Earl sucht reiche Erbin fürs Leben (Historical MyLady 601)

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Nur ein Wunder kann Lord Daniel Wylde, den sechsten Earl of Montcliffe, vor dem verhängnisvollen Ruin noch retten. Oder die Ehe mit der sehr vermögenden bürgerlichen Amethyst Cameron! Von Liebe ist bei diesem pikanten Arrangement mit der unscheinbaren Dame natürlich keine Rede. Doch ein überraschend heißer Kuss verändert Daniels Gefühle grundlegend! Wie sehr er sein stolzes Herz bereits an seine junge Gattin verloren hat, erkennt er, als ein Geheimnis aus Amethysts Vergangenheit einen dunklen Schatten auf ihre gemeinsame Zukunft wirft …
  • Erscheinungstag 27.05.2020
  • Bandnummer 601
  • ISBN / Artikelnummer 9783963690884
  • Laufzeit 08:27:58
  • Auflagenart ungekürzte Lesung
  • Audio Format mp3-Download
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Leseprobe

1. KAPITEL

London, Juni 1810

Ihr Vater war ein Pferdenarr, aber ganz besonders stolz war er auf seine beiden Grauschimmel, die beinahe identisch aussahen.

„Ich bezweifle, dass du jemals wieder ein so schönes Paar finden wirst, Papa, falls du wirklich vorhast, sie zu verkaufen.“ Amethyst versuchte, nicht allzu besorgt zu klingen, als die Kutsche vor dem Gebäude des Auktionshauses Tattersall in der Nähe vom Hyde Park Corner anhielt. Die Dinge veränderten sich auf eine Weise, die ihr unvernünftig erschien, und das gefiel ihr nicht.

„Nun, darin liegt das Problem, meine Liebe“, entgegnete Robert Cameron. „Ich hatte das Beste, und jetzt habe ich keine Wünsche mehr. Nimm zum Beispiel deine Mutter. Eine wie sie habe ich nie wieder gefunden. Ich würde nicht einmal danach suchen.“

Amethyst lächelte. Ihre Eltern hatten aus Liebe geheiratet, und diese Liebe hatte gehalten bis zu dem Tag, an dem ihre Mutter nach einer unbekannten kurzen Krankheit gestorben war, sieben Stunden vor ihrem zweiunddreißigsten Geburtstag. Obwohl sie damals erst acht Jahre alt gewesen war, erinnerte sich Amethyst genau an diesen Tag, das leise Flüstern und die Tränen, Sturmwolken, die über die Themse zogen.

„Ich finde nicht, dass du dich von den Grauschimmeln trennen solltest, Papa. Du kannst es dir mühelos leisten, sie zu behalten. Du könntest dir zehnmal so viel leisten, bei Tattersall werden so viele Hengste und Stuten angeboten, wie du willst.“ Sie blickte über die Straße hinweg in Richtung des Auktionshauses am Hyde Park Corner und wünschte, ihr Vater würde den Kutscher anweisen, nach Hause zu fahren, wo sie bequem über diese Angelegenheit sprechen könnten.

Es sah ihm gar nicht ähnlich, so schnell eine Entscheidung zu treffen, und sie hoffte, er würde es sich überlegen und seine liebsten Grauschimmel nicht länger zum Verkauf anbieten.

Doch als ihr Vater aus der Kutsche stieg, konnte sie nicht überhören, wie atemlos er war, selbst eine so kleine Bewegung fiel ihm schwer. Das Unbehagen, das sie während der vergangenen Wochen empfunden hatte, wurde schlimmer. Doch dann erregte ein Mann, der aus einer Chaise etwas weiter vorn ausstieg, ihre Aufmerksamkeit.

Nach dem schrecklichen Debakel ihrer Ehe hatte Amethyst das andere Geschlecht wenig beachtet, Scham und Schuldgefühle bewirkten, dass Leidenschaft ihr wenig erstrebenswert erschien. Aber dieser Mann faszinierte sie. Er war hoch gewachsen, und die kraftvolle Gestalt unter dem feinen Tuchmantel deutete darauf hin, dass er nicht, wie im ton üblich, seine Tage mit Nichtstun verbrachte. Er wirkte wild und gefährlich.

Seine Kleidung kennzeichnete ihn als Gentleman, aber sein dunkles Haar war länger, als die meisten anderen Männer es trugen, es fiel ihm über den Kragen, und das weiße Leinen des Hemdes betonte noch die Schwärze. Eine beunruhigende, wilde Schönheit. Sie sah, wie andere die Köpfe drehten, als er vorüberging, und fragte sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, so sichtbar so sein, so schrecklich aufzufallen.

Bevor er den Wagenschlag schloss, sagte ihr Vater: „Elliott soll mir die Kutsche gegen zwei Uhr wieder herschicken, meine Liebe, ich bin sicher, dass mir das genügend Zeit lässt.“ Die Worte schreckten sie aus ihren Gedanken, und sie löste den Blick von dem Fremden in der Hoffnung, dass ihr Vater ihr Interesse nicht bemerkt hatte. „Aber achte darauf, dass du dich ausruhst, denn du hast in der letzten Zeit müde ausgesehen.“

Er gab dem Kutscher ein Zeichen loszufahren, ehe er sich den Hut aufsetzte. Sein neuer Gehrock saß nicht mehr so gut an den Schultern, die der Stoff vor einem Monat noch eng umspannt hatte.

Als die Kutsche sich langsam in Richtung Grosvenor Square in Bewegung setzte, fiel ihr Blick zufällig auf ihr Spiegelbild im Fenster. Sie sah älter aus als ihre sechsundzwanzig Jahre und irgendwie niedergedrückt. Vom Leben und vom Kummer. Was ihr Vater unternahm, beunruhigte sie. Nachdem er vor einer Woche in London seinen Arzt besucht hatte, hatte er seine Pferde umgehend zu Tattersalls gebracht und behauptet, er hätte keine Zeit für die Tiere, die ihm einst so gefallen hatten.

Die Unruhe verursachte ihr eine Gänsehaut, und ihr Herz schlug schneller, als sie ihren Vater auf den Mann zugehen sah, den sie beobachtet hatte. Kannte er ihn? Worüber mochten sie reden? Amethyst reckte den Hals, um die beiden besser sehen zu können, und wollte sich gerade abwenden, als der Fremde aufblickte und ihre Blicke sich begegneten.

Grün. Seine Augen waren grün, und Hochmut stand darin. Erschrocken unterbrach sie den Kontakt und fragte sich, warum ihr Herz jetzt doppelt so schnell schlug.

