender Bedeutung, und er wird hier durchgeführt. Darauf können Sie sich verlassen. Bill Grant, der Feuerwehrchef, will, dass Ihre Truppe ihn durchführt. Ayre will es. Ich will es. Sie stehen am Ende der Kommandokette, Captain Trask.“

„Irrtum. Nur weil Sie ein paar Gespräche geführt haben, gibt Ihnen das noch lange nicht das Recht, hier aufzukreuzen und den Ton anzugeben.“ Er erhob sich und baute sich vor ihr auf. „Dies ist meine Feuerwache, und es ist mir völlig egal, was Ayre will oder was Grant will, und vor allem, was Sie wollen! Ich setze nicht das Leben meiner Männer aufs Spiel, nur damit Ayre eine gute Presse bekommt!“

Susan wurde blass und sprang auf. Hektische rote Flecken bildeten sich auf ihren Wangen. „Diese Ausrüstung wird zum Einsatz kommen. Es interessiert mich nicht, ob ich Mittel zum Zweck oder die Bauernfigur auf dem Schachbrett der Politik bin oder wofür zum Teufel Sie mich auch immer halten mögen! Wenn ich nur einem Menschen das Leben rette, einem einzigen, dann war meine Arbeit nicht umsonst.“ Ihre Stimme zitterte vor Zorn. „Und Sie werden mir nicht im Weg stehen!“

Sie maßen sich mit Blicken. Die Spannung im Raum war fast mit Händen greifbar, und sie hatte nichts mit Brandbekämpfung zu tun, sondern mit Hitze. Sengender, feuriger Hitze.

Susan schlug die Augen nieder. Eine plötzliche Schwäche zwang sie dazu.

Sekunden später hatte sie sich wieder gefangen. „Sie weigern sich zu kooperieren, Captain Trask? Okay, lassen Sie uns nicht noch mehr Zeit verschwenden. Wo ist Ihr Telefon?“ Sie marschierte zu seinem Schreibtisch und riss den Hörer von der Gabel. „Wie lautet die Nummer des Feuerwehrchefs?“

Er musterte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. Dann nahm er ihr den Hörer aus der Hand, drückte ein paar Tasten und wartete. „Bill Grant, bitte. Danke, ich warte.“ Ohne ein Wort gab er ihr den Hörer wieder.

Susan wartete, während sie hörte, wie Nick in den Flur ging.

Es klickte in der Leitung, dann ertönte eine Männerstimme. „Bill Grant am Apparat.“

„Hi, Bill, hier ist Susan Hillyard.“

„Susan, gut, dass Sie anrufen.“ Er klang erleichtert. „Perfektes Timing. Ich wollte mich gerade mit Ihnen in Verbindung setzen.“

„Hier bin ich. Worum geht es?“

„Können Sie es noch aufschieben, mit der Feuerwache Kontakt aufzunehmen? Wir hatten hier einen kleinen Kommunikationsstau, und das Schreiben, das ich rüberschicken wollte, liegt noch in meinem Büro. Geben Sie mir einen Tag, damit ich die Sache abklären kann?“

Susan sah auf. Der Captain stand Meter entfernt, aber sie konnte sich des seltsamen Gefühls nicht erwehren, dass er sie berührte. Unwillkürlich erschauerte sie und unterbrach sofort den Blickkontakt. „Zu spät, Bill, ich rufe von der Wache aus an.“

„Aha. Ist … alles in Ordnung?“

„Eigentlich nicht. Ehrlich gesagt, nachdem ich mit Captain Trask gesprochen habe, bin ich der Meinung, es wäre besser, wenn ich mit jemand anderem zusammenarbeite.“

„Lassen Sie uns nichts überstürzen, Susan. Nick Trask ist einer der besten Männer, die wir haben. Wenn es ein Problem gibt, so ist das mein Fehler. Geben Sie ihn mir doch bitte mal, ich spreche mit ihm.“

Das Problem ist, dachte Susan, dass ich mit Nick Trask nichts zu tun haben möchte. Vor allem nicht über einen Zeitraum von mehreren Wochen. „Moment, bitte.“ Sie wandte sich dem Captain zu. „Für Sie.“

Susan verließ das Büro. Im Flur atmete sie tief durch. Der Testlauf durfte nicht länger aufgeschoben werden! Die Ausrüstung musste endlich offiziell zugelassen werden!

Sie schaute sich um. Zu ihrer Linken führte die Treppe zum Fuhrpark hinunter. Rechts teilte sich der Flur. Sie vermutete den Schlafsaal auf der einen und wahrscheinlich eine Küche mit Aufenthaltsraum auf der anderen Seite. Susan stellte sich vor, wie Letzterer aussah – abgenutzte, aber gemütliche Möbel, ein Fernseher mit Videorekorder, vielleicht ein paar zerlesene Ausgaben des Fire Engineering auf dem Tisch.

Ehe sie es verhindern konnte, tauchte das Bild eines schlaksigen, jungenhaften Rotschopfs in Feuerwehruniform, lang hingestreckt auf einer Couch, vor ihrem inneren Auge auf. Oh, Mitch, dachte sie traurig, während der vertraute Kummer sie überschwemmte.

