Julia Ärzte zum Verlieben Band 189

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MEXIKANISCHE LIEBESNACHT MIT SÜSSEN FOLGEN von TINA BECKETT

Ausgelassen feiert Serena im mexikanischen Cozumel, dass sie ihr Schwesternexamen bestanden hat – und landet mit einem sexy Fremden im Bett! Kurz darauf Überraschung Nummer Eins: Er ist ihr neuer Boss Dr. Toby Renfro! Überraschung Nummer Zwei: Sie und der junge Chirurg werden Eltern …

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Ein Mann in ihrem Leben? Ausgeschlossen, glaubt die engagierte Ärztin Kat Collins. Aber ihr strikter Vorsatz wird von zwei kleinen Mädchen boykottiert: von ihrer Tochter – und deren Freundin. Denn diese hat einen Single-Dad, der „zufällig“ in Kats Krankenhaus arbeitet …


  • Erscheinungstag 06.04.2024
  • Bandnummer 189
  • ISBN / Artikelnummer 8031240189
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Tina Beckett, Amy Ruttan, JC Harroway

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 189

PROLOG

Die flirrenden Lichter spielten mit Serena Dias’ Wahrnehmung, durchdrangen alles mit dem Gefühl zerhackter Sinnesempfindungen. Fetzen, die sie Sternchen sehen ließen. Und jedes Mal, wenn sie aufblitzten, waren die Menschen um sie herum verschoben. Bewegten sich.

Tanzten.

Bis auf ein Paar, das in der Zeit erstarrt schien, aneinandergepresst, während die Welt drumherum wirbelte.

Nicht gerade das, was Serena von diesem Abend erwartet hatte.

Ihre Cousine Amilda hatte sie längst aus den Augen verloren. Allerdings hatte Ami sie vorgewarnt, dass sie diese Bar nicht unbedingt mit ihr wieder verlassen würde. Serena kannte sie gut genug, um sie beim Wort zu nehmen. Also war sie allein in einer der wilderen Gegenden ihrer Heimatstadt Cozumel.

Erinnerungen flackerten auf an Studienzeit und Examen, eine intensive Zeit, in der sie hochkonzentriert gelernt hatte. Mit diesem Trip nach Mexiko wollte sie ausgelassen feiern, dass sie endlich berechtigt war, sich Examinierte Krankenschwester zu nennen.

Sie hatte hart dafür gearbeitet. Sicher verdiente sie es, mal einen Abend über die Stränge zu schlagen?

Oder wäre es besser gewesen, in San Diego zu bleiben und mit ihrem sexy Mitbewohner, der die Prüfung ebenfalls bestanden hatte, essen zu gehen? Dann könnte sie wenigstens so tun, als gebe es einen besonderen Mann in ihrem Leben, auch wenn Avery und sie lediglich gute Freunde waren.

Ach, zum Teufel damit! Sie konnte allein genauso gut feiern wie mit Ami oder Avery oder sonst jemand. Serena trank den letzten Schluck ihrer eisgekühlten Margarita und stellte das Glas auf den Tresen. Sie war hier, um zu tanzen. Und ja, sie würde tanzen. Ob mit oder ohne Partner!

Der erste Schritt geriet etwas wackelig, aber nur, weil Ami sie dazu überredet hatte, ihre himmelhohen Pumps zu tragen statt der vernünftigen Slingbacks, die Serena angezogen hätte. Beim zweiten allerdings beschloss sie, die High Heels in Besitz zu nehmen und alles, wofür sie standen.

Bevor sie dazu kam, ging ein Mann an ihr vorbei, blieb wie angewurzelt stehen, musterte sie von oben bis unten und lächelte auf eine Art, dass sie genau wusste, woran er dachte. Serena erwiderte das gierige Lächeln mit einem Blick von oben herab, schüttelte den Kopf und wollte an ihm vorbeigehen. Leider suchte sich ihr Absatz genau diesen Moment aus, um schief am Boden aufzukommen. Ihr Fuß rutschte weg, verlor den Halt.

Oh nein! Gleich würde sie fallen …

Da packte sie jemand von hinten. Nicht der lüsterne Fremde, der sich nicht gerührt hatte.

Ein sehr starker, sehr kraftvoller Jemand. Seine Arme schlossen sich um ihre Taille, ihr Rücken wurde gegen ihn gepresst.

Oh. Wow.

Serena schloss flüchtig die Augen, mochte sich nicht umdrehen und enttäuscht feststellen, dass der nächste geile Kerl seine Gelegenheit nutzte. Andererseits musste sie sich wenigstens bedanken, dass er sie vor einem peinlichen Sturz bewahrt hatte.

Irgendwie schaffte sie es, ihre Stilettos standsicher auszurichten, wandte sich um, blinzelte, als ein weißes Button-down-Hemd in ihr Sichtfeld kam. Sie folgte den Knöpfen mit ihrem Blick, sah einen sonnengebräunten Hals, ein kantiges Kinn und dann in erstaunlich blaue Augen.

Ihr Mund wurde trocken, und sie konnte nicht mehr denken.

„Ich … Ich … Oh …“ Endlich erinnerte sie sich, in welchem Land sie sich aufhielt. „Muchas gracias.“

Er sagte etwas, das sie akustisch nicht verstand.

Sorry?“

Verflixt. Sie hatte es wieder getan. Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie in den USA verbracht, sodass sie sofort ins Englische verfiel, obwohl Spanisch ihre Muttersprache war.

„Ich sagte ‚Gern geschehen‘.“ Vielsagend blickte er ihr über die Schulter, bevor er sich zu ihr herabbeugte. „Möchten Sie ein paar Minuten tanzen?“

Er musste die Lippen dicht an ihr Ohr halten, damit sie ihn bei der dröhnenden Musik verstand. Seine tiefe raue Stimme sandte ihr einen Schauer über den Körper.

Serena begriff, dass er ihr helfen wollte, einer unangenehmen Situation mit dem Typen, der sie angegafft hatte, aus dem Weg zu gehen. Im blitzenden Licht des Stroboskops betrachtete sie ihn prüfend und fand in seinem Gesicht etwas Vertrauenerweckendes. Er wollte wirklich helfen.

Sie nickte und ließ sich von ihm in die wogende Masse führen, während der andere Kerl zurückblieb.

Zum Glück.

Als sie ihm jedoch die Hände auf die Schultern legte, passierte es wie von selbst, dass sie zu seinem Nacken glitten und sich ineinander verschränkten. Falls es ihn überraschte, so ließ er sich nichts anmerken. Aber seine wundervollen Augen suchten ihren Blick, bevor er fragte: „Wie sicher sind Sie auf den Beinen?“

Wollte er wissen, ob sie betrunken war? Ha! Wohl kaum.

Serena zog die Brauen hoch. „Sicher genug.“ Um es ihm zu demonstrieren, trat sie einen Schritt zurück, ließ die rechte Hand seinen Arm hinuntergleiten, bis sie seine Finger fand. Eine stumme Aufforderung, sie herumzuwirbeln. Was er sofort tat. Froh, dass ihr die Füße gehorcht hatten, lehnte sie sich nach vollendeter Drehung wieder an seine Brust, blickte triumphierend zu ihm auf und schrie fast, um die Musik zu übertönen. „Sehen Sie? Sehr sicher.“

So sicher und fest wie die Hände des Mannes, sein Blick … sein Körper.

„Stimmt.“ Das angedeutete, leicht amüsierte Lächeln machte etwas mit ihr. Ein Flattern tief in ihrem Bauch, sinnlich, köstlich.

Einen Moment lang standen sie da, ohne sich zu rühren, während zuckende Lichter, rhythmische Bassklänge und ausgelassen Tanzende um sie herumwirbelten, ohne sie wahrzunehmen.

Aber Serena nahm sich und ihn wahr. Nur sich und ihn.

Auf einmal wusste sie genau, wie sie feiern wollte. Was sie brauchte … Sie biss sich auf die Unterlippe. Wäre er sehr schockiert, wenn sie ihn jetzt küsste?

Nicht sehr, dachte sie. Er war heiß. Sichtlich ungebunden … und hier bei ihr.

Sie versuchte, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, aber die Schuhe hoben ihre Fersen schon maximal an.

Irgendwie schien er zu ahnen, was sie wollte. Im blitzenden Licht sah sie, wie er die Hand hob, spürte sie gleich darauf an ihrem Kinn. In seinen Augen las sie eine Frage, auf die sie sofort antwortete.

„Ja …“

Und dann war sein Mund auf ihrem, ein Arm auf ihrem Rücken, sodass sie an seine Hüften gepresst wurde. Das genügte, um ihre Entscheidung zu besiegeln.

Für diesen Mann.

Für diese Nacht.

1. KAPITEL

Tobias Renfro hatte die richtige Entscheidung getroffen. Für sich selbst. Für alle.

Vier Wochen nach seinen selbst auferlegten Flitterwochen war er in die USA zurückgekehrt, fest entschlossen, nur mit einer Sache verheiratet zu sein – seinem Beruf. Zumindest in nächster Zukunft. Vielleicht sogar für immer.