„Lächerlich“, murmelte sie und achtete darauf, nicht wieder in seine Richtung zu blicken.

Lord Daniel Wylde, sechster Earl of Montcliffe, kam recht regelmäßig zu Tattersall, lediglich um zu sehen, was man im Angebot hatte.

„Sie sind ein Mann, der sich mit Pferden auskennt, nicht wahr?“ Ein älterer Mann sprach ihn an, ohne sich die Zeit für eine Vorstellung oder eine angemessene Anrede zu nehmen, als sie nebeneinander die Stufen hinaufschritten. „Meine Grauschimmel stehen zum Verkauf, und ich will, dass sie zu jemandem kommen, der sich gut um sie kümmert.“

Sein Akzent verriet, dass er aus dem Osten Londons kam, wo die ärmeren Stadtviertel in der Nähe der Themse lagen. Ein Mann, der möglicherweise durch den Handel mit Waren und Dienstleistungen reich geworden war, denn sein Rock war aus feinem Tuch, und seine Stiefel waren aus bestem Leder. Am Fenster der eleganten Kutsche, aus der der Mann ausgestiegen war, hatte Daniel eine junge Frau gesehen, deren Miene Besorgnis verriet. Er schob den Gedanken daran beiseite, denn sein Interesse war durch die Erwähnung der Grauschimmel geweckt. Diese prachtvollen Tiere waren der einzige Grund, warum er an diesem Morgen überhaupt hier war, nur um zu sehen, wer das Glück hatte, sie zu bekommen.

Der Hof bei Tattersall, auf dem die Pferde vorgeführt wurden, war überfüllt. Solide Säulen stützten breite Vordächer und boten einer großen Anzahl von Tieren und Kutschen Platz.

„Ihr Gespann steht heute nicht zum Verkauf?“ Daniel sah keine Spur von den Grauschimmeln, und es war üblich, dass die Tiere, die versteigert wurden, ausgestellt waren, vor allem, wenn es sich um so edle Pferde handelte.

„Ich bat Mr. Tattersall um ein paar Tage Zeit, um über die Dinge nachdenken zu können“, gab der andere Mann zurück. Die Haut seiner Wangen war fahl, sein Blick jedoch scharf. „Um mir etwas Zeit zu geben, Sie verstehen, falls ich meine Meinung ändern sollte. Das Vorrecht der Älteren“, fügte er hinzu, und sein breites Lächeln enthüllte eine Reihe schiefer Zähne.

Daniel wusste, er sollte kehrtmachen und von diesem Mann weggehen, der die unkultivierte Sprache und die ungeschliffenen Manieren der Kaufleute zeigte. Aber etwas veranlasste ihn zu bleiben. Die Art von Verzweiflung, die man in den Augen eines Menschen sieht, der beim Glücksspiel gegen das Pech ankämpft, so dachte er später.

„Mein Name ist Robert Cameron. Holzhändler.“ In dieser Vorstellung lag weder Scham noch Zögern.

„Daniel Wylde.“ Ihm blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls seinen Namen zu nennen, allerdings ließ er den Titel weg.

Das erledigte der Kaufmann für ihn. „Sie sind der Earl of Montcliffe? Ich sah das Wappen auf Ihrer Kutsche draußen, und Mr. Tattersall selbst hat mich letzte Woche auf Sie hingewiesen als einen Mann, der sich mit Pferden auskennt.“

„Das tue ich in der Tat.“ Nicht einmal der kühle Tonfall dieser Antwort konnte Cameron aufhalten.

„Meine Grauschimmel stehen in den Stallungen, Mylord. Würden Sie mir die Ehre erweisen und sie sich ansehen?“

„Ich habe nicht vor, etwas zu kaufen.“ Hölle und Teufel, das ist nicht einmal gelogen, dachte er und ballte die Hände mit dem Zorn zu Fäusten, an den er sich beinahe gewöhnt hatte.

„Aber Sie sind bekannt dafür, sich mit Pferden auszukennen, und dessen möchte ich mich versichern. Ich habe nur auf eine Gelegenheit gehofft, die Meinung eines Experten zu hören.“

Sie hatten die Stallungen erreicht und betraten das Gebäude. Hier war es dunkler und weitaus ruhiger als auf dem belebten Hof. Plötzlich stolperte der alte Mann, und Daniel stützte ihn, ehe er hinfallen konnte.

„Vielen Dank, Mylord.“ Camerons Stimme klang schwach, und der Arm unter dem Gehrock aus bester Wolle fühlte sich erschreckend dünn an. Das überraschte Daniel. Dieser Mann war nicht das, was er zu sein schien, und er fragte sich, was er wohl verbergen mochte.

„Hier sind sie. Maisie und Mick. Nach meinen Eltern, wissen Sie, obwohl sie hier, soweit ich weiß, unter anderen Namen gelistet sein werden. Würdevolle Namen bringen mehr Geld, hat man mir gesagt, und so will Mr. Tattersall sie nach griechischen Göttern benennen.“

Dass die Grauschimmel von edelster Abstammung waren, erkannte Daniel sofort.

„Mr. Tattersall ist ein gerissener Auktionator, Sie sollten also vielleicht auf das hören, was er sagt, wenn Sie sie verkaufen wollen. Ich weiß, dass mein Bruder hier immer Wucherpreise gezahlt hat.“

Der alte Mann hob seine gichtigen Finger an die Stirn eines der Pferde, und es war leicht zu erkennen, dass es nicht an Zuneigung mangelte zwischen dem Tier und seinem Herrn, als das Pferd den Kopf an ihn schmiegte.

„Maisie findet jede Veränderung schwierig.“ Der Klang seiner Stimme verriet, dass es Mr. Cameron nicht anders ging.

„Warum verkaufen Sie sie dann? Wenn Sie mit ihnen züchten, können Sie einen respektablen Gewinn machen, ohne allzu viel Arbeit hineinzustecken. Ein paar Jahre, und Sie hätten das Doppelte von dem, was ein Verkauf jetzt einbringen würde.“

„Zeit ist etwas, das bei mir gerade etwas knapp ist, Mylord.“ Die Antwort klang ernst. „Aber Sie hören sich an wie meine Tochter.“

„Die Frau in der Kutsche?“ Warum zum Teufel hatte er das gesagt? Er wünschte, er könnte diese Frage zurücknehmen.

„Mein schönes Schmuckstück.“

Daniel erstarrte. In seinen Kreisen sprach man über seine Nachkommen nicht in solch blumigen Worten.

„Sind Sie verheiratet, Mylord?“ Noch eine Unverschämtheit. Redete Mr. Robert Cameron, ohne nachzudenken?

