Ein Playboy, der für immer bleibt?

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Ihr Duft, der Geschmack ihrer Lippen, ihr Körper in seinen Armen – seit einer unverhofft sinnlichen Begegnung in einem steckengebliebenen Fahrstuhl ist Bauunternehmer Rowan ganz bezaubert von Jamie. Wie gut, dass sie beide eine unverbindliche Affäre wollen, denn der Sex mit ihr ist atemberaubend! Doch dann erwartet Jamie ein Kind von ihm, und plötzlich wünscht sich Rowan nichts sehnlicher, als für immer für sie da zu sein. Kann er Jamie überzeugen, dass seine Zeit als Playboy endgültig vorbei ist?


  • Erscheinungstag 11.04.2023
  • Bandnummer 2285
  • ISBN / Artikelnummer 0803232285
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wehe, du brichst noch mal in meine Wohnung ein!“, schimpfte Jamie Bacall-Metcalfe und schaute ihren elf Monate älteren Bruder finster an. Greg saß mit nass geschwitzten Haaren, in Shorts, Turnschuhen und einem alles andere als sauberen T-Shirt an ihrem Küchentisch und blieb ungerührt. Er hatte die Augen fest auf den Bildschirm ihres Tablets geheftet und trank ihren Kaffee. „Den Schlüssel habe ich dir für Notfälle überlassen, nicht, damit du hier während deiner Joggingrunde verschnaufst“, fuhr sie etwas freundlicher fort, denn im Grund hatte sie nichts gegen seine Besuche, im Gegenteil. Sie liebte ihren Bruder, er und sein Ehemann Chas waren ihre besten Freunde. „Zumindest könntest du duschen, bevor du einbrichst“, ergänzte sie mit einem missbilligenden Blick auf das schmuddelige T-Shirt und schenkte sich einen Kaffee ein.

„Chas ist da eigen. Er mag’s nicht, wenn ich total verschwitzt aufkreuze.“ Ohne vom Bildschirm aufzusehen, tastete Greg nach seiner Tasse.

„Da haben er und ich was gemeinsam.“ Jamie trat hinter ihren Bruder und sah ihm neugierig über die Schulter. „Was guckt’s du denn Spannendes?“

Weil Greg nicht sofort antwortete, nahm sie sich einen Moment Zeit, um das Foto auf dem Bildschirm zu betrachten. Es handelte sich um das Porträt eines Mannes Mitte dreißig: markantes Kinn, gerade Nase, sinnlicher Mund, braunes Haar mit natürlichen hellen Strähnen und gerade so unrasiert, wie sie es mochte. Aber es waren seine Augen, die sie wirklich fesselten. Sie leuchteten in dem intensiven Blau der Flügel eines Himmelfalters, und wie bei den Schmetterlingsflügeln war das blaue Innere von einem schwarzen Ring eingefasst. Wenn der Rest von dem Kerl nur annähernd so toll war wie sein Gesicht, musste sie ihn unter Vertrag nehmen. Wer war das, und wie kam sie an ihn ran? Heiße Typen, die sportlich und intellektuell zugleich rüberkamen, fand man nicht alle Tage.

Dann endlich legte Greg das Tablet weg und fuhr sich durch das dichte dunkle Haar, das Jamies so ähnlich war. „Worum ging’s da?“, fragte sie und deutete auf den schwarzen Bildschirm. Und vor allem: Wer ist der Typ?

Die Härchen auf ihren Unterarmen hatten sich aufgerichtet, aber es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, dass es sich bei dieser Reaktion um dieses gewisse Kribbeln handelte. Wow! War sie am Ende doch noch keine vertrocknete alte Jungfer?

„Das war ein Artikel über Rowan Cowper.“ So, wie Greg das sagte, klang es, als wüsste jeder, wer Rowan Cowper war.

