Julia Ärzte zum Verlieben Band 198

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  • Erscheinungstag 14.12.2024
  • Bandnummer 198
  • ISBN / Artikelnummer 8031240198
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Louisa George

1. KAPITEL

Das Abschiedsfest war eine Katastrophe. Nicht weil niemand erschienen war, sondern weil alle hier waren, von seinem direkten Chef und ebensolchen Mitarbeitern bis zu denen in der Verwaltung, den Disponenten und dem obersten Chef.

Entweder waren sie alle traurig, weil er ging, oder sie betrachteten es als Vorwand für ein Besäufnis. Jedenfalls war die Bar überfüllt, und der Geräuschpegel setzte ihm zu. So ging es ihm immer. Er fühlte sich eher wie ein Zuschauer. Als würde er seinen Körper verlassen und sich von oben betrachten, wie er hier im ersten Stock einer überfüllten Bar in Auckland mit Blick auf den Viaduct Harbour saß, einem exklusiven Jachthafen, unter Menschen, die er vermutlich nie wiedersehen würde.

Offenbar hatte er zu viel von dem hervorragenden Craftbier getrunken. Zeit, sich diskret zu verdrücken.

Er wollte aufstehen, doch Lewis, sein Chef, leitender Notfallsanitäter und guter Freund, klopfte ihm auf den Rücken. Er schwankte, und sein Blick war glasig – ein weiteres Opfer des Biers. „Brin, Kumpel. Können wir dich nicht überreden, noch zu bleiben?“

Brin lachte. „Wenn du mit den Leuten von der Einwanderungsbehörde sprichst und sie überreden kannst, mir ein neues Visum herzuzaubern, wäre es toll. Ich liebe Neuseeland.“

„Aber es reicht nicht für einen unbefristeten Job? Sie stellen doch kein Visum für einen Zeitvertrag aus.“

Brin zuckte die Schultern. Er hatte seine Gründe dafür, immer auf Achse zu sein. „Vielleicht komme ich ja zurück. Aber ich muss erst etwas mehr von diesem Teil der Welt sehen.“

„Die Australier können sich glücklich schätzen. Aber es wird hier immer einen Job für dich geben.“

„Mach’s gut, Kumpel. Danke.“ Brin stand auf und tat so, als würde er zur Toilette gehen. Doch sobald er außer Sichtweite war, hielt er sich links, fuhr mit dem Aufzug nach unten und betrat den Fußgängerbereich mit Bars, Restaurants und Hotels, wo er tief durchatmete.

Er war nicht gut im Abschiednehmen. Hatte irgendjemand etwas gemerkt? Brin sah nach oben. Nein. Er schob die Hände in die Taschen und ging zu seinem schicken Hotel – für die letzte Nacht hatte er es sich gegönnt.

Der erste Schlag traf ihn in den Bauch.

Der zweite gegen die rechte Hüfte.

Was, zum Teufel …?

Mit geballten Fäusten wirbelte er herum, konnte allerdings keinen Angreifer entdecken. Er atmete tief durch.

Verdammt, tat das weh!

Dann hörte er ein Stöhnen. Eine Frau lag vor ihm auf dem Boden. Sie musste gestolpert und mit ihm zusammengeprallt sein. Sie trug ein schimmerndes silberfarbenes Kleid und verführerische Stilettos.

Brin hockte sich vor sie. „He, alles in Ordnung? Verdammt, tut mir leid. Ich habe nicht aufgepasst …“

„Tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst“, sagte sie im selben Moment.

Schnell musterte er sie. Sie schien unverletzt zu sein. Und offenbar hatte sie anders als er keine Atembeschwerden. „Schreien Sie, wenn irgendetwas wehtut.“

„Nur mein Ego.“ Aus großen braunen Augen blickte sie ihn an, die vollen, geschminkten Lippen leicht geöffnet. Dann setzte sie sich hin und betrachtete ihre Beine. „Aber wenn ich eine Strumpfhose getragen hätte, wäre sie jetzt hin.“

Sie hatte wirklich schöne Beine, einen tollen Körper und ein hübsches Gesicht. Außerdem eine gesunde Bräune und blonde Locken.

Nun blickte sie nach hinten, so, wie er es eben getan hatte, als wollte er sich vergewissern, dass sie nicht verfolgt wurde.

Sein ohnehin schmerzender Magen krampfte sich zusammen. „Sind Sie in Gefahr?“

„In Gefahr, eine Geburtstagsfeier zum Dreißigsten zu verlassen, auf der gerade Tequila getrunken und auf den Tischen getanzt wird?“ Ihr Lachen war Balsam für sein Herz. „Dann bekenne ich mich schuldig.“ Die Frau deutete auf eine Bar in der Nähe. „Dahinten.“

„Offen gestanden, bin ich auch gerade auf der Flucht.“

„Oh. Lassen Sie hören.“ Sie zog ihre hochhackigen Sandaletten aus und streckte ihm die Hand entgegen.

Als er sie hochzog, fielen ihm einige Dinge auf: Sie war leicht. Ihr Duft, eine Mischung aus Jasmin und Meeresluft, umfing ihn und ließ ihn an warme Sommernächte denken. Sie ging offenbar gern barfuß, was typisch für Neuseeländer war. Und sie trug keinen Ehering.

Nun ging sie zum Geländer, lehnte sich dagegen und atmete langsam tief durch, als müsste sie sich beruhigen.

„Sind Sie wirklich nicht verletzt?“, hakte Brin nach.

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ihr Akzent … Woher kommen Sie?“

„Aus Irland.“

„Ah. Ich war mir nicht sicher, ob Sie Schotte oder Ire sind.“

„Ich kann den neuseeländischen und den australischen Akzent auch oft nicht auseinanderhalten. Und stoße damit wahrscheinlich viele vor den Kopf.“

„Allerdings.“ Entgeistert betrachtete sie ihn. „Die sind doch völlig verschieden.“

„Morgen fliege ich nach Australien. Vielleicht erkenne ich dann den Unterschied.“

Die Frau neigte den Kopf zur Seite. „Sie reisen ab? Morgen?“

„Genau. Ich habe einen viermonatigen Vertrag für Australien. Und dann … Vielleicht Asien oder Südamerika.“

Sie kniff die Augen zusammen. „Wovor laufen Sie weg, Mr. Ire?“

Ah, ja. Das. „Brin. Das wollen Sie bestimmt nicht wissen.“

Verführerisch lächelte sie. „Doch, Brin.“

„Ernsthaft, je weniger Sie über mich wissen, desto besser. Wie heißen Sie?“

Sie wandte sich ab und betrachtete die Boote. „Mi…chelle.“

Er wusste nicht, ob sie gezögert hatte oder plötzlich Schluckauf hatte. Oder sprach man den Namen hier so aus? „Also, Mi…chelle, schön, Sie kennenzulernen.“

Michelle nahm seine Hand und blickte zu ihm auf. „Ganz meinerseits, Brin, der Ire.“

Die Art, wie sie seinen Namen aussprach, ließ ihn erschauern. „Schaffen Sie es allein nach Hause, oder kann ich Ihnen helfen …?“

Ihre Miene hellte sich auf. „Ich gehe nicht nach Hause.“

„Nein? Sie sind also wirklich auf der Flucht.“

„Ich wohne dort.“ Michelle deutete auf sein Hotel. „Meine Freundin hat mir eine Luxusnacht spendiert. Ich komme nicht oft nach Portland.“

Er wusste nicht, ob er an Zufälle oder an Schicksal glaubte. Hatte sie ein Einzelzimmer? War sie Single? „Wegen Ihrer Familie?“ So konnte er Antworten auf seine Fragen bekommen.

Sie wirbelte herum, plötzlich einen argwöhnischen Ausdruck in den Augen. „Was?“

Anscheinend hatte er an einen wunden Punkt gerührt. Er wollte sie nicht noch mehr aus der Fassung bringen. Denn von dem Schlag in seinen Bauch abgesehen, fand er die Begegnung mit ihr schön. „Sie kommen nicht oft nach Auckland … weil Sie viele Kinder und einen Mann haben, den Sie über alles lieben, und auf dem Land wohnen?“

Tatsächlich wirkte sie viel zu jung, um viele Kinder zu haben. Und Familie? Als wüsste er, was das war. Wenn er an einen wunden Punkt gerührt hatte, dann bei sich selbst.

