Heimliche Fantasien werden wahr

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Anziehung, Verlangen, Lust – all das entdeckt die schöne Wynter in Riley Davis’ schokoladenbraunen Augen. Als Teenager war sie heimlich verliebt in den älteren Bruder ihrer besten Freundin. Hat sie jetzt endlich eine Chance bei dem smarten Anwalt? Sie will Riley noch immer, auch wenn sie genau weiß: Eine heiße Affäre mit ihm könnte für sie traurig enden! Denn Wynter träumt davon, für immer mit einem Mann glücklich zu sein. Sie sehnt sich nach der großen Liebe – an die Riley leider nicht glaubt…


  • Erscheinungstag 19.12.2023
  • Bandnummer 2321
  • ISBN / Artikelnummer 0803232321
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

„Hallo?“, rief Wynter Barrington laut, als sie das Anwesen ihrer Familie in San Antonio betrat. Sie stellte die große Reisetasche und den Koffer ab, warf den Schlüsselbund in eine antike Schale auf einem kleinen Tisch und zog die Jeansjacke aus. Es war Anfang Januar, und sie hatte vergessen, wie kalt es in Texas werden konnte. Heute herrschten Temperaturen von gerade einmal vier Grad. Eigentlich hatte Wynter gehofft, dass eins ihrer Familienmitglieder sie vom Flughafen abholen würde, im besten Fall mit einem wärmeren Mantel. Doch es war niemand da gewesen.

Aber überraschte sie das wirklich?

Ihr Vater, Gregory Barrington, war ständig nur mit seiner Arbeit beschäftigt, als würde sein Kontostand nicht schon genug Nullen aufweisen. Ihre Mutter Melinda war immer unterwegs und eilte von einer Wohltätigkeitsveranstaltung zur nächsten. Und ihr älterer Bruder Corey? Der hatte es sich schon seit ihrer Kindheit zur Aufgabe gemacht, sie zu drangsalieren. Mal hatte er sie in den Dreck geschubst und so ihre Schuluniform besudelt, mal hatte er sie in den Pool gestoßen. Kein Wunder also, dass sie lieber noch einen Monat länger auf Bali geblieben war, statt mit ihrer Familie Weihnachten zu feiern.

Wynter schaute sich in der imposanten Eingangshalle um. Es sah genauso aus wie immer, fühlte sich aber ganz anders an.

Noch immer konnte sie nicht fassen, dass schon bald ihre Tante Helaine Smith beerdigt werden sollte. Helaine war vor ein paar Tagen im Schlaf an einem Hirnaneurysma gestorben. Ihre Tante war die einzige Person in der Familie gewesen, die ihr stets zur Seite gestanden hatte, selbst wenn sie ihre Entscheidungen missbilligt hatte. Vor einem Jahr war Wynter so unglücklich gewesen, dass sie dem Investment-Imperium der Familie den Rücken gekehrt hatte, um ihrem langweiligen Leben zu entfliehen und so wie ihre Tante als Freigeist die Welt zu bereisen.

Ihre Familie dachte, Wynter hätte den Verstand verloren, aber Helaine hatte sie stets unterstützt. Wynter war fest entschlossen, mit ihrem Reise- und Freizeitblog Wynter’s Corner erfolgreich zu werden. Sie schrieb darüber, wie man sich am besten in fremde Kulturen einlebte, und gab praktische Tipps zur Suche nach günstigen Flügen und Unterkünften. Und auch wenn sie ihre Ratschläge selbst befolgte, war der Blog bislang nicht sonderlich erfolgreich, sodass sie auf die monatliche finanzielle Unterstützung ihres Vaters angewiesen war, um all ihre Kosten zu decken.

Schon immer hatte Wynter das Gefühl gehabt, für die Barringtons vollkommen unsichtbar zu sein. Als Teenager hatte sie dagegen angekämpft, indem sie rebellierte, und war dadurch allzu oft in Schwierigkeiten geraten. Corey hingegen war ihrem Vater der perfekte Sohn und dazu noch ebenso arbeitswütig. Und dann gab es da noch Francesca, Coreys überhebliche Ehefrau. Wynter mochte sie nicht sonderlich, da Francesca sie offenbar verachtete. Dabei war Francesca diejenige, die aus der Arbeiterklasse stammte.