„Nein. War zu sehr damit beschäftigt, England zu retten.“ Er wusste, er sollte ein abweisenderes Verhalten an den Tag legen, aber dieser Mann hatte etwas Einnehmendes in seiner direkten Art. Er erinnerte sich an einen Soldaten, den er einst gekannt hatte. Ein Mann, der mit ihm zusammen gedient und ihm das Leben gerettet hatte, ehe er sein eigenes verlor in den Hügeln von Pensaquedo. Er schüttelte die Erinnerung ab. In der letzten Zeit schienen Gefühle ihm häufig im Nacken zu sitzen und auf alles zu lauern, was er sagte und tat, vermutlich eine Folge der Schwierigkeiten auf seinem Landsitz Montcliffe Manor und der verfluchten Schulden, die sich in den Jahren durch die Unvernunft seines Vaters und die hohen Spieleinsätze seines Bruders angesammelt hatten.

Den anderen schien seine Antwort erleichtert zu haben.

„Eltern würden fast alles tun, damit ihr Kind glücklich wird, wissen Sie?“

„In der Tat. Ich denke, so sollte es wohl sein.“

„Ich würde meine Pferde ohne zu zögern einem Ehemann geben, der die Gabe hat, mein Mädchen zum Lächeln zu bringen.“

„Ein großzügiges Geschenk.“ Wohin soll dieses Gespräch führen? fragte sich Daniel, während sich ein Gefühl von Besorgnis auszubreiten begann.

„Ich war selbst zwölf lange und glückliche Jahre verheiratet, ehe meine Frau starb. Viel zu früh, in der Blüte ihres Lebens, und für eine Weile …“ Er unterbrach sich, holte ein großes weißes Taschentuch hervor, mit dem er sich das Gesicht abwischte. „Eine Weile dachte ich daran, ihr zu folgen. Die Welt ist ein einsamer Ort ohne die Liebe einer guten Frau, und am schlimmsten waren die Nächte.“ Jetzt war der Ausdruck in Camerons Augen eher schelmisch als trauervoll.

Mittlerweile hatte sich der Hengst genähert, um ebenfalls seinen Anteil an Aufmerksamkeit zu bekommen, und ein so edles Tier hatte Daniel bis dahin selten gesehen: Schlank und muskulös, war dieses Pferd für Ausdauer gemacht. Es drehte den Kopf und sah ihn mit klugen Augen an. Besäße er das Geld, er hätte es sofort an Ort und Stelle hingelegt, denn er wusste ohne jeden Zweifel, dass Nachwuchs von diesen beiden schnell auf jedem Markt der Welt ein Vermögen wert sein würde.

„Wo haben Sie sie gekauft?“

„In Spanien. In der Nähe von Bilbao. Ich hatte von ihnen gehört und war hingefahren, um sie mir anzusehen. Es war Liebe auf den ersten Blick, und vor drei Jahren habe ich sie hierhergebracht.“

„Verkaufen Sie sie nicht zu billig.“

„Sie sind nicht interessiert, sie selbst zu kaufen?“

Das wurde ohne jeden Anflug von Unhöflichkeit gesagt. Es war nur eine beiläufige Bemerkung. Natürlich glaubte Cameron, die Truhen des Earl of Montcliffe seien noch immer gefüllt. Jeder dachte das.

Daniel schüttelte den Kopf. Hätte er das Geld beschaffen können, hätte er sofort auf die beiden geboten, aber diese Art von Leben war vorbei, und das schon eine ganze Weile. Er bemerkte einige andere Kunden, die vorbeikamen, um einen Blick auf die Grauschimmel zu werfen. Doch Robert Cameron schien nicht im Geringsten daran interessiert zu sein, ein Loblied auf seine Pferde anzustimmen, was überraschend war in Anbetracht der Tatsache, dass er bis eben sehr direkt vorgegangen war.

Als immer mehr Menschen kamen, verabschiedete Daniel sich mit einer knappen Verbeugung von dem Holzhändler und bahnte sich den Weg nach draußen.

Eine Dreiviertelstunde später sank Daniel erleichtert auf die bequemen Polster seiner Kutsche. Sein rechtes Bein schmerzte heute mehr als in den Monaten zuvor, und er wusste, die Kugel würde bald entfernt werden müssen. Sein Arzt hatte ihm das immer und immer wieder gesagt, aber die Sorge, ein Krüppel zu werden, war noch größer als der Schmerz, der ihn jedes Mal, wenn er das Bein belastete, durchzuckte.

Daniel warf den Hut auf den Sitz, lehnte sich zurück und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Es war viel zu lang, und heute Abend würde er es nach dem Bad schneiden. Einst hatte sein Kammerdiener diese Aufgabe erledigt, aber Daniel hatte ihn entlassen, wie er es auch mit dem größten Teil des Personals in seinem Stadthaus und auf Montcliffe hatte tun müssen.

Wieder einmal verfluchte er Nigel, wie er das jetzt fast jeden Tag tat. Es war ihm unverständlich, wie wenig sich sein Bruder um das Familienerbe gekümmert hatte. Über die Toten sollte man nichts Schlechtes sagen, das wusste er, aber es war schwer, einen freundlichen Gedanken zu finden, wenn sich ständig neue Schulden zu den alten gesellten.

Eine plötzliche Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit, und er konzentrierte sich auf eine Gruppe in einer engen Straße, nicht weit vom Hyde Park Corner. Vier oder fünf Männer hatten einen anderen umringt, und entsetzt stellte Daniel fest, dass es sich bei dem Mann in der Mitte um den Holzhändler Robert Cameron handelte. Er klopfte an das Dach der Kutsche, stieß die Tür auf und sprang hinaus, kaum dass der Wagen gehalten hatte. Mit zwanzig Schritten war er inmitten des Tumults und sah, dass die Nase des alten Mannes blutete.

„Lasst ihn los.“ Er hob seinen Spazierstock und schlug damit hart auf die Hand des Mannes, der ihm am nächsten stand, als der Kerl in seine Jackentasche griff. Ein Schmerzensschrei ertönte, und ein Messer fiel klappernd auf das Pflaster, wo es sich um seine eigene Achse drehte.

„Sonst noch jemand?“ Daniel wusste, dass er gewonnen hatte, als die Burschen sich zurückzogen, wobei sie ihm Beschimpfungen zuriefen, jedoch nichts unternahmen. Sie waren verschwunden, ehe er bis zehn zählen konnte, und dann herrschte Stille in der Gasse.

Cameron hatte sich vorgebeugt, als litte er Schmerzen, und presste den rechten Arm an seine Brust.

