Julia Ärzte zum Verlieben Band 193

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KLEINES DORF – GROSSE LIEBE? von LOUISA HEATON

Eine neue Liebe ist für den verwitweten Dorfarzt Daniel Prior undenkbar. Doch als er die alleinerziehende Dr. Stacey Emery einstellt, entfacht sie ein Feuer in ihm, das er lange verloren glaubte. Soll er es wagen und sich auf sie und ihren süßen Sohn einlassen?

ZUM ZWEITEN MAL IN DICH VERLIEBT von KARIN BAINE

Um ihrer Mutter zu helfen, opferte Jessie damals alles: ihr Medizinstudium – und Cameron! Jetzt sieht sie den gutaussehenden Chirurgen überraschend wieder. Aber auch wenn sie im Krankenhaus ein perfektes Paar sind, kann er ihr privat die Trennung offensichtlich nicht verzeihen …

PRICKELNDE BEGEGNUNG IN SINGAPUR von SCARLET WILSON

Es funkt sofort zwischen ihnen. Aber der neue Kinderarzt im Krankenhaus in Singapur ist garantiert der Falsche für die schöne Physiotherapeutin Madison: Fletch ist ein überzeugter Junggeselle, für sie als Single Mom ist Familie hingegen sehr wichtig! Doch eine Nacht lang siegt die Leidenschaft …


  • Erscheinungstag 27.07.2024
  • Bandnummer 193
  • ISBN / Artikelnummer 8031240193
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Louisa Heaton, Karin Baine, Scarlet Wilson

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 193

1. KAPITEL

Greenbeck Village

heißt vorsichtige Fahrerinnen und Fahrer willkommen.

Partnerstadt von Vebnice, Kroatien

Dr. Stacey Emery lächelte, als sie das Straßenschild passierte, und warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Ihr Sohn Jack sah aus dem Fenster auf eine Weide mit Schafen und Lämmern.

„Wir sind da!“, verkündete sie freudestrahlend in der Hoffnung, ihn lächeln zu sehen. Aber er schaute sie nicht an.

Sie machte sich Sorgen um ihn. Der Umzug hierher sollte ein Neustart sein, um ihre Probleme hinter sich zu lassen. Ihre Hoffnungen und Träume stützten sich auf Greenbeck, damit es seine Magie entfaltete und ihr den fröhlichen, munteren Jungen zurückbrachte, der Jack früher gewesen war.

In Greenbeck war sie aufgewachsen und verband damit wundervolle Erinnerungen an eine glückliche Zeit. Hier schien immer Sommer gewesen zu sein. Warmer Sonnenschein auf ihrem Gesicht. Blütenduft. Spielen mit Freundinnen und Freunden. Enten füttern am Dorfteich. Lastkähne, die unter der Wishing Bridge entlangglitten. Stacey hatte oft am Kanal gestanden und den Leuten zugewinkt.

Sie war in der Blossom Lane groß geworden. Der einzige Verkehr, auf den sie achtgeben musste, waren die Pferde, die durch das Tor der High Field Farm hinausgeführt wurden. Wann immer sie kamen, rannte sie ins Haus, um ihrem Grandad Bescheid zu sagen, dass er die Schaufel holen solle. Die dampfenden Haufen, die von den Tieren hinterlassen wurden, nutzte er gern für seine Rosen und den Gemüsegarten.

Stacey hatte Brombeeren und Stachelbeeren gepflückt und in Merrymans Obstplantage Äpfel aufgesammelt. An einem Baum am Bach geschaukelt. Barfuß im Wasser nach Stichlingen gesucht, in der Hand einen Bambusstab mit neongelbem Kescher daran. Auf jedem Dorffest hatte sie viel Spaß gehabt, war zur Schule gehüpft und hatte begeistert Eierlaufen und andere Wettkämpfe an den Sporttagen mitgemacht.

Abgesehen von der Zeit, als sie ihre Eltern verloren hatte, konnte Stacey sich nicht erinnern, dass sie hier jemals traurig gewesen wäre. Und genau diese unbeschwerte Fröhlichkeit brauchte sie für Jack.

Wann war er das letzte Mal richtig glücklich gewesen? Hatte aus vollem Herzen gelacht?

Ja, sie brauchte den Zauber von Greenback und ihrer Großeltern, damit ihr kleiner Junge wieder Freude am Leben empfand.

Allerdings war sie lange nicht hier gewesen. Sie hoffte inständig, dass die Zeit keine Spuren hinterlassen hatte und dieser herrliche Ort noch immer so war, wie sie ihn in Erinnerung hatte.

Die Straße führte hinunter ins Tal. Stacey fuhr an den Ruinen von Schloss Merrick vorbei. Wie oft hatte sie zu der mittelalterlichen Burg hinaufgeschaut und sich vorgestellt, dass dort die Geister der Lords und Ladys aus längst vergangenen Zeiten herumspukten. Heute war es ein von Touristen gern besuchtes Kulturerbe. Der letzte noch erhaltene Turm hatte den Jahrhunderten getrotzt und warf seinen Schatten auf die Straße, die sich nun kurvenreich durch einen Wald zog.

Sonnenstrahlen fielen gelegentlich durch das grüne Blätterdach der Bäume und tupften helle Flecken auf die Straße. Dann endete der Wald, und der Blick weitete sich auf Felder und Weiden, wo Stacey Schafe sah, Kühe … Pferde … Und waren das nicht Alpakas dort drüben?

Ein Verkehrsschild begrenzte die Geschwindigkeit auf 20 Meilen, also nahm sie den Fuß vom Gas, froh über die Gelegenheit, sich umzusehen und wieder vertraut zu werden mit der Gegend, die sie lange nicht besucht hatte.

Die wenigen Male, die sie es geschafft hatte, waren viel zu kurze Wochenenden gewesen. Einmal, um ihren Großeltern ihren Mann Jerry vorzustellen, der inzwischen ihr Ex-Mann war. Ein zweites Mal, als Jack auf der Welt war. Ihre Großeltern hätten gern mehr von ihrem Urenkelkind gehabt, aber es war nicht möglich. Staceys Leben und Arbeit spielten sich in Schottland ab. Telefonate und der allmonatliche Videocall mussten genügen. Als berufstätige alleinerziehende Mutter blieb ihr nicht viel freie Zeit, sodass sie die Großeltern nicht so oft persönlich sehen konnte, wie sie es sich gewünscht hätte.

Aber Genevieve und William Clancy waren stolz auf sie. Auf ihre Leistungen in der Schule trotz des Traumas, schon in früher Kindheit bei einem tragischen Unfall beide Eltern verloren zu haben. Sie hatten sie immer unterstützt und sich mit ihr über den Medizinstudienplatz gefreut. Stacey erinnerte sich noch an den Tag, an dem sie ihr nachwinkten, als sie mit ihrem alten Auto die lange Reise von Greenbeck nach Edinburgh antrat.

Zu ihrer Examensfeier waren sie gekommen, und während Staceys Assistenzarztzeit und Facharztausbildung hatten sie bei wöchentlichen Telefonaten immer ein offenes Ohr gehabt. Hatten sich angehört, wie es im Krankenhaus war, und schließlich, dass sie sich verliebt hatte.

Ohne zu urteilen und mit ihrer wundervollen Art nahmen sie die Nachricht auf, dass Stacey nach Gretna Green gefahren war, um den Arzt, den sie kennengelernt hatte, zu heiraten. Eine Hochzeit, zu der sie niemanden einluden, die sie nicht groß feierten. Genauso aufmerksam hörten sie zu, als ihre Ehe zerbrach, nachdem sie schwanger geworden war.

So viel war geschehen, seit sie Greenback verlassen hatte. So viel Herzschmerz, so viel Kummer. Nicht ein einziges Mal hatten ihre Großeltern sie getadelt. Ihre Liebe zu Stacey schien unendlich und durch nichts zu erschüttern.

Genau das brauchte sie jetzt und Jack auch. Genevieve und William wussten von den Problemen des Jungen, wussten, wie verzweifelt Stacey war. Als sie ihr sagten: „Komm nach Hause. Jack kann hier zur Schule gehen, wir haben uns erkundigt …“, da spürte sie tief im Herzen, dass es die richtige Entscheidung war.

Die Straße führte sie in die Ortsmitte, vorbei am Dorfplatz, wo Familien am Teich standen, um Enten und das Schwanenpaar zu füttern. Stacey lächelte, weil sie sich erinnerte, dass sie das damals auch oft getan hatte.

„Sieh mal, Jack, die vielen Enten!“

Er gab einen unbestimmten Laut von sich und packte Grover fester, den geliebten Teddybären, den er als Baby geschenkt bekommen hatte. Grover war inzwischen etwas zerzaust. Stacey hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie zu Nadel und Faden gegriffen hatte, um Pfoten, Ohren und andere Stellen zu reparieren. Zu Hause schleppte Jack den Bären immer mit sich herum.

Neben der Kirche entdeckte sie ein neues Gebäude. Eingeschossig und aus dem grauen Stein errichtet, mit dem die meisten Häuser hier in Greenbeck gebaut wurden. Die Vorderseite hatte eine große, moderne Glasfront. Greenbeck Village Surgery stand darauf.

