Dein Kuss beim zwölften Glockenschlag

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Als der zwölfte Glockenschlag verklingt, verlangt Königin Tabitha von ihrem Mann die Scheidung. Sie weiß, dass König Kairos von Petras sie nicht liebt, und das Leben mit ihm schmerzt zu sehr. Dass er der Herrscher ihres Herzens ist, darf er dagegen nie erfahren …


  • Erscheinungstag 29.12.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521024
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Über die Bar hinweg betrachtete Kairos die Rothaarige, die mit den Fingerspitzen sanft über den Rand ihres Glases strich und den Blick unverwandt auf ihn gerichtet hatte. Blutrote Lippen deuteten ein Lächeln an – eine stumme, aber eindeutige Einladung.

Sie war schön und mit ihren üppigen Kurven unglaublich heiß. An ihr war nichts Schüchternes oder Zurückhaltendes. Sie strahlte unverhohlene Begierde und Verlangen aus.

Er konnte sie haben, wenn er wollte. Auf der privaten und exklusivsten Silvesterparty von Petras waren die Gäste sicherlich äußerst sorgfältig ausgewählt worden. Presse war keine zugegen. Und es gab niemanden, der nach einem Goldesel suchte. Er konnte sie verführen, ohne irgendwelche Konsequenzen zu riskieren.

Der Ehering an seinem Finger wäre ihr bestimmt egal.

Ihm war er nicht egal. Warum, war ihm schleierhaft. Mit seiner Frau verband ihn keine innige Beziehung. Seit Wochen hatte sie ihn nicht berührt. Monatelang sprach sie kaum ein Wort mit ihm. Ganz besonders kühl verhielt sie sich seit Weihnachten. Das war zum Teil sein Fehler, denn sie hatte zufällig mit angehört, wie er mit seinem jüngeren Bruder über ihre Beziehung gesprochen hatte.

Wie einfach wäre das Leben, wenn er eine Nacht mit der Rothaarigen verbringen und die Realität vergessen könnte. Aber er wollte sie nicht. Denn die Wahrheit war so einfach und glasklar wie lästig.

Sein Körper sehnte sich nach seiner kühlen blonden Frau Tabitha. Sie heizte als Einzige seine Fantasien an, entfachte seine Begierde.

Zu dumm, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.

Nun erhob sich die rothaarige Frau, ließ ihren Drink stehen, durchquerte den Raum und schlenderte lächelnd zu ihm herüber. „Sind Sie heute Abend allein, König Kairos?“

Jeden Abend. „Die Königin war nicht in der Stimmung auszugehen.“

Die Rothaarige zog eine Schnute. „Tatsächlich?“

„Ja.“ Das war eine Lüge. Er hatte Tabitha nicht gesagt, wohin er heute Abend gehen würde. Einerseits wahrscheinlich, um sie zu reizen. Es hatte Zeiten gegeben, da hätten sie während der Feiertage einen öffentlichen Auftritt arrangiert. Der Presse eine Show geboten – und vielleicht auch ihnen selbst.

Doch heute war ihm nicht nach einer Inszenierung gewesen.

Die Rothaarige lehnte sich näher zu ihm, sodass die leicht aufdringliche Parfümwolke, die sie einhüllte, ihn zurück in die Gegenwart holte. Dabei streiften ihre Lippen den Hemdkragen und sein Ohr. „Ich weiß zufällig, dass unser Gastgeber ein Zimmer für Gäste reserviert hat, die etwas mehr … Privatsphäre wünschen.“

In dieser Aussage lag nichts Zweideutiges.

„Sie sind sehr direkt“, entgegnete er. „Aber Sie wissen sicher, dass ich verheiratet bin.“

„Stimmt. Aber darüber hört man so einiges.“

Ihre Worte trafen ihn tief in der Magengegend. Wenn die Risse in seiner Ehe nun schon für die Öffentlichkeit sichtbar waren …

„Ich habe Besseres zu tun, als in Boulevardzeitungen Klatschberichte über mein Privatleben zu lesen.“ Immerhin lebte er seine tragische Ehe und wollte in der Presse nicht auch noch damit konfrontiert werden.