Sie zuckte die Achseln. „Über wen?“

Greg schnaubte. „Cowper Construction? Die Firma, die das neue Krankenhaus gebaut hat?“

„Hallo? Du bist Architekt und musst die Bauherren natürlich kennen, mein Lieber, aber ich leite ja bloß eine Werbeagentur! Die für diesen Cowper übrigens Verwendung hätte.“

„Ich würde ihn auch nicht von meiner Bettkante schubsen“, meinte Greg.

„Aber vielleicht dein Ehemann.“ Jamie lachte. Sie wusste genau, dass ihr Bruder nur Sprüche klopfte. „Wie kommt der Typ auf die Titelseite?“

Greg schenkte sich Kaffee nach. „Er war spät nachts noch auf einer Baustelle zugange. Auf dem Weg zum Auto hat er beobachtet, wie ein paar finstere Typen einen Collegestudenten verprügeln: drei gegen einen. Cowper ist dazwischengegangen und hat die Ganoven im Alleingang ausgeschaltet. Und weil es sich bei dem Opfer um den Sohn des Gouverneurs handelt, wird Cowper jetzt als Held gefeiert.“

Nun ergab das Ganze einen Sinn! Gouverneur Carsten war ein persönlicher Freund ihrer Eltern, denen wiederum die Zeitung gehörte, in der über Cowper berichtet wurde. Der jüngere Sohn des Gouverneurs hatte vor Kurzem in den sozialen Medien für Aufsehen gesorgt, als er sich als bisexuell und non-binär geoutet hatte.

„Ein Hassverbrechen?“ fragte Jamie. Sie fühlte sich ganz elend, wenn sie sich vorstellte, was für Idioten da draußen frei herumliefen.

„Schon möglich, aber die Polizei hält sich natürlich bedeckt. Genauso gut kann es sein, dass man ihn wegen seiner Familie ins Visier genommen hat. Cowper hat dem Jungen jedenfalls das Leben gerettet, denn die Typen waren mit Messern bewaffnet und hatten anscheinend auch vor, sie zu benutzen.“ Greg lehnte sich zurück und musterte Jamie von oben bis unten. „Jetzt aber mal was anderes: Wie geht es dir, James Jessamy?“

Jamie funkelte ihn böse an. Auch nach all den Jahren war es ihr ein Rätsel, was ihre Eltern sich dabei gedacht hatten, sie mit diesem Namen zu belasten. Wenigstens hatten sie sich darauf einigen können, sie Jamie zu nennen.

„Mir geht es gut, Gregory Michael Henry.“

Seine besorgte Miene ließ keinen Zweifel daran, worauf die Frage abzielte. Nächsten Monat jährte sich der Todestag ihres Mannes zum fünften Mal, und wie immer stand sie um diese Zeit noch mehr als üblich unter Beobachtung ihrer Familie. Dabei empfand sie selbst den Jahrestag von Kadens Tod nicht als besonders schrecklich, denn sie dachte sowieso ständig an ihn, durchlebte den Unfall jeden Tag aufs Neue und fühlte sich heute genauso schuldig wie vor fünf Jahren. Und diese Schuldgefühle kamen nicht in Wellen, sie waren immer da. Es war ihre Schuld, dass er gestorben war.

„Tut es nicht.“

Tat es nicht, nein. Aber sie konnte so tun, als ob.

Rowan Cowper kippte den Whiskey in einem Zug hinunter und ließ die Schultern kreisen. Wenn er nur die Smokingjacke los wäre! Und diese Krawatte! Während sein Begleiter schwadronierte, schielte Rowan unauffällig auf seine Armbanduhr, eine Patek Philippe Aquanaut, die er sich gerade erst selbst geschenkt hatte, und hätte vor Erleichterung fast laut geseufzt: Kurz vor elf! Nicht mehr lange, dann konnte er diese ätzende Veranstaltung, ein Wohltätigkeitsbankett, organisiert von der Frau des Gouverneurs, verlassen. Worum ging es gleich noch mal? Krebskranke Kinder? Obdachlose? Es wollte ihm nicht mehr einfallen, obwohl er ein stattliches Sümmchen gespendet hatte. In Zukunft sollte er besser zuhören oder solche grässlichen Veranstaltungen einfach meiden, wobei ihm Option zwei eindeutig mehr zusagte.

