Die widerspenstige Lady

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Ihr Vater muss verrückt geworden sein! Auf dem Sterbebett hat der Earl of Swanlea entschieden, dass eine seiner drei Töchter den vermögenden Marsden Griffith Knighton heiraten soll. Besonders Rosalind ist empört und fest entschlossen, den ominösen Heiratsanwärter abblitzen zu lassen. In der Gegenwart seines Sekretärs Daniel allerdings gelingt es ihr nicht, ihre kühle Fassade aufrechtzuerhalten … Obwohl Rosalind alles tut, um Daniels geheimnisvoller Ausstrahlung zu widerstehen, lässt sein stürmischer Kuss ihr Herz erbeben. Sie ahnt nicht, wem sie tatsächlich einen Kuss geschenkt hat!


  • Erscheinungstag 14.03.2023
  • Bandnummer 67
  • ISBN / Artikelnummer 8067230067
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

1. KAPITEL

London, August 1807

Ich werde zwei Wochen fort sein, vielleicht auch länger.“ Vom Kopfende des langen Tisches aus verfolgte Marsden Griffith Knighton, wie sich unter seinen Angestellten Unruhe ausbreitete. Damit hatte er gerechnet. Als Griffith die Knighton Handelsgesellschaft das letzte Mal so lange sich selbst überlassen hatte, hatte er eine Zweigstelle in Kalkutta eröffnet, wodurch sich die Firmengewinne verdreifacht hatten – und zwei seiner Konkurrenten in den Ruin gestürzt worden waren.

Selbst Daniel Brennan, sein im Allgemeinen durch nichts zu erschütternder Vermögensberater, richtete sich auf seinem Stuhl auf. Daniel nahm mittlerweile kaum noch an solchen Besprechungen teil, da er sich ausschließlich um Griffith’ umfangreiche private Angelegenheiten kümmerte, aber an diesem Tag hatte Griffith einen zwingenden Grund, auf seiner Anwesenheit zu bestehen.

„Werden Sie wie üblich Mr. Brennan die Leitung übertragen, Sir?“ erkundigte sich ein junger Händler.

„Nein. Er wird mich begleiten.“ Als Daniel ihn fassungslos anstarrte, konnte er nur mit Mühe ein Schmunzeln unterdrücken. Daniel gehörte der Firma schon seit jenen Tagen an, als sie erste Gewinne mit geschmuggelten Waren erzielt hatten, daher war es schwer, ihn aus der Fassung zu bringen. „Mr. Harrison wird mich vertreten.“

Der ältere Händler strahlte über diesen Vertrauensbeweis. „Wohin soll es denn dieses Mal gehen, Mr. Knighton? Nach Frankreich? Oder Indien?“ Seine Augen funkelten erwartungsvoll. „Vielleicht sogar nach China?“

Griffith lachte leise. „Nach Warwickshire. Das ist keine Geschäftsreise. Ich habe Familie dort.“

„Familie?“ stammelte Harrison.

Griffith konnte die Gedanken seines Gegenübers förmlich lesen. Aber er ist ein Bastard! Außer seiner bedauernswerten Mutter kann er doch gar keine Familie haben, die mit ihm etwas zu tun haben will!

„Jawohl, Familie“, wiederholte Griffith befriedigt. „Es handelt sich um eine wichtige Privatangelegenheit.“ Er hielt kurz inne und sprach dann mit dieser energischen Stimme weiter, die keinen weiteren Einwand mehr zuließ. „Nur noch eins – verlieren Sie kein Wort über diese Sache, nicht einmal meiner Mutter gegenüber. Für sie bin ich in Frankreich oder China, haben Sie mich verstanden?“ Gemurmelte Zustimmung erfolgte. „Gut. Sie können jetzt alle gehen. Daniel, auf ein Wort, ja?“

Die Angestellten verließen sofort den Raum, da sie wussten, dass er keine Zeit mit überflüssigem Geplauder vergeudete. Außerdem, so vermutete Griffith spöttisch, können sie es wohl kaum erwarten, sich in Spekulationen über die verblüffende Neuigkeit zu ergehen, dass ich „Familie“ habe. Vor einigen Jahren hätte er sich noch darüber geärgert, aber er trug das Stigma, ein Bastard zu sein, nun schon so lange, dass es ihm nicht mehr wehtat. Schmerzhaft war die Situation einzig für seinen Geldbeutel, und das gedachte er nun zu ändern.

Sobald sich der Raum geleert hatte, zog Daniel eine blonde Augenbraue hoch und ließ sich in den teuren Sessel vor Griffith’ Schreibtisch fallen. „Eine Privatangelegenheit?“

„Dieses Mal ist es wirklich etwas Privates, ob du es glaubst oder nicht.“ Vorbei waren die Zeiten, als sie sich aller möglichen Methoden – legal oder illegal – bedient hatten, um die Knighton Handelsgesellschaft zum Erfolg zu führen. Anständigkeit lautete die Losung für die Zukunft der Firma, und ironischerweise hatte eine gewisse Anständigkeit auch in Griffith’ Vergangenheit geherrscht. Griffith ließ sich in seinem eigenen Sessel hinter dem Schreibtisch nieder. „Ich bin eingeladen worden, meinen entfernten Cousin, den Earl of Swanlea, zu besuchen. Er liegt im Sterben, und ich soll seinen Besitz, Swan Park, erben.“

Daniel schaute ihn verwirrt an. „Aber wie kannst du erben, wo du doch …“

„Obwohl ich ein Bastard bin? Nun, ich bin keiner. Jedenfalls nicht dem Gesetz nach.“

Daniel konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Unehelicher Abstammung zu sein war das Einzige, was sie beide miteinander gemeinsam hatten, da sie sonst vom Aussehen, von der Art und von der Erziehung her völlig unterschiedlich waren. Der blonde, kräftige Daniel war erst im Armenhaus und danach in einer Schmugglerbande groß geworden. Den dunkelhaarigen, schlanken Griffith hingegen hatte man zu einem Gentleman erzogen.

Griffith zwang sich zu einem Lächeln. „Obwohl meine legitime Abstammung noch nicht rechtskräftig festgestellt ist.“

„Entweder man ist ein Bastard, oder man ist es nicht“, grollte Daniel.

„Ich bin keiner, allerdings kann ich es nicht beweisen. Deshalb habe ich Swanleas Einladung auch angenommen.“

Daniel kniff die Augen zusammen. „Ist Swanlea nicht der Kerl, über den ich Nachforschungen anstellen sollte? Dieser Witwer, dessen drei Töchter man die Swanlea-Jungfern nennt?“

„Genau der.“ Griffith reichte ihm einen Brief. „Den hier habe ich letzte Woche erhalten, und er war auch der Anlass für die Nachforschungen. Vielleicht interessiert es dich.“

Während Daniel das unbeholfen abgefasste Schreiben studierte, guckte Griffith sich in seinem Büro um. Die Sommersonne schien hell durch die hohen Fenster. Ihre Strahlen tanzten über die marmornen Fensterbänke und den Aubusson-Teppich, ehe sie sich unter Mahagonistühlen verloren. Das hier war sein drittes Büro in den letzten zehn Jahren; Lage und Ausstattung waren jeweils immer luxuriöser geworden. Dieses Büro nun befand sich im Herzen der Innenstadt, ganz in der Nähe der Bank of England, und es kündete unübersehbar von Griffith’ Erfolg.

Und doch – das war Griffith noch nicht genug. Er wollte, dass die Knighton Handelsgesellschaft eines Tages sogar der East India Company den Rang ablief. Dank des gerade zur rechten Zeit erfolgten Angebots seines entfernten Cousins konnte es durchaus schon bald so weit sein.

Daniel hatte den Brief zu Ende gelesen und schaute Griffith überrascht an. „Wenn du also die Bedingungen deines Cousins erfüllst, wirst du der nächste Earl of Swanlea sein?“

„Ja. Er verschafft mir den Beweis meiner legitimen Abstammung, den ich benötige, um seinen Titel und seine Ländereien zu erben. Ich vermute, es handelt sich dabei um die verschollene Heiratsurkunde meiner Eltern. Als Gegenleistung soll ich eine seiner Töchter heiraten, damit sie in Swan Park bleiben können.“

Daniel runzelte die Stirn. „Findest du es nicht etwas verdächtig, dass der Earl nach so vielen Jahren plötzlich, ganz ‚zufällig‘ auf diesen Beweis in seinen Familiendokumenten gestoßen sein soll?“

Griffith schnaubte. „Natürlich kommt mir das verdächtig vor. Doch es ist mir gleich, wie er zu dem Beweis gekommen ist – Hauptsache, es gibt ihn. Sobald ich den Nachweis für meine legale Abstammung erbringen kann, ist es mir möglich, mir einen Platz in dieser Handelsdelegation nach China zu verschaffen.“

„Du hast also wirklich vor, eine dieser so genannten Jungfern zu heiraten?“

„Und auf seine Erpressung einzugehen? Niemals! Deswegen sollst du mich ja begleiten. Ich werde mir den Beweis dort selbst holen, und während ich Swan Park danach durchsuche, lenkst du die Töchter ab. Unterhalte sie, mache ihnen den Hof, tue alles, was erforderlich ist. Nur halte sie von mir fern.“

„Hast du den Verstand verloren?“ brauste Daniel auf. „Ich soll die drei Töchter des Earl unterhalten? Mit jemandem wie mir würden sie ja noch nicht einmal sprechen! Wie soll es mir dann gelingen, sie abzulenken?“

