Eine Sekunde, tausend Gefühle

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„Niemals heirate ich diesen Mann!“, ruft Sienna voller Empörung. Aber die Ehe mit dem ebenso verhassten wie verführerischen Playboy-Milliardär Andreas Ferrante ist leider die Voraussetzung, wenn sie ein malerisches Schloss in der Provence erben will …


  • Erscheinungstag 23.09.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513081
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Der Anruf seiner jüngeren Schwester Miette kam in den frühen Morgenstunden.

„Papàs ist tot.“

Drei Worte, die unter normalen Umständen eine Flut von Emotionen auslösen würden. Doch für Andreas bedeuteten sie nur, dass er von nun an nie wieder gute Miene zum bösen Spiel machen musste, wenn sich seine Wege mit denen seines Vaters kreuzten – was ohnehin nur noch selten passiert war. „Wann findet die Beerdigung statt?“, fragte er.

„Donnerstag. Kommst du?“

Andreas sah auf die Frau, die neben ihm in dem Hotelbett schlief, und rieb sich über die Bartstoppeln. War das nicht wieder mal typisch? Selbst zum Sterben suchte sein Vater sich den unmöglichsten Zeitpunkt aus. Am Wochenende, nachdem in Washington alles Geschäftliche erledigt war, hatte er vorgehabt, Portia Briscoe einen Antrag zu machen. Er hatte sogar schon den Ring besorgt. Jetzt würde er auf eine andere Gelegenheit warten müssen. Seine Verlobung sollte auf keinen Fall auf ewig mit seinem Vater in Verbindung gebracht werden, nicht einmal mit dessen Ableben.

„Andreas?“ Miettes Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen. „Es wäre gut, wenn du kommen würdest. Ich könnte deine Unterstützung brauchen. Du weißt, wie sehr ich Beerdigungen verabscheue – vor allem seit Mamàs.“

Voller Grimm dachte Andreas an ihre wunderschöne Mutter zurück und wie niederträchtig sie betrogen worden war. Er war absolut sicher, dass das für ihren Tod verantwortlich gewesen war, nicht der Krebs. Die Schande, dass ihr Mann eine Affäre mit der Haushälterin hatte, während sie mit endlosen Chemotherapien gegen den Krebs ankämpfte, hatte ihren Lebenswillen gebrochen.

Und um das Fass zum Überlaufen zu bringen, hatten diese Hexe Nell Baker und ihre kleine Schlampe von einer Tochter, Sienna, die Beerdigung seiner Mutter auch noch zu einer billigen Seifenoper gemacht.

„Ich werde da sein“, sagte er.

Aber das hitzköpfige Flittchen Sienna Baker sollte sich besser nicht blicken lassen!

Der Erste, auf den Siennas Blick fiel, als sie in Rom bei der Beerdigung ankam, war Andreas Ferrante. Allerdings hatte ihr Körper seine Gegenwart vorher bereits gespürt. Sobald sie durch das Portal der Kathedrale trat, geriet ihr Herzschlag ins Stolpern. Dabei hatte sie Andreas seit Jahren nicht mehr gesehen.

Er saß ganz vorn in der Bank, und obwohl er also den Rücken zu ihr gekehrt hatte, wusste sie, dass er genauso verboten attraktiv aussah wie früher. Eine aristokratische Aura umgab ihn, die Aura von Reichtum und Macht. Sein rabenschwarzer Schopf ragte mehrere Zentimeter aus der Reihe der anderen Trauergäste heraus, das leicht wellige Haar weder lang noch kurz und perfekt geschnitten.

Er wandte den Kopf und flüsterte der jungen Frau an seiner Seite etwas zu. Sein Gesicht im Profil zu sehen, stellte unmögliche Dinge mit Siennas Puls an. Jahrelang hatte sie sein Bild aus ihrem Kopf verbannt, sie hatte nicht an ihn denken wollen. Er gehörte zu einer Vergangenheit, für die sie sich schämte. Zutiefst. Sie war so jung und dumm gewesen, so unreif und naiv. Sie hatte nie an die Konsequenzen gedacht, die Halb- und Unwahrheiten nach sich zogen. Wer tat das schon mit siebzehn?