Außerdem sollte er mehr auf seinen Instinkt hören. Nachdem ihn in den letzten sechs Monaten ein ungutes Gefühl nicht losgelassen hatte, fand er schließlich heraus, dass seine Verlobte Tanya ihn mit seinem Trauzeugen betrog.

Im Moment sagte ihm sein Instinkt, dass er um Frauen einen Bogen machen sollte. Vor allem um Kolleginnen wie Tanya. Eine schlechte Erfahrung dürfte für den Rest seines Lebens reichen!

Gut, dass Tanya und Cliff beschlossen hatten, nach San Francisco zu ziehen. So musste er ihnen nicht tagtäglich bei der Arbeit begegnen.

Alles in allem war heute ein guter Tag. Während er sich in Mexiko aufhielt, hatte er sich auf bestmögliche Art von vergangenen Fehlern verabschiedet. Und sich geschworen, sie nie wieder zu machen. Niemals.

Tobias betrat die Station, um mit der Visite zu beginnen. Bei einem Blick auf die Stationszentrale nahm er eine dunkle Lockenmähne wahr. Die Krankenschwester wandte sich ab und eilte den Flur hinunter wie jemand, der zu einem Code Blue gerufen wurde. Jedoch hatte er nichts dergleichen gehört. Wie sich die Krankenschwester bewegte, löste in ihm einen ganz anderen Alarm aus. Er blieb stehen und blickte zu Jacelyn Webber hinüber, die gerade etwas in ihren Computer eingab. Mit zwei Schritten war er am Stützpunkt.

„Haben wir eine neue Krankenschwester?“

„Ja. Hatte ich Ihnen auch erzählt, erinnern Sie sich?“ Sie sah auf und hinter sich. „Nun … wir hatten sie. Anscheinend haben Sie sie in die Flucht getrieben.“ Die Stationsschwester lächelte, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. „Sie können ziemlich einschüchternd wirken, wenn Sie wollen.“

Konnte er? Tobias stutzte, schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich jemals jemanden vertrieben habe.“

Außer Tanya, vielleicht. Er biss die Zähne zusammen. Nein, hatte er nicht. Sie war gegangen. Mit Cliff.

Jacelyn lächelte, und Toby verstand, warum ihre Enkelkinder sie abgöttisch liebten. Sie war warmherzig und mitfühlend, ihr Lächeln ansteckend, und auch die Patienten fühlten sich wohl mit ihr. „War nur ein Scherz“, sagte sie und schaute den Flur hinunter. „Wahrscheinlich hat sie eine Pager-Nachricht bekommen. Wie auch immer, sie heißt Serena Dias, und ich denke, für unsere Station wird sie eine Bereicherung sein. Sie kommt frisch von der Krankenpflegeschule und hat mit großem Enthusiasmus angefangen.“

Serena? Bei dem Namen klingelte etwas in ihm, und er musste sich zwingen, Jacelyn zuzuhören, die von der neuen Krankenschwester schwärmte, die offensichtlich voller neuer Ideen steckte.

Jacelyn war in dieser Abteilung für Personalanwerbungen zuständig und hatte bisher nie falsch entschieden. Aber wenn sie nun, ohne es zu ahnen, eine Erinnerung an Cozumel herangezogen hatte? Eine sehr heiße Erinnerung?

Wie standen die Chancen, dass …?

Astronomisch schlecht. Wahrscheinlicher war, dass ein Name und dunkle Locken sein Gedächtnis getriggert hatten und er flüchtig in Panik geraten war.

Nein, seine geheimnisvolle Fremde konnte sie nicht sein. Sie lebte weit weg. In Mexiko.

Er entspannte sich. „Gut zu hören.“

„Ja. Sie ist gerade erst von einem Besuch bei ihrer Familie in Cozumel zurückgekommen. Der Ort steht auf meiner Bucketlist, da muss ich unbedingt einmal hin. Serena wurde dort geboren, die Glückliche.“

Die Muskeln, die sich gerade gelockert hatten, spannten sich augenblicklich wieder an. „Cozumel? Sind Sie sicher?“

„Jepp. Cozumel in Mexiko.“

Angestrengt brachte er ein Lächeln zustande. „Ich weiß, wo Cozumel liegt.“ Er hatte niemandem erzählt, wohin er vor einem Monat gereist war. Es war schon schwer genug, die Mitleidsbekundungen zu ertragen, nachdem er seine Hochzeit so kurzfristig hatte absagen müssen. Wäre bekannt, dass er allein zu dem Ort gefahren war, wo er mit Tanya seine Flitterwochen geplant hatte, hätte es noch mehr Mitleid geregnet. Was er nicht wollte. Verflucht, er hätte sich selbst leidgetan. Hatte er auch tatsächlich, bis … sie kam.

Im Augenwinkel registrierte er eine Bewegung und sah die Frau – in Schwesternkleidung – den Flur entlangkommen. Ihr war anzusehen, dass sie überall lieber wäre als hier. Ihm zog sich der Magen zusammen. Doch was nützte es, dass er sich dafür verfluchen könnte, sie in sein Hotelbett geholt zu haben? Gegen alle Wahrscheinlichkeit, sie jemals wiederzusehen, passierte gerade genau das … Denn er erinnerte sich an diese Frau.

In allen herrlichen Einzelheiten.

Von dem winzigen Schmetterlingstattoo an ihrer linken Brust bis hin zu der Art, wie sie hastig ihre Sachen zusammengesammelt hatte und sagte, sie müsse gehen, weil ihre Familie sich Sorgen machen würde, wenn sie heute Nacht nicht nach Haus käme.

Er war fest davon ausgegangen, dass sie in Cozumel lebte, obwohl sie fließend Englisch sprach wie jemand, der sich in der Sprache zu Hause fühlte.

Jetzt zögerte sie einen Moment, bevor sie die Schultern straffte und an den Stützpunkt trat und sich neben Jacelyn stellte.

„Oh, gut“, sagte diese lächelnd. „Ich habe mich schon gewundert, wohin du verschwunden warst. Serena, ich möchte dir einen unserer Unfallchirurgen vorstellen. Du wirst eng mit ihm zusammenarbeiten, da du während deiner Ausbildung viel Erfahrung in der Chirurgie gesammelt hast. Also, dies ist Dr. Renfro. Einer unserer Besten.“

Unwillkürlich musste er lächeln. Ihr Gesicht verriet deutlich, dass sie sich sonst wohin wünschte. „Serena und ich sind uns schon einmal begegnet.“

Ihre Augen weiteten sich, und sie schüttelte kaum merklich den Kopf.

Was Jacelyn anscheinend entging. „Tatsächlich?“ Sie sah von einem zum anderen.

Wieder ein leichtes Zögern, bevor sie die Hand ausstreckte. „Ja. Das … war während meiner Prüfungszeit. Ich wusste nur nicht, dass er hier arbeitet. Freut mich, Sie wiederzusehen, Dr. Renfro.“

Zweifellos hatte sie vorhin die Flucht angetreten, weil sie ihn erkannt hatte. Falls sie sich Sorgen machte, dass er hinausposaunen würde, wie sie sich kennengelernt hatten, brauchte sie nichts zu befürchten. Je weniger Menschen von seiner Reise nach Mexiko wussten, umso besser. Aber so zu tun, als hätten sie einander noch nie gesehen? Es war einfacher, es zuzugeben und zur Tagesordnung überzugehen. „Freut mich ebenfalls. Ist heute Ihr erster Tag am Paz Memorial?“

Er drückte ihr die Hand, und sofort kam die Erinnerung daran, wie er Serena zur Tanzfläche geführt hatte. Verflucht. Warum musste sie ausgerechnet hier arbeiten?

Das Leonora Paz Memorial Hospital war vor über dreißig Jahren im Gedenken an die verstorbene Frau eines vermögenden Geschäftsmanns erbaut worden. Der Mann gab mehr als eine Milliarde Dollar für den Bau aus. Das Krankenhaus befand sich bis heute im Besitz der Familie Paz und wurde von einem der Söhne des Gründers geleitet.

„Ja, es ist mein erster Tag.“

Toby ließ ihre Hand los und lächelte unbefangen, als hätte die Berührung nicht gerade unwillkommene Gefühle ausgelöst, die er sofort unterdrückte.

Er war froh darüber, dass sie ihm keine bedeutungsvollen Blicke zuwarf oder auf andere Weise signalisierte, dass sie weitermachen wollte, wo sie aufgehört hatten. Er hatte sich einmal auf eine Romanze im Krankenhaus eingelassen und seine Lektion für alle Zeiten gelernt. Von ihrem One-Night-Stand brauchte niemand zu wissen. Und so, wie sie das Weite gesucht hatte, als sie ihn kommen sah, bestand sicher keine Gefahr, dass sie irgendwelche Gerüchte in die Welt setzte.

Nicht, dass sie etwas Verbotenes getan hätten. Aber, verdammt, hätte er damals in der Bar gewusst, wer sie war, wäre der Abend anders verlaufen.

