Die verführerische Rache des stolzen Spaniers

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Ausgerechnet Vidal Suarez! Evas Jugendschwarm ist als Einziger bereit, ihr aus finanzieller Not zu helfen, indem er das marode Castillo ihrer Familie kauft. Im Gegenzug verlangt der spanische Selfmade-Milliardär allerdings, dass sie vorübergehend seine Verlobte spielt – heiße Küsse inklusive! Natürlich nicht aus Liebe, wie er erklärt, sondern aus Rache. Offenbar hat er ihr nie verziehen, dass sie ihn einst zurückgewiesen hat. Beim Blick in seine betörend aquamarinblauen Augen, die sie ans Meer erinnern, droht Eva trotzdem schwach zu werden …


  • Erscheinungstag 30.05.2023
  • Bandnummer 2598
  • ISBN / Artikelnummer 0800232598
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Castillo de Santos, vor den Toren Madrids

Eva Flores fröstelte, obwohl die Sonne schien und die Temperatur frühherbstlich mild war. Sie hätte erleichtert sein sollen, glücklich sogar. Doch sie wusste gar nicht genau, wie es sich anfühlte, glücklich zu sein, denn es hatte in ihrem Leben nur selten Anlass dazu gegeben.

Anstatt weiter über diese unerfreuliche Tatsache nachzugrübeln, versuchte sie, das Gefühl der Erleichterung zu akzeptieren. Nach über einem Jahr gab es endlich einen potenziellen Käufer für das Castillo, den Ort, an dem sie aufgewachsen war – ihr Zuhause.

Vor der Vertragsunterzeichnung wollte der Käufer das Anwesen besichtigen, aber der Anwalt hatte Eva versichert, das sei reine Formsache.

Dennoch wollte Eva sich nicht zu früh freuen. Noch war der Kaufvertrag nicht unterschrieben, und bis es so weit war, gehörte das marode Mausoleum immer noch ihr, samt trostloser Erinnerungen und Schuldenberg.

Lange hatte sich das Castillo wie ein Gefängnis angefühlt, und das war es de facto auch, solange sie es nicht loswurde.

Sie schlenderte durch den weitläufigen Park, der völlig verwildert war, seit auch der Letzte ihrer ehemaligen Hausangestellten seinen Dienst quittiert hatte.

Eva zog sich der Magen zusammen. Definitiv kein Tag, an den sie gern zurückdachte. Lieber freute sie sich auf die Aussicht, die Vergangenheit bald hinter sich zu lassen und ein neues Leben beginnen zu können.

Dieser Ort beanspruchte zu viel von ihrer Zeit. Und dennoch verspürte sie den Drang, über das Gelände zu streifen, als wollte sie Geister vertreiben. Den Geist ihrer Mutter. Ein vertrautes Gefühl, unendlich komplizierter als reine Trauer, stieg in ihr auf – eine Mischung aus Trauer, Zorn und Hilflosigkeit. Ihre Mutter hatte Evas Leben so kontrolliert, dass sie erst durch deren Tod herausgefunden hatte, wer sie eigentlich war.

Am schmiedeeisernen Tor zu einem kleinen, ummauerten Garten mit Brunnen in der Mitte blieb sie stehen. Eva trat ein, und der schwere Duft der letzten Blüten stieg ihr in die Nase.

Unkraut wucherte zwischen den Pflastersteinen und in den Mauerritzen. Sie hätte ein schlechtes Gewissen haben sollen, dass sie ihn so verkommen ließ, doch sie fühlte sich einfach nur leer. Taub.

Langsam drehte sie sich zu dem reich verzierten Gartenpavillon in einer Ecke um, der vom Laub fast vollständig verdeckt war – die Laune irgendeines Vorfahren. Nicht ihres Vaters jedenfalls, der die Familie verlassen hatte, als Eva acht war.