Das Leben der Barringtons war eine ständige Achterbahnfahrt. Stets war man nur damit beschäftigt, an der Spitze zu bleiben und seinen Status aufrechtzuerhalten. Und genau aus diesem Grund hatte Wynter bei erster Gelegenheit die Flucht ergriffen.

Sie machte sich auf den Weg zu ihrem Zimmer, als sie von Agnes, der langjährigen Haushälterin, abgefangen und fest umarmt wurde. Zumindest dieses Gefühl war vertraut. Die Spanierin arbeitete schon für die Barringtons, seit Wynter ein Kind gewesen war. Sie war auch diejenige gewesen, die Wynter aufgeklärt hatte. Wynters Mutter hatte sich dazu keine Zeit genommen.

Nun legte Agnes Wynter die Hände auf die Wangen. „Wirklich furchtbar, diese Sache mit Miss Helaine. Sie war so ein guter Mensch.“

Wynter nickte. „Danke, Agnes. Sie war wirklich einzigartig.“

„Wir brauchen mehr Menschen wie sie.“ Agnes strich ihr über die Wange. „Wie geht es dir?“

„Ich reiße mich irgendwie zusammen.“

„Das ist auch alles, was du tun kannst. Aber falls du reden willst …“ Agnes sprach nicht weiter, und Wynter wusste es zu schätzen, dass die Haushälterin sie nicht bedrängte. „Wieso gehst du nicht hoch und machst dich ein wenig frisch? Das Abendessen dürfte bald fertig sein, und du weißt ja, wie deine Mutter ist.“

Oh ja, das wusste sie allerdings.

Ihre Mutter bestand darauf, dass alle sich fürs Abendessen herausputzten wie für einen formellen Anlass. Diese Tradition war Wynter zutiefst zuwider. Sie fühlte sich jedes Mal unzureichend – wahrscheinlich weil ihre Mutter sie so herablassend behandelte. Mal hatte Melinda etwas an ihrer Kleidung auszusetzen, mal an ihrer Frisur oder ihrem Make-up. So oder so konnte Wynter ihr einfach nichts recht machen.

„Gute Idee“, sagte Wynter und bückte sich nach ihrem Gepäck.

Doch Agnes hielt sie davon ab. „Ich mache das schon.“

Gemeinsam stiegen sie die gewundene Treppe in den ersten Stock hinauf, zu Wynters Zimmer im Ostflügel der Villa.

„Wie lange bleibst du diesmal?“

Wynter zuckte die Achseln. „Nicht lange. Sobald die Beerdigung vorbei ist, reise ich wieder ab.“

„Schade. Ich hatte gehofft, dich ein wenig länger hierzuhaben.“

„Tut mir leid, da lässt sich nichts machen. Wo ist meine Mutter?“ Wynter hob eine Augenbraue.

„Sie lässt sich unten im Spa das Gesicht massieren.“

„Im Spa?“

Agnes lachte leise. „Jetzt, da du weg seist und Corey verheiratet sei, habe sie endlich Zeit für sich, meinte sie.“

„Verstehe“, erwiderte Wynter kopfschüttelnd. Ihre Mutter nahm sich stets die Zeit, absolut perfekt auszusehen, ehe sie das Haus verließ. Gott bewahre, dass irgendjemand sie je ungeschminkt sah.

Aber es half nichts: Wynter würde ihre Familie wohl einfach so akzeptieren müssen, wie sie war. Und je eher sie sich damit abfand, desto besser.

„Wir freuen uns, Sie bei uns willkommen heißen zu dürfen.“ Brock Jamison, einer der Partner der Kanzlei Jamison und Charles, schüttelte Riley die Hand. An diesem Morgen traf er sich mit den Partnern in ihrem Büro in der Innenstadt von San Antonio. „Jemanden mit Ihrem Killerinstinkt können wir gut in unserem Team gebrauchen.“

Den Spitznamen „Hai des Ostens“ hatte Riley sich redlich verdient. Es war seine Spezialität, die Schwäche seiner Kontrahenten zu erkennen und auszunutzen, um seine Scheidungsfälle zu gewinnen. Nach seinem Uniabschluss war er gleich in einer der besten Kanzleien von New York eingestellt worden und hatte sich schnell einen Namen als raffinierter Verhandlungsführer gemacht.

