Julia Best of Band 281

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HEISSES SPIEL IN FLORIDA

Heiß scheint die Sonne über der Trauminsel Captiva Island – aber noch viel heißer prickelt es zwischen Privatdetektivin Lucy und dem gut aussehenden Jason McCormick. Eine aufregende Strandromanze beginnt, voll sinnlicher Liebe – und riskanter Lügen …

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  • Erscheinungstag 03.08.2024
  • Bandnummer 281
  • ISBN / Artikelnummer 0812240281
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Stephanie Bond

JULIA BEST OF BAND 281

1. KAPITEL

„Nein, ich bin noch nicht angekommen“, sagte Lucinda Belvedere zu ihrer Kundin Eugenia Sampson, mit der sie gerade im Auto telefonierte.

„Wo in Florida sind Sie denn?“, fragte Eugenia.

„Ich bin gerade erst in Fort Myers losgefahren und müsste so etwa in einer Stunde auf Captiva Island sein. Das Wetter hier ist übrigens super.“ Lucinda blickte zum postkartenblauen Himmel hoch und wünschte, sie hätte für diesen Job ein Cabriolet gemietet. Aber eine Privatdetektivin musste sich darauf einstellen, ihr Leben im Auto zu verbringen, und ihr fünf Jahre alter unscheinbarer beigefarbener Mini-SUV hatte immerhin den Vorteil, dass man sich damit unauffällig unter andere Autos mischen konnte.

Gleichzeitig bot das Gefährt genug Platz für Kleidungsstücke, Perücken und andere Requisiten – und für die Luftmatratze, die Lucinda immer für Notfälle parat hatte. Außerdem würden die Kosten für einen Mietwagen ein zu großes Loch in ihren Gewinn fressen … und sie würde sowieso nicht lange genug auf Captiva Island bleiben, um das Wetter genießen zu können.

„In Orlando regnet es natürlich mal wieder“, sagte Eugenia verdrießlich.

Für ihre missmutige Stimmung hatte sie auch allen Grund – ihr Bräutigam hatte sie nämlich drei Wochen zuvor am Altar stehen lassen und sich danach buchstäblich in Luft aufgelöst. In ihrem Berufsleben hatte Lucinda schon unzählige verschwundene Freundinnen, Ehefrauen, Freunde und Ehemänner aufgestöbert, aber der flüchtige Bräutigam Michael Gaines blieb unauffindbar.

Immerhin hatte sie inzwischen herausgefunden, dass Gaines’ Trauzeuge Jason McCormick einen Zweitwohnsitz auf Captiva Island besaß. Es konnte daher nicht schaden, dort mal nach dem Verschwundenen Ausschau zu halten.

„Kopf hoch“, sagte Lucinda zu Eugenia. „Vielleicht habe ich schon bald Neuigkeiten für Sie.“

Eugenia schnaubte verächtlich. „Erschießen Sie Michael, wenn Sie ihn finden?“

Lucinda lachte. „Ich schieße höchstens Fotos.“

„Ach, kommen Sie schon, ich weiß genau, dass Sie eine Pistole haben!“

„Nur für den Notfall oder falls ich mich selbst verteidigen muss.“

„Aber das hier ist ein Notfall, Lucinda! Ich kann mein Leben erst dann fortsetzen, wenn ich weiß, warum Michael mich sitzen gelassen hat. Jason McCormick behauptet steif und fest, keine Ahnung zu haben, wo Michael steckt. Sollte sich herausstellen, dass er gelogen hat, dürfen Sie ihn auch gern erschießen.“

„Mach ich“, versprach Lucinda mit gespieltem Ernst. „Sollte Michael seinem Kumpel übrigens gerade keinen Besuch abstatten, werde ich trotzdem irgendwie aus Mr McCormick rauskriegen, wo er steckt.“

„Viel Glück. Sie werden Jason allerdings erst hypnotisieren müssen, bevor er Ihnen verrät, wohin sich sein dämlicher bester Freund verdrückt hat.“

„Das dürfen Sie ruhig mir überlassen“, sagte Lucinda zuversichtlich.

Eugenia schnaubte wieder. „Um ehrlich zu sein, Lucinda, ich bin nicht nur wütend, sondern mache mir auch große Sorgen. Michael hat die Angewohnheit, beim Feiern zu tief ins Glas zu schauen. Was ist, wenn er einen Unfall hatte und irgendwo im Koma liegt?“

„Eugenia!“, antwortete Lucinda sanft. „Die Kranken- und Leichenschauhäuser habe ich doch als Erstes überprüft.“

„Ich weiß“, stöhnte Eugenia. „Aber man darf ja wohl noch hoffen, oder?“

Lucinda schürzte die Lippen – ihrer Erfahrung nach schreckte ein liebeskranker Mensch vor nichts zurück, um das Verschwinden des oder der Geliebten zu rechtfertigen. „Versuchen Sie einfach, positiv zu denken, okay? Auf welchen Typ Frau steht McCormick eigentlich?“

„Michael hat mir mal erzählt, dass Jason auf Rothaarige abfährt, wenn Ihnen das weiterhilft.“

„Danke. Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich Neuigkeiten habe.“

Lucinda unterbrach die Verbindung und schüttelte fassungslos den Kopf. Sie konnte beim besten Willen nicht begreifen, warum Eugenia so viel Geld für die Suche nach einem Mann ausgab, der sie offensichtlich nicht heiraten wollte!

Rückblickend wünschte sie, sie selbst oder ihr Ex-Mann hätten seinerzeit ebenfalls den Mut aufgebracht, noch rechtzeitig vor ihrer Hochzeit davonzulaufen – das hätte ihnen zwei miserable Ehejahre und einen Haufen Rechtsanwaltskosten erspart.

Der einzige Gewinn, den Lucinda aus ihrer kurzen und unglückseligen Ehe gezogen hatte, war die Erkenntnis, dass sie ein Talent zum Schnüffeln besaß. Die Fotos von ihrem Ex in flagranti waren bei Gericht noch immer legendär.

Auf Captiva Island angekommen, fuhr Lucinda direkt zu dem Apartmenthaus, in dem sie eine Einzimmerwohnung gemietet hatte. Dabei ging sie im Geiste Jason McCormicks Akte durch. Der Mann wurde in einschlägigen Magazinen als einer der begehrtesten Junggesellen unter vierzig geführt und war Bauunternehmer in Atlanta. Er engagierte sich außerdem für den Nationalpark auf der Nachbarinsel Sanibel Island und verbrachte die meisten Wochenenden in seinem Strandhaus auf Captiva.

Ob er dort auch seinen hochzeitsflüchtigen Freund Michael versteckte?

Vor dem Einchecken bat Lucinda den Verwalter, die Mietwohnung allein betrachten zu dürfen. Das knallbunte Dekor kaum beachtend, durchquerte sie den kleinen Wohnbereich und trat auf den überdachten Balkon, der einen Ausblick nach Nordwesten bot.

Sie holte ihr Fernglas aus ihrer Handtasche, hielt es sich vor die Augen und entdeckte schließlich, wonach sie gesucht hatte: ein modernes, dreistöckiges blaugraues Haus, das vor allem aus Glas bestand und seinem Besitzer eindeutig eine spektakuläre Sicht aufs Meer bot. Dem Himmel sei Dank für Luftaufnahmen im Internet!

Lucinda stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Jason McCormick musste ganz schön viel Kohle verdienen, um sich einen solchen Kasten auf einem der teuersten Streifen Land der Vereinigten Staaten leisten zu können.

Während sie das Haus beobachtete, trat ein Mann in schwarzer Badehose und mit einer Bierflasche in der Hand auf den Balkon des obersten Stockwerks und ging zum Geländer, um den Golf von Mexiko zu betrachten, der gewissermaßen den Vorgarten seines Hauses bildete. Lucindas Pulsschlag beschleunigte sich bei seinem Anblick.

Jason McCormick war größer und kräftiger als auf dem Foto in ihrer Akte, und er bewegte sich so athletisch, dass er anscheinend weniger Zeit hinter dem Schreibtisch verbrachte, als bei einem Bauunternehmer anzunehmen war.

Unwillkürlich fuhr sie mit der Zunge über die Oberlippe, um sich die Schweißperlen abzulecken. Offensichtlich machte ihr die Julihitze Südfloridas zu schaffen, aber besser das als der Mann vor ihrer Linse – sie konnte es sich nämlich nicht leisten, sich von banalen Äußerlichkeiten ablenken zu lassen. Nur gut, dass sie gegen den Charme von Charmeuren ein für alle Mal immun war!

„Die Erfahrung habe ich nämlich schon hinter mir“, murmelte sie vor sich hin, konnte jedoch nicht umhin festzustellen, dass dieser Mann in jeder Hinsicht mehr zu bieten hatte als ihr Ex.

Sie wartete noch ein paar Minuten ab, ob Michael Gaines sich vielleicht zu McCormick gesellte, aber der Mann blieb allein und trank gedankenverloren sein Bier, während er aufs Wasser blickte.

