Julia Exklusiv Band 376

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KÜSS MICH BITTE NOCH EINMAL von MELANIE MILBURNE

Eine romantische Märchenhochzeit war immer Theodoras größter Traum. Damit sie ihr Erbe nicht verliert, ist sie jetzt zu einer Zweckehe gezwungen – ausgerechnet mit dem verhassten argentinischen Millionär Alejandro Valquez muss sie vor den Traualtar treten!

ZU HOCH GEPOKERT, DARLING? von JENNIFER RAE

Zu blond, zu laut, zu offenherzig: Olivia ist völlig unstandesgemäß. Doch die Killerkurven der Brautjungfer bringen Edward Winchesters Blut zum Kochen. Ob er ihr bis zur Hochzeit seines Bruders widerstehen kann? Er hegt leise Hoffnung – bis Olivia ihm einen pikanten Vorschlag macht …

DIE FALSCHE BRAUT – DER RICHTIGE MANN! von JOSS WOOD

Sie soll seine Braut spielen? Weil er einen Artikel über Flitterwochen-Locations schreiben will? Erst lacht Callie über Finns Angebot. Doch dann braucht sie eine Ausrede für ihre Abwesenheit bei einem Familientreffen und wird Finns falsche Braut – was sich erstaunlich richtig anfühlt …


  • Erscheinungstag 25.05.2024
  • Bandnummer 376
  • ISBN / Artikelnummer 0851240376
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Melanie Milburne, Jennifer Rae, Joss Wood

JULIA EXKLUSIV BAND 376

1. KAPITEL

Ein Wort bei der Verlesung des Testaments ihres Vaters ließ Teddy überrascht und verwirrt aufblicken. Sie bedachte den Anwalt und Freund ihrer Familie mit einem fragenden Blick. Eheschließung?“

Benson nickte ernst. „Leider ja. Innerhalb eines Monats. Andernfalls wird Hugo, dein Cousin zweiten Grades, das gesamte Erbe antreten: Besitztümer, Konten, Aktien und … Marlstone Manor.“

„Das kann doch nicht legal sein!“ Teddy krallte sich an den Armlehnen ihres Stuhls fest, sodass sich ihre Fingernägel tief ins Leder gruben. „Dad hat mir das Anwesen versprochen. Das hat er mir noch am Tag vor seinem Tod versichert. Er hat gesagt, ich würde immer ein Dach über dem Kopf haben.“

„Dein Vater hat sein Testament einen Monat vor seiner Krebsdiagnose geändert“, erklärte der Anwalt. „Als hätte er geahnt, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, um seine Angelegenheiten zu regeln.“

Seine Angelegenheiten?“ Es war ihr Haus und damit auch ihre Angelegenheit! Dieser Ort bedeutete Sicherheit und Geborgenheit für sie. Wie konnte ihr Vater ihren Cousin überhaupt als Erben in Betracht ziehen, nachdem dieser den alten Herrn während seiner schweren Krankheit kein einziges Mal besucht hatte?

Teddys Herz hämmerte schmerzhaft in ihrer Brust, und sie konnte ihren eigenen Puls bis in die Fingerspitzen spüren. Der Schock saß tief, und sie musste ein paar Mal durchatmen, um wieder klar denken zu können. War das alles ein Albtraum! Befand sie sich hier wirklich im Arbeitszimmer ihres Vaters und führte mit dessen Anwalt dieses absurde Gespräch?

Es musste sich um ein riesiges Missverständnis handeln!

Fünf Monate lang hatte sie ihren Vater während seiner Bauchspeicheldrüsenkrebserkrankung gepflegt und ihm in den letzten Stunden seines Lebens Beistand geleistet. Es war die einzige Zeit gewesen, in der sie sich ihm wirklich nahe gefühlt hatte. Er hatte ihr viele Anekdoten aus seiner Kindheit erzählt, die ihr bis dahin völlig unbekannt gewesen waren.

All diese Geschichten hatten ihr etwas Wichtiges über seine schwierige Persönlichkeit verraten. Weshalb er immer nur die Fehler seiner Tochter gesehen hatte. Warum er so wahnsinnig schwer zufriedenzustellen war. Ein Kontrollfreak, dem man nichts recht machen konnte. Am Ende hatte sie die Kraft gefunden, ihm aufrichtig zu verzeihen. Sie hatte ihm sogar gesagt, dass sie ihn liebte. Dabei hatte sie sich einst geschworen, das niemals zu tun!

Und trotzdem war er die ganze Zeit über darauf aus gewesen, ihr eins auszuwischen? Sie um ihr Erbe zu betrügen?