Griffith schmunzelte. „Indem du so tust, als wärst du ich, natürlich.“

„Ich? Ich soll mich für dich ausgeben? Unmöglich. Deine Angestellten würden in schallendes Gelächter …“ Er verstummte, als Griffith eine Augenbraue hochzog. „Großer Gott, du meinst es tatsächlich ernst!“

„Vollkommen ernst. Wenn ich selbst als Ehekandidat dorthin fahre, muss ich jederzeit zur Verfügung stehen. Als Mr. Knightons Berater jedoch kann ich nach Belieben das ganze Haus durchstreifen. Kommt man mir auf die Schliche, brauche ich nur den Betrug aufzudecken, und eine Verhaftung bleibt mir erspart. Sie würden niemals ihren Cousin des Diebstahls bezichtigen und dadurch einen Skandal riskieren. Ertappen sie jedoch dich bei der Suche, dann lässt dich der Earl aufhängen, nur um es mir heimzuzahlen.“

Daniels Augen wurden schmal. „Hältst du ihn wirklich für solch einen Schurken?“

Griffith überlegte kurz, ob er ihm die ganze Wahrheit erzählen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Womöglich würde sich Daniel weigern, ihm zu helfen, wenn er erkannte, wie weit Griffith zu gehen gedachte bei der Klärung seiner legitimen Abstammung. „Ja. Und deshalb werde ich derjenige sein, der Swan Park auf den Kopf stellt. Aber mach dir keine Sorgen – der Rollentausch ist ein Kinderspiel. Ich bin weder dem Earl noch seinen Töchtern jemals persönlich begegnet. Dank des Zerwürfnisses zwischen unseren Familien haben sie keine Ahnung, wie ich aussehe …“

„Unfug! Ich kenne ein Porträt deines Vaters, auf dem er dir sehr ähnelt! Das schwarze Haar, die blauen Augen …“

„Wodurch ich wirke wie ein Ire – irischer als du jedenfalls!“ Griffith schmunzelte. Daniel schlug seiner englischen Mutter nach und war in England aufgewachsen, daher sprach er auch ohne irischen Akzent. „Man sagte mir, der Earl würde niemals das Bett verlassen, also wird er mich wahrscheinlich gar nicht zu Gesicht bekommen. Warum sollte er nicht glauben, dass du Mr. Knighton bist?“

Der Jüngere bedachte ihn mit einem unsicheren Blick. „Weil du das Auftreten eines Gentleman hast, während ich mich benehme wie der Sohn eines irischen Straßenräubers.“

„Aus dem Grund würden sie dich auch beim ersten Verdacht auf Betrug sofort nach Newgate schicken.“ Als Daniel aufstand und im Zimmer auf und ab zu gehen begann, schlug Griffith einen milderen Tonfall an. „Als Mr. Knighton wirst du in deinem Element sein. Im Gegensatz zu mir bist du ein echter Charmeur im Umgang mit Frauen.“

„Mit Mädchen vom Jahrmarkt vielleicht, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie man eine Dame becirct.“ Er trat an den Schreibtisch und stützte sich mit den Händen darauf. „Du bist verrückt. Es wird nicht funktionieren.“

„O doch, es wird. Knighton ist, in der ‚Handelsbranche‘, daher werden sie einen eher ungehobelten Menschen erwarten. Sie werden über nicht ganz einwandfreie Ausdrucksweise oder Manieren hinwegsehen, weil er reich ist. Die meiste Zeit brauchst du einfach nur du selbst zu sein.“ Daniel schien über diese Worte nachzudenken. Griffith nutzte die Gelegenheit und fuhr fort: „Du möchtest doch eines Tages deine eigene Wertpapierfirma leiten, nicht wahr? Das wird eine ausgezeichnete Gelegenheit sein, an deinem gesellschaftlichen Schliff zu arbeiten – und eventuelle letzte Schmugglerallüren endgültig abzulegen!“ Griffith lachte. „Außerdem werde ich dich für deine Bemühungen gut bezahlen. Hundert Pfund zusätzlich zu deinem üblichen Gehalt.“

Daniel horchte auf. „Hundert Pfund?“

„Ja, für deinen Fonds.“ Er machte eine Pause. „Ohne dich kann ich es nicht schaffen. Abgesehen davon gefällt es dir ja vielleicht, etwas Zeit mit drei jungen Frauen zu verbringen.“

„Wahrscheinlich eher mit drei hässlichen Blaustrümpfen, sonst würde man sie wohl kaum als alte Jungfern bezeichnen. Zehn Jahre harte Arbeit und Loyalität dir gegenüber – und so entlohnst du mich!“

„Was ist, wenn ich dir einhundertzwanzig biete?“

Daniel warf ihm einen durchtriebenen Blick zu. „Einhundertfünfzig.“

„Einverstanden.“ Griffith streckte die Hand aus.

Nach kurzem Zögern schlug Daniel ein.

Griffith grinste. „Ich wäre sogar bis zweihundert gegangen.“

„Und ich hätte mich auch mit fünfzig zufrieden gegeben.“

Als Griffith erkannte, dass Daniels Widerstand nur Kalkül gewesen war, fing er schallend zu lachen an. „Du Gauner! Bei Gott, du bist wirklich durch und durch der Sohn des wilden Danny Brennan!“

Daniel richtete sich auf. „Und legitime Abstammung hin oder her – du bist ein Bastard!“

„In dem Punkt würde ich dir niemals widersprechen, mein Freund.“ Doch noch bevor dieser Monat zu Ende war, würde Griffith beweisen, dass er nicht der skrupellose Emporkömmling war, für den man ihn hielt. Und dann stand der Zukunft der Knighton Handelsgesellschaft nichts mehr im Weg.

Lady Rosalind Laverick, die zweitälteste Tochter des Earl of Swanlea, brütete über den Ausgaben von Swan Park und versuchte vergeblich, noch weitere Einsparungen einzuplanen, als einer der Diener den Salon betrat.

„Mr. Knightons Bote ist soeben eingetroffen, Mylady“, verkündete er. „Der Mann wird in einer Stunde hier sein.“

„Wie bitte? Aber Papa wird doch wohl nicht …“ Der Diener sah sie verwundert an, und sie verstummte. „Vielen Dank, John.“

Sie wartete, bis er sich entfernt hatte, und stürmte dann ins Schlafzimmer ihres Vaters. Beim Eintreten registrierte sie mit einer gewissen grimmigen Zufriedenheit, dass ihre Schwestern ebenfalls anwesend waren. Die jüngste, Juliet, umhegte Papa wie gewohnt, während Helena, die älteste, ein kleines Porträt von ihr anfertigte. Es war eine traute, anheimelnde Szene, bei der Rosalind warm ums Herz wurde. Doch um diese Idylle zu bewahren, musste sie ihren Vater unbedingt von seinem unsinnigen Vorhaben abbringen.

Er saß halb aufrecht im Bett, seine gebrechliche Gestalt zeichnete sich unter den Decken ab. Obwohl er nie ein schöner Mann gewesen war, hatte er stets sehr beeindruckend gewirkt, und seine Größe und seine polternde Stimme hatten so manch anderen Mann eingeschüchtert. Noch immer hatte er ein markantes Kinn und diesen durchdringenden Blick, vor dem Rosalind als Kind oft gezittert hatte. Doch mittlerweile bestand ihr Vater fast nur noch aus Haut und Knochen, und jedes Mal, wenn sie ihn so ausgemergelt vor sich sah, tat es ihr in der Seele weh.

In diesem Moment durfte sie sich jedoch nicht von ihren Gefühlen leiten lassen, dazu war die Angelegenheit zu wichtig. „Papa, man hat mir mitgeteilt, dass Mr. Knightons Ankunft unmittelbar bevorsteht.“ Sie ging geradewegs auf das Bett zu. „Wie konntest du nur? Ich dachte, wir hätten beschlossen …“

Du hast beschlossen, Rosalind. Ich habe dir gesagt, dass ich eine Verbindung arrangieren würde, sollte eine von euch meinem Vorschlag zugänglich sein. Auf Juliet trifft das zu, also habe ich dem Mann geschrieben und ihn zu uns eingeladen.“

Helena stöhnte auf, aber Juliet senkte nur errötend den Kopf.

„Oh Juliet, du Dummerchen!“ rief Rosalind aus.

„Du verstehst nicht – ich habe nichts dagegen, ihn zu heiraten!“ protestierte Juliet. „Papa hält es für das Beste, und ich kenne meine Pflichten als seine Tochter.“

„Ohne Liebe zu heiraten?“ fuhr Rosalind Juliet an, ohne auf den selbstzufriedenen Gesichtsausdruck ihres Vaters zu achten. „Natürlich kannst du es, wie der Barde dichtete, für deine Schuldigkeit halten, einen Knicks zu machen und zu sagen: ‚Wie es euch gefällt, mein Vater.‘ Aber mit alledem muss es ein hübscher, junger Mensch sein, sonst mach einen zweiten Knicks und sage: ‚Wie es mir gefällt, mein Vater.‘“

„Zitiere nicht wieder die falschen Stellen von Shakespeare, Mädchen“, wandte ihr Vater ein. „Shakespeare spricht öfter gegen als für dich. Denke nur an Desdemona. Hätte sie ihrem Vater gehorcht und auf Othello verzichtet, wäre sie nicht gestorben.“

„Wie üblich hast du den tieferen Sinn des Stückes überhaupt nicht begriffen“, gab Rosalind hitzig zurück.

„Oh Gott.“ Helena erhob sich steif. „Sobald ihr beiden mit Shakespeare anfangt, ist ein Ende des Streits nicht abzusehen.“ Sie nahm ihren Malkasten in die eine Hand, ihren Stock in die andere und ging langsam zur Tür.