„Was genau ist verletzt?“

„Mein … Stolz.“ Als er sich aufrichtete, sah Daniel, dass der Ältere das Gesicht verzog.

„Kennen Sie die Kerle?“

Der ältere Mann nickte. „Sie wollten Geld von mir.“

„Warum?“

„Mein Geschäft ist lukrativ, und sie wollen davon ein Stück abhaben. Einer von ihnen hat für mich im Lager gearbeitet, bis ich ihn gefeuert habe, weil er gestohlen hat, und ich nehme an, er hegt einen Groll gegen mich.“ Mit einem Taschentuch tupfte er sich die Nase. „Wären Sie nicht gekommen …“

„Ich bringe Sie nach Hause, wenn Sie mir sagen, wo Sie wohnen.“

Als Cameron widersprechen wollte, rief Daniel seinen Kutscher herbei, damit er den Mann stützte, und zehn Minuten später hielt der Wagen vor einem großen Stadthaus am Grosvenor Square.

Offenbar kein kleines Geld, dachte Daniel, als er Cameron beim Aussteigen half. Beide bemerkten den Blutfleck auf dem Ledersitz gleichzeitig.

„Wenn Sie einen Augenblick warten, dann bezahle ich Ihnen die Kosten für die Reinigung.“

„Das ist nicht nötig.“

Cameron stützte sich jetzt schwer auf ihn, und Daniel spürte, wie der Schock allmählich einsetzte und der Mann zu zittern begann. Als sie sich dem Portal näherten, hörten sie, wie jemand schnell herbeilief. Die Tür wurde aufgerissen.

„Bist du verletzt?“ Die Stimme der Frau, die auf der Schwelle erschien, klang besorgt. Es war dieselbe Frau, die er in der Kutsche gesehen hatte, doch jetzt zeichnete Zorn ihr Gesicht. Cameron hatte gesagt, sie sei seine Tochter, allerdings sah sie ihm überhaupt nicht ähnlich.

„Was um alles in der Welt ist passiert?“ Sie war jetzt neben ihnen und zerrte ihren Vater weg. Daniel spürte, wie sie mit einem Fingernagel über sein Handgelenk kratzte. Falls sie es bemerkt hatte, so zeigte sie das nicht, sie half nur ihrem Vater auf das Sofa, das an einer Seitenwand der weitläufigen Eingangshalle stand.

„Setz dich. Deine Lippen sind ganz blau.“ Sie selbst hatte die Lippen vor Unmut zusammengepresst, als sie ihn aus dunklen Augen fragend ansah. „Wer hat das getan, Sir?“

„Eine Gruppe von Schlägern hat ihm nicht weit von Tattersall aufgelauert.“

„Du hast nicht auf die Kutsche gewartet, Papa? Du hast gesagt, sie soll um zwei Uhr wieder vorfahren.“

„Ich hatte im Auktionshaus alles erledigt.“

„Du hast die Pferde verkauft?“ In ihrer Stimme lag jetzt ein neuer scharfer Unterton, Missbilligung und Ärger. Himmel, diese Frau war eine Furie, aber da sie einander noch nicht vorgestellt waren, unterdrückte Daniel jede Bemerkung.

Robert Cameron schüttelte den Kopf und sah mit jeder Minute schlechter aus. „Der Earl of Montcliffe hat mir geholfen und mich nach Hause gebracht. Lord Montcliffe, darf ich Ihnen meine Tochter vorstellen, Amethyst Amelia Cameron.“

Amethyst? Sein Schmuckstück? Dieser Name passte ganz und gar nicht zu ihr mit ihren dunklen Augen und dem wütenden Zug um den Mund. Das glanzlose braune Haar hatte sie zu einem höchst unkleidsamen Knoten gewunden.

Als könnte sie seine Gedanken lesen, wurde ihre Miene immer ärgerlicher, und sie nahm die Vorstellung kaum zur Kenntnis. Ihre Kleidung war einfach und schmucklos. Die Art von Kleid, die man zu einer Beerdigung tragen würde, der dunkle Stoff ließ ihre Haut fahl wirken und betonte die Ringe unter ihren Augen.

Sie war keine Schönheit, aber sie war auch nicht unansehnlich. Den Blick hielt sie jetzt gesenkt, trotzdem bemerkte er ihren plötzlich aufflackernden Zorn und stellte überrascht fest, dass sie errötete, obwohl sie sich sofort abwandte und nach dem Butler läutete, damit er einen Arzt holte.

Ruhig und pragmatisch, abgesehen von den noch immer geröteten Wangen, die sie verletzlich wirken ließen. Gern hätte er die Hand auf ihren Arm gelegt und ihr gesagt – ja, was eigentlich? Er schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf ihren Vater, dessen Blick auf die Tochter gerichtet blieb. Er wirkte nachdenklich.

„Ich hoffe, Sie werden sich erholen, und es bleiben keine Folgen, Sir“, sagte Daniel. „Wenn Sie diesen Angriff anzeigen wollen und einen Zeugen benötigen, so können Sie gern auf mich zurückkommen.“

Er holte eine Karte aus einem Ledermäppchen, das er in der Tasche trug, und reichte es weiter.

„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Mylord. Ich weiß das sehr zu schätzen.“

Daniel nahm den Dank mit einem Nicken zur Kenntnis und wandte sich zum Gehen, als die Tochter, nachdem sie sich an einer Kommode am anderen Ende des Raumes zu schaffen gemacht hatte, mit einem Packen Banknoten auf ihn zukam.

„Ich hoffe, das zeigt Ihnen, wie dankbar wir sind.“ Ihre Stimme klang nun nicht mehr schrill, aber Daniel sah nur die Beleidigung, die in dieser Form der Bezahlung lag.

Ohne ein weiteres Wort machte er kehrt und ging hinaus, während der Butler sich beeilte, um ihm die Tür aufhalten zu können.

„Vielleicht habe ich ihn beleidigt, Papa, als ich ihm eine Entschädigung für seine Mühen anbot?“ Amethyst betrachtete das nicht unbeträchtliche Bündel Scheine in ihrer Hand. Jeder andere aus ihrem Bekanntenkreis hätte das Geld genommen, zusammen mit dem Dank, der damit verbunden war, nicht so der Earl of Montcliffe.

Sie war selbst irritiert, weil sich diese Begegnung so unglücklich gestaltet hatte, aber sie war so überrascht gewesen, den Mann, den sie bei Tattersall gesehen hatte, auf einmal in ihrem Stadthaus zu treffen. Sie wusste, dass Lord Montcliffe ihre Verlegenheit bemerkt hatte, und sie schalt sich selbst aus, weil sie überhaupt daran gedacht hatte, ihm für seine ehrenhafte Tat Geld anzubieten.