Als hätte er ihren Blick gespürt, drehte er sich um. Seine grünbraunen Augen stießen auf ihre, und Sienna war, als hätte sie ein Blitzschlag getroffen. Mit zusammengekniffenen Lidern funkelte er sie an, spießte sie mit seinem Blick auf wie einen Käfer auf einer Korkplatte.

Sienna setzte ein unverbindliches Lächeln auf, schüttelte das silberblonde Haar zurück und schob sich auf der anderen Seite des Kirchenschiffs in eine der hinteren Bänke.

Sie konnte seine Wut und seinen Ärger bis zu sich herüberpulsieren spüren.

Sie bekam eine Gänsehaut, ihr Puls raste, ihre Knie wurden weich. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie jeden Moment wie ein nasser Waschlappen in sich zusammenfallen.

Nichts davon ließ sie sich anmerken. Nein, sie wahrte eine kühl-souveräne Haltung, um die der Teenager, der sie vor acht Jahren noch gewesen war, sie glühend beneidet hätte.

Die Frau neben Andreas war seine aktuelle Begleiterin, das wusste Sienna aus der Presse. Wollte man den Medien glauben, so hatte Portia Briscoe länger durchgehalten als jede andere bisherige Gespielin. Weshalb Sienna sich unwillkürlich fragte, ob an den Gerüchten über eine bevorstehende Verlobung vielleicht tatsächlich etwas dran war.

Nicht, dass Andreas Ferrante der Typ wäre, der sich wahrhaft verliebte. Ihrer Meinung nach war er die Verkörperung eines Playboyprinzen, strotzend vor Reichtum und ausgestattet mit den entsprechenden Privilegien. Sollte er einmal heiraten, dann würde seine Wahl auf eine geeignete Braut aus dem alten Geldadel fallen, genau wie sein Vater und sein Großvater es vor ihm gemacht hatten. Mit Liebe hatte das nichts zu tun.

Vom Äußeren her schien Portia Briscoe die perfekte Kandidatin für die nächste Generation der Ferrante-Bräute zu sein – eine klassische Schönheit mit vollkommener Frisur und sorgfältig aufgetragenem Make-up, die ausschließlich teure Designer-Garderobe trug. Die Art Frau, der es im Traum nicht einfallen würde, spontan bei einer Beerdigung aufzutauchen, noch dazu in verwaschenen Jeans und Turnschuhen.

Andreas Ferrante würde schon darauf achten, dass seine Braut nicht einen ihrer in Designerschuhen steckenden Füße über die Grenze des Anstands setzte. Seine Braut würde nicht auf eine Historie von falschen Entscheidungen und verantwortungslosem Benehmen zurückblicken müssen. Auf ein Benehmen, das so viel Schande und Unglück verursacht hatte, dass Sienna gar nicht daran denken wollte.

Nein, seine Braut musste jemand sein wie Portia Perfekt, nicht wie die skandalöse und beschämende Sienna.

Na dann, viel Glück!

Sobald die Trauermesse ihrem Ende zuging, verließ Sienna die Kathedrale. Eigentlich war ihr noch immer nicht klar, woher der plötzliche Drang gekommen war, einem Mann den letzten Respekt zu erweisen, den sie nie wirklich gemocht hatte. Aber als sie die Todesanzeige in der Zeitung las, hatte sie sofort an ihre Mutter denken müssen.

Nell hatte Guido Ferrante geliebt.

Jahrelang hatte Nell für die Ferrantes gearbeitet, ohne dass Guido sie als mehr als seine Haushälterin anerkannt hätte. Sienna erinnerte sich noch gut an den Skandal, den ihre Mutter auf Evaline Ferrantes Beerdigung ausgelöst hatte. Die Presse war über sie hergefallen wie Hyänen über Aas. Mitzuerleben, wie ihre Mutter als amoralische Hexe dargestellt wurde, war eine der erniedrigendsten Erfahrungen gewesen, die Sienna durchgemacht hatte. Sie hatte sich geschworen, dass sie sich nie, niemals von einem reichen Mann abhängig machen würde. Nein, sie würde diejenige sein, die die Kontrolle behielt und ihr eigenes Schicksal bestimmte. Sie würde sich von niemandem vorschreiben lassen, was sie zu tun hatte, nur weil er mehr Geld besaß.

