Julia Ärzte Spezial Band 21

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ZEIT DER ZÄRTLICHKEIT IN CORNWALL von KATE HARDY

In Cornwall findet der renommierte Herzchirurg James Alexander alles, was er ersehnt: frische Meeresluft, Landidylle – und eine bezaubernde Frau! Doch seine Kollegin Charlotte Walker zu erobern, ist schwieriger, als er es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hat …


SCHENK MIR DEIN VERTRAUEN, LAUREN! von MARGARET MCDONAGH

Stromausfall in Penhally Bay! Dunkle Nacht umfängt Lauren, als sie die sanfte Stimme ihres neuen Kollegen Dr. Gabriel Devereux hört. In seinen Armen atmet sie auf und hat dennoch Angst, ihm ihr Geheimnis anzuvertrauen. Und das, obwohl er sie so zärtlich küsst wie kein Mann zuvor …

VOR DR. PLAYBOY WIRD GEWARNT! von CAROL MARINELLI

Zum Schein verlobt Playboy Dr. Hugh Linton sich mit Schwester Emily, um seinen familienorientierten Chef zufriedenzustellen. Aber als er nach Cornwall fährt, wo seine „Verlobte“ Urlaub macht, wird aus dem spontanen Besuch ein sinnliches Wochenende zu zweit – das Hughs Plan in Gefahr bringt!


  • Erscheinungstag 06.07.2024
  • Bandnummer 21
  • ISBN / Artikelnummer 8203240021
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Kate Hardy, Margaret McDonagh, Carol Marinelli

JULIA ÄRZTE SPEZIAL BAND 21

1. KAPITEL

„Ist das da drüben nicht Sophia?“ Die Blondine deutete mit dem Champagnerglas zum anderen Ende des Raumes.

James wusste, dass er entweder das Thema wechseln oder sich schleunigst verabschieden sollte. Aber er konnte nicht anders – er sah hin.

Und da stand sie. Sophia Alexander, Partygirl und Liebling der Szene, hing am Arm eines gut aussehenden Kerls und lachte, als amüsiere sie sich blendend.

Was wahrscheinlich sogar der Fall war.

„Hmm“, antwortete James vage.

„Also ist sie nicht mehr mit dem italienischen Dressman zusammen?“

Der, mit dem sie auf der Jacht seines Vaters fotografiert worden war, keine sechs Monate, nachdem sie mit James vor dem Altar gestanden hatte? Von jeder Titelseite der Regenbogenpresse war ihm der Anblick seiner barbusigen Frau in den Armen ihres Geliebten buchstäblich ins Gesicht gesprungen.

Nach dem Italiener hatte Sophia eine Affäre mit einem spanischen Schauspieler – Liebhaber Nummer zwei auf den Scheidungspapieren. Dann mit einem brasilianischen Fußballer, eine Woche vor ihrem ersten Hochzeitstag.

„Ich habe gehört, er ist Franzose, Gourmetkoch“, fügte das blonde Gift hinzu.

Ach ja? Keine Frage, der Typ würde Sophia heute Abend mit einem opulenten Alles Gute zur Scheidung-Essen beglücken – unter anderem.

Ha. Und da hatte er geglaubt, es wäre eine gute Gelegenheit, auszugehen und seine wiedergewonnene Freiheit zu feiern. Allerdings hätte er sich denken können, dass seine Exfrau wirklich ein Fass aufmachte. Sie zeigte ihm auf ihre Art, dass sie der Ehe mit ihm keine einzige Träne nachweinte und jeden einzelnen Penny ihrer äußerst großzügigen Abfindung genießen würde.

„Wen wird sie sich als Nächstes angeln, was meinen Sie? Einen griechischen Reeder?“

Es geht wirklich diskreter, wenn sie herausfinden will, ob ich über meine Ex hinweg bin, dachte James und hatte schon eine scharfe Antwort auf der Zunge. Da entdeckte er einen Ausdruck in den Augen seines Gegenübers, der ihn stutzig machte. Nein, sie war kein normaler Gast oder nur ausgesprochen taktlos. Die Blondine war Reporterin und hinter einer Story her. Sie wusste ganz genau, was dieser Tag für James Alexander bedeutete.

Heute war das endgültige Scheidungsurteil ergangen.

James hatte gehofft, dass Sophia ihren alten Namen Carvell-Jones wieder annehmen würde. Dann würde ihn die Presse vielleicht in Ruhe lassen.

Wie naiv von ihm.

„Keine Ahnung. Es interessiert mich auch nicht“, erklärte er. „Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe an der Bar einen alten Freund entdeckt.“

Das war gelogen, und sie wusste es genauso gut wie er. Doch sie ließ ihn ziehen, ohne ihm weitere Fragen zu stellen.

James blieb nicht mehr lange auf der Party.

Ohne Zweifel würden die einschlägigen Gazetten am nächsten Morgen auf die Tränendrüse drücken und ausführlich darüber berichten, dass der arme James Alexander ausgerechnet am Tag seiner Scheidung zusehen musste, wie seine Exfrau mit dem nächsten Lover ausgelassen feierte. Sicher überboten sich die Blätter gegenseitig in wilden Spekulationen, wer denn nun den Herzspezialisten von seinem gebrochenen Herzen heilen würde.

Sie alle täuschten sich gewaltig. Weder war James arm – trotz der unanständig hohen Abfindung –, noch litt er an gebrochenem Herzen. Seine Gefühle für Sophia waren schon vor langer Zeit erloschen. Wenn er etwas bedauerte, dann die Tatsache, dass er erst nach der Hochzeit begriffen hatte, was für ein Mensch sie war: ein verwöhntes Biest der Londoner Oberschicht, das nicht weiter dachte als bis zur nächsten Party.

Was hätte ich denn tun sollen, James? Du hast ja nie Zeit für mich. Du hast mich in seine Arme getrieben.

Das waren ihre Worte gewesen, vorwurfsvoll und mit schmollender Miene ausgesprochen, als er sie nach der Episode auf der Jacht zur Rede gestellt hatte.

Leider schien sie vergessen zu haben, dass sie einen Chirurgen geheiratet hatte und keinen Jetsetter. James hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie wichtig ihm sein Beruf war. Sophia brachte jedoch kein Verständnis dafür auf, dass er seine kleinen Patienten nicht mitten in der Operation sich selbst überlassen konnte, nur damit sie nicht zu spät zu einer Party kam.

Vielleicht hatte sie sich erhofft, dass er das Fach wechseln würde. Eine Schönheitsklinik an der Harley Street wäre ganz nach ihrem Geschmack gewesen. Feste Arbeitszeiten, nicht mehr als acht Stunden am Tag, Fälle, die er sich aussuchte und sehr gut bezahlen ließ. Stars und Sternchen und andere Berühmtheiten blätterten geradezu obszöne Summen hin, wenn es um ihre Eitelkeit ging.

Ihre Ehe war mit demselben Getöse den Bach hinuntergegangen wie sie begonnen hatte – breitgetreten in den Medien und en detail unter den Augen einer sensationshungrigen Öffentlichkeit durchgehechelt. James hätte Sophia schon nach ihrer ersten Affäre die Scheidungspapiere zuschicken lassen, wenn ihn nicht das Gesetz daran gehindert hätte. Und das besagte, dass man ein Jahr lang verheiratet sein musste, bevor man die Scheidung beantragen konnte.

Also hatte er wohl oder übel warten müssen. Sechs endlose Monate, in denen er gezwungen war, seine Frau mit wechselnden Liebhabern auf den Titelseiten zu sehen.

James ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen und verriegelte sie. Im Moment hatte er London ja so satt! Die Partys, den Großstadtlärm, einfach alles … sogar die schillernden Wohltätigkeitsveranstaltungen, die er immer voller Elan für sein Krankenhaus organisiert hatte.

Ja, er brauchte eine Auszeit.

Natürlich könnte er seinen Vater anrufen und in einer der Familienvillen Urlaub machen, aber dort würde ihn auch nichts anderes erwarten als hier in London: Gartenpartys, Sommerfeste, Abendgesellschaften mit allem, was Rang und Namen hatte.

James sehnte sich nach Ruhe und Frieden. Er wollte irgendwohin, wo es weder Supermodels noch Partygirls gab, die nichts anderes im Sinn hatten als shoppen zu gehen und sich einen reichen Mann zu angeln – um ihn dann wenige Monate nach der pompösen Glamourhochzeit aus lauter Langeweile mit dem nächstbesten Schönling zu betrügen …

Dummerweise hatte er keine Ahnung, wo er so einen idyllischen, beschaulichen Ort suchen sollte.

Oder doch?

Jack Roberts fiel ihm ein. Sie waren Kollegen gewesen. Jack hatte sich auf plastische Chirurgie spezialisiert und war nebenbei ein begeisterter Partygänger gewesen. Eines Tages war er jedoch nach Cornwall zurückgegangen, in das Küstenstädtchen, wo er aufgewachsen war. Als James eine Einladung zu Jacks Hochzeit bekommen hatte, schickte er ein teures Geschenk und entschuldigte sich mit einer faulen Ausrede. Er hätte es nicht ertragen, das glückliche Paar zu sehen, während seine eigene Ehe allmählich zu einem Albtraum geriet.

