Die sinnliche Rache des stolzen Griechen

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Nie hat Immobilienmogul Ares Zanelis vergessen, dass Odessa seine Liebe verriet. Als sie ihn überraschend anfleht, sie zu heiraten – natürlich nur, um ihrer Familie zu entkommen! –, ist die Chance zur Rache da. Statt einer platonischen Vernunftehe verlangt er: Odessa muss ihm zwei Kinder schenken! Nicht mehr als ein Deal für ihn! Doch als er sie auf seiner griechischen Privatinsel zu Nächten der Lust verführt, erwachen ungeahnte Gefühle in ihm. Ist Odessa doch nicht so skrupellos wie gedacht? Oder verliert er erneut sein Herz an eine Betrügerin?


  • Erscheinungstag 10.12.2024
  • Bandnummer 2679
  • ISBN / Artikelnummer 0800242679
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Was für ein unglaublich schöner Tag, um seinen Vater zu Grabe zu tragen.

Trotz des frevelhaften Gedankens atmete Odessa Santella tief die salzige Meeresbrise ein. Mit geschlossenen Augen hob sie den Kopf zur Sonne in der Hoffnung, dass diese ihr kaltes Herz erwärmen könnte.

Sie grub ihre nackten Zehen in die rauen Kieselsteine unter ihren Füßen und zwang sich, die Augen zu öffnen. Dann beobachtete sie, wie die Sonne vom Wasser reflektiert wurde. Die zerklüftete Felswand, den steilen Abgrund und die tödlichen Felsen drei Meter hinter ihr ignorierte sie.

Es war in der Tat ein wunderschöner Tag, um …

Hinter ihr räusperte sich jemand und zerstörte ihren zerbrechlichen Frieden. „Signorina.“

Die Aufforderung klang warnend, irgendwie bedrohlich, wie alles, was mit ihrem Vater in Verbindung stand, seit sie denken konnte.

Es spielte keine Rolle, dass er tot war. Sie würde nie frei von ihm sein. Dafür hatte er mit derselben gründlichen Grausamkeit gesorgt, mit der er ihr ganzes Leben bestimmt hatte.

Resigniert machte Odessa einen Schritt zurück, dann noch einen. Das schwarze Kleid hing so schwer an ihrem Körper, als wollte es ihr die Last ihres Schicksals vor Augen halten. Sie nahm sich noch einen Moment Zeit, bevor sie ihre schwarzen Pumps wieder anzog.

Sie hatte geglaubt, sie wäre frei, sobald Elio Santella an seiner Krebserkrankung gestorben wäre.

Wie dumm sie gewesen war!

Aus hundert Metern Entfernung sahen ihr zwei Dutzend Augenpaare dabei zu, wie sie näher kam. Jeder dieser Männer in dunklen Anzügen fragte sich, ob sie zu einem Problem werden würde oder ob sie ihren Platz kannte, wie alle anderen Frauen in der Familie.

Vor allem ein Augenpaar sandte ihr einen Schauer des Widerwillens über die Haut. Vincenzo Bartorelli. Tödlich wie eine Giftschlange und doppelt so alt wie Odessa.

An Odessas einundzwanzigstem Geburtstag hatte Vincenzo Bartorelli seine Absichten mitgeteilt. Nur weil ihr Vater ihn abgelehnt hatte, war sie in den letzten sieben Jahren von seinen unerwünschten Annäherungsversuchen verschont geblieben.

Jetzt, da ihr Vater ihm nicht mehr im Weg stand, lief diesem Kerl wahrscheinlich jedes Mal das Wasser im Mund zusammen, wenn er sie ansah. Und seit Elios Tod vor einer Woche hatte er dafür gesorgt, dass diese Gelegenheiten häufig waren.

Verdammt, am liebsten wäre er in das Herrenhaus mit zwanzig Schlafzimmern gezogen, das ihr Vater sein Schloss genannt hatte. Odessa nannte es ihr Gefängnis. Zum Glück hatte ihr Onkel Flávio als Erster seinen Anspruch auf das Anwesen erklärt. Jeder hatte gewusst, wie sehr er es begehrte, seit sein Bruder es vor dreißig Jahren gebaut hatte.