Er murmelte eine Entschuldigung und bahnte sich einen Weg zum Ausgang. Alle Versuche, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, blockte er ab. Bis vor ein paar Wochen war er nur ein Bauunternehmer unter vielen gewesen, wohlhabend, ja, aber kein Mitglied der High Society von Maryland. Doch sein beherztes Eingreifen bei dieser Schlägerei hatte ihm nicht nur ein Abendessen in der Villa des Gouverneurs beschert, sondern Einladungen zu allen wichtigen gesellschaftlichen Events im ganzen Bundesstaat. Nicht schlecht für einen Jungen aus West Garfield Park, einer der gefährlichsten Gegenden von Chicago, wenn nicht von ganz Illinois.

Er wusste, wie es lief. Gute Beziehungen zu den Entscheidungsträgern zahlten sich im Geschäftsleben immer aus. Sein Leben würde einfacher werden, sehr viel einfacher. Schon dieser Abend war alles andere als Zeitverschwendung gewesen: Er hatte erfahren, dass in einem der Außenbezirke der Stadt ein neues Gewerbegebiet ausgewiesen werden sollte und dass ein Kunststoffwerk den Bau neuer Fertigungsanlagen plante, und hatte Namen und Nummern der Leute bekommen, die er wegen dieser Projekte kontaktieren konnte.

Keine schlechte Ausbeute für einen Abend. Der Nachteil war natürlich, dass er mit Einladungen zum Essen oder auf einen Drink und auch mit sexuellen Angeboten überschüttet worden war. Er hatte alle abgelehnt.

Er wartete noch auf den Aufzug, als eine weibliche Stimme seinen Namen rief. Seufzend drehte er sich um. Shona … irgendwas. Sie waren ein paar Mal miteinander ausgegangen, aber als sie ihn ihrer Familie vorstellen wollte, hatte er den Rückwärtsgang eingelegt. Ganz, ganz schnell. Er war nicht zum Schwiegersohn gemacht. Die einzige feste Bindung, die er je eingegangen war, war die zu Cowper Construction. Das Unternehmen war seine große Liebe.

„Shona, hi!“

Zu seinem Entsetzen küsste sie ihn auf beide Wangen und boxte ihn dann spielerisch in den Bauch. „Was für ein Glück, dass ich dich treffe. Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Hast du eine neue Telefonnummer? Ich habe dir nämlich ungefähr tausend Nachrichten aufs Band gesprochen.“

Fieberhaft überlegte Rowan, wie er sich aus der Affäre ziehen konnte, ohne Shonas Gefühle zu verletzen, als er plötzlich eine Hand im Rücken spürte. Er wirbelte herum und sah in die funkelnden goldbraunen Augen einer Frau. Sie war brünett, trug ein eng anliegendes, mit silbernen Perlen besetztes Kleid, und als sie die schmale Hand in seine schob und den Kopf an seine Schulter lehnte, erhaschte er den Hauch eines dezenten, aber verführerischen Parfüms. Die Frau war atemberaubend schön – makelloser Teint, große Augen, fantastische Kurven … Sein Herz schlug einen Dreifachsalto. Seltsam. Das hatte es noch nie getan.

„Da bist du ja, Schatz! Sorry, ich habe mich mit Terry festgequatscht. Von dem soll ich dich übrigens grüßen“, sagte sie und bedachte ihn mit einem dermaßen strahlenden Lächeln, dass es einen Moment dauerte, ehe ihm dämmerte, dass sie vom Gouverneur sprach.

