Doppeltes Spiel mit dem feurigen Italiener?

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Eigentlich will er nur das Familienerbstück zurück, das Gigi Parker ihm gestohlen hat. Aber als Alessio Montaldi die dreiste Diebin in den Schweizer Alpen aufspürt, zögert er. Sie kommt ihm so verändert vor! Plötzlich brennt in ihm der Wunsch, sie ganz nah zu spüren. Wie kann das sein? Sie hat ihn betrogen, belogen und bestohlen – und trotzdem begehrt er sie? Auf keinen Fall darf er diesem Verlangen nachgeben! Doch als sie auch noch zusammen in seinem Chalet einschneien, kapituliert Alessio in klirrend kalten Nächten vor diesem heißen Feuer …


  • Erscheinungstag 24.12.2024
  • Bandnummer 2680
  • ISBN / Artikelnummer 0800242680
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Dr. Giada Parker hielt den Thermobecher mit dem heißen Kaffee mit beiden Händen und stemmte sich gegen den scharfen Wind der Antarktis, der ihr ins Gesicht peitschte.

Trotzdem lächelte sie.

Die Allwetterkleidung mit der Dreifachisolierung schützte sie vor der schlimmsten Kälte, und notfalls konnte sie Zuflucht zu den nicht ganz so eisigen Personalquartieren unter Deck des Forschungsschiffs suchen, das seit vier Monaten ihr Zuhause war.

Dies war ihre letzte Chance, die atemberaubende Landschaft noch einmal in sich aufzunehmen, bevor ihr Aufenthalt zu Ende ging. Sie würde den Anblick vermissen.

Der Kaffee war höchst willkommen, nicht so die Gedanken an das, was sie in London erwartete. Oder in Rom. Oder wo immer ihre Mutter in diesem Jahr Weihnachten verbringen wollte. In dem letzten, spannungsreichen Gespräch vor einem Monat wusste Renata DiMarco jedenfalls noch nicht, wohin sie Giada und ihre Zwillingsschwester für die Feiertage beordern würde.

Giada wünschte sich nichts sehnlicher, als dieser Tortur nicht mehr ausgesetzt sein zu müssen. Es gehörte sich zwar nicht, es zuzugeben, aber mit Weihnachten konnte sie nicht viel anfangen. Mehr noch – sie hasste die Festlichkeiten rund um das Jahresende. Zu deutlich standen ihr die entwürdigenden Auftritte vor Augen, wenn Renata ihre übliche Menge Champagner intus hatte und Weihnachten für die Mädchen gelaufen war. Giadas Schwester Gigi konnte damit besser umgehen. Und genau das kritisierte ihre Mutter an Giada ständig: Sie sei zu empfindlich, zu verklemmt und was nicht noch alles. „Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester, sie versteht es, das Leben zu genießen.“

Nach diesem Motto hatte Renata DiMarco dann auch gehandelt, als Giada ihr die Einladung zu ihrer Promotionsfeier schickte. Die Tochter machte ihren Doktor in Meeresbiologie, die Mutter hatte etwas anderes vor.

Giada redete sich ein, dass es ihr nichts ausmachte, wenn weder Gigi noch ihre Mutter kamen, und schon gar nicht bei ihrem Vater, an den sie sich kaum erinnerte. Er hatte nicht einmal reagiert. Doch die Stiche im Herzen, die sie während der feierlichen Aushändigung der Urkunde auf der Bühne empfand, sagten etwas anderes.

Sie trank noch einen Schluck – mehr zur Beruhigung ihrer Nerven als wegen der Wärme. Die Tundra war eine einzige blendende Eiswüste, und halb und halb wünschte Giada sich bereits weit weg.

Aber sollte man nicht vorsichtig sein mit dem, was man sich wünschte?

Sie lachte bitter. Ja, ja, als ob das Schicksal jemals auf meine Wünsche reagiert hätte! Das würde jetzt auch nicht anders sein.