Ihr Blick glitt zu ihrem Onkel und hoffte auf ein Zeichen, dass der Albtraum, der auf sie zuraste, nur in ihrer lebhaften Fantasie existierte. Doch sein tadelnder Blick, weil sie alle warten ließ, warnte sie, keine Szene zu machen, und nahm ihr jede Hoffnung.

Er sah sie an und klopfte mit einer Hand auf sein Bein, um ihr zu signalisieren, dass sie sich beeilen sollte. Diese erniedrigende Geste hatte er von ihrem Vater aufgeschnappt. Sie wollte schreien, sie sei kein Hund, den man bei Fuß rufen könnte. Sie schürzte die Lippen, ging langsamer und hob stolz das Kinn. Ihr Herz klopfte schneller, als seine Augen sich verengten.

Zweifellos würde ihre Rebellion bestraft werden, aber sie hatte sich an verbale Peitschenhiebe und Ohrfeigen gewöhnt.

Irgendwann hatte sie entschieden, dass es sich lohnte, sich aufzulehnen.

Es bewahrte sie davor, innerlich zu sterben.

Sie schlüpfte in die zu schmale Lücke zwischen ihren beiden noch lebenden Peinigern und schaute auf den Sarg, in dem ihr toter Peiniger lag.

In den Monaten vor seinem Tod war ihr Vater immer verbitterter und bösartiger geworden. Die Nachricht, dass seine Krankheit unheilbar war, hatte ihn in eine noch grausamere Version des harten Mafiabosses verwandelt, den jeder fürchtete.

Elio hatte nicht versucht, friedlich zu gehen. Er hatte gegen das Schicksal gewettert und jedem und allem die Schuld gegeben, nur nicht den teuren Zigarren, die er fünf Jahrzehnte lang jeden Tag geraucht hatte.

Odessa hörte dem Priester zu, wie er Worte des Friedens und der Erlösung sprach, und verzog die Lippen. Sie konnte diesem Mann, der sie so lange gequält hatte, keine Ruhe wünschen. Sie hoffte, dass ihre Mutter ihm im Jenseits die Hölle heiß machte, so wie sie es zu Lebzeiten nicht gewagt hatte. Sie hoffte …

Ihre Gedanken gerieten ins Stocken, als das Gemurmel am Grab lauter wurde.

„Was machen die hier?“

„Ist er das wirklich?“

„Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn jemals wieder hier sehen würde.“

„Hast du gehört, wie mächtig er jetzt ist?“

Die letzten Worte lenkten jetzt auch Onkel Flávios Aufmerksamkeit von dem Priester ab. Macht und Einfluss waren die beiden Drogen, von denen er sich ernährte.

Odessa krampfte sich der Magen aus Angst vor der bevorstehenden Katastrophe zusammen. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass man bei der Familie Santella immer auf das Schlimmste gefasst sein musste.

Als sie den Blicken der Trauergäste folgte, merkte sie, dass sogar der Priester verstummt war. Überrascht blinzelte sie die Tränen weg. Sie konnte sich nicht erinnern, sie geweint zu haben.

Dann blieb ihr das Herz beinahe stehen.

Was tat er hier?

Dies war der letzte Ort, an dem sie erwartet hätte, ihn zu sehen.

Aristoteles Zanelis.

Ares.

Der Name explodierte in ihrem Kopf.

In den Jahren, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er die Welt erobert und sie seinem Willen angepasst. Als internationaler Immobilienmogul besaß er die Art von Macht, für die Flávio und Vincenzo einige Gliedmaßen gegeben hätten. Und er war hier, auf der Beerdigung ihres Vaters?

Erst dann fiel ihr Blick auf den kleineren Mann, der neben ihm ging.