Als sich herumsprach, dass er auf der Suche nach einer neuen Stelle war, hatten Kanzleien aus dem ganzen Land um seine Gunst gebuhlt. Natürlich waren sie alle bloß auf das große Geld aus, aber das störte Riley nicht weiter. Er wusste, wie es war, ohne viel Geld auskommen zu müssen. Er und seine Schwester Shay hatten einfach alles gehabt, was man sich nur wünschen konnte – bis ihre Eltern sich hatten scheiden lassen.

„Ich freue mich, wieder zu Hause zu sein“, sagte Riley. Er hatte sich schon vor einigen Monaten mit Brock und seiner Partnerin Gina Charles getroffen. Die beiden waren extra nach Manhattan geflogen, um ihn zu rekrutieren. Und auch wenn er von vornherein geplant hatte, nach Hause zurückzukehren, hatte er es doch zur Bedingung gemacht, dass er zum Partner ernannt wurde, wenn er der Kanzlei beitrat. Gina und Brock hatten zugestimmt und nun war er zurück in Texas und frischgebackener Partner der Kanzlei Jamison, Charles und Davis.

Nachdem Gina und Brock ihn in seinem neuen Eckbüro allein gelassen hatten, legte Riley seinen Aktenkoffer auf den modernen gläsernen Schreibtisch und trat ans Fenster, von dem aus er auf San Antonio hinunterblicken konnte. Es war schön, wieder daheim zu sein. Nun könnte er regelmäßig bei seiner Mutter vorbeischauen und seiner Schwester endlich wieder ein richtiger großer Bruder sein.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, klingelte sein Handy. „Hey, Schwesterherz.“

„Hey, Bruderherz. Du bist schon seit gestern zurück in der Stadt und hast mich noch gar nicht besucht.“

Er seufzte. Wieso machte es kleinen Schwestern bloß solchen Spaß, ihre Brüder zu ärgern? „Tut mir leid. Ich musste mich noch um einen Fall kümmern, und heute habe ich mich in der neuen Kanzlei vorgestellt.“

„Und, wie ist die so?“

„Genau wie ich erwartet hatte“, antwortete Riley. Er durchdachte seine nächsten Schritte stets bis ins kleinste Detail, ehe er sie durchführte. Was das anging, war Shay das genaue Gegenteil von ihm. Sie folgte immer ihrem Herzen statt ihrem Verstand – kein Wunder also, dass sie mit gerade einmal vierundzwanzig Jahren bereits eine Scheidung hinter sich hatte.

„Klingt gut. Können wir heute Abend vielleicht essen gehen? Ich würde dich gern sehen.“

„Klar, das wäre toll.“ Er vermisste seine kleine Schwester. Seit der Scheidung ihrer Eltern standen sie sich sehr nah. Eliza Davis hatte es nach der Trennung an manchen Tagen kaum geschafft, das Bett zu verlassen, geschweige denn für ihre Kinder zu kochen. Irgendwann hatte Riley gelernt, für sich selbst zu sorgen, und sich gleichzeitig um seine Schwester gekümmert, die vier Jahre jünger war als er. Damals hatte Shay noch nicht verstanden, warum ihre Mutter ihre Depression nicht überwinden konnte.

„Cool. Dann sehen wir uns um sieben?“, fragte Shay. „Ich kann dich im Hotel abholen.“

„Nicht nötig. Wir könnten uns irgendwo treffen.“

„Riley, bitte lass mich das für dich tun.“

Es fiel Riley nach wie vor schwer, ab und zu auch ihr das Kommando zu überlassen. Schließlich war sie seine kleine Schwester. Er sollte sich um sie kümmern, nicht umgekehrt. Aber sein Bentley war von New York nach San Antonio verschifft worden und würde erst am folgenden Tag ankommen. „Na gut, okay. Aber dann hol mich bitte von der Arbeit ab.“

Er legte auf und sah sich in seinem neuen Büro um. Endlich war er angekommen. Vielleicht war es an der Zeit, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und sich ein wenig zu entspannen. Er stieß einen frustrierten Laut aus. Allein die Vorstellung war absurd. Er lebte einfach für dieses Spiel.

Wynter schreckte aus ihrem Nickerchen hoch. Desorientiert sah sie sich um. Kurz wusste sie nicht, wo sie war, doch mit den Erinnerungen kehrte auch die Trauer zurück, die sie seit ihrer Rückkehr von Bali unterdrückte. Ihre Tante Helaine war tot. Immerhin war sie im Schlaf gestorben, ohne Schmerzen. Wynter wünschte, sie hätte ein letztes Mal mit ihr sprechen können. Hätte ihr sagen können, wie sehr sie sie liebte und respektierte und wie dankbar sie war, sie in ihrem Leben zu haben. Aber das war nun nicht mehr möglich.