Hier werde ich also arbeiten …

In Staceys Kindheit hatte der Arzt in seinem Haus praktiziert. Dr. Pickwick war ein mürrisch dreinblickender alter Mann gewesen. Etwas schroff, auf der Nase eine runde Nickelbrille. Doch jedes Mal, wenn ihre Großmutter Stacey zu ihm brachte, weil sie krank war oder geimpft werden sollte, zog Dr. Pickwick eine Schublade auf. Darin lagen Süßigkeiten, von denen sie sich etwas aussuchen durfte, weil sie eine brave Patientin war. Und manchmal, wenn sie im Wartezimmer, dem eigentlichen Salon, saß, konnte sie riechen, was für einen Kuchen Mrs. Pickwick gerade im Ofen hatte. Lange Zeit verband sie einen Arztbesuch mit dem Duft nach selbst gebackenem Apfelkuchen …

Am Buttered Bun Café war ein Parkplatz frei, und sie fuhr in die Lücke, zog die Handbremse an und schaltete den Motor ab. „Wir sind da! Lass uns schnell etwas essen. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe einen Bärenhunger.“

Sie half Jack aus dem Kindersitz, nahm ihn an die Hand und betrat mit ihm das Buttered Bun. Über ihren Köpfen ertönte ein Glöckchen, um ihre Ankunft anzukündigen. Stacey wählte einen Tisch am Fenster, setzte Jack dort ab und gab ihm eins der Ausmalblätter und den Topf mit Stiften, der dort stand. Dann ging sie an die Theke.

Das Angebot sah verlockend aus. Würstchen im Schlafrock, Sandwiches, Kuchen, Torten, Lebkuchenmänner … Sie bestellte zwei Würstchen im Schlafrock, einen warmen Kakao und einen Tee, bezahlte und kehrte an ihren Tisch zurück. Jack war eifrig damit beschäftigt, einen Drachen leuchtend purpurrot anzumalen.

„Wow, der sieht ja toll aus“, sagte sie.

„Danke.“

Ein einziges Wort nur, aber das erste seit Stunden. Ihr wurde warm ums Herz. Hoffnungen regten sich zaghaft. Sie setzte sich und betrachtete ihn eine Weile. Konzentriert malte er weiter, die Augenbrauen zusammengezogen, die Zähne in die Unterlippe gegraben. Schließlich kam die Kellnerin, eine hübsche junge Frau mit rotem Haar, fast im selben Ton wie Staceys, und brachte ihre Bestellung.

„Hey, großer Drachen!“, grüßte sie.

Jade stand auf ihrem Namensschild. Sie lächelte, eilte davon und machte sich hinter ihrem Tresen daran, den Kaffee für einen älteren Herrn zuzubereiten, der nach Stacey hereingekommen war. Er kam ihr bekannt vor. Aber es war schon zu lange her, dass sie sich an Namen von damals erinnern konnte.

Der buttrige, knusprige Blätterteig und das kräftig gewürzte Würstchen schmeckten großartig. Jack aß fast alles auf und trank gerade seinen letzten Schluck Kakao, als die Türglocke wieder bimmelte. Herein kam der schönste Mann, den Stacey je gesehen hatte.

Sie versuchte, nicht hinzustarren. Nicht einfach bei einem Mann, der so aussah!

Ihr Herz war aus dem Takt geraten und schlug schneller. Sie atmete tief durch, um es zu beruhigen, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Jacks Malerei.

Schon einmal hatte sie sich mit einem umwerfend gut aussehenden Mann eingelassen, und herausgekommen war nichts als Ärger. Solche Männer fielen auf, wohin sie auch gingen. Bei anderen Frauen. Bei Männern. Wurden angebaggert. Man flirtete mit ihnen. Unwiderstehlich für einen Mann. Zumindest bei Jerry, ihrem Ex-Mann, war es so gewesen. Was die Liebe betraf, war Stacey ein gebranntes Kind. Verlassen. Mit Kind. Und Jack hatte keinen Vater. Nicht, weil er tot war, sondern abwesend. Für Jerry waren Kinder nur eine Last, mit der er sich nicht abgeben wollte.

Warum habe ich das nicht kommen sehen?

Also hielt Stacey sich von Männer fern, nach denen andere sich umdrehten.

Sie sah, wie die Kellnerin sich aufrichtete und ihm mit strahlenden Augen ein Lächeln zuwarf.

„Hi. Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich hatte sechs Chocolate Chip Cookies mit weißer Schokolade vorbestellt.“

Stacey musste zugeben, dass er ein Prachtexemplar von Mann war. Flacher Bauch, kraftvolle Muskeln unter den Hemdsärmeln. Nett geformte Oberschenkel und ein knackiger Po in der Anzughose. Er sah nicht aus wie einer, der Schokoladenkekse futterte. Eher wie jemand, der Avocado auf Toast aß. Einer, der sagen konnte, wie viele Proteine er tagtäglich zu sich nahm. Der beim Bankdrücken ein beträchtliches Gewicht stemmte. Den man an den meisten Tagen beim Joggen durch den Ort antraf, heiß, verschwitzt, lecker …

Er drehte sich um. Blickte in ihre Richtung.

Sofort wandte sie sich wieder Jack zu, beugte sich über den Tisch, um sich einen Buntstift zu schnappen und ihrem Sohn zu helfen, das Bild fertig zu malen. Stacey wartete, bis der Mann seinen Einkauf getätigt hatte und die Türglocke signalisierte, dass er das Café verließ.

Sie atmete aus, und Jack sah auf.

„Was ist?“

„Ach, nichts …“

Dabei warf sie einen Blick zur Bedienung, die an ihrem Halskettchen spielte, während sie dem Mann sehnsüchtig durch die große Glasscheibe nachschaute. Stacey schüttelte den Kopf. Sie könnte Jade den schwesterlichen Rat geben, um solche Männer einen Bogen zu machen. Aber es wurde Zeit, aufzubrechen.

„Fertig?“, fragte sie Jack.

Er nickte.

„Gut.“ Stacey stand auf und bedankte sich bei Jade. „Wissen Sie, wo ich das Blacksmith’s Cottage finde? In der Honeysuckle Lane?“

Jade musterte sie neugierig. „Fahren Sie nach rechts, dann bis zum Ende der High Street. Danach die erste links, die zweite rechts. Es liegt am Rand des neuen Baugebiets.“

Bei der alten Schmiede, dachte Stacey. Am Ortsrand. „Danke.“

„Willkommen in Greenbeck.“ Jade lächelte.

„Danke“, sagte sie noch einmal.

Sie gingen zum Wagen. Stacey konnte es kaum erwarten, sich häuslich einzurichten. Ihr Gepäck auszuladen. Leider konnten sie nicht bei ihren Großeltern wohnen. Für Jack und sie war nicht genug Platz. Zwar hatten sie ihr angeboten, bei ihnen unterzukommen, aber dann müsste Jack sich ihr altes Kinderzimmer mit ihr teilen. Das mochte sie ihm nicht zumuten. Außerdem waren ihre Großeltern nicht mehr die Jüngsten. Ein lebhafter Junge im Haus brachte sie vielleicht um die Ruhe, die sie brauchten.

„Komm, Jack, wir suchen unser neues Zuhause.“

Dr. Daniel Prior stand vor dem Kamin und starrte auf das Foto von seiner Frau Penny und seinem Sohn Mason. Das tat er oft. Vor allem, wenn er einsam war oder eine wichtige Entscheidung treffen musste. Als würde der Blick auf die beiden ihm sagen können, was er tun sollte.

Das Bild zeigte sie, als sie auf Oahu in Hawaii gerade Papierlaternen hatten steigen lassen. Wie Penny und Mason schaute auch er den Hunderten sanft erleuchteten Lampions nach, die beim Lantern Festival in den Nachthimmel schwebten. Er zog sein Handy aus der Tasche und begann, Fotos zu machen. Das erste vom Schauspiel am Himmel und das zweite – das er gerade betrachtete – von Penny, die hinter Mason stand, die Hände auf seine Schultern gelegt. Beide wandten sich ihm zu, lächelten – nein, strahlten vor Freude.

Die Kamera fing den wundervollen Moment perfekt ein. Daniel empfand so viel Liebe für die beiden, dass er gedacht hatte: Selbst wenn ich keinen Tag mehr zu leben hätte, wäre es egal, weil ich nie glücklicher sein werde als jetzt.

„Aber ich lag falsch“, sagte er traurig ins leere Zimmer. „Für einen weiteren Tag mit euch würde ich alles geben.“

Seine Frau und sein Sohn lächelten ihn an, ohne zu ahnen, dass ihr Leben kurz darauf enden sollte.