„Ja, ich wohne ländlich.“ Michelle nickte. „Keine Kinder. Kein Mann. Nein …“ Plötzlich wirkte sie erschöpft und sehr, sehr traurig. Die Lippen zusammengepresst, blickte sie aufs Meer.

Brin fragte sich, warum sie so traurig war und ob er ihr irgendwie helfen konnte. Dann überlegte er, warum er sich überhaupt solche Gedanken machte. Er war ihr gerade erst begegnet. Sie war eine Fremde – eine schöne Fremde. Und er würde am nächsten Morgen abreisen. Also hatte er nichts zu verlieren, richtig?

„Tut mir leid, wenn ich etwas Falsches gesagt habe.“ Vorsichtig berührte er sie an der Schulter. War das okay? Wahrscheinlich nicht. Also zog er die Hand wieder zurück. Unter Tränen sah sie ihn daraufhin an. „Nein. Nein, überhaupt nicht. Ich … habe wahrscheinlich nur zu viel Wein getrunken. Dann werde ich immer traurig.“

„Ja, man sollte nicht zu viel trinken. Deshalb bin ich auch weggelaufen. Jeder wollte mich auf einen Abschiedsdrink einladen, und es ist unhöflich, es auszuschlagen. Aber dann trinke ich zu viel und denke an Dinge, an die ich nicht denken sollte …“ Bilder von dem, was er in Irland zurückgelassen hatte, tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Energisch verdrängte er sie.

„Also sind wir beide auf der Flucht.“ Michelle berührte ihn am Arm und brachte ihn wieder in die Gegenwart zurück.

Also hatte er sie berührt und sie ihn, und nun ging es ihm schon viel besser. Noch immer schimmerten Tränen in ihren Augen, aber diese verrieten noch etwas – so etwas wie Schalk –, und das gefiel ihm. Sehr sogar.

Nun lächelte sie. „Wir könnten wirklich in Schwierigkeiten geraten.“

„Wenn wir Glück haben.“

Aus großen Augen blickte sie ihn an. „Ich glaube nicht an Glück. Aber ich glaube daran, dass man in genau die richtigen Schwierigkeiten geraten kann.“

Oh verdammt!

In einem anderen Leben hätte er jetzt vielleicht die Initiative ergriffen. Doch er würde am nächsten Morgen in das Flugzeug steigen, und sie wirkte wie eine Frau, die sich bestimmt mehr wünschte. Die mehr verdiente. Mehr, als er ihr geben könnte.

Nur um sicherzugehen, hakte er nach: „Was für Schwierigkeiten genau?“

Michelle beugte sich zu ihm herüber. „Ich bin mir noch nicht sicher. Aber ich schätze, wenn wir beide für eine Nacht in Auckland sind und zusammengestoßen und beide auf der Flucht sind …“ Wieder lächelte sie verführerisch. „Irgendetwas hat uns zusammengebracht. Also, warum sind wir uns heute Abend begegnet?“

„Keine Ahnung.“ Brin zuckte die Schultern. „Zufall? Schicksal?“

„Schicksal?“ Sie kicherte. „Sie glauben an all das?“

„Dass eine höhere Kraft uns in diesem Moment zusammengebracht hat?“ Nein, das glaubte er nicht. Und dennoch ergaben ihre Worte Sinn.

Lachend zuckte sie die Schultern. „Aber es wäre schade, die Schicksalsgötter gegen uns aufzubringen, wenn es sie gibt.“

Brin lachte ebenfalls. „Stimmt. Was glauben Sie, haben sie mit uns vor, Mi…chelle?“

„Ich weiß nicht.“ Mit dem Zeigefinger tippte sie sich auf die Unterlippe. „Ich versuche es gerade zu ergründen …“

„Wenn ich Ihnen dabei helfen kann, sagen Sie Bescheid.“

Nun kam sie näher, so nahe, dass er die Sommersprossen auf ihrer Nase und ihre dichten, langen getuschten Wimpern erkennen konnte. „Reden Sie mit mir, Brin.“

„Klar. Worüber?“

„Egal. Ich möchte einfach nur Ihren Akzent hören. Er …“ Michelle erschauerte und räusperte sich, als müsste sie auch einen klaren Kopf bekommen. „Er ist so melodisch und ganz anders als das, was ich gewohnt bin. Ich mag es, wie Sie klingen.“

Oh verdammt!

Heißes Verlangen flammte in ihm auf. „Ehrlich gesagt, mag ich die Art, wie Sie … alles.“

„Damit sind wir schon zwei.“ Sie legte ihm die Hand auf die Brust und kam noch näher. „Reden Sie einfach weiter … und dann sehen wir, wohin es führt.“

2. KAPITEL

Drei Jahre später …

Das Geräusch der Rotoren während des Flugs über den aufgewühlten Hauraki-Golf übertönte das wilde Pochen ihres Herzens und lenkte Mia von ihrer Panik ab.

Es war so schnell gegangen. Im einen Moment hatte sie den Verkauf des Outdoorcamps ihrer verstorbenen Eltern gefeiert, der sie finanziell abgesichert hatte. Sie hatte angestoßen und dann eine Partynacht in Auckland geplant, bevor sie ihre beste Freundin verabschiedete, die danach in ein aufregendes Abenteuer hatte aufbrechen wollen. Und im nächsten hatte sie eine schreckliche Nachricht erhalten, die ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.

Ihr geliebtes Zuhause, Rāwhiti Island, zweiundzwanzig Kilometer von der Küste Aucklands entfernt gelegen, wurde von einem Unwetter heimgesucht, und eine Passagierfähre war in einer der Buchten auf Grund gelaufen und drohte zu kentern. Sicher befanden sich Menschen darauf, die sie kannte und liebte. Aus bitterer Erfahrung wusste sie, dass die Unwetter hier katastrophale Folgen haben konnten. Häuser wurden abgedeckt, Bäume stürzten um, und der Strom fiel aus.

Menschen starben.

Ihre Tochter Harper befand sich auch auf der Insel. Das wunderhübsche kleine Mädchen, das ihr wieder einen Grund zum Leben gegeben hatte. Und sie, Mia, würde erst wieder richtig atmen können, wenn sie Harper in die Arme schloss. Sie hatte sich sofort auf den Weg gemacht, denn sie wollte nicht wieder einen Menschen verlieren.

Doch es gab mehr … so viel mehr, das sie kaum glauben konnte.

Als sie in den Rettungshubschrauber stieg, stellte sie fest, dass schon zwei Typen in grüner Rettungsdienstkleidung darin saßen. Da sie Basecaps und Headsets trugen, konnte sie ihre Gesichter kaum erkennen. Einer war allerdings unverkennbar: Er war groß und hatte kurzes schwarzes Haar … und faszinierende blaue Augen.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und ihr Magen krampfte sich zusammen.

Warum jetzt? Warum ausgerechnet heute? Warum in diesem Hubschrauber?

Offenbar arbeitete Brin als Sanitäter. Allerdings hatte er es ihr bei ihrer Begegnung vor drei Jahren nicht erzählt. Und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er genauso schockiert über das Wiedersehen wie sie. Eine starke Windbö drückte sie einige Meter tiefer. Mia schrie auf, als der Pilot den Hubschrauber wieder hochzog. Würden sie diesen Flug überhaupt überleben?

Ihre beste Freundin und Schwägerin Carly, die neben ihr saß, drückte ihre Hand.

Mia wandte den Blick von Brin ab, während sie überlegte, wo sie anfangen sollte. Wie sie ihm erklären sollte …

„Machen Sie sich auf eine unsanfte Landung gefasst“, verkündete der Pilot übers Headset.

Mia umklammerte Carlys Hand, während der Hubschrauber weiter vom Sturm geschüttelt wurde und zur Landung ansetzte. Carly war blass. Brin blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit.

„Willkommen auf Rāwhiti“, verkündete der Pilot lachend. „Viel Glück da draußen.“

Dann wurde die Tür geöffnet. Mia nahm ihr Headset ab, löste den Sicherheitsgurt und trat hinaus in den Sturm, der ihr den Atem nahm. Nachdem der Pilot ihnen ihre Koffer überreicht hatte, die sie gar nicht ausgepackt hatten, rannten sie mit gesenkten Köpfen aus der Gefahrenzone.