Sergios Zanelis – sein Vater. Der Mann, der ihren Vater fast zwanzig Jahre lang chauffiert hatte, bis Arthritis – und das skrupellose Verhalten ihres Vaters – den sanften Griechen gezwungen hatten, seinen Abschied zu nehmen.

„Wer hat ihn eingeladen?“, bellte Flávio, aber sie konnte in seiner Stimme hören, wie er schon darüber nachdachte, die Situation zu seinem Vorteil auszunutzen. Sie spürte mehr, als dass sie sah, wie er sie misstrauisch anschaute. „Hast du …?“

„Nein“, entgegnete sie energisch. Sie war immer noch nicht in der Lage, den Blick von dem großen breitschultrigen Mann abzuwenden, der auf sie zukam, als gehörte ihm der Boden, auf dem er ging.

Nach der Art und Weise, wie sie sich vor zehn Jahren getrennt hatten, hätte sie nicht gewagt, Ares um irgendetwas zu bitten – nicht einmal um Beileidsbekundungen für ihren Vater, der ihn genauso schlecht behandelt hatte wie seinen Vater.

Und du? Was hast du getan?

Gerechte Empörung ließ ihr das Blut in die Wangen steigen, als er näher kam. Oder lag es nur daran, wie atemberaubend dieser Mann war? Ares Zanelis sah sogar noch besser aus als damals.

„Wer ist das?“, fragte Vincenzo grimmig.

Ohne zu antworten, trat Flávio zurück und ging über den Rasen auf ihre unerwarteten Gäste zu. Ohne den älteren Zanelis auch nur eines Blickes zu würdigen, reichte ihr Onkel Ares die Hand. Von seinem anfänglichen Ärger war hinter seinem Lächeln nichts mehr zu sehen.

Odessas Herz hüpfte vor Angst, als Ares die ausgestreckte Hand ignorierte. Doch eine angespannte Sekunde später begrüßte Flávio auch Ares’ Vater. Er schüttelte Sergios die Hand und nickte feierlich.

Erst nachdem sein Vater begrüßt worden war, war Ares bereit, Flávio ebenfalls die Hand zu schütteln. Das ganze Spektakel dauerte keine zwanzig Sekunden, aber es war erschreckend deutlich, wer in dem kleinen Schlagabtausch die Oberhand behalten hatte.

Odessa schnappte nach Luft, als sich ein eisenharter Griff um ihr Handgelenk legte. „Antworte mir, wenn ich mit dir rede, Mädchen“, fuhr Vincenzo sie an.

„Lass mich los“, forderte sie heiser.

Sein brutaler Griff und das Wissen, dass sie einen blauen Fleck davontragen würde, waren nur ein Vorgeschmack auf das, was auf sie zukam.

Sie versuchte, die Hand wegzuziehen, aber er packte ihr Handgelenk nur noch fester. Sie wollte gerade weiter protestieren, als Ares Zanelis’ imposanter Körper die Sonne verdeckte.

„Lassen Sie sie los.“ Bei dem eiskalten rauen Befehl stellten sich ihr die Haare im Nacken auf. Ares ließ den Mann nicht aus den Augen.

Vor Schreck weiteten sich Vincenzos Augen, und er leistete dem Befehl schnell Folge.

Ares richtete seinen Blick wieder auf sie.

Während Odessa den Kopf in den Nacken legte – war er schon immer so groß gewesen? –, rieb sie sich das schmerzende Handgelenk. Sie begegnete dem kalten haselnussbraunen Blick des Mannes, der einmal ihre Gedanken beherrscht hatte.

Damals hatte sie seinen Gesichtsausdruck lesen können, doch jetzt wirkte seine Miene dunkel und undurchdringlich. Ohne ein Wort zu sagen, sah er sie einfach nur an.

Als Teenager hatte sie sein atemberaubendes Auftreten mit einem mythischen griechischen Helden verglichen. Schon damals war seine Dominanz nicht zu übersehen gewesen.

Jetzt war diese Aura hundertfach stärker, sie ließ ihr den Atem stocken, und ihr klopfte das Herz schneller.