„Miss Hillyard?“ Nick Trasks Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Grant will Sie sprechen.“

Rasch kehrte sie in das kleine Büro zurück und nahm den Hörer. „Ja?“

„Also, Susan“, dröhnte es leutselig an ihr Ohr, „ich muss mich für das Durcheinander entschuldigen. Ich habe die Angelegenheit mit Nick besprochen, und er freut sich sehr darauf, mit Ihnen dieses Projekt zu starten.“ Susan warf einen Seitenblick auf den Captain. Oh ja, und wie er sich freut! „Selbstverständlich liegt die Entscheidung bei Ihnen“, fuhr Grant munter fort, „aber er ist wirklich der Beste. Es könnte eine Weile dauern, bis wir Ersatz finden.“

Verzögerungen konnte sie sich nicht leisten. „Okay. Wir gehen nach Plan vor.“

„Großartig“, meinte er zufrieden. „Sollte es irgendwelche Unstimmigkeiten geben, zögern Sie bitte nicht, mich anzurufen. Ich kümmere mich dann darum.“

„Gut. Noch etwas?“

„Ja. Können Sie mir Nick noch einmal geben?“

Schrilles Sirenengeheul erschütterte die Ruhe. Susan schreckte zusammen, streckte aber die Hand mit dem Hörer nach Nick aus.

Der sprintete bereits zur Rutschstange im Schlafsaal. „Sagen Sie ihm, ich rufe später zurück!“

„Er muss …“

„Ich weiß, zu einer Öltankexplosion. Die Meldung kam gerade herein. Susan, haben Sie vielen Dank.“ Und weg war er.

Susan lief die Stufen hinunter. Unten in der Halle herrschte kontrollierte Betriebsamkeit. Die Männer griffen nach Schutzanzügen, Helmen und Handschuhen. Ein untersetzter Feuerwehrmann wandte sich von der riesigen Bezirkskarte ab, die eine ganze Wand bedeckte, und kletterte in den Drehleiterwagen.

„Ich weiß, wo es ist, Cap. Wir können los.“

Motoren erwachten dröhnend zum Leben, die Tore glitten weit auf. Mit gellenden Sirenen und blitzendem Blaulicht raste der Löschzug auf die Straße.

Die Feuerwehrmänner waren im Einsatz.

2. KAPITEL

Wenn ich jemals im Lotto gewinne, lasse ich andere für mich einkaufen, dachte Nick. Er hasste lange Schlangen vor der Kasse und schmal bemessene Gänge zwischen Regalen und chromblitzenden Kleiderstangen.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Eine junge Angestellte tauchte neben ihm auf.

Er betrachtete die bunten Seidentücher neben den eleganten Handtaschen. „Ich suche ein Geburtstagsgeschenk für meine Mutter.“

„Da sind Sie hier genau richtig. Wie wäre es mit ein bisschen Farbe für ihre Wintergarderobe?“ Sie zog einen zarten rotgoldenen Schal vom Regal.

Das Rot erinnerte ihn an Susan Hillyard. Zugegeben, sie hatte ein Gesicht, das ein Mann nicht so schnell wieder vergaß. Doch das war nicht der Grund, warum sie ihm nicht mehr aus dem Kopf ging, seit sie vor zwei Tagen in der Feuerwache aufgetaucht war. Nick dachte daran, wie sie blass geworden war. Und an die Worte, die sie leidenschaftlich hervorgestoßen hatte: Wenn ich nur einem Menschen das Leben rette, einem einzigen …

Irgendetwas trieb sie mächtig an. Er konnte nicht umhin, sie dafür zu bewundern. Seine Neugier war geweckt. Auf das Projekt – und auf die Frau. Nick sah ihren vollen Mund vor sich, die flammend roten Haare. Wieder spürte er die Hitze, die zwischen ihnen geknistert hatte.

Er war auch nur ein Mann, oder?

„Welcher Schal würde Ihrer Mutter gefallen?“ Die geschulte melodische Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück.

„Meine Mutter ist eigentlich nicht der Schaltyp.“ Jedenfalls nicht, wenn der Schal eher schmücken als wärmen sollte. Andererseits, warum nicht? Er hatte diesen Laden betreten, weil er mal etwas anderes schenken wollte als eine neue Zimmerpflanze oder einen Pullover.

Etwas, womit sie nicht rechnete. Etwas, das das Strahlen in ihre Augen zurückbrachte. Das Strahlen, das er vermisste, seit es beim Tod seines Vaters im letzten Frühjahr erloschen war.

Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, dass ein Seidenschal den Zauber bewirken könnte.

„Wie wäre es, wenn Sie sie ein bisschen verwöhnen?“ Zu seinem Schrecken zwinkerte sie ihm zu. „Wir haben hübsche Geschenkpackungen mit Badeölen und Pflegelotionen.“

„Nein, so etwas eher nicht. Was hätten Sie noch?“

„Eine Uhr?“ Sie führte ihn zu einer Glasvitrine.

„Auch nicht.“ Er schüttelte den Kopf. Was sollte seine Mutter mit einer Armbanduhr? Auf der Familienfarm der Trasks stand man noch vor Tagesanbruch auf, nachdem der Wecker geschrillt hatte, und arbeitete, bis es dunkel wurde. Nick betrachtete die mit Samt bespannten Schmuckkästen voller Ringe und Armbänder. Glänzend und kalt und so ganz anders als Molly Trask. Jetzt, da er darüber nachdachte, stellte er fest, dass er noch nie Schmuck an ihr gesehen hatte. Abgesehen von dem schlichten Goldreif, den sein Vater ihr am Hochzeitstag auf den Finger gesteckt hatte. Den Ehering trug sie noch heute. „Haben Sie noch etwas anderes?“

„Nun, wir …“

„Warten Sie.“ Ein warmer, matter Schimmer erregte seine Aufmerksamkeit. „Was ist das?“

„Oh, das ist etwas ganz Besonderes.“ Sie strahlte ihn an, öffnete die Vitrine und griff hinein. „Unsere Vintage-Kollektion. Sie stammt von einer lokalen Goldschmiedin, die nach alten Vorlagen aus dem letzten Jahrhundert wundervolle Stücke in Rotgold fertigt.“

Und ein kleines Vermögen dafür verlangt, dachte Nick, aber die Halskette hatte es ihm angetan. „Wie wäre es damit?“ Er zeigte darauf.