„Wo willst du hin?“ fragte Rosalind. Sie hatte fest auf Helenas Unterstützung gehofft.

„Ich möchte meine Malsachen wegräumen, bevor unser Gast eintrifft.“

„Ist es dir denn völlig gleichgültig, dass Papa beabsichtigt …“

„Natürlich nicht. Im Gegensatz zu dir jedoch weiß ich, dass es sinnlos ist, sich mit Papa anzulegen. Wenn dir selbst nicht an einer Heirat gelegen ist, halte dich zurück. Ich jedenfalls habe nicht die geringste Absicht, Mr. Knighton zu heiraten, selbst wenn er an einer Frau mit meinem … Manko Interesse hätte. Juliet hingegen scheint mehr als bereit zu sein, ihn zu ehelichen, und dagegen lässt sich kaum etwas unternehmen. Schon gar nicht, solange Juliet nicht selbst für sich eintritt.“

Resigniert verfolgte Rosalind, wie ihre elegante ältere Schwester hinkend den Raum verließ. Wenn Juliet doch nur etwas von Helenas Willensstärke oder ihrem gesunden Misstrauen Männern gegenüber besitzen würde … Seufzend wandte sie sich ihrem Vater und ihrer jüngeren Schwester zu. Aber Juliet war ebenso brav wie die mädchenhaften, rosa und weiß gemusterten Kleider, die sie so gern trug. Und genauso, wie sie sich weigerte, grelle Farben zu tragen, lehnte sie es ab, ihrem Vater den Gehorsam zu verweigern.

Rosalind gab nicht so schnell auf. „Papa, du tust, als sei dieser Mann unsere einzige Hoffnung. Aber eine von uns könnte immer noch heiraten, und das sogar aus Liebe!“

„Du bist dreiundzwanzig, Mädchen, und Helena ist sechsundzwanzig. Ihr werdet keine Ehemänner finden, nicht ohne eine halbwegs anständige Mitgift. Helena mag eine Schönheit sein, aber ihr Hinken ist ein Hindernis. Und du bist nicht der Typ, der Männer anzieht …“

„Du meinst, ich bin nicht schön.“ Seine nüchterne Feststellung verletzte sie. Immer wenn sie glaubte, sie sei inzwischen immun gegen Papas gedankenlose Beleidigungen, wurde sie doch wieder eines Besseren belehrt. „Mein Haar ist widerspenstig wie rostiger Draht, und ich bin zu mollig.“

„Ich habe nicht von deinem Aussehen gesprochen“, entgegnete er. „Eher von deinem Auftreten. Wenn du dich vielleicht bemühen würdest, etwas weniger …“

„Geradeheraus zu sein? Belesen? Klug?“ unterbrach sie ihn bissig.

„Etwas weniger anmaßend und stürmisch zu sein, wollte ich sagen.“

„Ich bin nicht anmaßend!“ Als er eine Augenbraue hochzog, warf sie den Kopf in den Nacken. „Nun ja, ein bisschen vielleicht schon. Aber ich könnte wohl kaum diesen Besitz verwalten, wenn ich anders wäre!“ Wie waren sie nur auf dieses schreckliche Thema gekommen? „Außerdem, was ist mit Juliet? Sie könnte mit der Zeit immer noch eine Liebesheirat eingehen!“

„Nimm es endlich hin, Mädchen – uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“ Sein rasselnder Husten untermauerte seine Aussage.

Sie verdrängte den quälenden Gedanken an seine Krankheit. „Weißt du, wir brauchen im Grunde gar nicht zu heiraten. Wir könnten uns unseren Lebensunterhalt selbst verdienen.“

„Sei nicht albern. Sollte euch Mr. Knighton zum Verlassen unseres Besitzes zwingen …“

„Ich kann zum Theater gehen – wie Mama!“ Als ihr Vater verächtlich schnaubte, fuhr sie leidenschaftlich fort. „Ich sehe vielleicht nicht so gut aus, aber ich bin groß und habe eine gute Stimme. Helena könnte ihre kleinen Porträts verkaufen, und Juliet würde sicher auch irgendetwas einfallen. Diese Schauspielerin, mit der Mama befreundet war, Mrs. Inchbald, würde uns bestimmt bei der Suche nach einer Unterkunft in London gern behilflich sein. Wenn wir drei unser Vermögen zusammenlegen …“

„Nein!“ warf Juliet ein. „Wir können doch Swan Park nicht verlassen und es so einfach aufgeben!“

„Liebe Güte, warum denn nicht?“ brauste Rosalind auf und schaute sich in dem Schlafzimmer mit dem bröckelnden Stuck und den verschlissenen Seidenvorhängen um. „Ich sehe hier nichts, das es wert wäre, dafür meine geliebte Schwester zu opfern! Was hat uns dieser alte Steinhaufen je gebracht, außer den Ruf, die Swanlea-Jungfern zu sein? Wenn ich schon eine alte Jungfer sein muss, dann will ich das lieber in der Stadt sein als hier auf dem Land!“

„Du würdest in der Stadt gar nicht überleben“, murmelte ihr Vater. „Denke nur daran, was Helena zugestoßen ist. Außerdem war eure Mutter als Ehefrau viel glücklicher als als Schauspielerin. Nein, das wäre kein Leben für dich, und für Juliet auch nicht. Sie hat etwas Besseres verdient.“

„Ja, aber eine aufgezwungene Heirat ist nicht unbedingt etwas ‚Besseres‘, Papa! Schon gar nicht, wenn der Mann, wie Mrs. Inchbald schreibt, ein Gauner ist. Du weißt, dass er Verbindungen zu Schmugglern pflegte und sogar selbst geschmuggelte Waren verkaufte!“

„Nur aus reiner Notwendigkeit heraus und das vor langer, langer Zeit. Heute ist er vollkommen ehrbar und anständig.“

„Mrs. Inchbald hat auch gesagt …“

„Einen Augenblick, Mädchen“, unterbrach ihr Vater sie, winkte Juliet zu sich und flüsterte ihr etwas zu. Sie nickte. Dann wandte er sich wieder an Rosalind. „Gib Juliet bitte den Schlüsselbund. Sie soll mir mein Stärkungsmittel aus der Speisekammer holen.“

Es war eine ziemlich fadenscheinige Ausrede, um Juliet loszuwerden, aber Rosalind hatte nicht einmal etwas dagegen. Sie gab ihrer Schwester den Bund und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden, während Juliet aus dem Zimmer flüchtete. Kaum war sie fort, drehte Rosalind sich wieder zu ihrem Vater um. „Was noch dazu kommt – Mrs. Inchbald meint, dass Mr. Knightons Abstammung … nun, etwas zweifelhaft ist. Beunruhigt dich das nicht?“

Ihr Vater erlitt einen Besorgnis erregenden Hustenanfall. Sie eilte zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken, wie Juliet das auch immer tat. Nur ging Juliet dabei offenbar etwas sanfter vor, denn er schob sie ungehalten fort. „Hör auf, Mädchen! Ich bin doch kein alter Teppich, den du entstauben sollst!“

Leise schimpfend wich Rosalind zurück. Undankbarer alter Mann! Doch als sie seinen rasselnden Atem vernahm, verflog ihr Ärger. Armer Papa. Es musste ihn verrückt machen, niemals das Bett verlassen zu können, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ihr ginge es sicher nicht anders. Sie nahm ein Kissen, schüttelte es auf und schob es ihm in den Rücken.

Dankbar lehnte er sich zurück. „Mrs. Inchbald ist falsch unterrichtet.“ Er zog die Decke höher. „Wie könnte Knighton der Erbe meines Titels und meines Besitzes sein, wenn er illegitimer Abstammung wäre?“

„Ach so.“ Sie runzelte die Stirn. „Das hatte ich gar nicht bedacht.“

„Siehst du? Das ist ja das Problem mit euch Frauen. Ihr denkt eine Sache niemals zu Ende. Darum sind Frauen auch so launenhaft. Sie lassen sich nur von ihren Gefühlen leiten. Im einen Moment lieben sie einen Mann, und schon im nächsten …“

Beide horchten auf, als sich in der Eingangshalle eine gewisse Unruhe ausbreitete. Diener riefen, man hörte Schritte auf der Treppe. Rosalind eilte ans Fenster, von wo aus man allerdings keinen guten Blick auf die Zufahrt hatte. Trotzdem verrieten Hufklappern und das Knirschen von Rädern auf dem Kies, dass eine Kutsche vorgefahren war.

Ihr Cousin.

„Ich würde ja gern noch bleiben und mir weiter deine Weisheiten über meine Geschlechtsgenossinnen anhören, aber ich kann leider nicht“, verkündete Rosalind süffisant. „Dein werter Mr. Knighton ist da.“

Sie ging zur Tür, doch als sie die Klinke herunterdrückte, ließ sich die Tür nicht öffnen. Rosalind versuchte es noch einmal erfolglos, und dann keimte ein böser Verdacht in ihr auf. „Papa …“, begann sie.