Sie würde sich nie verlieben.

„Entschuldigung … Miss Baker?“ Ein gut angezogener Endfünfziger kam auf sie zu. „Sienna Louise Baker?“

Sienna drückte den Rücken durch. „Wer will das wissen?“

„Wenn ich mich vorstellen darf …“ Der Mann streckte ihr die Hand hin. „Ich bin Lorenzo Di Salle, Guido Ferrantes Anwalt.“

Sie schüttelte kurz die dargebotene Hand. „Angenehm. Wenn Sie mich dann entschuldigen … ich muss gehen.“ Sie kam nur einen Schritt weit, bevor die Worte des Anwalts sie wie vom Donner gerührt stehen bleiben ließen.

„Sie sind zu der Testamentsverlesung eingeladen.“

Mit offenem Mund drehte sie sich wieder um. „Wie bitte?“

„Als einer der Erben von Guido Ferrante sind Sie …“

„Erben?“ Sie schnappte nach Luft.

„Ja. Signor Ferrante hat Ihnen einen Besitz vermacht.“

„Einen Besitz“, wiederholte sie tonlos. „Welchen Besitz?“

„Das Château de Chalvy in der Provence.“

„Es kann sich nur um ein Missverständnis handeln.“ Siennas Herz setzte einen Schlag lang aus. „Das war Evaline Ferrantes Familiensitz. Der ist doch sicherlich für Miette oder Andreas bestimmt.“

„Signor Ferrante hat verfügt, dass er an Sie geht“, widersprach der Anwalt. „Allerdings ist das Erbe mit Bedingungen verknüpft.“

Sienna kniff die Augen zusammen. „Bedingungen?“

Lorenzo Di Salle lächelte listig. „Die Testamentsverlesung findet morgen Nachmittag um drei Uhr in der Bibliothek der Ferrante-Villa statt. Ich freue mich auf Ihr Kommen.“

Andreas marschierte in der Bibliothek auf und ab wie ein Löwe im Käfig. Seit Jahren hatte er keinen Fuß mehr in dieses Haus gesetzt, nicht mehr, seit Sienna damals praktisch nackt in seinem Schlafzimmer entdeckt wurde, mit gerade mal siebzehn.

Das kleine Biest hatte sich mit Lügen herausgewunden, hatte ihn als lüsternen Widerling dargestellt und sich selbst als unschuldiges Opfer. Eine Rolle, die sie sehr überzeugend gespielt hatte. Warum sonst hätte sein Vater sie in das Testament einschließen sollen? Sie hatte nichts mit der Familie zu tun, war die Tochter der Haushälterin. Eine Betrügerin, die schon einmal des Geldes wegen geheiratet hatte. Ganz offensichtlich hatte sie sich bei seinem Vater angebiedert, um so viel Geld wie möglich in ihre schmutzigen Finger zu bekommen, nun, nachdem ihr Mann gestorben war und sie ohne einen Penny zurückgelassen hatte. Andreas würde alles tun, um das Anwesen seiner Mutter in der Provence vor Sienna Bakers gierigen Klauen zu bewahren.

Und wenn er alles sagte, meinte er auch alles.

Und da kam sie auch schon … kam hereingerauscht, als wäre sie hier zu Hause. Zumindest war sie heute passender angezogen, wenn auch nur geringfügig. Der kurze Jeansrock gewährte einen großzügigen Blick auf schlanke gebräunte Beine, und die weiße Bluse hatte sie um eine unmöglich schmale Taille geknotet. Sie war ungeschminkt, das silberblonde Haar fiel offen auf ihre Schultern, und trotzdem sah sie aus, als käme sie gerade von einer Fotosession.