Sicher war nur, dass ihr in ihrem Apartment in London ein paar ruhige Tage vergönnt sein würden, bevor Renatas nächste Anweisungen eintrafen. Hoffentlich reicht die Zeit, um mich seelisch zu wappnen gegen diese Mutter, die mich bei jeder Gelegenheit niedermacht.

„Giada?“

Sie drehte sich um. Wenige Schritte entfernt stand ihr Boss Martin, und er wirkte besorgt.

„Entschuldige bitte, Martin, ich war gerade ganz weit weg. Hast du etwas zu mir gesagt?“

Seine Züge erhellten sich, und unter dem Bart, der ihm in der Zeit auf dem Forschungsschiff gewachsen war, konnte Giada ein Lächeln erkennen. „Ich dachte schon, du wärst zum Denkmal deiner selbst erstarrt. Eben kam ein Anruf von deiner Schwester. Ich soll dich holen, sie ruft in zehn Minuten wieder an.“

Eine ungute Vorahnung stieg in Giada auf.

In den vergangenen vier Monaten dieser Forschungsreise hatte sie dreimal mit ihrer Schwester gesprochen, und immer war der Kontakt von Giada ausgegangen. Gigi verschwendete offenbar wochenlang keinen Gedanken an ihre Zwillingsschwester, vermutlich war diese Zerstreutheit auf die vielen anstrengenden Partys zurückzuführen, die zu den Pflichtterminen eines Internetstars gehörten. Ein weiterer Nadelstich, wie Giada ihn von Kind an nicht anders kannte.

„Hat sie gesagt, um was es geht?“, fragte sie. Unwillkürlich zog sich ihr Magen zusammen, während sie ihrem Boss über das verschneite Deck zum Niedergang folgte.

Er schüttelte den Kopf. „Hat sie nicht. Aber sie klang nicht sonderlich aufgeregt.“ Sein Lächeln wirkte beruhigend. Martin ließ ihr den Vortritt. „Es hörte sich an, als ob sie in einer Bar wäre. Ach ja, was würde ich jetzt für ein Pint in einem warmen Pub geben.“

Sie lächelte zurück und verzichtete auf die Entgegnung, dass Gigi sogar mitten im Weltuntergang ganz entspannt bleiben würde. Oft genug beneidete Giada ihre Schwester um diese Gelassenheit gegenüber den melodramatischen Szenen ihrer Mutter sowie Giadas angsterfüllter Reaktion darauf.

Als sie nun hinter Martin herlief, schickte sie ein Gebet zum Himmel, dass sie mit ihrem kindischen Wunsch nicht noch ein solches Minidrama heraufbeschwören würde.

Sie erreichten das enge, klamme Büro, das Martin mit anderen verdienten Crewmitgliedern teilte. Giada unterdrückte das Zittern ihrer Hände und das unkontrollierte Chaos ihrer Gedanken. Ein neuer Schluck aus dem Kaffeebecher half ihr dabei. Trotzdem zuckte sie zusammen, als das Telefon schrillte.

Beruhige dich erst einmal.

Sie atmete tief durch. „Hallo?“

„Bist du’s, Gids?“ Aus dem Hörer klang die träge Stimme, die im Lauf der Jahre rau und hart geworden war, ähnlich der ihrer Mutter. Giada verzog den Mund, als sie den verhassten Kosenamen vernahm, den Gigi ihr neuerdings anhängte. Protest wäre zwecklos. Ihre Schwester machte, was sie wollte, genau wie ihre Mutter.

„Ja.“ Sie packte den Hörer fester. „Stimmt etwas nicht?“

„‚Etwas‘? Ich würde sagen, so einiges.“ Ein Seufzen folgte.

„‚Einiges‘? Zum Beispiel?“ Giadas Stimme stieg um eine Oktave, wurde schriller.