Daniel rieb sich die Hüfte. Die Schmerzen waren auch zwei Jahre nach dem Unfall noch da. Hätte er überlebt, wäre Mason heute sechs und in der Grundschule. Penny wäre dreißig. Sie hatte große Pläne für ihre Geburtstagsparty zum 30. gehabt …

Seufzend wandte er sich vom Kamin ab und ging in die Küche, um die Tüte mit Schokoladencookies zu holen, die er vorhin im Buttered Bun gekauft hatte. Nicht viel, nur eine kleine Aufmerksamkeit, um die neue Ärztin willkommen zu heißen.

Als sein Praxispartner Dr. Zach Fletcher ihm erzählte, er hätte jemanden eingestellt, um sie in der florierenden Praxis zu unterstützen, bot er an, dass sie im Nebengebäude auf seinem Grundstück unterkommen könnten, bis sie eine dauerhafte Bleibe gefunden hatten. Es stand leer und könnte endlich genutzt werden. Auch Mieteinnahmen wären nicht schlecht. Vor allem wusste er jedoch, dass es in Greenbeck nicht leicht war, ein Haus zu kaufen.

Seit der Ort in der Liste der zehn lebenswertesten Dörfer in Großbritannien auftauchte, waren Mieten und Kaufpreise stark gestiegen. Nur wenige Menschen zogen von hier weg, und die Familien behielten ihre Häuser. Jemand von außerhalb hätte Mühe, hier etwas zu finden. Deshalb stellte Daniel seinen Anbau zur Verfügung, solange die neue Ärztin ihn brauchte.

Zach hatte ihm erzählt, dass sie die Enkelin der Clancys sei und sich an ihrem letzten Arbeitsplatz sehr engagiert hätte. Anscheinend hatte sie für ihre Patientinnen und Patienten eine Reihe von Selbsthilfegruppen gegründet. Eine für Diabetiker, einen Strick- und Plauder-Club für Frauen und für Witwer den „Männerschuppen“, um Kontakte zu knüpfen und neue Freunde zu finden. Dazu ein Netzwerk freiwilliger Helfer und sogar für Angstpatienten regelmäßige Treffen, die reihum in deren Häusern stattfanden.

Eine engagierte Kollegin, wie es schien, und er freute sich schon darauf, sie kennenzulernen. Allerdings hoffte er auch, dass sie seine Privatsphäre respektierte, auch wenn sie auf seinem Grundstück wohnte. Kollegen, Freunde, Nachbarn zu sein, dagegen hatte er nichts, aber sie musste nicht ständig bei ihm hereinschneien. Daniel hatte sich an das Alleinsein gewöhnt. Ja, er genoss es sogar nach einem langen Arbeitstag, um Stress loszulassen und seinen Akku wieder aufzuladen.

Es klingelte, das musste sie sein. Früher als erwartet, sodass er keine Zeit mehr hatte, die Cookies ins Nebengebäude zu bringen, zusammen mit einem handgeschriebenen Willkommensgruß.

Sei’s drum.

Er ging zur Tür und öffnete. Vor ihm stand eine rothaarige junge Frau, deren Hände auf den Schultern eines Jungen ruhten, eindeutig ihr Sohn. Rotes Haar, Sommersprossen, helle Haut.

Sie war die Frau im Café! Ihm fielen ihre grünen Augen auf. Die schimmernden roten Haare, die ihr in weichen Wellen über die Schultern fielen. Sie war hübsch … Nein. Sie ist schön.

„Guten Tag, ich bin Dr. Stacey Emery. Und dies ist mein Sohn Jack.“

Daniel blickte auf den Jungen hinunter, der ihn neugierig musterte.

„Also …“ Sein Hirn suchte nach vernünftigen Worten, um sie willkommen zu heißen, aber er fühlte nur Sorgen und Befürchtungen. War er für so etwas bereit? Einen Jungen in nächster Nähe, so alt wie Mason, wäre sein Sohn heute noch am Leben?

Ich werde Abstand halten.

„Ich … hatte Sie nicht so früh erwartet. Wie war die Fahrt?“

„Ganz gut.“

„Sie sind bestimmt müde. Warten Sie, ich hole die Schlüssel und zeige Ihnen die Wohnung.“

Daniel nahm auch die Tüte mit Keksen mit und zog die Haustür hinter sich zu. Er wollte ihr nur rasch das Nötigste erklären, bevor er die beiden wieder sich selbst überließ.

Rasch ging er voran, um sein Cottage herum zu der Wohnung, die er in den Garten gebaut hatte. Ursprünglich war sie für seine Eltern gedacht gewesen, aber Mum und Dad brauchten inzwischen pflegerische Unterstützung und waren kürzlich nach Guildford in ein Seniorenheim gezogen.

Da der Anbau leer stand, spielte Daniel mit der Idee, ihn als Studio zu nutzen. Er hatte große Pläne, Videos vom Alltag eines Allgemeinarztes zu drehen, vielleicht einen Podcast zu veröffentlichen. Menschen mit interessanten Krankengeschichten interviewen, um sie online zugänglich zu machen. Aber das setzte voraus, dass er seine Zurückgezogenheit aufgab, und dazu war er noch nicht bereit. Den Anbau zu vermieten, erschien ihm eine gute Lösung.

Er schloss auf und öffnete die Tür, trat zurück und ließ Dr. Emery und ihren Sohn zuerst hineingehen.

Sie lächelte ihm zu, als sie an ihm vorbeiging, und er nahm den leichten Duft ihres Parfüms wahr. Blumig. Dezent. Die Art Duft, bei dem man die Augen schließen wollte, um ihn möglichst lange zu genießen.

Was er natürlich nicht tun würde. Daniel wartete, bis die beiden in den großen Wohnraum gegangen waren, und folgte ihnen.

„Die Küche ist dort drüben. Mit allem, was Sie brauchen: Geschirrspüler, Herd, Mikrowelle, Cookies.“

Er legte die braune Papiertüte auf die Arbeitsfläche, wollte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf seine Geste ziehen.

„Weiter hinten ist der Hauswirtschaftsraum, und dort drüben sind zwei Schlafzimmer und ein Bad.“

Daniel wollte ihr die Schlüssel übergeben und verschwinden, mochte es auch unhöflich wirken. Er kam immer noch nicht damit klar, dass sie die Enkelin der Clancys war, hinreißend schön, und einen Sohn hatte, geboren ungefähr zur gleichen Zeit wie Mason.

„Was die Möbel betrifft, können Sie gern alles verändern. Aber ich würde es begrüßen, wenn Sie die vorhandenen dann auf dem Dachboden lagern.“

„Es gefällt mir, wie es ist. Und danke für die Cookies.“ Sie lächelte und ging dann vor ihrem Sohn in die Hocke. „Magst du dir ein Zimmer aussuchen, Jack?“

Der Junge nickte und rannte den Flur hinunter, fest im Arm einen zerzausten Teddy, der schon bessere Tage gesehen hatte. Das Kuscheltier müsste dringend in die Waschmaschine, aber Daniel war nicht sicher, ob es in einem Stück wieder herauskommen würde.

Die beiden Schlafzimmer waren gleich groß und minimalistisch eingerichtet, weil er seinen Eltern alle Möglichkeiten hatte offenlassen wollen. Weiße Wände, viel helles Holz, viel Grün. Für einen kleinen Jungen vielleicht zu nüchtern.

„Sie können gern Poster und Bilder aufhängen, um ein Kinderzimmer daraus zu machen.“

„Danke. Ich weiß es zu schätzen, dass wir hier eine Weile unterkommen dürfen. Hoffentlich nicht allzu lange.“ Wieder lächelte sie, und ihre grünen Augen leuchteten dabei auf.

Er nickte. „Sie sind die Enkelin der Clancys?“

Sie wirkte überrascht, dass er davon wusste. „Ja. Kennen Sie sie?“

„Könnte man sagen.“

Mehr brachte er nicht heraus. Sein Mund schien keine Verbindung zu seinem Gehirn mehr zu haben.

Daniel reichte ihr die Schlüssel. „Brauchen Sie Hilfe beim Gepäck?“

Bitte sag Nein.

„Nein danke. Es sind nur zwei Koffer.“

„Gut. Dann bis dann.“

Er wandte sich ab, verließ den Anbau und atmete erleichtert auf, als er draußen war.

Jetzt wurde es kompliziert! Noch bevor Dr. Emery eintraf, hatte er gehofft, sie möge Distanz halten. Doch nun wusste er, dass er einen möglichst großen Bogen um sie machen sollte. Denn obwohl er Penny geliebt und geschworen hatte, keine andere Frau anzusehen, sprang ein Funke über in dem Moment, als er Dr. Emery die Tür geöffnet hatte.

Solche Funken führten normalerweise zu mehr, und dafür war er noch nicht bereit.

Dr. Emery und ihr Sohn Jack waren eine Bedrohung. Eine Gefahr, vor der er sich unter allen Umständen schützen musste!

Oh nein.

Das war ihr erster Gedanke gewesen, als Dr. Prior ihr die Tür geöffnet hatte. Und der zweite: Lass dir nichts anmerken!

