Gefährlich sinnliches Feuer im Palast

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Ein einziger erregender Kuss vorm Altar – und das war’s? Tag und Nacht verzehrt Natalie sich nach der Nähe ihres frisch angetrauten Ehemannes. Vergebens! König Angelo hat sie offenbar bloß aus einem Grund geheiratet: um die Beziehung zwischen ihren Herrscherhäusern zu stärken. Jetzt muss er sich mit ganzer Kraft auf seine Regierungspflichten konzentrieren, behauptet er. Aber was ist mit dem sinnlichen Feuer zwischen ihnen? Obwohl erotische Gefühle in ihrer Vernunftehe angeblich keinen Platz haben, brennt es bald unwiderstehlich heiß …


  • Erscheinungstag 20.08.2024
  • Bandnummer 2663
  • ISBN / Artikelnummer 0800242663
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

PROLOG

„Hast du keine Angst?“

„Niemals“, versicherte Prinzessin Natalia La Morte, auch wenn ihr Herz raste und ihr Atem stockte.

Es war keine Angst. War es nie gewesen, Denn ihre Zukunft war vorbestimmt.

Das war ihr Schicksal.

Der Körper, der zu ihr unter die Bettdecke glitt, war kalt. Natalia rückte näher heran, schlang ihre Arme um eine Taille, die so schlank war wie ihre eigene, und drückte ihre Zofe und beste Freundin fest an sich.

„Ich bin nervös.“

„Du musst ruhig bleiben, Hannah.“ Natalia rieb mit sanften Bewegungen über Hannahs nackte Oberarme, um sie zu wärmen. „Wir haben das schon tausendmal gemacht. Sogar öfter. Es ist dasselbe wie jeden Morgen.“

„Es ist nicht das dasselbe. Heute wirst du …“

„Das kommt später“, sagte Natalia leise. „Nicht jetzt. Jetzt ist es dasselbe. Später ist …“

Später war es die Zukunft. Auf die sie einundzwanzig Jahre gewartet hatte.

Sie legte die Hand an Hannahs Wange. Das tiefe Blau von Hannahs großen Augen erfüllte sie mit Ruhe. Und die brauchte sie, heute mehr als an jedem anderen Tag. Sie brauchte diesen Moment. Diese Erinnerung daran, was sie tun musste.

Und warum sie es tun musste.

„Ruh dich jetzt aus“, sagte sie leise.

„Ausruhen?“, gab Hannah zurück. „Wie soll ich mich ausruhen? Was ist, wenn sie früher kommen? Was ist, wenn sie entdecken …“

„Das werden sie nicht. Das haben sie noch nie.“

„Also gut“, stimmte Hannah zu.

„Danke.“ Natalia schloss die Augen und presste ihre Lippen auf Hannahs Stirn. Ihre Freundin. Ihre Vertraute. Ihre Fluchthelferin.

Jeden Morgen schlüpfte sie aus ihrem Bett, und Hannah legte sich an ihren Platz, um die Prinzessin zu werden. Um sie zu werden. Und Natalia tat das Gegenteil, sie tauschte ihr seidenes Nachthemd und die sohlenlosen Seidenschuhe gegen derbe Stiefel, Hosen und einen Umhang aus schwerer Wolle.

Dann fuhren sie mit dem nächsten Schritt ihres Morgenrituals fort.

„Ich gehe jetzt“, murmelte Natalja. „Aber ich komme wieder“, versprach sie.

Weil sie es tun würde.

Ein Leben für ein Leben.

Daran glaubte Natalia. Ihre Mutter hatte mit ihrem eigenen Leben für das Leben ihrer Tochter gezahlt, und jeden Tag würdigte Natalia dieses Opfer, erinnerte sich daran, was sie ihrer Mutter schuldig war.