Sie warf ihm einen verschwörerischen Blick zu und wandte sich an dann Shona, die sie mindestens genauso verwirrt wie verärgert beobachtete. „Shona, hi! Wie geht es? Was machen deine Eltern? Grüße sie bitte ganz lieb von mir.“

Mit einer blitzschnellen Bewegung verhinderte die Schöne, dass sich die Türen des Aufzugs, der in der Zwischenzeit gekommen war, wieder schlossen, und zog an Rowans Hand. „Komm schon, im Kühlschrank warten eine Flasche Moët, Erdbeeren und Sahne.“

Rowan ließ sich von ihr in den Aufzug ziehen, während er sich unwillkürlich ausmalte, wie er ihre seidige Haut mit Sahne bestrich und sie dann ableckte. Oder eine Erdbeere in Champagner tauchte und die pralle Frucht zwischen diese roten Lippen schob. Als er sich umdrehte, bemerkte er, dass Shona ihnen mit bebender Unterlippe hinterhersah. Sie tat ihm beinahe leid, und er wollte gerade etwas Tröstliches zum Abschied sagen, als die schöne Frau seinen Arm drückte.

„Auf keinen Fall! Darauf hat sie’s doch angelegt“, murmelte sie.

Aha. Also gut.

Dann schlossen sich auch schon die Fahrstuhltüren, und er kam sich vor, als wäre er durch ein Portal in eine seltsame neue Welt getreten. Herrlich, aber merkwürdig.

Welcher Teufel hatte sie eigentlich geritten, dem sehr großen, sehr scharfen Rowan Cowper zu Hilfe zu eilen? Wollte der Typ ihre Hilfe überhaupt? Vielleicht hätte er Shona gerne mit zu sich nach Hause genommen, und sie hatte ihm jetzt die Tour vermasselt. Verlegen tänzelte Jamie von einem Fuß auf den anderen, während ihre Hand noch immer in seiner – wunderbar warmen – Hand lag.

Verstohlen studierte sie seine Miene. Er zeigte keine Regung, es war unmöglich zu erraten, was in seinem Kopf vorging, aber immerhin meinte sie, den Ansatz eines Lächelns zu erkennen. Schrecklich sauer war er also nicht.

„Sie dürfen mich jetzt loslassen“, sagte sie.

Er sah auf ihre Hände und gab sie sofort frei. „’Tschuldigung.“

Sofort wünschte sich ihre Hand in seine zurück, es hatte sich gut angefühlt dort. „Sie müssen sich nicht entschuldigen, schließlich habe ich Sie weggezerrt“, antwortete Jamie mit einem schiefen Grinsen. „Hoffentlich habe ich die Situation nicht falsch interpretiert, und Sie wollten gar nicht gerettet werden.“

Da endlich verzogen sich die fest aufeinandergepressten Lippen zu einem Lächeln. „Ich komme ganz gut alleine zurecht, aber es war ein netter Versuch.“

Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. Wohl wahr: Er strahlte eine unglaubliche Kraft, Energie und Souveränität aus, gleichzeitig aber so viel Gelassenheit und Intelligenz – wahrscheinlich gab es nichts, womit er nicht alleine fertig wurde.

Mit einem Mal kam sie sich ziemlich einfältig vor. Zwar hatte sie mit den allerbesten Absichten gehandelt, aber vielleicht hatte sie dadurch alles erst so richtig durcheinandergewirbelt. „Ich hatte nicht die Absicht, Ihre Pläne zu durchkreuzen.“

„Das haben Sie nicht. Ich wollte sowieso nach Hause.“

Jetzt war sie auch nicht schlauer als zuvor. Wieso machte der Typ sie so nervös? Sie hatte ständig mit attraktiven Männern zu tun, beruflich und bei Events wie diesem, aber bisher war ihr noch bei keinem so heiß geworden, und zwar an Stellen, an denen sie schon lange nichts mehr gespürt hatte.