Allerdings hatte er sich gewundert, warum sich Jack in der Provinz vergrub. Da standen ihm in London sämtliche Türen offen, er hätte eine großartige Karriere machen können, aber was tat er? Ließ sich in einem kleinen Ort auf dem Land, unter Fischern und Touristen nieder.

Andererseits … vielleicht war das gar nicht so verkehrt, wenn man vom Großstadtleben die Nase voll hatte.

In Cornwall, Meilen von London entfernt, könnte er den Frieden finden, den er suchte. James griff nach seinem Telefon und wählte Jacks Nummer.

Es klingelte und klingelte. Und klingelte. Nach dem sechsten Mal wollte er schon auflegen, da wurde am anderen Ende abgenommen.

„Hallo?“, meldete sich eine verschlafene Männerstimme.

Irritiert blickte James auf seine Armbanduhr. Es war Samstag und noch nicht einmal Mitternacht. Der Jack Roberts, den er kannte, würde jetzt erst allmählich losziehen! „Jack? Hier ist James. Entschuldige, habe ich dich geweckt?“

„Kein Problem. Ich hole mir nur eine Mütze Schlaf, solange Helena schläft“, sagte Jack und gähnte verhalten.

Ach ja, sie hatten ein Baby bekommen. Was er komplett vergessen hatte … „Tut mir leid, Mann.“

„Alles okay bei dir?“

„Ja.“ Nein. „Weswegen ich anrufe … Vor ein paar Monaten hast du mal gesagt, wenn ich Lust hätte, euch für einige Tage zu besuchen …“

„Also …“

„Entschuldige, ich hätte nicht fragen sollen“, unterbrach James ihn sofort. Wie konnte er nur so gedankenlos und egoistisch sein? „Ihr habt mit eurer Kleinen genug um die Ohren.“

„Nein, nein, natürlich kannst du kommen. Alison hat bestimmt nichts dagegen.“

James war sich dessen nicht so sicher. „Ich glaube, es ist besser, ich übernachte im Hotel. Aber es wäre schön, wenn wir uns mal wieder treffen. Ein Bier zusammen trinken, hören, was der andere so gemacht hat. Was meinst du?“

„Ja, klar.“ Jack schien jetzt richtig wach zu sein. „Geht’s dir auch gut, James? Du klingst ein bisschen abgekämpft.“

„London geht mir auf den Geist.“ Seine Scheidung erwähnte er nicht. Der arme Jack schien unter akutem Schlafmangel zu leiden, da musste er ihn nicht mit Details aus seinem traurigen Privatleben nerven. „He, leg dich wieder hin. Ich rufe morgen noch einmal an … wenn es zeitlich besser passt.“

Jack lachte. „Du meinst, nachdem du dich am Nachmittag aus dem Bett gequält hast?“

James zwang sich, das Lachen zu erwidern. „So ungefähr.“

„Falls du wirklich aus London weg willst, dann könnte ich dir vielleicht helfen. Im St. Piran, dem Krankenhaus, in dem ich arbeite, hing letzte Woche ein Stellenangebot am Schwarzen Brett. Sie suchen einen Oberarzt für das Herzchirurgen-Team. Warum siehst du dir das nicht mal an?“

Es wäre ein Schritt seitwärts statt nach vorn. Andererseits bestand an einem kleineren Krankenhaus die Chance, dass man ihm mehr Verantwortung übertrug. Mit neunundzwanzig wusste James, dass er noch mehr Erfahrung sammeln musste, ehe er eine höhere Position anstreben konnte. Vielleicht wäre das St. Piran genau das richtige Sprungbrett.

„Vielleicht tue ich das wirklich“, antwortete er.

„Im St. Piran lässt es sich gut arbeiten“, erklärte Jack. „Ich bin glücklich hier.“

Sicher. Jack hatte ja auch die große Liebe gefunden.

Als hätte James seine Gedanken laut ausgesprochen, sagte Jack plötzlich: „Und wer weiß, vielleicht triffst du hier jemanden, der dir hilft, Sophia zu vergessen.“

James lachte auf, aber es klang hohl. „Vergiss es. Eine Ehe reicht mir fürs Leben.“ Er glaubte nicht mehr an die Liebe. „Keine Bindungen, keine Verpflichtungen, vielen Dank.“

Zu seiner Erleichterung versuchte Jack nicht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. „Ruf mich morgen an“, sagte er nur. „Dann habe ich mit Alison gesprochen.“

„Okay, danke.“

„Und überleg dir das mit dem Job. Kann sein, dass es genau das ist, was du brauchst.“

Kann sein, dass du recht hast, mein Freund, dachte James, während er den Hörer auflegte.

„Hörst du mir überhaupt zu?“

„Ich … Nein.“ Charlotte blickte ihren Onkel an. „Entschuldige, Nick. Ich wollte nicht unhöflich sein.“

„Aber du hast den Kopf voll mit Plänen für die neue Beratungsstelle.“

Richtig. Doch das war es nicht nur. Es war ihr schlichtweg unbegreiflich, warum die Chirurgie ausgerechnet James Alexander eingestellt hatte. Der Mann verbrachte mehr Zeit auf Partys als mit seinen Patienten. Als Sohn eines ehemaligen Supermodels und eines international erfolgreichen Geschäftsmanns stand er im Rampenlicht, wo er auch auftauchte. Und dann überschlug sich die Regenbogenpresse. Wie oft hatte sie sein Gesicht auf der Titelseite einschlägiger Magazine gesehen, die die Patienten von ihren Besuchern geschenkt bekamen.

Meistens stand er auf einem roten Teppich, gekleidet in einen tadellos sitzenden Abendanzug, am Arm eine hinreißende Schönheit mit Beinen bis zu den Ohren, die ihn verführerisch anlächelte. Und sein Lächeln konnte nur das Ergebnis teurer Dentalkosmetik sein, so perfekt strahlten seine ebenmäßigen weißen Zähne.

Ein Mann wie er, der es gewohnt war, sich in exklusiven Clubs und eleganten Hotels zu zerstreuen, würde sich hier schon nach wenigen Stunden zu Tode langweilen. Sicher hatte er keine Augen für die malerische Landschaft in dieser ruhigen Ecke von Cornwall. Für ihn mussten Penhally Bay und Umgebung tiefste Provinz sein.

Und dann würde er den Job hinwerfen, ohne einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden, und das Weite suchen … oder vielmehr den gewohnten Glanz und Glamour, der nur in der Großstadt zu haben war. Na toll!

„Charlotte?“

„Oh, tut mir leid.“ Sie lächelte betreten. „Ich war schon wieder in Gedanken.“

„Nicht nur wegen der Beratungsstelle, oder?“

Im ersten Moment wollte sie es abstreiten. Aber Nick hatte ihr sehr geholfen, damals vor zwei Jahren, als sie nach der Gerichtsverhandlung von Liverpool hierhergezogen war. Jetzt saß sie in seiner Küche und trank seinen Kaffee, da konnte sie zumindest ehrlich sein. „Nein, wegen des neuen Kollegen in meiner Abteilung.“

„Machst du dir Sorgen?“ Er griff über den Tisch nach ihrer Hand.

Sie lächelte, weil er taktvoll genug war, nicht direkt auszusprechen, was er meinte. „In dem Sinne nicht, Nick.“ Zum Glück war die Zeit vorbei, in der sie nervös wurde, wenn sie mit einem Mann allein im Zimmer war. „Ich wünschte nur, sie hätten jemand anders eingestellt. Jemanden, dem in erster Linie die Patienten am Herzen liegen und die Arbeit im Team. Keinen Partygänger, der sich gern auf Titelseiten bewundert.“

„Vielleicht ist er nicht so schlimm, wie du denkst.“

„Schön, lassen wir seine selbstverliebten Auftritte in den Medien einmal beiseite – ich glaube trotzdem nicht, dass James Alexander in unser Team passt.“ Als sie sah, wie ihr Onkel die Stirn runzelte, hakte sie nach: „Was ist?“

„Sagtest du James Alexander?“

„Ja. Kennst du ihn?“

„Er ist ein Freund von Jack. Oder er war es zumindest, als Jack noch in London gelebt hat.“

„In seinen wilden Zeiten?“ Auf sein Nicken hin verzog sie das Gesicht. „Na bitte.“

„Menschen ändern sich, Charlotte. Gib dem Mann eine Chance.“

„Hm.“ Sie beschloss, das Thema zu wechseln. Ihrer Erfahrung nach änderten sich Männer nicht. Zugegeben, Nick schon. Wenigstens ein bisschen. Er hatte gelernt, mit seinen Kindern klarzukommen und nach dem Tod seiner Frau die Familie zusammenzuhalten. Allerdings hatten Jack, Lucy und Edward hart daran arbeiten müssen. Und dank Alison war Jack die zweite Ausnahme, die die Regel bestätigte. „Bis zur Eröffnung der Beratungsstelle sind es noch zwei Wochen. Meine Freundin Maggie hat die Homepage fast fertig.“

„Ausgezeichnet.“ Nick lächelte anerkennend. „Annabel wäre stolz auf dich. Sie hat oft gesagt, dass du eine ganz Liebe bist, und so vernünftig und klug.“

„Das war sie auch.“ Charlotte hatte ihre Tante vergöttert, und sie vermisste sie noch immer sehr.