In ihren Augen blinkten Dollarzeichen. „Perfekt! Diese Kette wird mit Glücksbringern bestückt. Die Künstlerin bietet eine bezaubernde Sammlung der verschiedenen Geburtssteine an.“

„Gut.“ Nick holte seine Brieftasche hervor. „Geben Sie mir … je einen Anhänger für Oktober, Mai, Januar, September und Dezember.“ Einen für sie, seinen Vater, seine beiden Brüder und für sich selbst. Ein Zeichen dafür, dass sie die Familie immer um sich hatte. Das wird ihr gefallen, dachte er zufrieden. In schweren Zeiten ist Familie besonders wichtig.

Sofort stellte sich ein nagendes Schuldgefühl ein.

Er hatte Vermont nicht den Rücken gekehrt, um ihr wehzutun. Er war gegangen, weil er dort keine Luft mehr bekommen hatte. Sosehr er seine Familie liebte, er musste seinen eigenen Weg finden. Sie würden da sein, wenn er zurückkam. Das hatte er damals gedacht.

Niemals hätte er damit gerechnet, dass sein Vater so früh sterben könnte.

In gewisser Weise verdankte er seinen Beruf einem Vermächtnis seines Vaters. Nick erinnerte sich noch genau, wie Adam Trask alles stehen und liegen ließ, wenn die Sirenen im Ort losgingen. Zusammen mit anderen Freiwilligen hatte er jeden Brand bekämpft.

Ein Ereignis war besonders stark haften geblieben. Er stand mit seinem Vater im Futtermittelladen, als Alarm geschlagen wurde. Im nächsten Augenblick saßen sie im Wagen und rasten zur Feuerwache. Die Männer sprangen in das Löschfahrzeug, und los ging’s. Obwohl sein Vater ihm befohlen hatte, dort zu bleiben, hielt es Nick nicht im Gebäude. Sobald der Wagen außer Sicht war, rannte er los, die Straße hinunter, dem Qualmgeruch nach.

Schockiert und zugleich von mächtigem Stolz erfüllt wurde er Zeuge, wie sein Vater sich in das brennende Haus stürzte, um kurz darauf rußgeschwärzt und keuchend wieder aufzutauchen. An seinen Hals klammerte sich ein weinendes kleines Mädchen.

Die Vorstellung, auf der Trask-Farm zu bleiben und Ahornsirup herzustellen, hatte ihn nicht mit annähernd so viel Faszination erfüllt.

Nick unterzeichnete den Kreditkartenbeleg und ließ sich das Geschenk verpacken, ehe er das Geschäft verließ. Draußen angelte er sein Handy aus der Jackentasche und drückte eine Kurzwahltaste.

In der Leitung klickte es. „Gabe Trask.“

„Du schuldest mir zweihundert Dollar“, erklärte Nick seinem jüngeren Bruder, während er den Bürgersteig entlang zu seinem Jeep marschierte.

„Was du nicht sagst. Bist du mit der Rate für deinen Wagen schon wieder im Rückstand?“

„Nein, Brüderchen. Du hast gesagt, wir schenken Mom was zusammen. Gerade habe ich etwas besorgt.“

Kurzes Schweigen am anderen Ende. „Ich habe dir die Verantwortung überlassen, für Mom ein Geschenk auszusuchen?“

„Genau.“

„Was habe ich mir bloß dabei gedacht?“

Nick schloss seinen Wagen auf und stieg ein. „Dass du gut dastehst, ohne dich im Geringsten anstrengen zu müssen.“

„He, wenn ich einkaufen will, fahre ich entweder eine geschlagene Stunde bis Stowe oder zwei Stunden bis nach Concord.“

„Du Ärmster.“ Nick steckte das Handy in die Freisprecheinrichtung. „Hör zu, ich bin freiwillig einkaufen gegangen, und wem verdanke ich das? Dir.“

„Wer jammert jetzt?“

„Ich.“ Er drehte den Zündschlüssel, der Motor erwachte mit sattem Brummen zum Leben.

„Was hast du für sie gekauft?“

„Eine Halskette.“ Keine Reaktion. „Gabe, bist du noch dran?“

„Sorry, bin vor Langeweile kurz eingenickt. Sag bitte, du hast dir etwas Originelleres einfallen lassen als eine Goldkette.“

„Vertrau mir. Es ist eine Kette mit Glücksbringern. Aus Rotgold.“

„Daher der Preis“, kommentierte Gabe trocken.

Nach einem Blick in den Rückspiegel fuhr Nick aus der Parklücke. „Es hat mich an sie erinnert“, sagte er. „Sie kann es ständig tragen. Die Glücksbringer sind Geburtssteine, für jeden unserer Familie einer.“

„Nicht schlecht“, gab sein Bruder zu. „Gib’s zu, eine Frau hat dir geholfen, es auszusuchen.“

Susans Gesicht tauchte kurz vor seinem inneren Auge auf. „Falsch – es sei denn, du meinst die Verkäuferin, die mir das Geld abgenommen hat.“

„Wow, mein Bruder erobert die Großstadt. Also, du bringst es zur Feier mit?“

„Ich schaffe es nicht.“ Wieder verdrängte er ein Schuldgefühl. „In einer Woche schreibe ich meine Prüfung. Bis dahin muss ich jede freie Minute zum Lernen nutzen.“

Gabe räusperte sich. „Jacob wird begeistert sein.“

„Das wäre nichts Neues.“ In letzter Zeit gab es eine Menge, worüber Jacob sich ärgerte, und das meiste davon betraf Nick. „Seit einem Jahr bereite ich mich auf diese Prüfung vor. Ich werde nicht in letzter Minute alles in den Wind schießen. Das Geschenk schicke ich dir per Express, und du gibst es Mom. Sie wird es verstehen.“

„Klar.“

„Hör zu, es tut mir leid, dass Dad gestorben ist, aber ich kann nicht einfach meinen Job hinwerfen und nach Hause kommen.“ Die Worte waren heraus, ehe er sie zurückhalten konnte.