Dr. Prior – ab heute ihr Vermieter und Nachbar – war der Mann, der im Buttered Bun eine Tüte Cookies bestellt und abgeholt hatte. Dieser umwerfende Mann, der aus der Nähe betrachtet noch atemberaubender aussah als im Café. Dunkelhaarig, gepflegter Bart, schokoladenbraune Augen, kantiges Kinn. Außerdem hatte er inzwischen die Krawatte abgelegt und die beiden obersten Hemdknöpfe geöffnet. Stacey erahnte eine behaarte muskulöse Brust.

Ihr wurde sofort der Mund trocken, während gleichzeitig ihre Herzfrequenz sprunghaft anstieg. Gut, dass sie Jack hatte, der wie ein menschlicher Schutzschild vor ihr stand.

Flüchtig hatte sie gehofft, dass sie sich in der Adresse geirrt hatte. Der Mann vor ihr schien auch verwirrt, als hätte er sie nicht erwartet. Aber nein, es war das richtige Cottage, und dieser Mann war ihr Vermieter und neuer Kollege …

Oh, es würde schwierig werden, ihn nicht anzustarren.

Das war das Problem mit Schönem. Man sieht es sich an. Bewundert es. Aus Bewunderung wird Verlangen, und Verlangen führte zu …

Denk besser nicht daran. Dr. Prior ist tabu. Ich bin tabu.

Ihre Großeltern hatten erzählt, ihr Vermieter sei ein netter Mann. Ein sehr guter Arzt, den sie seit Jahren kannten. Deshalb hatte sie angenommen, dass er schon älter war.

Allerdings war die Wohnung für Jack und sie perfekt und ihr Sohn schon dabei, neugierig alles zu erkunden. Seit Dr. Prior ihr die Schlüssel übergeben hatte und gegangen war, konnte sie sich unbefangener umsehen – ohne von einem Adonis an ihrer Seite abgelenkt zu sein.

Der Anbau besaß einen großen Wohnbereich mit weichen Ledersofas, einem Couchtisch und Bücherregalen, in denen eine Auswahl an Romanen stand. Meistens Krimis und Thriller. Die Küche war modern eingerichtet, Schranktüren und Schubladen schlossen sanft und geräuschlos. Im funktional eingerichteten Hauswirtschaftsraum standen Waschmaschine und Trockner, und das Bad, komplett mit Badewanne und separater Dusche, hatte schwarze Marmorfliesen.

Auch die Zimmer strahlten modernen skandinavischen Chic aus. Jack suchte sich dasjenige aus, das in den Garten führte. Stacey belegte das andere. Die Koffer, die sie aus dem Wagen gewuchtet hatte, warteten neben den Betten darauf, ausgepackt zu werden. Da Kühlschrank und Schränke leer waren, wurde es Zeit, sich auf den Weg zu den Großeltern zu machen, damit sie ihren Urenkel in die Arme schließen konnten. Obwohl Stacey sich zu gern erst unter der Dusche entspannt hätte …

Die Fahrt vom Blacksmith’s Cottage in die Blossom Lane dauerte keine zehn Minuten. Als Stacey auf die Auffahrt fuhr, kam ihr die Straße schmaler vor, die Cottages schienen dichter beieinander zu liegen und in den Gärten mehr Blumen zu wachsen.

Das Reetdach von Gable Cottage, dem Haus ihrer Großeltern, war erst kürzlich neu gedeckt worden, und der rosa Jasmin über der Haustür stand in voller Blüte. Früher wäre sie einfach ins Haus gegangen, aber nach so vielen Jahren Abwesenheit fühlte es sich nicht mehr selbstverständlich an. Stacey klopfte.

Als ihre Großmutter die Tür aufzog, lächelte Stacey sie glücklich an. Genevieve Clancy hatte sich nicht im Mindesten verändert. Okay, vielleicht hatte sie ein paar Falten mehr, vielleicht war sie etwas fülliger geworden und ihre Haare ein Spur silbriger, doch ihr warmherziges Wesen überstrahlte wie immer alle Äußerlichkeiten.

„Stacey! Mein liebes Mädchen!“ Genevieve umarmte sie herzlich und drückte sie fest an sich. Dann wandte sie sich ihrem Urenkel zu. „Und das ist mein großartiger Jack! Was bist du groß geworden!“ Sie beugte sich herab, die Arme weit ausgebreitet, und Jack ließ sich umarmen. „William? Will! Sie sind da!“

Stacey sah auf und ihren Großvater den Flur entlangkommen. Er stützte sich auf einen Stock, doch das war der einzige Hinweis darauf, dass seine Frau und er schon weit in den Achtzigern waren. William Clancy wirkte sehr rüstig.

„Du bist blass, Stacey“, sagte er.

„Ach, du weißt ja, wie es ist … Es war eine lange Fahrt. Und dann der Umzugsstress …“ Sie umarmte auch ihn und atmete tief den vertrauten Duft nach Seife und Aftershave ein. Zu Hause, ja, sie war wieder zu Hause.

„Dann mal hinein mit euch. Jack, ich habe Kirschkuchen gebacken. Möchtest du ein Stück?“

Jack nickte.

„Er sollte erst zu Abend essen, Gran.“

„Oh, natürlich … Warte, ich habe noch Shepherd’s Pie im Kühlschrank. Soll ich sie für euch aufwärmen?“

„Das wäre toll, danke.“

Ihre Gran strahlte über das ganze Gesicht. Sie liebte es, andere zu beköstigen und zu bemuttern. Auch herrenlose, verletzte Tiere fanden bei ihren Großeltern immer Hilfe. Und wenn ihnen unterwegs ein Obdachloser begegnete, kauften sie ihm zu essen und zu trinken.

Grandad begleitete sie ins Wohnzimmer, und für Stacey ging die Zeitreise in die Vergangenheit weiter. Auf Rücken- und Armlehnen der alten Polstergarnitur lagen immer noch blütenweiße Schondeckchen. Hinter den verglasten Schranktüren stand derselbe Nippes, und vor dem Gasofen lag der runde Teppich von damals.

Und auf jeder freien Oberfläche standen gerahmte Fotos. Von Stacey. Von Jack. Ihren Eltern. Von den Großeltern an ihrem Hochzeitstag. Sie hielten sich an den Händen und sahen einander so voller Liebe an, dass es einem fast die Tränen in die Augen trieb.

Auf einer Seite des Sofas lag Grans Strickzeug, auf dem Couchtisch Grandads Zeitungen, TV-Zeitschriften und ein Buch über den 2. Weltkrieg, seine Lesebrille obenauf.

Stacey mochte ausgezogen und ihr Leben sich geändert haben, aber hier im Gable Cottage schien die Zeit stehen geblieben zu sein.

„Hey, Jack. Wir haben dir ein bisschen Spielzeug besorgt, damit du dich nicht langweilst.“

William zog eine Kiste an seiner Sofaseite hervor und schob sie ihrem Sohn hin. Sie war gefüllt mit Büchern, Autos, Puzzles und anderem Spielzeug. Begeistert inspizierte Jack die Sachen.

Stacey lächelte, froh, ihn glücklich zu sehen. Sie hatte es vermisst.

„Kann ich dir helfen, Gran?“

„Oh nein, Liebes! Setz du dich hin und ruh dich aus. Ich habe alles im Griff.“ Gran rauschte aus der Küche, wischte sich dabei die Händen an ihrer Blumenschürze ab und schenkte Jack, der am Fußboden spielte, ein strahlendes Lächeln. „Einiges haben wir aus dem Sozialkaufhaus. Es ist nicht viel, aber er soll sich ja nicht langweilen.“

„Er freut sich, wie du siehst. Ihr hättet euch nicht so viel Mühe machen sollen.“

„Ach, das war keine Mühe! Das tut man eben für die Familie. Seid ihr schon eingezogen? Was haltet ihr von eurem neuen Zuhause?“

„Oh, die Wohnung ist sehr modern. Sehr schick.“

„Daniel hat hart daran gearbeitet.“

„Daniel?“

„Dr. Prior. Euer Vermieter.“

Als der Name fiel, fühlte sie, wie ihre Wangen warm wurden. „Oh, natürlich.“ Stacey blickte zu Jack hinunter, der gerade einen Karton mit Puzzleteilen auf dem Boden ausleerte. Das Bild auf der Schachtel war ein Gruppenbild bekannter Zeichentrickfiguren. „Du hast nie erwähnt, dass er in meinem Alter ist. Und so gut aussieht“, fügte sie hinzu.

„Habe ich nicht?“, antwortete ihre Gran mit Unschuldsmiene. „Muss mir entfallen sein. Kann ich dir einen Tee anbieten, Stacey? Oder Kaffee?“

„Tee wäre wundervoll, danke. Wir hatten noch keine Zeit zum Einkaufen, deshalb habe ich nichts im Haus.“

„Oh, unsere Schränke sind voll! Nimm bitte etwas mit, bis ihr euch versorgt habt.“

„Danke, Gran, aber ich möchte euch nichts wegnehmen.“

„Unsinn, Liebes. Ich packe dir gleich eine Tasche.“ Ihre Großmutter eilte zurück in die Küche.