„Meine Güte, Gids, du musst nicht gleich in den verschärften Verteidigungsmodus gehen.“

Giada konnte sich gut vorstellen, wie ihre Schwester die Augen verdrehte. „Gigi, wir haben uns wochenlang nicht gesprochen, außerdem rufst du mich nie auf meinen Auslandseinsätzen an. Die Logik sagt mir, dass dies kein spontanes Wie-geht’s-Gespräch ist. Also komm bitte zur Sache.“ Sie schloss die Augen, wappnete sich gegen die schlechte Nachricht und fragte geradeheraus: „Ist es Mom?“

Ihre Schwester schnaubte unwillig. „Du und dein Pflichtgefühl, Schwester. Nein, es ist nicht Mom. Soviel ich weiß, ist sie in Rio und lässt sich ein Kostüm für den Karneval im Februar auf den Leib schneidern.“

„Sag bloß nicht, sie will über Weihnachten dort bleiben. Und uns bei sich haben.“

„Wer weiß? Aber Weihnachten in Rio wäre nicht das Schlechteste. Ich war ewig nicht mehr da.“

„Gigi.“ Der Gedanke an zwei Wochen mit ihrer Mutter und einem ganzen Rudel Bekannter, eingesammelt zwischen London und Rio, war der pure Horror. Giada schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf das Problem, das sie momentan überblicken konnte. „Worüber möchtest du dann mit mir reden?“

„Augenblick!“, rief Gigi.

Giada knirschte mit den Zähnen. Rohes Gelächter und Gläserklirren klangen aus dem Hörer. Dann trat relative Stille ein, offenbar hatte Gigi einen ruhigeren Ort aufgesucht. Was Giada keineswegs beruhigte. Ihre Schwester legte üblicherweise wenig Wert auf Diskretion. „Versprich mir zuerst, dass dies unter uns bleibt.“

„Dafür muss ich wissen, was überhaupt.“

„Versprich’s mir, danach rede ich“, beharrte Gigi.

„Ich habe noch nie etwas ausgeplaudert.“

Im Gegensatz zu dir.

Das sagte sie nicht laut. Ihre Schwester fand überhaupt nichts dabei, Giadas Privatangelegenheiten vor ihrer Mutter auszubreiten.

Giada war inzwischen ernsthaft beunruhigt.

„Also gut. Ich habe etwas an mich genommen, das mir eigentlich nicht gehört.“

Giada sog scharf die Luft ein. „Wie bitte?“ Ihre Schwester mochte viele Unarten haben, aber eine Diebin war sie nicht. Jedenfalls bis jetzt.

„Nagele mich nicht gleich ans Kreuz, Gids. Ich hatte gute Gründe.“

Giada nahm die Wollmütze ab. Obwohl ein eisiger Schreck sie durchfuhr, wurde ihr auf einmal zu warm. „Um was handelt es sich? Und welche guten Gründe?“

Die entstehende Stille wirkte doppelt unbehaglich. Giada spürte, wie ihr die mühsam aufrechterhaltene Beherrschung entglitt.

„Da war dieser Mann, bei dem ich mich beworben hatte. Und es ist etwas, das ihm viel bedeutet. Und er ist ein sehr einflussreicher Mann.“

„Warum hast du ihn bestohlen?“

Gigi schniefte. „Weil er es nicht anders verdient hat“, stieß sie trotzig hervor.

In Situationen wie diesen fragte sich Giada, wie zwei so verschiedene Menschen Zwillinge sein konnten – eineiige! „Gigi …“

„Ach, ich war ein bisschen beschwipst. Und die Leute sollten keine leeren Versprechungen machen.“ Fast hätte Giada laut aufgelacht. Wie oft hatte Gigi genau das getan? Gut, dass sie den Mund gehalten hatte, sonst hätte sie den leiseren Zusatz überhört: „Besonders Männer.“

Es war keineswegs lustig. „Hat er dich verletzt?“ Sie erinnerte sich an den Lover ihrer Mutter, Tom, der sich in ihr Leben gedrängt und ihr Vertrauen erschlichen hatte, als sie fünfzehn waren. Der sie dann emotional missbraucht hatte. Es war einer der seltenen Fälle, in denen Giada und Gigi ihren Kummer gemeinsam getragen hatten.