Natürlich hätte er sich trotzdem eingemischt, als der Typ sich an sie ranmachen wollte. Doch er hätte nie die Nacht mit ihr verbracht. Ganz gleich, wie schön sie war. Ganz gleich, wie perfekt ihre Körper zueinanderpassten, erst auf der Tanzfläche, dann in seinem Bett. Noch heute hatte der Abend etwas Surreales, als hätte er ihn nur geträumt.

Doch sie stand vor ihm, der lebende Beweis, dass alles real war.

Er zwang sich, etwas zu sagen, um die Begegnung auf professionelle Art zu beenden und den Ton für weitere Begegnungen zu setzen. „Nun, ich hoffe, dass mit Ihrer Zeit am Paz Memorial eine lange, erfolgreiche Karriere beginnt. Wenn Sie Fragen haben, werden Jacelyn oder andere Kolleginnen und Kollegen sie sicher gern beantworten.“ Absichtlich schloss er sich nicht mit ein.

Jacelyn lächelte sie beide an. „Möchten Sie Serena den OP-Trakt zeigen, Toby? So weit sind wir heute Morgen noch nicht gekommen. Es sei denn, Sie haben gerade zu tun …“ Sie musterte ihn, als hätte sie etwas in seinem Gesicht gesehen.

So viel dazu, sich nichts anmerken zu lassen. Natürlich könnte er sagen, dass er mit der Visite anfangen müsse, was auch stimmte. Doch wenn er signalisierte, dass er es eilig hatte, von Serena wegzukommen, würde Jacelyn sich vielleicht fragen, ob sie sich näher kannten, als sie zugeben wollten.

Wenn sie wüsste …

„Sehr gern“, log er, schenkte Serena ein höfliches Lächeln und deutete nach links. „Hier entlang, bitte.“

Kaum waren sie um die nächste Ecke gebogen, flüsterte sie: „Warum hast du ihr gesagt, dass wir uns kennen?“

„Weil es so ist. Das Gegenteil vorzutäuschen, hätte unter Umständen alles schwieriger gemacht.“ Leider beschlichen ihn inzwischen Zweifel. Hätte er nicht so tun können, als wäre er zu betrunken gewesen, um sich an jene Nacht zu erinnern? Andererseits könnte einem von ihnen irgendwann, irgendwo etwas herausrutschen. Und wenn er sich jetzt schon Sorgen wegen der Gerüchteküche machte, würde sie nur so dampfen und zischen, sollte jemand etwas aufschnappen.

„Schwieriger für wen?“

„Für uns beide.“ Er blieb stehen, blickte sie an. „Hör zu, es tut mir leid, wenn ich dich damit in Verlegenheit gebracht habe.“

Sie lehnte sich gegen die Wand hinter ihr und den Hinterkopf dagegen. Die Bewegung lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihren schlanken Hals, und er konnte nicht widerstehen, ließ den Blick darüber gleiten, erinnerte sich daran, wie er die weiche Haut mit Küssen bedeckt hatte.

„Es ist mehr als das. Ich … Solange ich denken kann, wollte ich Krankenschwester werden. Das will ich nicht aufs Spiel setzen.“

Ihre Worte brachten ihn unsanft in die Gegenwart zurück. „Denkst du, dass ich so etwas tun würde?“

„Nicht mit Absicht.“ Sie stieß sich von der Wand ab und blickte ihm in die Augen. „Mir wäre es lieber, wenn niemand erfährt, was in Cozumel passiert ist.“

„Eins kannst du mir glauben“, erwiderte er nachdrücklich. „Mir wäre es lieb, wenn niemand erfährt, dass ich überhaupt in Mexiko war.“

„Warum nicht?“

Auf keinen Fall würde er ihr den Anlass seines Aufenthalts verraten. Aber er wollte auch nicht, dass sie auf falsche Gedanken kam. Und ihre Miene verriet ihm, dass sie nicht das Beste vermutete.

Toby berührte ihre Hand. „Ich habe meine Gründe. Sie haben jedoch weder etwas mit dem Land noch mit dir zu tun, das kannst du mir glauben.“

Sie betrachtete ihn prüfend, nickte schließlich. „Okay. Also erzählen wir den Leuten, dass wir uns einmal begegnet sind, und belassen es dabei.“

„Genau.“

Serena drückte seine Hand und ließ los. „Dann sollten wir zum OP-Trakt gehen, bevor uns jemand sieht und sich fragt, warum wir hier herumstehen.“

Sie hatte recht.

„Gut, dann wollen wir mal.“

Schweigend gingen sie nebeneinanderher. Toby seufzte stumm. Ja, mit ihr zu arbeiten, würde nicht leicht werden. Zumindest so lange, bis sie einen Weg gefunden hatten, miteinander umzugehen.

Rein professionell, natürlich. Zumindest von seiner Seite. Und ihrer steifen Haltung nach zu urteilen, war auch Serena nur froh, es dabei zu belassen.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, dachte er. Vorhin war dieser Tag noch in allerschönster Ordnung gewesen. Und jetzt hatte er ihm wieder einmal unter die Nase gerieben, dass er mit Frauen einfach kein Glück hatte.

Genau deshalb würde er Serena nicht den geringsten Anlass bieten, zu denken, dass er weitermachen wollte, wo sie in Mexiko aufgehört hatten. Für ihn war es nicht der Beginn von etwas gewesen, sondern ein Abschiedskuss an die Vergangenheit. Der Neustart in ein Leben, das er einzig und allein seiner Arbeit widmete.

Zumindest vorerst. Vielleicht änderte sich das eines Tages, obwohl Toby in nächster Zeit nicht damit rechnete. Und definitiv nicht mit Serena oder einer anderen Kollegin.

Diesen Schwur würde er nicht brechen. Jetzt nicht und in Zukunft nicht. Niemals.

Seit dem unerwarteten Wiedersehen letzte Woche an der Stationszentrale hatte sich Toby ausgesprochen distanziert verhalten. Ganz anders als der Mann, den sie in der Bar in Cozumel kennengelernt hatte. Aber das war gut. Sehr gut.

Besser, als wenn er ihr eine heimliche Affäre angeboten hätte!

Nichts dergleichen war passiert. Aber seine Berührung damals im Flur hatte ihren Puls hochgejagt – genau wie die vertrauliche Unterhaltung. Obwohl er nicht im Geringsten angedeutet hatte, dass er mehr als eine professionelle Beziehung von ihr wollte.

Doch in dem Moment, wenn er sich nur ein bisschen weiter vorgebeugt hätte …

Serena schüttelte den Gedanken ab. Das passte nicht zu ihm. Er war nicht der Typ für One-Night-Stands. Und genau wie sie wollte er jenen Abend hinter sich lassen. Glücklicherweise war in der Chirurgie genug zu tun, dass sie nicht dazu kam, Erinnerungen nachzuhängen. Jedenfalls nicht oft.

Damals hatte er sie gefragt, wie sicher sie auf den Beinen sei. Seltsam, dass der Boden unter ihr zu schwanken schien, wann immer Toby in ihrer Nähe war. Sie sollte schnellstens einen Weg finden, das abzustellen.

Wenigstens versuchte er nicht, sie auf subtile Weise dazu zu drängen, ihre Kündigung einzureichen.

Warum auch? Sie hatten nichts Falsches getan. Obwohl es untypisch war, zumindest für sie. Aber er hatte ihr gleich gesagt, dass er nicht verheiratet und auch nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung war.

Perfekt, sie auch nicht.

Die Ausbildung hatte sie viel Zeit und Energie gekostet. Ihre letzte semi-ernsthafte Beziehung war während ihres ersten Collegejahrs gewesen. Parkers Andeutungen, dass sie nur an ihre Karriere denken würde, hatten ihre Gefühle für ihn schnell erkalten lassen. Ihr Vater hatte ihre Mom immer davon abgehalten, das zu tun, was sie sich im Leben wünschte. Ihre Mutter litt sichtlich darunter, weshalb Serena nie verstanden hatte, warum sie sich nicht dagegen auflehnte.

Als ihr Dad vor fünf Jahren unerwartet starb, bekam ihre Mutter endlich die Chance, ihren Kokon zu verlassen und in die Welt hinauszufliegen. Und wie sie flog! Sie fing an zu schreiben, veröffentlichte erfolgreich humorvolle, rührende Romane. Die Charaktere ihrer spanischen Geschichten waren allesamt erfunden, doch Serena erkannte sofort die Stellen, in denen sich reale Erfahrungen ihrer Mutter widerspiegelten. Und obwohl sie sich sehr für sie freute, wünschte Serena, dass ihr Vater ihr Talent unterstützt hätte, als er noch lebte.

An einer verdeckten Stelle hatte sie sich einen winzigen Schmetterling tätowieren lassen, um sich immer an ihre Mom und daran zu erinnern, ihre Träume zu verwirklichen. Und nun lebte sie ihren ersten großen Traum.

Deshalb hatte sie es nicht eilig, sich mit einem Mann einzulassen. Sie wollte noch viel erreichen und ihren Verstand nicht von Gefühlen regieren lassen. Nein. Wenn überhaupt, würde sie alles genauestens analysieren.