Ihr Lachen klang heiser. „Ich nicht. Wenn Ihnen danach ist, den Alltag hinter sich zu lassen, stehe ich Ihnen gern für einige Stunden zur Verfügung. Wir könnten das neue Jahr gebührend einläuten.“

Den Alltag zurücklassen, das klang verlockend und führte ihn in Versuchung. Nicht körperlich, aber irgendwie kribbelte es in seinem Magen, und das machte ihn krank. Es berührte den Teil in ihm, der Tabitha erschüttern wollte. Sie zwingen wollte, ihn mit anderen Augen zu sehen. Nicht als festen Bestandteil ihres Lebens, den sie nach Belieben ignorieren konnte. Sondern als Mann. Als einen Mann, der sich nicht immer benahm. Der nicht immer seine Versprechen hielt. Der – womöglich – nicht immer da sein würde.

Nur um zu sehen, ob sie überhaupt reagieren würde. Ob es ihr etwas ausmachte.

Oder ob ihre Beziehung tatsächlich endgültig gestorben war.

Aber er tat nichts dergleichen. Stattdessen stand er auf und widerstand der Versuchung, die die Rothaarige für ihn darstellte. „Nicht heute Abend, fürchte ich.“

Sie zuckte die Schultern. „Schade, wir hätten Spaß haben können.“

Spaß. Er war nicht ganz sicher, ob er überhaupt wusste, was das war. „Ich habe keinen Spaß. Ich habe Verpflichtungen.“

Obwohl es noch nicht einmal Mitternacht war, wollte er gehen. Im Normalfall wäre Andres, sein Bruder, anwesend gewesen. Und darüber hinaus mehr als gewillt, die niedergeschlagene oder jede andere Frau zu trösten, die sich fürstlich amüsieren wollte.

Doch Andres war mittlerweile verheiratet. Mehr noch, Andres war verliebt. Niemals hätte Kairos gedacht, dass er das noch erleben würde. Sein jüngerer Bruder, mit Haut und Haaren an eine Frau gebunden.

Kairos brannte der Magen, als würde sich Säure daran zu schaffen machen. Schnell verließ er den Club, ging die Stufen hinunter und auf die Straße hinaus, wo sein Wagen auf ihn wartete. Nachdem er eingestiegen war, wies er den Fahrer an, ihn zurück zum Palast zu bringen. Auf engen Straßen wand sich das Auto aus der Stadt hinaus und nach Hause.

Wieder war ein Jahr vergangen. Ein weiteres Jahr ohne Erben. Deshalb hatte er Andres überhaupt angewiesen zu heiraten. Schließlich musste er sich mit der durchaus realen Möglichkeit auseinandersetzen, dass er und Tabitha nicht den Thronfolger Petras’ bekommen würden.

Diese Pflicht könnte auch Andres und seiner Frau Zara zufallen.

Fünf Jahre und noch kein Kind. Fünf Jahre mit einer Frau, von der ihn eine gähnende Kluft trennte, selbst wenn sie in einem Raum waren.

Das Auto passierte das massive Tor, das zum Palast führte, und rollte langsam in Richtung Haupteingang. Ohne darauf zu warten, dass der Fahrer ihm die Tür öffnete, stieg Kairos aus, stürmte hinein und die Treppe hinauf. Er könnte Tabitha in ihrem Zimmer besuchen. Ihr sagen, dass es Zeit war, noch einmal für ein Kind zu üben. Aber ob er ihre eisige Begrüßung ein weiteres Mal ertragen würde, dessen war er sich nicht sicher.

Wenn er sich in ihr bewegte, fest an sie gedrückt, Haut an Haut, hatte er das Gefühl, sie wäre Tausende Meilen von ihm entfernt.

Nein, er hatte keine Lust, sich auf diese Farce einzulassen, selbst wenn es für ihn in einem Orgasmus enden würde.

Andererseits wollte er auch noch nicht ins Bett.

So eilte er die geschwungene Treppe nach oben und den Flur entlang in sein Büro. Er würde sich einen Drink genehmigen. Allein.

Er drückte die Tür auf und hielt inne. Das Licht war aus, aber es prasselte ein Feuer im Kamin, das die Umgebung in einen orangefarbenen Schein tauchte. In einem Ohrensessel gegenüber seinem Schreibtisch saß seine Frau, die langen, schlanken Beine von ihrem eher züchtigen Kleid kaum bedeckt, die Hände ordentlich im Schoß verschränkt. Ihr Ausdruck war neutral und änderte sich nicht, als er näher trat. Sie lächelte nicht. Dass sie seine Anwesenheit überhaupt bemerkte, war ihr kaum anzusehen. Bis auf das Flackern in ihren blauen Augen und die kaum merklich hochgezogene Augenbraue.