Lucinda suchte die Umgebung des Hauses nach Hinweisen auf Michael Gaines’ Auto ab, sah jedoch nur einen schwarzen Porsche, der laut ihrer Akte McCormick gehörte.

Übrigens nicht gerade ein Auto, mit dem man sich unauffällig unter den Verkehr mischen konnte.

Lucinda richtete das Fernglas auf sämtliche Fenster des Hauses, konnte jedoch keine Regung hinter den Scheiben erkennen. Verdammt, das Haus war von allen Seiten gegen Eindringlinge abgeschottet – keine Chance also, sich unauffällig hineinzuschleichen, um sich etwas umzusehen.

Lucinda hatte keine Skrupel, sich irgendwo unbefugten Zutritt zu verschaffen, aber Einbruch war tabu. Bei ihrem lukrativen Job konnte sie sich keine Anzeige leisten.

Sie musste also auf altmodische Art und Weise ins Haus gelangen – durch eine Einladung.

Was die Sache jedoch schon erheblich schwieriger machte. McCormick schien allein zu sein, aber das hieß noch lange nicht, dass sie bei ihm leichtes Spiel haben würde. Seiner Akte nach zu urteilen, war er sehr reserviert und zudem überzeugter Junggeselle.

Nicht dass sein Privatleben sie interessierte, aber diese Information konnte hilfreich dabei sein, den Aufenthaltsort seines besten Freundes herauszufinden. Wenn Michael Gaines nämlich bei der Hochzeit jemandem verraten hatte, wo er hinging, dann unter Garantie seinem Trauzeugen.

Während Lucinda das ahnungslose Objekt ihrer Nachforschungen beobachtete, empfand sie fast schon Mitleid mit ihm. Ihre Erfolgsquote lag nämlich bei hundert Prozent, und sie hatte nicht vor, das zu ändern. Bis jetzt hatte sie noch nie mit jemandem schlafen müssen, um an Informationen zu kommen, fand jedoch nichts dabei, ihren Sex-Appeal einzusetzen, wenn die Situation es erforderte.

Gott sei Dank war sie schlau genug gewesen, ein paar Bikinis und jede Menge Sonnenöl einzupacken. Ein süffisantes Lächeln umspielte ihre Lippen. Der Mann würde schon bald sein blaues Wunder erleben.

Sie ließ das Fernglas sinken und steckte es zurück in ihre Tasche. Als sie in den Flur hinaustrat, lächelte der Makler sie nervös an.

„Wir haben noch ein paar Wohnungen auf der Meerseite. Die Aussicht ist dort viel besser.“

„Ich nehme diese“, antwortete Lucinda und klappte ihre Sonnenbrille nach unten. „Die Aussicht ist einfach perfekt. Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich zur nächsten Drogerie komme?“

Jason McCormick betrachtete den friedlich vor ihm liegenden Golf von Mexiko und trank nachdenklich einen großen Schluck eisgekühltes Bier. Das Meer ist wie eine Frau, dachte er trocken. Oberflächlich betrachtet einladend, verführerisch … und unwiderstehlich. Aber schon wenige Meter unter der Oberfläche kann jederzeit ein Erdbeben ausbrechen und einen emotionalen Tsunami auslösen, der das Leben eines Mannes mit einem Schlag verändern kann.

Eigentlich war er bis jetzt völlig zufrieden mit seiner inzwischen fast einjährigen Beziehung zu Ginger gewesen. Sie passte sich, ohne zu murren, seinem vollen Terminkalender an, stritt sich nie mit ihm, und der Sex war immer noch ziemlich gut. Er hatte gedacht, sie sei glücklich – bis sie ihm plötzlich völlig unerwartet die Pistole auf die Brust gesetzt und von ihm verlangt hatte, sie zu heiraten.

Seine Lebensphilosophie war eigentlich, nicht an Dingen zu rühren, die gut liefen. Außerdem hatte er nie heiraten wollen und war sich ziemlich sicher, dass sich daran auch nichts geändert hatte.

Jason stieß einen lauten Seufzer aus.

Andererseits konnte er es schlechter treffen als mit Ginger. Und wenn er zu lange wartete, war sie vielleicht nicht mehr zu haben. Ihre biologische Uhr begann nämlich allmählich zu ticken, und sie hatte ihm klipp und klar gesagt, dass sie sich einen anderen Vater ihrer Kinder suchen würde, wenn er ihr nicht bald einen Ring kaufte und einen Hochzeitstermin festsetzte.

Jason lehnte sich gegen das sonnengewärmte Holz des Geländers, trank noch einen Schluck Bier und wünschte sich sehnlich eine Erleuchtung. Klar, der Gedanke an die Ehe löste grundsätzlich nicht gerade Jubelschreie bei ihm aus, aber möglicherweise war seine derzeitige extreme Skepsis ja auch auf Michaels kürzliche Beinahe-Hochzeit zurückzuführen.

Er hätte den Kerl dafür erwürgen können, dass er ihn in einem viel zu engen Smoking vor dem Altar hatte stehen lassen und ihm die unangenehme Aufgabe übertragen hatte, den Gästen zu erklären, dass die Zeremonie kurzfristig leider doch nicht stattfinden würde. Andererseits war Jason im Nachhinein froh, dass sein Freund gerade noch rechtzeitig den Rückzug angetreten hatte. Vielleicht waren Eugenia oder die Ehe ja doch nicht das Richtige für ihn.

Trotzdem, es war nicht gerade souverän von Michael gewesen, fluchtartig die Szene zu verlassen und einfach so abzutauchen. Dem explosiven Wutausbruch seiner Braut nach zu urteilen, tat er allerdings gut daran, sich noch ein Weilchen versteckt zu halten. Gott sei Dank hatte Eugenia es inzwischen aufgegeben, ihn anzurufen, um ihn zu fragen, wo Michael steckte.

Denn auch wenn Michael sich nicht richtig verhalten hatte – Jason konnte einen alten Freund nicht einfach so hängen lassen.

Was ihn der Lösung seines Dilemmas allerdings auch keinen Schritt näherbrachte. Er konnte nur hoffen, dass eine Woche am Strand ihm genug Ruhe – und Bier – verschaffen würde, um wegen Ginger die richtige Entscheidung zu treffen.

Jason blickte auf den fast leeren Strand hinunter und empfand plötzlich das Bedürfnis nach einem Bad im Meer. Er brauchte jetzt unbedingt etwas Abkühlung und danach ein Nickerchen im Schatten einer Düne.

Genau, das war es, was ihm jetzt helfen würde – ein kleines, den Kopf freimachendes Schläfchen an Captivas ruhigem und gepflegtem Strand, wo die Menschen nur nach Muscheln und nicht nach Dates Ausschau hielten. Weit weg von irgendwelchen Frauen, die Antworten aus ihm herauspressen wollten!

2. KAPITEL

Lucinda stieß einen frustrierten Seufzer aus und schmierte sich noch mehr Sonnenöl auf die Nase. McCormick lag inzwischen schon so lange auf seiner Liege im Schatten einer Düne, dass sie allmählich den Verdacht hatte, er sei gestorben.

Aber falls ja, war er eine verdammt gut aussehende Leiche. Sogar in Ruheposition sahen die Muskeln seines langgliedrigen und gebräunten Körpers so gut konturiert aus, dass jede Frau über zwölf ihn automatisch anstarrte. Eine Gruppe älterer Frauen blieb sogar stehen, um Fotos von dem schlafenden Mann zu knipsen, dessen getrocknete Badehosen sich um seinen … Rumpf schmiegten. Sie kicherten so albern wie Schulmädchen, bevor sie weiterzogen.

Auf ihrem Badehandtuch in der Sonne schmorend, hatte Lucinda schon drei Magazine durchgeblättert, während sie darauf wartete, dass der Mann endlich mal einen seiner schwellenden Muskeln bewegte.

Sie hatte sich große Mühe mit ihrem flammend roten Haar gegeben – die Tönung verdeckte ihr normales Aschblond – und es zu einem neckischen Pferdeschwanz hochgebunden, anstatt es wie sonst einfach nur rasch mit einer Bananenspange hochzustecken.

Außerdem hatte sie sich einen Bikini, einen schlichten Überwurf und Strasssandalen angezogen und die nächsten anderthalb Stunden damit verbracht zu schwitzen und darauf zu warten, dass Jason McCormick endlich aufwachte und sie bemerkte.

Der einzige Mensch jedoch, der bisher von ihr Notiz genommen hatte, war ein verschrumpelter alter Herr in geblümtem Hemd, der versuchte, mit lahmen Witzen auf sich aufmerksam zu machen. Gott sei Dank tauchte irgendwann seine Frau auf und zerrte ihn weg.