„Sie ist abgeschlossen. Ich habe Juliet beauftragt, uns einzuschließen.“

Juliet hatte sie eingeschlossen? Zorn stieg in Rosalind auf. Zur Hölle mit Juliets Gehorsam! Sie fuhr aufgebracht zu ihrem Vater herum. „Was versprichst du dir davon, Papa?“

„Ich kenne dich doch, Mädchen. Du würdest Mr. Knighton in die Flucht schlagen, noch ehe Juliet überhaupt dazu käme, ihn kennen zu lernen!“ Seine Augen funkelten listig. „Also habe ich sie gebeten, dich erst wieder herauszulassen, wenn sich unser Gast für die Nacht zurückgezogen hat.“

„Wenn du glaubst, dass das auch nur eine Spur an meinem Verhalten dem Mann gegenüber ändern wird …“

„Das spielt keine Rolle. Wenn du ihn dazu bringst, abzureisen, arrangiere ich die Verbindung eben brieflich. Nachdem er heute Abend Juliets Schönheit gesehen und ihr sanftes Gemüt erlebt hat, wird er der Verbindung zustimmen, sei unbesorgt.“

Oh nein! Wenn Mr. Knighton Swan Park in der Überzeugung verließ, Juliet sei die passende Frau für ihn, wie würde Rosalind die Hochzeit dann noch verhindern können? Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit seiner Anwesenheit abzufinden. Aber irgendwie würde es ihr schon gelingen, Juliet klar zu machen, dass dieser Mann nichts für sie war.

Das triumphierende Schmunzeln ihres Vaters erstarb, als ihn ein neuerlicher Hustenanfall packte. Rosalind betrachtete ihn empört und weigerte sich, zu ihm zu gehen. Wie war es nur möglich, Mitleid mit jemandem zu haben und gleichzeitig den Wunsch zu verspüren, ihn zu erdrosseln? Sie liebte Papa aufrichtig, aber seine Blindheit machte sie wahnsinnig.

Der Husten klang ab. „Noch etwas, Mädchen. Du musst etwas für mich tun, nachdem Juliet dich herausgelassen hat.“

„Ach ja? Und das wäre?“ gab sie mürrisch zurück.

„Im Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer befindet sich eine verschlossene Schatulle. Ich möchte, dass du sie holst.“

„Soll ich sie dir bringen?“

„Nein!“ Er wich ihrem Blick aus. „Nein, verstecke sie lieber irgendwo, wo du sie im Auge behalten kannst. In deinem Ankleidezimmer vielleicht. Oder in deinem Schreibtisch. Nur so lange, bis dein Cousin wieder abgereist ist.“

Misstrauen stieg in ihr auf. „Warum? Was ist denn in der Schatulle?“

„Nur ein paar Papiere, die er nicht sehen soll.“ Wieder schaute er zur Seite.

„Was sind das für Papiere?“

„Tu einfach, was ich dir sage. Erwähne sie keinem Menschen gegenüber, und versuche auch nicht, die Schatulle zu öffnen, sonst kannst du etwas erleben.“

„Aber Papa …“

„Versprich mir, dass du sie sicher aufbewahren wirst! Andernfalls bleibst du hier so lange eingesperrt, bis du endlich einwilligst!“

Als ob ihm das gelingen würde. Und doch … „Nun gut, ich verspreche es“, gab sie verschnupft nach. Als ihr Vater sich matt in die Kissen zurücklehnte, fügte sie hinzu: „Ich finde aber, wenn Mr. Knighton so wenig vertrauenswürdig ist, dass du deine Papiere vor ihm verstecken musst …“

„Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Nichts, worüber du dir Gedanken machen musst. Nun lass mich ein wenig schlafen.“

Rosalind zog eine Augenbraue hoch. Warum war Papa bloß so dickköpfig und verschwiegen? Er war nicht bereit, ihr die Wahrheit zu sagen, doch je mehr sie über Mr. Knighton erfuhr, desto beunruhigter wurde sie. Etwas war faul im Staate Dänemark, und es hatte unmittelbar mit ihrem Cousin zu tun. Nun, sie würde das auch ohne Papas Hilfe herausfinden. Das wäre doch gelacht.

2. KAPITEL

Das also ist Swan Park, dachte Griffith, und ein unerklärlicher Stolz erfüllte ihn, als seine Kutsche die herrschaftliche, von Eichen umsäumte Auffahrt entlangfuhr, vorbei an einem glitzernden Teich mit majestätischen Schwänen. Eine Aura von früherer Pracht und Größe ging von den steinernen Mauern des Herrenhauses aus der Zeit Jakobs I. aus, gegen das Griffith’ eigenes, durchaus imposantes Palais fast bescheiden wirkte. Vielleicht würde er sich hier niederlassen, sobald Swan Park ihm gehörte. Ja, das würde selbst das hartgesottenste Parlamentsmitglied beeindrucken.

„Kein Wunder, dass du so erpicht auf dieses Dokument bist“, murmelte Daniel, der ihm gegenübersaß.

Griffith lachte leise. „Keine schlechte Ergänzung zu meinen anderen Besitztümern, nicht wahr?“

Als sie sich dem Haus näherten, strömten zahlreiche Bedienstete ins Freie und stellten sich in einer langen Reihe auf der Terrasse auf, rechts und links von zwei Frauen.

„Sag nicht, dass diese beiden Engel deine altjüngferlichen Cousinen sind“, brummte Daniel.

Griffith musterte sie durch die verstaubte Fensterscheibe. „Doch, sie müssen es sein, obwohl es eigentlich drei sein sollten. Aber vielleicht ist die dritte ja krank oder kümmert sich um ihren Vater.“

Daniel machte ein finsteres Gesicht, als die Kutsche mit einem Ruck zum Stehen kam. „Verdammt, Griffith, diese beiden Schönheiten tun wahrscheinlich den ganzen Tag über nichts anderes, als sich lästige Verehrer vom Hals zu halten! Sie werden mich sicher auf den allerersten Blick als Betrüger entlarven!“

„Unsinn, es sind doch nur ganz einfache Mädchen vom Land. Du wirst das schon machen.“ Griffith stutzte, als die größere der beiden Frauen auf die Kutsche zuhinkte und sich dabei schwer auf einen Stock stützte. „Gütiger Gott, die Dunkelhaarige ist lahm! Sie wird froh sein, dass ihr überhaupt ein Mann seine Aufmerksamkeit schenkt!“

„Du bist nicht nur dumm, sondern auch blind“, zischte Daniel. „Lahm hin oder her – sie hat die Haltung einer Herzogin! Sie wird mich für einen Trottel weit unter ihrem Niveau halten.“

Die beiden Frauen hatten die Kutsche jetzt fast erreicht. Griffith öffnete die Tür und senkte die Stimme. „Denk nur an die einhundertfünfzig Pfund!“

Daniel warf ihm einen bösen Blick über die Schulter hinweg zu und stieg aus. Griffith folgte ihm und wünschte, er hätte Daniel noch genauer darin unterwiesen, wie man den reichen und einflussreichen Mann spielt. Normalerweise hatte sein Freund ein beträchtliches Selbstvertrauen, aber diese Frauen schienen ihn irgendwie einzuschüchtern. Griffith trat ihm absichtlich in die Hacken, woraufhin Daniel die Schultern straffte und die Kiefer fest aufeinander presste. Ja, so war es schon besser.

Daniel trat vor und verneigte sich höflich vor der größeren der beiden Frauen. „Mr. Knighton, zu Ihren Diensten, Madam.“

„Willkommen in Swan Park.“ Ihre Stimme hörte sich kühl und kultiviert an. „Ich bin Ihre Cousine Helena.“ Sie stützte sich auf den Stock und reichte Daniel die Hand.

Daniel hielt sie viel zu lange fest, bis Helena ihm die Hand mit verlegener Miene wieder entzog. Griffith konnte nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken.

Lady Helenas Stimme klang merklich reservierter, als sie auf das Mädchen neben sich wies. „Und das ist Juliet, meine jüngste Schwester.“

Das zierliche Persönchen guckte Daniel mit großen Augen an. „Wie geht es Ihnen?“

„Gut, vielen Dank“, erwiderte Daniel etwas heiser.

Eine Weile herrschte betretenes Schweigen, dann schaute Lady Helena zu Griffith hinüber. „Und Ihr Freund ist …?“

Daniel zuckte zusammen. „Ich bitte vielmals um Verzeihung. Das ist Mr. … Daniel Brennan.“

Griffith verneigte sich. „Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen.“

Als Helena dem echten Daniel einen um eine Erklärung bittenden Blick zuwarf, knirschte Griffith insgeheim mit den Zähnen. Es war verdammt schwer, den Untergebenen zu spielen, vor allem, wenn Daniel dastand wie ein ahnungsloser Tor. Mit seinem Spazierstock stieß er ihn unauffällig an.

„Mr. Brennan ist mein Berater“, sprudelte es aus Daniel hervor. „Ich hoffe, es bereitet Ihnen keine Umstände, dass ich ihn mitgebracht habe, aber nachdem wir so viele geschäftliche Dinge zu besprechen haben …“

„Es bereitet uns überhaupt keine Umstände“, unterbrach Lady Helena ihn ruhig.

Als sie sie zum Haus führte, fragte Daniel: „Haben Sie nicht noch eine Schwester?“

Unerklärlicherweise wurde die Jüngere rot. „Ja. Ich … ich weiß nicht, wo Rosalind steckt, aber beim Abendessen ist sie sicher dabei.“

Helena betrachtete ihre Schwester verwundert, und Juliet senkte den Kopf. Sehr merkwürdig, dachte Griffith. Warum versteckte sich die dritte Schwester? Kannte sie den Plan ihres Vaters, ihn zu einer Heirat zu erpressen? Wussten sie etwa alle Bescheid?

Wenigstens waren sie keine schrulligen alten Jungfern, darüber sollte Daniel eigentlich erleichtert sein. Lady Helena war sehr förmlich und etwas unterkühlt, und Lady Juliet wirkte etwas farblos, aber zum Glück schien keine von beiden geneigt, irgendwelche Schwierigkeiten zu machen.