Stacey sah ihren Großvater an. „Immer noch für andere da.“

Er lächelte und nickte. „Ja, das hat sich nicht geändert. Deine Gran hat schon immer gern für andere gesorgt.“

„Macht ihr eben Freude.“

„Wie bei deinem Doktor. Sie …“

In dem Moment kehrte Gran zurück, und Staceys Großvater verstummte, als Genevieve sich zu ihrem Urenkel setzte, um ihm bei seinem Puzzle zu helfen.

Stacey fragte sich, was ihr Grandad hatte sagen wollen. Meinte er Dr. Prior? Den Adonis von Greenbeck? Wie hatte ihre Gran ihm geholfen? Und warum? Er schien ein Mann zu sein, der selbst für sich sorgen konnte. Außerdem etwas reserviert und sicher nicht der Typ, der Hilfe annahm. Vor allem nicht von einer älteren Dame.

Ich muss ihn missverstanden haben.

„Oh, wie sehr hat es mir gefehlt, ein Kind im Haus zu haben!“, sagte Gran.

„Dann gewöhne dich besser wieder daran – er wird oft hier sein.“

„Wann ist sein erster Schultag? Am Montag?“

„Ja. Und ich fange am selben Tag in der Praxis an.“

„Hast du ihnen alles erklärt? Wissen Sie, was an seiner letzten Schule passiert ist?“

Bedrückende Erinnerungen an jene Zeit tauchten auf. „Ja, sie wissen Bescheid.“

Gran streckte die Hand aus und berührte Stacey am Knie. „Er wird sich an unserer Grundschule wohlfühlen. Nette Kinder, aufmerksame Lehrkräfte, kleine Klassen. Dort ist er gut aufgehoben, du wirst schon sehen.“

„Ich hoffe es.“

Die Hänseleien und Schikanen, denen Jack ausgesetzt war, hatten ihren Sohn in eine tiefe Depression gestürzt. Das Feuermal, das er von Geburt an auf seinem Bauch hatte, wurde Zielscheibe gehässiger Bemerkungen und mehr. Jack mochte nicht mehr zur Schule gehen, klagte über Kopf- oder Bauchschmerzen und wurde von Tag zu Tag stiller. Der Moment, als er sagte, er wünschte, er wäre tot, fuhr ihr wie ein Messer ins Herz.

Erst kurz zuvor war durch die Nachrichten gegangen, dass sich ein Junge wegen Online-Mobbing das Leben genommen hatte. Stacey musste ihren Sohn beschützen. Er hatte schon seinen Vater verloren, und jetzt drohte ihm auch eine unbeschwerte Kindheit gestohlen zu werden. Natürlich wollte sie vor dem Problem nicht davonlaufen, aber sie hatte Angst und war allein, sodass sie sich nach familiärer Geborgenheit sehnte. Sie beschloss, für immer in ihren Heimatort zurückzukehren. In der Hoffnung, dass die Schule, an der sie selbst so glücklich gewesen war, ihr den unbefangenen Jungen zurückbrachte, der Jack einst gewesen war.

„An der Greenbeck Juniors gab es nie Probleme. Er wird gern hingehen. Nicht wahr?“, wandte sie sich aufmunternd an ihren Urenkel.

Jack blickte sie nur unsicher an und zuckte mit den Schultern.

„Es macht nichts, wenn du am ersten Tag nervös bist. Deiner Mutter wird es wahrscheinlich genauso gehen.“

„Die ersten Tage sind nie einfach“, ergänzte Stacey. „Aber sobald man sie hinter sich hat, wird alles leichter.“

Der Junge wirkte nicht überzeugt. Wahrscheinlich dachte er, dass die neuen Kinder nett zu ihm sein würden, bis er sich für den Sportunterricht umzog und sie sein Feuermal entdeckten. Und dann würde alles von vorn losgehen. Was sollte sie dann tun? Ihn zu Hause unterrichten? Aber wie? Sie musste arbeiten, wovon sollten sie sonst leben?

„Nichts gehört von …?“ Ihr Großvater nickte in Jacks Richtung, und Stacey wusste, dass er dessen Vater meinte. Jerry.

„Nein. Ich dachte, er meldet sich vielleicht, nachdem ich ihm mitgeteilt hatte, dass wir umziehen. Fehlanzeige.“

Grandad schüttelte entrüstet den Kopf. „Unfassbar.“

Ihre Großeltern waren von ihrer ersten Begegnung mit Jerry an keine großen Fans von ihm gewesen. Aber sie behielten ihre Bedenken für sich, als sie ihn geheiratet hatte. Sie unterstützten sie, trauten ihr zu, die für sie richtigen Entscheidungen zu treffen. Und als ihre Ehe Monate später, nachdem Stacey schwanger geworden war, in die Brüche ging, waren sie wieder für sie da. Nahmen sogar eine Zugreise nach Edinburgh auf sich, um zwei Wochen bei ihr zu bleiben. Vorwürfe hatten sie ihr nie gemacht. Schuld war immer nur Jerry.

„Vergessen wir die Vergangenheit. Wir machen einen neuen Anfang, und es wird alles gut“, sagte Stacey, um sie, aber auch sich selbst davon zu überzeugen.

„Natürlich, Liebes“, antwortete Grandad. „Es wird alles gut.“

Überwältigt von der Liebe, die sie für die beiden empfand, lächelte Stacey und wünschte sich, dass ihre Träume für Jacks und ihre Zukunft in Erfüllung gingen.

2. KAPITEL

„Und das ist wohl Jack?“

Eine junge Frau, die ihr blondes Haar oben auf dem Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, kam auf Stacey und Jack zu, während sie im Pausenhof darauf warteten, dass das Klingelzeichen ertönte.

„Ich bin Miss Dale, deine neue Klassenlehrerin. Ich dachte, ich nehme dich einmal mit und zeige dir dein Klassenzimmer, bevor die anderen Kinder hereinstürmen. Was meinst du?“ Lächelnd hielt sie ihm die Hand hin.

Fragend blickte Jack zu Stacey hoch. Sie nickte lächelnd, und er ließ sich von seiner Lehrerin an die Hand nehmen.

„Seine Großeltern holen ihn bei Schulschluss ab?“

„Ja.“

„Perfekt. Ich bringe Jack zu ihnen und gebe eine Rückmeldung, wie sein erster Tag verlaufen ist. Aber ich bin sicher, dass er sich schnell bei uns einlebt. Verabschiede dich von deiner Mum, Jack. Ihr seht euch später wieder.“

„Bye, Mum.“ Er winkte flüchtig.

Sie merkte ihm an, wie unruhig er war. Jack verband Schule nur mit schlechten Erinnerungen. Er hatte es nie anders erlebt.

„Bye“, sagte sie und wollte ihm so viel mehr zurufen. Viel Spaß! Finde rasch Freunde! Hab keine Angst! Doch sie schwieg und sah schweren Herzens zu, wie er weggeführt wurde.

Wenn es an dieser Schule wieder losging …

Stacey stieg in ihren Wagen, fuhr das kurze Stück zur Greenback Surgery und parkte auf einem der Arztparkplätze. Sie sah an dem modernen Gebäude hoch und fragte sich wieder, ob sie das Richtige getan hatte. Nach all dieser Zeit wieder hierherzukommen … War es richtig, wegzulaufen? War es richtig, zurückzugehen?

Ich werde es bald herausfinden.

Wenn Jack sich den Herausforderungen stellte, konnte sie es auch. Auf sie wartete ein Team, das bald, so hoffte sie, so etwas wie eine Familie werden würde. Dr. Zach Fletcher, mit dem sie per Videocall das Vorstellungsgespräch geführt hatte. Und Dr. Prior. Beide Männer sahen verboten gut aus, eher wie Ärzte in einer dramatischen Krankenhausserie zur besten Sendezeit und nicht, wie man sie im wirklichen Leben erwartete.

Stacey warf einen prüfenden Blick in den Rückspiegel, trug Lippenbalsam auf, nahm ihre Sachen und stieg aus. Sie holte tief Luft und machte sich auf den Weg in die Praxis. Schon trafen die ersten Patienten ein. Eine ältere Dame schob ihren Rollator auf die Türen zu, die automatisch auseinanderglitten.

Du schaffst das!

So schwer konnte es nicht sein. Schließlich hatte sie schon viele erste Tage gemeistert. Den ersten Tag an der Uni. Den ersten Tag im Krankenhaus. Das erste Examen. Ihre erste Bewerbung als Allgemeinärztin. Den ersten Arbeitstag. Du weißt, wie es geht! Allerdings schien es diesmal wichtiger als je zuvor, dass dieser erste Tag gut verlief.

Sie straffte die Schultern und betrat die Praxis. Hinter dem Empfangstresen aus massiver Eiche saßen drei Frauen unterschiedlichen Alters. Eine nahm Patienten auf, eine telefonierte, und die dritte blätterte durch einen Stapel Rezepte.

Stacey stellte sich in die Warteschlange, wurde jedoch bald darauf von dem Mann entdeckt, der das Bewerbungsgespräch geführt hatte. Dr. Zach Fletcher.

„Dr. Emery! Ich freue mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen!“ Leicht zerzaustes braunes Haar, ein breites Lächeln, blitzende Augen – der sympathische Kollege streckte ihr zur Begrüßung die Hand hin.