Die Begierde, die bei den Avancen der Rothaarigen ausgeblieben war, loderte nun in seinen Adern wie das Feuer im Kamin. Züngelte glühend heiß an ihm.

Er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht die Kontrolle zu verlieren.

„Warst du aus?“, erkundigte sie sich spröde, kalt. Und kühlte damit die Glut ab, die er einen Augenblick lang gespürt hatte.

Während er zu der Bar an der gegenüberliegenden Wand ging, entgegnete er: „War ich hier, Tabitha?“

„Ich habe nicht das ganze Schloss nach dir abgesucht. Du kannst dich genauso gut in einem dieser zahlreichen Schlupfwinkel verkrochen haben.“

„Wenn ich nicht hier war oder in meinem Zimmer, kann man mit Sicherheit sagen, dass ich aus war.“ Er nahm die Flasche Scotch – die heute Abend eindeutig von seinem hübschen Eindringling benutzt worden war – und goss sich einen großzügigen Schluck ein.

„Ist dieser Sarkasmus wirklich nötig? Wenn du aus warst, kannst du das einfach sagen, Kairos.“ Da fiel ihr Blick auf seinen Kragen, und sie stockte. „Und was genau hast du gemacht?“ Ihre Stimme klang nun stahlhart.

„Ich war auf einer Party. Es ist Silvester. Das macht man üblicherweise an diesem Feiertag.“

„Und seit wann gehst du auf Partys?“

„Ziemlich oft, und meist begleitest du mich.“

„Ich meinte, seit wann du auf Partys gehst, um dich zu amüsieren.“ Sie senkte den Blick, die Zähne zusammengebissen. „Du hast mich nicht eingeladen.“

„Es war kein offizieller Event.“

„Das sehe ich“, entgegnete sie. Abrupt erhob sie sich, streckte die Hand aus und griff nach einem Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch, der ihm bis zu diesem Augenblick entgangen war.

„Bist du böse, weil du gern mitgekommen wärst?“ Im Ernst, er hatte es aufgegeben, diese Frau verstehen zu wollen.

„Nein“, sagte sie abwehrend. „Aber der rote Lippenstiftfleck auf deinem Kragen stört mich ein wenig.“

Hätte er nicht schon jahrzehntelange Erfahrung darin, seine Reaktionen zu kontrollieren, hätte er vielleicht geflucht. Dass bei dem kurzen Kontakt mit der Rothaarigen ein blutroter Fleck zurückbleiben könnte, hatte er nicht bedacht. Stattdessen stand er mit ausdruckloser Miene auf. „Es ist nichts.“

„Da bin ich mir sicher“, sagte sie ruhig. „Und selbst wenn nicht, spielt es für mich keine Rolle.“

Die Wirkung dieser Aussage überraschte ihn doch, denn sie traf ihn tief. Er wusste ja, dass seine Frau so fühlte. Das sprach aus jeder Begegnung mit ihm. Wie sie sich von ihm abwandte, wenn er sie zu küssen versuchte. Wie sie zurückwich, wenn er ihr näherkam. Im günstigsten Fall war sie ihm gegenüber gleichgültig, im schlimmsten stieß er sie ab. Natürlich wäre es ihr egal, fände er Trost in den Armen einer anderen Frau. So lange er sie nicht damit behelligte. Er vermutete, dass sie seine Berührungen aus einem einzigen Grund so lange ertrug. Weil sie sich nach Kindern sehnte. Eine Hoffnung, die mit jedem Tag dahinschwand.

Vermutlich hatte sie sie mittlerweile ganz aufgegeben. Das hätte er erkennen müssen, schließlich hatte sie schon seit Monaten nicht mehr das Bett mit ihm geteilt.

Er würde sich nicht selbst verteidigen. Wenn es sie nicht kümmerte, war es sowieso zwecklos.

„Was genau machst du denn hier?“, erkundigte er sich. „Meinen Scotch trinken?“

„Ich habe mir etwas gegönnt“, antwortete sie und schwankte leicht. Ein kleiner Riss in ihrer Fassade. So etwas zu erleben war eine Seltenheit, denn normalerweise war Tabitha die Selbstbeherrschung in Person. Und das schon seit vielen Jahren – auch als sie noch seine persönliche Assistentin gewesen war.