In ihre Besorgnis, warum er hier war, an dem Ort, den er verlassen hatte, ohne sich auch nur zu verabschieden, mischte sich Nervosität.

Sie räusperte sich. „Ich … Ares … danke, dass du gekommen bist.“ Odessa hörte selbst, dass ihren Worten die Wärme fehlte.

„Nicht mir solltest du danken.“ Seine Stimme war eindeutig noch tiefer geworden, und wieder tanzte ihr ein warnendes Kribbeln über den Rücken.

Bevor sie fragen konnte, was er meinte, trat sein Vater zu ihnen. Sergios Zanelis’ vertrautes Lächeln wurde nur durch den traurigen Anlass getrübt. „Odessa, es ist schön, dich zu sehen.“ Er streckte eine Hand aus und umfasste ihre Hände sehr sanft. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass wir gekommen sind, aber es war mir ein Bedürfnis. Dein Vater war so großzügig, mich über zwanzig Jahre in seinem Dienst zu behalten. Das werde ich nie vergessen.“

Bei den Worten wurden Ares’ Lippen schmal. Er hätte nicht deutlicher zeigen können, dass er die positive Sichtweise seines Vaters auf die Vergangenheit nicht teilte und dies der letzte Ort war, an dem er sein wollte – und dass er nur gekommen war, weil sein Vater darauf bestanden hatte.

Odessa versuchte sich zu sagen, dass sie gut noch ein paar Jahrzehnte auf eine Begegnung mit Ares Zanelis hätte verzichten können. Aber das wäre eine Lüge gewesen. Außerdem gab es ohnehin kein Entrinnen von ihm: Er dominierte die Medien, Wirtschaftszeitungen genau wie Klatschmagazine und Social Media.

Daher wusste sie, dass er unverheiratet war. Seine wechselnden Beziehungen hielten kaum ein paar Monate. Prinzessinnen, Schauspielerinnen und Supermodels schienen Schlange bei ihm zu stehen. Sein Vater war die einzige Konstante in seinem Leben.

Aus den Medien hatte sie vor vier Jahren auch von dem Autounfall erfahren, der die beiden fast das Leben gekostet hätte. Ares hatte drei Wochen lang in Kalifornien im Koma gelegen. Während dieser Zeit war Odessa bei jedem Sonnenaufgang in die winzige Kapelle der Familie Santella gegangen und hatte um sein Leben gefleht.

Plötzlich wurde sie sich bewusst, wie still es um sie herum geworden war, und vor allem, dass Ares sie immer noch mit seinem Laserblick ansah. Sie räusperte sich, zwang sich zu einem Lächeln und flüsterte: „Ich freue mich, dass du gekommen bist, Ares. Ich weiß es wirklich zu schätzen.“

Und das tat sie. In diesem Meer von skrupellosen Männern, die bereit waren, jeden zu vernichten, auch sie – ganz besonders sie –, um das nächste Oberhaupt der Santella-Familie zu werden, war dieser Mann Balsam für ihre Seele. Er war seinen eigenen Weg gegangen, hatte hart gearbeitet und dabei ein unglaublich sonniges Gemüt bewahrt. In diesem Moment wünschte sie sich verzweifelt, sie könnte sich an ihm festhalten.

Ares musterte sie prüfend, als würde er den Wahrheitsgehalt ihrer Worte abschätzen. Dann räusperte sich der Priester und gab ihr damit einen Vorwand, sich abzuwenden. Als Ares Vincenzos Platz an ihrer linken Seite einnahm und sein Vater Onkel Flávio an ihrer rechten Seite verdrängte, hielt sie ihren Blick auf den Sarg ihres Vaters geheftet, auch wenn ein Orkan in ihrem Inneren tobte.

In den nächsten dreißig Minuten des Gottesdienstes – während ihr Onkel sie nachdenklich betrachtete und Vincenzos Blick die Hölle versprach – wurde ihre verzweifelte Idee geboren.

Dieser Ausdruck auf Flávios Gesicht war ihr nur allzu vertraut. Unzählige Male hatte sie ihn auf dem Gesicht ihres Vaters gesehen.