Während der Beobachtung ihres Objekts fiel ihr ein, dass sie sich dringend einen Grund zurechtlegen musste, warum sie sich so weit weg von ihrer Wohnung auf diesem leeren Strandabschnitt mit Megamillionen-Dollar-Häusern befand – irgendeinen Vorwand, um ihre „zufällige“ Begegnung mit Jason McCormick weniger arrangiert wirken zu lassen.

Plötzlich trug der Wind den Klang einer weiblichen Stimme zu ihr herüber. Lucinda drehte den Kopf zu einer Frau unten am Wasser, die gerade einer Gruppe mit Eimern und Stöcken bewaffneter Kinder und Erwachsenen eine Art Vortrag hielt. Da sie gerade nichts anderes zu tun hatte, schlenderte Lucinda zu ihnen hinüber.

Als sie bei der Gruppe ankam, hörte sie die Frau herunterleiern, dass Captiva ein vorzüglicher Ort zum Muschelnsammeln sei und Sammler aus aller Welt anlocke.

Die Frau fuhr damit fort, dass es illegal sei, „lebendige“ Muscheln zu sammeln – also Muscheln, die noch bewohnt waren –, und hielt einige einheimische Exemplare hoch, von denen es am Strand jede Menge gab, obwohl perfekt erhaltene eher selten zu finden waren.

„Aber die begehrteste Trophäe“, erklärte die Frau und hielt eine kleine braungesprenkelte Muschel hoch, „ist die Junonia-Muschel. Sammler, die das Glück haben, eine Junonia zu finden, werden mit Foto im Lokalblatt abgelichtet.“

Alle raunten ehrfürchtig, als die seltene Muschel herumgereicht wurde.

„Von allen anderen habe ich schon Dutzende“, hörte Lucinda einen etwa zwölfjährigen Jungen zu einem anderen sagen. Er zeigte ihm eine durchsichtige Box. „Aber eine Junonia habe ich bis jetzt noch nicht gefunden.“

Bei diesen Worten kam Lucinda ein rettender Einfall. „Hey, Junge, hättest du vielleicht Lust, mir deine Sammlung zu verkaufen?“

Der Junge blickte zu ihr hoch. „Klar, warum nicht? Ich habe noch jede Menge zu Hause.“

„Wie viel willst du dafür?“

„Es ist keine Junonia dabei.“

„Macht nichts.“

Der Junge zuckte die Achseln. „Zwanzig Dollar?“

„Hier hast du fünfundzwanzig“, sagte Lucinda und fischte das Geld aus ihrem Brustbeutel.

„Danke!“, rief der Junge erfreut und nahm das Geld.

„Ich danke dir“, murmelte Lucinda, nachdem der Junge sich getrollt hatte.

Jetzt hatte sie endlich einen triftigen Grund, hier am Strand entlangzulaufen. Sie war einfach auf der Jagd nach der seltenen Junonia-Muschel … und insgeheim auf den Spuren des sich ebenso rar machenden Michael Gaines.

Stirnrunzelnd betrachtete Lucinda den schlafenden Jason McCormick. Es wurde allmählich Zeit, mit der Show zu beginnen.

Jason wurde davon aus dem Schlaf gerissen, dass etwas auf seinen Geschlechtsteilen landete. Er blickte an sich hinunter und entdeckte einen weichen rosa Hut auf seinem besten Stück. Als er den Blick wieder hob, sah er eine Rothaarige – vielmehr eine umwerfende Rothaarige – mit einem entschuldigenden Lächeln auf sich zurennen.

„Tut mir leid“, rief sie, „aber mein Hut wurde vom Wind weggeweht.“

„Kein Problem“, antwortete er und setzte sich auf, um sie besser betrachten zu können. Mit der Sonne in ihrem Rücken standen die Umrisse ihrer fantastischen Figur vollkommen klar vor ihm. Sein Körper reagierte sofort – Gott sei Dank hatte er den Hut!

„Machen Sie hier Urlaub?“, fragte die Frau und lächelte bezaubernd.

„Irgendwie schon“, antwortete Jason ausweichend und wartete darauf, dass sein Ich-habe-eine-feste-Freundin-Schutzmechanismus in Aktion trat. Jeder anständige Kerl, der monogam lebte, hatte einen. Seiner hielt ihn für gewöhnlich davon ab, zu flirten, zu scherzen, zweideutige Anspielungen zu machen oder auf sonst eine Art fremde Frauen anzubaggern. In diesem Augenblick allerdings schien der Mechanismus zu versagen.

„Irgendwie? Wie meinen Sie das?“, fragte die Frau mit einem so hinreißenden Lachen, dass er es am liebsten gleich wieder gehört hätte.

In der Hoffnung, dass die vertikale Position seinen Mechanismus wieder aktivieren würde, stand Jason auf. Leider vergeblich. Bei dieser Frau – wie hieß sie eigentlich? – würde er sich anscheinend mit reiner Willenskraft behelfen müssen.

„Ich besitze hier ein Haus“, hörte er sich selbst sagen. „Ich komme immer hierher, wenn ich mich losmachen kann.“

„Wovon losmachen?“

Das war jetzt die perfekte Gelegenheit, ihr zu sagen, dass er eine Freundin hatte, die er vielleicht sogar heiraten würde. Aber das würde unweigerlich den Eindruck vermitteln, er sei nur hier, um von seiner Freundin wegzukommen. „Von meiner Arbeit“, sagte Jason daher nur.

„Klingt stressig“, antwortete sie und streckte die Hand nach ihrem Hut aus. „Ich lasse Sie mal weiterschlafen.“

Aber Jason machte keinerlei Anstalten, ihr den Hut zurückzugeben. Er wollte nämlich nicht, dass sie schon ging. Er hatte bereits jede Menge schöne Frauen gesehen, aber diese hier war so … erfrischend. „Machen Sie hier Urlaub?“

Die Unbekannte nickte. „Ich bin hier, um Muscheln zu suchen.“

Jason hob die Augenbrauen. „Muscheln?“

Sie zog eine kleine Plastikbox mit einer Muschelsammlung aus ihrer Strandtasche. „Ich habe alle bis auf die Junonia, und ich will unbedingt eine finden, bevor ich wieder abreise.“

Okay, nicht gerade das, was er von einer so tollen Frau erwartet hätte, aber irgendwie fand er es … süß. „Eine Junonia? Das ist doch so eine braungesprenkelte Muschel, oder?“

Ihre Augen leuchteten auf. „Haben Sie vielleicht eine gesehen?“

„Heute noch nicht“, antwortete er lachend. „Am besten machen Sie sich am frühen Morgen auf die Suche, bei Ebbe.“

„Klingt, als ob Sie Ahnung davon hätten.“

„Ich kenne mich ganz gut mit der hiesigen Tierwelt aus“, erklärte er. „Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber Sie sehen nicht gerade aus wie jemand, der Muscheln sammelt.“

Ihre Grübchen waren einfach anbetungswürdig. „Nennen Sie mich ruhig altmodisch, aber mein Vater hat mich immer mit zum Strand genommen, als ich noch klein war. Beim Muschelnsammeln kommen einfach schöne Erinnerungen in mir hoch.“

Er hatte kein Problem mit altmodischen Frauen. An ihrem Bikini war allerdings nichts altmodisch. Die Frau hatte einen äußerst straffen Körper und trotzdem jede Menge weiblicher Rundungen. Der Anblick ihres winzigen blauen Bikinis verursachte plötzlich einen Kurzschluss in Jasons Hirn, sodass es ihm kurzfristig die Sprache verschlug.

„Sind Sie allein hier?“, fragte die Frau.

Jasons nicht funktionierende Zunge gefror vollends. Er nickte wortlos.

Sie lächelte strahlend. „Danke für den Tipp mit der Ebbe. Haben Sie eine Ahnung, wo man hier gut zu Abend essen kann?“

Jason, der die Wirkung ihres Lächelns nur allzu deutlich an seinem Körper spürte, zögerte. Diese grünen Augen … wow! Diese Frau war wie eine riesige üppige Zuckerstange – man wollte unwillkürlich zubeißen, aber später würden unweigerlich Scham und Reue folgen. Trotzdem fuhr Jason sich unbewusst mit der Zunge über die Lippen.

Plötzlich fiel ihm wieder Ginger ein. Sie verdiente eine Antwort von ihm. Es wäre ihm ein Leichtes, sich von der Klassefrau hier von seiner Entscheidung ablenken zu lassen, doch eine Affäre mit ihr würde eine Entscheidung ohnehin hinfällig machen. Mit seinen sechsunddreißig Jahren hatte Jason zwar schon viele Freundinnen gehabt, aber noch nie eine von ihnen betrogen.

„Im Blue Marlin zum Beispiel. Es hat eine nette Atmosphäre.“ Selbstverständlich würde er von jetzt an nur noch bei Sharkey’s essen.

„Danke. Ich werde das Lokal mal ausprobieren. Es war nett, Sie kennenzulernen.“

„Sie auch“, murmelte Jason. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er noch gar nicht ihren Namen kannte, aber das war vielleicht auch besser so. Die Frau stand da, als erwarte sie noch irgendetwas von ihm.