„Du musst lediglich den Dienern Bescheid geben, dann bringt man dir den Alkohol in dein eigenes Zimmer.“

„Mein eigenes Zimmer.“ Sie lachte, und es klang unsicher. „Ja, nächstes Mal werde ich das tun. Aber eigentlich habe ich auf dich gewartet.“

„Du hättest mich anrufen können.“

„Wärst du denn rangegangen?“

Die ehrliche Antwort auf diese Frage war wenig schmeichelhaft. Die Wahrheit war, dass er ihre Anrufe oft ignorierte, wenn er beschäftigt war. Persönliche Unterhaltungen führten sie nicht. Sie rief nie an, nur um seine Stimme zu hören oder Ähnliches. Daher schien es ihm auch nichts Persönliches zu sein, sie zu ignorieren. „Ich weiß es nicht.“

Sie zwang sich zu einem kleinen Lächeln. „Wahrscheinlich nicht.“

„Jetzt bin ich ja da. Was ist so wichtig, dass wir uns kurz vor Mitternacht damit befassen müssen?“

Da hielt sie ihm die Papiere hin. Zum ersten Mal seit Monaten sah er eine Regung in den Augen seiner Frau. „Juristische Dokumente.“

Er blickte auf den Stapel hinunter, den sie ihm reichte, dann wieder zu ihr. Wieso sie ihm ausgerechnet in der Silvesternacht irgendwelche Papiere entgegenhielt, wollte ihm nicht einleuchten. „Warum?“

„Darum. Ich will die Scheidung.“

2. KAPITEL

Es kam Tabitha so vor, als sie würde sie wie durch einen Nebel mit Kairos sprechen. Vermutlich hatte der Alkohol ihre Gefühle betäubt. Seit dem Augenblick, als sie mit den Papieren in der Hand das leere Büro betreten hatte, war alles irgendwie unwirklich. Nach einer Stunde vergeblichen Wartens entschied sie, eine Flasche seines Lieblingsscotchs zu öffnen und sich zu bedienen, und hatte über die vielen Stunden, die verstrichen, immer mehr getrunken.

Dann endlich kurz vor Mitternacht tauchte er auf, mit einem ziemlich eindeutigen Lippenstiftfleck am Kragen.

Da hatte sie den Alkohol gebraucht. Denn ohne ihn hätte dieser Schlag durchaus tödlich sein können. Sie war nicht dumm. Schließlich saß sie hier, um ihn von ihrer Absicht, sich scheiden zu lassen, zu informieren. Ihre Ehe war gescheitert. Unwiderruflich. Er hatte nur eine Sache von ihr gefordert, eine einzige. Und sie war nicht in der Lage gewesen, diese Aufgabe zu erfüllen.

Die Schmierenkomödie war zu Ende, eine Fortsetzung völlig sinnlos.

Das allerdings hatte sie nicht erwartet. Einen Beweis, dass ihr Eisklotz von einem Ehemann – pflichtbewusst, dienstbeflissen und niemals leidenschaftlich – mit jemand anderem zusammen gewesen war. Aus Spaß, reinem Vergnügen.

Glaubst du ernsthaft, er wartet auf dich, wenn du dich weigerst, ihn in dein Bett zu lassen?

Heute Abend klang ihre innere Stimme sehr scharfzüngig. Zu Recht, denn Tabitha hatte ernsthaft angenommen, dass er allen gegenüber so kalt war. Und sie hatte gedacht, dass er ein Ehrenmann war. Ja, sie war so weit, ihn von ihr zu befreien, sie beide zu befreien. Allerdings hätte sie nie geglaubt, dass er sich als Single gab, während er noch mit ihr verheiratet war.

Als ob eure Ehe jemals echt war. Als ob eure Gelübde gelten.

„Du willst die Scheidung?“ Sein scharfer Tonfall durchdrang den Nebel und katapultierte sie zurück in die Wirklichkeit.

„Du hast mich gehört.“

„Ich verstehe das nicht“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. In seinen dunklen Augen blitzten Gefühle auf, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.