„Du erinnerst mich an sie“, sagte Nick sanft. „Nicht nur, weil du ihr sehr ähnlich siehst. Du besitzt die gleiche innere Stärke wie sie, und ich bin genauso stolz auf dich, wie sie es gewesen wäre. Es braucht viel Mut, so ein Projekt anzugehen, wenn …“ Seine Stimme verlor sich.

„Wenn ich so etwas auch durchgemacht habe?“ Charlotte schlang die Arme um sich. „Deshalb tue ich es doch, Nick. Natürlich ist es nicht einfach, vor allem, weil es Erinnerungen weckt, die schwer zu ertragen sind. Aber deshalb …“ Tapfer schluckte sie den gallebitteren Geschmack, der sich in ihrem Mund gesammelt hatte, hinunter. „Weißt du, es ist leichter, mit jemandem darüber zu reden, dem das Gleiche angetan wurde. Und wenn ich davor zurückscheue, dann hat Michael gewonnen.“ Sie hob das Kinn. „Das lasse ich nicht zu, Nick. Ich werde den Frauen helfen, das Trauma zu verarbeiten – so wie andere mir geholfen haben, darüber hinwegzukommen.“

„Aber noch bist du es nicht, oder? Du hast dich seitdem nicht mehr mit einem Mann verabredet. Drei Jahre sind eine lange Zeit, Liebes.“

„Und was du machst, ist besser?“, entfuhr es ihr. „Ein Date nach dem anderen, damit man sich nicht mit sich selbst befassen muss?“

Nick lief dunkel an. „Deshalb musst du nicht grob werden.“

Sie zuckte zusammen. „Entschuldige, das hätte ich nicht sagen dürfen. Nicht zu dir. Ohne dich hätte ich keinen Raum für meine Beratungsstelle.“

Großzügig hatte Nick ihr ein Zimmer in seiner Gemeinschaftspraxis überlassen, in dem sie an jedem Mittwoch Beratungen für vergewaltigte Frauen anbieten konnte. Im Gegenzug hatte sie versprochen, in der Praxis über Herzgesundheit zu informieren, vor allem Gemmas ältere Patientinnen, die die Wechseljahre bereits hinter sich hatten.

„Du hättest etwas anderes gefunden.“

„Aber Penhally Bay ist perfekt. Dieses Städtchen hat etwas … auch wenn es sich albern anhört … etwas Heilendes.“

„Das ist nicht albern. Und ich denke, du hast schon recht – ich bin oft mit Frauen unterwegs, vielleicht zu oft. Aber ich vergesse deine Tante nicht.“ Nick seufzte. „Nie. Wie sie gestorben ist, wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen.“

Jetzt drückte sie seine Hand. „Nick, das hätte Annabel nicht gewollt. Was ihr passiert ist, war furchtbar, aber es war nicht deine Schuld oder die eines anderen. Manchmal geschehen schreckliche, sinnlose Dinge, und dann erscheint einem die Welt dunkel und leer, und man fragt sich immer wieder nach dem Warum. Aber ich bin sicher, dass Annabel gewollt hätte, dass du deinen Frieden damit machst und jemanden findest, der dich genauso sehr liebt, wie sie dich geliebt hat. Du musst die Vergangenheit endlich loslassen und nach vorn sehen.“

Charlotte unterbrach sich und lächelte reumütig. „Na, ich bin gerade die Richtige, dir ins Gewissen zu reden.“ Wie weit war sie denn gekommen, nachdem das mit Michael passiert war? „Aber wir Ärzte sind nicht gerade die vernünftigsten Patienten, oder?“

„Nein“, gab er zu. „Wohl nicht.“

„Vielleicht müssen wir beide uns nur mehr anstrengen.“

„Vielleicht.“ Er hob seinen Kaffeebecher. „Auf dich, die neue Beratungsstelle – und auf gute Zusammenarbeit mit James Alexander.“

„Und auf dich und darauf, dass du jemanden findest, der dich so glücklich macht wie Annabel“, erwiderte sie und stieß mit ihm an.

2. KAPITEL

„Solltest du nicht beim Mittagessen sein?“ Steffie, die Stationsschwester der Kardiologie, lehnte am Türrahmen zu Charlottes Zimmer, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und tappte vielsagend mit dem Fuß.

Charlotte blickte von ihren Notizen auf und deutete flüchtig auf das angebissene Sandwich neben dem Stapel Krankenakten. „Da. Ich bin beim Essen.“

„Du arbeitest“, widersprach Steffie streng. „Du machst keine richtigen Pausen.“

„Ausnahmsweise. Nur bis die Beratungsstelle eingerichtet ist. Die nächsten zwei Wochen habe ich noch so viel zu erledigen, und das meiste kann ich besser in meiner Mittagspause abarbeiten als abends. Falls ich bei Behörden während der Bürostunden anrufen muss.“

„Okay, solange es kein Dauerzustand wird. Ich mache mir Sorgen um dich.“

„Hey, das ist nicht nötig. Mir geht’s gut.“ Charlotte schenkte ihrer Freundin ein strahlendes Lächeln. „Du kennst mich doch, ich bin gern beschäftigt.“

„Hm.“ Steffie wirkte immer noch skeptisch. „Na ja, morgen wirst du noch mehr zu tun haben.“

„Morgen?“

Die Schwester verdrehte die Augen. „Sag nicht, du hast vergessen, wer morgen hier anfängt? James Alexander, der neue Herzchirurg.“

Charlotte zuckte mit den schmalen Schultern. „Ich schätze, er wird irgendwann hier auftauchen, um sich vorzustellen.“

„Du warst ja nicht da, als er nach dem Vorstellungsgespräch seine Runde gemacht hat. Aber du hast ihn doch bestimmt in der Zeitung gesehen. Glaub mir, er ist der attraktivste Mann, der jemals seinen Fuß in dieses Krankenhaus gesetzt hat. Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Jedes andere weibliche Wesen bekommt Herzrhythmusstörungen, sobald er in Sicht kommt.“

„Ich stehe mehr auf dunkle Schokolade und ein gutes Buch als auf Kaffee und Klatschblätter.“

Steffie lachte hell auf. „Du bist unmöglich. Trotzdem, ich wette, dass du dahinschmelzen wirst, wenn du ihm begegnest.“

„Wetten wir um deine Ersparnisse? Du wärst sie im Handumdrehen los. Dr. Alexander ist absolut nicht mein Typ.“

„Wer ist dann dein Typ, Charlotte?“

Niemand. Sie verabredete sich nicht. Aber sie konnte nicht widerstehen, ihre Freundin zu necken. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Steffie?“ Sie winkte mit dem Zeigefinger.

Mit neugieriger Miene trat Steffie an den Schreibtisch und beugte sich vor.

„Ich gehe nicht mit Männern aus, weil ich schon verheiratet bin.“

Steffie bekam große Augen. „Du machst Witze!“

„Großes Ehrenwort, ich meine es ernst.“

„Aber … du arbeitest schon seit Jahren hier und hast nie von deinem Mann gesprochen. Keiner von uns hat ihn je gesehen.“

„Oh doch, natürlich kennt ihr ihn.“ Sie lächelte breit. „Mein Job, Steffie, ich bin mit meinem Job verheiratet.“

„Mensch, Charlotte!“ Die Schwester stöhnte auf und knuffte sie in den Oberarm. „Wie ich schon sagte, du bist unmöglich.“

„Wieso? Weil ich meine Arbeit interessanter finde als einen Mann, dessen Ego so groß ist wie der Mars?“

„Dann bist du ihm doch schon begegnet? Oder hast du von einem früheren Kollegen etwas über ihn gehört?“

„Weder noch. Aber das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. James Alexander ist reich und verwöhnt und verbringt die meiste Zeit seines Lebens damit, Prominente zu exklusiven Partys zu begleiten.“ Charlotte zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. „Selbstverständlich hat er ein Ego so groß wie der Mars.“

„Viertausendzweihundertundzwanzig Meilen im Durchmesser. Wenig mehr als die Hälfte des Erddurchmessers, aber dennoch ziemlich riesig für ein Ego“, ertönte eine tiefe, wohlklingende Stimme von der Tür her.