Alle im Raum schienen plötzlich den Atem anzuhalten. Andreas hatte es oft genug miterlebt. Ihre natürliche Schönheit wirkte wie ein Schlag in den Magen. Jahrelang hatte er daran gearbeitet, seine Reaktion unter Kontrolle zu bekommen, dennoch spürte er auch jetzt ihre Wirkung auf ihn. Genau wie gestern in der Kirche. Er hatte genau gewusst, wann sie die Kathedrale betreten hatte.

Er sah auf seine Armbanduhr und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Du kommst zu spät.“

Unbeeindruckt schüttelte sie ihr Haar zurück. „Es ist zwei Minuten nach drei. Sei nicht so kleinlich, Playboyprinz.“

Der Anwalt sortierte seine Unterlagen auf dem Schreibtisch. „Können wir dann anfangen? Am besten mit Miette …“

Andreas blieb stehen, während der Anwalt vorlas. Für seine Schwester war gut gesorgt worden, das beruhigte ihn. Obwohl sie es eigentlich nicht nötig hätte. Sie und ihr Mann führten eine erfolgreiche Investmentfirma mit Sitz in London. Sie erhielt die Familienvilla in Rom und einen millionenschweren Trustfund für ihre beiden Kinder. Schön zu wissen, dass das kecke Biest Miette nicht hinausgedrängt hatte. Wie er hatte nämlich auch seine Schwester in den letzten Jahren keinen sehr guten Kontakt zum Vater gehabt.

„Jetzt zu Andreas und Sienna. Ich denke, diesen Teil sollten wir im Privaten verlesen, nur Sie beide.“ Der Anwalt sah in die Runde. „Wenn es den anderen nichts ausmacht …“

Andreas zuckte zusammen. Er wollte seinen Namen nicht in einem Atemzug mit der Wildkatze genannt hören. Es machte ihn nervös – hatte ihn schon immer nervös gemacht. Sie war eine freche Göre, die seine Welt durcheinanderbrachte, und das konnte er nicht gebrauchen.

Ihretwegen war er dem Familiensitz jahrelang ferngeblieben, hatte nicht einmal die letzten kostbaren Wochen mit seiner Mutter verbracht. Siennas unerhörte Lügen hatten es unmöglich gemacht, in den letzten acht Jahren eine normale Beziehung mit seinem Vater zu führen. Dafür gab Andreas allein ihr die Schuld. Sie war ein hinterhältiges kalkulierendes Weibsbild.

Er hasste sie mit Inbrunst!

Der Anwalt wartete, bis die anderen den Raum verlassen hatten, bevor er die zweite Aktenmappe öffnete. „Das Château de Chalvy geht zu gleichen Teilen an Sie beide, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass Sie ein Minimum von sechs Monaten als legal verheiratetes Paar zusammenleben.“

Andreas hörte die Worte, begreifen konnte er sie nicht. „Das muss ein Witz sein!“

„Nein, durchaus nicht“, erwiderte der Anwalt. „Ihr Vater hat das Testament noch vor einem Monat und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte geändert. Er war sehr präzise, was die Bedingungen angeht. Falls Sie nicht innerhalb der gesetzten Frist heiraten, geht der Besitz an einen entfernten Verwandten.“

Andreas wusste, welcher „entfernte Verwandte“ gemeint war. Der Familiensitz seiner Mutter würde sofort verkauft werden, um die Spielsucht seines Cousins zweiten Grades zu finanzieren. Sein Vater hatte die perfekte Falle gebaut, hatte an alles gedacht. Andreas blieb keine andere Wahl, als …“

„Ich werde ihn nicht heiraten!“ Empört sprang Sienna auf, ihre blaugrauen Augen schleuderten Blitze.

Andreas sah sie vernichtend an. „Halt den Mund und setz dich!“

Sie schob ihr Kinn vor. „Ich heirate dich nicht.“

Andreas wandte sich an den Anwalt. „Es muss einen Weg geben, um dieses Testament anzufechten. Ich habe vor, mich zu verloben, aber nicht mit dieser Furie. Lassen Sie sich etwas einfallen.“

Lorenzo Di Salle hob die Hand. „Das Testament ist wasserdicht. Falls einer von Ihnen sich weigert, die Bedingung zu erfüllen, erbt der andere automatisch alles.“

„Alles?“, entfuhr es beiden gleichzeitig.

