Julia Exklusiv Band 360

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ZUM SCHLUSS EIN HAPPY END von CAROLE MORTIMER
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  • Erscheinungstag 03.03.2023
  • Bandnummer 360
  • ISBN / Artikelnummer 0851230360
  • Seitenanzahl 512

Leseprobe

Carole Mortimer, Maisey Yates, Caitlin Crews

JULIA EXKLUSIV BAND 360

1. KAPITEL

„Eine Kontaktlinse ist in Ihren Tee gefallen!“

Genauso hatte es damals auch angefangen. Nur das Zittern von Lauras Hand verriet, wie sehr die männliche Stimme hinter ihr sie aus dem Gleichgewicht brachte. Dennoch trank sie einen Schluck Tee.

Sie saß in der Lounge eines Luxushotels und konnte sowohl den Haupt- als auch den kleineren Hintereingang beobachten. Trotzdem war Liam hereingekommen, ohne dass sie ihn bemerkt hatte.

Sie stellte behutsam die Tasse mit der Untertasse auf das Tablett auf dem Tisch vor ihr. Dabei ließ sie sich absichtlich Zeit. „Erstens ist es Kaffee, ich trinke keinen Tee“, erwiderte sie heiser, ohne sich zu Liam umzudrehen, „und zweitens trage ich keine Kontaktlinsen.“

Er stand jetzt dicht hinter ihr, das spürte sie deutlich. „In dem Fall … haben Sie die schönsten Augen, die eine Frau nur haben kann.“

„Woher wollen Sie das denn wissen?“, fragte sie spöttisch. Immer noch zögerte sie, ihn anzublicken.

„Oh Laura, du hast alles zerstört“, neckte Liam sie. Sein irischer Akzent war unverkennbar. „Du hättest etwas ganz anderes sagen müssen.“

Vielleicht dasselbe wie vor acht Jahren, aber seitdem hat sich vieles verändert, überlegte Laura. Sie war nicht mehr die leicht zu beeindruckende Literaturstudentin, die den berühmten Autor, der an der Universität Vorlesungen hielt, bewunderte und verehrte.

Sie atmete tief ein, um sich zu beruhigen, ehe sie sich umdrehte und sein markantes Gesicht und die strahlenden Augen betrachtete.

Er hatte sich überhaupt nicht verändert.

Am auffallendsten an Liam O’Reilly waren seine Größe von einem Meter fünfundneunzig, sein schlanker, muskulöser Körper und die Vitalität, die er ausstrahlte. Auf seine Kleidung legte er offenbar noch genauso wenig Wert wie damals. Unbeeindruckt von der luxuriösen Umgebung und den eleganten Hotelgästen, trug er enge Jeans, ein blaues T-Shirt und ein schwarzes Jackett. Sein schwarzes Haar, das im Licht manchmal blau schimmerte, war etwas zu lang, seine Augen waren von einem intensiven Blau, und sein Gesicht wirkte wie in Stein gemeißelt.

Laura ließ sich ihre Gedanken jedoch nicht anmerken, während sie ihn ansah.

Sie hatte sehr ungewöhnliche Augen, eins war blau, das andere grün. Deshalb hatte Liam vor acht Jahren geglaubt, sie hätte eine gefärbte Kontaktlinse verloren.

Als Kind und Teenager war sie wegen ihrer Augen immer gehänselt worden. Später war ihr bewusst geworden, dass Männer sie faszinierend fanden. Auch Liam war damals ganz begeistert gewesen.

Sie lächelte ihn kühl an. „Vielleicht sollte ich mich geschmeichelt fühlen, weil du dich noch an unser allererstes Gespräch erinnerst.“ Sie zuckte die Schultern.

Liam blickte sie mit den blauen Augen, die von langen dunklen Wimpern umrahmt waren, nachdenklich an. „Aber es ist dir egal, stimmt’s?“, fragte er langsam.

Fühle ich mich geschmeichelt, dass er sich nach all den Jahren noch an unsere erste richtige Unterhaltung erinnert, oder ist es mir egal? fragte sie sich. Nein, es berührte sie überhaupt nicht. Warum auch, nach allem, was später passiert war?

Rasch verdrängte sie ihre Ressentiments. Es nützte ihr nichts, sich zu ärgern. Am besten reagierte sie gar nicht auf seine Bemerkung, dann brauchte sie nicht emotional zu werden.

Als sie schwieg, neigte Liam den Kopf zur Seite. „Du hast dein wunderschönes, langes Haar abschneiden lassen“, stellte er fest und runzelte die Stirn.

„Kurzes Haar ist praktischer“, entgegnete sie. Sie wusste, dass die Kurzhaarfrisur perfekt zu ihrem schmalen Gesicht mit der kleinen geraden Nase, den schön geschwungenen Lippen und dem energischen Kinn passte.

„Es gefällt mir.“ Er nickte beifällig.

Laura fing an, sich zu ärgern. Es war ihr egal, ob ihm ihre Frisur gefiel oder nicht. Seine Meinung interessierte sie nicht.

Entschlossen ignorierte sie den Ärger, der in ihr aufstieg. „Möchtest du auch einen Kaffee?“ Sie wies auf die Kanne auf dem Tablett vor ihr. „Ich kann uns eine zweite Tasse bringen lassen.“

Liam warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die er als Linkshänder am rechten Handgelenk trug. Das hatte Laura nie vergessen.

„Oder bist du mit jemandem verabredet?“, fragte sie betont uninteressiert, als ihr auffiel, dass er immer wieder zum Eingang sah.

„Ja. Aber ich habe noch einige Minuten Zeit“, antwortete er und drehte ihren Sessel herum. Dann ließ er sich in den Sessel ihr gegenüber sinken und lehnte sich zurück.

Bei Liams außergewöhnlicher Größe schien jeder Sessel für ihn zu klein oder zu niedrig zu sein. Mit ihren ein Meter siebzig war Laura nicht gerade klein. In den eleganten Kostümen oder Hosenanzügen mit den Seidenblusen, die sie meist trug, wirkte sie noch größer. An diesem Tag hatte sie sich für ein anthrazitgraues Kostüm und eine grüne Bluse entschieden. Eine gute Entscheidung, wie sie fand. Jedenfalls kam sie sich neben Liam nicht mehr so winzig und weiblich vor wie damals. Aber das lag sicher nicht nur an ihrem Outfit.

„Möchtest du auch einen Kaffee?“, wiederholte sie und blickte ihn ruhig an.

„Nein, danke“, lehnte er ab. „Er macht beinah so süchtig wie die Zigaretten, die ich früher geraucht habe.“ Er verzog angewidert das Gesicht.

Laura sah ihn erstaunt an. „Du hast das Rauchen aufgegeben?“ Vor acht Jahren hatte er mindestens dreißig Zigaretten am Tag geraucht. Wenn er gearbeitet hatte, waren es noch mehr gewesen.

Liam lächelte, als er ihre verblüffte Miene bemerkte. „Das ist kaum zu glauben, ich weiß. Liam O’Reilly, der gern Alkohol trank und ein starker Raucher war, ist ein anderer geworden.“

„Ich bezweifle, dass es wirklich so dramatisch ist“, erwiderte sie spöttisch.

Er lachte, und in seinen dunkelblauen Augen blitzte es auf, als er Laura ansah. „Du bist erwachsen geworden, kleine Laura“, stellte er bewundernd fest.

„Mit neunundzwanzig sollte man es eigentlich sein. Ich bin jedenfalls nicht mehr die kleine Laura von damals.“

Er ist jetzt neununddreißig, überlegte sie. Während sie ihn genauer betrachtete, fiel ihr auf, dass ihr erster Eindruck, er hätte sich nicht verändert, falsch gewesen war. Die letzten acht Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er hatte Fältchen um Augen und Mund, die bestimmt nicht vom Lachen kamen, und sein Haar war an den Schläfen ergraut.

„Neunundzwanzig“, wiederholte Liam nachdenklich und kniff die Augen zusammen. „Was hast du in den vergangenen acht Jahren gemacht, Laura?“ Er ließ den Blick über ihre schlanke Gestalt bis zu ihren Händen gleiten, die sie auf die Lehnen des Sessels gelegt hatte.

Sie trug keinen Ehering mehr. Doch der kleine helle Streifen am Ringfinger ihrer linken Hand verriet, dass sie bis vor nicht allzu langer Zeit einen getragen hatte.

„Ach, alles Mögliche“, antwortete sie ausweichend. Sie hatte nicht vor, ihm etwas über sich zu erzählen. „Und du? Was hast du die letzten acht Jahre gemacht?“

„Jedenfalls keinen neuen Roman geschrieben.“ Er verzog die Lippen.

„Nein?“ Laura ließ sich nicht anmerken, dass sie genau Bescheid wusste. Seit mehr als acht Jahren war kein Buch mehr von ihm erschienen. „Aber das hattest du vielleicht auch nicht nötig. Du warst ja schon berühmt und erfolgreich“, fuhr sie gleichmütig fort.

„Du meinst, ich hätte es nicht nötig gehabt?“ Er blickte sie vorwurfsvoll an und beugte sich angespannt vor. In seinem Gesicht spiegelten sich alle möglichen Emotionen.

„Ja, was das Finanzielle angeht.“ Laura erwiderte seinen Blick scheinbar ungerührt. Ihr war klar, sie hatte einen wunden Punkt berührt. Trotzdem wollte sie seine Reaktion testen und das Thema direkt ansprechen. „Du musst Millionen mit dem letzten Buch verdient haben, allein die Filmrechte …“

„Und was habe ich von dem ganzen Geld, wenn ich seitdem keine einzige Zeile mehr geschrieben habe?“, unterbrach er sie hart.

Laura zuckte die Schultern. „Vermutlich hast du danach gut und sorgenfrei leben können, auch ohne Alkohol und Zigaretten“, neckte sie ihn. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hatte ich den Eindruck, du würdest das Leben in vollen Zügen genießen.“ Sie konnte sich die Bemerkung nicht verbeißen.

Liam war schon mit den ersten vier Romanen, die er veröffentlicht hatte, sehr erfolgreich gewesen, ehe er mit dem Politthriller Time Bomb lange Zeit alle Bestsellerlisten anführte. Dieses Buch war wie eine Bombe eingeschlagen.