„Ach, du Schande.“ Steffie schoss das Blut ins Gesicht, während sie herumfuhr und den Mann entdeckte, der einen guten Teil ihrer Unterhaltung mitbekommen hatte.

„Hallo. Ich bin James Alexander“, stellte er sich vor.

Als wäre das noch nötig!

„Stephanie Jones, Stationsschwester auf der Kardiologie … für die Kollegen Steffie.“ Sie schüttelte ihm die Hand. „Äh … schön, Sie kennenzulernen.“

„Ganz meinerseits.“ James lächelte freundlich und wandte sich dann Charlotte zu.

Fragend und leicht spöttisch, wie sie fand.

Ihre Zunge fühlte sich an, als wäre sie am Gaumen festgeklebt.

In einem musste sie Steffie recht geben: James Alexander war tatsächlich der umwerfendste Mann, der je das St. Piran betreten hatte. Groß und schlank, mit dunklem Haar und tiefbraunen Augen, hätte er geradewegs einem teuren Magazin für elegante Männermode entstiegen sein können. Der maßgeschneiderte Anzug saß tadellos an seinem athletischen Körper, und die feinen Lederschuhe waren auf Hochglanz poliert. Charlotte wäre jede Wette eingegangen, dass sie handgenäht waren. Und sein Haar …

James Alexander legte offensichtlich Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Sein volles, schimmerndes Haar war mit einem klassischen Kurzhaarschnitt in Form gebracht, bei dem jede Strähne an ihrem Platz lag. Kinn und Wangen waren perfekt rasiert, nirgends auch nur die Andeutung eines Bartschattens. Zu ihrem Schrecken stellte Charlotte fest, wie es in ihren Fingerspitzen prickelte. Als reizte es sie unwiderstehlich, über sein Gesicht zu streichen, um sich zu überzeugen, dass sich die Haut so warm und glatt anfühlte, wie sie aussah.

Aus dem Schrecken wurde Entsetzen, als sie feststellte, dass James Alexander sie immer noch fragend anblickte. Anscheinend wartete er darauf, dass sie sich endlich vorstellte. Na großartig! Jetzt hatte er sie dabei ertappt, dass sie ihn anstarrte.

Abgesehen davon, dass sie Männer niemals anstarrte, hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn sich der Fußboden auftun würde, um sie gnädig aufzunehmen. Vorzugsweise schon vor fünf Minuten …

„Charlotte Walker, kardiologische Oberärztin“, sagte sie und zuckte beim Klang ihrer eigenen Stimme insgeheim zusammen. Das hatte sich fast feindselig angehört.

Was hatte dieser Mann an sich, dass sie sich so zum Narren machte?

Das kannst du doch besser, ermahnte sie sich. Bleib einfach ruhig, gelassen und professionell!

Der Vorsatz hielt nur so lange, bis er ihr die Hand schüttelte. Ihr Puls überschlug sich förmlich, kaum dass die warmen, schlanken Finger ihre berührt hatten.

Ich muss mir etwas eingefangen haben, war ihre erste Reaktion. Ein Virus, irgendwas, das diesen plötzlichen Schwächeanfall erklärte. Sie bekam nie weiche Knie, wenn ein gut aussehender Mann sie anlächelte!

„Wir haben Sie erst morgen erwartet“, sagte sie, um ihre Verwirrung zu überspielen.

„Ich war in der Gegend und dachte, ich schaue kurz rein, um mich vorzustellen. Dann kann ich morgen ohne Verzögerung mit der Arbeit anfangen.“

Das hatte sie nicht erwartet. Ein winzig kleines Schuldgefühl regte sich in ihr. Vielleicht hatte sie ihm unrecht getan. Charlotte wusste zwar nicht, wie viel er von ihrem Gespräch mit Steffie mit angehört hatte, aber ihr war klar, was sie zu tun hatte.

Sie musste sich entschuldigen.

„Es tut mir leid, was ich da vorhin gesagt habe“, begann sie. „Ich hätte nicht solche Vermutungen über Sie anstellen dürfen.“

„Das bin ich gewohnt. Es verblüfft mich immer wieder, dass die Leute jedes Wort glauben, das sie in der Zeitung lesen, aber …“ Ein lässiges Schulterzucken füllte die Kunstpause. „… ich schätze, nicht jedem liegt etwas daran, sich eine eigene Meinung zu bilden.“

Autsch. Den Seitenhieb hatte sie verdient. „Ich war beeindruckt, dass Sie die genauen Abmessungen vom Mars kennen“, sagte sie.

James spreizte die schlanken Chirurgenhände. „Wenn man sich mit Sternchen herumtreibt, lernt man auch Planeten kennen.“

„Bingo!“ Steffie lachte laut auf. „Charlotte, ich glaube, du hast eine verwandte Seele gefunden. Charlotte ist unser Superhirn“, erklärte sie James. „Seit sie das Quiz-Team unserer Abteilung anführt, haben wir kein einziges Mal verloren.“

„Das klingt verlockend.“ In seinen braunen Augen leuchtete Interesse auf.

„Darum geht es nicht“, erwiderte Charlotte schärfer als beabsichtigt. Sie wollte für keinen Mann verlockend sein! „Wir veranstalten diese Quiz-Abende, um Spendengelder zu sammeln, und nicht, um anzugeben.“

„Weil mein Ego Marsdimensionen hat, meinen Sie?“

Charlotte hatte das dumme Gefühl, dass er ihr ihre Bemerkung noch öfter unter die Nase reiben würde. „Seien Sie froh, dass ich Mars gesagt habe und nicht Jupiter.“

„Aua.“ Er lächelte sie charmant an. „Spendieren Sie mir einen Kaffee, Charlotte, und ich vergebe Ihnen.“

Wollte er sie anmachen?

Ihre Abwehr musste sich auf ihrem Gesicht abgezeichnet haben, denn er fügte schnell hinzu: „Es ist Mittagszeit, und da ich hier neu bin und mit Ihrer Station eng zusammenarbeiten werde, würde ich mich freuen, wenn mich jemand herumführt.“

„Was ist mit den Kollegen in der Chirurgie?“ Irgendwer hatte doch bestimmt Zeit, dem neuen Chirurgen die Abteilung zu zeigen, oder?

„Da war ich schon. Ich muss gestehen, ich war ein bisschen aufdringlich und habe einen alten Freund gebeten, mich herumzuführen. Jack Roberts. Er hat mich den Anästhesisten und dem OP-Personal vorgestellt und meinte dann, ich sollte zu Ihnen gehen. Sie würden mir die Kardiologie zeigen und auch die Intensivstation und die Kinderstation.“

„Ach, wirklich?“ Hoffentlich war ihr Cousin nicht auf die blödsinnige Idee gekommen, sie zu verkuppeln. Nur weil er mit seiner Alison im siebten Himmel schwebte, bedeutete das noch lange nicht, dass jeder andere auch heiraten und Kinder kriegen wollte. Charlotte für ihren Teil hatte sich geschworen, nicht zu heiraten. Niemals.

James hob die Hände. „He, köpfen Sie nicht gleich den Boten, der schlechte Nachrichten bringt. Wenn Sie mit Ihrem Cousin ein Problem haben …“

„Nein, aber ich bin …“

„Mitten in deiner eigenen Mittagspause“, unterbrach Steffie sie resolut. „Die du überdies zum Arbeiten nutzt. Wäre es da nicht besser, du vertrittst dir die Beine, James lernt das Krankenhaus besser kennen, und wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe? Gönn dem armen Mann eine Führung, Charlotte.“

Charlotte war drauf und dran, beide aus ihrem Zimmer zu werfen und die Tür abzuschließen, aber sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Ich nehme an, dass Sie die Chefärzte schon kennengelernt haben?“

„Ja, beim Vorstellungsgespräch.“

„Gut.“ Sie nahm ihn mit auf eine Blitztour durch die Kardiologie, die Intensivstation und die Pädiatrie und machte ihn überall bekannt. Er lächelte freundlich, war höflich und interessiert, und Charlotte vermutete, dass das seine Art war, mit Kollegen umzugehen. Gut, damit konnte sie leben. Ihr gefiel auch, dass er Schwestern, Pfleger und Hilfskräfte nicht von oben herab behandelte. Der Mann hatte Stil, das musste sie ihm lassen.

Und dieses verwirrende Gefühl, das sie jedes Mal befiel, wenn sie ihm in die Augen blickte … das würde sicher vergehen, wenn sie sich erst an ihn gewöhnt hatte. Es lag bestimmt daran, dass sie ihn noch nicht kannte.