Vor allem würde sie nicht kampflos aufgeben, falls er versuchte, ihr das Leben am Arbeitsplatz schwerzumachen. Eine impulsive Nacht sollte sie nicht die Karriere kosten. Bisher sah es allerdings nicht danach aus, dass er so etwas vorhatte. Sehr zu ihrer Erleichterung!

Als sie um die Ecke bog, kam ihr besagter Mann entgegen. Toby trug ein malvenfarbenes Hemd zur schwarzen Hose, und der Anblick ließ Schmetterlinge in ihrem Bauch flattern. Damals in der Bar in Cozumel hatte er dunkle Jeans und ein Button-down-Hemd getragen. Seltsam, dass er jetzt im Business-Outfit weniger formell wirkte als an jenem Abend. Vielleicht lag es daran, wie er den lüsternen Kerl mit einem Blick in die Schranken gewiesen hatte.

„Hi.“ Sie klang leicht atemlos und ärgerte sich darüber. Er sollte bloß nicht denken, dass sie in ihn verknallt war. War sie nicht. Obwohl die Zeit mit ihm unvergesslich zu werden drohte.

„Hallo. Wie geht’s dir?“

„Gut, danke. Und selbst?“

So weit, so gut. Unpersönlicher konnte man sich kaum begrüßen.

„Gut.“ Er runzelte die Stirn. „Bist du zufällig auf dem Weg zu Mabel Tucker?“

„Ja. Ich muss ihre Vitalwerte checken und will sehen, wie es ihr nach dem Eingriff geht.“ Bisher war sie bei seinen Operationen noch nicht dabei gewesen, hatte aber anderen Chirurgen assistiert und fand die Atmosphäre im OP-Saal spannend. Serena nahm an, dass Toby ein bevorzugtes Team hatte.

Oder sie nach ihrer letzten Unterhaltung nicht dabeihaben wollte.

Ist mir nur recht. Allerdings war es unausweichlich, dass sie gelegentlich zusammenarbeiteten. Was sie aber unbedingt abstellen musste, war, dass ihr jede Kleinigkeit an diesem Mann auffiel. Wie die gletscherblauen Augen. Oder das kurze Haar, das sich in jener Nacht so warm und wundervoll angefühlt hatte … wie Seide zwischen ihren Fingern.

Oh nein.

War das ihrer Mom passiert? Hatte sie sich verliebt und geheiratet, ohne den Mann erst besser kennenzulernen? Serena räusperte sich.

Toby sah sie an. „Was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?“

Sie erstarrte. „Wie bitte?“

„Bei Mrs. Tucker?“

Natürlich! Was sollte er sonst gemeint haben? Sie musste wirklich aufpassen, wie sie reagierte.

Mrs. Tucker war von einem Betrunkenen angefahren worden, hatte einen Milzriss erlitten und musste spätnachts notoperiert werden.

„Klar. Hast du sie operiert? Es wundert mich, dass du hier bist.“

Das angedeutete Schulterzucken weckte Erinnerungen. Die gleiche Geste hatte sie an ihm gesehen, als sie ihm sagte, dass sie gehen müsse, weil ihre Familie sich sonst Sorgen machen würde. Er hatte nicht versucht, sie dazu zu überreden, länger in seinem Hotelzimmer zu bleiben oder die ganze Nacht mit ihm zu verbringen. Es ist, wie es ist, schien er damit sagen zu wollen. So oder so spielte es für ihn keine Rolle.

Wie konnte es sein, dass ein leichtes Achselzucken sie erleichtert und gleichzeitig verstimmt zurückließ?

Vielleicht triggerte es eine Erinnerung an die Reaktion ihrer Mom, als Serena, noch ein Teenager, ein Notizheft fand, in dem Träume aufgeschrieben waren. Ihre Mutter hatte an die zwanzig aufgelistet. Krankenschwester sein stand ganz oben. Für Serena war es ein Schock gewesen, hatte sie doch immer gedacht, dass ihre Mom selbst entschieden hatte, nur Hausfrau und Mutter zu sein. Zum ersten Mal wurde ihr klar, dass die Kontrollsucht ihres Vaters sich nicht nur auf sie und ihren Bruder Sergio erstreckte.

Als sie mit dem Heft zu ihrer Mutter ging und sie fragte, ob sie sich die Dinge auf der Liste immer noch wünschte, zuckte sie nur mit der Schulter, nahm ihr das Heft ab und brachte es in ihr Schlafzimmer. Serena sah es nie wieder. Aber sie achtete mehr darauf, wie ihr Dad sich verhielt. Was ihr auffiel, manchmal nur Kleinigkeiten, störte sie mehr, als sie je zugegeben hätte.

„Sie hat ziemlich gelitten. Mrs. Tucker, meine ich.“

Toby warf ihr einen Blick zu, und wieder zuckte sie innerlich zusammen. Klar wusste er, von wem sie redete. Sie musste sich wirklich zusammenreißen. Nicht einfach, da sie sich komisch fühlte, schon seit sie heute Morgen aufgewacht war. Warum, konnte sie sich nicht erklären.

Zusammen gingen sie zu ihrer Patientin. Überdeutlich nahm Serena den Mann neben ihr wahr. Von seinem Duft bis zu seiner geschmeidigen Art, sich zu bewegen. Tatsächlich ärgerte sie sich, dass er ausgeruht und frisch wirkte, obwohl er nachts Dienst gehabt hatte. Wenn sie lange arbeitete, sah man es ihr schon auf zehn Meter Entfernung an. Unter ihren Augen lagen tiefe Schatten, und sie musste ständig gähnen.

Dieser Mann nicht. Er schien die Perfektion selbst zu sein. Aber das war er nicht. Bestimmt hatte er seine Schwachstellen. Eigenarten wie dieses gleichgültige Schulterzucken. Daran sollte sie denken.

Kurz darauf erreichten sie Mrs. Tuckers Zimmer. Toby ließ ihr den Vortritt.

Am Bett stand ein Mann auf. „Hi, ich bin Tom, Mabels Mann.“

„Schön, Sie zu sehen“, sagte Serena. „Mabel, wie geht es Ihnen heute Morgen?“

Vor einer Stunde hatte sie eine zusätzliche Schmerzmitteldosis bekommen, und Serena überwachte regelmäßig ihren Herzschlag. Auf der Station war viel los. Vom selben Autounfall waren zwei weitere Patienten eingeliefert worden. Die anderen fünf hatte man in andere Krankenhäuser gebracht.

Tom setzte sich wieder ans Bett und hielt seiner Frau die Hand.

„Ich habe immer noch starke Bauch- und Kopfschmerzen“, antwortete Mabel mit schwacher Stimme. Anders als bei Serena, deren dunkle Ringe um die Augen vom Schlafmangel herrührten, waren die Schatten um Mabels Augen Folge des traumatischen Unfalls. Sie hatte Serena erzählt, dass sie im Augenwinkel eine Bewegung wahrgenommen und im nächsten Moment ein fremder Wagen sie gerammt hatte. Durch die Wucht des Aufpralls war sie mit dem Kopf gegen das Seitenfenster geknallt, hatte sich die Nase gebrochen und eine Gehirnerschütterung zugezogen. Hinzu kamen innere Verletzungen, von denen der Milzriss die schwerwiegendste war.

„Dr. Renfro wird Sie untersuchen, sobald ich Ihre Vitalwerte notiert habe.“

Serena war sich bewusst, dass er sie beobachtete, und froh, dass ihre Hände ruhiger waren als ihre Nerven. Warum war sie so aufgeregt? Selbst während der Ausbildung war sie ruhig und gelassen gewesen, wenn eine Ärztin oder ein Arzt ihr über die Schulter sahen.

Mabels Blutdruckwert war etwas niedrig und die Herzfrequenz erhöht, was zu erwarten war, da sie durch innere Blutungen viel Blut verloren hatte.

Zu Tobys Information sagte sie jeden Wert an, während sie alles ins Tablet eintrug, das mit dem Großrechner des Krankenhauses verbunden war.

Schließlich trat sie vom Bett zurück, damit Toby seine Arbeit machen konnte. Normalerweise prüfte sie OP-Wunden und Verbände, aber da er sie sich sowieso ansehen würde, sah sie einfach nur zu.

Sorgfältig checkte er Mabels Pupillenreaktion und untersuchte die Schwellung an der Stirn, wo sie gegen die Scheibe geprallt war. Dann tastete er den Bauch ab. Als sie eingeliefert wurde, war sie in einem höchst kritischen Zustand gewesen. Um einen laparoskopischen Eingriff vorzunehmen, fehlte die Zeit. Sie mussten die Milz so schnell wie möglich entfernen, damit sich nicht noch mehr Blut in der Bauchhöhle sammelte.

„Wo genau tut es weh? Dort, wo der Einschnitt gemacht wurde?“

„Ja. Und im Bauch.“ Sie zuckte zusammen, wie unter einem stechenden Schmerz. „Ist das normal?“

Er nickte. „Möglicherweise. Lassen Sie mich mal nachsehen. Es wird etwas unangenehm sein, aber nicht lange.“

Ihr Mann beugte sich vor. „Drück meine Hand, Sweetheart.“ Er küsste ihre Finger und hielt ihre Hand fest.