Genau genommen hatte jenes Erlebnis zu Gigis emotionaler Gleichgültigkeit geführt. Und Giada konnte es ihr nicht wirklich übelnehmen. Trotzdem, es tat weh, dass man sie selbst nicht gesehen hatte. „Gigi, was hat er mit dir gemacht?“, fragte sie, als ihre Schwester nicht antwortete.

„Ich habe ihn vor ein paar Monaten kennengelernt, wir waren ein lustiger Haufen. Er brauchte Informationen über jemanden, den ich kenne, und er sagte, er hätte einen Job für mich. Dann hat er mich öffentlich bloßgestellt, er behauptete, ich sei flatterhaft und nicht zuverlässig genug für sein tolles Team.“

Erleichtert atmete Giada auf. „Es ging also nur um einen Job?“

Gigi schnaubte empört. „Es ist nicht nur ein Job! Hast du überhaupt eine Ahnung, was für ein Türöffner der Name Alessio Montaldi wäre?“

„Nein, keine Ahnung. Und was hättest du für ihn tun wollen?“

„Alles, was er verlangt hätte. Für ihn hätte ich alles getan.“

Giada vernahm den plötzlich rauchigen Ton in Gigis Stimme und auch die leise Verzweiflung. Das wurde ja immer schlimmer. „Er hat dich also abgelehnt. Und du, was hast du verbrochen?“

Wieder zögerte Gigi verdächtig lange. „Ich habe etwas genommen … Ein Familienerbstück, Gids. Und …“ Sie hielt inne und schluckte vernehmlich. Auch Giada hielt den Atem an. Wer weiß, was hier auf mich zukommt. „Er hatte lange danach gefahndet und war erst vorige Woche fündig geworden. Er war besessen, ich glaube, er hatte etwas Großes damit vor. Ich dachte mir, ich hätte einen besseren Stand bei ihm, wenn ich es eine Weile zurückhielte und es ihm dann überreichte.“

Quietschendes Plastik und schmerzende Finger sagten Giada, dass sie den Hörer marterte. „Wann hast du es gestohlen, Gigi?“

„Vor drei Wochen. Ich hatte ihn monatelang wegen meiner Einstellung bearbeitet. Ich dachte, mein Plan wäre der Durchbruch.“

„Pass auf, du gibst es ihm zurück und findest dich mit dem Fehlschlag ab. Du kannst doch bestimmt einen anderen …“

„Kann ich nicht“, unterbrach Gigi.

„Selbstverständlich kannst du. Entschuldige dich und …“

„Ich kann nicht, weil ich es nicht mehr habe!“

„Was soll das jetzt wieder heißen?“

„Ich habe es vorgestern verloren.“

Giada bekam es allmählich mit der Angst zu tun. „Himmel, Gigi.“

„Du musst mir helfen, Gids. Bitte, bitte.“

„Wie denn? Zwischen uns liegt ein halber Kontinent.“

„Aber du kommst doch bald nach Hause, oder?“, fragte Gigi mit bebender Stimme.

„Ja, zu Weihnachten. Mit dir und Mom.“

„Das ist ja noch Wochen hin. Ich brauche deine Hilfe aber sofort. Wenn Alessio merkt, dass ich sein Erbstück verloren habe, gibt es eine Katastrophe. Er ist enorm einflussreich und gnadenlos, Giada, und wie er mit Nachlässigkeit umgeht, ist nicht lustig.“

Jetzt regte sich aber doch Giadas Beschützerinstinkt. „Für machtbesessene Italiener fehlt mir das Verständnis. Sobald ich bei dir bin, rede ich mit ihm und kläre die Angelegenheit.“

Gigi protestierte. „Er ist kein Italiener, sondern Sizilianer, und mich hält er ohnehin für ein Dummchen. Fall mir bitte nicht so in den Rücken.“

Giada schüttelte genervt den Kopf, doch da war auch dieser kleine Funke Furcht. „Genau deshalb solltest du es ihm selbst sagen. Und anschließend gehst du zur Polizei, damit sie es wiederbeschaffen.“

Fast spürte sie, wie ihre Schwester die Mahnungen beiseitewischte. „Ich bin dir wohl völlig egal, was? Dass er mit ein paar Telefonaten meine ganze Karriere zerstören kann oder …“

„Gigi.“

„Hilfst du mir nun oder nicht?“, fauchte ihre Schwester.

