Happy End mit dem Outback-Milliardär?

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Als Studentin Ari bei einem exklusiven Ball kellnert, trifft sie den Playboy-Milliardär Reid Blake wieder. Vor sechs Monaten hat sie ihm nach seinem Unfall in den einsamen Weiten des Outbacks das Leben gerettet – da war sie bereits heimlich fasziniert von ihm. Und als Reid sie jetzt mit einem verlangenden Kuss überrascht, kann sie ihr Glück kaum fassen. Für einen Moment fühlt sie sich wie Cinderella. Doch sie darf nicht vergessen: Reid und sie trennen Welten! Wird ihr Traumprinz sie immer noch wollen, wenn die Uhr Mitternacht schlägt?


  • Erscheinungstag 23.12.2023
  • Bandnummer 2629
  • ISBN / Artikelnummer 0800232629
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

„Du musst jetzt gehen.“

Stirnrunzelnd schaute Reid Blake von seinem Computer auf. Gerade hatte er anfangen wollen, seine E-Mails zu lesen. So beeindruckend Judah auch war – sein Ruf passte perfekt zu seinem grimmigen Blick –, so wenig ließ er sich von den markigen Worten seines großen Bruders einschüchtern. „Warum? Ich bin doch eben erst gekommen. Außerdem hat deine wundervolle Tochter mich zu ihrer Teeparty im Schrank unter der Treppe eingeladen. Sie hat Muffins für uns gebacken.“

Bei der Erwähnung seiner Tochter wurde Judahs Gesicht weicher – genau, wie es sein sollte. Piper Blake besaß einen messerscharfen Verstand und das Gesicht eines Engels. Es glich einem Wunder, dass Daddy Judah überhaupt jemals Nein zu ihr sagen konnte. Aber wenn er es gelegentlich tat, dann weil es zum Besten der Neunjährigen war.

Von ihrem nachsichtigen Onkel Reid hatte sie keinerlei vernünftige Ratschläge zu erwarten.

Seufzend lehnte Judah sich gegen den verzierten hölzernen Türrahmen. In dem Haus in Jeddah Creek gab es viele mit Ornamenten und Schnitzereien versehene Elemente, was auf Judahs adelige Herkunft als englischer Lord hinwies, obwohl er im australischen Outback aufgewachsen war. „Wenn du jetzt nicht gehst, solltest du besser eine Plane über diesen Schrotthaufen spannen, den du Hubschrauber nennst. Von Westen her zieht ein Staubsturm auf.“

„Verflixt!“ Reid atmete ganz langsam aus und presste seine Handballen auf die Augen, während er den Stuhl vom Schreibtisch nach hinten rückte. Hier draußen existierten die Internetverbindungen bestenfalls sporadisch. Das hier war seine letzte Chance, seine beruflichen Mails herunterzuladen, bevor das Netz komplett ausfiel. „Wie kommt es, dass jedes Mal, wenn ich ein paar Tage frei habe, um nach Cooper’s Crossing zu fahren, das Wetter umschlägt? Sind die Götter nicht der Meinung, dass ich auch mal eine Pause von diesem Wahnsinn verdient habe? Denn, glaub mir, ich freue mich auf die Einsamkeit.“

„Dann raus aus dem Internet und such sie“, gab Judah zurück.

„Geht nicht. Ich warte auf die Rückmeldung zu dem neuen Prototyp, den ich Anfang der Woche verschickt habe. Es ist nicht leicht, ein genialer Motorenentwickler, ein Workaholic und ein milliardenschwerer Playboy zu sein. Ich bin ein guter Fang. Ein Hengst. Es fällt mir wirklich nicht leicht, dir das sagen zu müssen.“

„Bist du fertig?“

„Man weiß nie, was ein Mensch von einem will. Dein Geld oder deine Liebe. Möglicherweise den Prototyp des neuen solarbetriebenen Motors, der die kommerzielle Luftfahrt revolutionieren wird. Ich stecke in einer existenziellen Krise.“