Mühsam schluckte sie die bittere Enttäuschung über diesen Verrat herunter. Wie konnte ihr Vater ihr so etwas antun? Er hatte sie in Sicherheit gewogen, nur um ihr dann den Boden unter den Füßen wegzureißen. Und sie hatte es nicht kommen sehen. Warum war sie so dumm gewesen und auf dieses Schauspiel einer glücklichen Familie hereingefallen?

„Mein Vater hat mich in dem Glauben gelassen, Marlstone würde für immer mir gehören.“ Teddy bemühte sich, klar und deutlich zu sprechen, obwohl in ihrem Inneren ein emotionales Chaos herrschte. Sie fühlte sich wie auf einem Schleudersitz. „Weshalb sollte er seine Meinung geändert haben? Sicherlich muss ich nicht erst verheiratet sein, um mein Erbe einzufordern, oder? Das wäre doch lächerlich!“

Der Anwalt tippte mit einem Füller auf das Dokument, das vor ihm auf dem Tisch lag. „Die Dinge sind ein wenig komplizierter …“ Offenbar suchte er nach den richtigen Worten, um seine Mandantin nicht noch mehr zu schockieren. „Dein Vater hat den Bräutigam schon selbst bestimmt.“

Sie war fassungslos. „Was hat er getan?“

Benson schob ihr den Zettel zu. „Er möchte, dass du Alejandro Valquez heiratest.“

Stumm starrte sie auf den Namen … und sah den Mann im Geiste vor sich. Den großen, dunkelhaarigen Playboy mit den tiefbraunen Augen und dem rätselhaften, verwegenen Lächeln. Frauen auf der ganzen Welt waren seinem außergewöhnlichen Charisma verfallen.

Teddy spürte, wie ihre Wangen brannten. Das musste ein Scherz sein! Ihr Vater konnte unmöglich einen derart grausamen Vorschlag machen. Wenn sie mit jemandem vor den Traualtar trat, der so eindeutig in einer vollkommen anderen Liga spielte, würde sie mit Sicherheit zur öffentlichen Lachnummer! Die Presse würde sich über sie das Maul zerreißen und sie zum Gespött der Leute machen. Niemand würde ernsthaft glauben, dass diese Ehe echt war.

Alejandro Valquez und sie? Peinlich! Womit hatte sie das verdient? Zeigte ihr Vater ihr auf diese Weise – auch nach seinem Tod –, wie wenig er sie respektierte? Wollte er sie vor aller Welt demütigen?

Sie atmete tief durch und sah den Anwalt an. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Bestimmt gab es eine Lösung für diesen ganzen Schlamassel. Jedenfalls half es nichts, jetzt in Panik zu geraten oder hysterisch zu werden. Das war nicht ihr Stil. Normalerweise gelang es ihr stets, cool zu wirken, selbst wenn ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren. „Kann man diese Bedingung irgendwie umgehen?“

„Nicht wenn du weiterhin die alleinige Besitzerin von Marlstone Manor bleiben willst.“

Sie blickte aus dem Fenster hinaus in den Garten und über die riesigen Felder, die sich dahinter erstreckten. Dunkelgrüne Wiesen wurden von dichten Hecken eingerahmt, und ein silberglänzender Fluss schlängelte sich in den Wald, der die Grundstücksgrenze markierte. Da waren der große See und die urigen Bäume, die seit ewigen Zeiten dort standen, während sich das Leben um sie herum ständig änderte …

Dieses herrschaftliche Anwesen mit seinen Ländereien war ihr Zuhause. Und es lieferte ihr die Inspiration für ihre Arbeit als Kinderbuch-Illustratorin. All die botanischen Zeichnungen … ihr Atelier befand sich unter diesem Dach … dies war ihr einziger Hort der Ruhe …

Ich kann das alles nicht aufgeben, überlegte sie verzweifelt. Was hat sich mein Vater bloß dabei gedacht?

Ihr Magen schmerzte fürchterlich, und ihre Hände zitterten.

Hatte er vielleicht nicht gewusst, wie sehr sie Männer wie Alejandro Valquez verabscheute? Alejandro war unfassbar reich – ein gut aussehender Womanizer, genau wie sein Bruder Luiz –, und er traf sich ausschließlich mit Supermodels oder Filmstars. Mit wunderschönen Frauen. Mit perfekten Frauen.

In der Vergangenheit hatte Alejandro ihr keine Beachtung geschenkt. Mädchen wie Teddy waren für ihn unsichtbar. Vor Jahren war sie ihm auf einem Poloturnier, das sie mit ihrem Vater besucht hatte, vorgestellt worden, und Alejandro hatte mit seinen dunklen Augen praktisch durch sie hindurchgesehen.