„Ich mich auch, Dr. Fletcher!“ Sie schüttelte ihm die Hand.

„Kommen Sie mit durch, ich stelle Ihnen unser Team vor.“

Sie nickte und folgte ihm den Flur hinunter in den Personalraum. Normalerweise sah sie in solchen Aufenthaltsräumen Stühle mit ominösen Flecken und zusammengewürfelte Tische und Sofas. Doch dieser war hell und modern eingerichtet, mit weichen limonengrünen Sesseln, cremefarbenen Zierkissen und einem niedrigen Tisch, auf dem eine Schale mit frischem Obst und eine große Karaffe Wasser standen. Die kleine Küchenzeile war mit Geschirrspüler, Mikrowelle und – am wichtigsten von allem – einem Wasserkocher ausgestattet.

Vier Menschen hielten sich außer ihnen im Raum auf. Eine schöne junge Frau in dunkelblauer Krankenschwesternkleidung, eine Krankenpflegehelferin in blassgrauer Kleidung, eine junge Dame in blassblauem Kittel und Hose und … Dr. Prior.

Er stand am Fenster, eine Zeitschrift in der Hand, und nickte ihr wortlos zu. Sie nickte ebenfalls und war plötzlich wieder nervös.

„Daniel kennen Sie ja bereits. Rachel ist unsere Krankenpflegehelferin, Shelby unser fest angestellter Vampir und Hannah unsere neue Fachkrankenschwester – sie hat heute auch ihren ersten Tag bei uns.“

Stacey lächelte in die Runde und Hannah sogar etwas länger an. Vielleicht konnten sie sich später gegenseitig ihre Erstlingsnervosität nehmen?

„Möchten Sie etwas trinken? Tee? Kaffee?“, fragte Zach.

„Tee, bitte.“

„Milch und Zucker?“

„Nur Milch, danke.“

Nachdem sie ihren Tee getrunken und Zach ihr die Sprechzimmer gezeigt hatte, führte er sie ins Büro, wo er sie der Praxismanagerin vorstellte, die auch beim Bewerbungsgespräch dabei gewesen war. Danach lernte sie das Verwaltungsteam kennen. Schließlich ging es zurück zum Empfang, und auch dort machte Zach sie mit allen bekannt.

Alle waren freundlich und hießen sie herzlich willkommen. Ihre Anspannung legte sich allmählich. Ihr Sprechzimmer lag in der Mitte zwischen Zachs und Daniels. Die Behandlungszimmer der Krankenschwester und der Phlebotomistin waren am Ende des Korridors.

Zach begleitete sie zurück zu ihrem Zimmer, an dem auf einem Schild bereits ihr Name stand. „Wir haben Ihnen in der ersten Woche zwanzig Minuten pro Patient eingetragen – bis Sie mit dem Praxisbetrieb richtig vertraut sind.“

„Perfekt, danke.“

„Falls Sie Fragen haben oder sich nicht sicher sind … kommen Sie gern jederzeit auf mich oder Daniel zu.“

Stacey nickte, und dann war er weg, nicht ohne ihr noch einmal sein umwerfendes Lächeln zu schenken. Sie atmete tief aus, sank auf ihren Schreibtischsessel und fuhr den PC hoch. Geschafft. Sie hatte Daniel Prior wiedergesehen, und es war gar nicht schwierig gewesen. Bei all den neuen Informationen, den vielen Namen, die sie sich merken musste, hatte sie gar keine Gelegenheit gehabt, ihrem attraktiven Kollegen und Vermieter auch nur einen Blick zuzuwerfen.

Aber er ist nur eine Tür weiter, wenn ich ihn brauche.

Sie holte ihr Stethoskop hervor, überprüfte die Batterien ihres Blutdruckmessers, inspizierte ihr Otoskop und sah sich die Patientenliste an. Am Vormittag acht Termine und vier am Nachmittag. Gleich nach dem Mittagessen war ein Teamtreffen anberaumt. Hausbesuche standen heute nicht an. Wie es aussah, hatte Zach sie in dieser Woche davon ausgenommen. Sie rechnete es ihm hoch an, dass er ihr Zeit gab, sich einzugewöhnen, bevor sie ihr volles Arbeitspensum übernehmen musste.

Ihr erster Patient war Mr. Elgin, 86 Jahre alt. Der Name kam ihr bekannt vor, ohne dass sie wüsste, woher. Sie las seine Krankengeschichte, studierte seine Medikation und drückte dann auf den Knopf, der Mr. Elgin im Wartezimmer aufrufen würde.

Jetzt fühlte sie sich sicher. Das war ihr Metier.

Sie konnte nur hoffen, dass sich Jack auch sicher fühlte …

Ihr letzter Patient an diesem Vormittag war eine junge Frau namens Sarah Glazer. Sie hatte sich den Termin erst heute Morgen geben lassen und am Telefon gesagt, dass sie starke Bauchkrämpfe hätte. Schlimmer als die Symptome, die sonst durch ihr Reizdarmsyndrom verursacht wurden.

Das Team am Empfang hatte Stacey eine Nachricht auf den Bildschirm geschickt. Man habe Sarah ein Glas Wasser gegeben und sie in einem Nebenzimmer untergebracht, weil es ihr wirklich nicht gut ginge. Ihre Krämpfe waren so stark, dass sie kaum im Wartebereich sitzen konnte.

Stacey ging los, um die Patientin abzuholen, und sah, dass Sarah an der Wand lehnte, das Gesicht schmerzverzerrt, während sie sich den Unterbauch rieb.

Regelschmerzen?

Ihre Patientenakte gab nichts Auffälliges her. Keine Menstruationsprobleme, keine Endometriose. Weder chirurgische Eingriffe noch besondere Verletzungen. Sie war lediglich vor zwei Jahren in der Praxis gewesen, um sich für ihre Afrikareise impfen zu lassen. Eine späte Windpockeninfektion, eine Grippe und die Diagnose Reizdarmsyndrom. Das war alles. Könnte es Morbus Crohn sein? Divertikulitis?

„Kommen Sie bitte mit in mein Behandlungszimmer, Sarah. Wollen Sie sich auf mich stützen?“

Sarah nickte und hakte sich bei ihr unter, um die wenigen Schritte zum Sprechzimmer zu laufen. Stacey half ihr, sich hinzusetzen, obwohl Sarah nicht den Eindruck machte, als wollte sie sitzenbleiben. Sie bewegte sich unruhig, verzog das Gesicht.

„Okay, erzählen Sie, was passiert ist.“

„Heute Morgen fingen die Schmerzen an, und ich dachte, ich kriege meine Tage. So schlimm war es noch nie, sie kommen in Wellen und werden stärker.“

„Könnten Sie schwanger sein?“

Sarah lachte. „Nein, das glaube ich nicht.“

„Aber Sie sind sexuell aktiv?“

„Ja, ich habe einen Freund. Wir wohnen bei seinen Eltern.“ Wieder verzerrte sie das Gesicht. „Oje, es geht wieder los.“ Aufstöhnend rieb sie sich den Bauch.

Eine Nierenkolik, durch Nierenstein hervorgerufen? Oder eine schwere Infektion? Stacey brauchte mehr Informationen. „Meinen Sie, Sie können ein Urinprobe abgeben?“

„Ich weiß nicht, ich versuch’s …“

„Verspüren Sie ein Stechen oder Brennen beim Wasserlassen?“

„Nein. Aber vor ein paar Stunden habe ich etwas Komisches ausgeschieden.“

„Können Sie es genauer beschreiben?“

„Es war … Keine Ahnung. Wie ein Schleimklumpen? Ein bisschen blutig.“

Das klang nach dem Schleimpfropf, der vom Muttermund abging, wenn eine Geburt einsetzte. Doch Sarah hatte keinen sichtbaren Schwangerschaftsbauch. Könnte sie tatsächlich schwanger sein? Wehen haben?

„Ich werde Sie untersuchen, Sarah. Können Sie sich auf die Liege legen, damit ich Ihren Bauch abtasten kann?“

„Ich versuche es …“

Sarah stöhnte auf, als sie sich erhob, und atmete heftig gegen einen neuerlichen Schmerz an. Als die junge Frau auf der Untersuchungsliege lag, tastete Stacey das Abdomen ab und war sicher, dass ein voll entwickeltes Baby im Bauch der Patientin versteckt war. Sie hatte davon gehört, aber nie selbst erlebt, dass eine Frau keine sichtbaren Zeichen und keine Ahnung von ihrer Schwangerschaft hatte.