Er hatte zahlreiche Auftritte im Fernsehen gehabt, man hatte sich um die Filmrechte gerissen. Das beste Angebot hatte er angenommen und war nach Hollywood geflogen, um das Drehbuch zu schreiben und bei den Dreharbeiten zu assistieren.

Laura Carter, die Studentin, mit der er bis dahin befreundet gewesen war, hatte er in England zurückgelassen und vergessen. Sie hatte schließlich ein Foto von ihm in einer Zeitschrift entdeckt. Er hatte die schöne Blondine geheiratet, die in dem Film die Hauptrolle gespielt hatte.

Zunächst war Laura bestürzt und verzweifelt darüber gewesen, dass er sie so sang- und klanglos verlassen hatte. Es fiel ihr schwer, zu glauben, dass sie ihm so wenig bedeutet hatte, während sie selbst ihn sehr verehrt und geliebt hatte. Doch nachdem sie hatte lesen müssen, dass er geheiratet hatte, fand sie sich mit den Tatsachen ab. Liam wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, das hatte er ihr bewiesen. Sie hatte beschlossen, ihn zu vergessen und das Beste aus ihrem Leben zu machen.

Genau das war ihr gelungen, wie ihre elegante Kleidung und der kostbare Brillantring am Ringfinger ihrer rechten Hand bewiesen.

„Das muss schon lange her sein“, antwortete er sarkastisch, ohne eine Miene zu verziehen.

„Schon möglich.“ Es kommt mir selbst vor, als wäre es schon eine halbe Ewigkeit her, überlegte sie. „Was gibt es so Wichtiges, dass du den ungemütlichen englischen Winter dem fernen und sonnigen Kalifornien vorziehst?“, wechselte sie im Plauderton das Thema.

Liam musste sich geradezu zwingen, sich zu entspannen. Er lehnte sich in dem Sessel zurück, während es in seinen Augen seltsam aufblitzte. „Ich lebe nicht mehr in Kalifornien, sondern bin vor fünf Jahren zurück nach Irland gegangen“, erklärte er.

Das hatte Laura nicht gewusst. Sie hatte sich absichtlich nicht mehr für das, was über ihn geschrieben wurde, interessiert, nachdem er geheiratet hatte.

„Deine amerikanische Frau ist sicher nicht begeistert, oder?“

„Diana und ich sind seit sieben Jahren geschieden“, antwortete er verächtlich. „Wir waren nur sechs Monate verheiratet, Laura“, fügte er hinzu, als sie die Augenbrauen hochzog. „Wegen unserer Arbeit und der damit verbundenen Verpflichtungen waren wir insgesamt nur sechs Wochen zusammen. Das war keine Ehe, finde ich.“

Liam war nur sechs Monate verheiratet gewesen! Wenn ich das gewusst hätte, dachte Laura.

Aber was hätte das geändert? Nichts, wie sie sich sogleich eingestand. Liam hatte sich entschieden und sie sich auch.

Wieder blickte er auf die Armbanduhr. „Pass mal auf, ich bin mit jemandem verabredet“, begann er und sah sich suchend in der Hotelhalle um. „Ich muss gehen“, sagte er leise, als er den Mann entdeckte, der gerade zum Eingang hereinkam. „Ich möchte dich jedoch gern wieder sehen, Laura …“

„Nein, das ist keine gute Idee“, unterbrach sie ihn munter und warf dem Mann, den Liam treffen wollte, einen kurzen Blick zu. Er nickte ihr kaum wahrnehmbar zu, und sie nickte genauso unauffällig. „Es war interessant, mal wieder mit dir zu plaudern, Liam“, behauptete sie. Sie gab sich keine Mühe, so zu tun, als wäre es ehrlich gemeint. „Ich habe auch noch etwas anderes vor.“ Sie stand auf. Nicht nur Liam fiel auf, wie schön sie war mit dem beinah schwarzen Haar, der schlanken Gestalt und in dem eleganten Kostüm mit dem kurzen Rock, der ihre langen Beine betonte.

„Laura!“ Liam packte sie am Arm, als sie an ihm vorbeigehen wollte. „Ich möchte dich unbedingt wieder sehen“, wiederholte er energisch.

Sie sah ihn an. „Um dich mit mir über die alten Zeiten zu unterhalten?“, fragte sie spöttisch und schüttelte den Kopf. „Nein, das ist nichts für mich, danke.“ Sie lächelte freudlos.

Er kniff die Augen zusammen. „Ich bin noch zwei Nächte hier in diesem Hotel, Laura. Ruf mich an“, bat er sie sanft. „Wenn du es nicht tust, bleibe ich in London, bis ich dich gefunden habe“, versicherte er ihr.

Jetzt wusste sie wenigstens, warum sie ihn nicht hatte hereinkommen gesehen. Er war Hotelgast und hatte wahrscheinlich den Aufzug benutzt, den sie von ihrem Platz in der Hotelhalle aus nicht hatte sehen können.

„Das klingt ausgesprochen melodramatisch, Liam“, erwiderte sie. „Wenn es jedoch für dich so wichtig ist, dann rufe ich dich später kurz an.“ Sie würde ihm klarmachen, dass sie ihm während seines Aufenthalts in London nicht noch einmal begegnen wollte, jedenfalls nicht freiwillig.

Er blickte sie eindringlich an, ehe er sie losließ. „Ja, es ist sehr wichtig für mich“, erklärte er und nickte bekräftigend.

Laura zog die Augenbrauen skeptisch hoch. „Okay. Aber jetzt musst du mich entschuldigen, ich habe keine Zeit mehr.“ Sie war sich Liams Blicke sehr bewusst, als sie die Halle durchquerte und sich neben der Rezeption von einem Mitarbeiter des Hotels den Mantel geben ließ. Dann ging sie hinaus, und sogleich wehte ihr der kalte Novemberwind ins Gesicht.

Aber sie spürte es gar nicht. Nach der Begegnung mit Liam fühlte sie sich wie betäubt. In seiner Gegenwart war es ihr erstaunlich gut gelungen, den Schein zu wahren und sich gelassen, kühl und selbstbewusst zu geben. Doch jetzt, nachdem sie das Hotel verlassen hatte, war es mit ihrer Beherrschung vorbei.

„Mrs. Shipley.“ Paul, ihr Chauffeur, stand neben dem auf dem Hotelparkplatz geparkten Wagen und hielt ihr die Tür auf.

„Danke“, sagte sie zerstreut und ließ sich erleichtert auf den Rücksitz des Autos sinken, in dem es angenehm warm war.

„Zurück ins Büro, Mrs. Shipley?“, fragte Paul höflich, während er sich ans Steuer setzte.

„Nein. Doch, ich …“ Ich muss mich zusammennehmen, mahnte sie sich energisch. Gut, sie hatte Liam wieder gesehen. Na und? Er war zweifellos immer noch so charmant wie vor acht Jahren, aber sie war nicht mehr so leicht zu beeindrucken. Sie war nicht mehr Laura Carter, sondern Laura Shipley. Sie leitete ihr eigenes Unternehmen, besaß ein Haus in London und eine Villa auf Mallorca. Sie konnte sich jeden Luxus erlauben. Weshalb sollte eine einzige Begegnung mit Liam O’Reilly sie aus dem seelischen Gleichgewicht bringen?

„Ja, Paul, ich möchte ins Büro“, erklärte sie mit fester Stimme. Dann lehnte sie sich entspannt zurück.

Sie hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Bobby war sowieso noch nicht da, und sie hatte Perry versprochen, sie würde warten, bis er von seiner Besprechung zurück sei.

Wie würde sein Gespräch mit Liam verlaufen?

2. KAPITEL

„Es ist einfach nicht zu fassen“, sagte Perry eine Stunde später und lief im Raum hin und her. „Ich finde es immer noch unglaublich, dass du genau gewusst hast, wer sich hinter dem Pseudonym Reilly O’Shea verbirgt. Das Manuskript, das vor drei Wochen auf meinem Schreibtisch gelandet ist, ist wirklich von Liam O’Reilly.“

Laura saß an ihrem breiten und irgendwie imposant wirkenden Schreibtisch und sah den Chefredakteur und Lektor an.

Das war mir von Anfang an klar, überlegte sie. Sie hatte das letzte Buch, das Liam O’Reilly unter seinem Namen veröffentlicht hatte, aufmerksam gelesen. Deshalb kannte sie seinen Stil, seine Ausdrucksweise und seine Gedankengänge. Sie hatte sogleich gewusst, wer das Manuskript geschrieben hatte, das ihrem Verlag Shipley Publishing vor drei Wochen zugeschickt worden war.

Es hatte sie überrascht, dass Liam wieder einen Roman geschrieben hatte nach so langer Zeit. Noch verblüffter war sie darüber gewesen, dass er das Manuskript unter einem anderen Namen eingereicht hatte, obwohl man zwischen Reilly O’Shea und Liam O’Reilly leicht eine Verbindung herstellen konnte. Dennoch hatte Laura sich, um jeden Zweifel auszuräumen, kurz vor dem Termin, den Perry mit Liam vereinbart hatte, in die Hotelhalle gesetzt. Natürlich waren acht Jahre vergangen, seit sie sich zuletzt gesehen hatten. Sie hatte damit gerechnet, dass Liam sich verändert hatte. Aber sie hätte ihn immer und überall erkannt, daran hatte sie keine Sekunde gezweifelt.

Absichtlich hatte sie sich so hingesetzt, dass sie Perry ein Zeichen hatte geben können. Sie hatte unauffällig genickt und ihm damit bestätigt, dass sie recht gehabt hatte. Es war jedoch nicht geplant gewesen, dass Liam sie entdeckte. Und Laura hatte nicht beabsichtigt, ihm zu versprechen, ihn später im Hotel anzurufen.

Es überlief sie immer noch heiß und kalt, wenn sie sich an die Begegnung erinnerte. Nach acht Jahren sah Liam beinah genauso aus wie damals. Nur das an den Schläfen leicht ergraute Haar und die Fältchen im Gesicht bewiesen, dass die Zeit nicht spurlos an ihm vorübergegangen war. Er hatte sie trotz ihrer neuen Frisur und des eleganten Outfits wieder erkannt. Das hatte sie nicht erwartet, denn damals hatte sie langes Haar gehabt und nur Jeans und T-Shirts getragen.