Giada hatte das Nein auf der Zunge.

Aber sie wusste ja, wie wichtig ihrer Schwester die berufliche Karriere war. Außerdem hatte Giada diesen Anflug von Panik bei Gigi seit Jahren nicht erlebt – zum letzten Mal bei jener üblen Auseinandersetzung mit Tom. Als ihre Mutter Giada mit einem geradezu hasserfüllten Blick bedacht hatte.

Harte Worte hatten damals die Illusion von Familienleben zerstört, an die ihre Mutter sich klammerte, wobei sie die Geschehnisse direkt vor ihrer Nase ignorierte. Diese schmerzhafte Konfrontation mit der Realität hatte Renata ihr nie verziehen.

„Was soll ich also tun, Gigi?“

Die Antwort kam so schnell, dass sie garantiert lange geplant war. Einerseits war das gut, andererseits nicht. „Verschaff mir etwas Zeit, bis ich das Erbstück wieder aufgetrieben habe.“

„Okay. Gib mir seine Nummer und ich werde …“

„Meine Güte, Gids, glaubst du wirklich, die Sache wäre mit einem simplen Telefongespräch zu erledigen? Dann hätte ich dich doch nicht angerufen.“

„Was dann?“

„Du musst ein paar Tage lang so tun, als wärst du ich, und ihn ablenken“, erklärte Gigi.

„Wie bitte? Auf keinen Fall! Du kannst deinen Fehltritt nicht wiedergutmachen, indem du noch ein Täuschungsmanöver draufsattelst!“

„Ich soll also vor ihn treten, mich schuldig bekennen und auf Gnade hoffen? Dass er mich nicht wegen Diebstahls anzeigt?“ Gigis Verzweiflung war fast mit Händen zu greifen.

„Gigi.“

„Ich habe nun mal keinen Doktorgrad oder einen heißen Top-Management-Job, aber ich kann Probleme lösen.“ Das Lachen klang aufgesetzt. „Für meine Freunde tue ich das ständig. Und nun bitte ich dich um eine Problemlösung, Gids. Er wird dich nicht erkennen, denn du bist nirgends auf sozialen Medien unterwegs. Außerdem weiß kaum jemand, dass ich eine Zwillingsschwester habe. Also noch mal: bitte, bitte!“

Damit traf ihre Schwester Giadas wunden Punkt: ihr Herz. Eine ungute Vorahnung verursachte ihr eine Gänsehaut. Sie kannte ihre Antwort bereits.

„Es kann doch nicht so schwer sein, diese eine Frau zu finden, deren Trinkfestigkeit sogar für Bacchus eine Herausforderung wäre? Haben Sie die Cocktailbars an der französischen Riviera abgesucht?“, knurrte Alessio in den Apparat. Seine Laune näherte sich dem Siedepunkt.

Dabei bildete er sich viel auf seine Gelassenheit ein. Klar, hin und wieder gingen die Emotionen mit ihm durch, aber sich von Zorn, Wut, Enttäuschung beherrschen lassen?

Nein. Nie wieder.

Es gab eine Zeit, da war er der Sklave seiner Gefühle. Aber im Laufe vieler harter Jahre hatte er gelernt, wie vorteilhaft Selbstkontrolle war. Wie er Gegner verunsichern konnte, wenn er keinerlei Regung zeigte. Wie gut das tat. Und wie er damit bei anderen Schwachstellen ausmachen und letztlich triumphieren konnte.

Leider fehlte ihm momentan diese Gelassenheit ganz und gar. Besonders, weil aus dem Hörer nichts als verlegenes Schweigen drang. „Reden Sie, Mann!“

Räuspern. „Ich bitte um Entschuldigung, Signore. Wir haben ihre üblichen Anlaufstellen überwacht und viele andere dazu. Das Ergebnis ist gleich null. In ihren sozialen Netzwerken ist seit einer Woche keine Bewegung und nach dem Abend von vor fünf Tagen war sie nicht in ihrer Wohnung. Meine Leute haben das Apartment durchsucht, ohne den bewussten Gegenstand zu finden.“

„Sie hat also Lunte gerochen und ist abgetaucht?“

„So sieht es aus“, gestand der Mann zerknirscht.