Ihre Mutter war daraufhin verbittert geworden und hatte ihren Frust an Eva ausgelassen. Sie hatte ihre ganze Verzweiflung über den Verrat auf Eva projiziert und alles darangesetzt, dass ihrer Tochter nicht etwas Ähnliches widerfuhr. Was das betraf, hatte das Erbe ihrer Mutter bisher funktioniert.

Schließlich war es nicht so, als hätte sie je Gelegenheit gehabt, jemanden kennenzulernen, der sie hätte verletzen können.

Außer …

Sie verdrängte den Gedanken an ihn, denn er löste einen Strudel an Gefühlen aus, denen Eva nicht auf den Grund gehen wollte. So war es immer schon gewesen, seit sie ihm als Teenager zum ersten Mal begegnet war. Groß und schön, schöner als jeder andere Mann, den sie je gesehen hatte. Schon damals hatte sie gespürt, dass zwischen ihnen etwas war, das sie nicht ganz verstand und das ihr Angst machte.

Ihre Mutter hatte es jedoch auch gesehen. Eines Tages hatte sie Eva dabei erwischt, wie sie ihn durchs Fenster beobachtet hatte, als er im Garten arbeitete. Seinen nackten Oberkörper. Die glänzende, olivfarbene Haut. Das Spiel seiner Muskeln.

Ihre Mutter hatte sie an sich gezogen und gesagt: „Ein Junge wie er wird nur von seinen niederen Instinkten gesteuert, Eva. Du bist so viel mehr wert als er – und das kannst du ihn ruhig spüren lassen.“

Damals hatte sie keine Ahnung gehabt, was ihre Mutter meinte, doch im Lauf der Jahre begann sie zu verstehen. Ihre Mutter wollte, dass sie ihn provozierte. Dass sie jene niederen Instinkte weckte, um ihm dann zu zeigen, dass sie darüber erhaben war, und ihn auszulachen. Um ihn auf seinen Platz zu verweisen und daran zu erinnern, dass sie für ihn unerreichbar war.

Das einzige Problem war nur, dass er gar nicht von niederen Instinkten gesteuert wurde. Ganz im Gegenteil. Er war fleißig, höflich und … sexy. Eva verfiel ihm immer mehr, und in jenem letzten Sommer, als sie gerade achtzehn geworden war, fühlte sie sich wie ein Pulverfass, das vor lauter Verlangen und verwirrenden Gefühlen zu explodieren drohte.

Das letzte Mal hatte sie ihm genau hier gegenübergestanden. Sie konnte sich noch genau an ihn erinnern, groß und stark. Kurzes dunkles Haar. Ernstes Gesicht. Er hatte sie mit einer Mischung aus Skepsis, Mitleid und Wut angesehen. Ihr Verlangen war entfacht, und sie hatte ihm unbedingt eine Reaktion abtrotzen wollen. Und das hatte sie.

Ihre Haut begann bei der Erinnerung daran zu prickeln, und sie ballte die Finger unwillkürlich zu Fäusten. Noch immer konnte sie die Hitze ihres Zorns spüren und den Schock darüber, was sie fast getan hatte. Seinen angewiderten Blick. Noch nie hatte sie sich so verletzlich gefühlt. So … verloren.

Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie zugelassen hatte, dass ihre Gedanken in die Vergangenheit abschweiften. Heute ging es um die Zukunft.

Ihr wurde bewusst, dass sie noch immer in ihren alten Jeans, einem noch älteren Shirt und abgewetzten Turnschuhen rumlief. Mit dem nachlässig gebundenen Zopf sah sie nicht gerade aus wie die Besitzerin eines alten Kastells. Und im Grunde war sie das ja auch nicht, denn es gehörte der Bank.

Eine missliche Lage für die letzte Nachfahrin der illustren Familie ihrer Mutter.

Sie wusste deshalb, dass sie die Letzte sein würde, weil sie nicht vorhatte, jemals Kinder zu bekommen. Nicht nach all dem, was sie selbst hatte durchmachen müssen. Die Vorstellung, ein Kind in diese Welt zu setzen, erfüllte sie mit Schrecken.

Genug. Sie musste sich fertig machen.