Aufgrund des Zeitungsartikels vor ein paar Wochen hatte sie ihn sofort erkannt. Im echten Leben sah er noch besser aus, deswegen war es ihr unmöglich gewesen, nicht ständig in seine Richtung zu schielen. Und deshalb war ihr auch nicht entgangen, dass er vom aufmerksamen Zuhörer zum resignierten und schließlich schlichtweg gelangweilten Gast mutiert war. Und wie unangenehm ihm die Begegnung mit Shona war.

Was machte sie sich eigentlich so viele Gedanken wegen diesem Kerl? Auf einmal wollte Jamie nur noch raus aus diesem Aufzug und so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den geheimnisvollen Rowan Cowper bringen. Sie hatte sich so gut eingerichtet in ihrem schützenden Kokon aus Schuld und Trauer. Nach der Sache mit Kaden hatte sie sich angewöhnt, Distanz zu wahren, sich nicht einzubringen.

Stattdessen blickte sie in Rowans Augen – und bäng!

Natürlich hatte auch sie schon von diesen ominösen Funken gehört, die plötzlich übersprangen, nur passierte ihr das zum ersten Mal. Eine unerklärliche Kraft drängte sie, die Arme um diesen starken, sonnengebräunten Hals zu schlingen und diese Lippen zu erforschen. Nicht eine Sekunde länger konnte sie leben, ohne in Erfahrung zu bringen, ob dieser Mann genauso dunkel und gefährlich schmeckte, wie sie vermutete.

Sein Blick fiel auf ihren Mund. Sie spürte, dass er seufzte, bevor sie es hörte, sah, wie sich seine Augen verdunkelten, und verfolgte atemlos, wie er sich herunterbeugte und … auf einen Knopf an der Konsole hinter ihr drückte.

„Sie wollten doch ins Foyer, oder?“, fragte Rowan höflich.

Na super! Da träumte sie von einem heißen Kuss – und er konnte nicht schnell genug von ihr wegkommen. Ihre Fantasie ging heute Abend gewaltig mit ihr durch.

„Eigentlich in die Tiefgarage“, stammelte sie und verwünschte das verräterische Rot, das ihr in die Wangen geschossen war, aber Rowan achtete ohnehin nur auf die Leuchtanzeige und runzelte die Stirn.

„Komisch.“

„Was?“

„Wir fahren rauf statt runter. Und die Anzeige spinnt.“

Plötzlich rauschte die Kabine ein ganzes Stockwerk nach unten, stoppte mit einem heftigen Ruck und sauste dann wieder nach oben. Rowan hämmerte auf den Knopf für die nächste Etage. „Wir müssen das Ding anhalten und einen anderen Aufzug nehmen.“

Die Kabine bewegte sich wieder abwärts.

„Okay. Acht, sieben, sechs, fünf …“, zählte Jamie, während sie darauf wartete, dass der Aufzug anhielt und sie entließ. In diesem Moment kam die Kabine mit einem Ruck und einem ächzenden Geräusch zum Stehen.

„Das hört sich gar nicht gut an“, murmelte Rowan. „Die Aufzuganlage scheint defekt zu sein. Das könnte ein bisschen dauern. Ich fürchte, wir sitzen hier eine Zeit lang fest.“

Na großartig!

2. KAPITEL

Rowan beendete den Anruf und schnitt dem Smartphone eine Grimasse. „Hab’ ich mir doch gleich gedacht“, sagte er, während er das Handy in die Hosentasche gleiten ließ. „Sämtliche Aufzüge sind ausgefallen. Man versucht, die Leute rauszuholen, zuerst natürlich die älteren Herrschaften und eventuell Kinder. Das heißt, wir werden vermutlich als Letzte an die Reihe kommen.“

Zu seiner Überraschung zuckte die Frau lediglich mit den Achseln und hob einen Fuß. „Wenn wir schon festsitzen“, sagte sie, „will ich wenigstens diese Folterinstrumente ausziehen.“

Das konnte Rowan nachvollziehen. Er selbst schlüpfte aus dem Jackett, nahm die Krawatte ab und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Dann drehte er das Jackett auf links und breitete es auf dem Kabinenboden aus. „Bitteschön! Wäre ja schade, wenn Sie sich das Kleid schmutzig machen. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht einfach zu waschen ist.“