Trotz seiner Verärgerung empfand Alessio Bewunderung für Gigi Parker. Vielleicht hätte er dieses überaus umgängliche Partygirl doch nicht so schnell aussortieren sollen. Das Spezialistenteam, das er auf sie angesetzt hatte, war erstklassig. Nicht seine Elitekräfte – die hatten eine andere wichtige Aufgabe: den letzten Feind seiner Familie aufspüren und ihm die tödliche Falle stellen.

Nach all den Jahren sorgfältiger Planung war nun die Zeit reif. Und das zu einer Jahreszeit, die seine Mutter so geliebt hatte.

Aber diese Gigi hatte er offenbar unterschätzt. Die leichtlebige Lady dachte wohl, sie könnte mit schönen Worten und heißen Blicken bei ihm einen Job ergattern. Bei ihrem Gespräch vor einem Vierteljahr hatte er von ihrem kurzen aschblonden Haar, dem gekonnten Make-up und dem knappen figurbetonten Kleid auf ein karges Innenleben geschlossen. Aber diese Frau hatte ein gewisses Etwas.

Die vorschnelle Meinung hatte Alessio sich in jenem verunglückten fünfzehnminütigen Einstellungsgespräch gebildet. Hätte er sich besser eine Stunde Zeit nehmen sollen?

Jetzt war das unwichtig. Ja, er hatte nur noch an die letzte Etappe seines Kampfs um die Wiederherstellung der Familienehre gedacht. Er hatte die Zügel schleifen lassen. Und da bestahl sie ihn aus einer albernen Laune heraus, weil sie nicht ihren Willen bekam!

Ausgerechnet die Cresta Montaldi, nach der er fast ein Jahrzehnt lang gefahndet hatte, entwendete sie.

Es war unentschuldbar.

Wenn man sich wenigstens auf Massimo verlassen könnte, dann müsste Alessio nicht ständig alles allein erledigen. Doch der einzige Mensch, dem er sich ein Stück weit anvertrauen konnte, war sein Bruder, der Playboy, der sich kein bisschen für den Rachefeldzug interessierte, den Alessio bereits fast sein Leben lang führte.

Er biss die Zähne zusammen und wollte den Mann am Telefon zusammenstauchen, als dieser hinzufügte: „Wir haben einen ihrer Freunde gesprochen. Sie will angeblich in die Schweiz. Genauer, nach Gstaad.“

Das war eine Überraschung. Und verdächtig.

„So, will sie das? Zwei Stunden entfernt von meinem momentanen Aufenthaltsort? Ist sie tatsächlich so dumm?“ Oder so gerissen.

Fordert sie mich heraus?

Es war zwar nicht allgemein bekannt, aber auch kein Geheimnis, wie sehr er an dem mit Rubinen eingefassten Familienwappen hing. Astronomische Summen hatte er für die Wiederbeschaffung ausgelobt, alle wussten: Für ihn war das Erbstück unbezahlbar.

„Das dachten wir uns auch, aber kann man das einfach abtun? Vielleicht sucht sie Kontakt zu Ihrem Bruder.“

Alessio blickte nach oben, als könnte er durch die Wände schauen. In dem Raum über ihm schlief Massimo seinen letzten Rausch aus. Um drei Uhr in der Früh hatte Alessio das Handtuch geworfen, Massimo hatte mit seinen Freunden bis Sonnenaufgang durchgefeiert. Nun war es fast Mittag, doch der junge Mann würde noch ein, zwei Stunden brauchen.

In der Schweiz war Alessio nur, um seinen Bruder nach Sizilien mitzunehmen. Weihnachten im Kreis der Familie war keinem von ihnen ein Bedürfnis, aber dem Andenken ihrer verstorbenen Mutter zuliebe zogen sie es durch.