Eva wandte sich zum Gehen, blieb jedoch abrupt stehen, als sie jemanden am Tor stehen sah. Eine große Gestalt mit breiten Schultern. Männlich. Doch sie wurde von der Sonne geblendet, deshalb konnte sie sein Gesicht nicht erkennen.

Es musste der potenzielle Käufer sein … doch wie hatte er diesen versteckten Garten gefunden? Das Anwesen war ein Labyrinth, sogar für sie selbst, die sie ihr ganzes Leben hier verbracht hatte.

Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Sie hob eine Hand, um die Augen vor der Sonne zu schützen. „Hallo. Kann ich Ihnen helfen?“

Der Mann öffnete die alte Gartenpforte und trat ein, und sie erkannte, dass er noch größer war, als sie auf den ersten Blick gedacht hatte. Gut eins fünfundachtzig. Und dann sah sie sein Gesicht, und das Blut gefror ihr in den Adern.

Das konnte nicht sein.

Der Mann nahm seine Sonnenbrille ab und enthüllte die nur allzu vertrauten tiefliegenden Augen, die von einem ungewöhnlichen Blaugrün waren. Aquamarin. Sie erinnerten Eva immer ans Meer.

Als er sprach, war seine Stimme tief. „Hallo, Eva. So sieht man sich wieder.“

Eva taumelte. Hatte sie ihn mit ihren Gedanken heraufbeschworen?

Er trug einen Anzug, der seinen durchtrainierten Körper exzellent betonte. Es war das erste Mal, dass sie ihn in einem Anzug sah. Früher hatte er immer Jeans oder Shorts und T-Shirt getragen. Jetzt war sie diejenige in Jeans und T-Shirt – Kleidungsstücke, die ihr streng verboten gewesen waren. Im letzten Jahr hatte sie kaum etwas anderes getragen, ein verspäteter und sinnloser Akt der Rebellion.

„Vidal Suarez …“ Sie flüsterte den Namen, den sie wenige Augenblicke zuvor nur gedacht hatte, doch ihr war nicht bewusst, wie laut sie ihn wirklich ausgesprochen hatte.

„Du erinnerst dich also an mich.“

Immer. Das Wort schoss ihr durch den Kopf, und sie verschloss fest die Lippen, damit sie sich nicht verriet. Nur, dass sie sich an einen drahtigen Jungen erinnerte, der noch an der Schwelle zum Erwachsensein gestanden hatte. Nicht an diesen … gestandenen Mann.

„Ich … Was tust du hier?“

Er trat näher und sah sich um. Sie konnte kaum fassen, dass er es wirklich war. Oder war sie zu lange in der Sonne gewesen?

Nachdenklich, als wäre es ganz normal, dass er vor ihr stand, sagte er: „Ich mochte diesen Ort immer. Ein Jammer, dass er so verwahrlost ist.“ Er sah sie an. „Aber deine Mutter und du, ihr habt euch ja schon damals nicht viel um das Castillo und seine Instandhaltung gekümmert.“

Er war kein Produkt ihrer Fantasie. Seine Worte trafen sie tief. Es war ihre Mutter gewesen, die den Verfall des Familienbesitzes geradezu genossen hatte. Als würde ihr Vater dadurch begreifen, dass er einen Fehler gemacht hatte, und aus Angst davor, was die Leute sagen würden, zurückkehren. Doch das war er nicht. Und das Castillo wurde langsam zugrunde gerichtet. Trotz aller Bemühungen des noch verbliebenen Personals, den Schein zu wahren.

„Was tust du hier?“, wiederholte sie.

„Hast du mich nicht erwartet?“

Zu viele Dinge stürzten auf Eva ein, um sie zu begreifen. Was er da andeutete, konnte unmöglich sein.