„Was ist mit meinem Hut?“, fragte sie mit amüsiert funkelnden Augen.

„Oh.“ Die Hitze stieg ihm ins Gesicht, als er ihr den weichen rosa Hut zurückgab. Er sah ihr hinterher, als sie davonging. Komisch, so leicht ließ er sich doch sonst nicht von einer Frau aus der Fassung bringen! Bestürzt stellte er fest, dass sie von hinten genauso gut aussah wie von vorne.

Entschlossen wandte er das Gesicht von dem seinen Mund wässrig machenden Anblick ab und fuhr sich über das Gesicht. Er war schließlich erwachsen – und daher durchaus imstande, der Versuchung zu widerstehen.

Doch allen guten Vorsätzen zum Trotz reckte er wieder den Hals und sah der geheimnisvollen muschelnsuchenden Rothaarigen hinterher, bis sie verschwunden war. Trotzdem würde er auf keinen Fall heute ins Blue Marlin gehen, um sie wiederzusehen. Das stand fest!

„Noch keine Spur von Michael?“, fragte Eugenia.

„Nein“, antwortete Lucinda, die gerade mit ihrem Handy an der Bar des Blue Marlin saß, ein strategisch perfekter Ort, um die Stammkunden ankommen zu sehen. Sie trank bereits ihre zweite Margarita und machte sich allmählich Sorgen, dass Jason McCormick vielleicht doch nicht angebissen hatte.

„Ich habe McCormicks Haus fast den ganzen Tag lang beobachtet, aber es sieht so aus, als sei er der einzige Bewohner.“ Für alle Fälle hatte sie noch ein paar Fotos mit dem Teleobjektiv geschossen.

„Wann werden Sie Kontakt zu Jason aufnehmen?“, fragte Eugenia.

Lucinda rutschte auf ihrem Barhocker herum und erinnerte sich an die Wirkung seines intensiven eisblauen Blicks. „Eigentlich habe ich ihn schon heute am Strand in ein Gespräch verwickelt.“

„Klassetyp, nicht?“, fragte Eugenia trocken.

„Er ist … gut aussehend, ja.“ Das Foto in Jason McCormicks Akte wurde seinen markanten Gesichtszügen noch nicht einmal ansatzweise gerecht, auch nicht dem vollen dunklen Haar, das der Wind so süß zerzaust hatte wie bei einem kleinen Jungen …

„Nehmen Sie sich in Acht – Jason und Michael sind vom gleichen Schlag. Sie sind Meister darin, Frauen dazu zu bringen, sich in sie zu verlieben.“

„Vertrauen Sie mir, Eugenia, Jason McCormick ist für mich nur ein Mittel zum Zweck.“

„Klar, aber passen Sie auf, dass Sie nicht doch noch in seinem Bett landen.“

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ihr Gesprächsthema betrat das gedämpft beleuchtete Restaurant. Diesmal trug er Jeans und ein kurzärmliges weißes Hemd und sah darin genauso gut aus wie in der Badehose, wenn das überhaupt möglich war. „Ich muss jetzt auflegen, Eugenia.“

Lucinda unterbrach die Verbindung und drehte sich hastig von McCormick weg. Ihr Magen verkrampfte sich vor Aufregung, so wie immer, wenn ein Fall eine erfolgversprechende Wendung zu nehmen versprach. Sie trank einen weiteren Schluck Margarita und drehte sich dann wieder lässig zu McCormick um. Ihre Blicke begegneten sich.

Sie lächelte mit gespielter Überraschung, während er sich den Weg zu ihr bahnte. Doch als er schließlich vor ihr stehen blieb und sie ruhig aus seinen eisblauen Augen betrachtete, stellte sie zu ihrer Bestürzung fest, dass das plötzliche Flattern in ihrem Bauch nur wenig mit ihren beruflichen Fortschritten zu tun hatte.

„Hi“, sagte sie und hoffte, wie eine selbstsichere Rothaarige zu wirken. „Was für ein Zufall.“

„Stimmt“, antwortete er. „Na ja, jeder auf dieser Insel findet sich früher oder später hier wieder.“

„Sind Sie verabredet?“

Jason zögerte einen Moment und schüttelte dann den Kopf.

„Sie hatten doch wohl nicht vor, allein zu essen, oder?“

Er grinste. „Ich fürchte, so weit habe ich nicht vorausgedacht.“ Er gestikulierte vage in Richtung Bar. „Und was ist mit Ihnen? Essen Sie allein?“

Sie lachte. „Ich trinke eher allein.“

„Nicht gut. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich zu Ihnen setze?“

Diesmal zögerte Lucinda, was natürlich verrückt war. Schließlich war diese Frage genau das, was sie sich erhofft hatte. Aber irgendetwas an dem Mann ließ bei ihr sämtliche Alarmglocken schrillen – was hatte Eugenia noch gleich gesagt? Dass er ein Meister darin war, Frauen dazu zu bringen, sich in ihn zu verlieben?

Lucinda wandte den Blick ab, um sich zu sammeln, und nickte dann zum leeren Barhocker neben ihr. „Bitte.“

McCormick setzte sich und bestellte ein Bier. Seine Nähe löste eine starke körperliche Reaktion in Lucinda aus, die sie auf die gedämpfte Beleuchtung und den Alkohol schob. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ihr so etwas das letzte Mal passiert war. Vielleicht sollte sie für immer rothaarig bleiben.

„Ich bin übrigens Jason“, sagte er.

„Und ich Lucy.“ Das reichte als Tarnname für eine verdeckte Ermittlung.

„Und was treiben Sie so, wenn Sie gerade nicht nach Muscheln suchen, Lucy?“

„Ich bin Immobilienmaklerin.“

„Wirklich? Ich handle selbst mit Immobilien. Vor allem gewerblichen.“

„Hier in der Gegend?“

„Nein, in Atlanta.“

„Ach so. Atlanta ist eine tolle Stadt.“

Er nickte, auch wenn sein Blick sich für den Bruchteil einer Sekunde bewölkte. „Stimmt. Und wo kommen Sie her?“

„Aus Orlando. Waren Sie schon mal da?“

„Klar. Ich habe sogar einen Freund dort.“

„Ach wirklich?“ Sie lächelte McCormick über den Rand ihres Glases hinweg an. „Woher kennen Sie sich?“

„Vom College.“

„Wie heißt er denn? Vielleicht kenne ich ihn ja sogar.“

Seine Mundwinkel zuckten, bevor er antwortete. „Michael Gaines. Er handelt mit Alkohol.“

Sie lachte fröhlich, um das laute Klopfen ihres Pulsschlags zu übertönen. „Wie praktisch! Aber der Name sagt mir nichts. Ist er Single?“

Zu ihrem Unwillen kam gerade McCormicks Bier, was ihr Gespräch unterbrach. Er gab dem Barmann seine Kreditkarte und wies ihn an, ihre Drinks auf seine Rechnung zu setzen.

„Also, zurück zu Ihrem Freund in Orlando“, sagte Lucinda, um das Gespräch wieder auf das Thema zu lenken. „Ist er Single?“

Jason schürzte die Lippen. „Genau genommen schon. Vielleicht sollte ich Sie beide miteinander bekannt machen, wenn Sie schon in derselben Stadt wohnen.“

„Sieht er denn genauso gut aus wie Sie?“, fragte Lucinda und beugte sich weit genug vor, um sein würziges Aftershave einzuatmen.

McCormick lachte tief und sexy und trank einen Schluck Bier. „Wollen wir uns einen Tisch suchen und etwas zu essen bestellen?“

Die Band kehrte gerade wieder von der Pause zurück. Ihre Musik hatte Lucinda gefallen, aber es würde schwierig werden, sich bei dem Lärm zu unterhalten.

Sie legte daher ihre Hand auf Jasons Arm. Bei dem plötzlichen Schock, seine warme Haut unter den Fingern zu spüren, vergaß sie fast, was sie eigentlich sagen wollte. „Die Nacht ist so klar, dass ich mir eigentlich vorgenommen hatte, nur einen Eimer Shrimps zu kaufen und zum Strand zurückzugehen. Wollen Sie mitkommen?“

Er zögerte etwas zu lange und trank wieder einen Schluck Bier. Irgendetwas stimmte nicht. Hatte sie etwa zu viele Fragen gestellt? Oder hatte er womöglich schon Verdacht geschöpft, dass sie nicht die war, für die sie sich ausgab?

Aber schließlich stellte McCormick sein Bier ab. Seine Lippen verzogen sich fast wie von allein zu einem Lächeln. „Klingt gut. Ich bin dabei.“

3. KAPITEL

Es ist ja nur ein Eimer Shrimps, versuchte Jason sich zu beruhigen, während sie sich ihren Weg den monderhellten Weg zum Strand entlang bahnten. Er war nur freundlich zu einer sympathischen Touristin, mehr nicht.

Leider war sie zufällig die schärfste Rothaarige, die er je gesehen hatte.