„Haben Sie regelmäßig Ihre Periode gehabt?“

„Ja, allerdings nur schwach.“

„Irgendwelche merkwürdigen Empfindungen in Ihrem Bauch?“

„Nein. Na ja … vielleicht … Oft Blähungen.“

„Ich müsste eine innere Untersuchung vornehmen, ist das okay?“

„Was glauben Sie, stimmt nicht mit mir?“

„Sarah, ich denke, dass Sie – dies wird Sie erst einmal schockieren – in den Wehen liegen und gleich ein Kind zur Welt bringen.“

„Was?“ Sie keuchte auf, und schon kam die nächste Wehe, und Sarah atmete sich schwer hindurch. „Nein, das ist unmöglich!“

„Doch, das ist möglich. Darf ich Sie untersuchen?“

Sarah nickte und zog Jeans und Slip aus. Stacey wusch sich die Hände, streifte Handschuhe über und richtete das Licht aus, das sie bei vaginalen Untersuchungen nutzte. Sofort sah sie das Babyköpfchen im Geburtskanal.

Die Geburt würde nicht mehr lange dauern! „Ich kann den Kopf fühlen, Sarah. Ihr Muttermund ist vollständig geweitet.“

„Was? Nein!“

„Ich fürchte, doch. Bleiben Sie bitte liegen.“

Stacey riss sich die Handschuhe herunter, beugte sich über ihren PC und schickte eine Nachricht auf die Bildschirme von Daniel und Zach, dass sie Unterstützung bräuchte. Dann ging sie zu Sarah zurück.

„Da ich nichts zur Schmerzlinderung dahabe, das ich Ihnen geben könnte, müssen Sie sich durch die nächsten Wehen atmen.“

„Wehen? Ist das Ihr Ernst? Ich bin schwanger?“

Stacey nickte, fast genauso schockiert wie Sarah. „Ja, es ist mein voller Ernst.“ Sie reichte ihr die Hand, um ihr Halt zu geben.

Es klopfte kurz an die Tür, und dann trat jemand ein. Zach.

„Was kann ich tun?“

„Rufen Sie bitte einen Krankenwagen.“

„Ich gebe das an den Empfang weiter.“

Während er davoneilte, kam Daniel herein. „Hey, Sarah.“

„Hallo, Doc.“

„Große Neuigkeiten, hm?“

„Das können Sie laut sagen!“

Daniel lächelte sie an. „Soll ich Luke Bescheid sagen?“

Sarah nickte.

„Ist er der Kindsvater?“, fragte Stacey.

„Ja … Oh, hier kommt wieder eine!“

„Holen Sie tief Luft und pressen Sie. Glauben Sie mir, pressen hilft.“

Sarah verzog das Gesicht, als sie sich darauf konzentrierte, ihrem Kind auf die Welt zu helfen – von dem sie bis vor wenigen Minuten nichts gewusst hatte.

Daniel beendete seinen Anruf.

„Was haben Sie ihm gesagt?“, wollte Sarah wissen.

„Nur, dass er so schnell wie möglich herkommen soll.“

„Haben Sie das Baby erwähnt?“

„Nein.“

„Oh …!“ Sarah begann wieder zu pressen.

Daniel zog Handschuhe an, und Zach kam wieder herein. „Der Rettungswagen ist unterwegs. Daniel? Ich übernehme deinen letzten Patienten, damit die Sprechstunde weitergeht.“

„Danke dir.“

Dann waren sie wieder zu dritt.

„Und Sie hatten nicht die geringste Ahnung?“, fragte Stacey die werdende Mutter.

Sarah schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hatte die ganze Zeit meine Tage! Ich fühlte mich zwar ein bisschen aufgebläht, aber ich dachte, dass es an meinem Darm liegt. Ich war auf Keto-Diät, und jemand hat mir erzählt, dass das dabei vorkommen kann.“ Sie atmete scharf ein, als wieder eine Kontraktion kam.

„Ich kann das Köpfchen sehen, Sarah“, sagte Daniel.

Stacey überlegte, wann sie zuletzt bei einer Geburt geholfen hatte. Vor zwei, drei Jahren? Als Allgemeinärztin wurde sie selten damit konfrontiert. Aber die wenigen Male waren Standard-Entbindungen gewesen. Die Mütter wussten, dass sie ein Kind erwarteten, und hatten die Schwangerschaft in den meisten Fällen genossen. Ihre Bäuche waren rund geworden, sie hatten keine Periode mehr und die Kindsbewegungen deutlich gespürt. Entbunden hatten sie entweder zu Hause oder in der Geburtsklinik.

Aber das hier erlebte sie zum ersten Mal!

Sie war froh, dass Daniel ihr half. Er strahlte Ruhe und Sicherheit aus, genau das, was man in einer Krisensituation brauchte.

„Oh, tut das weh!“

„Sie machen das wunderbar, Sarah. Weiteratmen, immer schön weiteratmen.“

„Leicht pressen … noch einmal … Sehr gut … und hecheln!“

Sarah begann zu keuchen wie eine Dampflok, und Stacey sah, wie der Kopf des Babys austrat. Dichter Haarschopf, das Kind wirkte voll entwickelt. Natürlich würden sie erst im Krankenhaus sicher sein, nachdem es gemessen und gewogen worden war, aber bisher schien alles in Ordnung zu sein.

„Perfekt! Jetzt ein letztes Mal kräftig pressen!“

Das Baby – ein Junge – glitt in Daniels Hände, und er legte es Sarah auf den Bauch.

Stacey breitete eine Decke über dem Kleinen aus, um ihn warm zu halten. Sarah brach in Tränen aus. „Oh, mein Gott, ein Baby, mein Baby! Was ist es?“

„Sehen Sie nach.“ Daniel lächelte.

Sarah hob eins der Beinchen an. „Ein Junge!“ Sie lachte hell und glücklich auf, und im selben Moment stieß er einen Schrei aus, als wollte er in das Lachen seiner Mama einstimmen.

Stacey sah Daniel an, und er lächelte sie an. Ihr war, als hätte ihr jemand in den Magen geboxt. Es war nicht nur das freundlichste Lächeln, das Daniel ihr seit ihrer Ankunft geschenkt hatte, sondern es machte ihr auch bewusst, wie sie sich von ihm angezogen fühlte. Weil ihr Puls jetzt heftiger schlug als während der aufregenden Entbindung!

Sie brach den Blickkontakt und rieb das Baby sanft, um es zu wärmen und sich davon abzulenken, wie sehr ihr Daniels Lächeln unter die Haut ging.

Hatte er gemerkt, welche Wirkung es auf sie hatte? Hoffentlich nicht! Stacey war nicht auf eine Beziehung aus – und selbst, wenn sie es wäre, würde sie nicht wieder etwas mit einem Kollegen anfangen. Die Erfahrung mit Jerry hatte ihr gereicht! Nach dem Bruch war es äußerst schwierig gewesen, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Jemand klopfte, und Stacey ging hin, um zu öffnen. Vor ihr stand ein junger, sichtlich verwirrter junger Mann.

„Ich suche Sarah.“

„Sind Sie Luke?“

Er nickte.

„Holen Sie tief Luft, Luke.“

Sie trat beiseite, sodass er ins Zimmer sehen konnte. Sein Blick fiel sofort auf Sarah, und er lächelte – bis er das quäkende Bündel in ihren Armen entdeckte.

„Was … was ist passiert?“

„Sarah hat ein Baby bekommen“, erklärte Daniel. „Sie sind Eltern geworden.“

„Es ist ein Junge, Luke. Unser Sohn!“

Stacey beobachtete ihn aufmerksam, nur für den Fall, dass er ohnmächtig werden sollte. Aber der frisch gebackene Vater hielt sich tapfer. Kein Schwindelanfall, keine Abwehr … er trat einfach ans Bett, so fasziniert und glücklich wie seine Freundin.

„Wow! Oh, Babe …“

Stacey warf einen Seitenblick auf Daniel. Sein sanftes Lächeln wärmte ihr das Herz. Sie sah aufrichtige Freude, Wärme und Zufriedenheit – bis er ihren Blick bemerkte. Sofort veränderte sich seine Miene.

Als hätte sie ihn bei verbotenem Glück ertappt, hörte er auf zu lächeln und überprüfte, wieder ganz der geschäftige Arzt, Sarahs Uterusblutungen.

Seltsam. Aber es ging sie nichts an. Warum war sie wie gebannt, wenn sie ihm in die schokoladenbraunen Augen schaute? Warum wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie in eine verletzte Seele blickte? Warum berührte es ihr Herz so sehr? Zog sie zu ihm hin?

Warum kann ich nicht aufhören, ihm Blicke zuzuwerfen?

Sirenengeheul war zu hören. Froh darüber, Abstand zwischen Daniel und sich bringen zu können, ging Stacey nach draußen, um den Paramedics den Weg zu weisen.

Sie führte die beiden jungen Frauen durch die Praxis zu ihrem Sprechzimmer, als würde sie so etwas jeden Tag machen. Und dabei war es ihr erster Tag! Was für ein Start! Das würde sie bestimmt nie vergessen.

„Die Plazenta ist noch nicht draußen“, sagte Daniel, als die Notfallsanitäterinnen übernahmen und der Patientin von der Untersuchungsliege auf die Fahrtrage halfen.

„Danke, Dr. Emery, danke, Dr. Prior“, sagte Sarah.

„Keine Ursache. Sie haben die ganze Arbeit gemacht.“

„Haben Sie schon einen Namen für Ihren Kleinen?“, fragte eine der Paramedics.