„Ich warte auf jemanden von Sol Enterprises.“

„So heißt meine Firma.“

Eva schüttelte den Kopf. „Aber … wie …? Warum?“

Doch noch während sie die Frage stellte, kehrte eine Erinnerung zurück. An denselben Mann vor sieben Jahren, der gesagt hatte: „Manche Leute werden privilegiert geboren, Eva, und manche müssen es sich verdienen, aber ich glaube, ich kann mit Sicherheit behaupten, dass es sehr viel befriedigender ist, sich selbst etwas zu erarbeiten. Denn trotz all deiner Privilegien machst du auf mich keinen besonders glücklichen Eindruck.“

Sie erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen.

Vidal sah sie aufmerksam an, und der Schock über sein unerwartetes Auftauchen gab ihr das Gefühl, als würden sich die Mauern des Gartens immer enger um sie schließen. Für einen furchtbaren Moment war ihr schwindelig, und sie fürchtete, ohnmächtig zu werden. Doch der Moment verstrich. Sie musste hier weg.

Sie schob sich an Vidal Suarez vorbei und sagte: „Lass uns ins Haus gehen.“

„Ja, das ist eine gute Idee.“

Während Eva auf den vertrauten Kieswegen vorausging, zwang sie sich, tief durchzuatmen. Sie hätte nie damit gerechnet, Vidal Suarez je wiederzusehen.

Damals war er der Sohn des Gutsverwalters gewesen, ein talentierter Wunderknabe mit einem Stipendium an einer der exklusivsten Universitäten Spaniens.

Das war wahrscheinlich der Grund, warum Evas Mutter ihm gestattet hatte, hier bei seinem Vater zu wohnen – natürlich nur, solange er in den Ferien half. Umsonst.

Und jetzt war er Milliardär – Gründer eines Tech-Konzerns, der sich schließlich in San Francisco niedergelassen hatte, dem internationalen Zentrum technischer Innovation.

Evas Mutter hatte sich einen Spaß daraus gemacht, Vidal an der Seite seines Vaters Hilfsarbeit verrichten zu lassen, als wollte sie ihn an seine Herkunft erinnern. Doch jener letzte Sommer war der Sommer gewesen, in dem sich sein Leben geändert hatte. Er hatte seine erste Million gemacht.

Jahre nachdem die Suarez’ das Castillo verlasen hatten, und als ihr eigenes Schicksal sich wendete, hatte ihre Mutter – die Vidals kometenhaften Aufstieg verfolgt hatte – zu Eva gesagt: „Du solltest zu ihm gehen … ihn um Hilfe bitte. Er schuldet uns etwas.“

Mit kaum verhüllter Wut hatte Eva erwidert: „Er schuldet uns gar nichts, Mutter. Rein gar nichts.“

Sie konnte Vidal Suarez’ vernichtendes Urteil über den Zustand des Parks förmlich spüren. Sie fühlte sich schuldig, obwohl sie nichts dafürkonnte, denn sie hatte alles versucht. Nicht dass es am Ende etwas gebracht hatte.

Ihre Mutter hatte sich geweigert zu verkaufen. Hatte sich geweigert, öffentlich zuzugeben, dass sie finanzielle Probleme hatte, seit ihr Mann sie verlassen hatte. Sie zog es vor, den Ernst der Lage zu ignorieren.

Erst nach ihrem Tod hatte Eva die Kontrolle übernehmen können, doch dieses Gefühl der Kontrolle war trügerisch.

Sie hatte keine Ahnung, warum Vidal Suarez zurückgekehrt war und warum er das Castillo kaufen wollte. Oder vielleicht wusste sie es doch und wollte nur nicht wahrhaben, dass er offensichtlich weder vergessen noch ihr vergeben hatte, wie sie ihn behandelt hatte. Wie ihre Mutter ihn behandelt hatte.

Sie näherten sich dem Castillo von der Vorderseite, wo ein weiterer versiegter Brunnen einen traurigen Anblick bot. Der schnittige, tiefliegende Sportwagen – vermutlich Vidals – wirkte vor der schäbigen Kulisse fehl am Platz.