Und sie trug den kürzesten Rock, den er je gesehen hatte.

Außerdem duftete sie äußerst dekadent nach Moschus, Tequila und Frau.

Jason schloss die Augen und stöhnte laut auf.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte Lucy besorgt.

„Ja, alles okay“, antwortete er. „Ich bin … nur auf etwas getreten.“

„Hier, nehmen Sie meine Hand.“

Er gehorchte. Aber spätestens, als ihre weiche schlanke Hand in seine glitt und er spürte, wie sie ihren Daumen mit seinem verhakte, wurde Jason bewusst, dass er in ernsten Schwierigkeiten steckte. Hand in Hand zu gehen machte den Weg zum Strand nämlich noch beschwerlicher, denn sie trugen gleichzeitig ihre Verpflegung.

Verrückterweise wollte Jason Lucy trotzdem nicht loslassen. Sich gegenseitig stützend, gingen sie unsicher den Weg zum Strand entlang, während Lucys belustigtes Lachen die Stille durchdrang.

Jason lief ein Angstschauer über den Rücken. Wie war es nur möglich, dass er sich so schnell und intensiv zu dieser Frau hingezogen fühlte? Hatte Gingers Ultimatum bei ihm womöglich eine Art Racheimpuls ausgelöst? Eigentlich hatte er sich nämlich fest vorgenommen, nicht in das Lucy empfohlene Restaurant zu gehen, und jetzt war er nur einen Shrimpeimer davon entfernt, etwas zu tun, was ihn total aus der Bahn werfen würde.

„Was für eine herrliche Nacht!“, sagte Lucy und drückte seine Hand, als sie am Ende des Pfades ankamen. Vor ihnen erstreckte sich ein einsamer Strandabschnitt, der etwa eine Viertelmeile von seinem Haus entfernt war. Jason hatte es bewusst vermieden, sie dort mit hinzunehmen – das würde seiner Beziehung zu Ginger nämlich den Todesstoß versetzen. Bis jetzt hatte er allerdings noch nichts getan, dessen er sich schuldig fühlen musste.

Der Sand unter seinen Füßen gab nach und drang in seine neuen Schuhe, aber das war ihm egal. Blass leuchtete der Strand im Mondlicht und reflektierte genug Licht, um Lucys Profil zu betrachten – die Linie ihrer Nase, den Schwung ihrer vollen Lippen.

Nur wenige Meter vor ihnen brachen sich die Wellen am Ufer und wichen dann wieder zurück ins dunkle Meer. Der Mond spiegelte sich auf dem Wasser und zauberte einen Lichtstrahl auf die Oberfläche. Alles in allem war die Szenerie viel zu romantisch für ein platonisches Mahl.

„Wie wär’s mit diesem Platz?“, fragte Lucy und zeigte auf den Stamm einer Palme, die vor langer Zeit von einem Sturm gefällt und dann hier angespült worden war.

„Gefällt mir“, antwortete Jason und versuchte sein Gewissen damit zu beruhigen, dass das hier nur ein Test war. Wenn er es schaffte, den Abend mit dieser faszinierenden Rothaarigen zu überstehen, ohne Ginger untreu zu werden, würde er ihretwegen umso besser eine Entscheidung treffen können … und seinetwegen.

Er stellte den Eimer mit den Bierdosen ab, und Lucy den mit den Shrimps. Dann ließ er sich vor dem Holzstamm nieder, während Lucy nur ihre Schuhe abstreifte und stehen blieb. Sie hob Gesicht und Arme zum sternenübersäten Himmel. „Ist das nicht das Schönste, was Sie je gesehen haben?“

Jason starrte sie wie hypnotisiert an. Der Wind hob ihr Haar und weht es ihr um die Schultern. Ihr weißes Tanktop umschmeichelte ihre Brüste, und der weite kurze Rock hob sich, um steinharte Oberschenkel zu enthüllen. Ihre schlanken gebräunten Beine endeten in Zehen, die sich in den Sand gruben.

„Stimmt“, antwortete er heiser und versuchte sein Bestes, seine plötzliche Erregung zu unterdrücken. In der Hoffnung, Alkohol würde seine Libido abkühlen, öffnete er eine Dose Bier. „Bereit zum Mahl?“, fragte er und machte ihr ebenfalls eine Dose auf.

Lächelnd nahm sie das Bier und setzte sich ein paar Zentimeter von ihm entfernt in den Sand. Es schien ihr nichts auszumachen, dass sie sich dabei schmutzig machte. Sie spreizte die Beine und ließ den Eimer Shrimps zwischen ihre schönen Oberschenkel fallen wie eine Achtjährige. „Ich pule.“

„Da sage ich nicht nein“, antwortete Jason, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm und zwang sich dazu, sich auf die Schönheit der Natur um ihn herum zu konzentrieren, um sich von der Naturschönheit neben ihm abzulenken.

Es war wirklich eine paradiesische Nacht. Der Anblick und Klang der Wellen waren so beruhigend, dass man sich einreden konnte, der Rest der Welt sei unwichtig oder würde gar nicht existieren. Hätte Jason nach links in die Ferne geschaut, hätten ihn die Lichter der Skyline von Fort Myers daran erinnert, dass die Welt doch noch existierte. Aber er sah nicht nach links.

Stattdessen nahm er einen gepulten Shrimp von einer sexy Frau, die nichts von ihm erwartete, tunkte ihn in würzige Cocktailsoße und steckte ihn sich in den Mund. „Mm, lecker!“

Lucy schob sich ebenfalls einen Schrimp in den Mund und murmelte Zustimmendes. Ihre geschickten Finger bewegten sich rasch und pulten die Shrimps schneller, als er ihr helfen konnte, sie zu essen.

„Welche Art von Immobilien vermitteln Sie eigentlich?“, fragte er.

„Vor allem Zinswohnungen und – häuser.“ Sie zuckte die Achseln. „Nichts Aufregendes. Und Sie?“

„Gewerbliche Immobilien. Atlanta boomt gerade.“

Sie nickte. „Und was machen Sie in Ihrer Freizeit?“

„Hierhin fahren.“

„Die Gegend hier kommt mir ganz schön ruhig vor für einen alleinstehenden Mann. Ich hätte gedacht, ein Typ wie Sie bevorzuge Miami oder vielleicht die Florida Keys.“

„Meine Familie hat schon auf Sanibel oder Captiva Urlaub gemacht, als der Damm noch gar nicht existierte“, antwortete er. „Ich habe mir gute Erinnerungen an die Zeit bewahrt, und außerdem wohne ich gern ruhig.“

„Laden Sie manchmal Freunde oder Familienmitglieder ein?“

„Gelegentlich“, räumte er ein.

„Aber diesmal sind Sie allein hier?“

„Ja“, antwortete er und versuchte sich einzureden, dass er die Wahrheit sagte.

Er war zwar nicht ehrlich, aber er log auch nicht.

„Auf das Alleinsein!“, sagte Lucy und hob ihre Bierdose.

Als Jason mit ihr anstieß, wurde ihm bewusst, dass sie ihm von Minute zu Minute besser gefiel. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich je spontan so wohl in Gegenwart einer Frau gefühlt hatte. Die Chemie zwischen ihnen stimmte jedenfalls. Und es war irgendwie sexy, mit den Händen ein schlichtes Mahl mit ihr zu teilen.

Plötzlich ließ Lucy einen Shrimp über sein Gesicht baumeln. Er zögerte einen Moment, während er spürte, wie das Verlangen nach ihr seinen Körper durchpulste. Dann öffnete er den Mund und akzeptierte, was sie ihm bot.

Ihre zarten nassen Finger streiften seine Lippen und verweilten dort länger als nötig. Jason ließ die Zunge vorschnellen, um den Saft von ihren Finger zu lecken. Seine Erregung steigerte sich noch.

Hastig zog sie ihre Hand zurück und biss sich errötend auf die Unterlippe. Jason kaute langsam, überwältigt von dem Verlangen, sie zu berühren. Er war gleichzeitig erleichtert und frustriert darüber, dass sie sich ebenfalls zurückzuhalten schien. Die Brandung der Wellen erfüllte die Stille mit einem Rhythmus, der sich in der seinen Körper durchströmenden Lust widerspiegelte.

„Also, wie oft besuchen Sie eigentlich Ihren Freund in Orlando?“, fragte Lucy und trank einen Schluck Bier.