An der Tür hielt Lady Helena inne, um Daniel zu zeigen, bis wohin sich die Ländereien erstreckten. Griffith behagte es gar nicht, Daniels Lakaien zu spielen. Schon in Eton, wo er nur aufgrund eines Stipendiums hatte studieren dürfen, hatte er es nicht gemocht, herablassend behandelt zu werden. Jetzt hasste er es geradezu.

Als sie das Haus betraten, verschlug der schreckliche Anblick, der sich ihm bot, Griffith die Sprache. Vater hatte immer von alter Pracht gesprochen, von Marmorbögen und alten Gobelins an eleganten Wänden. Doch das hier war ein einziger Albtraum.

Feuerrot schien die bevorzugte Farbe zu sein. Die rot tapezierten Wände wurden unterbrochen von dunklen Stuckaturen und Vorhängen aus goldfarbener, mit roten Mustern bedruckter Gaze. Auf dem schwarzen Lacktisch neben der Treppe stand eine Miniaturpagode. Überhaupt war die ganze Halle mit Chinoiserien dekoriert. Der Gipfel war ein riesiger, leuchtend blau und rot gemusterter Orientteppich, der den Boden aus – laut Aussage von Griffith’ Vater – kostbarstem italienischen Marmor vollkommen verdeckte.

Lady Helena schien seinen fassungslosen Blick bemerkt zu haben. „Rosalind hat vor kurzem die Halle renovieren lassen. Das ist dieser neue chinesische Stil“, erklärte sie.

„Mich erinnert das eher an den alten Freudenhausstil“, entfuhr es Griffith unbedacht. Erst in dem darauf einsetzenden unheilvollen Schweigen wurde ihm bewusst, was er da gesagt hatte, zu wem er es gesagt hatte und, was am schlimmsten war, dass er es mit einer Unverfrorenheit geäußert hatte, die für einen Untergebenen eigentlich undenkbar war.

Auf Daniels Gesicht schien sich beinahe so etwas wie Schadenfreude widerzuspiegeln. „Bitte verzeihen Sie meinem Berater. Er hat die schlechte Angewohnheit, nie ein Blatt vor den Mund zu nehmen.“

Griffith wand sich innerlich.

„Ro… Rosalind sagt, der chinesische Stil sei in London überaus beliebt“, stammelte Juliet. „Stimmt das denn nicht?“

Daniel warf Griffith einen verstohlenen Blick zu, und sein Freund nickte kaum merklich. „Dieser Stil ist bei vielen immer noch der letzte Schrei“, versicherte Daniel den beiden Damen. „Mr. Brennan hat einfach nur einen langweiligeren Geschmack als Ihre Schwester, das ist alles.“

„Teilen Sie Ihrem Berater mit, dass meine Schwester Rosalind das gesamte Anwesen fast ganz allein und unter schwierigsten Umständen verwaltet.“ Lady Helenas Stimme klang frostig. „Da mögen ihr wohl ein paar Exzentrizitäten vergönnt sein.“

„Da haben Sie völlig Recht, Mylady“, warf Griffith ein, fest entschlossen, die Frau wieder versöhnlicher zu stimmen – und schnellstmöglich das Thema zu wechseln. „Da wir gerade von Exzentrizität sprechen – mir ist aufgefallen, dass Sie und Ihre Schwestern nach Heldinnen von Shakespeare benannt sind. Rosalind, Helena, Juliet … ist das Zufall?“

„Sind Sie ein Liebhaber von Shakespeare?“

In diesem Fall konnte die Wahrheit wohl keinen Schaden anrichten. „Ja, ein sehr großer sogar. Vor allem liebe ich seine Komödien.“

„Da Stratford-upon-Avon ganz hier in der Nähe liegt, ist Papa ebenfalls ganz begeistert von ihm. Deshalb also auch unsere Namen.“ Sie wandte sich an Daniel. „Und Sie? Mögen Sie Shakespeare auch?“

„Nein, überhaupt nicht. Griffith ist der Einzige, der von dieser Krankheit infiziert ist.“

„Griffith?“ Lady Helena stutzte.

Verdammt. Daniels erster Versprecher. Griffith reagierte schnell. „Zufällig ist das mein zweiter Vorname“, behauptete er hastig. „Mr. Knighton und die Angestellten der Handelsgesellschaft machen sich gern einen Spaß daraus, mich damit anzureden.“

„Aber Ihr eigentlicher Taufname ist doch Daniel, oder?“ erkundigte sich Juliet.

„Natürlich. Mr. Knighton findet es nur lustig, mich Griffith zu nennen, weil ihn der Name irgendwie an den Greif erinnert. Sie wissen schon, an dieses mythische Geschöpf mit dem Kopf eines Adlers und dem Körper eines Löwen, der über Gold und Reichtümer wacht“, ergänzte er, um Daniel zu helfen.

„Das stimmt“, bestätigte dieser eifrig. „Das liegt daran, dass er so knauserig ist. Erst letzte Woche, zum Beispiel, wollte ich einem Mann für einen Dienst zweihundert Pfund bezahlen, aber Daniel meinte, hundertundfünfzig seien genug. War es nicht so, mein Lieber?“

Griffith zog eine Augenbraue hoch. „Ja. Und ich habe meine Meinung nicht geändert. Der Mann muss erst noch beweisen, dass er fähig ist.“

„Ich denke, er wird dich überraschen.“ Auf Griffith’ warnenden Blick hin wandte Daniel sich wieder den Damen zu. „Wann werde ich Ihren Vater sehen? Beim Abendessen? Ich kann es kaum erwarten, mich mit ihm zu unterhalten.“

Je eher, desto besser, dachte Griffith ironisch. Wenn Daniel diesen Test bestand, waren sie schon einen großen Schritt weiter.

„Oh nein, nicht heute Abend!“ rief Juliet. „Ich … ich meine, Papa ist so krank, wir sollten lieber warten, bis es ihm etwas besser geht. Vielleicht morgen früh.“

„Aber, Juliet, du …“, begann ihre Schwester.

„Morgen früh“, beharrte Juliet. „Dürfen wir den Gentlemen Tee anbieten?“

In Griffith’ Augen trat ein argwöhnischer Ausdruck, als Juliet sie nun zum Salon dirigierte und dabei pausenlos schwatzte. Alles schien ganz anders, als es zu Anfang den Anschein gehabt hatte. Diese beiden hatten eindeutig etwas zu verbergen, und ihre Schwester, die den Besitz offenbar verwaltete, hatte wahrscheinlich ebenfalls etwas damit zu tun. Nun, wie dem auch sein mochte. Ihre lächerlichen kleinen Geheimnisse würden ihn ganz bestimmt nicht von seinem Vorhaben abbringen.

Rosalind kam es so vor, als habe sie bereits eine halbe Ewigkeit in Sorge und Unruhe verbracht, als sie endlich den Schlüssel im Schloss hörte. Zu ihrem Erstaunen tauchte Helena vor ihr auf.

„Du bist ja tatsächlich hier“, verkündete Helena nun erschrocken beim Anblick von Rosalind, die ungeduldig im Zimmer wartete.

Rosalind schob sie nach draußen. „Leise. Papa schläft, ich möchte ihn nicht wecken. Hat Juliet dich geschickt?“ fragte sie, als sie im Flur standen.

„Ja, sie hatte wohl Angst vor deiner Standpauke. Wenn ich geahnt hätte, dass du hier bist, wäre ich schon früher gekommen und hätte dich befreit. Es ist bereits nach elf.“ Helena schloss die Tür leise hinter sich. „Ich kann nicht fassen, dass sie das getan hat. Bei Papa überrascht mich so etwas nicht, aber Juliet …“

„Ich weiß. Warte nur, bis ich das dumme Gör zu fassen bekomme! Wo steckt sie überhaupt?“

Helena warf ihr einen warnenden Blick zu. „Sie ist schon zu Bett gegangen, und du solltest lieber abwarten, bis sich dein Zorn etwas gelegt hat!“

Widerstrebend musste Rosalind sich eingestehen, dass ihre Schwester Recht hatte. Im Moment hätte sie das Mädchen am liebsten erwürgt. „Ich nehme an, Mr. Knighton hat es sich in einem der Gästezimmer bequem gemacht?“

Helena hinkte zu der großen Treppe, die hinauf in den ersten Stock und somit zu ihren Schlafzimmern führte. „Er hat sich bereits zurückgezogen. Wir beide sind die Einzigen, die noch auf sind.“

Mit finsterer Miene folgte Rosalind ihrer Schwester. „Ich schwöre dir, wenn ich nicht eingesperrt gewesen wäre, hätte ich ihn wahrscheinlich längst aus dem Haus gejagt.“

„Genau deswegen hat Papa Juliet wohl auch aufgetragen, dich einzusperren. Du hast verloren. Finde dich damit ab.“

„Dieser Mann ist in keiner Weise ehrenhaft.“

„Du kennst ihn ja noch nicht einmal. Dabei ist er gar nicht so schlimm. Er könnte dir sogar ganz gut gefallen.“

„Das bezweifle ich.“ Auf der Treppe passte sie sich Helenas langsameren, schwerfälligen Schritten an. „Erzähl mir mehr von ihm. Spricht er wie ein Gentleman, oder ist er so ungehobelt, wie ich befürchtet habe? Sieht er Papa ähnlich?“

„Ganz und gar nicht. Er ist ziemlich kräftig gebaut und hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Porträt, das Papa uns einmal von seinem Vater gezeigt hat. Sein Haar ist blond, mit braunen Strähnen durchzogen, und er trägt es lang – wie eine Löwenmähne. Seine Gesichtszüge sind ansprechend, aber …“ Sie errötete und schwieg. „Nun, du wirst ihn morgen früh ja selbst kennen lernen.“

Rosalind betrachtete ihre Schwester nachdenklich. Sie würdigte Männer sonst nie eines Blickes. „Nun, sollte ich zum Frühstück nicht erscheinen, befreie mich bitte aus der Speisekammer oder aus welchem Raum auch immer, in den Papa mich von Juliet einsperren lässt!“

Helena lächelte matt. „Versprochen. Ich glaube, ich gehe jetzt auch zu Bett. Ich bin sehr müde.“ Sie tätschelte Rosalinds Hand. „Versuche, dir nicht allzu viele Sorgen zu machen.“

„In Ordnung.“ Als Helena in ihrem Zimmer verschwunden war, betrat Rosalind ihr eigenes auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs. Wie immer genoss sie die vertraute, gemütliche Unordnung darin. Doch noch lange, nachdem die verschlafene Zofe ihr beim Auskleiden geholfen und sich zurückgezogen hatte, lag Rosalind hellwach in ihrem Bett.