Stattdessen rief sie sich all ihre gemeinsamen besonderen Momente in Erinnerung: ihren ersten Ausflug zum Teetrinken, ihre Reise nach Paris. Vielleicht stammte Wynters Reiselust daher. In Wynters Jugend hatte Helaine auch ihre Freundinnen, bekannt als die sechs Juwelen, eingeladen. Helaine hatte gemeint, sie seien die Töchter, die sie nie hatte.

Langsam setzte Wynter sich auf. Draußen war es bereits dunkel. Sie hatte länger geschlafen als geplant. Sie griff nach ihrem iPhone: achtzehn Uhr – Cocktail Hour bei den Barringtons. Wenn sie sich beeilte, könnte sie innerhalb von fünfzehn Minuten unten sein. Auf ihren Reisen machte sie sich keine großen Gedanken um solche Details, aber hier? Ihre Mutter erwartete, dass alle pünktlich zum Essen erschienen und da stellte auch Wynter keine Ausnahme dar.

Fünfzehn Minuten später, nachdem sie sich ein knielanges Pullikleid übergeworfen und ihre Lieblingsstiefel angezogen hatte, eilte Wynter die Treppe hinunter. Das Kleid war bei Weitem nicht so schick, wie ihre Mutter es wohl gern gehabt hätte, aber es würde reichen müssen. Wynter war den Großteil des Jahres unterwegs und ihre Garderobe dementsprechend nicht sehr umfangreich.

Als sie unten ankam, stritten ihre Eltern gerade. Ihr Bruder und seine Frau tranken Wein. Doch sämtliche Gespräche verstummten, als sie Wynter auf der Türschwelle bemerkten. Ihre verächtlichen Blicke waren kaum zu ertragen. Alle waren sie gekleidet, um Eindruck zu schinden: Ihr Vater und Corey trugen Anzüge, ihre Mutter ein eng anliegendes Meerjungfrauenkleid von Jacquard und Francesca ein schwarzweißes Etuikleid.

„Wynter, guter Gott! Was hast du denn an?“, fragte Francesca. Wynters Schwägerin verkörperte alles, was Wynter eigentlich hätte ausmachen sollen: Haltung, Eleganz und Kultiviertheit. Zumindest betonte ihre Mutter das gern. Groß und schlank, mit langem ebenholzfarbenem Haar, hatte Francesca eine Ausstrahlung, die Wynter im Vergleich geradezu schäbig wirken ließ.

„Dieses Kleid habe ich in Bali gekauft“, erwiderte Wynter und ging auf ihre Eltern zu. Sie durfte sich von ihnen nicht aus der Ruhe bringen lassen. „Mutter“, sagte sie und küsste Melinda auf beide Wangen. „Daddy.“ Sie beugte sich vor, um ihn flüchtig zu umarmen.

„Schön, dass du dich auch endlich zu uns gesellst, Darling“, sagte ihre Mutter. „Agnes meinte, du seist schon vor einer Weile angekommen und hättest dich gleich schlafen gelegt.“

„Ich habe einen langen Flug hinter mir.“

„Vielleicht solltest du nicht so weit reisen“, meinte Corey grinsend. „Dann müsstest du nicht so einen Weg zurücklegen, um nach Hause zu kommen.“

Wynter ignorierte die kleine Stichelei. Schließlich würde sie nicht lange in San Antonio bleiben. Sobald ihre Tante beerdigt wäre und sie sich gebührend von ihr verabschiedet hätte, würde sie wieder abreisen. „Wie geht es dir, Mutter? Dieser plötzliche Verlust …“

Die Miene ihrer Mutter wurde nachgiebiger. „Ja, das war ein echter Schock. Meine Schwester war immer so überlebensgroß und abenteuerlustig. Ich dachte, ihr könnte nichts etwas anhaben.“

Wynter traten Tränen in die Augen. „Ich kann es auch immer noch nicht fassen.“

„Trockne deine Tränen“, sagte ihre Mutter und reichte ihr ein Taschentuch. „Wir müssen nach vorn blicken. So hätte Helaine es gewollt.“

So viel dazu, dass sie gemeinsam trauern würden. Eigentlich hatte Wynter gehofft, der Tod ihrer Tante würde sie ihrer Mutter näherbringen. Doch nun begann sie daran zu zweifeln.