„Ich war erst vor Kurzem da“, sagte er. „Als Trauzeuge auf seiner Hochzeit.“

Erstaunt hob sie die Augenbrauen. „Haben Sie nicht gesagt, er sei Single?“

„Ist er auch. Die Hochzeit fand nämlich im letzten Augenblick doch nicht statt.“

Sie zuckte zusammen. „Wer von den beiden hat seine Meinung geändert?“

„Mein Freund.“

„Oh. Ich wette, das war ganz schön unangenehm.“

Er lachte trocken auf. „Kann man wohl sagen. Ich musste ihn nämlich decken.“

„Ach ja?“

„Ja. Ich durfte der Braut und sämtlichen Gästen mitteilen, dass Michael seine Meinung geändert hatte.“

Sie keuchte erschrocken auf. „Er hat es also noch nicht einmal seiner Verlobten gesagt?“

„Nein.“

„Und ist einfach so verschwunden?“

Jason nickte kurz. „Richtig.“

„Wo ist er hingegangen?“

Jason führte seine Bierdose zu den Lippen und beugte den Kopf zurück, um noch einen Schluck zu trinken. „Seit der Hochzeit hat ihn niemand gesehen“, sagte er.

Lachend leckte Lucy sich einen Tropfen Cocktailsoße vom Finger. „Aber Sie waren sein Trauzeuge – da müssten Sie doch eigentlich wissen, was mit ihm passiert ist.“

Fasziniert starrte er sie an, während sie damit fortfuhr, sich die Finger zu lecken. Noch ehe er realisierte, was geschah, hatte er sie schon am Handgelenk gepackt und sie an sich gezogen, um sie zu küssen. Der Kuss würde bestimmt nichts Besonderes sein, versuchte er sich einzureden. Danach wäre der Zauber zwischen ihnen gebrochen.

Doch das Gefühl ihrer Lippen an seinen war wie ein Stromschlag. Ihre Zunge schoss hervor, um seiner zu begegnen, und er tauchte begierig in ihren süßen warmen Mund ein. Ihre spürbare Zurückhaltung steigerte nur noch sein Verlangen. Seine körperliche Reaktion auf sie war so intensiv, dass es ihn selbst überraschte. Diese Frau hatte etwas an sich, vor dem er auf der Hut sein musste – sie war erfrischend, respektlos, unwiderstehlich …

Aber er musste widerstehen!

Sich an dieses kleine Fünkchen Klarsicht klammernd, beendete Jason den Kuss abrupt. „Äh … ich muss los.“

Lucinda blinzelte betäubt und berührte ihre Lippen, die noch immer vom Druck seines Mundes vibrierten. Er konnte doch nicht einfach so gehen, jetzt, wo er endlich … redete. „Sie müssen los? Aber es ist doch noch früh.“

„Tut mir leid“, antwortete Jason verlegen, stand auf, nahm Lucindas Hand und zog sie hoch. „Ich bringe Sie nach Hause – wo wohnen Sie eigentlich?“

Er sprach viel zu schnell. Irgendetwas war schiefgegangen. Vielleicht hatte sie ihn doch mit ihren vielen Fragen verschreckt. In Lucindas Kopf drehte sich noch immer alles von dem unerwarteten Kuss, aber sie zwang sich zu entspannen.

„Mein Auto steht gleich vor dem Restaurant“, sagte sie leichthin und klopfte sich den Sand von ihrem Rock. „Ich gehe einfach den Weg zurück, den wir gekommen sind.“

„Ich begleite Sie“, bot er an und nahm die Eimer mit den Überresten ihres Mahls.

Aber Lucinda wusste, wann es Zeit wurde, den Rückzug anzutreten – sie konnte ihren Köder auch morgen noch auswerfen. „Ist schon okay, ich komme ganz gut allein zurecht. Ich kann das Restaurant von hier aus schon sehen.“ Sie lächelte strahlend und hob ihre Schuhe auf. „Ich werde heute einfach früh ins Bett gehen, damit ich morgen eher aufstehen kann, um eine Junonia-Muschel zu suchen.“

Jason nickte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Die Luft zwischen ihnen knisterte immer noch wegen des Kusses. Lucinda wollte Informationen über Gaines – aber nicht auf diese Weise. McCormicks Nähe fühlte sich einfach viel zu intensiv an für ihren Geschmack. „Gute Nacht.“

„Gute Nacht“, antwortete er. „Und viel Glück bei der Suche.“

„Danke“, murmelte sie und spürte so etwas wie Schuldbewusstsein in sich aufsteigen. Damit durfte sie gar nicht erst anfangen – sonst stand ihre hundertprozentige Erfolgsrate auf dem Spiel.

Lucinda drehte sich um und ging den Pfad zum Restaurant zurück. Was zum Teufel war da eigentlich gerade eben passiert? Als sie die voll besetzte Terrasse betrat, drehte sie sich noch einmal um und stellte fest, dass McCormick ihr hinterhersah. Er hob die Hand und winkte ihr flüchtig zu. Dann drehte er sich um und verschwand in Richtung seines Hauses.

Lucinda rannte zu ihrem SUV und war in Windeseile zurück in ihrem Apartment. Fernglas und Kamera lagen schon bereit, als McCormick zu Hause ankam. Dem Himmel sei Dank für die moderne Architektur und ihr minimalistisches Dekor – jede Menge Panoramafenster und keine Vorhänge, die das Innere des Hauses vor neugierigen Blicken verbargen.

Sie sah zu, wie Jason ein Zimmer nach dem anderen betrat und dabei das Licht anknipste. Er hatte ein Bier in der Hand, sein Handy am Ohr und wirkte irgendwie unruhig.

Lucinda biss sich auf die Unterlippe. Sprach er etwa gerade mit Michael Gaines? Hatte er vielleicht doch Verdacht geschöpft?

Sie beobachtete, wie er das Handy hinlegte und sich mit der Hand durchs Haar fuhr. Mit wem oder über was auch immer er gesprochen hatte – irgendetwas hatte ihn aufgewühlt. Jason ging ins Schlafzimmer, schaltete ein Baseballspiel auf dem Großbildschirmfernseher ein und begann damit, sich auszuziehen.

Lucindas Herz, das sich von dem Sprint aufs Zimmer noch immer nicht ganz erholt hatte, schlug wieder schneller. Sie schluckte hart, konnte den Blick jedoch nicht von McCormick lösen, auch wenn er ganz offensichtlich allein war und keine Gesellschaft erwartete.

Ihn jetzt weiter zu beobachten brachte ihr keine neuen Informationen. Es war reines Privatvergnügen.

Quälend langsam knöpfte McCormick sich das Hemd auf, warf es auf den Fußboden und offenbarte denselben muskulösen Oberkörper, den Lucinda schon am Strand gesehen hatte. Dann öffnete er den Reißverschluss seiner Jeans und zog sie aus.

Lucindas Puls hämmerte vor Erregung. Sein weißer Slip zeigte mehr nackte Haut und Muskeln als seine Badehose. Der Kerl hatte einen echten Waschbrettbauch, einen knackigen Po und gut entwickelte Oberschenkel – vermutlich fuhr er in seiner Freizeit Fahrrad. Mit großen Schritten durchquerte er das Schlafzimmer, legte sich auf den Fußboden und machte eine Anzahl rascher Liegestütze.

Offensichtlich musste er irgendeine Art Frustration loswerden. Beim Anblick des Muskelspiels unter seiner schweißglänzenden Haut spürte Lucinda, wie ihr die Hitze zwischen die Beine schoss. McCormicks kurzer Kuss vorhin war so intensiv gewesen, dass er ein sehr leidenschaftlicher Mann sein musste. Bestimmt war er im Bett alles andere als eine Enttäuschung. Was, wenn es nicht bei dem Kuss geblieben wäre?

Während in Lucindas Kopf ganz wie von selbst eine Vision von Sex mit Jason McCormick auftauchte, stand McCormick wieder auf, zog sich den Slip aus, warf ihn zu dem Kleiderhaufen auf dem Fußboden und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

Lucindas Mund war bei seinem Anblick schlagartig wie ausgedörrt. Sie hatte schon viele nackte Männer gesehen, aber Jason McCormick übertraf sie alle. Mit kribbelnden Oberschenkeln spürte sie, wie sie nicht nur heiß, sondern auch feucht wurde. Zu ihrem Schrecken wurde ihr bewusst, dass sie diesen Mann begehrte. Sie wollte seinen langen schlanken Körper auf sich spüren und die Fersen in die Matratze und die Fingernägel in seinen Schultern vergraben.

Geschockt über ihre heftige körperliche Reaktion, stieß sie einen lauten Fluch aus und warf das Fernglas aufs Bett. Kein Mann hatte sie bisher aus der Fassung bringen können, und diesem hier würde das auch nicht gelingen. Sie musste schließlich einen Job erledigen, und der bestand darin, Informationen aus McCormick herauszukriegen – und nicht den wahrscheinlich perfekten Orgasmus!

4. KAPITEL

Jason trat unter die Dusche und stieß einen lange zurückgehaltenen Stoßseufzer aus.

Verwirrt wurde ihm bewusst, dass er noch nicht einmal den Nachnamen der Frau vom Strand kannte.

Aber ihr Lächeln, ihr rotes Haar und ihr herrlicher Körper hatten sich unauslöschlich in sein Hirn eingebrannt. Warum faszinierte ihn diese Fremde nur so sehr? Vielleicht hing das ja irgendwie mit seiner noch ausstehenden Entscheidung wegen Ginger zusammen.