Nachdem sie aus tragischen Gründen, auf die er keinen Einfluss hatte, viele Jahre getrennt waren, verbrachten sie nun alle wichtigen Feiertage und die Geburtstage miteinander. Das war seit sieben Jahren so.

Wie üblich hatte Massimo gemault. Daraufhin nahm Alessio sich ein ganzes Wochenende frei, für nichts als Skifahren und Party, damit Massimo am Montag brav in den privaten Helikopter zum Flughafen steigen würde.

Mit der Rückkehr nach Sizilien würde Alessio seinen Gegnern signalisieren, dass nun ein neuer Wind wehte, dass Vergeltung in der Luft lag. Dass der Name Montaldi wieder strahlen würde wie zuvor.

„Sie observieren sie seit Wochen, hatte sie Kontakt zu Massimo?“, wollte er wissen.

„Bemerkt haben wir nichts, aber Ihr Bruder ist ansprechbarer als zum Beispiel Sie.“

Das musste Alessio widerstrebend zugeben.

Sein kleiner Bruder erinnerte sich zu gut an die Vergangenheit und überdeckte das mit seiner ausschweifenden Playboy-Existenz. Alessio ließ es mit Besorgnis geschehen, denn er hatte ihrer sterbenden Mutter versprochen, den Kleinen zu beschützen, komme, was wolle.

Und Versprechen hielt man.

Aber sollte Massimo etwas mit dieser Sache zu tun haben, wäre der Weihnachtsfriede gefährdet.

Und sollte Gigi Parker seinen Bruder für ihre Zwecke benutzen wollen – nun, dann musste Alessio doppelt hart gegen diese Frau vorgehen. Schon bei dem Gedanken stieg sein Blutdruck.

Er holte tief Luft. Der kleinen Diebin würde er eine Lektion erteilen. Das wäre sein Weihnachtsgeschenk an sich selbst.

„Gehen Sie dem nach und berichten Sie mir sofort. Ich verlasse mich auf Sie.“ Wer Ergebnisse erwartete, musste Führungsstärke zeigen.

„Sì, signore“, war die eilfertige Antwort.

Er legte auf, entfernte sich vom Schreibtisch und trat ans Fenster. Das Luxus-Chalet besaß er seit Jahren, aber er selbst nutzte es nur selten.

Obwohl er das Klima in Sizilien vorzog, übte die Winterlandschaft in Gris-Montana einen unwiderstehlichen Reiz aus. Vor wenigen Jahren noch war es ein verschlafener Ort, jetzt aber war er fast ebenso angesagt wie Gstaad und Montreux. Alessio setzte sich dafür ein, dass der ursprüngliche Charme erhalten blieb, und er kam immer wieder gern für ein Wochenende her.

Doch dies war nicht der Moment für nostalgische Betrachtungen. Wichtige Aufgaben warteten. Zum Beispiel mussten die Feinde der Familie Montaldi zur Räson gebracht werden. Dafür brauchte er das Erbstück, mit dem Gigi Parker auf und davon gegangen war.

Und das möglichst noch vor Weihnachten.

Keine drei Stunden später hatte Alessio ein erstes Ergebnis. Seine Leute hatten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und lieferten die Information: Gigi Parker war tatsächlich in Gstaad.

Sie hatte nicht einmal versucht, ihre Spuren zu verwischen. Ein Grund mehr, sie nicht als Mitarbeiterin in Betracht zu ziehen, denn ihm bedeutete Diskretion viel.

Außer wenn Öffentlichkeit in seinem Interesse lag. So wie kürzlich bei dem Präsidenten von Cardosia. Alessio hatte seinem Freund Severino Valente geholfen, das korrupte Staatsoberhaupt auffliegen zu lassen, und damit gleichzeitig seinen Gegnern signalisiert, wie weit sein Einfluss reichte.

Aber das war eine Ausnahme.

Mit Gigi Parkers schillernder Persönlichkeit hatte er nichts dergleichen vor. Er wollte lediglich sein Eigentum zurückhaben.