Nikau, ein Inselbewohner, nahm ihnen die Taschen ab. „Carly, Mia, gut, dass ihr hier seid“, rief er. „Alle wurden evakuiert und sind im Camp. Man hat auch die Verletzten dorthin gebracht.“

Carly nickte und rannte vor. Da sie hier auf der Insel die Ersthelferin war, wollte sie sich natürlich sofort mit um die Verletzten kümmern. Die beiden Sanitäter folgten ihr, und Mia bildete das Schlusslicht. Vorsichtig ging sie den steilen Weg zum Schulcamp hinunter – dem Anwesen, das sie gerade verkauft hatte.

Überall herrschte Chaos … in ihrem Kopf, in ihrem Körper, hier im Camp. Der Regen peitschte gegen die Fenster, und diese klapperten im Wind, während in dem Speisesaal mit der angrenzenden Küche viele Leute herumwuselten. In die Geräusche des Sturms mischten sich die Schmerzenslaute der Verletzten.

Auf der Suche nach Harper rannte Mia von Gruppe zu Gruppe und stürzte schließlich nach draußen in den strömenden Regen, wo man ihr eine Frau mit einer blutenden Platzwunde auf der Stirn anvertraute. Sie brachte sie in den provisorischen Untersuchungsbereich, für den man eine Ecke abgetrennt hatte.

Sie hatte Harper in der Obhut von Owen, dem Inselarzt, und seinem vierjährigen Sohn Mason überlassen. Die Kleine war in Sicherheit, davon war sie überzeugt.

Aber verdammt, wie oft hatte sie sich das in jener schrecklichen Nacht gesagt, als ihre Eltern und ihr Bruder nicht nach Hause zurückgekehrt waren?

Sie sind in Sicherheit. Wie oft hatte sie sich das in der darauffolgenden Woche gesagt, bis sie mit der schrecklichen Realität konfrontiert worden war? Wie viele Stunden hatte sie mit Carly zusammengesessen, gehofft und gebetet, dass ihre Familie zurückkehren möge? Und dann hatte sie sowohl ihre Eltern als auch ihren Bruder Rafferty verloren. Und Carly war Witwe gewesen. Sie beide hatten nur noch einander gehabt, und Harper hatte schließlich die Verbindung besiegelt – Mutter, Tante, Baby.

Mia riss sich zusammen und zwang sich, sich auf ihre Patienten zu konzentrieren. Als Fachschwester der Insel musste sie professionell bleiben. Während sie die Frau verarztete, hatte sie das Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Als sie den Kopf wandte, sah sie Brin auf dem Boden knien und sich um einen etwa neunjährigen Jungen kümmern, der nicht von der Insel stammte. Als würde er ihren Blick auf sich spüren, wandte er sich um. Er wirkte durcheinander und betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen.

Sie wandte sich ab, um die Wunde ihrer Patientin zu reinigen.

Nicht hier. Nicht jetzt.

Aber wann? Wie? Warum? Was, zum Teufel, sollte sie sagen?

Nun, da er hier war, musste sie es ihm sagen.

Nachdem er kurz mit der Mutter des Jungen gesprochen hatte, stand er auf. Kam er jetzt zu ihr? Was würde er sagen?

Vor drei Jahren war sein süßer irischer Akzent ihr zum Verhängnis geworden. Er hatte sie mit Worten verführt. Verdammt, sie war Wachs in seinen Händen gewesen! Und die Auswirkungen würde sie noch ihr ganzes Leben spüren.

Ihr Herz klopfte schneller.

„Mia! Du bist hier! Gott sei Dank.“ Anahera, ihre Freundin und Kollegin, die als Empfangsdame in der Rāwhiti Medical Clinic arbeitete, umarmte sie.

Über ihre Schulter hinweg beobachtete Mia, wie Brin stirnrunzelnd stehen blieb.

Mia. Verdammt, er hatte es gehört. Egal, momentan hatte sie dringlichere Dinge im Kopf. Sie umfasste Anaheras Schultern. „Wo ist Harper?“

Diese strich ihr über den Arm. „Keine Sorge, Liebes. Sie schläft tief und fest in einem der Schlafräume oben. Nicole ist mit ihren Kindern bei ihr. Ich komme gerade von dort, um hier zu helfen. Und ich bin so froh, dass du hier bist. Ist Carly … auch hier?“

Da Carly nach dem Verlust ihres Mannes zu große Angst davor gehabt hatte, sich in Owen zu verlieben, hatte sie sich ein Flugticket gekauft, um am nächsten Tag eine Weltreise anzutreten. Doch während sie den Verkauf des Camps feierten und über ihre Zukunft nachdachten, war Carly klar geworden, dass sie ihn liebte, und hatte sie zurückbegleitet, um herauszufinden, ob er für sie genauso empfand. „Ja, aber ich weiß nicht, wo sie jetzt ist.“

„Wahrscheinlich sucht sie Owen. Er koordiniert die Rettungsaktion in der North Bay.“

„Okay. Gut. Sie werden viel Unterstützung brauchen, um die Passagiere von der Fähre zu retten.“

„Der Arme, es ist sein erster Notfall hier. Na ja … ich schätze, Carly ist jetzt bei ihm“, meinte Anahera lächelnd.

„Oh. Bestimmt.“ Mia rang sich ein Lächeln ab. Sie hoffte, Carly und Owen würden wieder zusammenfinden. Allerdings würde diese Nacht auch bei Carly traumatische Erinnerungen wachrufen.

Anahera nickte. „Mason ist auch oben im Schlafsaal.“

Alle Menschen, die sie liebte, waren in Sicherheit. Mia atmete tief durch. Gut. Konzentrier dich, Mia.

„Ich habe den Raum dahinten im Flur für die Verletzten reserviert, die noch laufen können.“ Nun deutete Anahera auf Brin. „Ich weiß nicht, was wir machen sollen, wenn das Camp den Besitzer wechselt. Nirgendwo auf der Insel gibt es so viel Platz wie hier.“

Mia verzog das Gesicht. Erst vor wenigen Stunden hatten Carly und sie den Kaufvertrag unterzeichnet, doch es erschien ihr wie eine Ewigkeit. Das Camp gehörte nicht mehr ihr, und sie hatte keine Ahnung, was daraus werden würde. Den neuesten Gerüchten zufolge sollte es in ein Luxushotel umgewandelt werden.

Schuldgefühle überkamen sie, als sie sich in dem vertrauten Raum umblickte. Generationen von Schulkindern hatten in diesem Camp gelernt, wie man sich im Busch verhielt, und Segelunterricht erhalten. Sie erinnerte sich daran, wie ihre Eltern hier unterrichtet hatten. Die beiden hatten ihre Jobs geliebt. Später hatte ihr Bruder das Team verstärkt. Und vor fünf Jahren hatte Carly ihn geheiratet und war ebenfalls hierhergezogen.

Diese Wände bargen so viele Erinnerungen. Bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr hatte sie auch hier gewohnt. Dann hatte sie die Insel für drei Jahre verlassen, um ihre Ausbildung zu machen, und war wieder hierher zurückgekehrt und in ein kleines Haus auf der anderen Seite gezogen. Doch das Camp war immer ihr Zuhause gewesen. Bis einiges zusammengekommen war – Carly mit ihren Reiseplänen und die Tatsache, dass sie keinen Ersatz finden konnte, dringend erforderliche Renovierungsarbeiten, für die ihnen das Geld gefehlt hatte, und die ebenfalls dringend erforderlichen Renovierungsarbeiten in ihrem kleinen Haus. So hatten sie beschlossen, das Camp zu verkaufen.

Aber war das ein Fehler gewesen? Hatte sie das Vermächtnis ihrer Familie verraten? Nein. Daran konnte sie jetzt nicht denken.

„Mia!“ Nikau stand auf der Schwelle, den Arm um einen Mann gelegt, der humpelte.

Mia sah Brin an. Nachdem er ihren Blick kurz erwidert hatte, wandte er sich ab. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als er zur Tür ging, Nikau zunickte und dann zur provisorischen Aufnahme eilte.

Im nächsten Moment donnerte es laut, und wenige Sekunden später blitzte es. Jemand schrie. Ein Baby fing an zu weinen.

Plötzlich wollte sie Brins Stimme hören, sehnte sich nach seinen tröstlichen Worten.