Er war zunächst erleichtert gewesen, als Ginger bei seinem Anruf vorhin nicht ranging, hatte dann jedoch sofort ein schlechtes Gewissen bekommen und ihr eine Nachricht hinterlassen, deren fröhlicher Tonfall sogar in seinen Ohren falsch klang.

Jason biss die Zähne zusammen, als sich vor das Bild der Frau, die er eigentlich lieben sollte, das einer anderen schob – einer Frau, die mit einem Eimer Shrimps zwischen den Beinen am Strand saß.

Wieder reagierte sein Körper, und er stellte das kalte Wasser an, um die innere Hitze abzukühlen.

Er konnte der Frau locker widerstehen … wirklich! Schließlich war er nach dem heißen Kuss einfach davongegangen, oder?

Jason drehte das Wasser ab, trocknete sich das Gesicht, wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und trat auf den Balkon hinaus. Der Wind hatte aufgefrischt, genauso wie die Brandung mit ihrem ewigen Wechsel von Ebbe und Flut und sich brechenden und zurückweichenden Wellen.

Er schmeckte das Salz in der Luft und konnte wie immer nicht genug von dem leicht fischigen Geruch bekommen, der hier über kurz oder lang alles durchdrang.

Bisher hatte er an diesem Ort immer eine Antwort auf seine Fragen gefunden – zum Beispiel wann es ratsam war, eine Geschäftsverbindung einzugehen oder wann lieber nicht. Insgeheim hatte er gehofft, hier auch eine Lösung für das Problem mit Ginger zu finden, aber stattdessen hatte sich alles nur unerwartet verkompliziert.

Und plötzlich, einfach so, stand wieder die Rothaarige vor seinem inneren Auge.

Jason packte das Geländer, fest entschlossen, ihr während der Dauer seines Aufenthalts aus dem Weg zu gehen. Er würde von jetzt an einfach nach Sanibel Island fahren und dort essen, Golf spielen, ins Kino gehen oder lange Spaziergänge im Naturschutzgebiet machen.

Eines würde er jedenfalls nicht tun: morgen früh bei Ebbe zum Strand gehen, um auf Lucy zu treffen. Auf keinen Fall!

Lucinda unterdrückte ein Gähnen, während sie so tat, als suche sie mit ihrer Schaufel im nassen Sand. Es war nur die Schuld des verdammten Jason McCormick, dass sie keinen Schlaf gefunden hatte! Warum lief er auch nackt oder nur mit einem Handtuch um die Hüften herum? Der Mann kannte mit Spannern wirklich keine Gnade!

Die Sonne war gerade erst aufgegangen und tauchte das Wasser in goldenes Licht. Bei Ebbe war der Strand mindestens fünfzig Meter breiter als sonst und zeigte Muscheln und anderes Seegetier, das normalerweise unter Wasser lebte.

Seemöwen tauchten kreischend hinab, auf der Suche nach Beute. Außer Lucinda waren noch andere vereinzelte Muschelsucher am Strand, entweder allein oder in kleinen Gruppen, der noch kühlen Morgenbrise angemessen gekleidet.

Während sie blind vor Müdigkeit im Sand herumstocherte, knirschten Muscheln unter ihren Füßen. Lucinda hoffte verzweifelt, dass sie nicht aus Versehen etwas zertrat, wonach jemand anders suchte.

Konstant hielt sie den Blick auf den Sand zu ihren Füßen gesenkt, um nicht aus Versehen auf eine angespülte Qualle zu treten. Erst vor wenigen Minuten war sie an McCormicks Haus vorbeigekommen, in dem sich jedoch nichts geregt hatte. Sie hatte sich so langsam weiterbewegt, dass es noch immer in Sichtweite lag.

Seufzend versuchte sie sich innerlich darauf einzustellen, dass McCormick ihr die Muschelsuchergeschichte nicht abgenommen hatte. Vielleicht sollte sie sich lieber einen anderen Grund dafür ausdenken, warum sie ausgerechnet vor seinem Haus am Strand auf und ab ging.

„Na? Schon Glück gehabt?“

Erschrocken fuhr Lucinda zusammen und drehte sich um. Ausgerechnet der Mann, über den sie gerade nachgedacht hatte, stand in Joggingklamotten vor ihr. Sein schweißnasses T-Shirt klebte an seinem muskulösen Oberkörper, sodass ihre Sinne schlagartig verrücktspielten.

„Oh. Hi!“ Sie gestikulierte vage in Richtung Sand. „Es gibt hier jede Menge Muscheln, aber keine Junonia … zumindest noch nicht. Joggen Sie gerade?“

„Ich bin schon fertig.“

„Ich werde wohl auch lieber aufhören“, sagte sie und rieb sich den schmerzenden Nacken. „Zumindest für heute.“ Dann nickte sie in Richtung Muschelsucher, die sich inzwischen schlagartig vermehrt hatten. „Morgen muss ich der Konkurrenz wohl noch eher zuvorkommen.“

„Ich begleite Sie bis zur Höhe meines Hauses zurück“, bot er ihr an.

Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, die Unwissende zu spielen. „Wohnen Sie etwa in der Nähe?“

Er zeigte auf sein Haus. „Ja, in dem blauen Gebäude dort hinten.“

„Gern“, antwortete sie und ging neben ihm her. Sie hatte sich vorgenommen, bei ihrer nächsten Begegnung nur ein Beobachtungsobjekt in ihm zu sehen – einen bloßen Job. Leider hatte sie ganz vergessen, seine magische Ausstrahlung zu berücksichtigen.

Und die Tatsache, dass sie ihn nackt gesehen hatte.

„Weiß mit braunen Punkten?“

„Hm?“, fragte sie mit großen Augen.

„Die Junonia-Muschel – sie ist doch weiß mit braunen Punkten, oder?“

„Ach so. Ja, stimmt.“

McCormick richtete den Blick suchend auf den Sand vor ihnen, und sie tat so, als suche sie auch, während sie schweigend neben ihm herging. Sie zerbrach sich den Kopf, wie sie möglichst unauffällig das Gespräch auf Michael Gaines lenken konnte, aber leider hatte sie gerade nur Gedanken für Jason McCormick.

„Das gestern war schön“, sagte er plötzlich zu ihrer Überraschung.

Sie lachte verlegen. „So schnell wie Sie verschwunden sind, hatte ich schon befürchtet, etwas falsch gemacht zu haben.“

„Aber nein“, antwortete er. „Es lag an mir. Ich musste noch etwas erledigen, das ich … versprochen hatte zu erledigen.“

„Und dann vergessen?“, fragte sie leichthin.

„So in etwa“, gab er zu.

„Und? Haben Sie es inzwischen erledigt?“

Er verlangsamte seine Schritte. „Ich … habe es vorerst aufgeschoben.“

Sie näherten sich dem Strandabschnitt vor seinem Haus. Die Zeit drängte allmählich. „Ach, Jason …“

„Hätten Sie Lust, heute mit mir Rad zu fahren?“, unterbrach er sie plötzlich. „Wir können zu einem Strandabschnitt radeln, den kaum ein Tourist kennt. Vielleicht haben Sie ja dort Glück und finden Ihre Junonia.“

„Also, das ist ein Angebot, das ich schlecht ausschlagen kann. Wann denn?“

Jason warf einen Blick auf seine Uhr. „Wie wär’s mit zwölf Uhr mittags?“

Lucinda musste unwillkürlich lächeln. „Ich bringe Proviant mit. Wo treffen wir uns?“

„Beim Fahrradverleih um die Ecke. Mein Rennrad eignet sich nämlich nicht für Radtouren.“

„Okay.“

„Okay.“ Er bog ab und winkte ihr kurz zu. Dann rannte er zum Steg, der zu seinem Haus führte.

Lucinda musste auf dem ganzen Rückweg zu ihrem Apartment lächeln. Ihr Körper vibrierte geradezu vor freudiger Erregung. Ein ganzer Nachmittag mit ihm! Erst im Fahrstuhl wurde ihr bewusst, dass die Radtour mit Jason McCormick kein Date war.

Er hatte einfach nur angebissen. Und jetzt musste sie die Beute einholen.

5. KAPITEL

Jason stand vor dem Fahrradverleih und starrte auf das Display seines klingelnden Handys.

ANRUF VON GINGER.

Er presste seinen Nasenrücken, um den Druck dort zu lindern. Er war anscheinend komplett verrückt geworden, Lucy auf eine Radtour einzuladen, wo er sich doch eigentlich zurückziehen wollte, um über seine Zukunft mit einer anderen Frau nachzudenken! Er warf einen Blick auf die Uhr – schon zwei Minuten nach zwölf. Die Hoffnung, dass Lucy vielleicht ihre Meinung geändert hatte, hob seine Stimmung. Wenn sie nicht auftauchte, war er aus dem Schneider.