Judah musterte ihn ausdruckslos. „Du bist kein Playboy.“

„Stimmt. Aber für die Medien ist das irrelevant. Du weißt das, ich weiß das, und die wenigen Frauen, mit denen ich im Laufe der Jahre ernsthaft zusammen war, wissen das auch. Aber der Rest der Menschheit sieht das anders.“

„Apropos Frauen, mit denen du …“

„Lassen wir das!“

„Würde ich gerne. Aber dein Freund Carrick Masterton hat neulich angerufen. Du sollst Trauzeuge bei seiner Hochzeit sein.“

„Ich habe ihm bereits abgesagt.“

Lass dich nie mit der Schwester deines besten Freundes ein. Vor einigen Jahren hatte Reid diese Regel gebrochen, weil er gehofft hatte, dass Jenna die Richtige sein könnte. Stattdessen hatte sie nach nur sechs Monaten voller intimer Gespräche, Reisen und diverser Aufmerksamkeiten, alle Informationen, die sie über ihn gesammelt hatte, an die Presse verkauft und sich selbst zur Umweltaktivistin erklärt. Ihn hingegen hatte sie als intellektuell verkrüppelten Kapitalisten abgestempelt, der sich einen Dreck um die Natur scherte, obwohl er sich nach außen hin ganz anders präsentierte. Als delikate Fußnote hatte sie sich über seine sexuellen Fähigkeiten lustig gemacht und ihn als kalt und herzlos hingestellt. Ihre Aussagen hatten ihn einige vielversprechende Geschäftsbeziehungen und einen seiner ältesten Freunde gekostet. „Jenna ist eine der Brautjungfern. Offenbar ist sie bereit, die Vergangenheit ruhen zu lassen.“

Skeptisch hob Judah eine Augenbraue. „Wie großzügig von ihr.“

„Das ist es. Willst du sonst noch etwas über mein Privatleben wissen?“

Beschwichtigend hob Judah die Hände. „Ganz ruhig.“

„Wenn Carrick wieder anruft, sag ihm, dass du nicht mein Privatsekretär bist.“

„Hab ich schon. Ich wollte eher wissen, wie du damit umgehst.“

„Offensichtlich nachtragend und verletzt – zumindest werden sie das so darstellen.“ Einen Moment gab Reid seine flapsige Fassade auf. „Bei dieser Einladung konnte ich von Anfang an nur verlieren. Mein Hochzeitsgeschenk an Carrick sind zwei Wochen Urlaub auf einer Riffinsel. Vor ein paar Tagen hat meine Sekretärin die Unterlagen an ihn geschickt. Ich vermute, dass er deshalb hier angerufen hat.“

„Du schickst ihn auf unsere Insel?“

„Natürlich nicht. Denn unmittelbar nach ihrer Ankunft werden Bilder von unserem Strandhaus im Internet landen. Carricks Verlobte arbeitet als Influencerin.“

„Na großartig“, murmelte Judah.

„Ich habe für sie eine Luxusinsel gebucht, mit der wir nichts zu tun haben. Sie werden es dort lieben … falls sie das Geschenk annehmen.“

„In Ordnung.“

„Halt die Augen auf nach der Schlagzeile, die meine skrupellose Großzügigkeit und meine unsensible Hartherzigkeit oder beides enthüllt.“

Judah nickte. „Die lasse ich rahmen und hänge sie im Billardzimmer auf.“

Das brachte Reid zum Lächeln – genau wie sein großer Bruder es beabsichtigt hatte. „Die Sache ist die, dass ich meinem alten Schulfreund durchaus eine beständige und glückliche Ehe wünsche. Hoffentlich findet er in seiner Braut alles, wonach er sich sehnt. Verdammt, das wünsche ich mir auch für mich.“

So nah war er seit Jahren nicht mehr daran, sich seine Einsamkeit einzugestehen.