Sie zog die Kapuze über ihre Wangen, verbarg das Gesicht, das das Palastpersonal auf Befehl ihres Vaters um jeden Preis schützen sollte. Sie ging unerkannt durch den Palast, durch verwinkelte Hallen mit hohen Decken, die selbst kleinste Geräusche von den Marmorböden widerhallen ließen. Für kurze Zeit tat sie so, als wäre sie nicht die Prinzessin, sondern nur eine der vielen Angestellten. Eine Angestellte, die jeden Morgen auf dem Pferd der Prinzessin ritt, weil die Prinzessin nur auf dem Schlossgelände und nur im sanften Trab reiten durfte.

Niemals galoppieren. Niemals sich anstrengen.

Aber alle Tiere brauchten Bewegung, um sich frei zu fühlen.

Natalia schlüpfte durch eine unbewachte Tür hinaus.

Samson. Schwarz wie Rabenflügel. Bereit. Wartend. Auf Sie. Auf die Freiheit. Und sie würde ihn die Freiheit fühlen lassen.

Sie schlüpfte in die Steigbügel, kletterte in den Sattel und versetzte dem Hengst einen sanften Tritt mit den Hacken. Wie aufs Stichwort trabte er los.

In ihrem Gefängnis gab es keine Gitter, aber ein Gefängnis war es trotzdem. Es war ein Palast mit hübschen steinernen Engelsgesichtern, die sie von den höchsten Türmen aus dunkelgrauem Stein herunter verspotteten. Idyllisch. Sicher. Aber immer mit einer Grenze für sie. Einer Barriere zwischen ihr und der Welt. Zwischen ihr und ihrem Volk.

Die Liebe ihres Vaters – die Trauer ihres Vaters – war ihr Gefängniswärter. Weil er schon ihre Mutter verloren hatte, musste seine Tochter wenigstens sicher sein. Freiheit war eine Illusion. Sie würde zurückkommen. Das hatte sie immer getan. Sie würde wieder ihr zartes Seidennachthemd anziehen, zurück ins Bett schlüpfen und zusehen, wie ihre Dienerin das Zimmer verließ.

Aber heute Morgen würde Hannah sie nicht verlassen. Sie würden gemeinsam darauf warten, dass die Vorstellung begann. Man würde an ihr zerren und zupfen und sie in ein Meer weißer Seide hüllen, sie auf ein Versprechen vorbereiten, das lange vor ihrer Geburt gegeben worden war.

Mit gesenktem Kopf trieb sie Samson zum Galopp. Er kannte den Weg durch die hohen Bäume rund um das Schlossgelände. Sie ritt weiter, bis sie die Lichtung erreichte. Immer dasselbe Ziel.

Oben auf dem Berg wurde Samsons Galopp langsamer, bis er zum Stillstand kam. Und dort am Horizont konnte sie es sehen, so wie jeden Tag seit einundzwanzig Jahren.

Camalò. Ihr Schicksal.

Der Palast lag an der Grenze zum Nachbarland. Zwei Königreiche, eingebettet im Herzen der Alpen. Zwei Bergkönigreiche, üppig grün, mit schneebedeckten Gipfeln vor dem klaren Himmel. Aber damit endete die Ähnlichkeit auch schon. Vadelto, ihr Zuhause, war ein Gefängnis der Liebe und der Trauer. Wunderschön, unterentwickelt und den Traditionen verhaftet. Camalò dagegen verkörperte die Zukunft. Gut ausgebaute Straßen schlängelten sich durch die Berge, schneeweiße Häuser mit roten Dächern prangten auf jeder von Bäumen gesäumten Ebene des Alpenreichs.

Ihr Land verharrte in der Vergangenheit, weil ihr Vater seine Trauer nicht bewältigen konnte. Ihre Mutter war sein Licht gewesen. Durch ihren Tod war alles Licht erloschen – für ihr Volk, für das ganze Königreich. Alle Veränderungen, die ihre Mutter vorgenommen hatte, waren zum Stillstand gekommen. Die Grenzen waren geschlossen und ebenso die Türen.