Jamie strich über das perlenbestickte Oberteil und warf ihm einen erleichterten Blick zu. „Vielen Dank. Eigentlich sollte ich es überhaupt nicht tragen, aber alle paar Jahre hole ich es aus dem Schrank, verliebe mich wieder in das gute Stück, und dann muss ich es einfach anziehen.“ Sie setzte sich vorsichtig, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand der Kabine und streckte die Beine aus. An der Innenseite ihres Fußes, direkt am Knöchel, war eine winzige Hummel tätowiert, die Zehennägel waren rosarot lackiert.

Rowan ließ sich in gebührendem Abstand neben ihr nieder: „Wie, sagten Sie, war mal Ihr Name?“

„Ich bin Jamie Bacall-Metcalfe.“

Jamie, ja, das passte. „Und wieso sollten Sie dieses Kleid“, er warf einen fragenden Blick darauf, „nicht tragen? Das verstehe ich nicht. Haben Sie es geklaut? Ausgeliehen, ohne zu fragen?“

Dass so viele Worte aus seinem Mund flossen, überraschte ihn selbst am meisten. Er redete selten so viel, schon gar nicht mit Fremden. Und die meisten Menschen waren Fremde.

Ihr Lachen klang erstaunlich tief und sehr sexy. „Weder noch.“ Sie strich sich über die schlanken Beine. „Es stammt aus den Zwanzigerjahren, ist also über hundert Jahre alt und entsprechend wertvoll.“

Er starrte sie mit offenem Mund an. „Echt jetzt?“ Das Kleid sah aus, als käme es gerade aus der Schneiderei.

Sie nickte. „Ich habe ein Faible für die Mode und den Schmuck der Zwanziger- und Dreißigerjahre“, gestand sie achselzuckend. „Vorhin hätte ich fast ein Glas Rotwein darübergekippt, aber es ist gerade noch mal gutgegangen. Es war höchste Zeit, mich zu verabschieden.“

Er sah ihr an, dass sie die Wahrheit sagte, aber nicht die ganze Wahrheit. „Und was ist noch passiert?“

Die außergewöhnlichen Augen weiteten sich, dann traf ihn ein misstrauischer Blick. „Woher wissen Sie, dass etwas passiert ist?“

Er hätte ihr jetzt erklären können, dass sechs Jahre in diversen Pflegefamilien ihn zu einem Meister in der Interpretation von Körpersprache gemacht hatten. Mehr als einmal hatte ihm die Tatsache den Hals gerettet, dass er jede noch so kleine Veränderung im Blick, in der Haltung oder der Miene seines Gegenübers wahrnahm. Tat er aber nicht. Seine Vergangenheit war sein Geheimnis, und das würde auch so bleiben.

Ihm fiel auf, dass sie mit dem breiten Goldring am Ringfinger der rechten Hand spielte. An der linken trug sie keinen Ring. Sehr gut! Aus einem Grund, den er selbst nicht kannte, hätte es ihn gestört, wenn zu Hause ein Ehemann, Verlobter oder Lebensgefährte auf sie gewartet hätte.

„Jetzt rücken Sie schon raus damit!“

Sie lehnte den Kopf an die Wand. „An dem Tisch, an dem ich mit meinen Eltern und meiner Großmutter saß, saß noch so ein Typ. Er hat mich um ein Date gebeten, und als ich ihn höflich abwimmeln wollte, ist mir meine Familie in den Rücken gefallen. Um aus der Nummer rauszukommen, musste ich ein Glas Rotwein umstoßen.“ Sie seufzte. „Ständig erkläre ich meiner Familie, dass ich gut alleine zurechtkomme, aber sie sind der Ansicht, ich müsste wieder aufs Pferd steigen.“