„Bereit?“

Mrs. Tucker nickte. Ihre Handknöchel schimmerten weiß durch die Haut, als sie sich an die Hand ihres Mannes klammerte.

Behutsam schob er ihr das Nachthemd hoch und löste den Verband. Der Wundbereich war leicht gerötet und geschwollen, nässte nicht. Und die Naht … Einfach perfekt. Sauber gesetzte Stiche, die Nahtlinie vollkommen ebenmäßig. Diese Narbe würde später – vorausgesetzt, es gab keine Komplikationen – nur noch eine feine, kaum sichtbare Linie sein.

„Jetzt kommt der schwierige Teil. Versuchen Sie, die Muskeln zu entspannen.“

Serena ertappte sich dabei, dass sie aus Mitgefühl seine Anweisung ebenfalls befolgte, und musste lächeln.

Toby bemerkte es und warf ihr einen fragenden Blick zu. Rasch schüttelte sie den Kopf.

Er wandte sich wieder seiner Patientin zu und drückte in das weiche Bauchgewebe. Mabel stöhnte auf, kniff dabei fest die Augen zusammen.

„Der Bauch ist weich. Keine Anzeichen für eine Blutung.“

Bei Bauchtraumata bestand immer die Sorge, dass ein verletztes Gefäß übersehen wurde oder dass durch einen Dominoeffekt ein anderes Organ zu versagen begann.

Er richtete sich auf. „Sie haben es überstanden, Mabel.“

Sie schlug die Augen auf und atmete zitternd aus. „Ist alles in Ordnung? Ich habe geträumt, dass mein Bauch sich mit Blut füllt, und als ich aufwachte, hatte ich solche Schmerzen, dass ich schon dachte …“

Als sie ins Krankenhaus kam, war es tatsächlich so gewesen. Sie war psychisch genauso traumatisiert wie ihr Körper.

Toby zog sich einen Rollhocker heran und setzte sich zu seiner Patientin ans Bett. Eine Geste, die Serena anrührte. Nicht alle Ärzte achteten darauf, ihren Patienten auf Augenhöhe zu begegnen.

„Für mich ergeben sich darauf keine Hinweise. Sonst würde ich Sie zum CT schicken. Aber ich möchte Ihr Schmerzlevel im Blick behalten und werde Ihren Krankenschwestern sagen, dass sie mich jederzeit anrufen können. Bei Tag und bei Nacht.“

Mabel stiegen Tränen in die Augen, und sie lockerte den Griff um die Hand ihres Mannes. „Vielen Dank.“

„Keine Ursache. Bevor mein Dienst endet, sehe ich noch einmal nach Ihnen, okay?“

„Okay.“ Sie schien tiefer in die Matratze zu sinken, als sie sich entspannte.

„Kann ich bei ihr bleiben?“, fragte Tom.

„Selbstverständlich. Der Sessel am Fenster lässt sich zu einer Liege ausziehen.“ Toby lächelte. „Er ist recht bequem. Fragen Sie mich nicht, woher ich das weiß.“

„Wenn Sie möchten, bringe ich Ihnen eine Decke“, bot Serena an.

„Gern, herzlichen Dank. Mabel war auf dem Weg zum Flughafen, um mich abzuholen, als der Unfall passierte. Ich bin so froh, dass sie wieder gesund wird.“

Serena lächelte. „Das sind wir alle. Haben Sie noch Fragen?“

Beide schüttelten den Kopf.

„Versuchen Sie, sich auszuruhen“, sagte Toby. „Bald wird jemand kommen und Ihnen helfen, aufzustehen und sich ein bisschen zu bewegen. Also schlafen Sie, wann immer Sie können.“

Serena und er verabschiedeten sich, und er hielt ihr die Tür auf.

„Danke, Toby.“ Im nächsten Moment hätte sie sich die Zunge abbeißen können. Natürlich nannte sie ihn in Gedanken immer beim Vornamen. Es wäre ja auch albern gewesen, an ihn als Dr. Renfro zu denken, nach dem, was in Cozumel geschehen war.

Obwohl die meisten Kolleginnen und Kollegen sich duzten, hatte sie bisher versucht, ihn formell anzusprechen. Bis jetzt. Der Schaden war angerichtet. Sie konnte es nicht mehr zurücknehmen.

Sie musste aufpassen, dass sie nicht weitere Regeln brach. Sonst würde sie sich genau dort wiederfinden, wo sie in Cozumel gewesen war: in Tobys Armen. Nein, das durfte nicht sein. In Mexiko hatte sie nicht gewusst, wer er war.

Jetzt lagen die Dinge anders.

Serena war fest entschlossen, der Anziehungskraft dieses Mannes zu widerstehen. Ganz gleich, wie schwer es werden würde.

2. KAPITEL

Toby kam nach Hause und ließ sich in einen Sessel fallen. Seine Katze rollte sich auf seinem Schoß zusammen, während er tief ein- und wieder ausatmete. Er war erschöpft. Mehr als sonst. In Gedanken versunken, kraulte er das schnurrende Tier.

Was ist los mit dir?

Die OPs konnten nicht der Grund für seine Müdigkeit sein, auch wenn er seit fast vierundzwanzig Stunden auf den Beinen war. Für ihn allerdings nichts Neues.

Warum war er dann so kaputt?

Weil ihn Erinnerungen überfielen, jedes Mal, wenn er Serena begegnet war? Erinnerungen, die besser unter Verschluss blieben. Aber das schien unmöglich. Vor allem, wenn er mit ihr in einem Zimmer war. Verflucht, er hatte Mühe gehabt, sich auf die Patientin zu konzentrieren. Und das sah ihm gar nicht ähnlich. Überhaupt nicht!

Bisher hatte er im Leben immer klar trennen können. Genau wie seine Eltern, die darin Experten waren. Nur dass der Bereich für Zuwendung ihrem Sohn gegenüber so klein geraten war, dass er praktisch nicht existierte. Deshalb überraschte ihn, wie emotional er reagierte, als er erfuhr, dass Serena im Paz Memorial angefangen hatte. Vor allem bekam er seine Gefühle nur schwer in den Griff!

Was würde passieren, wenn sie zum ersten Mal gemeinsam im OP standen?

Nichts. Weil er sich zusammenreißen und einen Weg finden musste, mit ihr zusammenzuarbeiten. Ohne Aufregung. Ohne den drängenden Wunsch, jene Nacht in Cozumel zu wiederholen.

Und das war Teil des Problems. Es war eine Nacht gewesen. Nicht einmal eine ganze Nacht.

Zu Tanyas Zeiten hatte er Beruf und Privatleben trennen können, obwohl sie im selben Krankenhaus arbeiteten. Sie waren drei Jahre zusammen gewesen, bevor sie sich verlobten. Serena kannte er wie lange? Eine Woche?

Nun … eine Woche und eine halbe Nacht. Leidenschaftliche Momente, von denen Männer träumten.

Warum hatte sie sich willig in seine Arme fallen lassen? Tat sie das öfter? Suchte in Bars flüchtige Affären?

Nein. Er hatte die Unsicherheit in ihren Augen gesehen, als der Typ sich an sie heranmachte, offensichtlich nur eins im Sinn.

Warum dann ich? Warum hat sie die Nacht mit mir verbracht? Oder einen Teil zumindest. Sie war aus seinem Hotelzimmer geflüchtet, als wären Höllenhunde hinter ihr her. Nicht wie ein Schmetterling, den sie als winziges Tattoo auf ihrer Brust trug. Den er mit den Lippen berührt hatte.

Geleckt hatte.

Er kniff sich in die Nasenwurzel. Verdammt. Es war nicht das Einzige, was er geschmeckt hatte.

Stürmisch und hastig war es gewesen, getrieben von heftigem Verlangen. Dennoch hatte er bis heute keine Sekunde vergessen.

Ihm war nicht klar, wie er diese Zeit von den Tagen trennen sollte, an denen er mit ihr zusammen Dienst hatte. Viele Tage, die ihm schon jetzt unendlich vorkamen. Und zu wissen, dass er sie nie wieder so berühren durfte wie in jener Nacht …

Verflucht, so schwer konnte das doch nicht sein!

Irgendwie musste er einen Weg finden, und zwar bald. Im Moment war er jedoch zu kaputt, um sich zu rühren. Um zu duschen. Fernzusehen.

Hoffentlich auch zu müde, um sich Szenen vorzustellen, in denen Serena die Hauptrolle spielte.

Stattdessen wollte er tun, was er sich so gut wie nie erlaubte. Es hatte nichts mit Sex zu tun. Auch nicht mit Tattoos. Oder viel Alkohol.

Er würde das Gedankenkarussell stoppen und sich gestatten, im Sessel einzuschlafen. Mit seiner Katze. Und hoffen, dass, wenn er aufwachte, eine brillante Lösung wie von Zauberhand in seinem Kopf auftauchte.

Ernsthaft?