Wie sollte sie unbesorgt sein? Sie hatten einen Schurken in ihr Haus eingeladen, einen, dem nicht einmal Papa zu trauen schien, denn sonst hätte er sie ja nicht gebeten …

Die Schatulle! Oh nein, Papa hatte sie gebeten, die Schatulle noch am selben Abend in ihr Zimmer zu holen! Rosalind sprang aus dem Bett und warf sich ihren Morgenrock über. Da ihr Gast sich schon auf sein Zimmer begeben hatte, würde sie unbemerkt nach unten gehen und die Schatulle holen können. Sie nahm die Kerze, die neben ihrem Bett stand, und eilte den Flur entlang zur Treppe.

Sie war schon fast unten, als sie den Lichtschein bemerkte, der unter der geschlossenen Tür von Papas Arbeitszimmer hervordrang. Abrupt blieb sie stehen, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Niemand sollte um die Zeit noch im Haus unterwegs sein, nicht einmal die Bediensteten.

Es musste also ihr Gast sein. Hatte er sich verlaufen? Oder suchte er etwas? Sie presste die Lippen fest aufeinander. Die Schatulle. Papa hatte Recht gehabt, sich darum Sorgen zu machen. Wie konnte Mr. Knighton es wagen, in Papas privaten Papieren herumzuschnüffeln! Nun, sie würde diesem Gauner die Meinung sagen, aber gründlich.

Lautlos öffnete sie die Tür und spähte ins Zimmer. Im Schein der Kerze auf Papas Schreibtisch nahm sie einen Mann wahr, der sich über etwas beugte. Er war eindeutig nicht ihr blonder Gast, denn sein Haar war so schwarz wie das eines Zigeuners.

Ein Zigeuner! Erschrocken wich sie zurück. Zigeuner waren in letzter Zeit eine Plage in Warwickshire gewesen, aber bis nach Swan Park waren sie nie gekommen. Wut stieg in ihr auf, als sie hörte, wie eine Schublade aufgezogen und ihr Inhalt durchstöbert wurde. Das ging zu weit!

Sie unterdrückte das Bedürfnis, ins Zimmer zu stürzen. So unbesonnen war nicht einmal sie. Wenn sie doch nur eine Waffe gehabt hätte, irgendetwas, womit sie ihn in Schach halten konnte, während sie um Hilfe rief. Andernfalls würde er mit seinem Diebesgut fliehen – vielleicht sogar mit Papas kostbarer Schatulle.

Sie hob ihre eigene Kerze höher und schaute sich prüfend in der Halle um. Ein paar Gemälde, ein, zwei zerbrechlich wirkende Stühle und eine viel zu kleine Bronzestatue … Halt! Der Schild und das Schwert an der gegenüberliegenden Wand! Hastig stellte sie die Kerze ab und nahm beides herunter. Das Schwert war schwerer, als sie gedacht hatte, doch der massive Holzschild mit dem Lederbezug gab ihr ein gewisses Gefühl der Sicherheit.

Ohne noch lange weiter zu überlegen, stürmte sie zurück und trat die Tür zum Arbeitszimmer so heftig auf, dass sie gegen die Wand schlug. Mit vorgehaltenem Schild und gezücktem Schwert stürzte sie ins Zimmer und rief mutig: „Ergib dich, du Dieb!“

Als sich der dunkelhaarige Fremde hinter dem Schreibtisch aufrichtete, wurde ihr plötzlich klar, dass sie die Situation wohl vollkommen falsch eingeschätzt hatte. Das war kein Zigeuner. Zigeuner hatten keine helle Haut oder geradezu unwirklich blaue Augen. Sie trugen auch keine teuren Gehröcke aus Satin und maßgeschneiderte Breeches aus Seide.

Tödlich verlegen bemerkte sie, wie sich der Anflug eines Lächelns auf den markanten Zügen abzeichnete. „Guten Abend, Madam.“ Er verneigte sich. „Sie müssen Lady Rosalind sein.“

3. KAPITEL

Griffith starrte die schwertschwingende Amazone unverhohlen an. Großer Gott, das war die dritte Schwester? Dieses erstaunliche Geschöpf? Sie musste es sein – denn ihr grell orangefarbener Morgenrock aus chinesischer Seide konnte nur derselben Frau gehören, die Swan Parks Eingangshalle so verunstaltet hatte.

Und die nun fest entschlossen schien, ihn zu verunstalten. Er hob beschwichtigend die Hand, als er um den Schreibtisch herumkam. Ein Schwert war immer gefährlich, vor allem, wenn es sich in der Hand einer Verrückten befand. „Sie sind wirklich Lady Rosalind, nicht wahr?“

„Sie sind mir gegenüber im Vorteil, Sir.“ Hochmütig warf sie den Kopf mit der fast bis zur Taille reichenden rostroten Haarmähne in den Nacken. Gleichzeitig hob sie das Schwert noch etwas höher. „Sie kennen meinen Namen, aber ich nicht den Ihren.“

„Ich bitte um Verzeihung. Ich bin Knightons Berater, Daniel Brennan. Viele nennen mich auch Griffith“, fügte er hinzu, um weiteren Versprechern Daniels zuvorzukommen. „Zu Ihren Diensten, Madam.“ Er betrachtete sie neugierig. „Haben Ihnen Ihre Schwestern denn nicht gesagt, dass ich Ihren Cousin bei diesem Besuch begleite?“ Sie wirkte verwirrt, und er musste lächeln. „Nein, wohl nicht.“

Sie gewann schnell ihre Fassung wieder. „Sie berichteten nichts von einem Berater.“

„Aha.“ Er nickte in Richtung des imposanten Schwerts. „Das erklärt Ihren … Auftritt. Ich habe mich schon gefragt, ob Sie alle Gäste Swan Parks auf so dramatische Weise begrüßen.“

Wenn er glaubte, sie dadurch in Verlegenheit zu bringen, so irrte er sich. Sie hielt das Schwert unverändert auf ihn gerichtet. „Nur, wenn ich unsere Gäste dabei ertappe, wie sie Papas Schreibtisch durchwühlen.“

„Ach so, das.“ Ein Glück, dass er mit Daniel die Rollen getauscht hatte. Dieser wäre wohl kaum mit dieser Amazone fertig geworden. „Ich wollte mir ein paar Notizen machen, musste aber feststellen, dass ich mein Schreibzeug vergessen habe. Das hier schien mir der geeignete Ort, etwas Entsprechendes zu finden.“

Sie neigte den Kopf zur Seite, und ihre haselnussbraunen Augen funkelten misstrauisch. „Arbeiten Sie immer so spät?“

„Ich bin an die Arbeitsstunden in der Stadt gewöhnt. Für mich ist es noch relativ früh.“ Er schaute auf die Uhr. „Es ist noch nicht einmal Mitternacht.“

„Ich wusste nicht, dass sich Berater nach den Arbeitsstunden in der Stadt richten. Ich dachte, sie fingen immer ganz früh morgens zu arbeiten an.“

Kluge Frau. Und wachsam. Vor ihr würde er sich in Acht nehmen müssen. „Mein Arbeitgeber sieht das nicht so eng. Sehr oft begleite ich ihn noch spät abends zu gesellschaftlichen Anlässen, daher erlaubt er mir, mir meine Zeit selbst einzuteilen. Aber das wüssten Sie längst, wenn Sie sich beim Abendessen zu uns gesellt hätten.“

Sie verzog das Gesicht. „Ich hatte auch vor, daran teilzunehmen, doch Papa hatte andere Pläne mit mir.“

Bei der Erwähnung ihres schurkischen Vaters straffte er sich. „Zwingt er Sie oft an seine Seite, wenn Gäste eintreffen?“

Sie runzelte die Stirn. „Ich stelle hier die Fragen, Mr. Brennan. Schließlich sind Sie derjenige, der sich etwas zu Schulden hat kommen lassen.“ Als wolle sie ihre Worte noch unterstreichen, stieß sie das Schwert ein Stück nach vorn, mit einer Leichtigkeit, als hielte sie bloß einen Sonnenschirm in der Hand.