„Alles ist gut. Du bist schön. Du bist fantastisch. Ich will dich. Verdammt, du fühlst dich so gut an. Ich bin froh, dass ich dich gefunden habe. Alles ist gut …“, hatte er gesagt, als sie sich an seiner Brust ausweinte, überwältigt, weil der Liebesakt bei ihr so viele Emotionen geweckt hatte. Nach sechs Monaten Trauer hatte sie Lust gesucht und geschenkt, sich in seinen Küssen und seinen Zärtlichkeiten verloren.

Dann hatte er sie mit albernen Witzen zum Lachen gebracht, und sie hatten über alles Mögliche geredet. Über Bücher, Filme, Reisen, ihre Vorlieben und Abneigungen und andere Dinge … Doch sie hatte ihm nicht ihren wahren Namen verraten, ihm nicht erzählt, wo sie lebte und was sie machte, denn es war ihr nicht wichtig erschienen. Schließlich hatten sie nur eine einzige Nacht gehabt. Aber sie hatte von ihren Hoffnungen und Träumen gesprochen. Sie hatte es als befreiend empfunden, die lockere, quirlige Michelle zu sein und nicht die traurige Mia.

Und in diesem Moment sehnte sie sich danach, sich so frei und sorglos zu fühlen wie in jener Nacht. Danach, wieder in seinen Armen zu liegen. Sich weniger allein zu fühlen. Wieder seinen Körper zu erkunden. Jede herrliche Sekunde erneut zu durchleben … und ihm vielleicht die Wahrheit zu sagen, zumindest über ihren Namen.

Allerdings musste sie ihm so viel gestehen, dass sie überhaupt nicht wusste, wo sie anfangen sollte.

Mia?

Brin entfernte sich von der Frau, die er für Michelle gehalten hatte. Ja, sie war es. Aber seine Michelle … seine? Er lachte bitter und verbesserte sich dann. Die Frau, mit der er die Nacht verbracht hatte, hätte sich ihm gegenüber nicht so ablehnend verhalten, oder? Es war eine der schönsten Nächte seines Lebens gewesen. Zwischen ihnen hatte sofort eine Verbindung bestanden, und sie hatten sich stark zueinander hingezogen gefühlt. Aber war es mehr als nur toller Sex gewesen?

Ja, das hatte er geglaubt. Verdammt, er hatte fast mit dem Gedanken gespielt, in Auckland zu bleiben, nur um mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Da sein Visum am nächsten Tag abgelaufen war, hatte er das Risiko jedoch nicht eingehen können. Sie waren übereingekommen, keine Daten auszutauschen. Das Geheimnisvolle hatte das Prickeln noch verstärkt, und er hatte nicht zu viele Gefühle investieren wollen, um nicht sein Herz zu verlieren.

Außerdem hatte er seine zerfledderten Wurzeln in Irland gelassen. Und hier in dem winzigen Land am Ende der Welt wollte er keine neuen schlagen.

Brin spielte alle möglichen Szenarien durch. Vielleicht hatte sie einen eineiigen Zwilling, und dieser war Mia. Vielleicht hatte Michelle einen Grund dafür gehabt, ihn anzulügen – vielleicht war sie doch verheiratet gewesen und hatte mehrere Kinder. Vielleicht fürchtete sie, er könnte es hier hinausposaunen und sie in eine schwierige Lage bringen. Aber eigentlich hätte sie ihm das nicht zutrauen dürfen, oder?

Wenn er an seine gescheiterte Ehe und die ganzen Lügen dachte, konnte er Frauen tatsächlich nicht mehr so gut einschätzen.

Der Aufnahmebereich war leer, was Brin als gutes Zeichen deutete. Man hatte ihnen gesagt, sie müssten mit Schwerverletzten rechnen, doch das Rettungsteam hatte offenbar hervorragende Arbeit geleistet und die Passagiere mehr oder weniger wohlbehalten von der Fähre gebracht. Das psychische Trauma, sich in der Dunkelheit bei einem Unwetter auf einem sinkenden Boot zu befinden, würde vermutlich länger anhalten.

Aber hier draußen konnte er für einen Moment durchatmen und das Wiedersehen mit dieser Frau verarbeiten, bevor er zurückkehrte und mit ihr zusammenarbeitete. Als sie in den Hubschrauber stieg und ihre Blicke sich begegneten, hatte er sie lächelnd an sich ziehen wollen. Mit dem argwöhnischen Ausdruck in ihren Augen hatte sie ihn jedoch zurückgewiesen.

Lautes Schreien veranlasste Brin, sich umzudrehen. Eine Frau mit einem etwa zweijährigen kleinen Mädchen kam herein. Die Kleine hatte zerzauste schwarze Locken und müde wirkende blaue Augen und war blass. Sie hielt eine Schmusedecke in der Hand, die ihr im nächsten Moment entglitt. Prompt schrie sie noch lauter. Schnell hob er sie auf und reichte sie ihr.

„He, du willst bestimmt nicht deine Schmusedecke verlieren. Ich hatte auch so eine, als ich in deinem Alter war.“ Komisch, das hatte er bis zu diesem Moment völlig vergessen.

Dicke Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie schluchzte laut auf. Die Decke an sich gepresst, blickte sie ihn starr an.

„Keine Angst, mo stór, ich nehme sie dir nicht weg.“ Um sie zum Lachen zu bringen, legte er ihr den anderen Zipfel auf den Kopf. „Oh. Wo ist deine Decke denn?“

Sie schniefte.

„Na, wo ist sie?“, versuchte er es wieder.

Nun prustete sie und zog die Decke kichernd hinunter.

Er zog sie hoch, um ihr Gesicht damit zu bedecken. „Jetzt ist sie wieder weg. Wo ist sie?“

Lachend zog sie sich die Decke aus dem Gesicht. Sie weinte nicht mehr, sondern schenkte ihm das süßeste Lächeln, das er je gesehen hatte. Und diese großen blauen Augen und das zerzauste schwarze Haar … So war seins auch gewesen, bevor er es hatte schneiden lassen. Irgendetwas an ihr wärmte ihm das Herz.

Mo stór. Mein Schatz.

Wie oft hatte er das gesagt? Plötzlich sehnte er sich nach dem kleinen Mädchen, das er in Irland zurückgelassen hatte. Sie war einige Jahre älter als dieses hier, doch er erinnerte sich noch zu gut an das Kleinkindalter. Sie war wie er gewesen – verträumt und harmoniebedürftig.

Brin rieb sich die Brust, als das kleine Mädchen wieder zu weinen begann.

„Schon gut, Harper. Mal sehen, ob wir deine Mammy im Speisesaal finden.“ Die Frau lächelte ihn müde an, bevor sie an ihm vorbeiging. Er hielt ihr die Tür auf.

Als er ihr in den Raum mit dem hohen Geräuschpegel folgte, entdeckte er sofort wieder Michelle. Sie hockte vor einem älteren Mann, bei dem sie Blutdruck maß. Er war in eine Thermodecke gewickelt und fröstelte sichtlich. Doch sie sprach beruhigend auf ihn ein. Sie war ebenso professionell wie mitfühlend. Er hatte nicht einmal gewusst, dass sie Krankenschwester war.

Nun ging die Frau mit der Kleinen auf sie zu und übergab sie ihr. Weinend schloss Michelle sie in die Arme und wiegte sie hin und her.

Brin erinnerte sich daran, wie sie in jener Nacht in seinen Armen geweint hatte. Sie hatte gesagt, es wäre wegen des Liebesakts. Weil jemand sie nach langer Zeit berührt hätte, weil sie Lust geschenkt und erfahren hätte, weil die Anziehungskraft sie überwältigt hätte. Doch er hatte gespürt, dass mehr dahintersteckte.

Und er hatte richtiggelegen.

Im Hubschrauber hatte sie einen kleinen Koffer dabeigehabt. Wie lange war sie weg gewesen?

Und war sie die Mutter der Kleinen?

Offenbar hatte sie ihm deshalb nicht die Wahrheit gesagt. Sie hatte eine Familie.

Verdammt. Er hasste Lügen – vor allem wenn Kinder im Spiel waren.