Er griff nach dem Schlüssel zu dem schnellsten Wagen in seinem Fuhrpark – den Massimo vermutlich testen würde, um ihn auf seinen Weihnachtswunschzettel zu setzen – und trat hinaus in den geräumigen Flur des Chalets. 

Massimo kam die Treppe heruntergetappt, bekleidet mit nichts als einer schwarzen Jogginghose. Er strich sich das etwas zu lange Haar aus dem Gesicht und blickte fragend auf Alessios Mantel und Handschuhe.

„Du gehst? Nachdem du mich aus dem Bett geworfen hast?“, beklagte er sich.

„Ich habe etwas in Gstaad zu erledigen, ich bin bald zurück.“

Massimo verdrehte die Augen. „Klar, sogar in einem gottverlassenen Alpendorf musst du Dinge erledigen. Gönn dir doch mal eine Pause!“

„Nein.“ Die barsche Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Alessios Blick wurde ernst. „Ich gebe erst auf, wenn ich mein Versprechen gegenüber Matri eingelöst habe.“

Massimo blickte zu Boden. Er nickte knapp und steuerte auf die Küche zu, vermutlich auf der Suche nach einem Anti-Kater-Bier. „Bis später. Vielleicht treffe ich mich mit Freunden zu einem späten Lunch“, warf er seinem Bruder über die Schulter zu.

Gereizt stieß Alessio die Luft aus. Schließlich konnte er seinen Bruder nicht einsperren. Massimo war mit seinen dreißig Jahren ein erwachsener Mann – ein orientierungsloser zwar, aber über die Feiertage würde Alessio ein ernstes Wörtchen mit ihm reden.

„Ciao.“ Mit der Hand auf der Türklinke zögerte er. „Fratello?

Massimo drehte sich halb um. „?“

„Ich treffe mich mit Gigi Parker. Du kennst sie?“

Massimo zog die Stirn kraus. „Nein, sollte ich?“

Alessio war stolz auf seine Menschenkenntnis: Dieses Leugnen war echt. „Nein. Arrivederci.

Der Lamborghini schluckte die Meilen zwischen Gris-Montana und Gstaad in knapp zwei Stunden. Inzwischen gab es neue Nachrichten. Obgleich es noch Nachmittag war, hatte sein Team Gigi in einer angesagten Sportsbar ausgemacht. Das Lokal nannte sich exklusiv, doch das war längst vorbei, wie Alessio wusste. Finanzielle Probleme zwangen den Inhaber, jegliche Sorte Gäste willkommen zu heißen.

Die Missbilligung stand Alessio ins Gesicht geschrieben, als er dem Parkservice den Schlüssel gab und die spärlich beleuchtete Bar betrat. Er zog Blicke und geflüsterte Bemerkungen auf sich, während er auf den sogenannten VIP-Bereich zusteuerte. Immerhin würde das Lokal über die Feiertage gut besucht sein, sobald publik war, dass Alessio Montaldi hier verkehrte.

Buon Natale a te.

In der VIP-Lounge lärmte bereits eine Après-Ski-Gesellschaft bei harten Getränken. In den wuchtigen Sesseln hing Partyvolk und stellte seine Trinkfestigkeit unter Beweis, umschwirrt von leicht bekleideten weiblichen Bedienungen.

Die Gruppe, die Alessios Aufmerksamkeit fesselte, war die größte.

Vor allem diese Frau, die eine Champagnerflasche schwenkte, als wäre sie die Freiheitsstatue, die andere Hand kokett auf die Hüfte gestützt.

Ein geschickt platziertes Spotlight beleuchtete ihr langes blondes Haar mit den gelockten Strähnen, das ihr normalerweise über den halben Rücken reichte. Jetzt legte sie den Kopf in den Nacken und die Spitzen umspielten ihren Po. Alessios Blick ging zu den Kurven, die sich unter dem silbrig glänzenden Outfit abzeichneten.

Das Kleid endete knapp unter den schwingenden Hüften mit einem Saum aus zarten Federn, die im Takt mit der heißen Musik wehten.

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