Ziemlich sicher passierte wahrscheinlich nur eins: Er würde wie gerädert aufwachen und sich wünschen, er hätte sich die Zeit genommen, sich in seinem Bett lang auszustrecken.

Es ist, wie es ist. Heute Abend blieb er, wo er war.

Kaum hatte sie sich aus dem Bett geschwungen, und ihre Füße berührten den Fußboden, drehte sich alles. Flüchtig nur, dann war es wieder vorbei. Serena blinzelte, erhob sich und stand mit ausgestrecktem Arm da. Wartete, ob ihr wieder schwindlig wurde.

Bestimmt war der verrückte Traum schuld.

Die bunten Stroboskoplichter jenes Abends in Cozumel hatten sie heimgesucht. Nicht erotisch, nicht sexy. Was wahrscheinlich auch nicht besser gewesen wäre. Sie war um ihr Leben gerannt, vor etwas geflohen, das ihr dicht auf den Fersen war, aber immer unsichtbar blieb. Jedes Mal, wenn sie sich umdrehte, sah sie nur einen Schatten.

Sie atmete tief aus und machte einen zögernden Schritt Richtung Bad.

Kein Schwindel mehr.

Okay, alles gut. Nur Nachwehen eines Albtraums, der glücklicherweise vorbei war. Zeit, sich für die Arbeit fertigzumachen.

Eine Ahnung beschlich sie, die gestern noch nicht da gewesen war. Vielleicht, weil es doch nicht schlimm war, mit Toby zusammenzuarbeiten?

Er war ein ganz normaler Typ, oder? Wahnsinnig sexy zwar, aber ein bisschen ernst, doch das waren die meisten Chirurgen. Und mit chirurgischer Präzision hatte er sie in Cozumel haarscharf an den Höhepunkt gebracht, wieder und wieder, nur um sich im letzten Moment zurückzuziehen. Der Orgasmus war irre intensiv gewesen. Hitzeschauer durchrieselten sie, wenn sie daran dachte.

Oh …!

Serena hörte ihren Mitbewohner in der Küche hantieren. Besteck klapperte, Geschirr klirrte, und die Geräusche gaben ihr das beruhigende Gefühl von Normalität. Während der Ausbildung hatte sie jemanden gebraucht, mit dem sie die Miete teilen konnte, und Avery gefunden. Ihn hatte der Himmel geschickt.

Sie verstanden sich großartig, waren ein Traumpaar, wenn auch rein platonisch. Es half ihr, das hohe Lernpensum zu bewältigen und den Stress zu überleben. Einmal schüttete sie ihm ihr Herz aus, weil sie bei einem ihrer Kurse so frustriert war, dass sie überlegte, alles hinzuwerfen. Avery überzeugte sie, weiterzumachen, und dafür würde sie ihm ewig dankbar sein. Sie war angekommen, wo sie immer sein wollte.

Avery hatte selbst ein Geheimnis, das an der Schule nicht bekannt werden sollte und auch nicht am Paz Memorial, wo er ebenfalls arbeitete. Er wollte keinerlei Sonderbehandlung, was ihr einigen Respekt abnötigte.

Serena duschte schnell, trocknete sich ab und zog sich an. Ein wenig Wimperntusche, etwas Lipgloss, fertig. Sie zog den Clip ab und schüttelte ihr Haar, bis die Locken ihr Gesicht rahmten. Die sommerliche Luftfeuchtigkeit machte es unmöglich, die dichte Mähne zu bändigen. Parker, ihr Ex, hatte oft gesagt, am meisten liebe er an ihr ihr Haar.

Das hatte sie nie verstanden. Überhaupt nicht. Unbewusst versuchte sie jedoch, ihm zu gefallen, bis sie zu ihrem Schrecken feststellte, dass es ihr zur Gewohnheit geworden war. Einer gefährlichen Gewohnheit. Sie stellte sich vor, dass ihre Mom sich ähnlich verhielt, als sie sich mit Serenas Dad traf. Bis sie nach und nach ihre Unabhängigkeit aufgegeben hatte. Deshalb war es für Serena umso wichtiger, ihren eigenen Weg zu gehen.

Als sie merkte, dass sie sich mit Parkers dominanter Persönlichkeit einrichtete, setzte sie alles daran, die Locken zu glätten. Zog sie immer wieder glatt, bis ihr Glätteisen eines Tages den Geist aufgab. Sie wollte Ersatz besorgen, stand lange vor dem Regal, das neue Gerät in der Hand, bis sie es schließlich wieder wegstellte. Das war es nicht wert. Er war es nicht wert.

Bald darauf trennte sie sich von ihm. Sie wollte nicht mit jemandem zusammen sein, der ihr das Gefühl gab, kämpfen zu müssen, um sie selbst zu bleiben. Nicht, dass Parker es bewusst getan hatte. Doch was er manchmal sagte oder wie er sich verhielt, erinnerte sie ein bisschen zu sehr an ihren Dad. War sie überempfindlich? Zugegeben, ja. Und bis sie das für sich verarbeitet hatte, konnte sie keine Beziehung gebrauchen.

Vorerst konzentrierte sie sich auf das, was ihr im Moment am wichtigsten war: ihre Karriere.

Die Zeit mit Toby in Cozumel hatte ihr eine wichtige Erkenntnis beschert. Sie konnte mit jemandem schlafen, ohne sich für immer an ihn gebunden zu fühlen. Nicht, dass sie in naher Zukunft die Klubs unsicher machen würde, aber sie wusste nun, dass sie feiern und Spaß haben konnte und hinterher kein Problem hatte, ihr Leben weiterzuleben. Serena hatte keine Ahnung, warum, doch sie hatte sich sehr erleichtert gefühlt.

Allerdings hätte sie nie erwartet, den Menschen, mit dem sie unverbindlich ins Bett gestiegen war, wiederzusehen. Die Situation war schwieriger als erwartet.

Sie schlüpfte in ihre bequemen Schuhe, verließ ihr Schlafzimmer und ging in die Küche. Avery stand am Herd, und aus der Pfanne, die er jetzt herunternahm, stieg ein köstlicher Duft auf.

„Was ist das?“

„Omelett. Genug für zwei.“

„Sicher?“

„Klar. Außerdem habe ich dich die ganze Woche kaum gesehen. Es tut gut, etwas Normales zu tun, bei dem es nicht um Leben oder Tod geht.“

„Stimmt.“ Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und sah zu, wie er mit dem Pfannenwender das Omelett in zwei Hälften teilte und eine auf ihren Teller gleiten ließ. „Sag mir bitte, dass ich das nicht jeden Tag von dir erwarten soll. Obwohl sie dich bei der Arbeit Mr. Sunshine nennen, wie ich zufällig gehört habe.“

Er verzog das Gesicht. „Keine Ahnung, wieso. Und keine Sorge.“ Avery deutete auf die Pfanne. „Das mache ich nicht einmal für mich jeden Tag.“

„Verstehe. Dann brennt auf der Kardiologie genauso die Hütte wie bei uns in der Chirurgie?“

„Lass hören.“ Avery schluckte den ersten Bissen hinunter. „Setzt du dich in den Pausen zum Essen hin?“

„Welche Pausen …?“ Sie grinste. „Nein, nicht wirklich. Du?“

„Auch nicht.“

Serena atmete pustend aus. Deshalb war das Paz Memorial ein gefragtes Krankenhaus. Die Pflege dort besaß Topqualität. „Abgesehen davon, wie läuft es?“

Er starrte eine Weile auf seinen Teller, sah dann achselzuckend auf. „Ganz okay. Manchmal wird’s holprig, aber damit werde ich fertig. Und bei dir?“

„Auch ab und zu holprig.“ Sie wollte hinzufügen, dass sie ebenfalls damit klarkam, aber in Wahrheit war sie sich nicht sicher. Anfangs hatte sie gehofft, auf die Intensivstation wechseln zu können, sobald sie besser Fuß gefasst hatte. Doch bis jetzt liebte sie ihre Arbeit in der Chirurgie mehr, als sie gedacht hätte. Ob sie praktisch noch in den Flitterwochen ihres Jobs war oder ob es Liebe auf den ersten Blick war, konnte sie nicht sagen. Nur, dass Toby auch dort arbeitete, trübte die rosarote Brille.

Sie hatte ihr Frühstück zur Hälfte genossen, als ihre Kiefermuskeln den Dienst einstellten. Wieder erfasste sie das seltsame Gefühl wie vorhin, diesmal begleitet von einer Empfindung, als würde etwas durch ihren Bauch kriechen.

„Hey, bist du okay?“

Sie kaute weiter, da das Gefühl verschwunden war. „Ja. Nur müde.“

Avery legte seine Gabel auf dem leeren Teller ab. „Hey, du hast doch bald einen Tag frei, oder? Dann kannst du mal ordentlich ausschlafen.“

„Das habe ich auch vor.“

Er trug seinen Teller zum Waschbecken und fing an, ihn abzuspülen. „Lass ruhig, Avery“, sagte Serena. „Du hast gekocht, ich räume die Küche auf. Außerdem fängt mein Dienst erst in einer Stunde an.“

Wenn sie sich beschäftigte, lief sie nicht Gefahr, über dieses oder jenes nachzudenken. Über Toby, zum Beispiel. Avery hatte recht. Es waren nur Holperstrecken, und sobald sie die hinter sich hatte, würde alles glattgehen. Routiniert. Bis dahin musste sie nur aufpassen, dass sie nicht verriet, wie sehr die Nacht in Cozumel sie immer noch beschäftigte.