„Brin, kannst du mir kurz helfen?“, rief Lewis, sein älterer und gleichzeitig neuer Kollege, während er auf eine Frau mit einem verdrehten Bein zeigte. „Ich brauche hier deine sanften Hände.“

„Komme sofort.“ Brin verdrängte seine Gefühle und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.

Das war wenigstens etwas, worauf er bauen konnte.

3. KAPITEL

Es schien, als würde der Strom der Verletzten nicht abreißen. Doch als die letzten Passagiere, der Kapitän, Carly, Owen und das Rettungsteam in den Speisesaal kamen, beruhigte die Lage sich allmählich. Man hatte alle gerettet, doch die Fähre sank.

Nur wenige Patienten mussten zur Behandlung ins Auckland General Hospital gebracht werden. Lewis versuchte das zu organisieren, wurde allerdings abgeschmettert, weil das Wetter sich verschlechtert hatte.

Mia hatte Harper mit Nicole wieder nach oben geschickt und seitdem nichts mehr von ihr gehört. Und ja, sie wusste, dass Brin sie mit ihrer Tochter gesehen hatte. Da sie seinen Blick gemieden hatte, wusste sie nicht, was in ihm vorgehen mochte.

Sie war völlig durcheinander. Sie hatte vor all diesen Menschen geweint, als sie Harper in die Arme schloss. Er war hier und … Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Hatte er es erraten?

Lächelnd drückte Carly ihr einen Becher heiße Schokolade in die Hand. „Das hast du toll gemacht mit all diesen Patienten. Hier, trink, damit du bei Kräften bleibst.“

„Danke.“ Mia stellte fest, dass ihre Hände zitterten.

Anscheinend hatte Carly es auch gemerkt. „Du siehst schrecklich aus, Mia. Geht es dir gut?“

„Oh, vielen Dank. Du siehst auch nicht so toll aus“, konterte Mia lachend, denn Carly war völlig durchgeweicht und ebenfalls in eine Wärmedecke gewickelt. Doch sie war guter Dinge und lächelte immer geheimnisvoll, wenn sie Owen ansah.

„Ich dusche, sobald ich kann“, sagte sie. „Möchtest du dich für eine Weile zu Harper setzen?“

„Ich muss mich hier um die Patienten kümmern.“ Außerdem wollte Mia sichergehen, dass Brin bald in diesen Hubschrauber stieg und die Insel verließ.

„Wir kommen auch ohne dich klar“, meinte Carly.

„Nein, alles gut.“ Mia merkte selbst, wie scharf sie klang. „Tut mir leid. Ich …“

„He, schon gut.“ Carly lächelte liebevoll. „Das hier weckt bestimmt viele Gefühle bei dir. Bei mir ist es jedenfalls so. Ich hatte da draußen auf dem Boot einen kleinen Zusammenbruch.“

Wenn ihre Freundin gewusst hätte! Mia zuckte die Schultern. „Ich komme schon klar. Und was für einen Zusammenbruch hattest du?“

„Ich habe geschrien und geweint, als ich dachte, es wären noch Leute auf der Fähre und sie würden ertrinken. Aber Owen hat mich getröstet. Und niemand ist gestorben.“ Vorsichtig umarmte Carly sie. „Mir geht es besser. Und wenn du zu Harper gehen oder duschen möchtest, nur zu.“

„Ach, was würde ich bloß ohne dich machen?“ Mia unterdrückte die aufsteigenden Tränen, während sie sie ebenfalls umarmte. „Ich bin so froh, dass du beschlossen hast hierzubleiben.“

„Ich auch. Kaum hatte ich die Insel verlassen, wusste ich, dass es ein Fehler war.“ Carly drückte sie. „Nach Raffertys Tod wollte ich mich nicht verlieben und das Risiko eingehen, wieder alles zu verlieren. Und du solltest nicht glauben, ich würde ihn je vergessen.“

„Ich weiß doch, dass du meinen Bruder nie vergessen wirst. Aber ich weiß auch, dass du Owen liebst. Also folge deinem Herzen.“

„Das werde ich“, versprach Carly lächelnd. „So, was brauchst du jetzt, Mia?“

Ich würde gern die Zeit zu jener Nacht in dem Hotel zurückdrehen.

Bei dem Gedanken bekam Mia weiche Knie. Sie würde ewig dankbar dafür sein, dass sie ihren Kummer zumindest für einige Stunden hatte vergessen können. Und da war dieses … gewisse Etwas zwischen ihnen gewesen. Etwas, das sie nie vergessen und seitdem bei keinem anderen Mann gefunden hatte. Allerdings war sie auch nie über das erste Rendezvous hinausgekommen.

Es war eine tiefe Verbindung gewesen, die sie nicht einmal annähernd beschreiben konnte. Aber vielleicht betrachtete sie es auch durch die rosarote Brille, denn sie war damals nicht ehrlich gewesen.

Mia löste sich von Carly und lächelte gezwungen. „Alles gut. Harper braucht jetzt ihren Schlaf, sonst hat sie morgen schlechte Laune.“

„Okay, wenn du meinst.“ Fragend betrachtete diese sie.

„Ganz bestimmt.“

Carly seufzte. „Okay. Ich habe gerade gehört, dass die beiden Patienten mit den Knochenbrüchen jetzt nicht ausgeflogen werden können. Deshalb müssen wir einen Raum für sie herrichten. Owen meinte, er, die beiden Sanitäter und du könntet euch bei der Betreuung abwechseln.“

Also würde sie vielleicht mehr Zeit mit Brin verbringen. Mia schauderte. „Klar.“

„Prima. Dann richte ich im Anbau einen Raum her. Kannst du den beiden das Tablett mit den Getränken bringen?“ Nachdem Carly auf das Tablett auf dem Tisch neben sich gedeutet hatte, eilte sie zum Ausgang.

Mit den beiden meinte sie Brin und seinen Kollegen Lewis, der regelmäßig mit dem Rettungshubschrauber flog. Mit klopfendem Herzen hob Mia das Tablett hoch. Als sie den abgeschirmten Bereich betrat, versuchte sie vergeblich, Brin nicht zu betrachten. Er war … noch genauso attraktiv wie damals. Er hatte markante Züge und einen durchtrainierten Körper und war inzwischen sonnengebräunt.

Sie zwang sich, ruhig zu atmen. „He, hier ist heißer Kakao für euch.“ Dann wandte sie sich an die beiden Patienten. „Ich frage den Arzt, ob Sie beide etwas essen oder trinken dürfen. Falls Sie bald zum Krankenhaus geflogen werden, müssen Sie nüchtern bleiben.“

„Vor morgen wird das wohl nichts. Das Wetter ist zu schlecht.“ Lewis sprang auf, um das Tablett entgegenzunehmen. „Vielen Dank, Mia.“

Als Mia Brin einen flüchtigen Blick zuwarf, stellte sie fest, dass seine Miene wie versteinert war. Sie wandte sich wieder an Lewis. „Carly richtet im Anbau zwei Betten her. Wir können uns bei der Betreuung der beiden hier abwechseln.“

„Prima Idee. He …“ Lewis wurde ernst. „Ich habe überlegt …“

„Ja?“ Starr blickte sie zu ihm auf. Er war ein netter Typ, etwa so alt wie sie. Alleinstehend, gut aussehend, ein Naturbursche. Er war überhaupt nicht ihr Typ, doch sie verstand sich gut mit ihm.

„Geht es dir gut? Ich meine, das alles hier weckt bei dir bestimmt schlimme Erinnerungen, nicht?“

Für einen Moment schloss Mia die Augen. Als sie sie wieder öffnete, mied sie Brins Blick, denn er sollte nicht sehen, welche Empfindungen sich in ihre Nervosität mischten. Sie war nicht die fröhliche, quirlige Michelle, aber das hatte er mittlerweile wohl erraten. „Ja. Es ist nicht die beste Nacht meines Lebens.“

Untertreibung des Jahres.

„Es tut mir so leid, Mia.“ Lewis berührte ihren Arm. „Kann ich irgendetwas für dich tun?“

„Es geht mir gut. Aber danke.“ Sie atmete tief durch. „Ich hoffe, der Sturm legt sich bald und morgen scheint wieder die Sonne.“

„Das hoffen wir auch.“ Lewis verzog das Gesicht, bevor er seinen Kollegen anblickte. „Okay. Brin, du ruhst dich zuerst aus. Mia, könntest du ihm den Anbau zeigen? Im Dunkeln findet man noch schlechter hin.“

Bitte nicht.