Das Versprechen von Vergeltung.

Doch in Ares’ Augen hatte sie etwas anderes gesehen. Den Schatten eines Gefühls, das sie schon lange für tot gehalten hatte – seit jener schicksalhaften Nacht, in der er sie verlassen hatte.

Verlangen.

Auch wenn hier der letzte Ort war, an dem sie über solche Dinge nachdenken sollte, konnte sie sich nicht dagegen wehren. Seine Nähe, seine Ausstrahlung … großer Gott, selbst sein Duft – nach prasselnden Regenschauern und Holz – überwältigten sie.

Und wenn sie sich nicht irrte und wirklich Verlangen in seinen Augen gesehen hatte, konnte sie vielleicht …

Oh Gott, konnte sie das wirklich?

Als sie die weiße Rose aus der angebotenen Vase nahm, auf den Sarg ihres Vaters warf und um das trauerte, was er ihr in seinem Leben nie hatte geben können, wusste sie tief in ihrem Inneren, dass sie etwas ändern musste.

Sie konnte nicht bei Flávio und Vincenzo bleiben, das würde ihr Ende bedeuten. Aber ihr Schritt musste mutig sein. Drastisch. Sie musste alle Brücken hinter sich gründlich niederbrennen. Wenn sie dabei irgendwie halbherzig wäre …

Sie schob den beängstigenden Gedanken beiseite und schaute sich um. Langsam zerstreuten sich die Trauergäste. Dabei warfen sie verstohlene Blicke auf die beiden Männer, die rechts und links neben ihr standen.

Plötzlich spürte Odessa jemanden hinter sich und sah über die Schulter. Flávio stand dort, aber sein wachsamer Blick war nur auf Ares gerichtet.

„Zanelis, es gibt einen Empfang im Haus. Wir würden uns freuen, wenn Sie dabei wären“, bot er mit unaufrichtigem Charme an.

Wieder wurde Ares’ Miene bei dieser absichtlichen Missachtung seines Vaters finster, auch wenn der ältere Mann sich nicht darum zu kümmern schien.

Ares sah ihr in die Augen, bevor er antwortete: „Wenn Odessa es möchte.“

Der Klang ihres Namens auf seinen Lippen, zusammen mit seinem leichten griechischen Akzent, ließ sie erschauern.

Der Ausdruck in seinen Augen sagte ihr, sie sollte Nein sagen … dass er nicht kommen wollte. Wieder stieg Empörung in ihr auf. Er hatte Nerven, ihr etwas vorzuwerfen! Sie hatte damals alles nur getan, um ihn zu beschützen. Er dagegen …

Aber jetzt war er ihre letzte Hoffnung, ganz egal, wie dumm ihre Idee auch sein mochte. Ganz egal, wie distanziert und feindselig er auftrat. Sie würde an der Erinnerung an den weniger einschüchternden Mann festhalten, den sie damals gekannt hatte. An den Mann, der ihr unter den Sternen Versprechen zugeflüstert hatte …

Weil sie Ares nicht gehen lassen konnte. Noch nicht.

„Ich würde mich sehr darüber freuen.“ Sie ignorierte die selbstgefällige Miene ihres Onkels und wandte sich an Sergios. „Wenn du auch Zeit hast, Sergios?“

Als sie Ares aus dem Augenwinkel ansah, sagte ihr sein Blick, dass er ihren Trick durchschaute. Doch sie ließ sich nicht beirren.

„Natürlich, meine Liebe“, antwortete Sergios und bot ihr seinen Arm an.

Erleichtert klammerte sie sich den ganzen Weg den Hügel hinauf an ihn – zurück zu dem Haus, das ihr Leben lang ihr Gefängnis war.

Als sie sich näherten, musterte sie die imposante Fassade.