Sekundenlang war sie verblüfft gewesen. In dem Augenblick war ihr jedoch ihr ausgeprägtes Selbstbewusstsein zugutegekommen, das sie damals noch nicht gehabt hatte. Sie hatte sogar Perry das verabredete Zeichen gegeben.

Perry freute sich über den positiven Verlauf des Gesprächs. Er meinte, es sei ein Glücksfall für Shipley Publishing, den lang erwarteten neuen Roman von Liam O’Reilly herausbringen zu können. Aber Laura wusste, dass es nicht so einfach sein würde, wie Perry es sich vorstellte.

Ruhig und sachlich holte sie ihren Chefredakteur auf den Boden der Tatsachen zurück. „Was habt ihr denn konkret vereinbart, Perry?“

Er ließ sich entspannt in den Sessel ihr gegenüber sinken. Unwillkürlich verglich sie seine Haltung mit Liams. Er hatte sich in der Hotelhalle in den Sessel gezwängt und war ziemlich angespannt gewesen. Ach, es braucht mich doch nicht zu interessieren, wie Liam sich hinsetzt und ob er angespannt ist oder nicht, mahnte sie sich dann.

„Na ja, wir sind gut vorangekommen, um es mal so auszudrücken. Aber wir haben natürlich noch einen langen Weg vor uns.“ Perry runzelte die Stirn, seine Begeisterung ebbte ab. „Das größte Hindernis ist momentan, dass der Mann trotz meiner wiederholten Fragen nach früheren Romanen und anderen Veröffentlichungen seine wahre Identität nicht preisgegeben hat.“

Laura nickte. „Kannst du dir vorstellen, warum nicht?“

„Oh, das ist ganz einfach“, antwortete Perry. „Die Frage ist nur, wie wir mit dem Problem umgehen. Wir haben ein Manuskript von Liam O’Reilly vorliegen, und …“

„Lass uns lieber einen Schritt nach dem anderen machen, Perry“, unterbrach Laura ihn. „Weißt du, warum er so fest entschlossen ist, nicht zuzugeben, dass er Liam O’Reilly ist?“

Seit sie das Manuskript gelesen hatte, hatte sie vergeblich eine Erklärung dafür gesucht, warum er ein Pseudonym benutzte. Als Liam O’Reilly könnte er einen hohen Vorschuss fordern, den man ihm auch zahlen würde. Ein unbekannter Autor hingegen würde wesentlich weniger bekommen. Außerdem würde sich der Roman erfolgreicher verkaufen lassen, wenn er unter Liams richtigem Namen statt unter dem Pseudonym herausgebracht würde.

„Natürlich“, behauptete Perry. Mit dem blonden Haar, den blauen Augen und seiner Größe von ungefähr einem Meter achtzig war er ein recht attraktiver Mann. Er war vierunddreißig und steckte voller Energie.

„Dann erklär es mir bitte“, bat Laura ihn. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum ein erfolgreicher Autor plötzlich unter einem anderen Namen schreibt.“

„Das ist genau der Punkt.“ Perry verzog das Gesicht. „Nach der Veröffentlichung seines fünften Buches vor einigen Jahren wurde der Mann zu einem Phänomen. Er führte ein ganzes Jahr die Bestsellerlisten an, er war der Liebling der Literaturkritiker und der Leser und Leserinnen. Die Leute rissen sich um ihn, und er war bei allen gesellschaftlichen Ereignissen ein gern gesehener Gast. Dann wurde der Roman verfilmt, und der Film wurde mit mehreren Oscars ausgezeichnet. Der Mann war der absolute Star unter allen Stars und Sternchen.“

Das wusste Laura auch, aber es erklärte überhaupt nichts. „Na und?“

Perry verzog wieder das Gesicht. „Laura, er war nicht nur ein Star, sondern so etwas wie ein Komet. Er geriet in unser Blickfeld und glänzte für eine gewisse Zeit. Danach ist er verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen.“

„Ja, aber …“

„Ich habe den Eindruck, er will dieses Mal alles anders machen als damals“, sagte Perry ruhig.

„Aber sobald bekannt wird, wer Reilly O’Shea wirklich ist …“

„So weit braucht es nicht zu kommen“, unterbrach Perry sie. „Obwohl mir klar ist, dass ich mich heute mit Liam O’Reilly unterhalten habe, musste ich so tun, als verhandelte ich mit Reilly O’Shea. Wir haben über die Möglichkeit geredet, einen Vertrag bezüglich der Veröffentlichung seines Romans abzuschließen.“ Perry zögerte kurz. „Er hat einige ganz interessante Bedingungen genannt, die in einen Kontrakt aufgenommen werden sollen.“

Was für ein arroganter Mensch, dachte Laura und zog die Augenbrauen hoch. „Und was sind das für Bedingungen?“

„Es darf keine Publicity geben, keine persönlichen Auftritte. Wenn seine Anonymität nicht garantiert werden kann, unterschreibt er keinen Vertrag.“ Perry zuckte die Schultern, als er Lauras verblüffte Miene bemerkte. „Zugegeben, für einen angeblich unbekannten Autor sind das seltsame Forderungen. Aber wenn man bedenkt, dass er den ganzen Rummel schon einmal erlebt und wohl auch gehasst hat, ist das alles durchaus verständlich.“

Laura war anderer Meinung. Sie hatte vor acht Jahren das Gefühl gehabt, Liam würde den Rummel um seine Person in vollen Zügen genießen.

Sie seufzte. „Wahrscheinlich hast du recht, wir haben noch einen langen Weg vor uns. Wie bist du mit ihm verblieben?“, fragte sie interessiert.

„Er ist noch zwei Tage in London. Ich habe ihm versprochen, ihn vor seiner Abreise anzurufen. Ich muss zugeben, es war eins der schwierigsten Gespräche, die ich bisher geführt habe. Seinen Roman Time Bomb habe ich vor acht Jahren geradezu verschlungen. Aber ich glaube, Josie’s World ist noch besser. Die ganze Zeit, die ich mich mit ihm unterhalten habe, hätte ich es ihm am liebsten gesagt, was natürlich unmöglich war. Ich musste mitspielen und so tun, als wäre er Reilly und nicht Liam.“ Er schüttelte den Kopf.

„Ich bin froh, dass du der Versuchung widerstehen konntest“, erwiderte sie spöttisch, während sie auf ihre goldene Armbanduhr blickte und die Briefe, die auf ihrem Schreibtisch lagen, in die Schublade schob. „Ich muss weg, Perry. Morgen früh reden wir ausführlich über die Sache. Bis jetzt habe ich keine Ahnung, wie es weitergehen soll.“

Am meisten Kopfzerbrechen machte ihr, wie sie Liam verheimlichen sollte, dass Shipley Publishing ihr Verlag war. Nach Möglichkeit wollte sie verhindern, dass er es erfuhr.

Das dunkelblaue Telefon auf Lauras Nachttisch schien irgendwie vorwurfsvoll dazustehen. Jedenfalls fühlte sie sich schuldig, weil sie Liam noch nicht im Hotel angerufen hatte.

Nach dem Abendessen war sie mit einem Berg von Arbeit in ihr Schlafzimmer gegangen. Das machte sie schon seit beinah zwei Jahren jeden Abend. In ihrem Seidenpyjama saß sie im Bett, umgeben von großen, weichen Kissen mit hellen Bezügen. Sie hatte die Brille aufgesetzt und las das neueste Manuskript der erfolgreichsten Autorin ihres Verlages.

Elizabeth Starlings Manuskript war gut, sehr gut sogar. Laura konnte sich jedoch an diesem Abend nicht darauf konzentrieren.

Seufzend ließ sie sich zurücksinken und nahm die Brille mit dem goldenen Gestell ab. Sie benutzte keine Kontaktlinsen, weder gefärbte noch ganz normale. Doch zum Lesen brauchte sie seit einiger Zeit eine Brille.

Mit ihrem Leben war Laura keineswegs unzufrieden. Die Ehe mit Robert war gut gewesen. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie jetzt an der Spitze von Shipley Publishing stand. Auch wenn sie sich in dieser Position manchmal etwas einsam fühlte, überwogen die Vor- die wenigen Nachteile: Sie war finanziell abgesichert, besaß dieses wunderschöne Haus in London, die Villa auf Mallorca, und sie hatte Mitarbeiter, die sich um alles kümmerten.

Ihre Unruhe an diesem Abend rührte daher, dass Liam ihren Anruf erwartete. Nach allem, was er ihr vor acht Jahren angetan hatte, hatte er kein Recht, überhaupt irgendetwas von ihr zu erwarten. Sie konnte jedoch seine Drohung nicht vergessen. Er hatte erklärt, er würde in London bleiben, bis er sie gefunden hätte, wenn sie sich nicht meldete. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass er sie suchte und vielleicht zu ihr nach Hause kam.

Momentan war sie ihm gegenüber noch im Vorteil: Sie wusste genau, warum er momentan in London war. Er hingegen hatte keine Ahnung, wie sie jetzt lebte und was sie machte. So sollte es auch bleiben. Kurz entschlossen wählte sie die Nummer des Hotels.

„Ich möchte mit Mr. O’Reilly sprechen“, sagte sie, als die Telefonistin sich meldete.

„Moment, ich verbinde Sie mit seiner Suite“, erklärte die Frau freundlich.

Er übernachtete in einer Suite! Noch dazu in so einem teuren, luxuriösen Hotel! Demnach hatte Liam immer noch viel Geld. Es war schwierig, von seiner Kleidung auf seine finanzielle Situation zu schließen. Er trug nie etwas anderes als Jeans, Hemden oder T-Shirts und ein Jackett.

„Ja?“, ertönte plötzlich seine angespannt klingende Stimme.

„Liam, du hattest mich gebeten, dich anzurufen“, erinnerte Laura ihn betont munter. Das wusste er natürlich selbst. Wahrscheinlich hatte er nie bezweifelt, von ihr zu hören.