„Rechts ist die Kantine. Wie trinken Sie Ihren Kaffee?“

„Das war nur ein Scherz“, beeilte er sich zu sagen. „Der Kaffee geht auf mich, schließlich habe ich Ihnen Ihre Mittagspause gestohlen.“

„Kein Problem.“ Sie setzte ein professionelles Lächeln auf. „Wir hatten abgemacht, dass ich Sie durchs Krankenhaus führe und Ihnen einen Kaffee spendiere.“

„Gut, dann vielen Dank dafür. Schwarz, ohne Zucker, bitte.“ Als sie sich an der Theke anstellten, fügte er hinzu: „Soll ich uns schon mal einen Tisch suchen?“

„Gern. Möchten Sie etwas essen?“

„Nein, danke, Kaffee genügt.“

Doch als Charlotte an den Tisch trat, stellte James erstaunt fest, dass auf dem Tablett, das sie trug, nur eine Tasse Kaffee stand.

„Es tut mir sehr leid, aber ich muss zurück zur Station.“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, nachdem sie das Tablett abgesetzt hatte. „In zehn Minuten fängt meine Sprechstunde an, und ich muss mir vorher noch ein paar Notizen ansehen.“

„Sicher“, antwortete James. „Verstehe.“ Allerdings hatte er den Eindruck, dass sie Arbeit vorschob, um nicht mit ihm Kaffee trinken zu müssen. „Danke für die Tour – und für den Kaffee.“

„Bitte.“ Wieder dieses angeknipste Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. Ihre Kollegen hatte sie ganz anders angelächelt: offen, herzlich.

War Charlotte Walker unsicher bei Fremden, oder nur bei ihm?

„Also dann, einen guten Anfang morgen.“

„Danke. Wir sehen uns bestimmt bald wieder.“

„Natürlich, wenn wir gemeinsame Patienten haben.“ Sie hob die Hand. „Bis dann.“

James sah ihr nach, während sie die Kantine verließ, ohne sich noch einmal umzudrehen. Na schön, sie hatte ihm klar zu verstehen gegeben, dass ein Wiedersehen höchstens beruflicher Natur sein würde.

Nachdenklich trank er einen Schluck Kaffee. Charlotte Walker hatte es zwar recht gut kaschiert, aber wenn ihn seine Menschenkenntnis nicht täuschte, war sie bei ihm auf der Hut. Nahezu misstrauisch.

Warum?

Glaubte sie etwa den Müll, der über ihn in den Zeitungen stand? Für so kleingeistig hielt er sie eigentlich nicht. Nicht, nachdem er beobachtet hatte, wie sie von ihren Kollegen begrüßt wurde. Wenn sie engstirnig oder ein schwieriger Mensch wäre, hätte sie sich nicht diese Sympathien erworben.

Charlotte Walker war ihm ein Rätsel.

Und eine hinreißende Frau. Genau sein Typ … schlank, gute Figur, honigblondes Haar, das sie zu einer tadellosen Hochsteckfrisur à la Grace Kelly trug. James stellte sich vor, wie weich und seidig es sich unter seinen Fingern anfühlen musste, wenn er es von Nadeln und Haarklemmen befreit hatte. Ihr Mund eine Rosenknospe. Ebenmäßige weiße Zähne. Augen, so blau wie der Himmel an einem Sommerabend.

Ja, sie war sehr verführerisch.

Und verschlossen.

Er sollte die Finger von ihr lassen. Schließlich war er im St. Piran, um zu arbeiten, und nicht, um Frauen kennenzulernen. Außerdem hatte er sich geschworen, nie wieder einer Frau zu vertrauen, oder?

„Immer schön kollegial bleiben“, ermahnte er sich, trank den letzten Schluck Kaffee und verließ die Kantine.

3. KAPITEL

Dienstagmorgen betrat Charlotte die Station etwas früher als sonst. Sie wollte eine Patientin sehen, bevor diese am offenen Herzen operiert wurde. Daisy Freeman war drei Jahre alt, und am Tag zuvor hatte sie, zusammen mit ihren Eltern, schon einen Teil des OP-Teams kennengelernt: Fran Somers, die Anästhesistin, und Carlo Orsini, den Kardiotechniker. Heute kam der Mann hinzu, der das Loch in Daisys Herz mit einem Transplantat schließen würde.

James Alexander.

Als hätte er es geahnt, war sein erster Arbeitstag straff durchgeplant. Bei Dienstbeginn würde ihm gerade ein bisschen Zeit bleiben, sich den Freemans vorzustellen, bevor er in den OP musste. Und seine OP-Liste war lang.

Charlotte fuhr ihren Computer hoch, loggte sich ins System ein und rief Daisys Datei auf. Doch sie war abgelenkt, immer wieder tauchten Bilder von James vor ihrem inneren Auge auf. Er beunruhigte sie. Nicht dass sie Angst davor hatte, er könnte ihr wehtun wie Michael, aber es war merkwürdig, wie sie auf ihn reagierte. Dieses verrückte Gefühl, als würde ein starker Magnet sie zu ihm hinziehen … Lächerlich.

Und auch wenn er klargemacht hatte, dass die Presse mit ihren Geschichten über ihn maßlos übertrieb, so musste doch ein Körnchen Wahrheit darin stecken. James Alexander war ein Playboy, der, wie Jack damals auch, ein Leben im Rampenlicht führte, schnelle, glänzende Wagen fuhr, Designerkleidung trug und in Szeneklubs eine heiße Party nach der anderen feierte.

Kein Mann also, dem sie ihr Herz anvertrauen würde.

Ha, als wenn sie jemals einem Mann ihr Herz anvertrauen würde! Sie war froh und zufrieden, allein zu leben, und so sollte es auch bleiben.

Noch während sie dies dachte, fing ihr Nacken an zu prickeln. Charlotte blickte auf und sah James an ihrem Türrahmen stehen, die Hand erhoben, als wollte er gerade anklopfen.

„Guten Morgen, Charlotte.“

Ihr Mund war plötzlich trocken, und sie strich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Guten Morgen, James.“

„Ich habe mir die Liste meiner Patienten angesehen. In den Unterlagen steht, dass Sie Daisy Freemans Kardiologin sind.“

„Stimmt.“

„Gut“, sagte er lächelnd und wirkte sehr zufrieden. „Sie sind früh hier. Heißt das, Sie wollen sie sich vor dem Eingriff noch einmal ansehen?“

„Ja. Ich habe zwar gestern Abend noch mit ihr und ihren Eltern gesprochen, aber heute ist ein schwerer Tag für sie, und ich möchte bei ihnen sein, wenn Daisy in den OP gebracht wird.“

„Ich komme mit. Ich bin sicher, dass Sie sie auf diese Operation gut vorbereitet haben, aber meiner Erfahrung nach schlafen Eltern vor lauter Sorgen die ganze Nacht nicht, und meistens haben sie auch in letzter Minute noch Fragen. Daisys Akte habe ich gelesen“, fügte er hinzu. „Man hatte gehofft, dass sich der ASD noch schließt?“

Bei vier von fünf Babys mit Atriumseptumdefekt schloss sich das Loch in der Herzscheidewand innerhalb der ersten achtzehn Lebensmonate von selbst. Bei Daisy war das nicht der Fall, und sie war mittlerweile drei Jahre alt. Also musste man operieren.

„Ja, aber das ist leider nicht passiert. Ich wollte das Loch über einen Katheter mit einem Septal Occluder verschließen, doch beim letzten Ultraschall zeigte sich, dass es für ein solches Implantat zu groß ist.“

„Ich habe mir die Aufnahmen gestern angesehen und stimme Ihnen voll zu.“

Charlotte musste sich beherrschen, ihn nicht überrascht anzustarren. Erstens hätte sie nie vermutet, dass ein Playboy wie James Alexander sich Patientenunterlagen durchlas, wenn er nicht einmal im Dienst war. Und zweitens hatte sie erwartet, dass er sie in eine Diskussion verwickeln und mit Fachwissen um sich werfen würde, um zu zeigen, was für ein toller Chirurg er war. Stattdessen schloss er sich ihrer Meinung einfach an. Erstaunlich!

„Mir ist außerdem aufgefallen, dass Daisy oft erkältet war“, fuhr er fort. „Deshalb möchte ich ihre Werte heute Morgen besonders genau prüfen, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich für die OP fit ist.“

Der Mann legte also nicht nur bei seinem Äußeren Wert auf Details. Sehr gut. „Gestern Abend war alles in Ordnung, nicht der geringste Hinweis auf einen Schnupfen.“

„Drücken wir die Daumen, dass sie nicht über Nacht noch einen bekommen hat. Gibt es noch etwas, das ich über Daisy oder ihre Familie wissen sollte? Irgendwelche Probleme, bei denen ich vielleicht helfen kann?“

Sehr umsichtig von ihm. Charlotte fragte sich allmählich, ob sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Bei einem Herzchirurgen seines Ranges hätte sie gedacht, dass es in diesem Gespräch mehr um die technische Seite des Eingriffs gegangen wäre. Und besonders James Alexander hatte sie zugetraut, dass er jede Gelegenheit nutzen würde, um mit seinen chirurgischen Fähigkeiten anzugeben. Dass er es nicht tat … Respekt. Mit einem Kollegen, der sich derart aufmerksam für seine Patienten interessierte, würde sie wunderbar zusammenarbeiten können.