Danach war er sofort auf eine große, schlanke Blondine zugegangen, mit der er sich später auch verlobte. Ihre rasante Affäre war in der Presse gründlich ausgeschlachtet worden, bis seine Verlobte – das Supermodel Mercedes Delgado – die Hochzeit in letzter Minute absagte.

Was hatte sich Teddys Vater dabei gedacht, ausgerechnet diesen Mann für seine Tochter auszusuchen? Welchen Vorteil hatte diese Allianz, die vermutlich sowieso nur von kurzer Dauer sein sollte?

Teddy hatte ihrem Vater ja nie besonders nahegestanden, und er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ihm ein Sohn wesentlich lieber gewesen wäre als eine Tochter. Seit ihrer Kindheit war sie permanent von ihm kritisiert worden. Aber wie alle kleinen Mädchen war sie trotzdem davon überzeugt gewesen, ihn von Herzen zu lieben. Und sie hatte um seine Anerkennung gebuhlt, hatte ihn für sich gewinnen wollen.

Sie hatte Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass er von seiner Arbeit besessen war. Er nahm sich nicht die Zeit, einen einzigen Gedanken an seine Tochter zu verschwenden. Und das, obwohl er sich nach der Scheidung von ihrer Mutter das alleinige Sorgerecht gesichert hatte. Denn da war es ihm – wie auch stets bei seinen Geschäften – bloß um einen weiteren Sieg gegangen. Um eine weitere Schlacht, die er um jeden Preis gewinnen wollte … um seinen Gegner am Boden zu sehen.

Will er mich jetzt etwa bestrafen? überlegte sie. Weil ich ihm nie verziehen habe, dass er meine Mutter in einen viel zu frühen Tod getrieben hat?

Oder hatte ihn gestört, dass seine Tochter das Leben einer alten Jungfer führte? Hatte er sich deswegen geschämt und sie an einen Mann fesseln wollen, dessen Interesse sie unter normalen Umständen niemals erregen konnte?

Der Name Valquez stand für Reichtum und Prestige. Zwei Playboy-Brüder, die genauso hart feierten, wie sie Polo spielten. Und falls diese notorischen Junggesellen sich irgendwann in den Hafen der Ehe bewegen sollten, dann sicherlich nicht mit einer Frau wie ihr!

Teddy sah dem Anwalt fest in die Augen. „Was springt für Alejandro dabei heraus? Weshalb sollte er einem solchen Arrangement zustimmen?“

„Dein Vater hat dessen altem Herrn vor zwanzig Jahren Ackerland abgekauft, um der Familie aus einer finanziellen Bredouille zu helfen, nachdem Paco Valquez einen schweren Polounfall hatte und querschnittsgelähmt war“, erklärte Benson. „Dein Vater hat die Ländereien die ganze Zeit über behalten, obwohl Alejandro mehrfach Angebote für einen Rückkauf gemacht hat. Im Falle einer Hochzeit wird ihm der Besitz allerdings wieder überschrieben.“

Ich werde gegen Ackerland eingetauscht! dachte sie entsetzt. Wie eine Trophäe übergeben! Ein Tauschhandel wie im Mittelalter! Wie konnte mein Vater mir das bloß antun? Schließlich leben wir im einundzwanzigsten Jahrhundert, wo Frauen sich ihre Lebenspartner selbst aussuchen dürfen!

Insgeheim hatte Teddy immer von einer Märchenhochzeit geträumt, vor allem seit der Scheidung ihrer Eltern. Damals war sie erst sieben Jahre alt gewesen. Teddy glaubte an die wahre Liebe, auch wenn sie diese Erfahrung niemals selbst gemacht hatte. Menschen sollten sich ineinander verlieben und dann ihr Leben lang zueinander stehen. Niemand sollte heutzutage aus finanziellen Motiven heraus eine Zweckehe eingehen! Das war ihre feste Überzeugung.

Wie könnte sie jemals ihren Herzenswunsch nach einer Liebesheirat aufgeben? Damit würde sie sich selbst und all ihre Werte verraten. Auf keinen Fall wollte sie das Vorgehen ihrer Mutter wiederholen und einen Mann wegen seines sozialen Status heiraten, um die eigene Existenz zu sichern. Nur um später öffentlich ausgelacht zu werden, wenn sich die vermeintliche Sicherheit ins Gegenteil verkehrte …

Es musste einfach einen Ausweg geben!