Vor allem würde sie in Tobys Nähe kein Spanisch sprechen. An jenem Abend schien es ihm gefallen zu haben. Inzwischen verfiel sie selten ins Spanische. Sie brauchte es höchstens, um für eine Patientin oder einen Patienten zu übersetzen. Bisher hatte sie niemand darum gebeten.

„Bist du sicher?“

Averys Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Jepp. Es ist auch mal schön, etwas zu tun, wobei man nicht schnell nachdenken muss.“

„Kann ich verstehen. Okay, ich bin weg. Bis dann.“

„Hab einen guten Tag. Und fahr nicht zu schnell über die Holperstrecken.“

„Habe ich nicht vor.“

Ein leises Klicken ertönte, als er die Tür ins Schloss zog.

Vorsichtig stand sie auf. Hoffentlich hatte sie sich nicht irgendetwas eingefangen. Das fehlte ihr noch. Aber es passierte nichts. Sie fühlte sich gut, und das Omelett war wirklich lecker gewesen. Nachdem sie Geschirr und Pfanne kurz abgespült hatte, belud sie den Geschirrspüler. Sie war gerade damit fertig, als ihr Handy klingelte. Es war ihre Mutter.

„¿Hola, Mamá. Cómo estás?“

Lächelnd lauschte sie, während ihre Mom von ihrer letzten Recherche-Reise nach Griechenland berichtete. Sie plante ein neues Buch, und Serena liebte es, wenn sie davon erzählte. Die Begeisterung war ihrer Stimme anzumerken. Serena stellte sich vor, wie ihre Augen leuchteten und sie sich eine Haarsträhne um den Finger wickelte, eine Angewohnheit, die sie auch hatte.

Eine Viertelstunde später legten sie auf. Nicht, weil es nichts mehr zu sagen gab, sondern weil es sich so eingespielt hatte. Sie sprachen fast täglich miteinander. Ihre Mom wusste, wie stark Serena eingespannt war, seit sie ihre Krankenpflege-Ausbildung begonnen hatte, und sagte immer, sie wolle ihr nicht die Zeit stehlen. Das Gefühl hatte Serena nie. Aber ihre Mom war schon immer jemand gewesen, der die eigenen Bedürfnisse zurückstellte, um für andere zu sorgen. Wie oft hatte Serena deshalb mit ihr diskutiert! Zumindest lebte ihre Mutter jetzt endlich ihr Leben.

Serena steckte das Smartphone in die Tasche, schnappte sich ihre Schlüssel und folgte Avery auf dem Weg, den er eine Dreiviertelstunde zuvor genommen hatte. Hoffentlich wurde der Tag heute gut. Sie brauchte es so sehr!

Ihm rannte die Zeit davon.

Der Mann seiner Patientin versuchte, ihm etwas zu erklären, aber Tobys Spanisch war nicht das beste. Vor allem nicht, wenn sein Gegenüber mit gefühlt hundert Meilen pro Stunde redete. Die bewusstlose Frau war in die Notaufnahme gekommen und sofort in die Chirurgie gebracht worden. Das Messer, mit dem sie gefrorene Fischstücke voneinander trennen wollte, war abgerutscht und hatte ihr den Arm aufgeschlitzt. Durch Haut und Muskeln. Toby konnte nicht sagen, ob sie beim Anblick des eigenen Bluts in Ohnmacht gefallen war oder irgendwelche Vorerkrankungen hatte.

Jetzt wartete er auf die Dolmetscherin, die gerade bei einem anderen Patienten übersetzte. Wenn sie nicht bald auftauchte, musste Toby sich auf seine Instinkte verlassen und mit der Behandlung beginnen.

Er sah, wie Jacelyn Serena bedeutete, herzukommen. Die Krankenschwester holte tief Luft und machte sich auf den Weg.

Widerstrebte es ihr, mit ihm zu arbeiten? Wenn ja, mussten sie sich zusammensetzen und diese Vorbehalte ausräumen. Er konnte nicht riskieren, dass persönliche Altlasten die Patientenbetreuung gefährdeten.

„Serena spricht Spanisch. Vielleicht kann sie helfen.“

Natürlich. Das hatte er ganz vergessen.

Nein, hatte er nicht. Die Worte und Sätze, die sie in seinen Armen flüsterte, hatten sich wie glatte Seide auf seiner Haut angefühlt.

Nicht jetzt, Toby.

Ohne ein Wort zu ihm wandte sie sich dem Mann zu. Sie redete, hörte zu, nickte, antwortete, bevor sie sich zu Toby umdrehte. „Seine Frau wurde vor ein paar Jahren überfallen und mit einem Messer verletzt. Als sie sich in den Arm schnitt, waren die Erinnerungen an jene schrecklichen Momente sofort wieder da. Für ihn auch. Er hörte sie schreien, und als er in die Küche stürzte, lag sie am Boden. Überall war Blut.“

„Frag ihn, ob es medizinisch gesehen etwas gibt, von dem wir wissen sollten.“

Sie wiederholte dem Mann die Frage.

Dieser nickte. „Lucinda está embarazada.“

Den Ausdruck kannte Toby. Die Frau war schwanger. Seine Anspannung wuchs. „Das habe ich verstanden. Noch etwas?“

Als sie nach Allergien und anderem fragte, schüttelte der Mann den Kopf. Aber er fragte, ob es dem Baby gut ginge.

„Jacelyn, können Sie Gary von der Entbindungsstation verständigen?“

„Mache ich sofort.“

Er hätte Serena darum gebeten, doch er brauchte sie hier, falls er wegen der Patientin weitere Fragen hatte. Für ihre Hilfe war er ihr sehr dankbar. Toby sah sie an. „Danke. Wirklich.“

„Gern geschehen. Wirklich.“ Das feine Lächeln, das ihre Lippen umspielte, ging ihm nahe. Aber wenigstens schien sie nicht mehr so angespannt zu sein.

„Kannst du ihm sagen, dass wir den Arm operieren müssen und er eine Einverständniserklärung unterschreiben muss? Und ich möchte, dass Gary sie sich kurz ansieht.“

„Ist er Gynäkologe und Geburtshelfer?“

„Ja.“

Serena gab weiter, was Toby gesagt hatte, während er die Verletzung mit einer weiteren Wundauflage abdeckte, um die Blutung zu stillen.

Pedro, der Mann der Verletzten, hatte gerade alle Formulare ausgefüllt und unterschrieben, als Gary ein mobiles Ultraschallgerät heranrollte. Er lächelte Pedro an und stellte sich vor, wobei er mühelos ins Spanische wechselte. Toby nahm sich vor, sich mehr anzustrengen, um die Sprache zu lernen. Pedro und Serena lachten bei etwas, das Gary gesagt hatte.

Toby fühlte sich wie ein Außenseiter. Unnötigerweise, doch das Gefühl war deutlich spürbar. Vielleicht lag es daran, dass er sich die meiste Zeit in seiner Kindheit auch so gefühlt hatte. Wahrscheinlich war seinen Eltern bis heute nicht klar, was sie getan hatten. Jedenfalls hielt er sich woanders lieber auf als zu Hause.

Lucinda stöhnte leise, und ihre Lider flatterten. Pedro griff nach ihrer unverletzten Hand und strich ihr das Haar aus dem Gesicht, sprach dabei leise und beruhigend mit ihr.

Sie suchte seinen Blick. „¿El bébé?

Gary sagte etwas zu ihr, zog die Ultraschallmaschine ans Bett und schaltete sie ein. Bald war Babys Herzschlag zu hören, und Gary versicherte den Eltern, dass es dem Kleinen gut ging. Natürlich musste er für Toby alles übersetzen.

Wenigstens war alles so weit normal. Statt sie in Vollnarkose versetzen zu müssen, genügte eine leichte Sedierung, um den Arm zu flicken. „Kannst du bei der OP assistieren?“, fragte er Serena. Sie könnte übersetzen, falls es erforderlich wurde. Es wäre das erste Mal, dass sie zusammen im OP standen. Nicht, dass er es bisher vermieden hatte. Es hatte sich einfach nicht ergeben.

„Oh … Natürlich.“

Sie klang nicht gerade begeistert. Was er nachvollziehen konnte. Ihm gefiel die Situation auch nicht, aber da mussten sie durch. Schlimmer als die letzten Tage, die er mit seiner Ex zusammen arbeitete, nachdem er entdeckt hatte, dass sie ihn mit seinem Trauzeugen betrog, konnte es nicht sein.

Jacelyn kam zu ihnen. „In OP-Saal 1 ist alles bereit.“

Das Team wartete schon auf sie, als sie Lucinda in den Raum rollten. Die Sedierung war ein Kinderspiel, nachdem Toby sich vergewissert hatte, dass die Schwangerschaft bekannt war.