Vermutlich nahm eine solche Belohnung der Tat ihren Wert, indem sie sie auf kaltes Bargeld reduzierte. Sie hatte gehört, dass man im ton überhaupt nur selten Geld bei sich hatte, die schmutzige Arbeit des Handelns und Kaufens wurde stattdessen den Bediensteten überlassen, die die Herrschaft begleiteten.

Händler und Kaufleute. Nicht einmal mit einem königlichen Betrag, der mit harter Arbeit, Glück und riskanten Unternehmungen erlangt worden war, konnten die Camerons von den höheren Klassen der Gesellschaft akzeptiert werden.

Nun, ihr sollte das egal sein. Zweifellos würde Lord Montcliffe über seine Begegnung mit ihnen während seiner Heimfahrt in der Kutsche nachdenken, ehe er seinen Freunden in irgendeinem exklusiven Club in den besseren Vierteln der Stadt die Geschichte von ihrem ungeschickten Versuch, ihn zu entschädigen, erzählte. Sie war so froh, dass er fort war.

„Du musst den Konstablern von diesem Angriff berichten, Papa. Du kannst nicht einfach so tun, als würde diese Angelegenheit sich in Luft auflösen.“

„Du meinst, ich sollte sie bezahlen?“ Zum ersten Mal in ihrem Leben hörte Amethyst im Tonfall ihres Vaters vollkommene Unsicherheit, und das gefiel ihr gar nicht.

„Nein, natürlich nicht. Wenn du einmal zahlst, werden sie uns ewig verfolgen. Das verbrecherische Tun dieser Leute muss im Keim erstickt werden.“

Ihr Vater lachte. „Manchmal, Amethyst, bist du deiner Mutter so ähnlich, dass es mir die Tränen in die Augen treibt.“ Er holte tief Luft. „Aber wenn Susannah hier wäre, dann würde sie, so glaube ich, mit mir schimpfen, weil ich dich so sehr in das Geschäft hineingezogen habe, dass du vergessen hast zu leben.“ Auf dem Taschentuch, das er sich an die Nase presste, zeigte sich frisches Blut, und sie hoffte, dass der Arzt sich beeilte. „Ein Mann wie Lord Montcliffe würde dich wieder zum Lächeln bringen.“

„Ich bin glücklich so, wie ich bin, Papa, und da Lord Montcliffe vermutlich das Herz jeder Frau in ganz London zufliegt, wird er kaum an meinem interessiert sein.“

Das Glitzern in seinen Augen war besorgniserregend, denn Amethyst kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, was das bedeutete.

Nachdem der Arzt sich um ihren Vater gekümmert hatte, ging Amethyst zu den Stallungen hinter dem Haus, die groß genug waren, um zahlreichen Pferden Platz zu bieten.

Ralph Moore, der Stallmeister, war gerade damit fertig, Midnight zu striegeln, einen großen schwarzen Hengst, den ihr Vater im Jahr zuvor gekauft hatte.

„Es ist ein trauriger Tag, wenn unsere schönsten Tiere bei Tattersall zum Kauf angeboten werden, Miss Cameron. Ich weiß, es steht mir nicht zu, irgendetwas zu kritisieren, was Ihr Vater tut, und er war stets ein freundlicher und vernünftiger Brotherr, aber mit etwas Geduld und ein wenig Glück könnten diese Grauschimmel der Anfang einer Zucht sein, wie England sie noch nicht gesehen hat. Darüber habe ich mit ihm gesprochen, doch er will über diesen Vorschlag nicht einmal mehr nachdenken.“

Diese Worte ließen Amethyst aufhorchen. Warum wollte ihr Vater plötzlich auf das Vergnügen verzichten, mit seinen Rassepferden zu züchten, etwas, von dem er immer mit so viel Vorfreude und Begeisterung gesprochen hatte?

An diesem Abend fühlte sie sich rastlos, und immer wieder dachte Amethyst an die gefährliche Schönheit Lord Montcliffes. Sie wünschte, sie wäre nicht so albern errötet, als er sie angesehen hatte. Sie schämte sich, und ihr wurde heiß, sodass ihre Kopfhaut zu jucken begann. Schnell nahm sie die Perücke ab, schüttelte ihre kurzen Locken und genoss das Gefühl von Freiheit.

Ihr Haar wurde endlich wieder länger. Schon fast fünfzehn Zentimeter. Lockiger, als es jemals gewesen war, und von hellerer Farbe. Bald schon würde sie auf das Haarteil verzichten können.

Wäre sie in Dunstan Hall auf dem Lande gewesen, hätte sie eines der Pferde gesattelt und wäre zu den Hügeln hinter dem Haus geritten. Hier in London fiel es ihr zunehmend schwerer, sich an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten anzupassen, und sie fühlte sich eingeengt und angespannt.

Ein Geräusch veranlasste sie dazu, sich umzudrehen.

„Ich wusste, dass du hier sein musstest, als ich dich nirgends finden konnte.“

Ihr Vater trat zu ihr neben Midnights Box. Ralph Moore hatte kurz zuvor sein Zimmer über den Stallungen aufgesucht, sodass sie allein waren. Das linke Auge ihres Vaters war dunkelblau umrandet, und seine Nase war geschwollen.

„Ich dachte, du würdest nach einem so schrecklichen Tag früh schlafen gehen“, sagte sie.

„Schlaf zu finden wird schwieriger, je weiter die Jahre voranschreiten.“ Sein Blick fiel auf ihr Haar. „Es ist schön, dich ohne die schreckliche Perücke zu sehen, Liebes, denn deine Haut scheint ohne sie eine viel schönere Farbe zu haben.“

Amethyst betrachtete kopfschüttelnd das braune Haarteil, das sie in der Hand hielt. „Ich hätte vermutlich eine neue bestellen sollen, aber das schien mir so verschwenderisch in Anbetracht der kurzen Zeit, die ich sie noch brauchen werde.“

„Nun, es ist schön, dich glücklicher zu sehen, meine Liebe. Vielleicht hat dir das Gespräch mit Lord Montcliffe etwas Leben eingehaucht? Er ist ein guter Mann, und er ist stark. Mr. Tattersall hat in den höchsten Tönen von ihm gesprochen, nannte ihn einen Gentleman, auf den man sich verlassen kann.“

„Sich verlassen in Bezug auf was?“

„Sich um dich zu kümmern. Ich werde nicht ewig da sein, und …“

Er verstummte, als sie laut auflachte. „Ich glaube nicht, dass Mr. Tattersall das gemeint hat. Außerdem wird ein Aristokrat wie der Earl kein Interesse daran haben, sich mit der Tochter eines Holzhändlers einzulassen.“