Wie stark diese Frau war – die meisten anderen Frauen hätten das Ding nicht einmal hochheben können. Er lehnte sich mit der Hüfte an den Schreibtisch. „Fragen Sie mich, was immer Sie wollen. Obwohl … jetzt, da wir uns einander vorgestellt haben, können Sie die Waffe eigentlich weglegen. Es sei denn, Sie haben Angst vor einem einfachen Berater.“

„Ich habe vor niemandem Angst.“ Sie sagte das ohne jede Prahlerei, als stellte sie nur eine Tatsache fest. Sie senkte das Schwert und stützte sich darauf wie auf einen Stock. Gleichzeitig musterte sie ihn aufmerksam von Kopf bis Fuß. „Ich habe Sie für einen Zigeuner gehalten, der hier einbricht.“

„Ich bin kein Zigeuner, sondern Ire“, erwiderte Griffith und besann sich auf seine Rolle. „Obwohl sicher manche behaupten, das wäre genauso schlimm.“

„Ich habe nichts gegen Iren, Mr. Brennan. Außer, wenn sie in den privaten Bereichen meines Zuhauses herumschnüffeln.“

Sie bückte sich, um den Schild abzulegen. Nun konnte der Lichtschein der Kerze hinter ihr in der Halle ungehindert durch ihre dünne Bekleidung schimmern, so dass sich die Umrisse ihres Körpers erstaunlich detailliert erahnen ließen. Sie schien volle, wohlgerundete Brüste, weiblich geschwungene Hüften und eine schlanke Taille zu haben, und Griffith war plötzlich verwirrt. Sein Körper reagierte sofort, und Griffith verlagerte unbehaglich das Gewicht von einem Bein auf das andere. Er war offenbar schon zu lange nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen, anders konnte er sich nicht erklären, weshalb sie ihn so anzog. Er bevorzugte sonst ruhige, elegante Frauen mit Stil und gewählter Ausdrucksweise, keine stürmischen Amazonen mit einer Vorliebe für flammend bunte Seidenstoffe.

Dennoch kostete es ihn einige Anstrengung, den Blick von ihrem Körper abzuwenden und ihn auf ihr Gesicht zu richten. Das machte die Sache jedoch nicht einfacher, ihr Gesicht faszinierte ihn mindestens genauso sehr. Für sich genommen wirkte jeder einzelne Zug darin beinahe übertrieben – ihr Kinn war eine Spur zu energisch, ihre Wangen waren etwas zu rund und ihre Brauen einen Deut dunkler und dichter, als es dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Alles zusammen allerdings verlieh ihr den unwiderstehlichen Reiz einer Tizian’schen Schönheit. Er besaß tatsächlich ein Frauenbildnis von Tizian, das ihr verblüffend ähnelte.

Vor allem die Lippen glichen denen auf dem Bild. Sie allein waren ein zum Leben erwecktes Kunstwerk. Plötzlich verspürte er das vollkommen aberwitzige Bedürfnis, diesen sinnlichen Mund zu küssen. Er unterdrückte diese Anwandlung sofort, indem er sich auf den eigentlichen Grund seiner Anwesenheit hier besann. Eine Affäre mit der Tochter seines Feindes wäre wohl wenig zweckdienlich gewesen.

Griffith bemühte sich angestrengt, seine Gedanken wieder auf unverfängliche Dinge zu richten. „Gestatten Sie mir eine Frage – was hätten Sie gemacht, wenn ich wirklich ein Einbrecher gewesen wäre?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich hätte Sie hier in Schach gehalten und um Hilfe gerufen.“

Er unterdrückte ein Lachen. „Sie hätten mich in Schach gehalten?“ Beim Anblick ihrer hochgezogenen Augenbrauen zog er es jedoch vor, seine Zweifel nicht laut zu äußern. Ihm bot sich hier eine erste Gelegenheit, ihr ein paar Informationen zu entlocken, doch das würde ihm nicht gelingen, wenn er Rosalind verärgerte. „Ich verstehe. In diesem Schreibtisch scheinen sich ja wahre Schätze zu verbergen, dass Sie ihn so gut bewachen.“

Flüchtiges Erschrecken breitete sich auf ihren Zügen aus. „Nein! Ich meine, darum geht es gar nicht. Ich will nur nicht, dass Papa irgendetwas gestohlen wird, selbst wenn es sich nur um ein paar Anweisungen für seinen Butler handelt!“

Wie interessant. Befand sich das Dokument etwa tatsächlich in diesem Schreibtisch? Er hatte es nicht gefunden, aber auch nicht lange danach gesucht, weil diese Kriegsgöttin ins Zimmer gestürmt war. „Nichtsdestotrotz haben Sie große Anstrengungen auf sich genommen, den Inhalt zu beschützen, folglich muss er für jemanden von einigem Wert sein.“

„Sie scheinen ungebührlich interessiert am Schreibtisch meines Vaters. Darf ich vorschlagen, dass Sie den Tod meines Vaters abwarten, ehe Sie sich an eine Bestandsaufnahme des Erbes Ihres Arbeitgebers machen?“

Zu dumm, er war zu nachlässig gewesen und hatte ihr einen falschen Eindruck vermittelt. „Das hat nichts mit dem Erbe meines Arbeitgebers zu tun. Ich frage mich nur, ob Ihr Vater weiß, dass seine Tochter ihr Leben riskiert – für was auch immer sich in diesem Schreibtisch befindet!“

Sie setzte eine trotzige Miene auf. „Ich habe nicht mein Leben riskiert. Ich war bewaffnet.“

Dieses Mal konnte er sein Lachen nicht unterdrücken. „Lady Rosalind, wenn Sie glauben, einen diebischen Zigeuner mit dieser Antiquität von einem Schwert auch nur fünf Minuten lang in Schach halten zu können, dann sind Sie eine Närrin! Nicht einmal mich hätten Sie aufhalten können, wenn ich das nicht gewollt hätte.“

„Wenn Sie das nicht gewollt hätten?“ Sie hob das Schwert auf und richtete es erneut auf ihn. „Sind Sie sich da so sicher?“

Wie konnte er einer solchen Herausforderung widerstehen? Dieser Frau mangelte es an gesundem Menschenverstand, sie benötigte dringend eine Lektion über die Gefahren im Leben.

Blitzschnell duckte er sich unter dem Schwert hindurch, trat mit einem Schritt hinter sie und schlang den Arm fest um ihre Taille, während er ihr mit der anderen Hand das Schwert entwand. Dann drückte er die Klinge an ihre Kehle und murmelte: „Ganz sicher. Fordern Sie niemals einen Einbrecher heraus, Mylady, wenn Sie ihn nicht wirklich überwältigen können.“

Der Rosenduft ihres Haares betörte seine Sinne, ganz zu schweigen von dem Gefühl ihres weichen Bauchs unter seinem Arm. Wie sehnte er sich plötzlich danach, die Hand tiefer sinken zu lassen, um das Geheimnis zwischen ihren Schenkeln zu erkunden, bis sie vor Lust erbebte und nicht mehr vor Furcht. Aber nein. Nicht jetzt, nicht mit einer der Swanlea-Töchter.

„Sie müssen sich um noch Wichtigeres sorgen als nur um den Inhalt des Schreibtisches Ihres Vaters, wenn Sie einem Mann ganz allein gegenüberstehen“, fuhr er fort, um seine Warnung noch zu untermauern – und um sich von den Reizen ihres Körpers abzulenken. „Vor allem, wenn Sie so spärlich bekleidet sind wie jetzt. ‚Schönheit lockt Diebe schneller noch als Gold‘, wissen Sie.“

Sie atmete tief durch und flüsterte: „Wie es euch gefällt.“

„Dann stimmen Sie mir also zu?“

„Nein, Sie Ignorant“, zischte sie. „Wie es euch gefällt, das Stück von Shakespeare! Daraus haben Sie eben zitiert.“

Er war so überrascht, dass er das Schwert senkte. Und in diesem Moment stieß sie ihm den Ellenbogen mit aller Kraft in die Rippen. Ihm entfuhr ein Schmerzenslaut, und Griffith krümmte sich. Dabei ließ er das Schwert fallen. Er stieß eine Reihe von Flüchen aus, die er sonst niemals vor einer Frau geäußert hätte, schon gar nicht vor einer Dame. Aber diese Hexe wusste wirklich, wie sie ihre Kraft einsetzen musste – und Kraft hatte sie in der Tat.

Sie bückte sich schnell nach dem Schwert und wich dann damit zum Schreibtisch zurück. „Da Sie mit Shakespeare vage vertraut zu sein scheinen, stimmen Sie mir sicher zu, wenn ich sage, dass es keinem ‚listigen Dieb oder vollendeten Hofmann‘ je gelingen wird, mich des Schatzes meiner Tugend zu berauben!“

Er richtete sich steif auf. „Der Sturm?“ Er war ziemlich sicher, die Worte schon einmal gelesen zu haben.

„Cymbeline.“ Sie zog eine Braue hoch. „Aber eine nahe liegende Vermutung, zugegeben.“

„So wie Ihre in Bezug auf Wie es euch gefällt.“

„Das war keine Vermutung. Ich kenne Wie es euch gefällt in- und auswendig.“

„Tatsächlich?“ Da er nicht über Daniels gewandten Umgangston Frauen gegenüber verfügte, verließ er sich im Allgemeinen auf ein paar Standardkomplimente aus dem Zitatenschatz des Dichters. Schon bei vielen Frauen hatte er dieses Zitat von vorhin angebracht, aber noch keine hatte bislang gewusst, woher es stammte.

Sie jedoch kannte es. Wie ungewöhnlich. Aber natürlich war jede Frau ungewöhnlich, die ihre „Tugend“ mit dem Schwert verteidigte.

Er nickte zum Schwert hinüber. „Ihnen ist klar, dass ich damit nur einen Beweis erbringen und Ihnen nicht etwa ‚den Schatz Ihrer Tugend‘ rauben wollte.“

Sie ließ die Waffe nach wie vor nicht sinken.

„Glauben Sie mir nicht?“

Zu seiner Überraschung musterte sie ihn so kritisch von oben bis unten, wie es sonst nur Männer taten, die die körperlichen Vorzüge eines leichten Mädchens in Augenschein nahmen. Das irritierte ihn ungemein, auch wenn sein Körper auf eine ganz eigene Art darauf reagierte. Was für eine Hexe! Sie verhielt sich ganz anders als alle adligen Töchter, denen er bisher begegnet war.