Abgesehen davon, dass er als Mann jeden Blick wert war. Er sah wirklich verboten gut aus …

Aber das sollte ihr herzlich egal sein! Charlotte konzentrierte sich darauf, seine Frage zu beantworten. „Nur die üblichen Elternsorgen – ob die Operation erfolgreich sein wird, wie schnell Daisy sich erholen wird, ob sie danach endlich richtig gesund ist.“

„Ich werde daran denken.“ Seine Miene blieb ernst. „Was ist mit Daisy selbst? Hat sie eine dieser Stoffpuppen mit den Narben bekommen? Sie sind ideal, um Kinder auf eine Operation vorzubereiten.“

„Ja, vor einer Woche.“

James nickte. „Sehr gut. Hat die Puppe auch einen Namen?“

„Poppy.“

James nahm seine Arbeit wirklich sehr ernst, und das machte ihn Charlotte immer sympathischer.

„Wollen wir zu ihr gehen?“

„Natürlich.“ Erst jetzt fiel Charlotte auf, dass James zwar einen modischen, perfekt sitzenden dunklen Anzug und ein vermutlich maßgeschneidertes weißes Hemd trug, aber dazu eine ungewöhnliche Krawatte gewählt hatte: Auf der hellroten Seide tummelten sich knallgelbe Teddybärchen.

„Was ist?“ Er hatte ihren Blick bemerkt.

„Oh, ich habe nur Ihre Krawatte bewundert.“

„Ach so.“ Nonchalant zuckte er mit den breiten Schultern. „Daisy ist drei Jahre alt. Ich dachte, wenn ich ihr mit den Bären ein Lächeln entlocken kann, vertraut sie mir vielleicht schneller.“

Bewundernswert, woran der Mann alles dachte …

„Und bevor Sie fragen – nein, bei einem Jungen würde ich eine schlichte tragen, meine James-Bond-Uhr aufblitzen lassen und über Aston Martins reden.“

Ja, das konnte sie sich lebhaft vorstellen! James besaß wahrscheinlich genug Sportwagen, um an jedem Wochentag einen anderen fahren zu können. Und wie Flemings Topspion hatte er atemberaubend schöne Freundinnen.

„Gut, dann wollen wir mal.“ Sie loggte sich aus und stand auf. James trat höflich einen Schritt beiseite, um sie vorangehen zu lassen.

Daisys Zimmer lag am entgegengesetzten Ende der Kinderstation, und Charlotte entgingen die vielen bewundernden Blicke in James’ Richtung nicht. Sie hatte nichts anderes erwartet. Groß, dunkel, gut gebaut und elegant gekleidet bot er ein attraktives Bild. Die Bärchenkrawatte war zwar ein Stilbruch, aber ein liebenswerter, bei dem jedes weibliche Herz dahinschmolz.

„Charlotte, kann ich dich kurz sprechen?“, fragte Lisa, eine der Assistenzärztinnen.

„Sicher. Entschuldigen Sie mich, James.“ Sie entfernte sich zusammen mit der jungen Frau ein paar Schritte. „Was kann ich für dich tun?“

„Ist das der neue Herzchirurg?“

Na prima. Und sie hatte gedacht, es ginge um einen Patienten. „Ja. Wir wollen vor der Operation noch einmal zu Daisy.“

Lisa seufzte verzückt. „Er ist umwerfend. Du Glückliche, du darfst mit ihm arbeiten … ich hätte nichts dagegen, mal mit ihm zu frühstücken!“

Dachte Lisa etwa, zwischen ihr und James liefe etwas? „Ich frühstücke nicht mit ihm“, antwortete sie eine Spur zu streng.

Obwohl, jetzt hatte Lisa eine Flut verwirrender Bilder ausgelöst … James, wie er in ihrer Küche stand und Kaffee kochte, mit nacktem Oberkörper, nur mit einer Jeans bekleidet und einem sexy Lächeln im Gesicht. Dunkle Bartstoppeln bedeckten sein markantes Kinn, sein Haar war leicht zerzaust. James, wie er von ihrem Toast abbiss und sie nicht widerstehen konnte und ihm die Krümel vom Mundwinkel leckte, woraufhin James sie in die Arme zog und leidenschaftlich küsste …

Oh, Hilfe! Seit wann hatte sie solche Fantasien? „Wir sind Kollegen, mehr nicht“, bekräftigte sie, nicht nur um Lisa, sondern auch sich selbst wieder auf die Erde zu holen.

Aber Lisa war nicht zu bremsen. „So wie der aussieht, hat er sich wahrscheinlich schon mit zwölf nicht vor Mädchen retten können“, meinte sie schwärmerisch. „Immer wenn ich ihn in der Zeitung sehe, hat er eine langbeinige Schönheit am Arm. Aber falls du zufällig herausfindest, dass er noch zu haben ist …“

„Ja, dann lege ich ein gutes Wort für dich ein.“

„Du bist nicht interessiert?“, wollte Lisa wissen.

Doch. Aber das würde sie im Leben nicht zugeben. „Ich bin vollauf zufrieden, mit Pandora zu frühstücken“, antwortete sie lächelnd.

James bekam den letzten Teil der Unterhaltung mit. Pandora? Wer war Pandora? Charlottes Schwester? Ihre Mitbewohnerin?

Wenn sie mit ihrer Schwester oder einer Freundin frühstückte, bedeutete das, dass sie ungebunden war?

Denk nicht einmal dran! Er würde nicht so verrückt sein, mit einer Arbeitskollegin etwas anzufangen. Selbst, wenn sie unglaublich hübsch war mit ihrem seidigen blonden Haar, der zierlichen Nase und dem Rosenknospenmund.

Unwillkürlich stellte er sich vor, wie dieser Mund seinen Körper erkundete und das weiche blonde Haar dabei über seine Haut strich. James stöhnte stumm auf, als sein Körper reagierte. Du meine Güte, er kannte sie kaum! Sie war zurückhaltend, fast abweisend und schien sich in seiner Gegenwart nur dann zu entspannen, wenn sie über einen Patienten sprachen.

Außerdem hatte sie Lisa deutlich gesagt, dass sie an ihm nicht interessiert war.

Er sollte sich auf seinen Job konzentrieren. Nachdem seine Ehe mit Pauken und Trompeten gescheitert war, hatte er nicht vor, sich jemals wieder zu binden. Und er wusste auch ohne nachzufragen, dass Charlotte Walker für Affären nicht zu haben war. Damit war sie für ihn tabu.

Auch wenn er sie sehr attraktiv fand, er würde die Finger von ihr lassen.

„Hallo, kleine Maus“, sagte Charlotte zu ihrer Patientin. Nachdem sie Daisys Eltern Leslie und Gary Freeman warmherzig begrüßt hatte, setzte sich zu ihr aufs Bett und drückte sie kurz.

„Hallo, Dr. Charlotte.“ Die Kleine lächelte sie fröhlich an und erwiderte die Umarmung.

„Ich habe dir einen ganz besonderen Besucher mitgebracht.“ Charlotte wandte sich ihm für einen Moment zu. „Das ist Dr. James. Er wird heute Morgen dein Herz heil machen.“

„Hallo, Dr. James“, sagte Daisy schüchtern.

Charlotte stellte ihn auch den Eltern vor.

„Ich bin sicher, dass Dr. Walker bereits alles Nötige mit Ihnen besprochen hat“, sagte James. „Aber falls Sie noch Fragen haben, beantworte ich sie Ihnen gern.“

Die Freemans hatten nur wenige Fragen, aber Charlotte spürte deutlich, wie angespannt die Eltern waren.

„Und, seid ihr bereit für den großen Tag, Poppy und du?“, wollte James schließlich von Daisy wissen.

Daisy nickte eifrig. „Poppy ist schon mal operiert worden, siehst du?“ Sie zeigte ihm die Narben auf der Brust der Puppe.

„Tatsächlich!“, gab James sich beeindruckt und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“

Das kleine Mädchen bekam große Augen. „Was für eins?“

„Wenn ich dich operiere, hast du hinterher eine viel kleinere Narbe, und sie verschwindet, wenn du größer wirst.“

Daisy schluckte. „Tut das weh?“

„Die Narbe? Nein. Und die Operation, die merkst du überhaupt nicht, weil du ganz tief schläfst, wenn ich dein Herz repariere. Vielleicht wirst du dich hinterher nicht so gut fühlen, aber dann brauchst du nur deiner Mummy, deinem Daddy oder einer der Krankenschwestern Bescheid zu sagen, und sie machen, dass es dir besser geht.“

„So wie wenn ich mein Knie aufgeschlagen habe?“

„Genau so. Und ich verrate dir noch etwas: Ein Kuss auf die Stelle hilft immer, der pustet den Schmerz weg.“

Daisy lächelte ihn an. „Willst du auch einen Kuss, wenn du Aua hast?“

„Ja, natürlich.“

Flüchtig, aber schockierend deutlich schoss Charlotte ein Bild durch den Kopf. Sie hatte James die Arme um den Hals geschlungen, versunken in einen zärtlichen Kuss. So etwas Verrücktes. Erstens hatte der Chirurg sich nicht wehgetan, und zweitens hatte sie nicht im Geringsten die Absicht, ihn zu küssen!