Das Castillo selbst war ein imposantes Gebäude, eine Mischung aus klassischer und maurischer Architektur. Die dramatische Toreinfahrt führte in einen offenen, von Säulen umgebenen Hof.

Eine weitere Erinnerung stürmte auf sie ein: Eines Abends hatte ihre Mutter Vidal zum Essen eingeladen. Eva war wahnsinnig aufgeregt gewesen. Sechzehn und hormongesteuert, getrieben von einem Verlangen, mit dem sie noch nichts anzufangen wusste.

Vidal hatte sich offensichtlich Mühe gegeben. Eva fand, er hatte nie schöner ausgesehen. Er hatte das Haar zurückgekämmt und duftete nach Moschus und erdigen Gewürzen.

Und dann hatte Evas Mutter den ganzen Abend über Vidal geredet, als wäre er gar nicht da. Als wäre er kein menschliches Wesen, sondern irgendeine Kuriosität.

Es war unerträglich gewesen, und Eva schämte sich zutiefst. Doch sie war nicht mutig genug gewesen, ihrer Mutter die Stirn zu bieten. Sie hatte sich eine unsichtbare Rüstung zugelegt, hinter der sie sich versteckte.

Vidal hatte die Beleidigung stolz über sich ergehen lassen und war höflich geblieben. Er war nie wiedergekommen.

Und jetzt war er hier und angeblich interessiert daran, das Castillo zu kaufen. Es hätte sie nicht überraschen sollen, dass er die Gelegenheit nutzte, sie zu demütigen. Die einzige Überraschung war, dass er all das nicht längst hinter sich gelassen hatte. Dass er überhaupt noch etwas mit dem Castillo und Eva zu tun haben wollte.

Eva führte ihn in den Empfangssalon und schämte sich für den kläglichen Zustand. Tapete, die sich von den Wänden löste, feuchte Flecken, abgewetzte orientalische Teppiche … eine verstaubte Ahnengalerie.

Eva stählte sich innerlich, bevor sie sich zu ihm umdrehte, doch vergebens. Sie schmolz innerlich bei seinem Anblick – diesmal, ohne von der Sonne geblendet zu werden.

Mit seinem muskulösen Körper, dem fast militärisch kurzen dunklen Haar, den markanten Gesichtszügen und den tiefliegenden Augen strahlte er eine herbe Vitalität aus, die das marode Castillo neben ihm verblassen ließ.

Der gestutzte Bart lenkte die Aufmerksamkeit auf seinen breiten Mund mit den vollen, fast schönen Lippen.

Doch sie hatten sich hart angefühlt.

Evas Herz pochte.

Bitte, nicht diese Erinnerungen. Nicht jetzt.

„Du siehst mich an, als würdest du mich nicht kennen“, sagte er.

Eva wurde heiß. „Du siehst … anders aus.“

„Ich bin anders.“

Sein strenger Tonfall machte Eva bewusst, wie viel sich für ihn geändert hatte. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen und hatte wahrlich alle Erwartungen übertroffen. Sein Reichtum war unermesslich, und angeblich besaß er in jeder großen Stadt Immobilien, sogar auf Hawaii.

Eva fragte sich, ob er glaubte, dass sie sich geändert hatte. Sie fühlte sich anders. Angeschlagen und erschöpft, nachdem man ihr das ganze Leben vorgeschrieben hatte, was sie denken und wie sie sich benehmen sollte. Sie fühlte sich verletzlich. Als hätte man ihr die Schutzschicht von der Haut gezogen.

Ihr fiel ein, dass sie noch immer ihre Jeans trug, und sie gestikulierte. „Ich wollte mich eigentlich umziehen, bevor …“ Sie zögerte.

Er musterte sie mit seinen blaugrünen Augen von Kopf bis Fuß, und Eva spürte ihren Puls, spürte sich. Als wäre etwas in ihr durch seine Gegenwart wieder zum Leben erwacht.