Ihre einzige Chance, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, war … Heirat.

Darum würde sie heute einen König heiraten.

1. KAPITEL

Angelo Dizieno wusste, dass der falsche Mann vor dem Altar stand. Der falsche Zwilling. Ein Mann, der niemals die Krone hätte erhalten dürfen. Ein Mann, der seine Pflicht vergessen und seinen Bruder im Stich gelassen hatte. Sie waren eineiige Zwillinge gewesen – bis das Leben sie getrennt hatte. Zwei Minuten hatten zwischen ihrer Geburt gelegen, einhundertzwanzig Sekunden. Zwei Söhne. Ein Thronfolger.

Aber ein Thronfolger und sein jüngerer Bruder konnten niemals dasselbe sein. Sie hatten es beide gewusst. Hatten ihre Rollen verstanden.

Bitterkeit stieg in Angelo auf. Sein Blick schweifte über die Kirchenbänke voller europäischer Monarchen, Diplomaten, Premierminister … alle warteten darauf, dass er ihnen bewies, dass er seine Pflicht nicht noch einmal vergaß. Er war der König, den sie brauchten, denn er war der einzige König, den sie hatten.

So hätte es niemals sein sollen. Der Thron war nie für ihn bestimmt gewesen. Genau das war seine Strafe.

Hochzeit. Die Vereinigung zweier benachbarter Staaten aufgrund eines Versprechens, das vor fünfundsiebzig Jahren gegeben worden war. Er heiratete eine Prinzessin, die seinem Bruder versprochen gewesen war, und konnte nichts dagegen tun. Jeden Moment würden sie eine Braut hereinführen, die niemals ihm hätte gehören dürfen, eine Braut, deren Gesicht drei lange Jahre in seiner Erinnerung gelebt hatte. Die er für seinen abscheulichen Groll verantwortlich machte, nur der Zweitgeborene zu sein.

Er spürte ein stechendes Brennen in seiner Kehle und schluckte es herunter.

So wie du es vor drei Jahren hättest tun sollen.

Angelo biss die Zähne zusammen. Die Reue tat weh. Schon vor drei Jahren hätte er den Blick abwenden sollen, seine Gefühle tiefer in sich vergraben.

Stattdessen hatte er so getan, als wäre er der König.

Schon vor diesem Tag hatten Luciano und er tausende Male den Platz getauscht. Angelo hatte seinen Bruder bei unzähligen geschäftlichen Terminen vertreten. Er war in diesen Dingen besser gewesen. Besser bei knallharten Verhandlungen und der bessere Diplomat. Sie hatten die Plätze getauscht, weil Angelo der bessere … König war?

Plötzlich kam ihm sein Anzug zu eng vor.

Was wäre gewesen, wenn …?

Es versuchte es abzuschütteln, doch das Bedauern blieb.

Was, wenn er nie ihr hässliches Schloss betreten hätte, grau und dunkel, mit seinen hohen Türmen?

Nein, wem machte er hier etwas vor? Ihr Zuhause war nicht hässlich. Es war bezaubernd, fast mystisch. Wie aus einem Märchenbuch. Aus den Bogenfenstern des höchsten Turms hatte er auf üppige Grünpflanzen hinuntergeschaut, und da hatte er sie gesehen, die Tochter des Königs, die erst am Tag ihrer Hochzeit mit dem Thronfolger von Camalò zusammentreffen durfte. Seine erste Reaktion war aus seinem tiefsten Inneren gekommen.

Sie gehört mir.

Sie hatte wie gefangen gewirkt in dem Labyrinth aus üppigem Grün. Aber sie schien es nicht zu bemerken. Das Kleid tiefviolett, ihr braunes Haar lockig über ihre Schultern bis zur Taille fallend, hatte sie mit sanften Fingern die Blätter der Büsche gestreichelt, zwischen denen sie gefangen war.