Waren die Ranken, die um die Fenster herumwucherten, schon immer so dicht gewesen? Sie wirkten erstickend, genau wie das Haus. Waren die Vorhänge, die die dicken, kugelsicheren Fenster umrahmten, schon immer so dunkel gewesen? Natürlich befanden sich jede Tür, jeder Stein und jeder Grashalm in makellosem Zustand. Die Mitarbeiter wussten, dass Unvollkommenheit unter keinen Umständen geduldet wurde.

Ein typisches Beispiel dafür war der freundliche ältere Mann, der neben ihr ging. Er war entlassen worden, weil ihr Vater seine arthritischen Finger nicht hatte ertragen können.

Odessa hatte Sergios monatelang vermisst, auch wenn sie der Gedanke beruhigt hatte, dass er jetzt wieder mit seinem Sohn zusammen sein würde. Ares, der Mann, dessen Verachtung sie spüren konnte, während er in angespanntem Schweigen neben ihr ging.

Ares, der Mann, durch den sie ihre Freiheit erlangen wollte.

Der Gedanke an den gefährlichen Weg, der vor ihr lag, ließ sie erschaudern, doch Sergios’ überraschend starker Griff gab ihr Kraft, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

„Im Moment denkst du vielleicht, du könntest den Verlust nie verwinden, aber mit der Zeit tut es weniger weh“, sagte er. Offensichtlich hatte er gedacht, die Trauer würde sie schwächen. „Der Schmerz wird nie ganz verschwinden, aber du lernst, damit zu leben.“

Als sie seinen Trost annahm, fühlte sie sich wie eine Betrügerin. Sie vermisste ihren tyrannischen Vater kein bisschen. Nach ihrer Flucht – falls sie es schaffen sollte, zu entkommen – würde sie nie wieder einen Fuß auf diesen verfluchten Boden setzen.

Viel zu schnell erreichten sie den Salon. Hier hatte Elio Hof gehalten. In diesem Raum hatte er Sergios mitgeteilt, dass seine Dienste nicht mehr benötigt würden, weil er alt und nutzlos geworden sei.

Genau in diesem Raum hatte er ihr gesagt, sie solle nie wieder mit Ares Zanelis sprechen, sonst würde er ihn …

Hier hatte er ihr erst vor wenigen Monaten gesagt, dass er plane, sie mit Vincenzo Bartorelli zu verheiraten, mit einem Mann, der älter war als er selbst.

Die dunkelgrünen Möbel waren unbequem, in der Luft hing widerlicher Zigarrenrauch. Es war ein Raum, in dem Männer Pläne schmiedeten. Männer, die von ihren Frauen erwarteten, dass sie sich widerspruchslos unterordneten.

Odessa bedankte sich bei einem der Dienstmädchen, das ihr ein Tablett mit Getränken anbot, und entschied sich für ein Mineralwasser.

Sie war in ihrem Leben nur einmal ein bisschen beschwipst gewesen, als sie …

Ihr Blick wanderte zu Ares. Erinnerte er sich an die Nacht ihres siebzehnten Geburtstags, als sie sich um Mitternacht hinausgeschlichen und mit einer gestohlenen Flasche Dom Perignon an den Klippen gesessen hatten?

Wie sie im Gras gelegen hatten, das tosende Wasser zu ihren Füßen. Wie sie einander ihre Hoffnungen und Träume zugeflüstert hatten.

Dachte er überhaupt noch an sie? Hatte er auch nur einen einzigen Moment mit der Frage „Was wäre, wenn“ verbracht?

„Tut es noch weh?“, unterbrach Ares’ tiefe Stimme ihre Gedanken.

Sie zuckte zusammen und folgte seinem Blick zu ihrem geröteten Handgelenk. Abdrücke von Vincenzos Griff zeigten, wie ihr Schicksal aussehen würde, wenn sie keinen Ausweg aus diesem Albtraum fand.

„Äh … nein, nicht der Rede wert.“

Sein Gesicht verdunkelte sich, die haselnussbraunen Augen verwandelten sich in geschmolzene Bronze. „Entweder es tut weh oder nicht. Also, wie ist es?“, brummte er, ohne sich die Mühe zu machen, die Stimme zu dämpfen.