„Du bist nicht dumm, Kairos“, entgegnete sie, ermutigt durch den Alkohol. „Ich denke, du weißt, was die Worte Ich will die Scheidung bedeuten.“

„Durchaus, nur nicht, wenn sie aus deinem Mund kommen, Tabitha“, erklärte er unmissverständlich. „Du bist meine Frau. Du hast mir etwas versprochen. Wir haben eine Vereinbarung.“

„Ja“, bestätigte sie. „In der Tat. Darin geht es nicht darum, sich zu lieben, zu ehren und einander treu zu sein, sondern das Land zu repräsentieren und Kinder zu zeugen. Wie du sehr wohl weißt, habe ich kein Kind empfangen können. Wozu also die Sache fortsetzen? Wir sind nicht glücklich.“

„Und seit wann spielt Glück eine Rolle?“

Sie hatte das Gefühl, als würde eine stählerne Faust nach ihrem Herz greifen. Fast so, als hätte er es in seine große Hand genommen und die Finger darum gelegt. „Manche Leute würden sagen, dass Glück eine ganze Menge mit dem Leben zu tun hat.“

„Diese Leute sind aber nicht König und Königin eines Landes. Du hast nicht das Recht, mich zu verlassen“, zischte er mit funkelnden Augen.

Das war zu viel für Tabitha. Die aufgeheizte Atmosphäre und der Alkohol ließen sie förmlich explodieren.

Blitzschnell griff sie nach dem Glas, aus dem sie den Scotch getrunken hatte, und schleuderte es ihm so heftig entgegen, wie sie nur konnte. Es verfehlte Kairos um einige Meter, krachte gegen die Wand und hinterließ Alkoholspritzer und Glasscherben.

Mit grimmigem Gesichtsausdruck trat er zur Seite. „Was, zum Teufel, soll das?“

Sie wusste es nicht. So etwas hatte sie noch nie getan. So ein emotionales, leidenschaftliches, lächerliches Verhalten verachtete sie. Selbstkontrolle – das schätzte sie. Und das war nur einer der Gründe, weshalb sie in die Ehe mit Kairos eingewilligt hatte. Um solche Dinge zu vermeiden. Sie respektiere ihn, und früher einmal hatte sie seine Gesellschaft genossen. Ihre Verbindung hatte auf gegenseitigem Respekt beruht – und ja, auch darauf, dass er rasch eine Frau finden musste. Sie hatten noch nie geschrien oder Dinge nach einander geworfen.

Nun geriet die Situation außer Kontrolle. Sie geriet außer Kontrolle.

„Oh“, höhnte sie gespielt überrascht. „Du hast mich wahrgenommen!“

Bevor sie reagieren konnte, verringerte er den Abstand zwischen ihnen, packte sie an den Handgelenken und drängte sie nach hinten, bis ihr Po die Kante seines Schreibtisches berührte. Er war wutentbrannt. In seiner Miene, normalerweise undurchdringlich, konnte sie mehr Emotionen als in den vergangenen fünf Jahren sehen.

„Du hast meine volle Aufmerksamkeit, wenn du das mit diesem Tobsuchtsanfall bezweckt hast.“

„Das war kein Anfall“, korrigierte sie ihn verärgert. „Eher das Ergebnis aus Vorbereitung, sorgfältiger Planung und einer nicht unerheblichen Menge an Ausreden. Ich war bei einem Anwalt. Die Papiere sind echt, keine leeren Drohungen. Meine Entscheidung steht.“

Er hob die Hand, fasste sie am Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen. „Mir war nicht bewusst, dass du die Befugnis hast, Entscheidungen zu fällen, die uns beide betreffen.“

„Kairos, das ist ja das Schöne an einer Scheidung. Sie bedeutet eine Trennung. Das heißt, mir steht frei, unabhängige Entscheidungen zu treffen.“

Wütend griff er in ihr Haar und bog leicht ihren Kopf zurück. „Verzeih mir, meine Königin, ich wusste nicht, dass deine Stellung in diesem Land bedeutender als meine ist.“

In diesem Ton hatte er noch nie mit ihr gesprochen, hatte sie noch nie auf diese Art berührt. Eigentlich sollte sie außer sich vor Wut sein. Doch sie spürte eine seltsam befremdliche Hitze. Bei ihren ersten Begegnungen war dieses Feuer hin und wieder aufgeflammt, hatte wie ein Versprechen zwischen ihnen gestanden. Mit den Jahren war es jedoch abgekühlt. Bis sie es für erloschen hielt, erstickt durch Gleichgültigkeit und Entfremdung. Nur hatte sie sich geirrt.