Seufzend legte Judah seine große Hand auf seinen Nacken – ein sicheres Zeichen dafür, dass er sich mit der Wendung, die das Gespräch genommen hatte, unwohl fühlte. „Bleibst du oder gehst du?“

„Ich gehe.“ Gleich nachdem er einen Blick auf das Wetter geworfen hatte. Oder vielleicht auch nicht, wenn man bedachte, wie lange es dauerte, die Informationen aus dem Netz zu laden. „Ich mache mich sofort auf den Weg – sobald ich mein Törtchen abgeholt und mich von deinen Frauen verabschiedet habe. Dir ist klar, dass sie mich lieber mögen als dich?“

„Wenn ich das wirklich glauben würde, müsste ich dich erschießen.“

„Das sagst du so leicht … aber würdest du es wirklich tun?“

Judah grinste. „Man sagt ja, Übung macht den Meister.“

Das Geplänkel war ein weiterer Beweis dafür, wie gefestigt ihre Bruderbeziehung war. In diesen Tagen konnten sie frei über den Vorfall sprechen, der Judah sieben Jahre im Gefängnis gekostet hatte. Allerdings hegte Reid seinen eigenen Verdacht, was in jener Nacht der Schießerei passiert war. Doch egal, wie oft er versucht hatte, Judah dazu zu bringen, ihm alles zu erzählen, sein großer Bruder hatte ihm nie die ganze Geschichte anvertraut. Als er jünger war, hatte dieser Mangel an Vertrauen ihn richtiggehend zermürbt. Heute jedoch war er zu der Meinung gelangt, dass die Leute nicht alles „wissen müssen“.

„Staubsturm im Anmarsch“, wiederholte Judah. „Hast du nicht gesagt, du willst gehen?“

Das würde er auch. Ihm blieb keine Zeit, auf die Wetterkarte zu warten, die vielleicht nie geladen wurde. „Wir sehen uns in einer Woche.“

„Das Haus in Cooper’s Crossing ist mit Vorräten ausgestattet und bereit für dich.“

„Oh, das hättest du nicht zu tun brauchen.“

„Habe ich auch nicht. Gertie hat sich darum gekümmert.“

Seit Reid zurückdenken konnte, hatte Gertie als Haushälterin in Jeddah Creek gearbeitet. Sie betreute noch zwei weitere Farmen im Outback und drehte alle zwei Wochen eine Runde zu den drei Anwesen. Als Reid und Judah das Haus der Coopers im Norden gekauft hatten, war es absolut sinnvoll gewesen, diese Rotation beizubehalten.

„Sicheren Flug.“

Reid nickte, während er seinen Laptop und die Kabel in einer Tasche verstaute. Seit er ein Teenager war, flog er Hubschrauber und seit seinen frühen Zwanzigern entwarf und baute er sie auch. Der „Moskito“ vor der Tür besaß einen revolutionären Motor und eine doppelt so große Reichweite wie vergleichbare Konkurrenten. „Ich bin immer vorsichtig.“

Zwanzig Minuten später, nach einem kurzen Sicherheitscheck und zwei Muffins, befand Reid sich in der Luft und flog Richtung Norden. Weitere Passagiere gab es nicht. Endlich war er allein und so glücklich, wie schon lange nicht mehr.

Judah war der eigenbrötlerische Rebell der beiden Blake-Brüder, was bedeutete, dass Reid oft derjenige war, der sich um die Verwaltung ihrer verschiedenen Firmenbeteiligungen kümmerte. Reid war der Mann für die Öffentlichkeit, der gesellige Showman, mit dem jeder ohne Angst reden konnte. Niemand – selbst sein Bruder nicht – wusste, wie sehr er die ständige Kontrolle hasste, der er vierundzwanzig Stunden am Tag ausgesetzt war – ganz zu schweigen von der fröhlichen Playboy-Fassade, die er über die Jahre gepflegt hatte. Denn allmählich schien ihm dieses Image eine schlechte Idee zu sein. Vor allem, weil er nach all den Jahren nicht mehr wusste, wie er überhaupt noch Menschen an sich heranlassen sollte.

Jeder Schritt seiner Ingenieurfirmen wurde vom Markt, von anderen Unternehmen auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien und einer stetig wachsenden Zahl von Lobbygruppen genauestens geprüft. Seine Worte besaßen Gewicht in der Branche und konnten Aktienkurse beeinflussen. Insgeheim sehnte er sich nach den guten alten Zeiten zurück, als er sich mit siebzehn Jahren allein nur um sich und eine riesige Rinderzucht hatte kümmern müssen.