„Aber wenn er das tun würde, meine Liebe, würdest du ihn dann als Ehemann in Erwägung ziehen?“

„Als Ehemann?“ Alle Heiterkeit fiel von ihr ab. „Liebe Güte, Papa, das kann nicht dein Ernst sein, denn er würde mich niemals heiraten. Nicht für alles Gold Englands. Männer wie Lord Montcliffe heiraten Frauen aus ihren Kreisen. Reich. Schön. Jung. Mit guten Verbindungen. Debütantinnen, die keine Erfahrung mit Männern haben.“

Ihr Vater schüttelte den Kopf. „Da stimme ich dir nicht zu. Deine Mutter hat mich gelehrt, dass diese Dinge nicht die wichtigsten Eigenschaften sind, die eine Verbindung erfolgreich machen. Sie sagte, dass ein Partner mit einem wachen und hellen Verstand viel mehr wert ist als jemand, der keinen einzigen originellen Gedanken hegt. Außerdem ist mein Vermögen groß genug, um selbst den hochmütigsten Lord des ton in Versuchung zu bringen.“

Seine Worte verblüfften sie. „Warum sagst du so etwas, Papa? Warum denkst du überhaupt an derlei Dinge? Ich bin Witwe, und ich bin fast siebenundzwanzig Jahre alt. Meine Chancen auf ein solches Eheglück sind lange vorbei, und ich habe das akzeptiert.“

Im Licht des Mondes sah ihr Vater älter und unendlich viel trauriger aus. Als er sich vorbeugte, um ihre Hand zu nehmen, spürte Amethyst, wie ihr das Herz vor Kummer schwer wurde, und das Wissen über das, was er ihr gleich sagen würde, machte ihr Angst.

Mitternacht, Mondlicht, der Ruf einer Eule aus dem Park, das Rattern einer Kutsche, nach einer bewegten Nacht auf dem Weg nach Hause über die Upper Brook Street. Die üblichen Geräusche eines späten Abends, alles wie immer, wartend auf den neuen Tag, und alles, was am Tag zuvor geschehen war, wurde zugedeckt von der sanften Dunkelheit.

Hier ist die Grenze des Glücks, dachte Amethyst. Genau hier, und dahinter öffnet sich die Kluft der Veränderung, um es zu verschlingen. Sie wusste, was er sagen würde, denn sie konnte es an seinen Augen erkennen.

„Ich bin ernsthaft krank, meine Liebe. Der Arzt rechnet damit, dass ich dieses Jahr nicht überleben werde. Mein Herz ist zu schwach. Er hat mir geraten, meine Angelegenheiten zu regeln und sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist.“

Schlimmer als eine Kluft. Ein Abgrund von unendlicher Tiefe. Sie umschloss seine Hand, die Kälte seiner Finger unterstrich seine Worte. Sie konnte dem, was er gesagt hatte, nicht einmal widersprechen, und die Antwort, die sie im Begriff war, ihm zu geben, wurde von Furcht erstickt.

„Ich bitte den Herrn nur darum, dass er in seiner unendlichen Güte mir die Gewissheit gibt, dass du in Sicherheit bist, Amethyst. In Sicherheit und verheiratet mit einem Mann, der dich nicht im Stich lässt. Lord Montcliffe ist der erste Mann seit Gerald Whitely, bei dem ich bemerkt habe, dass du ihn zur Kenntnis nimmst. Er wird von jedermann respektiert, und es heißt, dass seine finanzielle Lage unsicher ist. Wir könnten ihm helfen.“

Sie hätte „Hör auf!“ sagen müssen. Hör auf mit all diesem Unsinn. Aber in dem fahlen Licht sah sie etwas in den Augen ihres Vaters, das sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Hoffnung. Die Hoffnung auf eine Zukunft für sie, selbst wenn er daran keinen Anteil mehr haben würde.

Ein Zuhause und eine Familie, das versuchte er ihr zu geben. Es ging nicht um Gier oder Macht oder Rang. Nichts deutete darauf hin, dass ein Aufstieg auf der gesellschaftlichen Leiter eine Rolle spielte. Einzig seine Liebe war es, die solche Gedanken hervorbrachte.

„Würdest du mit deinem Verstand dem zuhören, was ich dich fragen möchte, Liebes, und vielleicht auch mit deinem Herzen?“

So gern sie den Kopf geschüttelt und ihm gesagt hätte, er solle aufhören, sie ertappte sich dabei, dass sie nickte.

„Es gibt jetzt nur noch uns, die letzten Camerons, und die Welt ist kein einfacher Ort, wenn man allein ist. Ich möchte, dass ein ehrenwerter Mann sich um dich kümmert und um dich sorgt, ein Mann, der Gefahren von dir fernhält. Ich wünsche mir das mehr als alles andere, was ich mir je im Leben gewünscht habe, Amethyst. Wenn ich wüsste, dass du sicher aufgehoben bist, dann könnte ich den Rest meines Lebens friedlich genießen. Und wenn ich zu deiner Mutter in den Himmel gehen könnte und wüsste, dass ich mein Bestes getan habe, um dich zu beschützen, dann wäre ich ein glücklicher Mann. Auf ihrem Sterbebett hat Susannah mich gebeten, dafür zu sorgen, dass du ein gutes Leben hast, und wenn das das Letzte ist, was ich für sie tun kann, dann, bei Gott, will ich es versuchen.“

Knack. Knack, knack. Wie das splitternde Eis auf einem zugefrorenen See. Während er sprach, brachen seine Worte Stück für Stück ihr Herz.

2. KAPITEL

Es wünscht Sie jemand zu sprechen, Mylord. Ein Kaufmann mit Namen Robert Cameron, und er besteht darauf, vorgelassen zu werden.“

„Schicken Sie ihn herein.“

„Durch die Vordertür, Mylord?“ Der Tonfall seines Butlers klang verächtlich.

„Oh ja.“

„Sehr wohl, Sir.“

Es waren einige Wochen vergangen seit dem Zwischenfall in der Nähe des Hyde Park Corner, und Daniel fragte sich, was um alles in der Welt Cameron von ihm wollen mochte. Das graue Gespann war umgehend von der Auktion zurückgezogen worden, und die Nachforschungen, die er über den Charakter dieses Mannes eingezogen hatte, waren ausgesprochen informativ gewesen.