„Ich frage mich, was wohl in ihrem Testament steht“, sagte Francesca.

Das war das erste Mal, dass Wynter einen solchen Fauxpas ihrer Schwägerin erlebte. Wynter und ihre Mutter stießen einen missbilligenden Laut aus. Sogar ihr Bruder wirkte angesichts dieses unangebrachten Kommentars peinlich berührt.

Francesca senkte den Kopf. „Ich bitte um Entschuldigung, Melinda. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“

Wynter wusste es sehr wohl: Francesca hoffte, dass Tante Helaine ihrem Ehemann ein großes Erbe hinterlassen hatte. Dabei hatte ihre Tante Corey nie sonderlich gemocht. Sie waren wie Feuer und Wasser gewesen.

„Ich für meinen Teil werde die alte Miesepeterin vermissen“, meinte Wynters Vater.

„Gregory!“, rief ihre Mutter empört.

Ihr Vater zuckte bloß die Achseln und nahm einen Schluck aus seinem Kristallglas. „Was denn? Du weißt genau, dass Helaine immer fand, ich wäre nicht gut genug für dich. Ich stamme schließlich aus einer Arbeiterfamilie, während ihr beide von Geburt an zur Oberschicht gehört habt.“

„Das ist doch alles Schnee von gestern“, wiegelte Melinda ab. „Sieh doch nur, was aus dir geworden ist.“

„Ja, vielleicht“, brummelte Gregory.

„Ich gehe mal nach dem Essen sehen.“

Kaum war ihre Mutter verschwunden, wandte Corey sich an Wynter. „Und, was hast du die letzten Wochen über so getrieben, Zwerg?“

Er zog sie gern damit auf, wie klein sie war. „Wenn du meinen Blog lesen würdest, wüsstest du das.“ Wynter trat an die Bar auf der anderen Seite des Raums und schenkte sich einen Bourbon ein. Seit einem Abstecher in den Bluegrass-Staat war das der Drink ihrer Wahl.

„Ist Bourbon als Aperitif nicht ein wenig zu stark?“, fragte Francesca und hob eine Augenbraue.

„Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt und muss mir von niemandem mehr sagen lassen, was ich zu trinken habe und was nicht.“

„Oh, Entschuldigung!“, gab ihre Schwägerin empört zurück.

„Entschuldigung angenommen.“ Wynter und ihre Schwägerin hatten sich noch nie gut verstanden. Sie kannten sich schon seit der Highschool, und auch damals war Francesca bereits äußerst hochnäsig gewesen. Als Wynter den brandneuen Porsche ihres Vaters zu Schrott gefahren hatte, hatten ihre Eltern sie bestrafen wollen, indem sie sie von der Privatschule nahmen und stattdessen auf eine öffentliche Highschool schickten. Bloß war der Plan gehörig nach hinten losgegangen, denn Wynter hatte auf ebendieser Highschool die fünf Mädchen kennengelernt, die bis heute ihre besten Freundinnen waren. Francesca war unterdessen immer eingebildeter geworden.

„Jetzt mach dir mal nichts ins Hemd“, sagte Corey. „Franny ist bestimmt nur besorgt, ob du mittlerweile ein Alkoholproblem hast. Die meisten Frauen trinken keinen Bourbon.“

Wynter wandte sich ihrem Bruder zu. „Tja, ich schon.“

Corey wirkte, als wolle er etwas darauf erwidern, wurde jedoch von ihrer Mutter daran gehindert: „Das Essen ist fertig!“, rief sie.

Dankbar folgte Wynter ihrer Mutter den Flur hinunter in das protzige Esszimmer, wo sie vier ausgeklügelte Gänge zu sich nehmen würden.

„Ich freue mich, dass du wieder da bist, Wynter“, meinte ihr Vater, nachdem der erste Gang serviert worden war. „Es ist höchste Zeit, über deine Rückkehr zu Barrington Investments zu sprechen.“

Geht das schon wieder los, dachte Wynter und unterdrückte den Drang, die Augen zu verdrehen. Sie wusste nur zu gut, wie sehr ihr Vater ihren neuen Job missbilligte, doch sie hatte eigentlich gehofft, er hätte ihre Entscheidung mittlerweile akzeptiert. „Ich bin sehr glücklich mit meinem Reiseblog.“

„Ein Blog, der kein Geld einbringt“, erklärte er scharf.