„Das habe ich von dir auch nicht verlangt“, antwortete Gabe behutsam. „Wenn du mit Jacob Probleme hast, klär das mit ihm, okay? Ich habe die Vermittlerrolle aufgegeben, als ich in die Pubertät kam.“

Nick bog auf die Zufahrt zum Highway ein. „Warum eigentlich? Als wir noch Kinder waren, war das doch sehr lukrativ für dich. Ich erinnere mich an einige Sommer, da hast du mir etliche Schokoriegel abgepresst, um für Frieden zu sorgen.“

„Abgepresst ist ein hässliches Wort. Ich besitze nun mal ein Talent, die Wogen zu glätten, und du wolltest dich erkenntlich zeigen. Warum sollte ich ablehnen?“

Der Highway lag vor ihm, und er drückte das Gaspedal durch. „Richtig. Stehst du eigentlich noch auf Erdnussriegel?“

Susan ging den weiß getünchten Flur entlang zu ihrem Forschungslabor bei Exler. Sie hörte die Radiomusik schon, bevor sie in die Nähe der Tür kam. Dave Tomlinson, ein Ingenieur des Massachusetts Institute of Technology und ihr Assistent in diesem Jahr, sang lautstark mit. Susan unterdrückte ein Lächeln und öffnete die Tür.

Sekundenlang erfüllte Daves vibrierende Falsettstimme den Flur, verstummte jedoch abrupt. „Oh, oh.“ Sofort drehte er die Musik leiser. „Der Aufseher ist zurück.“

„Höchste Zeit offenbar. Wissen Sie, dass man Sie unten in der Produktion hört? Sie sollten vorsichtig sein.“

Dave, der vor dem Computer saß, grinste. „Das sagen Sie, aber ich glaube, es stört Sie nicht wirklich. Tief in Ihrem Herzen haben Sie eine Schwäche für mich.“

„Ihre Fantasie ist beeindruckend. Sie hätten zum Berklee College gehen und ein Rockstar werden sollen anstatt zum MIT.“ Sie warf einen bedeutungsvollen Blick auf die Weißwandtafel, auf die er Akkorde und Songtexte gekritzelt hatte.

„Aber dann hätten Sie einen öden Kerl als Assi bekommen anstelle des talentierten, charismatischen jungen Typen, den Sie gut leiden können.“

„Was ich gut leiden kann, sind Assistenten, die ihren Job machen.“ Ihre Autorität litt ein wenig darunter, dass sie Mühe hatte, nicht zu lachen.

Unbeeindruckt schielte er auf den Monitor und bearbeitete mit flinken Fingern die Tastatur. „He, wissen Sie was, ich bin hier gleich fertig. Haben Sie das schon gesehen?“ Er deutete auf die Orienteer-Module und die Anwenderhandbücher, die ordentlich gestapelt am Ende des breiten Tisches lagen. „Die sind alle mit Software bestückt und kalibriert, also fertig zum Einsatz. Ich lasse gerade die Simulation für das letzte Teil laufen.“

„Sehr schön“, lobte sie. „Schnelle Arbeit. Wie haben Sie das geschafft? Als ich zur Besprechung ging, hatten Sie gerade angefangen.“

Dave klickte auf die Maus. „Lunch musste ausfallen.“

„Wie bitte?“ Susan zog die Augenbrauen zusammen. „Das können Sie sich nicht leisten. Sie sind zu dünn, Dave.“ Die Rolle der älteren Schwester war neu für sie. „Gehen Sie essen, ich mache den Testlauf zu Ende. Na los“, scheuchte sie ihn vom Stuhl. „Verschwinden Sie.“

Dave stand auf und griff nach seiner Sonnenbrille. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Gebieterin.“ Leise vor sich hin pfeifend verließ er den Raum. Keine Minute später öffnete sich die Tür, und Dave schob den Kopf herein. „He, Chefin.“

„Ja?“

„Glauben Sie ernsthaft, ich könnte es zum Rockstar bringen?“

Susan zwang sich, ernst zu bleiben. „Wollen Sie die Wahrheit wissen?“

„Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.“

„Kündigen Sie nicht gleich Ihren Job“, riet sie.

Das unbeschwerte Pfeifen setzte wieder ein, die Tür schloss sich. Susan machte sich daran, die Simulation zu überwachen. Ihre Konzentration blendete alles andere aus, während sie das Szenario durchlaufen ließ. Als das Telefon klingelte, hob sie geistesabwesend den Hörer.

„Susan Hillyard.“

„Nick Trask, Einheit 67.“

Sie hätte seine Stimme auch so erkannt. Es war verwirrend, wie deutlich sie sein Gesicht vor sich sah. Susan riss sich zusammen. Niemand würde sie ablenken, während sie die Ausrüstung testete. Egal wie attraktiv er war.