Schließlich seufzte sie resigniert. „Ich glaube Ihnen. Ein Mann wie Sie hat es nicht nötig, einer Frau die Tugend zu rauben. Wahrscheinlich können Sie jede dazu überreden, sie Ihnen freiwillig zu schenken.“

„Was soll das heißen – ein Mann wie ich?“

„Ein gut aussehender Tunichtgut.“ Sie ließ das Schwert fallen. „Ein Ire, der Shakespeare zitiert, um ans Ziel zu gelangen. Ich wette, Sie wissen genau, wie man sich Zugang in das Schlafzimmer einer Frau verschafft.“

„Aber nicht in Ihres“, konnte er nicht umhin zu bemerken. Was sie wohl sagen würde, wenn er ihr verriet, dass ihm für gewöhnlich Geschenke und Geld den Weg in Schlafzimmer ebneten, und nicht Shakespeare-Zitate.

Sie wandte den Blick ab, und zum ersten Mal, seit sie das Zimmer betreten hatte, wirkte sie verletzlich. „Nein, ich falle nicht so leicht auf Schmeicheleien herein. All dies Gerede: ‚Schönheit lockt Diebe.‘ Andere Frauen können Sie vielleicht mit Ihren dürftigen Shakespeare-Kenntnissen beeindrucken, aber mich nicht. Ich erkenne einen Hochstapler sofort. Den Typ Mann, der sich solche Zitate aus der gehobenen Literatur nur merkt, weil er sich von ihnen Erfolg bei Frauen erhofft.“

Das war hart, wenn auch zum Teil die Wahrheit. Ihre Schwestern hatten ihm und Daniel kein so großes Misstrauen entgegengebracht. Das reizte ihn. Er war noch nie einer Frau begegnet, die ihn spontan nicht zu mögen schien – schon gar nicht, seitdem er vermögend war. „Sie haben keine gute Meinung von mir. Das ist nicht ganz gerecht, wo wir uns doch erst so kurze Zeit kennen.“

„Ich halte es für mehr als gerecht, wenn man bedenkt, dass ich Sie immerhin beim Durchsuchen von Papas Schreibtisch erwischt habe.“

Verdammt, konnte er sie denn nicht von diesem Thema abbringen? „Ich habe nur nach Schreibzeug und Papier Ausschau gehalten.“

„Ja, sicher. Haben Sie welches gefunden?“ Als sie sich schwungvoll dem Schreibtisch zuwandte, erhaschte er einen flüchtigen Blick auf ein wohlgeformtes Bein, und sein Verlangen erwachte erneut.

„Nein. Aber ich hatte auch gerade erst zu suchen angefangen, als Sie mit Schwert und Schild ins Zimmer stürmten!“

Sie achtete nicht auf seinen sarkastischen Tonfall und beugte sich vor, um eine Schublade aufzuziehen. Unbewusst gewährte sie ihm dabei einen tiefen Einblick in ihr Dekollete, und er presste die Kiefer aufeinander. Kannte diese Frau denn gar kein Schamgefühl? Wie sollte er es auch nur einen Tag in diesem Haus aushalten, wenn sie ihre Reize so ungeniert zur Schau stellte?

Sie richtete sich auf und reichte ihm einen Bogen Briefpapier. „Hier. In der Schublade des Sekretärs in Ihrem Zimmer befinden sich Schreibfeder und Tinte. Alle unsere Gästezimmer sind mit Schreibzeug ausgestattet. Ich kann nur vermuten, dass unser letzter Gast das Papier in Ihrem Zimmer aufgebraucht hat.“

Ihr herausfordernder Blick weckte seine widerwillige Bewunderung. Sollte er mit dieser Masche fortfahren? Nein, dazu war sie viel zu klug. Er nahm ihr den Bogen ab und legte ihn auf den Tisch. „Ich sehe, Sie haben mich durchschaut.“

Der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen. „Nur ein Narr hätte geglaubt, dass ein Berater sein ‚Handwerkszeug‘ vergisst. Und ich bin kein Narr, Mr. Brennan.“

„Wie Sie bereits klar bewiesen haben.“

Als er nicht weitersprach, erstarb ihr Lächeln. Sie stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte und gestattete ihm unbewusst erneut einen Einblick in den Ausschnitt ihres Morgenrocks. „Wollen Sie sich nun erklären oder nicht?“

„Nein.“ Er war viel zu verwirrt, um sich eine plausible Erklärung einfallen lassen zu können. Er musste sich von dieser Frau fern halten, sonst würde er nie erreichen, was er sich vorgenommen hatte.

Eine Standuhr in der Nähe schlug zwölf, und sie zuckten beide zusammen. Schließlich richtete Rosalind sich auf, und er hätte beinahe einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen. Oder des Bedauerns. Er wusste es nicht genau.

„‚Die Mitternacht rief zwölf mit ehr’ner Zunge‘, und ich würde mich jetzt gern zurückziehen. Könnten Sie also bitte mit Ihrem neckischen Gehabe aufhören und mir verraten, was Sie in Papas Schreibtisch gesucht haben?“

Neckisch? Er? Er hatte ein ganzes Imperium aufgebaut, weil er im Ruf stand, ein gefährlicher Gegner zu sein! Wie seine Konkurrenten wohl lachen würden, wenn sie bei Brandy und Zigarren von dieser Sache … Zigarren. „Ich suchte nach einer Zigarre.“

„Einer Zigarre?“

„Ja, ich rauche gern eine, bevor ich schlafen gehe. Leider sind mir die Zigarren ausgegangen. Und da Mr. Knighton nicht raucht, wollte ich nachsehen, ob Ihr Vater wohl welche in seinem Arbeitszimmer aufbewahrt.“ Etwas spöttischer fuhr er fort: „Ich bin von Haus aus kein Zigarrendieb, aber nach einem ganzen langen Tag, ohne zu rauchen, ist die Sehnsucht danach ziemlich groß. Auch war mir nicht klar, dass Sie nachts bewaffnet durch die Flure patrouillieren. Sagen Sie, benutzen Sie immer das Schwert, oder greifen Sie manchmal auch auf Pistolen zurück? Ich würde mich gern im Voraus darauf einstellen!“

„Sehr amüsant. Wenn Sie nur wegen der Zigarren hier sind, warum haben Sie mir das dann nicht gleich verraten?“

„Sie haben doch sicher nicht erwartet, dass ich Sie gleich bei unserer ersten Begegnung mit all meinen Lastern konfrontiere!“

„Abgesehen von denen, mit denen Sie mich bereits konfrontiert haben, meinen Sie?“

„Genau.“ Es hatte keinen Sinn, weiter mit ihr zu streiten. Außerdem wollte er sie jetzt gern loswerden, damit er seine Suche fortsetzen konnte.

Sie schien jedoch nicht in Eile zu sein. Wahllos öffnete sie ein paar Schubladen, bis sie schließlich eine hölzerne Kiste fand und sie ihm zuwarf. „Hier, Mr. Brennan. Wir können doch nicht zulassen, dass Sie schlaflos durch das Haus geistern, wenn das Heilmittel gegen Ihre Schlaflosigkeit so leicht zu beschaffen ist. Papa raucht schon seit geraumer Zeit nicht mehr, er wird also nichts dagegen haben, wenn Sie seine Zigarren genießen.“

Sie glaubte ihm offensichtlich tatsächlich! Er öffnete die Kiste und täuschte Interesse an ihrem Inhalt vor. Die Zigarren schienen von erlesener Qualität zu sein. Zu schade, dass er niemals rauchte. Er verschloss die Kiste wieder und klemmte sie sich unter den Arm. „Vielen Dank, das ist sehr großzügig.“

„Möchten Sie denn jetzt keine rauchen?“

„Hier?“

„Natürlich!“

War das ein Trick, oder hatte sie wirklich keine Ahnung, was sie da vorschlug? „Ich mag nur ein einfacher Berater sein, aber ich kenne die Gesetze der Höflichkeit. Ich würde niemals so unverschämt sein, in Gegenwart einer Dame zu rauchen.“

„Sie haben eine merkwürdige Vorstellung von Anstand, Sir. Sie halten es für anständig, den Privatbesitz Ihres Gastgebers zu durchstöbern und seiner Tochter eine Schwertklinge an die Kehle zu drücken, gleichzeitig haben Sie aber Hemmungen, in ihrer Gegenwart zu rauchen.“

Er musste unwillkürlich schmunzeln. „Ich bin nicht der Einzige mit einer merkwürdigen Vorstellung von Anstand. Sie hatten ebenfalls keine Scheu, sich ganz allein bei Nacht einem Mann in spärlicher Bekleidung zu präsentieren. Was Ihr Vater wohl dazu sagen würde?“

Zum ersten Mal an diesem Abend wurde sie rot. „Nun, ja … es ist wohl das Beste, wenn wir ihm gegenüber diesen kleinen … Zwischenfall nicht erwähnen. Auch keinem anderen gegenüber, natürlich.“

Gott sei Dank, dass es diese eisernen Anstandsregeln gab! Dennoch konnte er nicht umhin, sie noch etwas zu necken. „Warum sollte ich schweigen? Ich habe nichts Schlimmes angestellt! Ich habe nur nach Zigarren gesucht.“

Sie erschrak. „Sie wissen, dass uns diese Geschichte beiden nicht zur Ehre gereichen würde.“

„Ich verstehe wirklich nicht, warum …“

Autor

Sabrina Jeffries
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