„Klar.“

Doch Brin schüttelte müde den Kopf. „Ich finde schon hin. Keine Umstände, Mia.“

In seinen irischen mischte sich ein leichter australischer Akzent. Hatte er die ganze Zeit dort verbracht? Eigentlich hatte er ja durch Asien und anschließend durch Südamerika reisen wollen – sein großes Abenteuer, wie er es genannt hatte.

Sie wandte sich an Lewis, der stirnrunzelnd erst Brin und dann sie ansah. „Oh, tut mir leid. Ihr beide kennt euch ja noch gar nicht. Mia Edwards, das ist Brin O’Connor, unser neuestes Teammitglied. Aber er war schon mal hier in Neuseeland. Vor einigen Jahren …“

Brin nickte. „Vor drei Jahren.“

Lewis merkte überhaupt nicht, dass sie sich bereits kannten. „Mia ist unsere Krankenschwester hier und sehr kompetent. Und Rāwhiti ist wunderschön, wenn es nicht gerade stürmt.“

„Freut mich … Mia“, sagte Brin ausdruckslos, während er sie argwöhnisch und zugleich auch verärgert betrachtete.

Sie konnte es ihm nicht verdenken. Wie viel einfacher hätte es sein können, wenn sie damals seinen Nachnamen gewusst hätte. „Hallo, Brin. Willkommen auf Rāwhiti.“

„Dann los, Kumpel. Du hast eine gute Stunde.“ Lewis tippte auf seine Uhr. „Mia, zeig ihm bitte den Raum, sonst vergeudet er seine Zeit mit der Suche.“

Mia nickte, bevor sie aus dem Raum eilte. Vielleicht konnte sie ein peinliches Gespräch vermeiden, bis sie bereit war, die vielen Fragen zu beantworten, die Brin sicher stellen würde.

Draußen konnte man ohnehin kein Wort verstehen, denn der Wind heulte, das Meer toste, und der Regen peitschte ihnen ins Gesicht. Doch sobald sie den Anbau betraten, herrschte lastende Stille. Mia lief die Treppe hoch und öffnete die Tür zum Schlafsaal, wo sie auf das Etagenbett deutete, das Carly bezogen hatte.

„Da ist es. Das Bad ist hinten im Flur. Bye.“ Dann wandte sie sich ab, um nach unten zu laufen.

„Michelle.“ Der Klang seiner Stimme ließ sie innehalten, genauso wie damals. Die Stimme, von der sie fast genauso oft träumte wie von seinen Küssen, seinen Zärtlichkeiten … „Mia. Wie du auch heißen magst …“

Ihr Herz hämmerte, als sie sich langsam zu ihm umdrehte. „Mia. Ich heiße Mia, nicht Michelle.“

Mit undurchdringlicher Miene nickte Brin. „Ich schätze, du hattest deine Gründe dafür, mir einen anderen Namen zu nennen.“

„Ja.“ Sie hatte es nicht beabsichtigt, sondern die Chance ergriffen, für einige Stunden jemand anders zu sein. Aber jetzt musste sie ehrlich sein. Also kehrte sie in den Schlafsaal zurück.

Er folgte ihr, schloss allerdings nicht die Tür. „Ist er hier?“

Mia krauste die Stirn. „Wer?“

Nun setzte er sich auf ein Bett. „Dein Partner – dein Mann?“

„Ich habe keinen.“

„Oh. Ich dachte …“ Er senkte den Blick. „Okay.“

„Es ist … kompliziert.“

„Ist es das nicht immer?“ Sein Tonfall war nun schärfer. „Aber damals hattest du einen, stimmt’s? Jemand, der dir wichtig genug war, dass du mich angelogen hast.“

Seine Worte verletzten sie. „Nein, Brin. Ich bin nicht der Typ, der Affären hat. Ich war nie verheiratet und hatte damals auch keinen Partner.“

„Und warum hast du mir dann einen anderen Namen genannt?“

„Ich …“ Wie sollte sie ihm das alles erklären? „Spielt das wirklich eine Rolle?“

Nun stand er auf, ging zum Fenster und blickte in die Nacht. „Es sollte keine Rolle spielen, stimmt’s? Wir waren uns einig. Es war harmloser Spaß. Aber trotzdem erschien mir jene Nacht … irgendwie bedeutungsvoll. Ich dachte, zwischen uns wäre eine Verbindung. Ich war ehrlich zu dir.“

„Wirklich? Du hast mir alles über dein Leben erzählt?“

„Nicht alles. Dafür hatten wir zu wenig Zeit.“ Brin drehte sich zu ihr um und lehnte sich ans Fenstersims. „Das war unsere erste Begegnung. Ich wollte dich nicht mit meiner Lebensgeschichte langweilen.“

„Genau. Du hast mir also auch nicht alles erzählt.“ Sie wusste nicht, ob sie Zeit schinden wollte, Absolution suchte oder …

„Es war unsere erste Nacht“, bekräftigte er.

„Und die letzte.“

„Ja.“ Er sah sie aus seinen schönen blauen Augen an … Augen, in die sie jeden Tag blickte, wenn sie ihre Tochter betrachtete. „Wir wussten beide, dass es eine einmalige Sache ist.“

Ja. Und es war fantastisch, magisch, lebensbejahend gewesen. Und sie hatten ein neues Leben geschaffen.

Brin schüttelte den Kopf und wirkte nun nicht mehr wütend. „Es tut mir leid. Das mit dem Namen hat mich durcheinandergebracht. Und das Wiedersehen mit dir nach all den Jahren hat mich schockiert. Aber warum du mir gesagt hast, dein Name wäre Michelle, geht mich nichts an.“ Er atmete tief durch. „Weißt du, ich hatte vor einigen Jahren Stress mit einer Frau, die mich belogen hat. Deshalb bin ich jetzt misstrauisch. Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt.“

„Das kann ich dir nicht verdenken.“ Dass man ihn vorher verletzt hatte und sie es noch schlimmer gemacht hatte, tat ihr leid. Diese Ernsthaftigkeit war eine weitere Seite an jenem witzigen, verführerischen, sanften Brin, den sie erinnerte.

„Und …“ Er lächelte zerknirscht. „Ich schätze, ich habe mir ausgemalt, was hätte sein können, wenn wir in Verbindung geblieben wären. Oder wie unser Wiedersehen aussehen könnte.“

Das hatte sie auch getan, unzählige Male. „Ja, ich auch. Und ich hätte es mir nie so vorgestellt.“

„Ich auch nicht.“ Für einen Moment funkelten seine Augen, und sie fragte sich, ob er eine Wiederholung jener Nacht meinte. „Aber nun ist es so.“

Da sie beide wussten, dass diese Unterhaltung über Wunschdenken nirgendwohin führen würde, sagte Mia nichts mehr. Allerdings erlaubte sie sich für einen Moment, sich eine romantische Wiedervereinigung auszumalen, wo Zeit und Ort perfekt waren. Wo sie in Verbindung geblieben waren oder Brin nicht abgereist wäre. Wo sie ihm ihren wahren Namen genannt und er ihr seinen Nachnamen verraten hätte. Wo sie ihn in den sozialen Medien gefunden hätte. Wo er gewusst hätte, wo sie lebte.

Alles hätte ganz anders laufen können.