In ihrer Kapitulation erkannte er sich wieder. Sie war genau wie er. Sie wartete darauf, dass ihr Vater ihr sagte, es wäre Zeit, ihre Pflicht zu erfüllen.

In drei Jahren, wenn sie einundzwanzig war, würde sie Luciano heiraten.

Aber dieser eine Tag hatte alles verändert. Ihr bloßer Anblick hatte enthüllt, was Angelo längst wusste, aber nicht in Worte kleiden konnte: Er wollte mehr, als den König nur heimlich zu vertreten. Er wollte der König sein. Der Thronfolger. Er wollte nicht nur die Reste von seinem Tisch bekommen. Er wollte sie besitzen, für sich selbst …

Ihm war klar gewesen, was er tun musste. Er musste gehen. Bevor sein Groll wuchs und zu einem Feuer wurde, das sie beide zerstören würde. Und so hatte er alles hinter sich gelassen. Sich von allem und jedem befreit, der ihn an das Leben im Palast band. Er hatte jede Verbindung zwischen sich und seinem Zwilling abgebrochen, seine Pflicht seinem Bruder gegenüber verweigert,

Weil er egoistisch war. Sein Ausscheiden aus dem königlichen Palast hatte das Land in den Grundfesten erschüttert. Er war ohne Vorbereitung gegangen, ohne Abschied von den Menschen, die ihn brauchten. Niemand war mehr da gewesen, um seinen Bruder zu unterstützen, wie er es getan hatte.

Jetzt war sein Zwillingsbruder tot und das Königreich Camalò wirtschaftlich am Ende. Sein Vaterland zerbrach, weil sein Bruder ohne ihn völlig falsche Entscheidungen getroffen hatte. Und alles nur, weil Angelo sie gewollt hatte.

Ein Geräusch ließ ihn aufschauen. Durch eine kleine Öffnung in den gotischen Bogentüren am anderen Ende des Ganges erhaschte er einen kurzen Blick auf seine Braut. Sie war von Kopf bis Fuß in weiße Spitze gekleidet. Natalia La Morte.

Sein Herz hämmerte, sein Blut rauschte. Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an. Sein Instinkt sagte ihm, er solle den Blick abwenden.

Aber er musste sie als König ansehen, nicht als Mann. Er musste sie so ansehen, wie er es vor drei Jahren hätte tun sollen.

Und da war sie. Ihr Gesicht war von einem Schleier verdeckt.

Er hatte gedacht, die Zeit hätte seine Reaktion auf sie abgeschwächt, doch er konnte den Blick nicht von der Frau abwenden, die jetzt auf ihn zukam: eine Unschuldige in diesem königlichen Spiel.

Sie kam näher. Unter den Lagen gebauschter Stoffe lugten zarten Seidenschuhe hervor, die sie Schritt für Schritt näher zu ihm führten. Zwischen den zierlichen, weiß behandschuhten Fingern hielt seine Braut einen Strauß kurzstieliger Blumen. Mit ihr hatte alles begonnen, und nun sollte sie seine Königin werden. Er würde das alte Versprechen erfüllen und sie heiraten. Welche Wahl hatte er denn? Jetzt war es seine Pflicht.

Die lang erwartete Vereinigung würde einer unruhigen Nation Frieden bringen, würde dem Volk zeigen, dass sein neuer König tat, was getan werden musste. Er würde dem vorgegebenen Weg folgen und der König sein, den sie brauchten, der König, der sein Bruder hätte sein sollen.

Hätte sein können, wenn Angelo geblieben wäre.