Trotzdem wurde ihr warm, und ihr Puls raste. Hoffentlich gehörte Gedankenlesen nicht auch zu seinen Fähigkeiten …

„Wollen wir mal sehen, ob Poppy Fieber hat, Daisy?“, fragte James.

Mit ernstem Gesichtchen hielt Daisy der Puppe das Fieberthermometer an den Mund. „Hat sie nicht“, verkündete sie zufrieden.

„Ausgezeichnet. Jetzt bin ich dran – darf ich bei dir messen?“

Daisy nickte, und James nannte Charlotte die Werte, damit sie sie in die Krankenkarte eintrug. „Wie bei Poppy … alles in Ordnung.“

Auf die gleiche Art führte er alle anderen notwendigen Untersuchungen bei dem Mädchen durch, um sich zu vergewissern, dass es für die OP auch wirklich fit war.

Charlotte konnte sich nicht helfen, sie war beeindruckt. James gelang es, eine spielerische, lockere Atmosphäre zu schaffen, in der sich auch die Eltern sichtlich entspannten.

„Also dann, Tausendschönchen …“ Lächelnd stand James auf. „Ich ziehe mir jetzt meinen Doktoranzug an, und Dr. Charlotte wird dir eine besondere Medizin geben. Danach fühlst du dich ganz schnell wundervoll schläfrig – so wie abends, wenn deine Mummy dir deine Lieblingsgeschichte vorliest. Bis gleich.“

Er strich ihr liebevoll übers Haar und wandte sich an Leslie und Gary. „Ich überlasse Sie jetzt Dr. Walkers fähigen Händen. Sofort nach der Operation melde ich mich bei Ihnen, und dann gehen wir gemeinsam zu Daisy auf die Intensivstation. Ich weiß, ich habe leicht reden, aber bitte machen Sie sich keine Sorgen. In ein paar Tagen wird es ihr deutlich besser gehen.“

Leslie und Gary lächelten tapfer, als das Bett mit ihrer Tochter hinausgeschoben wurde, und warfen ihr Kusshände zu. Sobald die Tür hinter ihr zufiel, brach die Mutter jedoch in Tränen aus.

„Nicht weinen.“ Charlotte umarmte sie und strich ihr übers Haar. „Dr. Alexander ist ein brillanter Chirurg, bei ihm ist Ihre Tochter in besten Händen.“

„Aber er ist doch neu, oder? Die Schwestern haben gestern Abend über ihn gesprochen.“

„Neu an diesem Krankenhaus, aber nicht in seinem Fachgebiet. Er hat an einem der größten Londoner Krankenhäuser gearbeitet und verfügt über ein hohes Maß an Erfahrung. Wirklich, Daisy ist bei ihm gut aufgehoben.“

Kurz vor Mittag machte sich Charlotte Sorgen. Ihre Sprechstunde war beendet, es waren deutlich mehr als drei Stunden vergangen, und noch immer hatte sie nichts von Daisy gehört.

Entweder war etwas gewaltig schiefgegangen, oder James hatte schlicht vergessen, sie über den Ausgang der Operation zu informieren. Charlotte wollte gerade auf der Intensivstation anrufen, als das Telefon klingelte.

Ein Kollege war krank geworden, und sie wurde in der Notaufnahme gebraucht. Bevor sie loseilte, bat sie Steffie, sich mit der Stationssekretärin in Verbindung zu setzen. Barbara würde schnell herausfinden, wo Daisy war.

„Mache ich. Soll ich dir aus der Kantine ein Sandwich mitbringen?“

„Danke. Ich verspreche auch, mir ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um es in Ruhe zu essen.“

„Das will ich dir auch geraten haben“, antwortete Steffie streng, aber ihre Augen funkelten humorvoll.

Als Charlotte zurückkehrte, machte sie sich als Erstes auf die Suche nach Steffie.

„Hat Barbara schon in Erfahrung bringen können, was mit Daisy ist?“

„Noch im OP.“

Charlotte zuckte insgeheim zusammen. „Das klingt gar nicht gut.“

„Mach dir keine Sorgen – und gönn dir eine Pause, bevor deine Sprechstunde anfängt, ja? Hier ist etwas zu essen.“ Steffie drückte ihr ein Päckchen Sandwichs in die Hand.

„Danke, du bist ein Schatz. Wie viel schulde ich dir?“

Über einem der Zimmer blinkte die Lampe auf. „Später. Ich muss flitzen. Und vergiss die Pause nicht!“

„Nein, nein“, flunkerte Charlotte und wickelte das erste Sandwich aus, während sie sich ihre Patientenliste für die Nachmittagssprechstunde vornahm.

Stunden vergingen, und obwohl sie sich jedem Patienten aufmerksam widmete, warf sie zwischen den Terminen immer wieder einen Blick auf ihren Pager.

Nichts.

Nachdem ihr letzter Patient gegangen war, ging Charlotte nach vorn. „Gibt es Neuigkeiten von Daisy?“, fragte sie Steffie.

„Nein, tut mir leid.“

Charlotte seufzte. „Okay, dann übernehme ich für Tim die Visite. Hoffentlich bekommen wir morgen eine Vertretung für ihn.“

„Ja, Barbara kümmert sich darum.“

„Ach, und wegen der Sandwichs … Was schulde ich dir?“

Steffie verdrehte die Augen. „Nicht der Rede wert. Meine Güte, Charlotte, du hast mir schon oft was zu essen mitgebracht, also vergiss es einfach, okay?“

Charlotte war mit der Visite fertig und arbeitete sich durch Patientenunterlagen, als James an ihrer Zimmertür auftauchte. In jeder Hand hielt er einen Pappbecher mit Deckel.

Sie war stark versucht, ihn anzufahren, was er sich eigentlich dabei dachte, sie wegen Daisy so lange im Unklaren zu lassen. Leider war es ziemlich beunruhigend, dass ihr Herz diesen komischen kleinen Doppelschlag machte, sobald ihre Blicke sich trafen. So reagierte sie doch sonst nicht auf einen Mann!

Schließlich holte sie tief Luft und fragte ruhig: „Wie geht es Daisy?“

„Gut.“ Er reichte ihr einen Becher.

Der Kaffee war genau richtig, stark mit einem Schuss Milch. „Danke. Ich hatte heute noch keine Zeit, einen Kaffee zu trinken. Woher wussten Sie, wie ich ihn mag?“

„Ich habe Steffie gefragt, und außerdem schulde ich Ihnen noch einen von gestern.“

„Sie schulden mir gar nichts.“

James seufzte ergeben. „Liebe Charlotte Walker, Sie sind die Kinderkardiologin, und ich bin der pädiatrische Herzchirurg. Ob es uns passt oder nicht, wir müssen zusammenarbeiten. Ich für meinen Teil bevorzuge ein harmonisches Betriebsklima, das ist besser für die Patienten.“

Sie spürte, wie sie rot wurde. „Rüge akzeptiert.“

„Es sollte kein Tadel sein.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich glaube, wir hatten einfach einen schlechten Start.“ Als sie leise auflachte, erschien eine steile Falte zwischen seinen dunklen Brauen. „Was ist?“

„Ihr Haar ist völlig durcheinander.“

„Und?“

„Wollen Sie nicht Ihren Kamm zücken? Da ist ein Spiegel.“

„So eitel bin ich nun auch wieder nicht“, entgegnete er. „Wie auch immer, ich wollte Ihnen von Daisy berichten.“

„Die vor über vier Stunden aus dem OP hätte kommen müssen“, hob sie hervor.

„Es gab Komplikationen.“

Erst jetzt fielen ihr die Schatten unter seinen Augen auf, und sie bekam es mit der Angst zu tun. Ging es Daisy doch nicht so gut, wie er gerade gesagt hatte?

„Was für welche?“

„Darf ich?“ James deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch.

„Bitte sehr.“

Er setzte sich und streckte die langen Beine aus. „Die Operation war erfolgreich, aber während des Eingriffs kam es zum Herzstillstand … zwei Mal. Deshalb hat es so lange gedauert. Jetzt liegt sie auf der Intensivstation, und ihre Eltern sitzen an ihrem Bett.“

„Danke. Ich gehe sofort zu ihnen.“

„Warten Sie noch ein paar Minuten“, sagte er sanft. „Wir haben die Kleine ins künstliche Koma versetzt, und ich habe ihnen bereits erklärt, dass wir sie erst morgen früh richtig aufwecken.“

Die übliche Prozedur nach einer Operation am offenen Herzen. Es bedeutete, dass das Kind maschinell beatmet wurde, um das Herz zu schonen. So konnte es sich schneller von dem Eingriff erholen.