„Was sagt denn Alejandro zu der ganzen Sache?“, wollte sie von dem Anwalt wissen. „Weiß er schon Bescheid?“

„Er steckt in einer relativ aussichtslosen Lage, würde ich mal behaupten.“

„Soll heißen?“

„Dein Vater hat verfügt, dass die Ländereien, auf die es Alejandro abgesehen hat, anderweitig verkauft werden, sollte die Hochzeit nicht stattfinden.“

„Alejandro ist ein wohlhabender, einflussreicher Mann“, wandte sie ein. „Sicherlich kann er das Land erwerben, wenn es offiziell angeboten wird?“

Doch Benson schüttelte den Kopf. „Das ist leider nicht möglich. In dem Fall hat ein Entwicklungsbüro das Vorkaufsrecht, das feste Pläne damit hat. Daher gehe ich davon aus, dass Alejandro zu allem bereit ist, um dies zu verhindern. Auch wenn das für ihn bedeutet, eine Fremde zu heiraten. Um ehrlich zu sein, halte ich persönlich das Ganze für eine Win-win-Situation für euch beide.“

Ein eisiges Gefühl schnürte Teddy die Kehle zu. Dachte der Anwalt ihres Vaters etwa auch, dass sie auf anderem Wege kaum einen geeigneten Ehemann finden würde?

Erhobenen Hauptes starrte sie ihn an. „Teile Alejandro ruhig mit, dass es für mich keinesfalls infrage kommt, mit ihm vor den Traualtar zu treten!“

„Soll das ein Scherz sein?“, wetterte Alejandro in seinem Londoner Büro und funkelte den gesetzlichen Vertreter von Marlstone Incorporated ärgerlich an.

„Falls Sie das Mendoza-Land übernehmen wollen, das Clark Marlstone Ihrem Vater damals abgekauft hat, müssen Sie die entsprechenden Bedingungen erfüllen.“

„Er hat es meinem Vater nicht abgekauft“, widersprach Alejandro und knirschte mit den Zähnen. „Er hat es gestohlen! Weil er nur einen Bruchteil des Preises gezahlt hat, den es wert war. Gnadenlos hat er die verzweifelte Lage meines Vaters nach dem Unfall ausgenutzt, um sich selbst zu bereichern. Er war ein Manipulator und hat der Welt vorgegaukelt, er würde uns helfen – uns einen Gefallen tun –, dabei hat er sich alles zu einem Spottpreis unter den Nagel gerissen!“

Er war außer sich vor Wut und Frust.

„Wie dem auch sei, jetzt haben Sie die einmalige Gelegenheit, es zurückzubekommen, ohne auch nur einen einzigen Peso dafür zu zahlen.“

Alejandro schnaubte verächtlich und versuchte, sich zu beruhigen. Selbstverständlich musste er bezahlen. Und zwar mit seiner Freiheit! „Ich kann mich nicht mal an Marlstones Tochter erinnern“, knurrte er und warf einen Blick auf den Namen. „Theodora heißt sie? Wer ist sie? Was sagt sie zu diesem Irrsinn, oder steckt sie vielleicht sogar selbst dahinter?“

Vor seinem inneren Auge tauchte ein Bild auf – das einer verhätschelten und übersättigten Berufstochter, die penetrant versuchte, ihren Status durch eine Heirat noch weiter zu verbessern. Ein Daddy’s Girl, das die soziale Leiter hinaufsteigen und sich ein sorgenfreies Leben sichern wollte.

Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sie den Plan zusammen mit ihrem Vater ausgeheckt hatte, dass es so aussah, als würde sie nach dessen Tod praktisch auf der Straße sitzen. Auf diese Weise konnte sie eine lukrative Hochzeit erzwingen, ohne sich auch nur zu einem Gespräch mit ihrem Zukünftigen herablassen zu müssen. Wie erbärmlich!

„Sie ist ebenso aufgebracht, wie Sie es sind“, erklärte der Anwalt. „Und sie hat vor, das Testament anzufechten.“

Wer’s glaubt! Alejandro kannte die skrupellosen Tricks der Damenwelt viel zu gut. Theodora Marlstone würde zum Schein protestieren und ein Riesentheater veranstalten, um ihre wahren Motive zu verschleiern. Natürlich wollte sie ihn heiraten, immerhin war er praktisch ein Hauptgewinn für jede Frau: einer der begehrtesten Junggesellen von ganz Argentinien. „Wie stehen ihre Chancen?“

„Nicht gut“, antwortete der andere Mann. „Das Testament ist wasserdicht. Clark Marlstone hat es im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte verfasst, ganz ohne jeden Zweifel. Drei Ärzte fungierten als Zeugen, der alte Mann wollte wohl auf Nummer sicher gehen. Eine Anfechtung wäre ein kostspieliges, langwieriges Unterfangen ohne große Aussicht auf Erfolg. Mein Rat an Sie beide wäre, arrangieren Sie sich mit den Fakten, und machen Sie das Beste daraus! Schließlich ist es nur für sechs Monate.“