Als die Prinzessin vor ihm stand, stieg ihm ein warmer, blumiger Duft in die Nase und erfüllte seinen Körper mit dem berauschenden Duft von allem, was ihm verboten war. Ihm war, als würden seine Hände sich von selbst bewegen …

Er spürte die federleichten Seide des Schleiers zwischen seinen Fingern und unterdrückte das Bedürfnis, ihr Gesicht zu schnell zu enthüllen. Langsam hob er die Seide von ihrem blassen Kinn, enthüllte ihre Lippen … ihren Rosenknospenmund … ihre Augen …

Seine Hände blieben, wo sie waren, wie eingefroren an ihren Schläfen. Doch der Schleier fiel ihm aus den Fingern, glitt über ihre mit Diamanten besetzte Tiara hinunter über ihren Rücken. Lagunengrüne Augen zogen ihn in ihre Tiefen, in der er versank. Er war gefangen, verzaubert wie vor drei Jahren.

Verlangen durchzuckte ihn, schoss heiß durch seine Adern. Wie ein Verdurstender nahm er den Anblick ihres Gesicht in sich auf. Ihre geschwungenen Wimpern. Die großen Augen. Die ausgeprägte Vertiefung zwischen ihrer vollen Oberlippe und ihrer hochmütigen Nase, alles umschlossen von einem Oval.

Sie war so schön …

Aber es war nicht nur ihre Schönheit, die ihm im Gedächtnis geblieben war. Sie selbst war es. Und genau wie er war auch sie nur ein Bauer auf dem Schachbrett, schweigend im Hintergrund existierend. Schon vor drei Jahren hatte er sie ans Licht ziehen wollen, aber sie waren beide nur königliche Schachfiguren, die man verschob, um einer Monarchie zu dienen, die älter war als die Zeit. Beide hatten sie darauf gewartet, dass die Pflicht sie rief, ihren Gehorsam forderte. Und sie würden gehorchen. Sie würden sich an die Regeln halten.

Doch eigentlich wollte er ein ganz eigenes Spiel mit ihr spielen.

Langsam bewegte er seine Hände von ihrem Gesicht zurück. Als seine Finger dabei versehentlich ihre Wange streiften, loderte Feuer in ihm auf, heiß und unerbittlich. Er konnte nicht anders: Langsam bewegte er seine Finger an ihrem Hals entlang …

Was tut du da?

Er ließ die Hände sinken.

Die Braut seines Bruders. Ihm einst verboten, gehört sie jetzt ihm … Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Priester und ignorierte das Verlangen, sie noch einmal anzusehen, ignorierte das Hämmern seines Herzens, konzentrierte sich ganz auf all die Blicke, die auf ihn gerichtet waren. Die Pflicht hatte sie beide gerufen, und er würde das Seine tun, er würde sie heiraten.

Und sie dann vergessen. Um sich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf die einzigen Dinge, die ihm wichtig sein durften: Seine Pflicht gegenüber dem Andenken seines Bruders, der Krone und seinem Volk.

Und sie?

Sie war so zart und stand so nah bei ihm, dass er ihre Wärme durch seinen Anzug spüren konnte. Wie von selbst bewegten sich seine Finger und drängten ihn, ihre Hand zu ergreifen. Um sie zu beruhigen. Aber wovor? Dass sie nicht allein war? Sie war allein, genau wie er. Allein in einem Raum voller Fremder.

Und das würden sie auch bleiben. Fremde. Er schuldete ihr nichts anderes als das, was er versprochen hatte: einen Ring, eine königliche Hochzeit, einen neuen Namen. Eine Vereinigung ihrer Königreiche. Genau das würde er ihr geben.

Und danach … Sein Atem blieb ihm im Hals stecken.

Danach kam nichts mehr. Nichts als die Pflicht.

Die Lippen des Priesters bewegten sich, aber Natalia konnte ihn nicht hören. Nur das Rauschen in ihren Ohren und das Hämmern in ihrer Brust.

Ihre Haut glühte. Sie wollte mit den Fingern über ihren Hals fahren und die Stelle berühren, an der seine Fingerspitzen sie berührt hatten. Sie wollte die Hand heben und seine Haut ebenfalls berühren. In seine honigbraunen Augen schauen, so wie er in ihre geschaut hatte. Unter den Schichten weißer Seide zitterte sie. Jeder Muskel ihres Körpers war angespannt. War das Anziehungskraft?