„Nicht dein üblicher Kleidungsstil … Andererseits, was weiß ich schon, es ist lange her. Offensichtlich beschränkt sich der Untergang des Castillo nicht nur auf das Gebäude.“

„Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich, dass die Dinge nicht mehr so sind, wie sie einmal waren.“

Vidal löste den Blick von ihr, und Eva hatte das Gefühl, wieder atmen zu können. Er schaute sich um, die Hände in den Hosentaschen. Dann sah er sie wieder an. „Die Dinge haben sich geändert. Ich will nicht lügen und behaupten, ich hätte deine Mutter gemocht, trotzdem mein Beileid.“

Innerlich rang Eva mit ihren Gefühlen, doch sie ließ sich nichts anmerken. Stattdessen hob sie das Kinn und sagte knapp: „Danke.“

Vidal schüttelte den Kopf. „Immer noch unnahbar, wie ich sehe. Nicht einmal bei der Erwähnung deiner Mutter zeigst du Gefühle. Dabei wart ihr beide doch wie Pech und Schwefel.“

Eva sah ihn nur an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie konnte er so etwas denken? Weil es stimmt, flüsterte eine Stimme. Ja, in gewisser Weise stimmte es. Sie war den Worten ihrer Mutter brav gefolgt. Sie war ihr ausgeliefert gewesen.

Sie zwang sich zu einem spröden Lächeln. „Kommt auf die Perspektive an.“ Um das Thema zu wechseln, fragte sie: „Wie geht es deinem Vater?“

Vidal zog die Hände aus den Taschen. Sein Gesicht wurde hart. „Willst du behaupten, du weißt es nicht?“

Eva runzelte die Stirn. „Was soll ich nicht wissen?“ In ihrem Kopf war nur Platz für das marode Gemäuer mit seinem verwilderten Garten und die tägliche Fahrt zur Arbeit in Madrid.

„Dass er tot ist.“ Vidals Stimme war ausdruckslos.

Eva stockte und rang nach Worten. „Aber … wie? Wann?“

„Als würde dich das interessieren.“

Sie war gekränkt. „Ich mochte deinen Vater immer. Er war sehr gütig.“

„Gütiger als du und deine Mutter verdient habt.“

Ein tiefes Schamgefühl machte sich in ihr breit. Sie erinnerte sich, wie sie Vidals Vater einmal eine Anweisung von ihrer Mutter überbracht hatte, die ihr eingebläut hatte, das Personal niemals wie ihresgleichen zu behandeln. Kurz danach war sie Vidal in die Arme gelaufen. Er hatte zornig ausgesehen.

„Was erlaubst du dir, so mit jemandem zu reden, der älter ist als du?“

Ein beklemmendes Gefühl hatte sich auf ihre Brust gelegt, eine Mischung aus Scham, Hilflosigkeit und noch etwas anderem, das sie nicht verstand, obwohl sie schon sechzehn war. Und deshalb versteckte sie sich hinter der kühlen Gleichgültigkeit, die ihre Mutter sie gelehrt hatte, und hob das Kinn, so wie sie es sich bei ihrer Mutter abgeguckt hatte. „Was erlaubst du dir, so mit mir zu reden? Du bist hier nicht mal angestellt. Dass du überhaupt hier bist, verdankst du nur der Großzügigkeit meiner Mutter.“

Noch während sie die Worte sagte, fühlten sie sich falsch an. Bitter. Doch es war sicherer, sich hinter ihnen zu verstecken, als zu riskieren, dass Vidal sah, wie aufgewühlt sie innerlich war. Wie sehr sie sich schämte.

Vidal hatte nur den Kopf geschüttelt. „Du kleines Miststück. Du klammerst dich an deinen Namen, deine leeren Privilegien, hier in deinem Schloss, das langsam verrottet. Einfach nur erbärmlich. Rede nie wieder so mit meinem Vater.“

Für einen schrecklichen Moment spürte Eva heiße Tränen in sich aufsteigen. Sie unterdrückte alle Gefühle und legte sie auf Eis. „Du hast kein Recht, mir Vorschriften zu machen.“ Und dann ging sie, bevor Vidal noch etwas sagen konnte, das alle Gefühle wieder an die Oberfläche holte.