„Stimmt, Laura“, antwortete er und klang jetzt nicht mehr so angespannt. „Ich wollte dich zum Dinner einladen.“

„Ich habe schon gegessen“, entgegnete sie mit einer gewissen Genugtuung.

„Es ist doch erst neun“, wandte er ein.

„Wenn ich abends zu Hause bin, esse ich immer schon um halb acht“, erklärte sie.

„Und wo ist dein Zuhause?“, fragte er rau.

„Gut gemacht, Liam.“ Sie lachte leise. Die Hand, in der sie den Hörer hielt, war jedoch etwas feucht vor Nervosität.

„Aber nicht gut genug“, entgegnete er spöttisch. „Als ich heute dir gegenüber erwähnte, ich würde in London bleiben, bis ich dich gefunden hätte, warst du gar nicht begeistert“, fuhr er fort. „Warum tust du so geheimnisvoll, Laura? Lebst du nicht allein?“ Seine Stimme klang auf einmal etwas hart.

„Wie scharfsinnig“, neckte sie ihn. „Eigentlich wäre es doch ganz normal, dass ich einen Partner hätte, oder? Immerhin sind acht Jahre vergangen, seit wir zusammen waren.“ In der Zeit hat er geheiratet und sich scheiden lassen, weshalb sollte ich nicht dasselbe getan haben? überlegte sie.

„Du trägst keinen Ehering“, stieß er hervor.

Dann hatte sie sich in der Hotelhalle nicht getäuscht, er hatte wirklich ihre linke Hand betrachtet. „Viele Frauen verzichten heutzutage darauf“, erwiderte sie.

„Wenn du meine Frau wärst, würdest du einen Ring tragen“, erklärte Liam.

„Wer dich heiratet, muss verrückt sein“, fuhr sie ihn an.

Sogleich bereute sie die Bemerkung. Liam schwieg am anderen Ende der Leitung, sie hörte ihn nur atmen.

Warum hatte sie das gesagt? Es half ihr wenig, dass Liam sie mit seiner Arroganz provoziert hatte. Laura hatte vorgehabt, sich kurz zu fassen und das Gespräch rasch zu beenden. Aber nach nur zwei Minuten hatte Liam es geschafft, sie aus der Reserve zu locken. Sie beherrschte sich und schwieg genauso beharrlich wie er.

„Weißt du, Laura“, begann Liam schließlich, „du und ich hätten uns vor vielen Jahren begegnen müssen.“

„Seltsam, ich war der Überzeugung, das hätten wir getan.“ Ihre Stimme klang kühl. „Irgendetwas scheint mit deinem Gedächtnis nicht zu stimmen, Liam“, fügte sie spöttisch hinzu.

„Oh, mein Gedächtnis ist völlig in Ordnung“, sagte er langsam. „Aber wenn du vor acht Jahren dieselbe Laura Carter gewesen wärst wie jetzt, wäre wahrscheinlich alles anders verlaufen.“

„Also bitte, Liam.“ Sie seufzte. „In den acht Jahren haben viele Männer auf mehr oder weniger originelle Art versucht, mit mir anzubändeln. Doch so einen plumpen Annäherungsversuch habe ich noch nie erlebt.“

„Das ist kein Annäherungsversuch. Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch weiß, wie man sich einer Frau nähert“, antwortete er verächtlich. „Im Gegensatz zu dir habe ich in den letzten fünf Jahren sehr zurückgezogen und ruhig gelebt. Komm doch auf einen Drink zu mir, Laura“, bat er sie plötzlich.

„Hattest du nicht behauptet, du würdest nicht mehr trinken?“, fragte sie spöttisch.

„Manchmal trinke ich ein Glas Weißwein, wenn ich in angenehmer Gesellschaft bin“, stellte er die Sache richtig.

„Es tut mir leid, die nächsten Abende habe ich sowieso keine Zeit.“

Das ist typisch für ihn. Er glaubt, ich würde jede andere Verabredung absagen, nur um mit ihm ein Glas Wein zu trinken, überlegte sie.

Vor acht Jahren hätte sie es wahrscheinlich getan, wie sie sich eingestand. Damals war sie in ihn verliebt gewesen und hätte sich keine Gelegenheit entgehen lassen, mit ihm zusammen sein zu können. Seinetwegen hatte sie sogar ihre Freunde und Freundinnen vernachlässigt.

Aber das würde ihr jetzt nicht mehr passieren.

„Heute Abend, meine ich, Laura“, unterbrach Liam ihre Gedanken.

„Heute Abend?“, wiederholte sie verblüfft.

„Warum nicht?“, fragte er rau.

„Weil ich schon im Bett liege“, erwiderte sie. Oh nein, warum hatte sie das gesagt? Es war doch erst kurz nach neun.

„Allein?“ Liams Stimme klang hart.

Was ging ihn das überhaupt an? „Sonst hätte ich dich bestimmt nicht angerufen“, erklärte sie verächtlich.

„Du wärst wahrscheinlich überrascht, wenn du wüsstest, wozu Frauen fähig sein können“, stieß er hervor.

„Ich mache so etwas jedenfalls nicht“, versicherte sie ihm entrüstet.

„So, du bist also allein im Bett. Warum kommst du dann nicht auf einen Drink zu mir?“

Weil ich aufstehen und mich anziehen müsste, dachte sie. Und sie müsste durch die Stadt ins Hotel fahren. Und das alles nur, um jemanden zu treffen, mit dem sie gar nicht zusammen sein wollte.

„Nein, lieber nicht“, erwiderte sie kühl. „Ich habe dich angerufen, um mehr hattest du mich nicht gebeten. Ich bin nicht der Meinung, dass ich wegen unserer früheren Freundschaft zu mehr verpflichtet bin.“

„Da kann ich dir nicht zustimmen“, entgegnete Liam. „Bist du überhaupt nicht neugierig, wie es mir in den letzten acht Jahren ergangen ist? Ich bin jedenfalls neugierig, was du so gemacht hast, und habe viele Fragen.“

Laura versteifte sich. „Was genau möchtest du denn wissen, Liam?“ Sie war auf der Hut.

„Alles Mögliche“, erklärte er. „Du bist nicht mehr die leicht zu beeindruckende Studentin von damals. Du hast dich sehr verändert.“

„Glücklicherweise, würde ich sagen.“ Sie war etwas erleichtert. „Liam, ich habe mich bei dir gemeldet, obwohl ich es eigentlich nicht wollte …“

„Warum wolltest du es nicht, Laura? Bin ich ein so verkommenes Subjekt, dass du mit mir nichts mehr zu tun haben willst?“

„Red keinen Unsinn, Liam“, rief sie aus. „Ich weiß doch gar nicht, wie du jetzt bist …“

„Genau“, unterbrach er sie zufrieden.

„Und ich will es auch nicht wissen“, fuhr sie energisch fort.

„Das ist nicht nett von dir, Laura.“

Nett! War es etwa nett gewesen, dass er vor acht Jahren nach Hollywood gegangen und einfach aus ihrem Leben verschwunden war? Er hatte sie kein einziges Mal angerufen und ihr noch nicht einmal eine Ansichtskarte geschickt. Es war ihm völlig gleichgültig gewesen, was aus ihr geworden war, nachdem er sie verlassen hatte.

Dieser Mann hatte doch keine Ahnung, was das Wort „nett“ überhaupt bedeutete. Sie war dankbar dafür, dass es andere Menschen gegeben hatte, die ihr geholfen hatten.

„Es gibt nichts, worüber wir uns unterhalten könnten, Liam. Wir haben keine Gemeinsamkeiten“, sagte sie.

Außer dass es für uns beide von Nutzen wäre, wenn Shipley Publishing die Rechte an seinem neuesten Roman erwerben könnte, fügte sie insgeheim hinzu.

„Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit …“

„Aus Erfahrung weiß ich, dass es reine Zeitverschwendung ist, Erinnerungen aufzufrischen“, stellte sie fest. „Jeder erinnert sich etwas anders an die Dinge, die weit zurückliegen. Es gibt selten eine Übereinstimmung.“

„Unsere Beziehung von damals war meiner Meinung nach wunderschön und etwas Besonderes …“

„Oh bitte, verschon mich damit, Liam“, unterbrach sie ihn gelangweilt. Vielleicht kam es ihm im Nachhinein wirklich so vor. Dann war es schade, dass er es vor acht Jahren nicht genauso hatte sehen können. „Es bestätigt im Übrigen nur meinen Eindruck, dass jeder sich anders an gemeinsame Erlebnisse erinnert. Ich war damals eine ziemlich naive Einundzwanzigjährige, die von einem berühmten Autor völlig fasziniert war. Dieser Autor hat mich wahrscheinlich für ein albernes …“

„Das ist unfair, Laura“, fiel Liam ihr ins Wort. „Vor allem dir gegenüber.“

„Nein, es ist realistisch“, entgegnete sie. „Ich kann es sogar verstehen, dass du es kaum erwarten konntest, von mir wegzukommen.“

„So war es ganz und gar nicht …“

„Doch, Liam“, bekräftigte sie und lachte. „Es muss für dich sehr lästig gewesen sein, dass ich dir damals wie ein Schoßhündchen überallhin gefolgt bin. Ich hing an deinen Lippen, wenn du geredet hast, und habe dich grenzenlos bewundert …“

„Auch wenn ich mich wiederhole, Laura, so war es nicht“, erklärte er ärgerlich. „Wenn du unsere Beziehung so in Erinnerung hast, sollten wir uns wirklich bei einem Drink unterhalten.“

„Du bist sehr hartnäckig, Liam“, erwiderte sie müde. „Oder bin ich etwa für dich so etwas wie eine Herausforderung, nachdem du festgestellt hast, dass ich nicht mehr so gefügig und nachgiebig bin wie damals?“

„Ich habe dich nicht als gefügig oder nachgiebig kennengelernt“, fuhr er sie an.

Laura seufzte. Was sollte sie tun?

Als Mensch und als Frau wollte sie Liam nicht wieder sehen. Sie erinnerte sich allzu gut an den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte. Aber als Inhaberin des Verlags Shipley Publishing würde sie früher oder später an den Verhandlungen mit ihm teilnehmen müssen. Deshalb war es wahrscheinlich besser, Klarheit zwischen ihnen zu schaffen. Momentan hielt sie es jedoch noch nicht für nötig, ihm zu verraten, dass sie jetzt Laura Shipley hieß.