„Jason!“

Er drehte sich um und sah Lucy auf sich zukommen. Ihr strahlendes Lächeln traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Er wusste fast nichts über diese Frau, nur dass er fast einen inneren Zwang verspürte, seine Zeit mit ihr zu verbringen. Aber eine Radtour war viel weniger gefährlich als ein intimes nächtliches Picknick am Strand, und außerdem viel besser geeignet, um Lucy näher kennenzulernen … vielleicht stellte sich bei dieser Gelegenheit ja heraus, dass sie nichts gemeinsam hatten.

Hoffentlich.

Plötzlich wurde Jason bewusst, dass sein Handy noch immer klingelte. Er stellte den Klingelton aus und schob es zurück in die Tasche. Dann lächelte er Lucy an.

Sie trug rote Shorts, ein weißes Bikini-Oberteil und Tennisschuhe und hatte sich das herrliche rote Haar zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Mit ihren funkelnden grünen Augen und der Sonnenbräune auf der Nase und den Wangenknochen wirkte sie so erfrischend wie eine kühle Brise. „Hi!“

„Selber hi.“

Sie klopfte auf eine kleine Kühltasche. „Ich habe Sandwiches mitgebracht. Sind wir soweit?“

Jason ließ den Blick über ihren Körper gleiten. Wieder einmal quälten ihn Schuldgefühle. Er befand sich auf gefährlichem Terrain. Wenn er schlau wäre, würde er ihr jetzt sagen, dass ihm etwas dazwischengekommen war – sein Gewissen nämlich – und dass er ihr heute leider doch nicht Gesellschaft leisten konnte.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte sie und vergrub die weißen Zähne in der Unterlippe.

Dies war seine Chance, sich vor sich selbst zu retten und sie gehen zu lassen, damit sie jemand anders traf, mit dem sie Spaß haben konnte, jemanden, der ihr mehr bot als nur ein paar unterhaltsame Tage am Strand.

„Richtig, etwas stimmt nicht“, gab er zu.

Betroffen starrte sie ihn an. „Was denn?“

„Ich … ich … kenne Ihren Nachnamen noch nicht“, antwortete er und atmete genervt über sich selbst aus.

Sie lächelte. „Ach, das ist schnell erledigt. Ich heiße Bell. Lucy Bell. Und Sie?“

„McCormick.“

„Also, Jason McCormick, ich verlasse mich darauf, dass Sie mir heute dabei helfen, nach dem Ausschau zu halten, wonach ich suche.“

Jetzt war er an der Reihe zu lächeln. „Ich versuche mein Bestes.“

Sie gingen um die Ecke zu den Fahrrädern, um sich eins auszusuchen. Die meisten ermöglichten einen aufrechten Sitz und hatten vorn oder hinten einen Fahrradkorb befestigt. Sie hatten zwar nicht die geringste Gemeinsamkeit mit seinem Sportrad, aber immerhin konnte man bequem damit fahren.

Eine ältere Frau kam aus dem Büro und blickte zwischen ihnen hin und her. „Ich glaube, ich habe das perfekte Fahrrad für Sie.“

Jason wechselte einen verwirrten Blick mit Lucy und musste ein Lachen unterdrücken, als die Frau mit einem Tandem zurückkehrte. „Der hintere Fahrer kann zwar nicht lenken“, erklärte die Frau munter, „aber dafür kommt der vordere ohne seine Mithilfe beim Treten nicht weit.“

Jason wollte schon protestieren, aber dann sah er Lucys begeisterten Gesichtsausdruck.

„Das macht bestimmt einen Riesenspaß!“, rief sie. „Was meinen Sie?“

Jason seufzte. „Das werde ich später bestimmt noch bereuen.“ Das galt nicht nur für die Radtour, fügte er im Stillen hinzu. Er bezahlte, und er und Lucy übten vor dem Verleih unter viel Gelächter und mehrfachen Beinahe-Stürzen, bis sie den Dreh schließlich raus hatten. Dann verstauten sie die Kühltasche im Fahrradkorb und machten sich auf den Weg zu dem erwähnten Strandabschnitt.

Während der Fahrt war Jason sich der Gegenwart der Frau hinter ihm nur allzu deutlich bewusst. Erstaunlich, wie schnell sie einen gemeinsamen Rhythmus gefunden hatten und wie perfekt sie die Balance hielt. Außerdem war sie total unkompliziert und schien gern ihre Zeit mit ihm zu verbringen – eine gefährliche Kombination, sowohl für seinen Verstand als auch für seinen Körper.

Es war ein weiterer schöner heißer Tag auf Captiva Island. Leichte Helme und Sonnenbrillen schützten sie vor dem gleißenden Sonnenschein, während sie den erfrischenden Fahrwind genossen.

Gelegentlich machte Jason Lucy auf Sehenswürdigkeiten aufmerksam – zum Beispiel die kleine Holzkirche, die schon ewig auf der Insel stand, oder die öffentliche Bibliothek – und freute sich jedes Mal unangemessen darüber, wenn sie ihn von hinten anstieß, um ihm eine Frage zuzurufen.

Hatte sie überhaupt eine Ahnung, wie unwiderstehlich sie war? Sie war genau die Sorte Frau, die einen Mann wider besseres Wissen zu Dummheiten verleiten konnte.

Die Insel war so klein, dass sie den Strandabschnitt schon bald erreicht hatten, ein langgestrecktes Areal, dessen Zugang Strandspaziergängern durch vom Sturm angewehtes Laub verwehrt war. Wie versprochen war der Sand übersät mit Muscheln. „Glauben Sie, dass Sie hier finden, wonach Sie suchen?“, rief Jason über die Schulter.

Hinter ihm warf Lucinda einen Blick auf den einsamen Strand, die sanfte Brandung und die sich im Wind wiegenden Palmen, doch ihre Augen wanderten automatisch wieder zurück zu Jasons breiten Schultern, den feuchten Locken, die unter seinem Helm hervorquollen, und der Bewegung seiner Unterarmmuskeln. Ihr wurde plötzlich mulmig, aber sie zwang sich zu einem entspannten Tonfall. „Das werden wir gleich sehen, oder?“

Nachdem sie das Tandem abgestellt hatten, hatte Lucinda Schwierigkeiten damit, den verdrehten Gurt ihres Helms zu öffnen.

„Lassen Sie mich mal“, sagte Jason und öffnete behutsam den Verschluss.

Lucinda konnte den Blick nicht von seinen leuchtend blauen Augen losreißen. Die Erinnerung an den Kuss von gestern Abend kehrte mit voller Wucht zurück, und unwillkürlich fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen.

Nachdem Jason ihr den Helm abgenommen hatte, strich sie sich mit den Fingern durch ihren plattgedrückten Pferdeschwanz. „Ich sehe bestimmt furchtbar aus.“

„Überhaupt nicht.“ Er berührte eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. „Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich rotes Haar liebe?“

Lucinda schluckte hart. „Ach ja? Was für ein … Zufall.“

Plötzlich schob er ihr die Hand in den Nacken, zog sie an sich und presste seine Lippen auf ihren Mund. Automatisch schlang Lucinda die Arme um seinen Hals. Rasch eskalierte der Kuss, bis sie sich begierig aneinanderpressten. Jason ließ die Hände über ihren Rücken gleiten und umfasste ihren Po, sodass sie seine Erregung an ihrem Bauchnabel spüren konnte. An seinem Mund aufseufzend, schmiegte sie sich noch enger an ihn.

Erschauernd spürte sie, wie er die Lippen über ihren Hals zu ihrer Schulter gleiten ließ und ein Schleifenende ihres Bikinis mit den Zähnen packte.

Willenlos ließ sie geschehen, dass er die Schleife löste, und spürte, wie ihr das Bikinioberteil von den Brüsten glitt. Sie hätte ihn ohne Weiteres aufhalten können, war jedoch wie gelähmt.

Als sie die Luft auf ihren nackten Brüsten spürte, richteten sich ihre Brustwarzen hart auf. Stöhnend umfasste Jason ihre Brüste und küsste Lucinda tief und leidenschaftlich auf den Mund.

Verlangen durchströmte ihren Körper, und sie hob die Hände zu seinem Schritt und streichelte ihn durch den Stoff seiner Hose. Sein Aufstöhnen feuerte ihre Erregung nur noch weiter an. Seine Hände auf ihren Brüsten vollbrachten reinste Wunder, während er sie liebkoste und sanft ihre Spitzen presste, und sie schrie lustvoll auf.

Jasons Atem klang so rau, dass sie wusste, dass seine Erregung ihrer in nichts nachstand. Doch plötzlic...

Autor

Stephanie Bond
Kurz bevor Stephanie Bond ihr Studium der Informatik abschloss, schlug einer ihrer Dozenten vor, es mit dem Schreiben zu versuchen. Natürlich hatte dieser eher akademisches Schreiben im Sinn, doch Stephanie Bond nahm ihn wörtlich und veröffentlichte ihre ersten Liebesromane. Nach dem großen Erfolg ihrer Bücher widmete sie sich ganz dem...
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