Damals waren seine Eltern gerade gestorben und sein Bruder saß im Gefängnis, weil er einen Mann erschossen hatte.

Ja, die gute alte Zeit.

Nach Judahs Entlassung hatten sie riesige Gebiete im australischen Outback aufgekauft und in ein Reservat verwandelt. Niemand hatte Reid aufgehalten, als er Geld in die Erforschung erneuerbarer Energien und Prototypen für klimafreundlichere Triebwerke steckte. Es waren einfach keine anderen Erwachsenen da, die ihn davor gewarnt hätten, dass auf viel Geld und Macht noch mehr Geld und noch mehr Macht und noch mehr Verantwortung folgen konnte – ganz gleich, ob man dafür bereit war oder nicht. Doch die Brüder hatten bewiesen, dass sie bereit waren. Reid war stolz auf das, was Judah und er erreicht hatten und weiterhin anstrebten. Aber an manchen Tagen – und dieser gehörte dazu –, wollte er einfach nur den blauen Himmel um sich herum und die rote Erde mit ihrer spärlichen Pflanzenwelt unter sich sehen. Nach Monaten unermüdlicher harter Arbeit – intellektuell, sozial und politisch – und viel zu vielen Menschen um sich herum, die ihn drängten, gleichzeitig schneller und langsamer, seitwärts und über eine Klippe zu gehen, gab es keinen besseren Ort auf der Welt als Zuhause.

Er steuerte den kleinen Helikopter über das vertraute Terrain immer weiter nach Norden, wobei er seine Aufmerksamkeit zwischen der rauen Schönheit des Landes und der dünnen Staubschicht am Horizont im Westen aufteilte. Staubstürme waren keine Seltenheit in dieser Region, doch es empfahl sich nicht, in einen hineinzufliegen. Selbst die Luftströmungen vor einer Staubfront waren gefährlich. Wenn er landen und sich von dem Sturm überrollen lassen müsste, würde er das tun, doch gerne machte er dergleichen nicht.

Sein Plan war es, rechtzeitig nach Hause zu gelangen.

„Komm schon, mein kleiner Schatz, gib mir alles, was du hast.“ Er drückte das Gaspedal durch und spürte, wie ein vertrautes Gefühl von Freude ihn durchströmte. Nach dem Tod seines Vaters und vor Judahs Entlassung war er ein einsamer Teenager mitten im Nirgendwo gewesen. Das Fliegen war seine erste große Liebe gewesen … und stand für ihn immer noch an gleicher Stelle wie Sex.

Nicht, dass er das jemals zugegeben hätte. Die Gefahr, sich lächerlich zu machen, war einfach zu groß. Und über ein solches Geständnis würde nie Gras wachsen.

Ein Hengst mit Geld wie Heu. Dieses Image hatten die Medien geschluckt. Die Menschen glaubten es. Insgeheim machte Reid sich darüber lustig, benutzte es aber als Schutzschild, um sein weiches Herz zu verbergen. Schon vor seiner katastrophalen Erfahrung mit Jenna war es ihm zu erkennen, ob eine Frau ihm nahekommen wollte, weil sie ihn tatsächlich mochte. Im Laufe der Jahre hatten sich zu viele Frauen seines Geldes wegen an ihn herangemacht. Oder sie wollten, dass er seinen Einfluss nutzte, damit sie ihre eigenen politischen Ziele erreichten. Sie hatten ihn benutzt, um ihre Karrieren voranzutreiben oder um – wie Jenna – ein Rampenlicht zu gewinnen, das sie aus eigener Kraft nicht hätten erreichen können.

Schon seit verdammt langer Zeit schienen romantische Beziehungen kaum mehr zu sein als geschäftliche Transaktionen …

War es da verwunderlich, dass er das Fliegen erotischer Intimität vorzog?