Eva schluckte die schmerzliche Erinnerung hinunter. „Wie …? Wann ist er gestorben?“

„Nicht lange, nachdem er das Castillo verlassen hat.“

„Aber das war vor fünf Jahren. War er krank?“

Vidals Stimme klang nüchtern. „Er war stolz. Zu stolz, um seinen Job zu kündigen, obwohl ich für ihn hätte sorgen können. Er fühlte sich dir und deiner Mutter verpflichtet. Und zum Dank hat sie ihn ohne Abfindung fristlos entlassen. Ich war in den Staaten. Ich habe ihm angeboten, zu mir zu ziehen, aber er wollte mir nicht zur Last fallen. Seine Worte. Der Krebs war schon sehr weit fortgeschritten, als er diagnostiziert wurde. Er ist innerhalb weniger Monate gestorben. Ich konnte nichts tun.“

„Das tut mir sehr leid. Ich hatte keine Ahnung.“ Eva war übel.

„Woher auch? Für dich und deine Mutter war er nur ein gesichtsloser, namenloser Angestellter. Er hatte schon Symptome, als er noch im Castillo gearbeitet hat, aber deine Mutter hat sich geweigert, ihm für einen Arztbesuch freizugeben. Und er wollte keinen Streit.“

Eva erinnerte sich an den Tag, als Vidals Vater das Anwesen verlassen hatte. Er schien um Jahre gealtert, offenbar fassungslos über die plötzliche Kündigung. Sie hatte angeboten, ihm zu helfen, doch er hatte abgelehnt, und ihre Mutter hatte ihr befohlen, ihn gehen zu lassen.

Zu viele Erinnerungen. Ihnen hoffte Eva zu entrinnen, indem sie das Castillo verkaufte.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Vidal, warum bist du wirklich hier?“

Warum bist du wirklich hier? Tja, warum war er hier? Weil du sie nicht vergessen kannst.

Blödsinn. Er hatte einen Plan für das Castillo, und der hatte nichts mit Eva Flores zu tun.

Bist du da sicher?, stichelte die Stimme in seinem Kopf.

Er konnte das Brodeln in seinem Blut nicht ignorieren. Weniger ein Brodeln als flammendes Verlangen, das durch seine Venen züngelte.

Nach dieser Frau? Nach all der Zeit? Er hatte seit Jahren nicht an sie gedacht.

Lügner.

Vidal verzog das Gesicht. Wenn er ehrlich war, hatte sie sich hin und wieder in seine Gedanken geschlichen. Meist in den unpassendsten Augenblicken, wenn er mit einer anderen Frau zusammen war.

Er konnte sich vorstellen, dass ihre kühle Schönheit, ihre hochmütige Art anziehend auf Männer wirkte. Denn eine Zeitlang hatte auch er davon geträumt, das Eis zum Schmelzen zu bringen. So gern er das auch leugnete.

Und jetzt stand er vor ihr, und sie war genau so, wie er es erwartet hatte – aber andererseits auch nicht. Er konnte nicht genau ausmachen, was sie verändert hatte. Sie war schön wie immer. Noch schöner sogar.

Vielleicht lag es an den verwaschenen Jeans. Er kannte sie nur in feinsten Kleidern, obwohl sie das Castillo mit ihrer Mutter selten verlassen hatte.

Sie wurde zu Hause unterrichtet, und er hatte Mitleid mit ihr empfunden, weil sie wie in einem goldenen Käfig gehalten wurde, ohne Kontakt zur Außenwelt. Doch hätte er gewagt, etwas Mitfühlendes zu sagen, hätte sie ihn mit einer vernichtenden Bemerkung in seine Schranken gewiesen, weil er gewagt hatte anzunehmen, sie sei eine normale Sterbliche.

Denn das war sie nicht. Sie war das Produkt ihrer erlauchten Familie, und sie war dazu geboren, strategische Beziehungen und Allianzen einzugehen. Wie sie ihn gern erinnerte.