„Captain Trask. Wie geht es Ihnen?“

„Gut, danke. Und Ihnen?“

„Ausgezeichnet. Was kann ich für Sie tun?“

„Sie können mich Nick nennen, um damit anzufangen. Captain Trask bin ich nur, wenn ich Schulen besuche oder der Chef mir die Leviten liest.“

Sie blinzelte. „Warum?“

„Warum er mir die Leviten liest?“

„Warum soll ich Nick zu Ihnen sagen?“

„Wir werden zusammenarbeiten, oder? Es trägt zu einer freundlichen Atmosphäre bei.“

„Neulich waren Sie nicht gerade begeistert. Was hat Ihre Meinung geändert?“

„Sagen wir, es ist ein Experiment. Ich weiß, dass Ayre gern die Strippen zieht, aber Sie hatten recht – ich kenne Sie überhaupt nicht. Es wäre unfair, Sie mit ihm über einen Kamm zu scheren.“

Unfair ist, wenn du nett wirst, dachte sie alarmiert. Nett war gefährlich. Der dunkle Charme eines Nick Trask war gefährlich. Sie schwieg einen Moment. „Also, was kann ich für Sie tun, … Nick?“

„Ich dachte, es verhält sich genau andersherum. Es war der wesentliche Punkt unserer Diskussion, oder täusche ich mich?“

„Nein.“ Susan malte Muster in ihr Notizbuch und versuchte, das leichte Flattern in der Magengegend zu ignorieren. „Sie haben nachdrücklich klargemacht, dass Sie nichts davon halten, mit Politikern zusammenzuarbeiten.“ Und sie wollte nicht das Geringste mit einem Mann zu tun haben, der ihr Schmetterlinge in den Bauch setzte. Erst recht nicht, wenn er Feuerwehrmann war.

„Sie sind nicht nachtragend, oder?“

„Nein, aber ich brauche Ihre Kooperation, Nick.“

„Nun, meine Einschätzung der Situation ist nicht anders als vorher, aber wie Sie betonten, liegt es nicht an mir, daran etwas zu ändern. Also, wenn ich Ihnen helfen kann – im Rahmen der Sicherheit –, tue ich es.“

„Zuerst einmal … gehen Sie unvoreingenommen an die Sache heran.“

„Versprochen. Wenn die Ausrüstung gut ist, haben Sie meine volle Unterstützung. Erwarten Sie allerdings nicht, dass sie über den Testlauf hinaus zum Einsatz kommt. Dass das Department Geld für teure Elektronik übrig haben wird, ist genauso absurd wie die Idee, dass ich im Rolls Royce zur Arbeit fahre.“

Susan holte tief Luft. „Eines Tages wird meine Entwicklung zur Standardausstattung gehören wie eine Wärmebildkamera.“

„Zweifellos.“

„Eben“, bestätigte sie knapp. „Gibt es noch etwas, Captain Trask?“

„Nick. Und ja, da wäre noch etwas. Ich muss wissen, wie Sie sich das Testverfahren vorstellen. Wann, wie viele Männer, welche Fahrzeuge und so weiter.“

„Insgesamt fünf Orienteers sollen geprüft werden, zuzüglich der Steuereinheit, die ich überwache. Ich möchte, dass immer dieselbe Gruppe Männer damit arbeitet.“

„Das lässt sich machen, wenn wir die Einsätze sorgfältig planen.“

„Gut. Zuerst ein, zwei Probeläufe in Ihrem Trainingszentrum, wo wir alles unter Kontrolle haben. Sobald ich sicher bin, dass alle Unebenheiten beseitigt sind, können Sie anfangen, die Ausrüstung im Ernstfall zu erproben. Ich brauche mindestens drei Einsatzsituationen, um brauchbare Werte zu erhalten.“

„Okay, lassen Sie uns die Termine absprechen.“

Es dauerte nicht lange, und sie speicherte die Daten zufrieden in ihrem Computer ab. „Dann ist ja alles klar. Wir sehen uns am Samstag in Quincy.“

„In Ordnung.“ Nick zögerte. „Hören Sie, Bill Grant hält große Stücke auf Sie. Trotz seiner Verbindung zu Ayre ist er ein guter Mann. Lassen Sie ihn nicht im Stich.“

Susan legte auf. Lassen Sie ihn nicht im Stich. Die Worte hallten in ihrem Kopf wider und beschworen Bilder herauf. Von einem rothaarigen Jungen, der jede freie Minute in der Feuerwache verbrachte, mit leuchtenden Augen die Löschzüge betrachtete und fasziniert den Geschichten von Mut und Ruhm lauschte. Sie sah ihn als Mann in der blauen Uniform der Hartford-Feuerwehrmänner, wie er voller Stolz sein Lieutenant-Abzeichen trug. Sie sah ihn vor dem Traualter, ein wenig unbehaglich im Smoking, aber mit verliebtem Blick, als er auf die strahlende junge Frau an seiner Seite schaute. Lassen Sie ihn nicht im Stich. Sie musste zusehen, wie sein Sarg in die Erde gesenkt wurde.

Das Feuer war in einem stillgelegten, baufälligen Fabrikgebäude ausgebrochen. Zwei von Mitchs Männern hatten auf der Suche nach Eingeschlossenen die wie Bienenwaben angelegten Kühlräume durchkämmt. Starke Rauchentwicklung ließ sie jegliche Orientierung verlieren. Mitch ging rein, um sie zu suchen. Er kam nicht wieder lebend heraus.

Wie lange hatte es gedauert, bis er ohnmächtig wurde, nachdem sein Sauerstoff zu Ende war? Susan fragte es sich zum tausendsten Mal. Sekunden? Sekundenbruchteile? Bevor oder nachdem er die Stimmen der Kollegen auf der anderen Seite der Wand gehört hatte? Bevor oder nachdem der ganze Raum in tödlichen Flammen aufgegangen war?