„Ich wusste nicht, dass du ein Diktator geworden bist.“

„Das ist doch mein Haus, und du bist meine Frau, oder?“

„Ja, bin ich das wirklich? Im wahrsten Sinne des Wortes?“ Heftig packte sie ihn am Kragen, sodass ihr Daumen auf dem roten Fleck zu liegen kam, der den weißen Stoff beschmutzte. „Das hier sagt mir etwas anderes.“ Sie zog so heftig daran, dass der oberste Knopf des Hemdes aufsprang und den Knoten seiner grauen Krawatte lockerte.

Er schürzte die Lippen und verstärkte seinen Griff. „Denkst du das von mir? Dass ich mit einer anderen Frau zusammen war?“

„Ihre Lippen haben dein Hemd berührt. Ich darf also getrost annehmen, dass sie auch andere Stellen deines Körpers angefasst hat.“

„Du meinst, ich würde mein Gelübde brechen?“, hakte er gefährlich leise nach.

„Woher soll ich das wissen? Ich kenne dich kaum.“

„Du kennst mich nicht?“ Jetzt klang er sanft und daher noch viel tödlicher. „Ich bin dein Ehemann.“

„Ach ja? Vergib mir. Ich hielt dich lediglich für einen Zuchthengst.“

Da ließ er ihre Haare los und schlang den Arm um ihre Taille, sodass er sie fest an seinen Körper pressen konnte. Er war heiß. Und hart. Überall. Als ihr das bewusst wurde, fing ihr Herz zu rasen an. Die Augen weit aufgerissen, suchte sie seinen Blick. Er war erregt. Von ihr. Ihren zurückhaltenden Ehemann, der kaum eine Falte in das Bettlaken machte, wenn er sie liebte, machte das hier an.

„Und wie das, agapi mou? Wenn du mich seit fast drei Monaten nicht an dich ranlässt?“

„Warst nicht du derjenige, der sich nicht darum geschert hat, zu mir zu kommen?“

„Jeder Mann ist es irgendwann leid, mit einer Märtyrerin zu schlafen.“

„Das geht einer Frau nicht anders“, konterte sie und hielt an ihrer Wut fest, versuchte krampfhaft die Lust zu unterdrücken, die ihr den Atem nahm und sie zu übermannen drohte.

Stöhnend drängte er seine harte Männlichkeit an ihren Schoß. „Fühle ich mich wie ein Märtyrer an?“

„Ich dachte immer, du kriegst bei mir nur einen hoch, weil du die glänzende Zukunft Petras’ vor dir siehst.“

Er ballte die Hand auf ihrem Rücken zur Faust und erfasste dabei etwas von dem Stoff. Sie hörte das Gewebe reißen, und kurz darauf spürte sie den kalten Luftzug an ihrem nackten Rücken. „Ja“, höhnte er giftig. „Es ist wirklich eine Last. Denn der Anblick deines nackten Körpers macht mich überhaupt nicht an.“ Er zog ihr das Kleid herunter und entblößte damit ihre Brüste, die von einem zarten, durchsichtigen Spitzen-BH bedeckt wurden. „Was für eine Zumutung.“

Dann beugte er sich zu ihr herab, presste einen heißen, feuchten Kuss auf ihren Hals. Diese Berührung schockierte sie. Sie war so anders als alles, was sie bisher miteinander geteilt hatten, dass sie einen spitzen Schrei ausstieß – betroffen und lustvoll zugleich.

Die Hände auf seine Schultern gelegt, drückte sie ihn weg. „Mit wem hast du das heute Abend noch gemacht? Mit der Frau mit dem roten Lippenstift? Hast du sie auch so genommen? Oder setzt du mit mir nur fort, was du mit ihr angefangen hast?“

Er sagte kein Wort. Stattdessen blickte er sie mit dunklen, glänzenden Augen an. Ihr Magen revoltierte, Schmerz und Wut bemächtigten sich ihrer. Sie packte ihn am Krawattenknoten und zog so heftig daran, dass er sich löste. Nachdem sie das Stück Seide auf den Boden geworfen hatte, riss sie ihm das Hemd auf, sodass die Knöpfe über den Marmorboden kullerten.

Autor

Maisey Yates
<p>Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin. <br/>Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. <br/><br/>Von da an konnte nichts und niemand...
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