Lorenzo nickte Andreas zu. „Wenn Sie sich weigern, sie zu heiraten, erhält sie nicht nur das Schloss, sondern auch das restliche Vermögen. Wenn Sie heiraten und einer von Ihnen geht vor Ablauf der sechs Monate, erhält der andere alles. Weigern Sie sich beide, wird der Besitz besagtem Verwandten zugesprochen. Signor Ferrante hat es so formulieren lassen, dass keiner von Ihnen eine andere Wahl hat, als sechs Monate verheiratet zu bleiben.“

„Was passiert nach den sechs Monaten, falls wir es tatsächlich schaffen, ohne uns gegenseitig umzubringen?“, wollte Andreas wissen.

„Dann wird Ihnen das Schloss überschrieben und Sienna erhält eine Abfindung in Höhe von …“ Der Anwalt nannte eine Summe, bei der Andreas die Augenbrauen hochriss.

„Wofür genau erhält sie so viel Geld? Damit sie sechs Monate herumstolziert und die Dame des Hauses spielt? Das ist ungeheuerlich!“

Sienna verzog den Mund. „Das ist das Mindeste, wenn ich sechs Monate mit dir unter einem Dach leben muss.“

Andreas’ Augen wurden zu Schlitzen. „Du hast ihm das eingeredet, stimmt’s?“

Trotzig hielt sie seinem Blick stand. „Seit über fünf Jahren habe ich nichts von deinem Vater gesehen oder gehört. Er besaß nicht einmal genügend Anstand, um eine Trauerkarte zu schicken, als meine Mutter starb.“

Andreas starrte sie hasserfüllt an. „Und warum bist du dann zu seiner Beerdigung gekommen, wenn du ihn so sehr verabscheust?“

Ihr Kinn ruckte noch ein Stückchen höher. „Bilde dir nicht ein, ich wäre extra angereist. Ich war gerade hier zu einer Anprobe für die Hochzeit meiner Schwester nächsten Monat.“

„Ach ja, deine neu entdeckte Zwillingsschwester. Ich las in der Zeitung davon.“ Er verzog den Mund. „Möge der Himmel uns helfen, wenn sie auch nur halb so ist wie du.“

Wütend funkelte Sienna ihn an. „Ich kam zur Beerdigung aus Respekt für meine Mutter. Sie wäre gekommen, wenn sie noch lebte, nichts hätte sie fernhalten können.“

„Richtig. Nicht einmal der Anstand“, spöttelte er.

Sienna sprang auf und holte aus. Andreas verhinderte die schallende Ohrfeige nur, indem er ihr Handgelenk kurz vor seiner Wange abfing. Der Kontakt mit ihrer seidigen Haut lief wie ein Stromstoß durch seinen Körper. Und er sah das Flackern in ihren Augen, so als hätte sie es auch gespürt.

Etwas hing plötzlich zwischen ihnen in der Luft, etwas Ursprüngliches, Gefährliches. Etwas, für das es keinen Namen gab.

Andreas ließ ihr Handgelenk los und trat zurück. Ballte und öffnete die Faust, als würden seine Finger ihm nicht mehr richtig gehorchen. „Sie müssen entschuldigen“, wandte er sich an den Anwalt, „Miss Baker ist bekannt für ihren Hang zur Theatralik.“

„Widerling“, zischelte sie.

Der Anwalt schloss die Mappe und stand auf. „Ihnen bleibt eine Woche für die Entscheidung. Überlegen Sie gründlich. Sie beide haben viel zu verlieren, wenn Sie nicht kooperieren.“

„Meine Entscheidung steht bereits fest.“ Sienna verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich heirate ihn nicht.“

Andreas lachte abfällig. „Großartige Show, Sienna. So viel Geld schlägst du doch niemals aus.“

Sie stand direkt vor ihm, mit blitzenden Augen, die Hände in die Hüften gestemmt. Ihr Busen hob und senkte sich mit jedem heftigen Atemzug. Noch nie hatte Andreas solch intensive sexuelle Energie auf sich einprasseln gespürt. Es war, als würde jemand einen Elektroschocker auf seine Haut setzen. In seinen Lenden begann es schmerzhaft zu ziehen, als Sienna sich vorbeugte.