Sie straffte die Schultern und konzentrierte sich auf den Priester und seine Hand, die er über dem heiligen Buch in der Luft hielt.

Bestimmt lag es nur daran, dass sie den Prinzen gerade zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war vor langer Zeit mit einem Mann verlobt worden, den sie nie getroffen hatte. Ihr Vater hatte es nicht erlaubt. Nicht vor ihrem Hochzeitstag. Es hatte keine Bilder gegeben, keine Briefe, keine geheimen Treffen im Dunkeln oder gar bei Tageslicht. Nichts als Worte ihres Vaters, die ihr Schicksal besiegelt hatten.

Es war ihre Pflicht.

Ihr war es egal gewesen. Ihr war nur wichtig gewesen, den König im Palast hinter der Grenze zu heiraten. Nicht der Mann interessierte sie. Nur dass er ihr ermöglichen würde, Königin zu werden.

Und doch entzündete der Mann, der jetzt zu ihrer Linken stand, all ihre Sinne. Sein Duft war blumig, mit kräftigen, erdigen Noten. Wie Erde, frisch aufgewirbelt von Pferdehufen. Der Duft des Abenteuers …

Sie kannte diesen Duft. Es war nicht der Mann, der sie erregte, sondern das, was er für sie bedeutete. Er war alles, worauf sie gewartet hatte: Freiheit. Diese Ehe würde die Tore ihres Gefängnisses öffnen. Sie war bereit, diesen Mann zu heiraten, um Königin zu werden.

„Eure Hoheit?“ Die grauen Augen des Priesters waren erwartungsvoll auf sie gerichtet.

Was hatte sie verpasst?

Der Priester senkte den Kopf. „Die Handschuhe.“

Der warme Druck seiner Finger auf ihrer Taille zog ihren Blick auf sich. So elegante Finger. So viel Kraft in dieser sanften Liebkosung. Sie hob den Kopf und blickte ihm in die Augen, in ein Gesicht aus harten Linien. Eine edle Nase. Ein kantiges Kinn, das von einem gepflegten Bart beschattet wurde.

„Darf ich?“

Seine Stimme klang tief, heiser. Ihr Herz klopfte, als er den Handschuh ihrer linken Hand abstreifte. Der Kontakt war so leicht und doch so intim. Er entblößte ihre Hand, der Handschuh fiel auf den Boden. Sie konnte nicht atmen, als er ihre Hand umdrehte und ihr ein goldenes Band um die Fingerkuppe legte: das Symbol ihrer Vereinigung.

„Bereit?“

Die Frage drang bis in ihr Innerstes. Er drängte sie nicht. Er erinnerte sie nicht daran, dass tausend andere Menschen im Raum waren. Er wartete auf ihre Antwort. Wartete auf sie. Sie hatte nie an den Mann hinter der Camalò-Krone gedacht. Nur an ihre eigene. Ihr Vater würde nach der Heirat zurücktreten, sie würde Staatsoberhaupt werden. Zwei Königreiche würden durch eine königliche Ehe verschmelzen.

Aber hier vor dem Altar standen zwei Menschen.

War sie bereit?

Es war an der Zeit. Der Wandel kam. Sie würde alle aufwecken, so wie ihre Mutter es getan hatte. Sie würde die Veränderung herbeiführen, die ihre Mutter gewollt hätte. Sie würde die Schuld begleichen, dass ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben war. Ein Leben für ein Leben. Natalia. Eine Königin für die Menschen.

„Ich bin bereit.“

Als die Stimme des Priesters ertönte, konnte sie nur den Mann an ihrer Seite sehen. Ihren König.

„Nehmen Sie, Angelo Dizieno, König von Camalò, Natalia La Morte, Prinzessin von Vadelto, zu Ihrer rechtmäßigen Ehefrau?“

Sein Blick hielt ihren fest.