„Okay, es tut ein bisschen weh“, murmelte sie und war sich darüber im Klaren, dass Vincenzo Bartorelli sie misstrauisch beobachtete.

Sie schluckte schwer, als der ältere Mann jetzt durch den Raum auf sie zukam.

Panik stieg in ihr auf, und sie wandte sich an Ares. „Kann ich allein mit dir reden?“

Er hob eine pechschwarze Augenbraue. „Wie kommst du darauf, dass wir uns etwas zu sagen hätten? Ich bin nur hier, weil …“

„Ich weiß. Wegen deines Vaters. Aber …“ Sie biss sich auf die Lippen und fragte sich, ob sie nicht einen anderen Weg finden konnte.

Aber die Zeit lief ihr davon. In diesem Moment war Ares das geringere von zwei Übeln. Ihre einzige Chance.

„Bitte“, flüsterte sie. „Es ist wichtig.“

Eine Mischung aus Neugier, Skepsis und Widerwillen huschte über sein Gesicht. Ihr zog sich das Herz zusammen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er sie ganz anders angeschaut hatte.

„Wichtig für dich vielleicht. Nicht für mich.“ Sein Blick glitt an ihr vorbei zu seinem Vater, der mit dem Butler sprach. Der Mann hatte schon lange vor der Geburt Odessas im Santella-Haushalt gelebt, und die beiden Männer waren einst gute Freunde gewesen. „Ich werde nicht …“

„Odessa. Hast du einen Moment Zeit?“, unterbrach Vincenzo ihn mit harter Stimme.

Ihr sank das Herz. Sie warf Ares einen Blick zu, ohne sich darum zu kümmern, ob er das unverhüllte Flehen in ihren Augen las. Er sagte kein Wort … nicht für einige quälend lange Momente.

Als sie schon dachte, ihr bliebe keine andere Wahl, als ihr Schicksal zu besiegeln und Vincenzo öffentlich vor den Kopf zu stoßen, erklärte Ares knapp: „Das muss warten. Odessas Handgelenk ist verletzt … Ich kümmere mich darum.“

Es war keine Bitte um Erlaubnis. Vincenzos Gesicht rötete sich. Er öffnete den Mund, bekam aber keine Chance, etwas zu erwidern.

„Sollen wir?“ Auf Odessas Nicken hin legte Ares ihr eine starke Hand um den Ellbogen und führte sie zur nächsten Tür.

Erleichterung erfasste sie. Sie sah die Möglichkeit vor sich, nach der sie gesucht hatte. Aber bis zur Freiheit war es noch ein langer Weg.

Und doch, als sie neben dem Mann ging, von dem sie einst geglaubt hatte, dass er für immer ihr gehören würde, wusste sie, dass es kein Zurück gab. Auf keinen Fall würde sie Vincenzo Bartorelli heiraten. Lieber würde sie sterben.

Wenn man bedachte, dass Ares seit über einem Jahrzehnt nicht mehr in diesem Haus gewesen war, fand er mit überraschender Sicherheit den Weg durch die Flure, vorbei am Arbeitszimmer ihres Vaters in die kleine Bibliothek.

Im Gegensatz zu den meisten Zimmern im Herrenhaus war die Bibliothek eher schlicht eingerichtet und gemütlich. Sie war das Lieblingszimmer ihrer Mutter gewesen. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Odessa gefürchtet, dass ihr Vater es in ein weiteres protziges Prunkstück verwandeln würde. Aber aus irgendeinem Grund hatte Elio Santella die Bibliothek nicht angerührt. Sie war Odessas Lieblingszimmer im Haus geworden … der Ort, an dem sie sich ihrer Mutter am nächsten fühlte.