Mia wollte sich zum Gehen wenden, als Brin unvermittelt fragte: „Was hat Lewis damit gemeint, dass der Sturm schlimme Erinnerungen bei dir weckt?“

„Wie bitte?“

„Ich habe nicht das Recht zu fragen, Mia, aber das alles ist ziemlich verwirrend für mich.“ Er fuhr sich durchs Haar, und allmählich wurde ihr klar, dass er nicht wütend, sondern durcheinander war. „Ist dein Partner bei einem Sturm ums Leben gekommen? Dann verstehe ich, dass du damals nicht darüber reden wolltest.“

Plötzlich wirkte er verloren. Und allein der Gedanke an alles, was sie verloren hatte, ließ ihren Schutzwall einstürzen. „Oh Brin. Nein, ich habe nicht meinen Partner verloren, sondern meine ganze Familie – meine Mum, meinen Dad und meinen Bruder. Bei einem Bootsunglück ... Ein halbes Jahr bevor ich dir begegnet bin.“

Seine blauen Augen wurden dunkler. Er wirkte sehr betroffen. „Oh Mia, wie schrecklich! Es tut mir so leid. Das wusste ich nicht.“

„Woher hättest du es auch wissen sollen? Damals hast du gesagt, je weniger ich über dich wüsste, desto besser. Und ich dachte, ja, lass uns spielen. Es war lange her, seit ich mich das letzte Mal vergnügt hatte. Ich war sechs Monate in tiefer Trauer gewesen. Ich war erschöpft und einsam. Und dann hat mich eine alte Freundin, die ich von meiner Ausbildung her kannte, zu einer Party eingeladen. Ich wollte eigentlich nicht hin, aber Carly, die Witwe meines Bruders, hat mich überredet und mir die Nacht in dem Luxushotel spendiert.“

„Da bist du mir begegnet.“

Oh ja. Das hatte ihr Leben grundlegend verändert. „Es war so schön, miteinander zu flirten …“ Mia sah ihm in die Augen und hoffte, dieses … gewisse Etwas wiederzufinden, las jedoch nur Verwirrung. „Deshalb wollte ich nicht über meine Vergangenheit sprechen. Ich wollte jemand anders sein. All den Kummer nur für eine Nacht hinter mir lassen. Kannst du mir das verdenken? Ich wollte nicht die einzige Hinterbliebene sein, die alle bemitleiden. Ich wollte geheimnisvoll, aufregend, sexy sein. Ich wollte einfach nur begehrt werden.“

Als Brin die Augen schloss, fragte sie, was er wohl denken mochte. Als er sie wieder öffnete, lächelte er verhalten. „Das warst du, Mia. Ich hätte fast meinen Flug sausen lassen.“

„Meinetwegen?“

„Ja“, erwiderte er lachend. „Verrückt, nicht?“

„Das wäre wirklich verrückt gewesen.“ Seitdem war so viel passiert. „Bist du denn überall gewesen, wo du hinwolltest?“

„Fast. Ich habe ein paar Monate in Australien gearbeitet, um meine Kasse aufzubessern. Und ich war gerade in Asien, als die ganze Welt in den Lockdown ging. Schlechtes Timing, nicht? Ich habe eine der letzten Maschinen von Hanoi nach Perth erwischt und dort weitergearbeitet, wo ich aufgehört hatte. Und da mein Visum verlängert wurde, bin ich etwas länger geblieben. Dann bin ich hierher nach Neuseeland zurückgekehrt.“

„Warum bist du nicht nach Hause geflogen?“

Brin runzelte die Stirn. „Nach Hause?“

„Irland.“

„Da gibt es überhaupt nichts mehr für mich“, stieß er hervor.

„Und warum bist du hierher zurückgekehrt?“ Hoffte sie, es hätte etwas mit ihr zu tun? Und warum hatte er so heftig auf ihre Frage reagiert?

Nun hob er die Hände. „Lewis hat mich angerufen und mir eine bessere Stelle angeboten.“

„Lewis. Natürlich.“ Lewis hatte die ganze Zeit in Kontakt mit ihm gestanden, und sie hatte es nicht einmal gewusst. Und Brin war nicht ihretwegen, sondern wegen des Jobs nach Neuseeland zurückgekehrt. Sie wusste nicht, was sie dabei empfand, aber es war nichts Positives.

Brin zuckte die Schultern. „Er klang ziemlich verzweifelt, und man hat die Visabestimmungen für irische Rettungssanitäter erheblich erleichtert. Also, warum nicht? Ich mag das Land und die Menschen.“ Sein Blick ließ sie dahinschmelzen.

„Na, dann hast du jedenfalls viel mehr erlebt als ich. Ich war die ganze Zeit hier.“

„Das würde ich nicht sagen. Du hast ein Kind bekommen. Harper, stimmt’s? Ich habe sie vorhin mit dir gesehen. Sie ist wirklich süß, deine kleine Tochter.“

Oh nein!

Angst überkam sie, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Mia wünschte, Brin würde gehen, damit sie ihm nicht die Wahrheit sagen musste, doch das wäre feige gewesen. Er musste es erfahren, selbst wenn dies nicht der ideale Ort und Zeitpunkt waren. Es würde ihm den Boden unter den Füßen wegziehen.

Und obwohl sie es fast drei Jahre lang immer wieder im Geiste durchgespielt hatte, fühlte sie sich nicht darauf vorbereitet. Sie atmete tief durch und hielt seinen Blick fest.

Unsere kleine Tochter, Brin.“

„Wie bitte?“ Er schüttelte den Kopf und machte einen Schritt auf sie zu. Der Ausdruck in seinen Augen verriet Panik, Wut, … Argwohn. „Was, zum Teufel …?“

Mia schluckte. Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Glaubte Brin, sie würde lügen? Versuchen, ihn in die Falle zu locken?

„Sie ist unser Baby, Brin. Harper ist deine Tochter.“

4. KAPITEL

Das konnte nicht wahr sein.

Brin atmete tief durch und versuchte, sich zu beherrschen, während er Mia ansah. Wie lange war er jetzt mit ihr zusammen? Drei, vier Stunden? Und schon fuhren seine Gefühle Achterbahn. Oh ja … Er fühlte sich immer noch zu ihr hingezogen.

Aber diese Nachricht?

Dann wich er zurück. „Nein, Mia. Du irrst dich. Sie ist nicht mein Kind.“

Mia blinzelte. „Doch, das ist sie. Es hat niemanden außer dir gegeben. Sie ist siebenunddreißig Wochen nach unserer gemeinsamen Nacht zur Welt gekommen.“

„Aber … Mensch, Mia. Bist du dir sicher?“

„Ganz sicher. Sie hat deine Augen, Brin, nicht meine. Deine helle Haut. Ich weiß nicht, welche Haarfarbe du früher hattest, aber sie ist nicht blond wie ich.“

Das kleine Mädchen mit der Schmusedecke hatte wirklich etwas mit ihm gemacht.

Mo stór.

Die hübsche Kleine war wirklich seine Tochter? Er konnte nicht leugnen, dass sie genauso wie er als Kleinkind schwarzes Haar und wie er blaue Augen hatte, keine braunen wie Mia. Aber das war alles, oder?

Er hatte versucht, sie zu trösten. Aber warum hatte er sich so eingehend mit ihr beschäftigt?

Weil etwas an ihr ihn angesprochen hatte. Genauso wie ihre Mutter ihn damals angesprochen hatte. Er hatte sie glücklich machen wollen und das tiefe Bedürfnis verspürt, sie zu beschützen.

Wenn dieses kleine Mädchen seine Tochter war, würde er sie bis zu seinem Tod lieben – das wusste er ohne jeden Zweifel.

Nein.

Nein.

Er würde Mia nicht glauben. Das konnte er sich nicht wieder antun – sich erlauben, ein Kind zu lieben, nur damit man es ihm wieder wegnahm.

Nein.

Mia blickte ihn starr an, und ihre Lippen bebten, als würde sie mit den Tränen kämpfen. „Sag etwas, Brin.“

„Zum Beispiel?“ Er wusste nicht, ob er ruhig bleiben konnte. Er musste nachdenken. Und das konnte er nicht in ihrer Gegenwart. Ihr Duft, ihr hübsches Gesicht, ihre Stimme, ihre Sanftheit … All das lenkte ihn ab. Wie deutlich er sich daran erinnerte – an ihr lustvolles Stöhnen, daran, wie sie geschmeckt hatte, wie sie sich angefühlt hatte. Zu viele Erinnerungen, die ihn schwach machen würden.

Und stark.

Also ließ er sie allein und ging in die stürmische Nacht hinaus.

Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, als Brin ziellos über das Gelände lief. Er wusste nur, dass er sich in einem Outdoorcamp auf einer winzigen Insel im Meer befand. Er folgte dem Weg, der am Hauptgebäude vorbei zu einer Rasenfläche führte, die etwa halb so groß war wie ein Fußballplatz. In etwa fünfzig Metern Entfernung konnte er die dunklen Umrisse eines Gebäudes ausmachen. Als er darauf zuging, die Augen zusammengekniffen, weil der Regen ihm ins Gesicht peitschte, entdeckte er ein Schild mit der Aufschrift Bootsschuppen. Leider war die Tür verschlossen.