Die Staubwand kam immer näher. „Schätzchen“, sagte er und tippte auf die Konsole vor sich. „Wir müssen ein bisschen schneller fliegen.“

Mit finsterer Miene schaute Ari Cohen auf die sich rasch nähernde Staubwand hinter sich. Wie aus dem Nichts war der Sturm aufgetaucht und steuerte direkt auf sie zu. Das bedeutete, sie musste in Windeseile ihr Lager abbrechen und so viele Sachen wie möglich in ihren alten zerbeulten Geländewagen bringen. Danach musste sie Steine finden, die sie um die Räder schichten konnte. Und anschließend konnte es nicht schaden, das Fahrzeug mit Seilen an Stahlpflöcken, die sie in den sandigen Boden treiben musste, festzubinden. Erst dann würde sie sich sicher fühlen und den Sturm in der Kabine ihres Wagens über sich hinwegfegen lassen.

Seit ihrer Kindheit hatte sie viele Staubstürme überstanden. Aber eine rote Wand des Untergangs wie diese hatte sie noch nie gesehen. Schon jetzt zerrte der Wind an ihrem kastanienbraunen Haar und peitschte die Ränder ihres Zeltes in die Luft. So schnell wie möglich rollte sie es mitsamt den Stangen zusammen und schob es auf den Rücksitz. Als Nächstes kam der kleine Gaskocher dran. Während sie packte, schimpfte sie über die unzureichenden Wettervorhersagen im Allgemeinen und die unbestrittene Tatsache, dass es niemanden wirklich interessierte, was für ein Wetter hier draußen im Nirgendwo herrschte.

Außer den superreichen Blake-Brüdern, denen vermutlich auch weite Teile des Mars gehörten, lebte ja auch kein Mensch hier.

Als sie gerade dabei war, die Halteseile an dem Geländewagen festzuzurren, entdeckte sie den silber-schwarzen Fleck am Himmel, der sie entfernt an einen Kampfhubschrauber erinnerte – ein winziges Ding mit einer bauchigen Nase und schlanken Rotoren und vielleicht einem Sitzplatz. Wenn derjenige, der dieses Maschinchen flog, glaubte, er habe auch nur die geringste Chance, dem Staubsturm zu entkommen, der mit gefühlt einer Million Meilen pro Stunde auf ihn zu raste, dann irrte er sich gewaltig.

„Landen! Du musst landen, du Verrückter!“, schrie sie, obwohl der Pilot sie nicht hören konnte. Trotzdem fühlte es sich richtig an, ihn daran zu erinnern. Niemand konnte ihr vorwerfen, sie habe den Idioten nicht gewarnt.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als der Hubschrauber gerade nach oben stieg und dann nach rechts abdrehte, als würde er von der Hand des launischen Windes herumgewirbelt. Sie wollte nicht Zeugin einer Tragödie werden. Am liebsten hätte sie sich in die Sicherheit ihres Geländewagens verkrochen und den Sturm vorüberziehen lassen. Doch sie konnte den Blick nicht von dem Kampf am Himmel abwenden: der Hubschrauber gegen die Elemente. Wie sollte ein Mensch gegen diese Widrigkeiten gewinnen? Welcher Narr glaubte, er könne das?

„Komm runter!“

Es war, als habe der Unbekannte ihren Ruf gehört, denn der kleine Helikopter neigte sich, steuerte auf den Boden zu und … Oh nein!

„Nicht so!“

Nein! Verdammt, nein!

So viel zu Steinen um die Räder und Sicherungsseilen. Wenn dieses Fluggerät landete, würde es hart aufsetzen. Und außer ihr war niemand hier draußen, der nachsehen konnte, ob – wenn überhaupt – der leichtsinnige Pilot gerettet werden konnte.

Sie war keine Ärztin, keine Krankenschwester oder Sanitäterin. Sie besaß keinerlei medizinische Ausbildung.

Normalerweise vermied sie es, sehenden Auges in eine Katastrophe zu rennen. Aber … Und warum musste es immer ein Aber geben?

Ari war hier draußen am Rand des Outbacks geboren und aufgewachsen. Sie wusste, was passierte, wenn keine Hilfe kam. Dieses Land verzieh nicht.