Behutsam entfernten sie die Lagen blutgetränkter Gaze, bis eine gezackte, hässliche Wunde sichtbar wurde.

„Lassen Sie uns das spülen, damit ich besser sehen kann, was gemacht werden muss.“ Er zog die Lupenbrille auf die Nasenwurzel.

Serena schien zu ahnen, was er brauchte, noch bevor er es aussprach. Er war beeindruckt. Zumal sie nicht annähernd die Erfahrung anderer Schwestern dieser Station hatte.

„Ich werde in Schichten nähen“, erklärte er ihr. „Glücklicherweise liegt die Verletzung in einem Bereich, der nicht viel bewegt wird. Sie dürfte schnell heilen.“

Die Vitalzeichen seiner Patientin blinkten auf dem Monitor zu seiner Rechten. Alles im grünen Bereich, der Blutdruck war stabil.

Er spürte Serenas Blick, ihre Nähe, während sie dastand, die chirurgischen Instrumente auf dem Tablett vor ihr ordentlich aufgereiht. „Wäre es ein glatter Schnitt, könnte ich tiefe Hautnähte setzen oder eine Rückstichnaht anwenden. Da die Wunde gezackt ist und ein großer Abstand zwischen den Rändern besteht, nutze ich im Muskelgewebe absorbierbares VICRYL, Fadenstärke 4 – 0, und einen gleich starken Nylonfaden für die Hautschichten.“

Als er ihr einen Seitenblick zuwarf, nickte sie. „Verstehe. In der Ausbildung habe ich von Rückstichnähten gehört, aber nie eine persönlich gesehen.“

„Was hältst du davon, wenn ich dir Bescheid sagte, sobald ich einen entsprechenden Fall habe?“ Toby hatte keine Ahnung, warum er ihr das angeboten hatte. Vielleicht, weil er schon immer gern gelernt und sein Wissen weitergegeben hatte.

„Das wäre großartig.“

Serena hatte ihr Haar unter die OP-Kappe geschoben, aber er wusste aus der Zeit in Mexiko, wie üppig und wunderschön ihre Locken das Gesicht umrahmten. Ein Gesicht, das lebhaft spiegelte, was sie sagte, und jede ihrer Emotionen betonte.

Wie an jenem Abend in Cozumel.

Er spürte, wie wissbegierig und nervös sie war, aber ihre Hände waren ruhig, und sie arbeitete zuverlässig. Unter anderen Umständen hätte er es genossen, mit ihr zu arbeiten.

Tatsächlich genoss er es, und das gefiel ihm gar nicht.

Serena war hinreißend, aber verdammt, er wollte sich nicht zu ihr hingezogen fühlen. Nicht nach dem, was mit Tanya passiert war. Sie war schon am Paz Memorial, als er von einem kleineren Krankenhaus in Lancaster hierherwechselte. Damals schien alles so einfach, unkompliziert … ja, sogar praktisch zu sein. Mit ein paar Dates hatte es angefangen. Irgendwann waren sie zusammen zur Arbeit gefahren, da ihre Wohnungen nahe beieinanderlagen. Schließlich verlobten sie sich und zogen zusammen. Sie waren sich einig, dass sie mit Kindern noch ein paar Jahre warten wollten, was Toby mehr als recht war. Er hatte es nicht eilig, eine Familie zu gründen.

Eines Abend beim Essen dann fing Tanya unerwartet an, von Kindern zu reden, nachdem sie ihm von einer Freundin erzählt hatte, die gerade ein Baby bekommen hatte. Immer öfter brachte sie das Thema zur Sprache, sodass die drohende Vaterschaft zu einer Litanei in seinem Kopf wurde. Und sie betonte, dass er mit fünfunddreißig schon älter sei als die meisten Väter, die sie kannte.

Es klang wie ein Vorwurf.

Toby war nicht sicher gewesen, ob er überhaupt Kinder wollte. Die eigene seltsame Kindheit war seine einzige Erfahrung, und er wusste nicht, ob er ein Kind großziehen konnte. Mit allem, was es brauchte.

Nach Tanyas Bemerkung zu seinem Alter begann er, solche unangenehmen Gespräche zu vermeiden. Was zur Folge hatte, dass sie kaum noch Gespräche führten. Vor allem keine, die das Thema Kinder aufs Tapet brachten.

Zu dem Zeitpunkt kam sein bester Freund – der auch sein Trauzeuge sein sollte – zu Besuch und übernachtete im Gästezimmer. Toby hatte mit einem komplizierten Fall zu tun, sodass Tanya Cliff anbot, ihm die Stadt zu zeigen.

Anscheinend führte eins zum anderen, und auf einmal war es mit ihm und Tanya vorbei.

Also, nein, mit einer Kollegin würde er sich nicht einlassen, mochte sie auch noch so attraktiv sein. Toby hatte seine Lektion gelernt. Ehrlich gesagt, war er erleichtert, dass er das Thema Vaterschaft für alle Zeiten abhaken konnte.

Außerdem hatte er seine Katze. Porkchop war ihm von der Beziehung zu Tanya geblieben, und es reichte ihm, für sie zu sorgen.

Toby merkte, dass Serena ihn seltsam ansah. „Entschuldige, hast du etwas gesagt?“

„Nichts Wichtiges. Ich wollte nur wissen, ob du schon oft Rückstichnähte gesetzt hast?“

„Nicht sehr oft. Aber in manchen Fällen finde ich, dass sie bei klaffenden Wunden besser sind. Die Heilung dauert länger, und die richtige Nahtspannung ist wichtig.“

Eine halbe Stunde später waren sie fertig, und Lucinda wachte aus ihrer Sedierung auf. Ihre erste Frage galt dem Baby, natürlich musste Serena übersetzen. Die zweite Frage war nicht sofort zu beantworten. Sie wollte wissen, ob das Krankenhaus einen Psychologen oder eine Psychologin hätte, die ihr helfen könnten, das Trauma durch den Überfall zu bewältigen. Sie wollte in ähnlichen Situationen nicht wieder durchdrehen, zum Beispiel, wenn ihr Kind sich vielleicht einmal schneiden sollte.

„Sag ihr, dass ich mich darum kümmere. Falls es hier nicht möglich ist, kann ich ihr eine Adresse nennen.“

Tatsächlich hatte er sich nach der Trennung psychologische Unterstützung gesucht. Die Psychologin riet ihm, ein Jahr lang keine größeren Entscheidungen zu treffen. Toby schwor sich, daraus fünf Jahre zu machen. Für dieses Ziel hatte er vier Jahre und neun Monate Zeit.

Ha! Mit Serena ins Bett zu fallen, war sicher nicht das, was seine Psychologin gemeint hatte. Hoffentlich war das ein Ausrutscher, der nicht wieder vorkam.

Toby änderte das Wort hoffentlich in eins, das dem Ganzen mehr Nachdruck verlieh.

Definitiv.

Die Nacht mit Serena würde sich definitiv nicht wiederholen!

3. KAPITEL

Serena hatte in den folgenden beiden Tagen zwei Mal zusammen mit Toby im OP gestanden. Doch anders als bei Lucindas Operation, als er noch bereitwillig jeden Schritt erklärt und sogar angeboten hatte, ihr eine spezielle Nahttechnik zu zeigen, verhielt er sich reserviert. Still. Zwar antwortete er, wenn sie Fragen stellte, aber immer knapp und nur mit dem Nötigsten.

Sie hatte sich gewundert, dass er den Namen einer Psychologin in seinem Handy eingespeichert hatte. Warum? Natürlich ging es sie nichts an, aber sie war neugierig.

Nachdem sie nach einem Patienten gesehen hatte, ging sie zum Stützpunkt, wo Toby sich gerade mit Jacelyn unterhielt. Dabei bekam sie mit, was die Stationsschwester zu ihm sagte.

„Ich wollte Sie nur vorwarnen. Tanya war heute Morgen hier, wollte zur Personalabteilung, um sich ihr Zeugnis abzuholen.“ Jacelyn presste kurz die Lippen zusammen. „Sie hat nach Ihnen gefragt, Toby.“

Sein Blick glitt zu Serena, und sie hätte schwören können, dass dabei ein schuldbewusster Ausdruck in seinen Augen aufblitzte. „Okay, danke.“

Das war’s. Er wandte sich ab und ging, ohne sie noch einmal anzusehen.

Bevor sie sich zurückhalten konnte, fragte sie: „Wer ist Tanya?“

Es war doch keine unprofessionelle Frage, oder? Wenn Toby nun etwas damit zu tun hatte, dass diese Frau entlassen worden...

Autor

Tina Beckett
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Amy Ruttan
Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...
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JC Harroway
JC Harroway beschreibt sich selbst als "liebesromansüchtig". Für ihre Autorinnenkarierre gab sie sogar ihren Job im medizinischen Bereich auf. Und sie hat es nie bereut. Sie ist geradezu besessen von Happy Ends und dem Endorphinrausch, den sie verursachen. Die Autorin lebt und schreibt in Neuseeland.
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