„Oder befürchtest du, dein Mann könnte etwas dagegen haben, dass du mich triffst?“, fragte Liam sanft.

Sie versteifte sich. „Hatten wir das Thema nicht vorhin schon? Lassen wir lieber meinen Mann aus dem Spiel“, entgegnete sie. Über Robert und ihre Ehe würde sie nicht mit Liam sprechen. Vielleicht würden sie bald geschäftlich zusammenarbeiten, doch daraus würde kein persönliches Vertrauensverhältnis entstehen.

„Gern“, antwortete Liam kurz angebunden. „Was ist jetzt, Laura? Kommst du auf einen Drink zu mir? Oder soll ich dich morgen suchen?“

„Das hört sich wie eine Drohung an, Liam.“ Es sollte vermutlich auch eine sein.

„Wenn du meinst“, sagte er gereizt.

„Ich muss dich warnen. Ich reagiere auf Drohungen anders, als die Leute es sich wünschen“, erklärte sie steif.

„Du liebe Zeit, Laura, du warst doch früher nicht so schwierig!“ Offenbar wurde er ungeduldig.

Damals war ich vieles nicht, was ich jetzt bin, dachte sie. Und gerade weil sie sich verändert hatte, fühlte sie sich stark und selbstbewusst genug, seine Einladung anzunehmen. Liam konnte sie nicht mehr aus dem seelischen Gleichgewicht bringen. Das hoffte sie jedenfalls.

„Okay, Liam, ich komme auf einen Drink ins Hotel“, verkündete sie betont gnädig.

„Warum konntest du nicht schon vor zehn Minuten nachgeben?“, fragte er.

„So leicht wollte ich es dir nicht machen.“

Er seufzte. „Wahrscheinlich willst du mir gar nichts leicht machen.“

Laura lachte. „Ja, da hast du recht. In ungefähr vierzig Minuten bin ich bei dir“, erklärte sie, während sie die Decke zurückschob und aus dem Bett stieg.

„Ich lasse eisgekühlten Champagner für uns bereitstellen“, antwortete er rau.

„Um Missverständnissen vorzubeugen, Liam: Es gibt nichts zu feiern.“

„Vielleicht nicht für dich, aber ich habe einen Grund. Ich erzähle es dir nachher“, versprach er ihr.

Nachdem Laura sich angezogen hatte, betrachtete sie sich im Spiegel und runzelte plötzlich die Stirn. Was wollte Liam feiern? Was wollte er ihr erzählen? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er mit ihr über seinen neuen Roman Josie’s World reden wollte.

Und wenn er es doch tun würde? Wie sollte sie reagieren?

3. KAPITEL

Im Hotel angekommen, durchquerte Laura suchend die Halle und ging dann in die Bar. Aber Liam war nirgends zu sehen. Und das konnte nur eins bedeuten!

Ärgerlich bat Laura die Rezeptionistin am Empfang: „Würden Sie bitte Mr. O’Reilly mitteilen, dass ich da bin?“

„Gern, Madam.“ Die Frau lächelte sie freundlich an, ehe sie Liam anrief und kurz mit ihm sprach. „Mr. O’Reilly bittet Sie, zu ihm in seine Suite im dritten Stock zu kommen …“

„Sagen Sie ihm bitte, ich würde an der Rezeption auf ihn warten – mit oder ohne Champagner“, unterbrach Laura die Frau gereizt.

Wie konnte er es wagen, anzunehmen, sie würde zu ihm in die Suite gehen, nur weil sie eingewilligt hatte, sich mit ihm auf einen Drink zusammenzusetzen? Für wen hielt er sich eigentlich? Oder besser, wofür hielt er sie?

Wieder telefonierte die Rezeptionistin mit Liam und erklärte kurz darauf höflich lächelnd: „Mr. O’Reilly kommt gleich.“

„Danke“, sagte Laura steif, ehe sie sich in einen der bequemen Sessel sinken ließ, die im Empfangsbereich standen. Während sie auf Liam wartete, überlegte sie, ob sie überhaupt noch etwas mit ihm trinken wollte.

Der Mann hatte Nerven! Was für ein arroganter Mensch, einfach vorauszusetzen, sie würde … Nein, es war unglaublich.

„Ich würde dir allzu gern sagen, wie schön du aussiehst, wenn du zornig bist“, ertönte plötzlich seine belustigt klingende Stimme hinter ihr. „Ich bezweifle jedoch, dass du momentan ein Kompliment von mir hören willst.“

Ärgerlich drehte Laura sich zu ihm um. Sein Gesicht war ungefähr auf gleicher Höhe mit ihrem, denn er hatte sich zu ihr hinuntergebeugt. Zum zweiten Mal an diesem Tag überraschte er sie, indem er hinter ihr auftauchte.

Sie hatte sich absichtlich so hingesetzt, dass sie genau sehen konnte, wer die Aufzüge benutzte.

„Ich bin die Treppe hinuntergegangen“, erklärte er, als hätte er ihre Gedanken erraten.

„Drei Etagen? Zu Fuß?“ Sie blickte ihn skeptisch an. Während ihrer gemeinsamen Zeit war es ihm sogar manchmal zu anstrengend gewesen, vom Schlafzimmer in die Küche zu laufen.

Er lächelte. „Seit meiner Rückkehr nach Irland wandere ich viel und oft durch die Natur.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Es hilft mir sehr und war oft meine einzige Rettung.“

„Schön für dich.“ Laura wollte die näheren Umstände gar nicht wissen. „Den Champagner hast du offenbar nicht mitgebracht.“

„Der steht für uns an der Bar bereit.“

Und was bedeutet das? fragte Laura sich, während sie aufstand. Hatte er etwa von Anfang an beabsichtigt, sich mit ihr in die Bar zu setzen? Oder hatte er vorhin rasch von seiner Suite aus den Barkeeper angerufen und ihn gebeten, Champagner kalt zu stellen?

„Du denkst zu viel nach“, neckte Liam sie. Er ging neben ihr her zur Bar und hakte sich bei ihr ein. „Und du siehst ungemein gut aus“, fügte er bewundernd hinzu.

Sie runzelte die Stirn. Hatte sie etwa doch das falsche Outfit gewählt? Um nicht zu auffallend oder verführerisch zu wirken, hatte sie eine elegante schwarze Hose und eine schwarze Seidenbluse angezogen.

Nachdem sie sich hingesetzt hatten und man ihnen den Champagner eingeschenkt hatte, bemerkte Laura, wie interessiert die weiblichen Gäste Liam musterten. Das wird wohl nie anders, überlegte sie spöttisch. Liam hatte schon immer die Aufmerksamkeit aller Frauen auf sich gezogen, egal, wie jung oder alt sie waren.

„So, Laura, zu welchem Schluss bist du gekommen?“ Er blickte sie an, und in seinen Augen blitzte es belustigt auf.

Der Mann ist einfach zu scharfsinnig, schoss es ihr durch den Kopf. Sie ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern saß ganz entspannt in dem Sessel neben ihm. „In welcher Hinsicht?“, fragte sie betont beiläufig.

„Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich mich äußerlich verändert habe“, antwortete er gelassen.

Laura zuckte die Schultern. „Wir sind beide acht Jahre älter geworden, Liam.“

Er lachte leise. „Wie taktvoll, Laura! Aber damit hast du meine Frage nicht beantwortet.“

Sie zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was das überhaupt soll“, erwiderte sie.

Liam kniff die Augen zusammen. „Wie ist er?“

Mühsam gelang es ihr, ihre Haltung zu bewahren. „Wer?“, fragte sie steif.

„Der Mann, den du geheiratet hast.“

Ihr Blick war kühl. „Robert ist der netteste, wunderbarste, rücksichtsvollste Mensch, den ich jemals kennengelernt habe“, erklärte sie, ohne zu zögern.

Er sah sie finster an. Offenbar gefiel ihm die Antwort nicht. „Und wie ist er im Bett?“, wollte er wissen.

Laura verschluckte sich beinah an dem Champagner, den sie gerade trinken wollte. „Wie kannst du es wagen?“, fuhr sie Liam an, als sie wieder sprechen konnte. Sie stellte das Glas auf den niedrigen Tisch vor ihnen. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Du hast überhaupt kein Recht …“

„Ist es so schlimm?“ Er betrachtete sie nachdenklich.

„Was meinst du damit?“ Vor lauter Zorn stieg ihr die Röte in die Wangen.

„Du reagierst viel zu aufgeregt und zu heftig.“ Liams Stimme klang ironisch. „Gleich behauptest du noch, seine Freundlichkeit, seine Rücksicht und seine wunderbare Art seien viel wichtiger für dich als die Tatsache, dass er im Bett nicht so gut ist.“ Er zog spöttisch die Augenbrauen hoch.

Laura griff nach ihrer Umhängetasche. „Du irrst dich, Liam. Aber ich möchte mit dir weder über Robert noch über etwas anderes reden.“ Sie stand auf und blickte verächtlich auf ihn hinunter. „Du hast dich wirklich verändert in den acht Jahren, Liam, und bestimmt nicht zu deinem Vorteil.“

„Ach, du liebe Zeit, Laura, setz dich wieder hin“, forderte er sie müde auf. „Okay, ich hätte die Bemerkungen über deinen Mann nicht machen dürfen.“ Er schien davon überzeugt zu sein, dass er recht gehabt hatte. Jedenfalls hörte es sich so an. „Ich entschuldige mich. In Ordnung?“

„Nein, das ist es nicht“, entgegnete sie unnachgiebig.

Er beugte sich vor und nahm ihre Hände. „Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich vielleicht eifersüchtig bin?“, fragte er. „Immerhin hast du damals geglaubt, ich sei wunderbar“, fügte er hinzu.

Laura lachte verächtlich auf. „Das war, ehe ich gelernt hatte, die Spreu vom Weizen zu trennen.“

Liam ließ sich nicht anmerken, wie sehr er sich über die Beleidigung ärgerte.