„Ich weiß nicht … es ist alles noch so unwirklich.“ Sarah blickte zu ihrem Freund hoch, und Luke drückte ihr beruhigend die Schulter.

„Alles Gute für Sie“, sagte Stacey.

Die Paramedics rollten ihre Patientin aus dem Raum, und Stacey begleitete sie nach draußen.

Sobald die Hecktüren geschlossen waren und der Rettungswagen davonfuhr, kehrte Stacey ins Gebäude zurück.

„Sie wissen wirklich, wie man einen Einstand gibt!“, meinte Francesca vom Empfang lächelnd.

„Oh ja!“ Stacey atmete tief aus und ließ die Schultern sinken. Als sie ihr Sprechzimmer betrat, war Daniel noch da und dabei, die Untersuchungsliege wieder sauber herzurichten.

„Oh, danke! Das hätten Sie nicht machen müssen.“

„Ist schon okay.“

„Es ist wirklich nett von Ihnen, danke. Danke auch für Ihre Hilfe.“

Dank schien er nicht gewohnt zu sein. Und Komplimente schon gar nicht. Er wirkte verlegen. „Kein Problem.“

Sprach’s und ging.

Stirnrunzelnd sah sie ihm nach. Ein verwirrender Mann. Ein Mann, der eine Frau in Schwierigkeiten bringen konnte. Das hatte sie schon gespürt, als sie ihn im Buttered Bun das erste Mal sah. Und jetzt verstärkte sich dieses Gefühl noch.

Zum einen wirkte er unbehaglich, konnte nicht schnell genug von ihr wegkommen. Zum anderen erlebte sie ihn als passionierten Arzt. Ruhig, vertrauenerweckend, kompetent. Erst lächelte er sie an, als das Baby da war, nur um beim nächsten Mal, als sich ihre Blicke trafen, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen.

Er schien ein komplizierter Mann zu sein, schleppte vielleicht Altlasten aus der Vergangenheit mit sich herum. Aber sie hatte ihr eigenes Päckchen zu tragen und würde sich nicht noch eins aufhalsen. Was auch immer Dr. Prior beschäftigte, sollte sein Problem bleiben. Sie würde einen Bogen um ihn machen.

Aber diese Augen … Dunkel. Intensiv. Augen, die dich magnetisch anzogen, dich nicht mehr losließen, bis du in ihnen versinken wolltest.

Gefährliche Augen.

Doch anscheinend war er nicht gern mit ihr in einem Raum. Vielleicht mag er mich nicht? Oder er gehört zu den Typen, die etwas länger brauchen, um mit neuen Kollegen und Kolleginnen warm zu werden?

Nein. Es steckte etwas anderes dahinter.

Stacey war es gewohnt, dass die Leute sie mochten. Sie wollte nicht angeben, aber man sagte ihr oft, wie leicht es wäre, mit ihr zu reden. Auch das machte sie zu einer guten Ärztin. Patienten vertrauten ihr.

Andererseits hatte er ihr auf bewundernswerte Weise bei der Geburt geholfen.

Sie ertappte sich beim Lächeln, als sie sich an ihren PC setzte, um ihre Notizen zu Sarah Glazer einzugeben.

Wie er in aller Ruhe die Ärmel aufgekrempelt, sich Handschuhe angezogen und sich auf die Entbindung konzentriert hatte … Ein wirklich kühler Kopf auf diesen Schultern. Und was für Schultern! Breit, muskulös.

Er hält sich fit.

Sicher gab es eine Mrs. Prior. Oder eine, die es bald sein würde. Nur, weil sie ihr im Cottage nicht begegnet war, hieß das nicht, dass er Single war. Ein Mann wie Daniel blieb nicht lange allein – sie hatte die Kellnerin im Café beobachtet und auch die anerkennenden Blicke der Notfallsanitäterinnen gesehen. Auch war ihr nicht entgangen, wie die junge Krankenschwester errötete, wenn er an ihr vorbeiging.

Frauen nahmen Männer wie Daniel Prior deutlich wahr.

Er war bestimmt längst vergeben.

Also brauchte sie sich seinetwegen keine Sorgen zu machen.

3. KAPITEL

Ein langer, aufregender Tag lag hinter ihr. Stacey packte ihre Sachen zusammen, um in die Blossom Lane zu ihren Großeltern zu fahren. Sie war gespannt, ob Jack von seinem ersten Tag genauso begeistert war wie sie.

Bevor sie die Praxis verließ, klopfte sie kurz bei Dr. Fletcher an und steckte den Kopf ins Zimmer. „Hey. Wollte mich nur verabschieden. Danke für Ihre Hilfe heute.“

„Wie fanden Sie Ihren ersten Tag?“

Auch Zach war ein attraktiver Mann mit einem humorvollen Blitzen in den Augen, aber sie fühlte nichts, wenn sie ihn ansah oder mit ihm sprach – nicht so wie bei Daniel.

„Sehr gut! Ein verrückter Start mit dieser Geburt, aber nein … alles gut. Haben Sie noch viel zu tun?“

„Nur zehn Verschreibungen, dann bin ich fertig. Haben Sie heute Abend etwas Nettes vor, oder legen Sie zu Hause die Beine hoch?“

„Ich fahre zu meinen Großeltern, um meinen Sohn abzuholen.“

„Ach ja, Sie haben sie schon erwähnt. Genevieve und William Clancy, stimmt’s? Ich kenne sie gut!“

Sie lächelte. „Hoffentlich nur im positiven Sinn.“

Zach lachte. „Auf jeden Fall. Ein wunderbares Paar. Sie kümmern sich sehr um Menschen, die Hilfe brauchen oder einfach nur jemanden zum Reden.“

„Gran hat schon immer Streunern ein Zuhause gegeben.“

„Ja, tatsächlich“, meinte er bedeutungsvoll. „Nun, wir sind froh, Sie endlich bei uns zu haben, Stacey. Bis morgen.“

„Ja, bis morgen.“

Sie schloss die Tür, ging zu Daniels Büro und holte tief Luft. Sie hoffte, dass er schon nach Hause gegangen war, um sich eine unbehagliche Unterhaltung zu ersparen. Doch als sie lauschte, hörte sie ihn drinnen tippen.

Stacey seufzte, klopfte sanft und drückte die Tür auf. „Ich wollte nur kurz Gute Nacht sagen …“

Er blickte vom Schreibtisch auf, dunkle Augen richteten sich auf sie.

Ihr fiel sofort auf, wie ansprechend sein Sprechzimmer eingerichtet war. Kindliche Buntstiftzeichnungen hingen an den Wänden, und auf der Fensterbank standen viele gerahmte Fotos. Die meisten zeigten eine Frau und einen kleinen Jungen. Eindeutig seine Frau und sein Sohn. Seltsam, dass er sie bisher nicht erwähnt hatte. Daniels Frau war eine Schönheit. Langes blondes Haar mit honiggoldenen Strähnen. Große blaue Augen. Ein leuchtendes Lächeln. Sein Sohn hatte Daniels dunkles Haar, aber die blauen Augen seiner Mutter geerbt. Ein fröhlicher Junge. Stacey fragte sich, ob er vielleicht auch auf Jacks Schule ging.

„Gute Nacht.“

Sie wartete, dass er noch mehr sagte, aber er zeigte sich nicht besonders gesprächig. Wahrscheinlich wollte er sich weiter auf seine Arbeit konzentrieren.

„Danke für Ihre Hilfe heute Vormittag.“

Wieder sah er auf. Nickte.

„Ich muss los, um Jack abzuholen. Mal sehen, wie sein erster Tag war.“

„Natürlich.“

„Geht Ihr Sohn auch auf die Greenbeck Juniors?“ Stacey deutete zur Fensterbank.

Daniel öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Lächelte. „Es tut mir leid, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber über meine Familie spreche ich nicht. Und ich muss etwas auf die Zeit achten, weil ich heute Abend verabredet bin.“

„Oh! Entschuldigung, dann will ich Sie nicht länger aufhalten.“

Verwirrt blickte sie zu den Fotos hinüber. Wenn er nicht über seine Familie reden wollte, warum stellte er dann hier Bilder von ihr auf? Er musste doch damit rechnen, dass die Leute ihn darauf ansprachen. Wer sein Privatleben für sich behalten wollte, zeigte schließlich keine Fotos davon, oder?

„Etwas Nettes, hoffe ich.“

„Dinner bei einem befreundeten Paar.“

„Wunderbar. Na ja, also noch mal danke. Wir sehen uns morgen.“

„Ja. Alles Gute.“

Stacey verließ sein Zimmer. Sie wurde aus dem Mann nicht schlau....

Autor

Louisa Heaton
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Karin Baine
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Scarlet Wilson
<p>Scarlet Wilson hat sich mit dem Schreiben einen Kindheitstraum erfüllt, ihre erste Geschichte schrieb sie, als sie acht Jahre alt war. Ihre Familie erinnert sich noch immer gerne an diese erste Erzählung, die sich um die Hauptfigur Shirley, ein magisches Portemonnaie und eine Mäusearmee drehte – der Name jeder Maus...
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