Wer auch immer in diesem verfluchten Helikopter saß, würde Hilfe brauchen.

Fluchend startete sie den Motor. Es gab keine Gewissheit, dass der Wagen nicht auch von einem Windstoß niedergewalzt wurde, aber sie gab trotzdem Gas. Das Lenkrad fest umklammernd, steuerte sie in Richtung Norden.

Noch konnte sie den Weg vor sich sehen. Noch hielt sich der Hubschrauber im Himmel. Noch war er nicht unten, doch er sank immer tiefer.

„Kämpfe!“, befahl sie demjenigen, der das Ding flog.

Gewinne.

In all den Jahren, die er flog, hatte Reid noch nie so ein Wetter erlebt. Jegliches Selbstvertrauen hatte ihn schon lange verlassen. Jetzt kam es nur noch darauf an, die kleine Maschine zu landen. Dabei musste er leider einkalkulieren zu sterben.

Keines seiner Instrumente funktionierte.

Er wusste nicht, wo oben war. Der Wind war so stark, dass der Helikopter nicht einfach zu Boden glitt, die Schwerkraft war nicht länger sein Freund. Hubschrauber glichen summenden Bienen. Wenn etwas schiefging, stürzten sie ab.

Trotzdem kämpfte er. Er versuchte zu spüren, wo sich Himmel und Erde befanden, damit er tiefer sinken konnte. Ruhig, ganz ruhig, Süße, dachte er, während er durch die Luft geschleudert wurde.

Das konnte nicht das Ende sein.

Das konnte es einfach nicht sein.

Wenn er überlebte, würde er Sex definitiv den Vorzug vor dem Fliegen einräumen. „Ich verspreche es …“

Falls er überlebte …

Es kam einem Wunder gleich, dass Ari die Absturzstelle überhaupt gefunden hatte. Mittlerweile war der rote Staub so dicht, dass der Lack von ihrem Fahrzeug gesprengt wurde. Von nun an würde sie an Wunder glauben, denn da stand er vor ihr, der kleine Helikopter, die Nase im Boden, das Heck nach oben. Überall lagen Teile verstreut und wo die Rotoren abgeblieben waren, wusste allein der Himmel. In dem Wrack befand sich niemand.

Wo könnte ein Mensch liegen, wenn er hinausgeschleudert worden wäre?

Ari hatte keine Ahnung.

Sie stellte den Motor ab, der nach der Fahrt durch diese Hölle vielleicht nie wieder anspringen würde, aber um dieses Problem würde sie sich später kümmern. Hier in der Fahrerkabine konnte sie staubfreie Luft atmen.

Draußen konnte sie sterben.

Jemand anderes war da draußen. Sie konnte nur vermuten, ob er schon tot war oder noch lebte. Aber wenn er noch lebte, blieb ihm nicht mehr viel Zeit, wenn er keinen Unterschlupf fand. Oder ihn jemand in Sicherheit brachte. Also sie.

Sie griff nach dem Seil, mit dem sie den Wagen hatte sichern wollen und knotete ein Ende um ihre Taille. Dann setzte sie ihre Sonnenbrille auf, wickelte einen Schal um ihren Kopf. Kurz bedauerte sie, keine Taucherbrille eingepackt zu haben, die hätte sie jetzt gut gebrauchen können.

Ari verließ den Wagen und machte sich so klein wie möglich, um dem Wind nur wenig Angriffsfläche zu bieten. Sandkörner prasselten schmerzhaft auf ihre ungeschützten Hände und Knöchel. Sie befestigte das andere Ende des Seils an der Stoßstange. Es reichte ungefähr dreißig Meter weit. Wenn sie niemanden in dieser Entfernung fand, würde sie es in einer anderen Richtung versuchen.

„Kämpfe“, murmelte sie. „Ich kann dich spüren.“ Das konnte sie wirklich – ein weiteres Wunder, dessen Wie oder Warum sie nicht hinterfragte. „Ich komme zu dir. Gib jetzt bloß nicht auf.“

2. KAPITEL

Er konnte atmen. Um sich herum hörte er das Geräusch von reißendem Stoff, sehen konnte er nichts. Aber er bekam Luft und war nicht allein.