„Ja.“

„Und nehmen Sie, Natalia La Morte, Prinzessin von Vadelto, Angelo Dizieno, König von Camalò, zu Ihrem rechtmäßig angetrauten Ehemann?“

Hier war er, der Moment, der ihr Schicksal besiegelte. Wie es ihr vorherbestimmt war.

„Ja.“

Das goldene Band glitt über ihren Finger.

„Sie dürfen jetzt die Braut küssen.“

Sein dunkler Kopf senkte sich. Sie holte tief Luft und wartete, machte sich bereit, Schultern gerade, Rücken aufrecht. Sie kämpfte gegen den Drang, die Augen zu schließen. Seine langen Wimpern flatterten, sein Atem mischte sich mit ihrem. Heiß. Männlich. Seine Lippen waren nah.

Instinktiv erhob sich auf die Zehenspitzen und legte ihre Hand auf seine breite Schulter. Erst auf den letzten Millimetern bewegte er sich. Die Haare über seiner Oberlippe berührten ihre. Ein Kitzeln, eine Liebkosung. Der Druck seines Mundes war fest, aber auch federleicht.

Ihr Körper sang, ihr Herz hämmerte.

Aber bevor sie die Reaktion ihres Körpers analysieren konnte, war der Moment vorbei. Er hob seinen Kopf ein wenig und legte seinen Mund an ihr Ohr.

Schmetterlinge tanzten in ihrer Brust.

„Es ist vorbei, Prinzessin.“

Sie schaute ihn verwirrt an. Hatte es nicht gerade erst begonnen?

2. KAPITEL

Zwei Monate später …

Natalia starrte auf das Besteck. Auf ihren unberührten Teller.

Wo war er? Seit zwei Monaten äußerte sie jeden Abend die gleiche Bitte: eine Audienz beim König. Jedes Mal wurde ihre Bitte abgelehnt. Er lehnte sie ab.

Trotzdem wartete sie.

Sie hatte ein Palastgefängnis gegen ein anderes getauscht. Eine weitere Zelle voller Silberlöffel und feinem Porzellan. Sie konnte sich frei auf dem Gelände und im gesamten Palast bewegen. Außer im Westflügel. Die Gemächer der früheren Königin waren für sie tabu. Genau wie der König.

Sie hatte zwei Monate Zeit gehabt, den Palast zu erkunden. Acht Wochen, um das Ausmaß ihrer Verlassenheit zu begreifen. Getrennte Zimmer. Getrennte Betten. Getrennte Leben. Sie war so alleine wie nie zuvor. Alleine mit dieser Fassade einer Ehe.

Aber was hatte sie erwartet? Sie hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht. Ganz naiv hatte sie einfach angenommen, dass alles anders sein würde. Jetzt wurde die Zeit knapp. Bis zu ihrer Krönung blieb noch eine Woche, und mit jedem Tag schien sich ihr Traum weiter zu entfernen. In ihrem neuen Zuhause wurde sie jeden Tag von Regeln ausgebremst. Von Traditionen. Ohne die Erlaubnis des Königs wurde jede ihrer Bitten abgelehnt. Des Mannes, der ihre Lippen in einem Kuss berührt hatte, den sie nicht vergessen konnte.

Eine Hand griff nach ihrem Teller. Man versuchte schweigend, den Tisch abzuräumen.

„Lassen Sie es stehen!“, forderte sie, dann fügte sie hinzu: „Bitte.“ Schließlich machten die Leute hier auch nur ihren Job.

„Eure Hoheit.“ Die Hand verschwand.

Am sanften Schein flackernder Kerzen vorbei richtete sie ihren Blick auf das andere Ende des hochglanzpolierten rechteckigen Tisches. Der Stuhl war leer. Kein feines Porzellan davor, kein Besteck, kein Lebenszeichen. Aber sie wusste, dass er existierte. Sie erinnerte sich an den Druck seines Mundes, den Glanz seiner honigfarbenen Augen …

In diesem Moment öffnete sich die Tür. Mit ausdrucksloser Miene erschien der Privatsekretär des Königs im Raum.