„Da kennst du mich aber schlecht, Playboyprinz“, fauchte sie, drehte sich auf dem Absatz um und ließ ihn stehen.

2. KAPITEL

„Hier steht, dass Andreas Ferrante sich von seiner Freundin getrennt hat.“ Kate Henley, Siennas Mitbewohnerin, sah über den Rand der Zeitung zu Sienna. „Sagtest du nicht, die beiden wollten sich verloben?“

Sienna beschäftigte sich angelegentlich mit einer bereits gespülten Tasse, die sie noch einmal auswusch. „Andreas Ferrante interessiert mich nicht.“

„Hey, Moment mal …“ Zeitungspapier raschelte, als Kate weiterlas. „Ach du meine Güte! Hier steht, du seist der Grund für die Trennung.“ Mit riesengroßen Augen starrte sie Sienna an. „Stimmt das?“

Sienna stellte die Tasse ins Abtropfgestell. „Zeig her.“ Mit gerunzelter Stirn riss sie Kate die Zeitung aus der Hand und überflog den Artikel.

Andreas Ferrante, megareicher französisch-italienischer Möbeldesigner, offenbart, dass seine bislang geheim gehaltene Beziehung zu Sienna Baker, der Tochter der ehemaligen Haushälterin in der Ferrante-Villa, der Grund für den Bruch mit der Erbin Portia Briscoe ist.

„Das ist eine glatte Lüge!“ Sienna schleuderte die Zeitung auf den Frühstückstisch und warf dabei die Milch um. „Mist!“ Vergeblich versuchte sie, die Milchflut mit dem Küchenhandtuch aufzuhalten.

„Warum sollte er der Presse dann so etwas sagen?“

Sienna wusch das Handtuch hektisch aus und spritzte dabei Wassertropfen über die ganze Anrichte. „Weil er mich heiraten will, deshalb.“

Kate stand der Mund offen. „Äh … hast du gerade gesagt, er will dich heiraten?“

Das nasse Handtuch landete klatschend im Spülbecken. „Ja, du hast richtig gehört. Ich will ihn aber nicht heiraten.“

Kate griff sich theatralisch an den Hals. „Andreas Ferrante, Milliardär aus Florenz … nein, anders – milliardenschwerer Playboy aus Florenz, der bestaussehende Mann auf dem Planeten, vielleicht sogar im ganzen Universum, will dich heiraten … und du sagst Nein?“

Sienna warf ihrer Mitbewohnerin einen irritierten Blick zu. „So gut sieht er auch wieder nicht aus.“

Kate schnappte nach Luft. „Und was ist mit seinem Bankkonto?“

„Interessiert mich nicht. Ich habe schon einmal wegen des Geldes geheiratet. Ein zweites Mal mache ich das nicht.“

„Ich dachte immer, du hättest Brian Littlemore geliebt. Auf seiner Beerdigung hast du dir die Augen aus dem Kopf geheult.“

Sienna dachte an ihren verstorbenen Ehemann und wie nah sie ihm in den wenigen Monaten vor seinem Tod gestanden hatte. Sie hatte ihn nicht aus Liebe geheiratet, sondern weil sie Schutz brauchte. Die Entscheidung war eher ein Reflex gewesen, nachdem ihr Leben nach dem Tod ihrer Mutter völlig aus der Bahn geworfen worden war und sie neben einem Fremden im Bett aufgewacht war. Sie hatte wohl einen Drink zu viel gehabt. Brian Littlemore hatte ihr Sicherheit geboten und ihr Ansehen wiederhergestellt. Auch er hatte sein ganzes Leben lang eine Lüge gelebt, aber zu ihr war er immer absolut ehrlich gewesen. Und dafür hatte sie ihn lieben gelernt. „Brian war ein guter Mann.“