„Wer ist da?“ Seine Stimme klang dumpf in seinen Ohren. Der Schmerz in seinem Kopf drohte, ihn ohnmächtig werden zu lassen, doch irgendwie brachte er die Worte heraus.

„Er spricht.“ In den Worten schwang ein Hauch von Hysterie mit. Dennoch hatte er noch nie größere Dankbarkeit für Gesellschaft empfunden. „Hör zu.“ Eine gewisse Dringlichkeit lag in dem Tonfall. „War noch jemand in dem Hubschrauber?“

„Nein.“

Die Frau atmete auf. „Das ist gut. Wirklich gut.“

„Wo sind wir?“

„In einem Zelt neben dem abgestürzten Hubschrauber. Ich wusste nicht, ob es eine gute Idee ist, dich zu bewegen, also habe ich das Zelt zu dir gebracht. Der Staubsturm wütet noch immer. Hier drinnen ist es schlimm, aber draußen ist es noch schlimmer.“

„Ich kann nichts sehen.“

„Es ist dunkel. Das liegt am Staub.“

„Nein, ich sehe gar nichts.“

Schweigen.

„Sag etwas!“, forderte er die Unbekannte auf und streckte die Hand nach ihr aus. Er ertastete weiche Haut, einen Arm oberhalb des Ellenbogens, warm und lebendig. „Ich kann nichts sehen.“ Er spürte, wie sie ihre Hand auf seine schob, ihre Finger mit seinen verschränkte. Die Berührung beruhigte ihn.

„Ich glaube, du hast dir den Kopf gestoßen“, sagte sie leise.

So viel zum Offensichtlichen. Zumindest war er nicht allein. Er atmete noch. Vielleicht sollte er anfangen, dankbar für die Kleinigkeiten zu sein. „Bleibst du bei mir?“ Auf einmal kam es ihm überlebenswichtig vor, dass die hübsche Stimme nicht verstummte.

„Ja. Im Moment gehe ich nirgendwohin. Draußen herrscht reines Chaos.“

„Ich kann nichts sehen.“ Die schiere Schwärze vor seinen Augen überwältigte ihn.

„Ich höre dich.“ Sie führte seine Hand an ihren Mund, die Finger noch immer mit seinen verschränkt. Ihre Lippen fühlten sich weich und warm an. Er konzentrierte sich auf das Gefühl. „Ich habe dich gefunden.“ Und flüsternd fügte sie hinzu: „Ich kann dir nur leider nicht helfen.“

Wieder verlor Reid das Bewusstsein, seine Sinne schwanden unter dem quälenden Schmerz von … allem. „Bleib“, flehte er sie an. Es war viel verlangt, aber er wollte einfach nicht allein sterben.

„Ich glaube nicht, dass du stirbst. Dein Puls ist kräftig.“ Ihre Stimme klang rau wie Schleifpapier und wunderschön. Konnte sie Gedanken lesen? Woher wusste sie, was er gedacht hatte?

„Weil du laut sprichst“, erwiderte sie trocken. Reid lachte, wenigstens versuchte er es, denn die Ränder seines Bewusstseins verschwanden schon in der Dunkelheit. Ihm wurde klar, dass jedes Lachen, jede Bewegung eine wirklich schlechte Idee war.

„Ich bin nicht … ich kann nicht …“

„Du redest und du bist am Leben“, murmelte sie. „Das ist doch schon etwas.“

Er drückte ihre Hand, und sie erwiderte den Druck. Gleich darauf verlor er sich in der Schwärze.

Als Reid wieder zu sich kam, war er nicht allein, wofür er unendlich dankbar war. Seine Retterin lag neben ihm. Er spürte ihre warme Gegenwart und ihren sanften Atem an seiner Schulter. Ihre Finger ruhten locker auf seinem Handgelenk, als sei sie eingeschlafen, während sie seinen Puls überprüft hatte. Das Zelt – sie hatte gesagt, sie habe ein Zelt um sie aufgebaut –, trotzte noch immer dem Sturm.