Sie stand auf und hob eine Hand um ihn aufzuhalten. „Bestimmt muss der König auch mal essen“, brach sie das Protokoll – die Regel, zu schweigen und zu warten.

„Seine Majestät lässt sich entschuldigen …“

Sie schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass die Entscheidung, ohne sie zu essen, etwas aussagte. Aber wie sollte dann ihr restliches Leben aussehen?

„Bringen Sie mich zu ihm!“

„Eure Hoheit …“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht.“

„Dann werde ich ihn selbst finden.“

„Der König …“

„Wird seine Frau nicht länger ignorieren!“ Sie ging an dem Sekretär vorbei und hasste ihre Unhöflichkeit, aber was sollte sie tun? Sie konnte nicht länger warten.

Während sie durch die Flure ging, wehrte sie die Versuche des Sekretärs ab, sie zu überholen. Selbst die Porträts an den Wänden schienen sie missbilligend anzuschauen. Aber das war ihr egal.

An der Tür zu seinem Arbeitszimmer – seinem Versteck – blieb Natalia stehen. Sie holte noch einmal tief Luft, dann stieß sie die alte Eichentür auf. Und da saß der König. Zur Seite gekämmtes dunkles Haar berührte seine Ohrläppchen und die stolzen Wangenknochen. Eine Strähne fiel ihm in die Stirn.

Eine edle Nase, und so volle Lippen … Ihr Blick wanderte über seinen Hals zum offenen Kragen seines schwarzen Hemdes, wo einige feine dunkle Härchen herausschauten, glitt über seine Brust zu den Schultern, zu den starken Armen …

Sein Stift hielt mitten in der Bewegung inne, er hob den Blick von der Zeitung. Volle und lange Wimpern fingen einen Sonnenuntergang aus flüssigem Gold ein. Ein hypnotisierender Hitzewirbel erfasste sie, Wärme breitete sich in ihrem Körper aus, von ihren Fingern durch ihre Arme, ihre Brust, bis in den Magen. Und tiefer. Alles schien innezuhalten – auch die Zeit.

Er blickte sie an.

Sie schluckte. Sie wollte ihn nicht als Mann sehen, mit diesem lodernden Feuer in ihrem Körper. Es gefiel ihr nicht. Es passte nicht hierher in diesen Raum.

„Ich muss mit dir sprechen“, sagte sie heiser, bevor ihr Respekt vor den Regeln sie davon abhalten konnte. Bevor sie tat, was von ihr verlangt wurde – schweigen und ihr Leben wie eine Marionette leben, an Fäden, die die Männer zogen, aus Tradition und nach Regeln, die nur dem König dienten. Nicht dem Volk. Nicht ihr.

Angelo senkte den Blick. „Dann vereinbare einen Termin.“

„Eure Majestät …“ Der Sekretär stürmte in den Raum. „Ich entschuldige mich …“

„Lassen Sie uns alleine“, gab Angelo zurück. Sein honigbrauner Blick sagte genauso viel wie seine Worte: Er wollte sie nicht hier haben.

„Warum bist du gekommen?“

Ihr Atem stockte. Die Worte – all die Worte, die sie zurückgehalten hatte –blieben ihr im Halse stecken. Sie hatte seine Aufmerksamkeit gefordert. Hier war er und schenkte sie ihr. Jetzt wartete er auf ihre Antwort.

Und worauf wartete sie?

Sie war dazu erzogen worden, zu schweigen. Nur zu reden, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Ihre Erziehung verlangte, dass sie sich entschuldigte, weil sie ihn gestört hatte, und dann ging. Aber ihr Gehorsam war nur eine Fassade gewesen.

Autor

Lela May Wight
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