Sein Vater hatte immer gesagt: „Ignorier sie einfach, mein Sohn. Sie weiß nicht, was sie tut.“

Doch Vidal hatte das nie recht geglaubt. Und ihre letzte Begegnung an Evas achtzehntem Geburtstag hatte ihn darin bestätigt. Sie war vielleicht nicht weltgewandt, doch sie wusste ganz genau, welche Wirkung sie auf ihn hatte, und sie hatte alles getan, was in ihrer Macht stand, damit er sie beachtete und sie ihn dafür bestrafen konnte.

Er konnte ihren schlanken Körper noch spüren, der vor Verlangen zitterte. Ihre schlanken Arme um seinen Hals, die vollen Lippen auf seine gepresst.

So weich und süß, dass Vidal sich fast vergessen hätte. Vergessen, wer sie war und wie sie ihn gequält hatte. Dass sie lange nicht erfahren genug war, um zu wissen, was sie in ihm auslöste. Ein Verlangen so heiß, dass ihm fast die Gehirnzellen durchgebrannt waren. Fast.

Er war zurückgewichen und hatte ihre Arme gepackt. Sie weggeschoben. Sie hatte ihn mit ihren großen goldbraunen Augen überrascht angesehen, die hohen Wangenknochen gerötet. Seidige dunkle Strähnen hatten sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst.

Und da war noch etwas anderes gewesen, das ihm zuvor nicht aufgefallen war. Ein Hauch von Verletzlichkeit.

Er hatte ihre Arme losgelassen und war einen Schritt zurückgetreten. „Was tust du da?“

Abgesehen davon, mich langsam in den Wahnsinn zu treiben, verkniff er sich zu sagen.

Doch vor seinen Augen war jede Weichheit aus ihrem Gesicht gewichen, ersetzt durch etwas, das er nur zu gut kannte. Eine kühle Herablassung, viel zu erwachsen für ihr junges Alter.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass du mich willst, Vidi, und es langweilt mich, dir dabei zuzusehen, wie du versuchst, mir zu widerstehen.“

Vidi. Sie hatte ihn immer Vidi genannt. Als hätten sie so eine Art Beziehung. Als hätten sie überhaupt eine Beziehung, die darüber hinausging, dass sie ihn quälte.

Er hatte den Kopf geschüttelt. „Du bist noch ein Kind.“

Das Feuer in ihren Augen ließ sie noch goldener funkeln. „Ich bin heute achtzehn geworden.“

Unter anderen Umständen hätte er sie beglückwünscht. Doch in Evas Gegenwart konnte er sich nicht vernünftig benehmen.

Vidal dachte daran, wie kurz davor er gewesen war, all das zu vergessen, als sie ihren Körper an seinen geschmiegt, ihren aufreizenden Mund auf seinen gepresst hatte. Es hatte ihn wütend gemacht. „Such dir jemanden in deinem Alter zum Spielen, Eva. Ich bin nicht verfügbar.“

Eva hatte eine Hand gehoben, um ihn ins Gesicht zu schlagen, doch Vidal hatte blitzschnelle Reflexe. Er packte sie am Handgelenk und widerstand dem überwältigenden Drang, seine Lippen auf ihre zu pressen.

„Wie gesagt, Eva … such dir jemanden in deinem Alter zum Verführen. Du bist die Letzte, die ich anrühren würde.“

Er ließ ihr Handgelenk sinken, machte auf dem Absatz kehrt und ging, doch in ihm brodelten stärkere Gefühle als je zuvor in seinem Leben. Diese Frau war gefährlich.

Und jetzt stand sie vor ihm, und alle Erinnerungen, alle Empfindungen kehrten zurück.

Du bist es, der hergekommen ist, erinnerte ihn eine Stimme, weil du schwach bist. Weil du der Versuchung nicht widerstehen konntest. Weil du wissen wolltest, ob sie noch dieselbe ist. Oder ob sie sich geändert hat, weicher geworden ist.

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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