„Und, wie war Ihr Nachmittag?“, wechselte James das Thema.

„Ziemlich turbulent. Ich musste in die Notaufnahme, weil Tim, der zweite kardiologische Oberarzt, krank geworden ist.“

„Dann übernehmen Sie sowohl Kinder als auch Erwachsene?“

„In der Regel nicht – ich kümmere mich um die Kinder, Tim ist für die Erwachsenen zuständig. Aber bei Bedarf springen wir für den anderen ein. Übrigens habe ich einen Patienten, über den ich mit Ihnen noch sprechen wollte. Ellis Martyn, zwölf Jahre alt, Morbus Ebstein. Ich denke, wir müssen eine Herzklappenkorrektur ins Auge fassen.“

Sie berichtete von der Sprechstunde am Nachmittag. „Ich habe Antibiotika verordnet und ihn mit einem Langzeit-EKG nach Hause geschickt. In der nächsten Woche hat er wieder einen Termin, und es wäre gut, wenn Sie dabei sind.“

„Natürlich. Wir stimmen das noch genauer ab.“

„Danke.“

Dr. Charlotte Walker ist eine engagierte Ärztin, das muss man ihr lassen, dachte er. Und sie faszinierte ihn. Trotz der Gelassenheit, die sie ausstrahlte, hatte sie etwas Rätselhaftes, und James brannte darauf, hinter die kühle Fassade zu blicken.

„Warum haben Sie sich für Kardiologie entschieden?“, fragte er.

Sie machte ein überraschtes Gesicht, zuckte dann aber mit den Schultern. „Zuerst wollte ich Kinderärztin werden. Während meiner praktischen Zeit hatten wir ein ‚blaues Baby‘ … Fallot’sche Tetralogie … und konnten es nicht retten. Der Fall ging mir ziemlich nahe, und ich fing an, alles darüber zu lesen, was ich in die Finger bekam. Um Kindern mit solchen Herzfehlern helfen zu können, beschloss ich, Kardiologin zu werden. Da ich mich meistens mit den pädiatrischen Fällen befasse, kann ich im Grunde beides tun: als Kinderärztin arbeiten und als Kardiologin.“ Sie schwieg kurz. „Wie war das bei Ihnen?“

James hätte seine Beweggründe schönreden können, aber wahrscheinlich konnte er ihr nichts vormachen. Und da er nicht wollte, dass sie ihn für einen Lügner hielt, entschied er sich für eine aufrichtige Antwort. „Nicht ganz so edelmütig, fürchte ich. Für mich war es eine Entscheidung zwischen Herzchirurgie und Hirnchirurgie. Aber die Herzchirurgie war damals die ehrgeizigere Disziplin von beiden.“

„Und Sie spielen gern ganz vorne mit?“

Er schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln. „Schockierend, nicht wahr?“

„Sie sind schamlos.“

„Nein“, widersprach er. „Nur ehrlich.“

Ihre Miene verriet nicht, was sie dachte. „Danke, dass Sie mir von Daisy berichtet haben“, sagte sie. „Ich gehe jetzt besser zu den Freemans.“ Mit einer anmutigen Bewegung deutete sie auf die Papierstapel. „Heute geht sowieso keine Post mehr raus, da kann ich die Akten auch später bearbeiten. Dann sind sie für morgen fertig.“

James hob die Brauen. „Sie arbeiten nachher noch weiter?“

„Ich lasse meine Patienten, beziehungsweise ihre Eltern, nicht länger im Unklaren als unbedingt nötig. Außerdem hätte Tim für mich das Gleiche getan, wenn ich plötzlich eine Virusinfektion hätte.“

„Für mich ist der Arbeitstag auch noch nicht zu Ende – durch die lange OP habe ich einige Termine nach hinten verlegen müssen, und jetzt muss ich Berichte schreiben. Wollen wir nachher zusammen etwas essen?“

„Nein, danke.“

James hatte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, wie verblüfft er war. Das war’s? Ein schlichtes Nein, und damit hatte es sich? „Sie sind schon verabredet?“, riet er ins Blaue hinein.

Sie schüttelte den Kopf.

„Warum gehen Sie dann nicht mit mir essen?“

„Weil …“ Die Kunstpause betonte, was kommen würde. „… ich glaube, dass wir nicht den gleichen Geschmack haben, was Restaurants betrifft.“

„Probieren Sie’s aus. Zeigen Sie mir, wo Sie am liebsten essen.“

„Danke, ich möchte nicht“, antwortete sie ruhig, aber mit Nachdruck.

James konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen Korb bekommen hatte. Und irgendwie versetzte es ihm einen Stich. Nicht nur aus verletzter Eitelkeit, das schüttelte er ab. Doch seit er Charlotte Walker das erste Mal begegnet war, ging sie ihm nicht mehr aus dem Sinn.

In diesem Moment war sie höflich, liebenswürdig und lächelte ihn sogar an. Dennoch wurde er das irritierende Gefühl nicht los, dass sie soeben eine dicke Glasscheibe zwischen ihnen errichtet hatte. Panzerglasqualität. Und er hatte nicht den geringsten Schimmer, warum.

„Kann ich Sie nicht doch überreden, wenn ich sage, dass ich fremd in der Stadt bin? Dass ich mich sehr bemühe, neue Freunde zu finden – und nicht auf ein Date aus bin?“

Der argwöhnische Ausdruck verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war. „Sie suchen also einen Freund?“

„Genau. Und ich lade Sie ein. Sie können das nächste Mal zahlen, wenn Sie sich dann besser fühlen.“

Sie schwieg so lange, dass er schon dachte, er hätte es vermasselt. Unvermittelt nickte sie. „Als Freunde.“

„Gut.“ Er stand auf. „Ich bin in meinem Büro. Holen Sie mich doch ab, wenn Sie bei den Freemans fertig sind.“

„Okay. Ach, und … James?“

Er blieb an der Tür stehen und drehte sich um.

Diesmal erreichte das Lächeln ihre wunderschönen blauen Augen, und sofort geriet sein Herz aus dem Takt.

„Danke für den Kaffee.“

4. KAPITEL

Als Charlotte die Intensivstation betrat, fand sie ein müdes und abgespanntes Elternpaar vor, aber wenigstens waren die Freemans nicht mehr voller Angst wie heute Morgen.

„Es tut mir leid, dass ich nicht früher kommen konnte.“

„Das macht nichts, wir haben Ihre Nachrichten erhalten. Diese nette Dame hat uns erklärt, dass Sie die Stellung halten müssen.“ Ein frustrierter Ausdruck glitt über Leslies blasses Gesicht. „Entschuldigung, ich kann mich nicht an ihren Namen erinnern.“

„Barbara“, sagte Charlotte sanft.

„Stimmt, ich habe es einfach nicht behalten.“

„Das ist verständlich. Sie haben einen schlimmen Tag hinter sich.“

Leslie fing an zu zittern. „Wenn ich mir vorstelle, dass wir sie fast verloren hätten …“

Gary legte den Arm um seine Frau und zog sie dicht an sich. „He, sie ist eine Kämpferin, wie ihre Mum. Sie wird nicht so schnell aufgeben, und wir auch nicht.“

„Dr. Alexander war wunderbar. Hinterher ist er eine volle halbe Stunde bei uns geblieben, obwohl er doch schon so lange wegen unserer Daisy im OP gestanden hat. Er sah ziemlich erschöpft aus, aber er hat uns nicht ein einziges Mal das Gefühl gegeben, dass wir ihm seine Zeit stehlen oder ihm zur Last fallen. Er ist wirklich ein sehr netter Mann“, fügte Leslie hinzu.

Nett, ja, aber auch gefährlich. Ich muss verrückt sein, dass ich heute Abend mit ihm ausgehe, dachte Charlotte. Auch wenn es nur ein Essen mit einem Kollegen ist.

Sie verabschiedete sich von Daisys Eltern und nahm ihnen das Versprechen ab, sich jederzeit bei ihr zu melden, wenn sie sich Sorgen machten. „Die Schwestern werden mich verständigen“, sagte sie. „Ich nehme meinen Pager mit nach Hause.“

„Vielen Dank, Dr. Walker.“

Charlotte schrieb ihre Berichte fertig und machte sich auf den Weg zu James’ Zimmer. An der Tür blieb sie einen Moment stehen.

James saß über seine Unterlagen gebeugt da und arbeitete konzentriert, ohne sie zu bemerken. Auch ohne das gewinnende Lächeln sah er verboten gut aus – markante, klassisch männliche Züge, dichte dunkle Wimpern. Und sein wohlgeformter Mund wirkte bei dieser ernsten Miene besonders verführerisch. Unwillkürlich fragte Charlotte sich, ob sich diese Lippen so warm und sinnlich anfühlen würden wie sie aussahen.

Oh, es war überhaupt keine gute Idee, mit ihm essen zu gehen! Vielleicht sollte sie Kopfschmerzen vortäuschen.

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Autor

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