Seine Verwirrung hätte nicht offensichtlicher sein können. „Welches Pferd?“

„Sie finden, es ist höchste Zeit, dass ich wieder jemanden kennenlerne“, gestand sie und betrachtete dabei angelegentlich ihre Hände, „um dann zu heiraten und ein Kind in die Welt zu setzen. Ich bin nämlich die Einzige, die den Fortbestand der Familie sichern kann.“

Oje, wenn Familienleben so aussah, war es wahrlich nicht lustig. „Ist das so wichtig, den Fortbestand zu sichern? Gibt es in Ihrer Familie eine seltene genetische Variante, ohne die die Menschheit nicht existieren kann?“

Als sie lachte, spürte er, wie sich seine Kehle zusammenzog und sich ein Knoten in seinem Magen bildete. Wann hatte er das letzte Mal eine Frau zum Lachen gebracht?

„Absolut nicht, leider. Sagt Ihnen der Name Bacall was?“

Ja, klar! Jeder, der in Annapolis lebte, kannte die Familie. Die Bacalls herrschten über ein Medienimperium und waren an verschiedenen IT-Firmen beteiligt. Sie waren nicht nur unermesslich reich, sondern gehörten zu den Vornehmsten der Vornehmen in Maryland.

„Natürlich sagt mir der Name was. Ich bin ein Riesenfan von Greg Bacall, diesem begnadeten Architekten, der auf nachhaltiges Bauen spezialisiert ist.“

Ihre Augen strahlten. „Mein Bruder! Zugegeben, er ist ein Genie auf seinem Gebiet, aber er kann auch gewaltig nerven.“

Die Zuneigung, die in ihrer Stimme mitschwang, machte Rowan ein wenig neidisch. Er hätte gerne Geschwister gehabt, noch mehr aber hätte er sich wenigstens ein Elternteil gewünscht, dem er genug bedeutet hätte, um ihn nicht wegzugeben. Aber er hatte es aufgegeben, sich Dinge zu wünschen, die er nicht haben konnte, und war es gewohnt, abgeschoben zu werden, und hatte sich schon vor langer Zeit damit abgefunden, allein zu leben.

„Ist denn nicht Ihr Bruder für das Fortbestehen der Familie und des Namens zuständig?“, fragte er, weil ihn die Beziehungen innerhalb dieser Familie interessierten.

„Greg ist schwul. Er könnte zwar trotzdem ein Kind großziehen, aber er und sein Partner haben sich dagegen entschieden. Also ruht die letzte Hoffnung meiner Mutter und meiner Großmutter auf mir, und die beiden sind geradezu besessen von der Vorstellung, ein Baby in den Armen zu halten.“

Jetzt war seine Neugierde wirklich geweckt. „Dann habe ich noch zwei Fragen: Warum wartet zu Hause kein Mr. Jamie? Und: Wollen Sie überhaupt ein Kind?“

Ihre Miene verdüsterte sich. „Das ist eine lange Geschichte, und nein, ich will auch keine Kinder.“

Das war eindeutig gelogen. Er blickte sie scharf an. „Wirklich?“

„Wirklich.“ Sie nickte nachdrücklich, wich seinem Blick aber aus und schielte stattdessen zur Tür, wodurch er seinen Verdacht bestätigt sah, dass sie die Wahrheit ein wenig verbog.

Weil er selbst nichts mehr hasste, als wenn jemand in seinem Innenleben herumstocherte, beschloss er, es gut sein zu lassen. Schließlich war es ihr Körper, ihr Leben, sie war es, die mit der Enttäuschung ihrer Mutter und Großmutter fertig werden musste.