„Schade nur, dass er dich nicht besser versorgt zurückgelassen hat.“ Kate fischte das Handtuch aus dem Spülbecken. „Du könntest natürlich auch deine reiche Schwester um Hilfe mit der Miete bitten, wenn du in den nächsten zwei Wochen keinen Job findest.“

Es war schon ein seltsames Gefühl, plötzlich eine Schwester zu haben, noch dazu eine Zwillingsschwester. Gisele und sie waren bei der Geburt getrennt worden, weil Nell eines der Babys für eine Abfindung dem reichen und verheirateten Australier überlassen hatte, von dem sie schwanger geworden war. So war Gisele als Tochter des kinderlosen Paares Hilary und Richard Carter aufgewachsen. Nell hatte ihr Geheimnis mit ins Grab genommen, nur durch Zufall hatte Sienna von der Existenz ihrer Schwester erfahren. Nach Brians Tod hatte sie kurz entschlossen einen Billigflug nach Australien gebucht, weil sie das Land schon immer hatte sehen wollen, und sie in Ruhe überlegen musste, wie es mit ihr weitergehen sollte. Durch eine Verwechslung in einem Kaufhaus hatte Sienna von ihrer Zwillingsschwester erfahren.

Sienna liebte ihre Schwester von ganzem Herzen, doch ihre Beziehung stand noch am Anfang. Vor allem fühlte Sienna sich schrecklich schuldig. Giseles Beziehung war nämlich an dem Skandal um das erbärmliche Sex-Video im Internet zerbrochen. Emilio, ihr Verlobter, hatte die Frau in dem Video für Gisele gehalten und geglaubt, sie hätte ihn betrogen. Erst als die Wahrheit über die Zwillingsschwestern herauskam, hatte sich alles wieder eingerenkt. Jetzt war die Hochzeit in Rom angesetzt, der Sienna mit gemischten Gefühlen entgegensah. Einerseits freute sie sich riesig darauf, Brautjungfer für ihre Schwester zu sein, andererseits … durch ihr Benehmen hatten die beiden zwei kostbare Jahre miteinander verloren. Wie sollte sie das je wiedergutmachen können?

Aber Kate hatte da einen wichtigen Einwand vorgebracht. Sienna brauchte eine Einkommensquelle, und zwar schnell. Sie hatte das Sekretariat für Brians Antiquitätenhandel geführt, doch nach seinem Tod hatte die Familie sie sofort fristlos entlassen. Der Trustfund, den Brian für sie eingerichtet hatte, war der Wirtschaftskrise zum Opfer gefallen, und mit ihm auch Siennas Traum vom eigenen kleinen Haus. Ein Traum, der sich nun nie realisieren lassen würde.

Oder?

Sienna dachte an das Erbe, das Guido Ferrante in Aussicht gestellt hatte. Das würde reichen, um sogar etwas Größeres zu kaufen. Und mit dem Rest hätte sie für ihr Leben ausgesorgt. Sie würde sich ganz ihrem Hobby, der Fotografie, widmen und sie vielleicht sogar zum Beruf machen können …

Sie kaute an ihrer Lippe. Die Konditionen waren natürlich unerträglich – eine Heirat mit ihrem Erzfeind. Ein hoher Preis, aber … die Prämie nach sechs Monaten war sicherlich nicht zu verachten.

Und es musste ja auch keine echte Ehe sein.

Ein Prickeln überlief sie, als sie sich vorstellte, wie sie in Andreas Umarmung lag, seine Beine mit ihren verschlungen …

Sie nahm Handtasche und Schlüssel auf. „Ich muss weg. Ich kann nicht sagen, wann ich zurückkomme. Das Geld für die Miete überweise ich dir.“

Kate hielt den leeren Milchkarton in der einen und das nasse Handtuch in der anderen Hand. „Weg? Wohin?“

„Nach Florenz. Das werden die längsten sechs Monate meines Lebens.“

Autor

Melanie Milburne
<p>Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der Romances....
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