Sie gestand sich ein, dass sie ihn absichtlich verletzt hatte. Aber er hatte sie mit seinen Bemerkungen über Robert provoziert. Niemals würde sie zulassen, dass irgendjemand abfällig über Robert sprach, denn er hatte ihr in der schwierigsten Situation ihres Lebens sehr geholfen.

Dass Liam behauptete, er sei eifersüchtig auf Robert, verblüffte sie. Aber wahrscheinlich ärgert er sich nur darüber, dass ich jetzt nicht mehr ihn, sondern nur noch Robert bewundere, überlegte sie.

Sekundenlang hatte sie gedacht, sie hätte sich getäuscht und Liam hätte vielleicht damals doch etwas für sie empfunden. Das hatte er jedoch nicht. Seine Eifersucht war letztlich nichts anderes als Egoismus und verletzter Stolz.

Laura lächelte freudlos. „Ich habe dich gewarnt, Liam. Es war ein Fehler“, sagte sie. „Uns verbindet nichts mehr, wenn uns überhaupt jemals etwas verbunden hat. Alte Freunde, die sich …“

„Wir waren ein Liebespaar!“, unterbrach er sie hart. „Versuch nicht, so zu tun, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen, Laura!“

Sie hatte das Gefühl, zu Eis zu erstarren, und wurde ganz blass. Es war gerade für sie unmöglich, so zu tun, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen, obwohl sie die gemeinsame Zeit allzu gern völlig aus ihrem Gedächtnis getilgt hätte! Er brauchte sie jedenfalls nicht daran zu erinnern, dass sie ein Liebespaar gewesen waren.

„Setz dich wieder hin, Laura“, forderte Liam sie ruhig auf. „Ich werde versuchen, dich nicht noch einmal zu beleidigen“, versprach er.

„Du willst es versuchen?“ Sie schüttelte den Kopf. Es war unglaublich, was dieser Mann sich einbildete. „Wenn du mich überzeugen willst, hier zu bleiben, musst du dir etwas Besseres einfallen lassen.“

Er lächelte reumütig. „Du darfst nicht vergessen, manchmal fühlst du dich beleidigt, obwohl ich es nicht so gemeint habe.“

„Ist das die beste Ausrede für alles, was du mir schon an Beleidigungen an den Kopf geworfen hast?“, fragte sie.

„Ehrlich gesagt, ja.“

Laura setzte sich unvermittelt hin. „Du bist wirklich der arroganteste Mensch, den ich jemals kennengelernt habe!“

Er verzog das Gesicht und beugte sich vor, um Champagner nachzuschenken. „Ah ja, das ist zumindest etwas, was mich von deinen anderen Freunden unterscheidet.“

„Arroganz ist keine Tugend, Liam.“

„Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern“, antwortete er. „Dann lass uns jetzt anstoßen.“ Er reichte ihr das volle Glas und nahm sein eigenes in die Hand.

Wollte er auf die Veröffentlichung seines neuesten Romans anstoßen? Wenn ja, wie sollte sie darauf reagieren? Laura konnte wohl kaum so tun, als hätte sie keine Ahnung. So sehr wollte sie ihn nicht täuschen. Die Wahrheit wollte sie ihm jedoch auch nicht sagen.

Sie schluckte. „Worauf?“

„Vielleicht auf die alte Liebe und unsere neue Freundschaft?“, schlug er vor.

Laura rang sich ein Lächeln ab. Sie war erleichtert, dass ihre Befürchtung unbegründet war. Die Alternative war jedoch nicht viel besser. „Ersteres habe ich längst vergessen, und das Zweite ist recht unwahrscheinlich“, erwiderte sie.

„Dann lass uns einfach auf uns anstoßen“, bat er sie rau.

„Auf uns?“

„Hast du ihm alles über uns erzählt?“, fragte Liam langsam, nachdem sie angestoßen und etwas Champagner getrunken hatten.

Sie versteifte sich. „Du meinst Robert?“, vergewisserte sie sich, um Zeit zu gewinnen.

„Natürlich, wen denn sonst?“ Er lachte. „Oder hast du mehr als einen Ehemann in den letzten acht Jahren gehabt? Wann hast du ihn geheiratet? Ich frage nur, weil es mich interessiert. Einen anderen Grund hat es nicht.“

„Robert und ich haben vor ungefähr siebeneinhalb Jahren geheiratet“, antwortete sie steif.

„Dann hattest du keine anderen Ehemänner“, stellte Liam fest. „Offenbar hast du dich wenige Monate nach unserer Trennung anderweitig getröstet“, fügte er anzüglich hinzu.

„Bei Weitem nicht so rasch wie du dich“, entgegnete Laura hart. Du warst ja kaum auf dem Flughafen von Los Angeles gelandet, als du dich verlobt hast. Wenige Wochen später warst du verheiratet.“

Allzu gut erinnerte sie sich daran, wie verzweifelt sie gewesen war, als sie den Bericht über seine Beziehung mit Diana Porter gelesen und die Fotos von der Hochzeit entdeckt hatte. Sie hatte das Gefühl gehabt, in einen Abgrund zu stürzen. Wenn Robert nicht gewesen wäre …

„Es sieht so aus, als hätten wir beide die Trennung rasch überwunden“, gab Liam zu. „Dein heiß geliebter Onkel war mit Robert einverstanden, oder?“

Behutsam stellte Laura das Glas auf den Tisch. Ihre Hand zitterte plötzlich so sehr, dass sie befürchtete, den Champagner zu verschütten.

Sie war erst sechzehn gewesen, als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Außer ihrem Patenonkel, mit dem sie nicht verwandt war, hatte sie keine Angehörigen gehabt. Ihre Eltern hatten ihren Onkel zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Er hatte dafür gesorgt, dass sie weiterhin auf die Internatsschule gehen konnte und später auf die Universität.

Mit Liam hatte sie damals über ihren Patenonkel, den sie sehr liebte, geredet. Die beiden Männer waren sich jedoch nie begegnet.

Wahrscheinlich war Liam gar nicht daran interessiert gewesen, den Vormund der jungen Studentin kennenzulernen, mit der er ein halbes Jahr lang eine flüchtige Affäre gehabt hatte. So ernst hatte Liam die Beziehung nie genommen, dessen war sie sich sicher.

Laura blickte ihn kühl an. „Mein Privatleben geht dich nichts an, Liam“, erklärte sie bestimmt. „Dein Privatleben ist mir ja auch egal“, fügte sie verächtlich hinzu.

„Und meine berufliche Entwicklung? Möchtest du nicht wissen, was …?“

„Nein!“, unterbrach sie ihn schnell. Wenn er ihr jetzt erzählte, Shipley Publishing sei an seinem neuesten Roman interessiert, wäre es ihr sehr unangenehm. „Nein, Liam, ich will auch nichts über dein Berufsleben hören.“ Ihre Stimme klang jetzt ruhiger. Laura sah auf die Uhr. „Ich muss sowieso gehen.“

„Punkt elf verwandelt Cinderella sich in einen Kürbis, oder?“, sagte er.

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Offenbar kennst du das Märchen nicht, Liam.“

Er zuckte die Schultern. „Meine Mutter hatte keine Zeit, mir Märchen vorzulesen. Sie musste arbeiten, um meine drei Schwestern und mich nach dem Tod unseres Vaters zu ernähren.“

Liams Vater war gestorben, als er gerade sieben Jahre alt gewesen war. Seine Schwestern waren jünger als er. Wie Mary O’Reilly es geschafft hatte, zu arbeiten und die Kinder großzuziehen, konnte Laura sich nicht vorstellen. Es war sehr hilfreich für die Familie gewesen, dass Liam schon mit ungefähr fünfundzwanzig Jahren mit seinem ersten Roman Erfolg gehabt hatte. Doch bis dahin hatten er, seine Schwestern und seine Mutter es nicht leicht gehabt.

Laura wollte jedoch nicht über seine schwierige Kindheit nachdenken. Mitleid mit ihm konnte sie sich nicht erlauben.

„Geht es deiner Mutter und deinen Geschwistern gut?“, fragte sie aus reiner Höflichkeit.

Beim Gedanken an seine Familie lächelte er. „Ja, sehr gut sogar. Meine Mutter lebt in einem schönen Cottage an der Westküste Irlands, und meine drei Schwestern sind glücklich verheiratet. Insgesamt haben sie vierzehn Kinder.“

„Deine Mutter freut sich über die Enkelkinder, stimmt’s?“ Laura lächelte auch.

Liam verzog das Gesicht. „Sie ist erst dann richtig glücklich, wenn ich einen Sohn habe, der unseren Namen weiterführt.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Es gibt doch sicher viele O’Reillys in Irland, oder?“

„Natürlich. Aber in unserer Familie gibt es außer mir keine männlichen Nachkommen“, erklärte er.

„Dann musst du eben die Verantwortung übernehmen“, erwiderte sie. „Ist denn in absehbarer Zeit mit Nachwuchs zu rechnen?“

„Bis jetzt bestimmt nicht“, stieß er hart hervor.

„Deine arme Mutter.“ Laura stand auf. „Danke für den Champagner, Liam. Er hat gut geschmeckt.“

„Meine Gesellschaft hat dir wohl weniger gut gefallen, oder?“ Er stand auch auf.

Laura wünschte, er würde nicht so dicht vor ihr stehen. Sie nahm den Duft seines Aftershaves wahr und spürte die Wärme seines Körpers. Dabei wollte sie sich seiner Nähe gar nicht so sehr bewusst sein.

„Doch, es war okay“, sagte sie. „Ich wünsche dir noch einen schönen Aufenthalt in London, Liam. Vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder – in acht Jahren oder so.“ Sie drehte sich um und wollte gehen.

„Ich begleite dich bis zur Tür.“ Liam legte die Hand unter ihren Ellbogen und ging neben ihr her. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann, wenn ich dich schon nicht nach Hause bringen darf.“

Sie wollte die Bemerkung nicht kommentieren, sondern nur so rasch wie möglich und so weit wie möglich von Liam wegkommen.

„Du bist schon weiter mitgegangen als bis zur Tür“, stellte sie fest, als sie vor dem Hoteleingang stehen blieben.