Mr. Robert Cameron war ein Londoner Kaufmann, der finanzstark war und geschickt agierte. Ihm gehörten die meisten Anteile einer Schifffahrtslinie, die zwischen Amerika und England Holz transportierte. Während der vergangenen acht Jahre hatte er sich auch anderen Importen zugewandt, und er war mehr als erfolgreich dabei.

Aber als die Tür aufging und Cameron eintrat, erschrak Daniel.

Der Mann, den er vor etwas mehr als zwei Wochen getroffen hatte, war dünner und bleicher, die Schatten um seine Augen dunkler.

„Vielen Dank, dass Sie mich empfangen, Lord Montcliffe.“ Cameron wartete, bis der Butler den Raum verlassen hatte und sah sich um, um sich zu überzeugen, dass sich im Hintergrund der großen Bibliothek niemand aufhielt. „Darf ich offen und vertraulich mit Ihnen sprechen, Mylord?“

Interesse erwachte in Daniel. „Sie dürfen, aber bitte setzen Sie sich.“ Er deutete auf einen Ohrensessel aus Leder, denn Cameron sah aus, als hielte er sich nur mühsam auf den Beinen.

„Nein. Ich stehe lieber, Mylord. Ich muss etwas sagen, das Kraft erfordert, und wenn ich sitze, könnte das meine Entschlossenheit mindern.“

Daniel nickte und wartete, während sein Besucher sich sammelte. Er konnte sich nicht vorstellen, welchen Grund es für diese Geheimnistuerei und die angespannte Haltung seines Gastes geben könnte.

„Was ich Ihnen jetzt anbieten möchte, Lord Montcliffe, darf diesen Raum nicht verlassen, ganz egal, wie Sie darüber denken mögen. Würden Sie mir Ihr Wort als Gentleman darauf geben, gleichgültig, ob Sie meinen Vorschlag annehmen oder nicht?“

„Es ist doch nichts Illegales?“

„Nein, Mylord.“

„Dann haben Sie mein Wort darauf.“

„Darf ich um einen Drink bitten, ehe ich anfange?“

„Gewiss. Brandy?“

„Vielen Dank.“

Daniel schenkte großzügig zwei Gläser voll, reichte eines davon weiter und wartete dann, bis der ältere Mann bereit war zu sprechen.

„Meine Gesundheit ist nicht mehr so, wie sie einmal war, Mylord. Es ist sogar wohl angebracht, zu sagen, dass ich nicht mehr lange auf dieser Welt weilen werde.“ Als Daniel unterbrechen wollte, hob er die Hand. „Ich bin nicht hier, um Beileidsbekundungen zu hören, Mylord. Ich erzähle Ihnen das nur, weil die knappe Zeit, die mir bleibt, zu einem großen Teil der Grund für das ist, was ich Ihnen jetzt vorschlagen werde.“

Cameron trank einen großen Schluck von seinem Brandy und wischte sich mit der Hand über den Mund. Die Hände eines Arbeiters mit großen Schwielen und kleinen verheilten Narben. Die Hände eines Menschen, der an viele Stunden körperlicher Arbeit gewöhnt war.

„Ich möchte Ihnen die beiden Grauschimmel vermachen, Mylord. Ich weiß, Sie werden sie genauso lieben wie ich, und Sie werden sie nicht um des schnellen Profits willen verkaufen. Mick und Maisie brauchen jemanden, der sich gut um sie kümmert, und ich zweifle nicht daran, dass Sie genau das tun werden. Es wäre mir auch lieb, dass sie die Namen behalten, die sie jetzt haben, denn die griechischen, die Mr. Tattersall vorschlug, haben mir überhaupt nicht gefallen.“

„Ein solches Angebot kann ich nicht annehmen, Mr. Cameron, und im Moment verfüge ich nicht über die Mittel, sie Ihnen abzukaufen. Außerdem ist es nicht üblich, etwas so Wertvolles einem vollkommen Fremden zu überlassen“, gab Daniel irritiert zurück.

Zum ersten Mal lächelte Cameron. „Aber sehen Sie, Mylord, ich kann machen, was ich will. Großer Reichtum weckt ein Gefühl von Egozentrik und schafft unleugbar viel Freiheit. Ich kann jedem schenken, was ich will, und ich möchte, dass Sie meine Grauschimmel bekommen.“

Daniel versuchte, die Aufregung zu ignorieren, die sich seiner bemächtigte. Mit solchen Pferden könnte er anfangen, etwas von dem Familienvermögen zurückzugewinnen, indem er in Montcliffe eine Zucht startete, um die ihn die ganze Gesellschaft beneiden würde. Aber er beherrschte sich. Irgendwo hier musste ein Haken sein, denn nach allem, was er wusste, war Cameron ein gerissener Geschäftsmann, und ein erfolgreicher noch dazu.

„Und als Gegenleistung?“

„Ihr Anwesen ist schwer mit Hypotheken belastet, und noch vor Ende des Monats wird ein großes Darlehen zurückgefordert werden, das Ihr Bruder von Mr. Reginald Goldsmith bekommen hat. Außerdem hatte er noch weitere Schuldscheine ausgestellt. Ich habe sie alle übernommen und kann damit machen, was ich will.“

„Was haben Sie vor?“, stieß Daniel hervor.

„Die Bank ist ebenfalls besorgt wegen Ihrer fehlenden Sicherheiten, und in Anbetracht der sorglosen Art und Weise, wie der Prinzregent mit seinen Finanzen umgeht, fährt man dort in Bezug auf die Gewährung langfristiger Darlehen einen vorsichtigeren Kurs. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie in Schwierigkeiten geraten könnten, selbst wenn Sie nur ein Darlehen für eine kleinere Investition benötigen.“

„Sie würden mich ruinieren?“

„Nein, Mylord, ganz im Gegenteil. Ich möchte Ihnen über die nächsten drei Jahre fünfzehntausend Pfund im Jahr schenken und dann einhunderttausend Pfund auf einmal.“

Ein riesiges Vermögen. Daniel konnte das Ausmaß dieses Angebots kaum glauben.

„Das Stadthaus am Grosvenor Square würde ich sofort überschreiben, damit Sie einen Anreiz haben, die Bedingungen zu beachten. Wann immer Amethyst mir die Anweisung dazu gibt, würde ich als Nächstes Dunstan Hall, eines meiner Besitztümer im Norden, zu dem ein gutes Stück Land gehört, in Ihre Obhut geben.“

Der Kaufmann hielt inne und sah ihm direkt ins Gesicht. Seine Stirn war schweißbedeckt, und seine Wangen hatten eine rote Farbe angenommen. „Aber es gibt eines, das Sie als Gegenleistung für mich tun müssen, Mylord. Amethyst, meine einzige Tochter, ist jetzt sechsundzwanzig und wird bald siebenundzwanzig Jahre alt sein. Sie ist ein kluges und vernünftiges Mädchen. Während der letzten acht Jahre hat sie an meiner Seite gearbeitet, und ihrer Sicherheit in Geschäftsdingen ist es zu verdanken, dass meine Gewinne beträchtlich gewachsen sind.“

Er wartete, bis Daniel nickte, ehe er fortfuhr.