Offiziell war er an Rauchvergiftung gestorben. In Wirklichkeit hatte das labyrinthartige Gebäude ihn das Leben gekostet, zusammen mit mangelhafter Ausrüstung. Die Situation gehörte zum Berufsrisiko eines jeden Feuerwehrmannes. Mitch hatte eben Pech gehabt, dass es ihn erwischt hatte. Selbst fünf Jahre danach fühlte Susan ohnmächtigen Zorn, wenn sie nur daran dachte. Ein sinnlos verschwendetes Leben. Der Kummer zerriss sie fast.

Lassen Sie ihn nicht im Stich.

Nein, schwor sie sich und schaute sich in ihrem Labor um. Nicht Bill Grant und niemand sonst, der sich auf seine Ausrüstung verließ. Oder die Familien der Feuerwehrleute. Sie wusste, was es bedeutete, einen geliebten Menschen zu verlieren. Sie wusste es genau …

Das Schulungszentrum der Bostoner Feuerwehr war nicht zu übersehen. Die exzentrische Struktur ließ vermuten, dass sich eine Gruppe streitlustiger Architekten an ihr ausgetobt hatte. Und doch war jeder Zentimeter sorgfältig geplant. Obwohl sie fand, dass es an Ästhetik stark zu wünschen übrig ließ, war Susan beeindruckt. Oder lag es daran, dass sie an diesem Ort einen ersten Eindruck gewinnen würde, wie sich ihr Orienteer im Einsatz bewährte?

Die Anspannung schärfte ihre Sinne. Über ihr leuchtete ein klarer blauer Himmel, die frische Morgenluft kühlte ihr Gesicht. Ihr Magen schien verknotet, ein Gefühl, das sie seit dem Aufwachen erfüllte. Zum hundertsten Mal sagte sie sich, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Alles würde gut gehen.

Das mächtige Drehleiterfahrzeug der Einheit 67 parkte bereits auf dem riesigen Betonrondell zu Füßen des Kontrollturms.

Warum ausgerechnet diese Feuerwache? Susan sah zu den Männern hinüber, die sich um den Wagen versammelt hatten. Hätte Bill Grant ihr nicht eine andere aussuchen können? Auch ohne einen Mann wie Nick Trask hatte sie genug zu bedenken. Nicht dass sie sich von ihrem Ziel ablenken lassen würde, aber ein Captain Anfang sechzig mit Bauchansatz und ein paar Enkelkindern wäre ihr lieber gewesen.

Susan entdeckte Nick sofort. Er stach unter den anderen Männern hervor, obwohl sie einheitliche T-Shirts und dunkle Hosen trugen.

Da drehte er sich um und sah ihr entgegen. Ihr Herz fing an zu klopfen. Oh ja, es gab sicher unzählige Frauen, die buchstäblich auf ihn flogen. Sie ignorierte den spöttischen Zug um seine Mundwinkel, straffte die Schultern und ging weiter.

Als sie nur noch zwei Schritte entfernt war, stieß er sich lässig vom Wagen ab. „Sagen Sie nicht, Stadtrat Ayre kommt zu spät zum Fototermin.“

„Kein Stadtrat Ayre. Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen.“

Er musterte sie. „Wer sagt, dass ich enttäuscht bin?“

Männer mit solchen Augen gehören verboten. „Ich dachte nur. Die Ausrüstung ist gut. Sie kann Leben retten, auch Ihres.“ Susan zog einen Stapel Unterlagen aus der abgenutzten Lederaktentasche, die sie zu ihren Füßen abgestellt hatte, und schob sie auf ihr Klemmbrett. „Nach dem, was in Hartford passiert ist, sollte jede Feuerwehr sich um diese Technik reißen.“

„Anscheinend sind Sie neu in Boston.“

„Irrtum. Ich lebe hier seit drei Jahren.“

Er lachte. Susan stieg das Blut ins Gesicht. „Was ist?“

„Jetzt verstehe ich Ihren Optimismus.“ Sie ist noch hübscher, wenn sie rot wird.

„Wenn Sie Boston so sehr verabscheuen, warum bleiben Sie dann hier?“

„Die Stadt zu lieben, heißt nicht, mit den Leuten einverstanden zu sein, die sie regieren.“

„Sicher, aber warum haben Sie sich dann einen Job ausgesucht, der auf Gedeih und Verderb von Politikern abhängig ist?“

„Das habe ich nicht. Er hat mich ausgesucht.“

Schweigend starrte sie ihn an. Sie sah ein bisschen wie ein Hollywoodstar aus, fand er, in ihrem schwarzen Rollkragenpullover, der braunen Jacke und der dunklen Sonnenbrille, die ihre Augen verbarg. Ihr Haar fing das Licht in einem Funkenregen ein. Ihre Haut war milchweiß und makellos.

Unvermutet fragte er sich, wie sie wohl schmeckte.

Konzentrier dich auf die Arbeit, Trask. „Wie sieht Ihr Plan für heute aus?“

„Zuerst sprechen wir die Funktionsweise durch. Anschließend brauchen wir Rauch, um Ihren Männern zu zeigen, was Orienteer leistet.“

„Sie wollen Qualm, den haben wir. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“ Er führte sie in den Schatten des Turms. Die Schlackenbetonwände zeigten Spuren von Wasser und schwarze Rußflecken.

„Womit erzeugen Sie die Brände?“, wollte sie wissen.

„Mit Heuballen oder Holzpaletten. Je nachdem, ob man mehr Rauch oder mehr Hitze braucht.“ Nick begleitete sie zu der Treppe, die sich außen am Turm in die Höhe wand, und ließ ihr den Vortritt.