„Mann, hab ich einen Kohldampf“, sagte Jamie unvermittelt, und wie zur Bestätigung knurrte ihr Magen. Zu Rowans Belustigung wurde sie rot. „Könnten Sie mich ein bisschen ablenken, bitte?“

Sie sah ihn an, und plötzlich spürte er dieses gewisse Prickeln. Am Flackern ihrer Augen, am kurzen Stocken des Atems, an der Art, wie sich ihre Schultern spannten, erkannte er, dass sie es auch gefühlt hatte. Auch die brennenden Wangen und das hektische Pochen der kleinen Ader in ihrer Halsgrube sprangen ihm ins Auge, und ein weiteres, untrügliches Indiz: Ihre Brustwarzen zeichneten sich plötzlich fest und hart unter den winzigen Perlen auf dem Oberteil ihres Kleides ab. Sie fühlte sich genauso zu ihm hingezogen wie er sich zu ihr.

Er könnte sich jetzt einfach zu ihr hinunterbeugen und sie küssen. Nichts würde er lieber tun. Jede Wette, dass sie nichts dagegen hätte. Aber wenn sie tatsächlich so aufeinander abfuhren, wie er meinte, nämlich kompromisslos und leidenschaftlich, dann würde es kein Halten geben. Und das war nicht klug. Nicht in einem Aufzug.

Fieberhaft suchte er nach einem neutralen Gesprächsthema. „Woher wissen Sie eigentlich, wer ich bin?“, fragte er, beantwortete die Frage aber sofort selbst: „Ach ja, der Zeitungsartikel.“

Jamie nickte. „Sie sind auf Einladung des Gouverneurs hier, richtig? Und weil Sie sich von diesem Abend wichtige geschäftliche Kontakte versprechen.“ Während sie sprach, beäugte sie seine Armbanduhr, und er konnte förmlich hören, wie sie sich fragte, wie viel Unterstützung ein Mann nötig hatte, der sich eine der teuersten Uhren der Welt leisten konnte.

Ob sie wohl nachempfinden konnte, dass dies keine Frage des Geldes war? Konnte sie, die in der Welt der Reichen und Schönen aufgewachsen war, verstehen, dass diese Einladung gleichbedeutend war mit der Aufnahme in einen exklusiven Club? Für jemanden wie ihn, der nicht mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel im Mund geboren war, war die Einladung zu so einem Event völlig undenkbar gewesen, bis ihm zufällig der Sohn des Gouverneurs über den Weg lief. Genau wie die wirklich lukrativen und prestigeträchtigen Bauaufträge weit außerhalb seiner Reichweite gelegen hatten. Bis jetzt.

„Manchmal kommt es weniger darauf an, was man kann, sondern darauf, wen man kennt“, erklärte er ihr. „Ich bin fleißig, ich bin geschickt, aber das reicht nicht immer.“ Mehr wollte er dazu nicht sagen, er hatte schon zu viel gequasselt.

„Kann ich nachvollziehen. Mein Vater regt sich furchtbar auf über die, die in der Stadt das Sagen haben. Seiner Ansicht nach schneiden sie sich ins eigene Fleisch, weil sie alle wichtigen Aufträge immer denselben inkompetenten, ineffizienten, faulen Säcken zuschustern, nur weil sie auf derselben Schule waren oder im gleichen Club Polo spielen.“

„Der Mann gefällt mir.“

„Ja, er ist der gechillteste, coolste und am wenigstens versnobbte Mensch, den ich kenne, und das, obwohl er Bacall Media in der fünften Generation leitet. Meine Mutter ist genauso bodenständig, bloß meine Großmutter …“ Jamie zuckte resigniert mit den Schultern. „Um es mal vorsichtig auszudrücken: Sie hält sich für die Dowager Countess Crawley von Annapolis.“

„Für wen?“

„Sie kennen Downton Abbey nicht?“

„Ich schaue kaum Fernsehen.“

„Gar nicht?“

„Die Nachrichten, ein bisschen Sport.“

„Aber wie schalten Sie ab?“

Gar nicht. „Mit Sport, Lesen.“ Obwohl er sich nicht erinnern konnte, was und wann er zum letzten Mal nur zum Vergnügen gelesen hatte. „Ich arbeite viel.“ 

Autor

Joss Wood
<p>Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...
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