„Doch, das tut er.“ Bisher war der Gewinn zwar sehr überschaubar, aber sobald sie mehr Follower hätte, könnte sie durch Werbeanzeigen höhere Summen erzielen.

„Aber nicht genug“, sagte ihr Vater knapp. „Und wir werden dieses Hobby nicht länger finanzieren.“

Wynter sah von ihrer Suppenschale auf. „Wie bitte?“

„Du hast mich schon verstanden“, sagte ihr Vater. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Corey grinste. „Es wird höchste Zeit, dass du in die Firma zurückkehrst und mit mir und deinem Bruder zusammenarbeitest.“

„Ich fass es nicht, dass du das ausgerechnet jetzt ansprichst“, erwiderte Wynter. „Konntest du damit nicht mal warten, bis die Beerdigung vorbei ist?“

„Das würde nichts an meinem Standpunkt ändern.“

„Mom?“ Hilfesuchend schaute sie zu ihrer Mutter, doch Melinda starrte in ihre Gazpacho, als würde sie darin nach Diamanten suchen.

„Du hast die Wahl: Entweder kommst du in die Marketing-Abteilung von Barrington Investments zurück oder wir drehen dir den Geldhahn zu. Die Familie wird nicht länger für deine kleinen Ausflüge rund um den Globus aufkommen.“

Diese Ansage hätte Wynter eigentlich nicht weiter schockieren sollen. Ihre Eltern hatten ihren Wunsch nach Freiheit und ihre Leidenschaft für fremde Kulturen nie verstanden. Wortlos wischte sie sich mit der Serviette über den Mund und erhob sich, um zur Tür zu gehen.

„Bekomme ich denn gar keine Antwort?“, fragte ihr Vater.

Wynter wirbelte zu ihm herum. „Ich finde, die Tatsache, dass ich gehe, ist Antwort genug. Ich werde mich nicht von dir dazu erpressen lassen, mich deinen Wünschen zu beugen, Daddy. Ich weiß, wie ich mir meine Zukunft vorstelle, und ein langweiliger Bürojob hat darin keinen Platz.“

Aufgebracht sah ihr Vater sie an, während Corey sie mit Blicken erdolchte. „Wynter, ich warne dich …“ Gregory schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass das Geschirr klirrte.

„Und keine Sorge, die Botschaft ist angekommen, laut und deutlich“, fügte Wynter hinzu. „Mutter“, wandte sie sich an Melinda, „ich werde nicht zum Essen bleiben. Entschuldige mich. Gute Nacht.“

Mit diesen Worten stürmte sie aus dem Raum. Fortan würden die monatlichen Zahlungen ihrer Eltern also ausbleiben. Sie würde ihre nächsten Schritte sehr gut abwägen müssen. Glücklicherweise hatte sie den Großteil der elterlichen Zuwendungen gespart, um sich ein finanzielles Polster zu schaffen. Und genau das würde sie jetzt brauchen. Sie hatte nur ein Leben und würde sich von niemandem vorschreiben lassen, wie sie es zu führen hatte. Es war höchste Zeit, für sich selbst zu sorgen, ohne am Ende zu Kreuze kriechen und ihre Eltern erneut um Hilfe bitten zu müssen.

Alles, was ihr dazu fehlte, war ein Plan.

2. KAPITEL

„Schön, dass du wieder da bist, Riley“, sagte Shay, als sie sich in ihrem Lieblingsrestaurant, einem Italiener auf dem River Walk von San Antonio, trafen. Sie setzten sich an einen der kleinen Tische mit rot karierter Decke.

Riley musterte seine kleine Schwester. Sie trug ihr Haar in langen dunklen Locken und hatte eine zarte Statur – einer der Gründe, warum er einen solchen Beschützerinstinkt entwickelt hatte, was sie anging. Doch nun war sie erwachsen.

„Es ist schön, wieder hier zu sein.“ Er hatte nie vorgehabt, so lange wegzubleiben. Doch als er in Harvard angenommen worden war, hatte er einen Weg gefunden, sich seinen Traum zu ermöglichen. Bloß hatte er dadurch Shay zurücklassen müssen – zusammen mit ihrer depressiven Mutter.

„Mom freut sich sicher auch. Als ich ihr sagte, dass du zurück bist, hat sie total gestrahlt.“

„Tut mir leid, dass ich dich einfach so im Stich gelassen habe“, sagte Riley. Als er noch jünger war, hatte er Shay vor der Depression ihrer Mutter geschützt. Aber als er dann aufs College gegangen war, hatte sie ganz allein damit klarkommen müssen.