Auf dem ersten Absatz blieben sie vor einer verfärbten Stahltür stehen, die ins Innere des Turms führte. Nick öffnete sie. Das Metall ächzte. Nach einem Feuer war nichts mehr wie vorher.

„Hier ist der erste Brandraum.“

Susan schob sich die Sonnenbrille ins Haar. Nach dem hellen Sonnenlicht mussten sich ihre Augen erst an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnen. Auch die Luft war anders. Feucht und schwül, roch sie nach kaltem Rauch, in Wasser ertränkter Kohle, rußgeschwärztem Beton und Benzin. Die ersten Schritte, die Susan machte, hallten wider wie in einer Höhle.

Nick trat hinter sie. In ihrem Nacken prickelte es, dann wurde es düster im Raum. Der Captain hatte die Tür zugezogen. Susan versuchte, nicht seiner leisen, regelmäßigen Atmung zu lauschen.

Sie konzentrierte sich auf die Szenerie vor ihr.

Was sich vor ihr erstreckte, wirkte wie ein surrealistisches Gemälde oder die Kulisse aus einem Horrorfilm. Sie sah ein Wohnzimmer mit vertrauten Möbeln wie Sitzgarnitur und Couchtisch, aber jeder Gegenstand war dick mit Ruß bedeckt, und statt der Teppiche lag benzingetränktes Holz am Boden.

„Schlichtes Interieur“, kommentierte sie. „Schwarz auf schwarz.“

„Bei den Übungen soll es so wirklichkeitsnah wie möglich zugehen. Die Möbel sind aus starkem Stahlblech. Vorsicht, die Rußschicht ist gut zwei Zentimeter dick.“

Die mattschwarzen Gegenstände schienen jedes Licht zu verschlucken. Die Oberfläche wirkte solide und gleichzeitig wie mit Samt überzogen. Susan konnte nicht widerstehen und berührte sie mit der Fingerspitze. Überrascht lachte sie auf, als ihr Finger tief in Ruß versank, dessen Partikel in kleinen Lawinen zu allen Seiten rutschten.

„Ich habe Sie gewarnt.“

„Empirisches Vorgehen.“ Vergeblich versuchte sie, die schwarze Schicht abzuschütteln. „Ich experimentiere und beobachte. Schließlich bin ich Wissenschaftlerin, es gehört zu meinem Beruf.“ Sie sah seine Zähne blitzen, als er lächelte.

Nick zog einen Lappen aus der Gesäßtasche und warf ihn ihr zu. „Gut, dass Sie einen schwarzen Pulli tragen. Eines Tages sollten Sie die Verbreitungseigenschaften von Rußpartikeln untersuchen. Sie werden verblüfft sein, wie stark die winzigen Krümel Ihre Kleidung in Beschlag nehmen.“

Susan rieb sich die Hände ab und reichte ihm das Tuch. „Wahrscheinlich würde ich irgendwann begeisterte Briefe an Waschmittelkonzerne verfassen.“

„Wahrscheinlich.“ Er runzelte die Stirn und trat vor. Ehe sie begriff, was er vorhatte, hob er den Lappen und berührte ihre Wange.

Susan fuhr zurück.

„Halten Sie einen Moment still. Sie haben Ruß im Gesicht.“

Sie spürte den rauen Stoff auf der Haut, darunter den Finger – und die Wärme, die Nicks Körper ausstrahlte. „Sind Sie fertig?“ Als sie aufschaute, blieben ihr die Worte fast im Hals stecken. Ihre Blicke trafen sich, verfingen sich. Seiner war intensiv, dunkel – heiß.

Die Stille dehnte sich.

„So, das wäre schon alles hier“, sagte Nick abrupt. „Kommen Sie. Wenn Sie was für Innenarchitektur übrighaben, kann ich Ihnen noch mehr zeigen.“

Durch eine offene Tür über ihnen drangen Sonnenstrahlen in den Treppenschacht. Licht und Schatten, hell und dunkel. Susan und Nick stiegen die Treppe hinauf, fast im Gleichschritt, Schulter an Schulter. Sie schwiegen, und doch nahm Susan deutlich wahr, dass ihre Schritte von den Betonwänden widerhallten, welches Geräusch ihre Hände machten, während sie über das Geländer strichen. Und ihre Atemzüge.

Sie betraten den nächsten Brandraum. Licht strömte durch eine Fensterhöhle, und Susan seufzte erleichtert. Keine dämmrige intime Atmosphäre wie unten, keine Nähe wie auf der Treppe. Hier oben konnte sie sich wieder fangen.

Sie irrte sich. Vor allem, als sie die Kulisse sah.

„Das Schlafzimmer.“ Ihr Mund wurde trocken. Lächerlich.

„Viel wird hier nicht geschlafen.“

Susan trat an die Maueröffnung in der Wand und lehnte sich hinaus. „Vom Parkplatz aus wirkt der Turm längst nicht so hoch.“

„Er käme Ihnen noch höher vor, wenn Sie an einem Seil an der Außenwand hingen.“

„Herzlichen Dank. Ich hasse Höhen.“

Sie wandte sich um, erschrak und wich zurück. Prompt prallte sie gegen Nick. Sofort fasste er sie bei den Schultern, stützte sie, ließ sie aber gleich wieder los.

Doch sie hatte seine Handflächen gespürt. Tief in ihrem Bauch zog sich etwas zusammen.