„Amethyst Amelia wurde an der Gaskell Street Presbyterian Church School unterrichtet, und ich habe ihre Lehrer großzügig bezahlt, um sicherzustellen, dass sie alle Fähigkeiten erlernt, die eine Dame der guten Gesellschaft beherrschen muss. Kurz gesagt, sie könnte in den besten Kreisen verkehren, ohne sich zu blamieren.“

Ganz plötzlich begriff Daniel, wohin dieses Gespräch führen würde. Eine Mitgift. Ein Bestechungsgeld. Die Antwort auf seine Gebete um den Preis seiner Seele.

„Sie sind unverheiratet und verfügbar, Mylord. Sie haben zwei Schwestern, die in die Gesellschaft eingeführt werden müssen, eine Mutter, die gern luxuriös lebt, und einen Großvater, der anspruchsvolle medizinische Versorgung benötigt. All das erzeugt hohe Kosten. Wenn Sie Ende Juli meine Tochter heiraten, wird nichts davon je wieder ein Problem sein, und Sie werden über die Mittel verfügen, das marode Anwesen Montcliffe ein für alle Mal wiederherzustellen.“

„Hinaus, Sie Bastard!“ Daniel war so wütend, dass seine Stimme zitterte. Dass ein Mann, den er zu respektieren und zu schätzen begonnen hatte, daran dachte, in sein Leben zu treten, um ihn zur Heirat mit seiner Tochter zu nötigen! Denn genau das war es. Eine Erpressung, trotz der enormen Beträge, um die es ging.

Aber Cameron schien nirgendwo hingehen zu wollen. „Ich verstehe Ihren Zorn, und wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich möglicherweise genauso reagieren. Aber ich bitte Sie, wenigstens eine Woche darüber nachzudenken. Sie haben mir versprochen, diese Unterredung vertraulich zu behandeln, und das erwarte ich, denn wenn auch nur ein Wort davon nach außen dringt, ist der Ruf meiner Tochter ruiniert. Um Ihnen zu zeigen, wie dankbar ich für Ihre Diskretion bin, werde ich Ihnen daher die Grauschimmel überlassen, ungeachtet Ihrer Entscheidung.“

„Das kann ich nicht annehmen.“

„Hier ist ein Dokument, das ich für Sie erstellt habe. Bitte lesen Sie es sich durch. Ich hoffe, bald von Ihnen zu hören.“

Damit ging er hinaus, ließ ein leeres Glas auf dem Schreibtisch zurück und daneben einen Umschlag. Daniel war hin- und hergerissen in Bezug auf das, was er nun tun sollte – er konnte den Umschlag ungeöffnet zurückschicken mit einer kurzen Nachricht, dass er nicht interessiert war, oder ihn öffnen und nachsehen, was er enthielt.

Die Neugier siegte.

Der Inhalt des Blattes, das vor ihm lag, war bezeugt worden von einem Anwalt, dessen Qualifikationen mehr als zufriedenstellend waren. Es war außerdem unterzeichnet von Camerons Tochter.

„Verdammt. Verdammt. Verdammt.“ Er flüsterte die Worte nur. Die Tochter wusste von alledem und war trotzdem einverstanden? Er trank den Brandy aus und schenkte sich noch ein Glas voll, während er weiterlas. Er konnte kaum glauben, was da geschrieben stand.

Noch vor Ende des Monats sollte er Amethyst Amelia Cameron heiraten, unter der Bedingung, während der darauffolgenden zwei Jahre keine Beziehungen zu anderen Frauen zu unterhalten.

Zutiefst erschrocken, trank er einen großen Schluck Brandy. Amethyst Amelia Cameron gestattete ihrem Vater, sie zu verkaufen – zum Preis von was? Die Gesetze gestatteten es Frauen, Geld und Besitztümer zu erben, solange diese nicht dem Fideikommiss unterlagen. Außerdem verfügte Miss Cameron über Erfahrung in geschäftlichen Dingen und hatte so manches Jahr Gewinne erwirtschaftet. Das hatte ihr Vater ihm selbst gesagt. Was also würde sie durch ein solches Arrangement gewinnen? Sie kannten einander kaum, und obwohl sie aus dem Kaufmannsstand kam, konnte eine Erbin ihres Kalibers sich einen Gatten unter den Aristokraten auswählen, die knapp bei Kasse waren.

So wie er?

„Verdammt!“ Daniel warf das Blatt in eine Schublade und schob sie zu, aber die Versprechungen lockten noch unsichtbar, böswillig und verführerisch.

Wie um alles in der Welt konnte Cameron so viel über seine finanziellen Schwierigkeiten erfahren haben? Würde Goldsmith tatsächlich die Bezahlung der immensen Schulden seines Bruders einfordern? Wenn er das tut, dann bin ich gezwungen, das Stadthaus zu verkaufen, den Landsitz, das Farmland, das ihn umgibt, dachte Daniel entsetzt. Dann hätten er und seine Familie kein Dach mehr über dem Kopf, Geldverleiher würden sich wie die Bluthunde auf sie stürzen, und alle hätten die Krallen ausgefahren.

Ginge es nur um ihn, so wäre er vielleicht zurechtgekommen, aber Cameron hatte vollkommen recht: Seine Schwestern waren jung, sein Großvater war alt, und seine Mutter hatte ihre Befriedigung immer in der gesellschaftlichen Stellung gefunden, die ihr der Titel eingebracht hatte, und dementsprechend gab sie großzügig Geld aus.

Er stand auf, ging zum Fenster und blickte auf die Gärten hinaus. Dann fluchte er, als er die beiden Grauschimmel sah, die an einem Pfosten an der Straße festgebunden waren. Neben ihnen stand sein Butler und wirkte ausgesprochen irritiert.

Autor

Sophia James
Romane von Georgette Heyer prägten Sophias Lesegewohnheiten. Als Teenager lag sie schmökernd in der Sonne auf der Veranda ihrer Großmutter mit Ausblick auf die stürmische Küste. Ihre Karriere als Autorin nahm jedoch in Bilbao, Spanien, ihren Anfang. Nachdem ihr drei Weißheitszähne gezogen wurden, lag sie aufgrund starker Schmerzmittel tagelang flach....
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