„Ja, weil ich dich im Hotel nicht in Verlegenheit bringen wollte“, sagte er leise, ehe er den Kopf neigte und Laura auf die Lippen küsste.

Laura war so überrascht, dass sie sekundenlang wie erstarrt dastand. Doch als sie die Wärme spürte, die sich in ihr ausbreitete, kam sie zur Besinnung.

Sie löste sich von ihm und versuchte, ihn von sich zu stoßen. „Das hättest du besser nicht getan“, fuhr sie ihn an.

„Es war aber nötig, jedenfalls für mich.“ Er schüttelte reumütig den Kopf. „Ich weiß, dass du verheiratet bist, und ich entschuldige mich. Sag ihm, dass er sich glücklich schätzen kann.“

In ihren Augen blitzte es zornig auf. „Ich werde nichts dergleichen tun, sondern den Vorfall vergessen“, erklärte sie hitzig. „Dich kann man wirklich nur verachten!“ Am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt. Sie konnte ihre Emotionen kaum beherrschen.

„Eines Tages, Liam“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „gerätst du in eine Situation, die du nicht kontrollieren kannst. Oder du begegnest jemandem, der so mit dir umspringt wie du mit mir. Ich würde gern dabei sein.“

Er zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Bist du etwa rachsüchtig, Laura? So kenne ich dich gar nicht.“

Damals war ich vieles nicht, was ich jetzt bin, überlegte sie. Es tat ihr irgendwie leid, dass sie nicht mehr die unbekümmerte, sorglose, fröhliche junge Frau war, die sie vor acht Jahren noch gewesen war. Das Rad der Zeit ließ sich jedoch nicht zurückdrehen.

„Nein, das bin ich nicht. Aber ich möchte nach Hause fahren. Es ist spät, und ich muss morgen früh im Büro sein.“

Liam begleitete sie zu einem der vor dem Hotel bereitstehenden Taxis und hielt ihr die Tür auf. „Was machst du beruflich?“, fragte er interessiert.

Sekundenlang sah sie ihn an. Es lag ihr auf der Zunge, ihm zu sagen, dass sie die Inhaberin von Shipley Publishing sei. Allzu gern hätte sie seine verblüffte Miene gesehen. Doch es wäre falsch, ihm die Wahrheit nur aus diesem einen Grund zu verraten.

„Ich bin Lektorin“, erwiderte sie deshalb nur. Es stimmte sogar, denn sie las alle Manuskripte der Romane und Bücher, die in ihrem Verlag veröffentlicht und herausgegeben wurden, selbst durch. Da sie ihre Arbeit ernst nahm, war sie über alles genau informiert.

„Ach ja?“ Liam war offenbar beeindruckt. „Was …?“

„Es war ein … interessanter Abend, Liam“, unterbrach sie ihn und stieg ein. „Aber jetzt …“

„Ich möchte dich wieder sehen, Laura“, erklärte er.

„Das ist unmöglich“, entgegnete sie energisch. „Gute Nacht, Liam“, fügte sie hinzu. Dann schlug sie die Tür zu und nannte dem Fahrer ihre Adresse. Sogleich setzte sich das Taxi in Bewegung.

Laura schaute nicht zurück, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass Liam am Straßenrand stand und dem Taxi nachblickte.

Schließlich lehnte sie sich entspannt zurück. Ich habe von Anfang an gewusst, dass es keine gute Idee war, mich mit Liam zu treffen, dachte sie. Sie hatte seinem Drängen nur nachgegeben, weil er sie nicht hatte suchen sollen. Aber bald würde er sowieso erfahren, wer sie war und was sie machte. Weshalb hatte sie dann überhaupt eine Stunde mit ihm im Hotel verbracht?

Alles wäre besser gewesen als das – und der Kuss!

Sie glaubte, Liams Lippen immer noch auf ihren zu spüren. Es war ein angenehm prickelndes Gefühl.

Wie war es möglich, dass sie immer noch so auf ihn reagierte? Nach allem, was geschehen war, nach dem ganzen Schmerz und der Enttäuschung konnte er sie immer noch erregen.

Sie war irritiert, aus dem seelischen Gleichgewicht geraten und zornig auf sich selbst und auf ihn. Und das alles war wenig hilfreich. Sie wollte vernünftig sein, kühl, beherrscht und sehr selbstbewusst wirken.

Und das würde ihr auch gelingen bei ihrer nächsten Begegnung, wie sie sich fest vornahm.

Im Haus waren alle Lichter an, als Laura die Tür aufschloss und geradewegs in die Küche ging. Sie wusste, dass Amy Faulkner, ihre Haushälterin, dort bei einer Kanne Tee vor dem Fernseher sitzen und auf sie warten würde.

Amy war schon seit zwanzig Jahren Roberts Haushälterin gewesen, als Laura und er geheiratet hatten. Die ältere Frau hatte Laura wie eine Tochter willkommen geheißen, und sie hatten sich von Anfang an gut verstanden. Besonders in den letzten beiden Jahren war Laura sehr froh über Amys Anwesenheit gewesen.

Die Haushälterin lächelte sie jetzt freundlich an und stellte den Fernseher leise. „Hatten Sie einen schönen Abend, Mrs. Shipley?“

Nein, schön war der Abend bestimmt nicht, dachte Laura.

„Es war nur eine geschäftliche Besprechung, Amy“, erwiderte sie. „Ist hier alles in Ordnung?“

Die ältere Frau lächelte. „Ja. Er schläft fest und ist auch nicht wach geworden, als Sie weggegangen sind.“

Laura nickte zerstreut. „Ich schaue noch einmal nach, ehe ich mich hinlege. Danke, dass Sie so kurzfristig eingesprungen sind, Amy.“ Sie lächelte dankbar.

„Das tue ich doch gern, das wissen Sie“, antwortete die Frau sanft. „Sie haben es sicher nicht leicht. Und er ist bei mir gut aufgehoben.“

„Ja, glücklicherweise.“ Laura drückte Amy liebevoll die Hand. „Trotzdem danke.“

Dann ging sie leise die Treppe hinauf und öffnete vorsichtig die Tür zu dem Raum, der an ihr Schlafzimmer angrenzte. In dem schwachen Schein der Lampe mit der blauen Glühbirne setzte sie sich in den Schaukelstuhl, der neben dem Bett stand, und betrachtete das schlafende Kind.

Nur der Kopf und die Schultern waren zu sehen. Die dunklen Wimpern berührten die blassen Wangen, und das dunkle Haar umrahmte in weichen Locken das Gesicht.

Robert Shipley junior, dachte sie voller Zuneigung und Liebe. Er wurde Bobby genannt, war sieben Jahre alt, hatte schwarzes Haar und blaue Augen. Er war sehr temperamentvoll und hatte einen wachen, scharfen Verstand.

Laura liebte ihren Sohn sehr. Seinetwegen hatte sie mit Liam nicht über ihr Privatleben reden wollen. Auch wenn Mary O’Reilly, Liams Mutter, es nicht wusste, hatte sie bereits den Enkel, den sie sich so sehnlich wünschte.

Aber er hieß nicht O’Reilly und würde auch nie so heißen, obwohl Liam O’Reilly sein Vater war.

4. KAPITEL

„… hat gesagt, er wolle zu einer Besprechung zu uns kommen.“

Laura blickte Perry an, ohne ihn wahrzunehmen. Sie hatte ihm nicht mehr zugehört, seitdem er ihr vor einigen Minuten erzählt hatte, Liam habe ihn angerufen.

Sie schluckte. „Entschuldige, Perry, könntest du das bitte wiederholen?“ Sie versuchte, sich zu konzentrieren.

In der vergangenen Nacht hatte sie schlecht geschlafen. Ihre Gedanken hatten sich im Kreis gedreht.

Seit sie vor ungefähr siebeneinhalb Jahren Robert geheiratet hatte, hatte sie immer etwas Angst davor gehabt, Liam würde in ihr Leben zurückkommen. Sie befürchtete, er würde Ansprüche auf Bobby erheben. Wenn er das Kind sah, würde ihm klar sein, dass es seins war. Laura war jedoch nicht bereit, ihm Zugeständnisse zu machen. Liam hatte seine Rechte als Vater verwirkt, als er vor acht Jahren einfach verschwunden war.

Natürlich hatte er nicht wissen können, dass Laura schwanger war. Sie hatte es ja selbst noch nicht gewusst, als er in die USA abgeflogen war. Aber wenn er sie wenigstens ein einziges Mal angerufen oder ihr geschrieben hätte, hätte er es erfahren. Sie hätte es nicht für sich behalten.

Damals hatte sie sich sehr einsam gefühlt und nicht gewusst, was sie machen sollte. Irgendwann hatte sie ihn gehasst und ihn nie wieder sehen wollen. Doch diese Gefühle waren im Lauf der Zeit schwächer geworden, nicht zuletzt deshalb, weil Robert ein wunderbarer Ehemann und Vater gewesen war. Laura verdankte ihm alles, was sie erreicht hatte.

Im Nachhinein gestand Laura sich ein, dass sie sich Liam aufgedrängt hatte. Sie hatte nicht wahrhaben wollen, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte.

Er war jedoch keineswegs unschuldig an dem, was geschehen war. Bereitwillig hatte er sich auf eine sexuelle Beziehung mit ihr eingelassen.

Auch wenn sie die ganze Sache jetzt nüchterner betrachten konnte und Abstand gewonnen hatte, hieß das nicht, dass sie Liam sein Verhalten verziehen hätte oder ihn wieder sehen wollte.

Das Manuskript, das Perry ihr vor drei Wochen vorgelegt hatte, konnte sie jedoch nicht ignorieren. Es war hervorragend, und Perry hatte nicht wissen können, wer der Autor wirklich war. Laura hingegen war sich schon nach dem ersten Kapitel sicher gewesen, dass Liam den Roman geschrieben hatte.

„Liam O’Reilly hat sich entschlossen, erst heute Abend nach Irland zurückzufliegen“, wiederholte Perry geduldig. „Er will uns vor seinem Abflug besuchen und den Vertrag mit uns besprechen.“

„Reilly O’Shea“, korrigierte Laura ihn, um Zeit zu gewinnen.