Um sich abzulenken, deutete sie auf die Gestalt zwischen Bett und Wand. „Was in Gottes Namen ist das da?“

„Das?“ Nick grinste. „Das ist Harvey.“

Das schlaksige Etwas lag flach auf dem Zementfußboden, trug einen Hitzeschutzanzug und Stahlkappenstiefel. Der eine Arm berührte fast Susans Knöchel. „Harvey?“

„Unser Such- und Rettungseinsatz-Dummy. Er und seine Frau, die gute Gladys, werden irgendwo versteckt, bevor Feuer gelegt wird. Ziel der Übung ist unter anderem, die beiden Puppen herauszuschaffen. Harvey wiegt so viel wie ein Mann mit durchschnittlichem Gewicht. Versuchen Sie mal, ihn hochzuheben.“

Nick fasste um sie herum nach dem Arm. Er kam ihr so nahe, dass sie seinen männlichen Duft einatmete und das Spiel seiner Muskeln unter dem T-Shirt sah, während er sich bückte. Sie trat einen Schritt beiseite. Dabei verhakte sich ihr Absatz an einem Holzstück, und sie geriet ins Taumeln. Susan breitete beide Arme aus, um sich an der Wand abzustützen.

Zu ihrem Entsetzen griff sie ins Leere.

3. KAPITEL

Es gab Momente gestochen scharfer Wahrnehmung im Leben. Nick beugte sich noch über Harvey, froh darüber, etwas tun zu können, da alarmierte ihn Susans Aufschrei. Für Gedanken, für Entsetzen blieb keine Zeit. Aus reinem Reflex heraus schoss er im selben Augenblick hoch, als ihre Füße sich vom Boden hoben.

Sie in Sicherheit zu ziehen, dauerte nur Sekundenbruchteile. Er riss sie an sich und hielt sie fest umklammert.

„Da war nichts.“ Ihre Stimme bebte. „Ich wollte mich abstützen, aber da war nichts.“

Vier Stockwerke. Vier Stockwerke. Die Worte drehten sich in seinem Kopf wie ein grausamer Ohrwurm. Und tief unten harter Beton. „Es ist alles gut“, flüsterte er. „Ich habe Sie. Sie sind sicher. Sie sind jetzt sicher.“

Er hatte schon vielen Menschen das Leben gerettet. Der Adrenalinstoß und die folgende Erleichterung waren ihm vertraut. Trotzdem konnte er sich nicht erinnern, dass eine vergleichbare Situation ihn jemals so erschüttert hätte. Ihr Duft, ihre Schönheit, ihr kostbares Wesen – beinahe wäre alles ausgelöscht worden. Sie lebte. Es erschien ihm wie ein Wunder.

Wie gut sie sich in seinen Armen anfühlte … Ihr Herz schlug an seiner Brust. Ihr sanfter Atem strich über seinen Hals, ihr seidenweiches Haar kitzelte seine Wange. Er hörte sie seufzen, dann schmiegte ihr Körper sich an ihn.

Ein lauter Ruf und das Poltern schwerer Schritte erklangen auf der Treppe. Nick ließ Susan los, konnte aber nicht den Blick von ihr nehmen. Sie sah so verstört aus, wie er sich fühlte. O’Hanlan und Knapp stürmten in den Raum.

„Großer Gott, sind Sie okay?“ O’Hanlan wandte sich an Nick. „Mensch, Trask, was war hier los? Wir haben hochgesehen, und da hing sie halb aus dem Fenster!“

„Ich bin gestolpert.“ Susan klang ruhig, aber ihre Hände verrieten sie. Sie presste sie aneinander, löste sie, verschränkte wieder die Finger.

„Gut, dass Nick dabei war.“ Der bullige Feuerwehrmann betrachtete sie besorgt. „Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht? Sie haben uns einen Todesschrecken eingejagt.“

„Ich mir selbst auch.“ Sie schaute zu Nick hinüber. Sie konnte nicht anders.

Er wusste, wie ihr zumute war. Schließlich hatte er selbst noch nicht verarbeitet, was sich gerade hier abgespielt hatte. Allerdings wurde ihm klar, dass der Zwischenfall etwas in Gang gesetzt hatte. Etwas, das einen professionellen, sachlichen Abstand zu Susan Hillyard unmöglich machte.

„Lasst uns nach unten gehen“, sagte er brüsk.

Vor ihrem inneren Auge lief immer wieder derselbe Film ab, während sie die Stufen hinabstieg. Schatten, dann greller Sonnenschein, grenzenloser blauer Himmel über ihr. Und Entsetzen, lähmendes Entsetzen. Es kam ihr vor, als wären Stunden vergangen, bis ihr Herzschlag wieder eingesetzt hatte.

Erleichtert betrat sie den Parkplatz. Endlich fester Boden unter ihren Füßen. Susan wunderte sich, dass sie erst jetzt zu zittern anfing. Zuerst ihre Hände, dann der ganze Körper. Sie atmete tief durch, setzte ihre Willenskraft ein, um das Beben zu unterdrücken. Die Männer in ihrer Nähe unterhielten sich, aber s...

Autor

Kristin Hardy
Kristin Hardy studierte Geologie und Physik und arbeitete nach ihrem Abschluss in Connecticut im Auftrag der NASA an der Entwicklung eines Telekops mit, dass mittlerweile die Erde umkreist. Doch der Drang zu schreiben wuchs.
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Allison Leigh
<p>Allison Leigh war schon immer eine begeisterte Leserin und wollte bereits als kleines Mädchen Autorin werden. Sie verfasste ein Halloween-Stück, das ihre Abschlussklasse aufführte. Seitdem hat sich zwar ihr Geschmack etwas verändert, aber die Leidenschaft zum Schreiben verlor sie nie. Als ihr erster Roman von Silhouette Books veröffentlicht wurde, wurde...
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Kara Lennox
Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
Wegen ihrer bahnbrechenden, sehr...
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