„Vielen Dank für deine Zeit.“ Sie hielt inne und räusperte sich. Würde er ihrem unverschämten Vorschlag zustimmen? „Ich …“

„Spuck’s aus, Odessa. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

Ärgerlich funkelte sie ihn an. Bevor sie sich zurückhalten konnte, platzte sie heraus: „Ich brauche deine Hilfe.“

Ohne zu blinzeln, musterte er sie eine ganze Weile schweigend. „Lassen wir mal außer Acht, wie du auf die Idee kommst, du hättest das Recht, irgendetwas von mir zu verlangen. Aber warum glaubst du, ich würde dir in irgendeiner Weise helfen wollen?“

Sie zitterte. Der letzte Rest von ihrem Stolz schrie laut, sie sollte auf der Stelle gehen, mit hocherhobenem Kopf, und einen anderen Weg finden, sich gegen ihr Schicksal zu wehren.

Aber die Art, wie er gerade mit Vincenzo umgegangen war, verdrängte ihren Stolz und stärkte ihre Hoffnung. „Ich würde nicht fragen, wenn ich nicht … außerdem … du …“

Du schuldest es mir, wollte sie sagen. Aber sie biss sich auf die Zunge, weil sie nicht an die Vergangenheit denken wollte, daran, was sie für seine Sicherheit getan hatte.

„Ich was?“, fragte er kalt.

Sie schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle.“

Sie konnte sich jetzt nicht mit alten Geschichten aufhalten. Nicht, wenn ihre Zukunft so düster aussah …

„Du hast dreißig Sekunden. Dann gehe ich“, sagte er gefährlich leise.

Sie glaubte ihm. Hatte er das nicht schon einmal getan, dieser Mann, der Welten von der jüngeren Version entfernt war, die sie einst gekannt hatte?

Aber hatte er nicht schon damals diese überwältigende Ausstrahlung gehabt, sie nur besser unter Kontrolle gehalten?

Odessa fühlte sich wie eine unglückliche Motte, die auf eine vernichtende Flamme zutanzte.

Gegen ihren Willen fasziniert, sah sie zu, wie er langsam seine verschränkten Arme zu beiden Seiten seiner schmalen Hüften sinken ließ. Seine Hände waren groß, die Finger lang und feingliedrig.

Sie beobachtete, wie er langsam die Augenbrauen hob, als wäre er überrascht, dass sie ihre Chance verstreichen ließ.

In der letzten Sekunde holte Odessa tief Luft und sprang ins kalte Wasser. „Noch bevor die Beerdigung meines Vaters vorbei ist, wird Vincenzo Bartorelli unsere Verlobung bekannt geben.“ Schon bei dem Gedanken stieg ihr Galle in die Kehle. „Lieber springe ich nackt in den Ätna, als ihn zu heiraten. Darum möchte ich, dass du sagst, dass ich dich heiraten werde. Und im Gegenzug …“ Dio, hatte sie das wirklich ausgesprochen? „Dafür gebe ich dir, was du willst.“

2. KAPITEL

Nur weil er seine Gefühle so streng unter Kontrolle hatte, brach Ares nicht in Gelächter aus. Gleichzeitig wurde er wütend.

Nicht auf sie. Oder vielleicht ein bisschen auf sie …

Lieber springe ich nackt in den Ätna …

Die Worte ließen Erinnerungen in ihm aufsteigen, die er versucht hatte zu vergessen. Aber er war nicht hier, um in Erinnerungen zu schwelgen.

Er war nicht mehr der dumme Junge, der nur von ihr träumte. Im Nachhinein war ihm klar geworden, dass er gerade noch davongekommen war.

Aber als er jetzt diese unglaublich schöne Frau ansah, wurde ihm die Brust eng. In den Jahren, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie nur noch schöner geworden.

Er sollte ihre Bitte als Unsinn abtun, zurück in den Salon marschieren und seinem Vater gegenüber darauf bestehen, dass sie gingen.

Doch der Ausdruck in ihren Augen – ihr Kampf mit dem Stolz, an dem sie so unerschütterlich festhielt – ließ ihn bleiben.

War das wirklich alles, was ihn davon abhielt, zu gehen? Oder war es dieser spöttische kleine Zusatz, den sie ihm hingeworfen hatte?

Dafür gebe ich dir, was du willst.

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