Er konnte mit den Zehen wackeln und seine Beine spüren. Auch seine Hände und Arme ließen sich bewegen. Er konnte denken. Er atmete.

Nur sehen konnte er noch immer nicht.

„Wie viel Zeit ist vergangen?“ Es war am einfachsten, direkt zu fragen. Die Fremde neben ihm hatte sich geregt, während er seinen kleinen körperlichen Check-up durchgeführt hatte. Er wusste, dass sie wach war.

„Eine Weile.“

„Der Wind hat nachgelassen.“ Die Zeltplanen flatterten nicht mehr.

„Ich glaube, das liegt daran, dass das Zelt halb unter der Erde vergraben ist. Der Sand drückt auf meinen Körper. Du hast die gute Seite.“ Wieder regte sie sich. Vielleicht stützte sie sich auf den Ellenbogen auf, überlegte er, weil er ihren Körper noch immer gegen seinen geschmiegt spürte. Er versuchte, sich vorzustellen, wie sie aussah, und hatte keine Ahnung.

War sie verheiratet? Er wollte wieder nach ihrer Hand greifen und nach Ringen suchen. „Stört es jemanden, wenn ich deine Hand nie mehr loslasse?“

„Irgendwann wird es mich stören. Sonst wohl niemand.“

„Wie alt bist du?“

„Dreiundzwanzig.“

„Bist du hübsch?“

„Spielt das eine Rolle?“, schimpfte sie.

„Heißt das Nein?“

„Schätzchen, du steckst mit mir in einem Zelt im Outback, mitten in einem Staubsturm. Gerade wollte ich dir Essen und Wasser bringen. Du kannst nichts sehen. Ist es da nicht verdammt egal, wie ich aussehe?“

„Nun, wenn du es so ausdrückst … ich heiße Reid“, sagte er.

„Ich weiß, wer du bist.“ Sie ließ sein Handgelenk los und rückte von ihm ab.

„Nein, warte!“ Panik stieg in ihm auf, überwältigende Panik. Er schlug um sich, versuchte zu greifen, hätte sich festgehalten, wenn der stechende Schmerz in seinem Kopf nicht gewesen wäre. Das grauenvolle Geräusch, das er hörte? Das war er selbst.

„Ich komme zurück.“ Sie legte eine Hand auf seine Brust und drückte sanft, als wüsste sie, dass sein Herz an seinem Platz gehalten werden musste. „Mein Wagen steht nicht weit weg. Auch wenn ich wegen des Staubs nicht sehen kann, ich habe ein Sicherungsseil an die Stoßstange gebunden. Ich werde es schaffen.“ Sie tastete nach seiner Hand und zog sie an sich. Er spürte das verknotete Seil um ihre Taille. „Ich brauche nur der Leine zu folgen.“

„Wie kommst du zurück?“

„Ich habe dich gefunden, oder? Ich habe das Zelt aus dem Wagen geholt und bin zu dir zurückgegangen. Die Bodenplane habe ich zerschnitten, um es um dich herum aufzubauen. Und wenn du glaubst, dass das lustig oder einfach war, dann denk noch mal scharf nach. Im Wagen befinden sich Schmerztabletten. Wie klingt das? Lohnt sich mein Ausflug?“

„Hol sie“, drängte er.

„Dann lass meine Hand los.“

Jetzt hatte er ein Problem, denn er würde diese Hand auf keinen Fall loslassen, was er ihr mit deutlichen Worten sagte, die seiner verstorbenen Mutter nicht gefallen hätten. Zu seiner Verteidigung musste man anführen, dass er seine Mutter wahrscheinlich eher früher als später wiedersehen und sich dann bei ihr entschuldigen würde. „Bleib.“ 

„Ernsthaft?“

Autor

Kelly Hunter
<p>Obwohl sie von Beruf Naturwissenschaftlerin ist, hatte Kelly Hunter schon immer eine Schwäche für Märchen und Fantasiewelten und findet nichts herrlicher, als sich in einem guten Buch zu verlieren. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und drückt sich gerne davor, zu kochen und zu putzen. Trotz intensiver Bemühungen ihrer...
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