Liam wollte zu ihnen ins Büro kommen. Vielleicht würde er darauf bestehen, mit dem Inhaber des Verlages zu reden – mit ihr.

„Was hast du ihm gesagt?“, fragte sie Perry.

„Dass ich heute nur wenig Zeit hätte, ihn jedoch anrufen würde.“

Warum wollte Liam jetzt schon nach Irland zurückfliegen? Hatte es etwas mit dem Gespräch zu tun, das er mit ihr am Abend zuvor im Hotel geführt hatte? Laura konnte es sich nicht vorstellen, obwohl der Abend aus seiner Sicht wenig erfreulich verlaufen war.

Es kann mir letztlich egal sein, weshalb er früher als geplant nach Hause fliegt, überlegte sie. Wichtig war nur, dass er zu ihnen ins Büro kommen wollte.

Sie atmete tief ein. „Seid ihr, du und David, bereit, über einen Vertrag mit ihm zu verhandeln?“ David war der Leiter ihrer Rechtsabteilung.

Perry zögerte kurz. „Es kommt darauf an, mit wem wir verhandeln, oder?“ Er runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. „Das ist eine schwierige Situation, Laura. Es wäre sicher besser, du würdest selbst mit ihm reden.“

Nein, das war völlig unmöglich. Sie lehnte sich in dem Ledersessel zurück. In dem schwarzen Hosenanzug und der weißen Seidenbluse verkörperte sie die erfolgreiche Geschäftsfrau. Ihr war klar, mit ihren neunundzwanzig Jahren war sie für die Leitung eines großen Verlagshauses noch sehr jung. Deshalb konnte sie auf solche Äußerlichkeiten wie elegante, etwas streng wirkende Outfits, die ihr den Ruf eingebracht hatten, eine Karrierefrau zu sein, nicht verzichten.

„Du kommst mit schwierigen Situationen sonst immer gut allein zurecht, Perry“, erklärte sie und lächelte ihn zuversichtlich an.

Perry war ein ehrgeiziger Mitarbeiter, und es gefiel ihm, Chefredakteur des angesehenen Verlags zu sein. Er würde keinesfalls zulassen, dass in Laura Zweifel an seinem Verhandlungsgeschick aufstiegen.

„Stimmt.“ Er seufzte. „Aber in diesem Fall habe ich keine Ahnung, was ich machen soll. Das Manuskript will ich uns sichern, das ist klar. Ich will O’Reillys Unterschrift unter dem Vertrag haben, ehe er es sich anders überlegen und den Roman einem anderen Verlag anbieten kann. Doch wie ich mit ihm verhandeln soll, ohne ihm zu verraten, dass ich seine Identität kenne, weiß ich nicht. Und wie soll ich ihm beibringen, dass wir das Buch unter seinem richtigen Namen, Liam O’Reilly, herausgeben wollen? Ich will ihn ja auch nicht abschrecken.“

Laura lächelte freudlos. „Ich glaube nicht, dass er sich so leicht abschrecken lässt.“

„Trotzdem meine ich, du solltest selbst mit ihm verhandeln …“

„Dann würde er sich so wichtig fühlen, wie er gar nicht ist“, unterbrach Laura ihn scharf. „Vielleicht ist es am besten, du sagst ihm, du hättest heute keine Zeit, Perry. Immerhin hat er sich sehr kurzfristig angemeldet.“

„Laura, er will das Manuskript wieder mitnehmen, wenn wir ihm heute kein festes Angebot machen“, wandte Perry ruhig, wenn auch etwas zögernd ein. Und dafür hatte er einen guten Grund.

Unbekannte Autoren mussten sonst oft monatelang warten, bis ein Verlag, dem sie ein Manuskript zugeschickt hatten, reagierte. Liam hätte sich darüber freuen können, dass Shipley Publishing ihm schon nach wenigen Wochen geantwortet hatte. Stattdessen trat er ungemein selbstbewusst auf und nahm sich außergewöhnlich wichtig. Aber er war ja auch Liam O’Reilly und nicht der unbekannte Reilly O’Shea.

„Du würdest ihn wahrscheinlich am liebsten auffordern zu verschwinden, Laura. Das würde ich auch gern tun.“ Er stand auf und ging ungeduldig im Raum hin und her. „Aber der Roman darf uns nicht durch die Lappen gehen“, fügte er hinzu.

„Bist du sicher, dass du dir nicht etwas zu viel zumutest?“ Laura schluckte. Dass Liam schon in der Anfangsphase der Vertragsverhandlungen Bedingungen stellte, war eigentlich inakzeptabel. „Er scheint ein schwieriger Verhandlungspartner zu sein.“

Er scheint nicht nur schwierig zu sein, er ist es wirklich, fügte Laura insgeheim hinzu. In der Stunde, die sie am Abend zuvor mit Liam verbracht hatte, hatte sie gemerkt, wie arrogant er geworden war. Er war noch überheblicher und selbstherrlicher als vor acht Jahren.

Da er in der ganzen Zeit weder einen Roman noch sonst etwas veröffentlicht hatte, hätte man von ihm etwas mehr Zurückhaltung oder Bescheidenheit erwarten können.

Andererseits wusste Laura genauso gut wie Perry, dass Josie’s World ein Bestseller werden und Liams frühere Romane in den Schatten stellen würde. Es war die bezaubernde Geschichte eines Mädchens, das in einem irischen Dorf heranwuchs.

Das Problem war, dass Liam offenbar völlig klar war, wie gut der Roman war.

„Ob der Mann schwierig ist oder nicht, ich will dieses Buch haben“, antwortete Perry mit finsterer Miene.

„Dann musst du dich mit ihm zusammensetzen und die Bedingungen aushandeln“, erklärte Laura ruhig.

„Und wenn ich Fragen habe und dich brauche?“

„Du kannst mich anrufen“, erwiderte sie. Unter keinen Umständen durfte er Liam zu ihr ins Büro bringen. Sie blickte auf die Uhr. „Es ist halb elf. Mach mit ihm einen Termin aus für vier Uhr.“ Dann wäre sie schon unterwegs, um Bobby von der Schule abzuholen.

Wie Amy schon am Abend zuvor erwähnt hatte, war es nicht leicht, Mutter und Verlegerin zugleich zu sein. Doch dank Amys Hilfe und mit der Unterstützung der sehr loyalen und kompetenten Führungskräfte von Shipley Publishing schaffte sie es ganz gut. Ihr ganz persönliches Privatleben kam dabei etwas zu kurz, doch das war ihr egal. Sie hatte mehr erreicht, als sie jemals zu hoffen gewagt hatte.

„Dann hat er wenigstens nicht den Eindruck, du würdest dich seinetwegen überschlagen“, fügte sie hinzu. „Vergiss nicht, wie arrogant er heute Morgen am Telefon war. Das beantwortet die Frage, mit wem du verhandelst, von selbst.“

„Du hast recht“, stimmte Perry ihr zu. „Entschuldige.“ Er verzog das Gesicht. „Ich habe mich irritieren lassen. Ich rufe ihn an und sage ihm, ich hätte um vier einige Minuten Zeit für ihn. Drück mir die Daumen, und wünsch mir Glück!“

„Ganz bestimmt.“ Laura lächelte. Liam war ein schwieriger Gesprächspartner, das war ihr klar. Sie war ungemein erleichtert, dass sie nicht mit ihm verhandeln musste.

„… habe Ihnen doch erklärt, dass Mrs. Shipley beschäftigt ist, und … Sie können nicht einfach da eindringen“, protestierte Ruth, Lauras Sekretärin, aufgeregt, während die Tür zu Lauras Büro geöffnet wurde.

„Nein?“ Liam O’Reilly stand mit arroganter Miene auf der Türschwelle und zog die Augenbrauen hoch, während er Laura ansah. Sie saß an ihrem großen, schweren Schreibtisch am Fenster.

Es ist doch erst drei Uhr, er sollte um vier hier sein! schoss es ihr durch den Kopf.

„Es tut mir leid, Mrs. Shipley.“ Ruth, eine kleine rothaarige Frau und eine hervorragende Sekretärin, war offenbar empört über Liams selbstherrliches Benehmen. „Dieser … Herr wollte Sie unbedingt sprechen. Doch weil er keinen Termin mit Ihnen vereinbart hat …“

„Ich habe dieser jungen … Dame erklärt“, unterbrach Liam sie sarkastisch, „dass ich keinen Termin brauche, wenn ich dich sehen will, Laura.“ In seinen Augen blitzte es herausfordernd auf.

Laura legte langsam den Füller auf den Schreibtisch und lächelte ihre Sekretärin beruhigend an, ohne Liam zu beachten. „Es ist okay, Ruth. Mr. O’Reilly ist ein … Bekannter von mir.“

Ruth warf dem Eindringling einen empörten Blick zu, ehe sie sich wieder an Laura wandte. „Wenn Sie sicher sind …?“

„Ja, es ist wirklich in Ordnung“, bekräftigte Laura.

Das war es natürlich nicht! Wie konnte Liam es wagen, einfach hier aufzutauchen? Hatte er etwa von Anfang an Bescheid gewusst?

„Ein schönes Büro“, stellte er fest, nachdem Ruth die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Er hatte recht, es war wirklich ein schöner Raum mit den Regalen aus massiver Eiche an den Wänden und den vielen Büchern. Lauras Schreibtisch war auch aus Eiche, und der Fußboden war mit einem dicken Teppich ausgelegt.

Laura gestand sich ein, dass ihr Büro luxuriös ausgestattet war. Zugleich war ihr jedoch bewusst, dass Liam sich momentan bestimmt nicht für die Einrichtung interessierte.

Was wollte er hier? Sie beobachtete ihn, wie er in den Jeans, dem hellen Hemd und dem schwarzen Jackett hereinkam. Kein Wunder, dass Ruth versucht hat, ihn daran zu hindern, mein Büro zu betreten, überlegte Laura. Er wirkte keineswegs wie ein erfolgreicher Autor, schon gar nicht wie ein Millionär.

„Mrs. Shipley“, sagte er leise und mehr zu sich selbst.

Sie versteifte sich, denn es klang irgendwie wie eine Beleidigung.

Autor

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