Dahinter lag die kleine Bucht. Die hohen Wellen, die sich am Strand brachen, der tosende Wind, das Knarren der Bäume – all das setzte ihm zu. Irgendwo drinnen schrie ein Kind.

Sein Kind?

Sein Herz krampfte sich zusammen. „Harper.“

Es klang ungewohnt. Hätte er einen irischen Namen für sie ausgesucht?

Eine Tochter. Noch eine Tochter. Brin schloss die Augen und versuchte zu atmen, doch seine Brust war wie zugeschnürt. Diesmal hatte er den Namen nicht mit aussuchen können, sich nicht auf die Geburt freuen können. War nicht mit zu den Vorsorgeuntersuchungen gegangen oder hatte Babyausstattung gekauft. Keine Geburt, keine ersten Male, nur eine Information.

Ein süßes Kind mit einer Schmusedecke. Wenn Mia die Wahrheit sagte.

„Brin?“

Als Brin sich umdrehte, sah er Mia auf sich zukommen, ein gestreiftes Handtuch über dem Kopf, um sich gegen den Regen zu schützen. Sein Herz setzte einen Schlag aus, und ein Prickeln überlief ihn.

Nein, er wollte nicht so empfinden, nicht nach dieser schockierenden Nachricht.

Starr blickte sie zu ihm auf. „Lewis hat mich gebeten, dich zu wecken. Deine Pause ist zu Ende. Er dachte, du schläfst noch.“

Verdammt. War er so lange hier draußen gewesen? Völlig durcheinander nickte er. „Okay.“ Doch er blieb stehen. Was, zum Teufel, erwartete sie jetzt von ihm?

Nun hob sie das Kinn und funkelte ihn an. „Hätte ich erfahren, dass ich eine Tochter habe, wäre ich … begeistert.“

„Bist du dir sicher? Wenn dir das irgendjemand aus heiterem Himmel eröffnet? Und niemand drei Jahre vorher daran gedacht hat, dir Bescheid zu sagen?“ Fast hätte er gelacht, weil die Geschichte sich wiederholte. Eigentlich hätte er seine Lektion längst lernen müssen.

Allerdings wusste Mia nichts von seiner Vergangenheit. Er wollte auch nicht daran denken. Verdammt, dass eine Frau ihm weisgemacht hatte, ihr Kind wäre auch seins, hatte ihm das Herz gebrochen. Und dass eine zweite dasselbe tat … War er etwa ein leichtes Opfer? Doch er fiel nicht nur auf die Frauen herein, oder? Sein Bruder hatte mitgemacht.

Sein Bruder. Sein Blutsverwandter.

Einen solchen Verrat wollte er nicht noch einmal erleben.

Und dennoch … Harper. Dieses Haar. Dieses Lächeln. Die Empfindungen, die sie in ihm geweckt hatte.

Vom Datum her hätte es gepasst. Sie hatten sich in jener Nacht mehr als einmal geliebt. Hatten sie verhütet? Eigentlich tat er das immer. Aber er wusste auch, dass kein Verhütungsmittel hundertprozentigen Schutz bot.

Harper. Er weigerte sich, sie in sein Herz zu lassen.

Sie war verdammt süß.

Nun nahm Mia das Handtuch hinunter und knüllte es zusammen. Obwohl ihre Wimperntusche verlief, war sie immer noch sehr hübsch. Sie machte ein finsteres Gesicht. „Ja, es wäre eine Überraschung, und tut mir leid, dass ich keine andere Möglichkeit hatte, es dir zu sagen. Aber sie ist das Beste, was mir je passiert ist.“

Das brauchte sie nicht auszusprechen. Er hatte sie beobachtet, als sie Harper in die Arme schloss.

„Gut, Mia. Freut mich, dass du dein Glück gefunden hast nach allem, was du durchgemacht hast.“ Das bedeutete allerdings nicht, dass er leichte Beute war. „Und was willst du genau von mir?“

„Nichts.“ Sie wich zurück und schüttelte den Kopf. „Ich dachte, ich sollte es dir erzählen.“

„Weil ich sofort meine Schlüsse gezogen hätte?“ Weil er die Familienähnlichkeit nicht leugnen konnte. Sein Bruder hatte ebenfalls blaue Augen und schwarzes Haar. Niamh auch. Bei der Erinnerung daran krampfte sein Herz sich zusammen.

„Weil du das Recht hast, es zu erfahren und sie zu sehen. Wenn du es möchtest. Und sie hat das Recht, ihren Vater kennenzulernen.“

Brin antwortete nicht.

Mia knüllte weiter das Handtuch. Ihre Augen funkelten, und sie sprach lauter. Weil sie wütend auf ihn wurde oder weil sie den Wind übertönen wollte? „Verdammt, Brin, ich habe versucht, dich ausfindig zu machen, aber ich kannte nicht mal deinen Nachnamen. Im Hotel wollte man mir keine Informationen über dich geben. Ich habe sogar in der Bar angerufen, aber sie sagten, es hätte für die Nacht keine Buchung gegeben.“

„Stimmt, es war ganz zwanglos.“

Ihre Augen blitzten. „Du bist verschwunden. Ich habe dich in den sozialen Medien gesucht, aber auch da nichts gefunden.“

„In sozialen Medien bin ich nicht aktiv.“ Er wollte nicht an Irland erinnert werden. An die zerbrochenen Beziehungen oder an den Verrat seines Bruders, die Lügen seiner Ex.

„Ich habe Nacht um Nacht im Internet nach dir gesucht, und irgendwann habe ich aufgegeben und beschlossen, sie allein großzuziehen. Ich hätte nie damit gerechnet, dich irgendwann einmal wiederzusehen.“ Ihre Augen waren nass, und er wusste nicht, ob es nur vom Regen kam. „Es ist ein Schock für mich, Brin.“

„Allerdings.“ Flüchtig ging ihm durch den Kopf, dass sie vielleicht wieder zusammenkommen könnten. Auch sie hatte ängstlich auf ihn reagiert … oder argwöhnisch. Vielleicht war sie auch einfach nur verunsichert gewesen.

Wie sollte er Mia und Harper gedanklich von seiner Ex und dem Mädchen in Irland trennen, das er für seine Tochter gehalten hatte? Wie konnte er die Gefühle voneinander trennen? Darauf vertrauen, dass Mia ihm jetzt die Wahrheit sagte, dabei ihre Wege von jener Nacht an bestimmt hatte?

Mit dem Handrücken fuhr sie sich übers Gesicht. Ihre Sachen klebten ihr am Körper. Sie war an einigen Stellen weiblicher, an anderen dünner, aber immer noch atemberaubend schön. Nun lächelte sie verhalten. Sie war angespannt, nervös. „Ich weiß, es ist heftig. Aber wenn du … sie sehen möchtest, können wir etwas vereinbaren. Vielleicht sollten wir uns mal in Ruhe unterhalten, wenn wir nicht von Chaos umgeben sind.“

Sein Herz raste immer noch. „Das Einzige, was du momentan vereinbaren musst, ist ein Vaterschaftstest.“

„Was?“ Entgeistert betrachtete sie ihn.

Brin nickte energisch. Er würde nicht schwach werden. „Wenn wir das Ergebnis haben, wissen wir, wo wir stehen.“

Ohne sie noch einmal anzusehen, kehrte er zum Speisesaal zurück. Wie sollte er sich jetzt noch auf seine Arbeit konzentrieren, wenn sein ganzes verdammtes Leben um ihn zusammenbrach?

Wieder einmal.

Mia war verletzt und versuchte, diese Gefühle zu bekämpfen.

Falls Vater und Tochter Kontakt haben würden, musste sie sehr darauf achten, dass Harper nicht auch verletzt wurde. Brin war ein Reisender und immer auf Achse. Er betrachtete Irland nicht als seine Heimat. Würde es ihm genauso leichtfallen, hier wegzugehen, von ihnen?

Sie hatte erwartet, dass er positiv auf die Nachricht reagieren würde. Und trotz allem fühlte sie sich immer noch sehr stark zu ihm hingezogen. Ihr Körper erinnerte sich an ihn – seine Berührungen, seine Küsse.

Aber jetzt wusste sie es besser. Seine Reaktion bewies, dass er nicht mehr der mitfühlende Mann von damals war.

...

Autor

Amy Ruttan
Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...
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