„Schon okay.“ Shay nippte an ihrem Wein. „Es wurde Zeit, dass du dich endlich um dein eigenes Leben kümmerst.“

„Und was ist mit dir?“

„Was soll mit mir sein?“

„An manchen Tagen ist es ein Vollzeitjob, sich um Mom zu kümmern“, meinte Riley. „Das kann nicht leicht gewesen sein.“

Zumindest war es das für ihn nicht gewesen. Und genau aus diesem Grund fiel es ihm schwer, langfristige Beziehungen zu führen oder an die Liebe zu glauben. Schließlich wusste er aus erster Hand, was Liebe mit einem anrichten konnte. Seine Mutter hatte sich nie vom Verlust seines Vaters erholt. Also weigerte sich Riley, solche Gefühle zuzulassen.

Seufzend stellte Shay ihr Glas auf den Tisch. „Das war es auch nicht. Und das war einer der Gründe, warum es bei mir und Kevin immer wieder so schlecht lief. Kevin konnte einfach nicht akzeptieren, dass er bei mir nicht an erster Stelle stand und dass Mama mich brauchte.“

„Kevin war eh ein Armleuchter“, erwiderte Riley. „Ich habe nie verstanden, was du an ihm gefunden hast. Er hat absolut nichts mit seinem Leben angefangen. Ich bin nur froh, dass ihr keine Kinder bekommen habt.“

„Nicht, dass wir es nicht versucht hätten“, gab Shay niedergeschlagen zu.

Riley runzelte die Stirn. Das war das erste Mal, dass er davon hörte. „Wovon redest du da?“

„Kevin wollte ein Kind und ich wollte ihm eins schenken. Aber je mehr wir uns bemüht haben, desto mehr haben wir uns auseinandergelebt. Das und die Sache mit Mama … da war die Scheidung vorprogrammiert.“ Shays Stimme brach und Riley legte die Hand auf ihre.

„Das tut mir so leid, Shay. Ich wünschte, ich hätte es gewusst.“

Shay zuckte die Schultern. „Du hättest auch nichts tun können.“

„Warst du wegen der Sache beim Arzt?“

Shay schüttelte den Kopf. „Wir waren jung und kamen so oder so schon kaum über die Runden. Wir konnten uns keine Kinderwunschklinik leisten.“

„Dann besteht immer noch die Chance, dass du eines Tages Mutter wirst – wenn du das denn willst“, sagte Riley. Und er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um seiner kleinen Schwester diesen Wunsch zu erfüllen. Das war das Mindeste, was er tun konnte, nachdem er sie jahrelang mit ihrer Mutter alleingelassen hatte.

„Guter Gott!“ Shay lachte leise. „Wie sind wir nur so weit vom Thema abgekommen? Meine Fruchtbarkeit tut doch eigentlich nichts zur Sache. Vor allem weil ich Single bin.“

„Dann rennen dir die Kerle also nicht die Tür ein?“, neckte Riley sie. Seine kleine Schwester war wunderschön und gertenschlank – vermutlich weil Sport ihr so viel bedeutete. Sie hatte aus diesem Hobby sogar ihren Beruf gemacht und arbeitete als Yoga- und Pilates-Lehrerin.

Shay schenkte ihm ein Lächeln. „Leider nicht. Aber es ist ja auch nicht so, als hätte ich Zeit für eine Beziehung. Momentan konzentriere ich mich voll und ganz auf meinen Job.“

„Ab und zu solltest du dir auch Zeit für dich nehmen.“

„Pah!“ Shay lachte, und Riley bemerkte, dass er gut reden hatte. „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Du bist doch genauso ambitioniert wie ich. Nein …“ Sie schüttelte den Kopf. „… du bist sogar noch schlimmer.“

Autor

Yahrah St John
Yahrah St. John hat bereits dreißig Bücher geschrieben. Wenn sie nicht gerade zu Hause an einer ihrer feurigen Liebesgeschichten mit unwiderstehlichen Helden und temperamentvollen Heldinnen arbeitet und sie mit einem Schuss Familientragödie würzt, kocht sie gern aufwändige kulinarische Leckereien oder reist auf der Suche nach neuen Abenteuern um die Welt....
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Kay David
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