Der Anwalt hatte gut reden. Frustriert raufte sich Alejandro die Haare. Er hatte schon genug mit seinen Pflegekindern Sofi und Jorge zu tun. Sie brauchten Essen, ein Dach über dem Kopf und eine familiäre Atmosphäre, was für Alejandro – als eingefleischter Junggeselle – bereits eine enorme Herausforderung darstellte. Da konnte er nicht noch eine verwöhnte, anspruchsvolle Ehefrau gebrauchen …

Der fünfzehnjährige Jorge befand sich gerade in einem schwierigen Alter und wusste noch nicht recht, ob er Autoritätspersonen nun respektieren oder bekämpfen sollte. Er erinnerte Alejandro an seinen jüngeren Bruder Luiz in der Pubertät. Damals hatte Alejandro einiges daransetzen und viele Opfer bringen müssen, um Luiz aus den gröbsten Schwierigkeiten herauszuhalten.

Die achtzehnjährige Sofi war dagegen wesentlich vernünftiger. Kürzlich hatte sie ihren Wunsch offenbart, nach Buenos Aires zu ziehen, um Hair-und-Make-up-Stylistin zu werden. Ihm gefiel die Vorstellung nicht sonderlich, sie allein in die Großstadt zu schicken.

Und jetzt sollte er noch Knall auf Fall eine vollkommen fremde Frau heiraten? Nur der Gedanke an die Ehe verursachte ihm schon Magenschmerzen. Er mochte keine festen Bindungen, schon deswegen nicht, weil sie meistens im Handumdrehen wieder vorbei waren. So wie bei seinen Eltern.

Zuerst hatte seine Mutter stolz ihren Mann und ihre Kinder Gott und der Welt vorgeführt, nur um dann ohne Vorwarnung plötzlich nach Frankreich zu verschwinden. Zurückgelassen hatte sie lediglich ihren Ehering, die Scheidungspapiere, einen verletzten Ehemann und zwei zutiefst verstörte Söhne …

Ein einziges Mal hatte Alejandro es mit einer ernsthaften Beziehung versucht und war kläglich gescheitert. Am schlimmsten war, dass er es damals gar nicht hatte kommen sehen. Es ärgerte ihn noch heute, wie seine Gefühle seinen Verstand umnebelt hatten.

Seiner Erfahrung nach begehrten Frauen nur zwei Dinge: Geld und Sicherheit. Um das zu bekommen, taten sie beinahe alles. Sie verliebten und entliebten sich, je nach Höhe des Bankkontos eines Mannes. Das lag anscheinend in ihren Genen, dafür konnten sie vielleicht nichts, trotzdem würde Alejandro sich niemals wieder an der Nase herumführen lassen.

Inzwischen war er älter und klüger. Emotionen waren für ihn zweitrangig, und das galt sowohl für seine Geschäfte als auch für sein Privatleben. Sonst wäre es ihm vermutlich kaum gelungen, das strauchelnde Unternehmen seines Vaters zu retten und neu aufzubauen. Alejandro hatte gelernt, jedes Hindernis, das seine Ziele gefährdete, konsequent aus dem Weg zu räumen – und das würde ihm auch dieses Mal gelingen!

„Wo ist sie?“, fragte Alejandro den formell gekleideten Butler, der ihm die Tür des feudalen Marlstone Manor in Wiltshire geöffnet hatte.

Die blassblauen Augen, die sich unter buschigen weißen Brauen verbargen, blickten ernst drein. „Miss Teddy ist gerade beschäftigt.“

„Ich bin sicher, sie wird mich dennoch in ihrem engen Zeitplan unterbringen können“, entgegnete Alejandro sarkastisch. Wahrscheinlich war sie damit beschäftigt, sich die Fingernägel zu feilen oder die künstlich angeklebten Wimpern in Form zu bringen! Irgend so ein Unsinn! Und was war Teddy überhaupt für ein alberner Name? Hielt sie sich sogar selbst für nichts weiter als ein Püppchen?

„Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, hier zu warten, dann werde ich ihr mitteilen, dass Sie ersuchen …“

„Nichts für ungut, Kumpel“, unterbrach ihn Alejandro in jovialem Ton. „Aber ich habe weder die Zeit noch die Absicht, hier herumzustehen und auf Ihre Arbeitgeberin zu warten, bis die sich die Nägel zu Ende lackiert hat. Entweder bringen Sie mich jetzt zu ihr, oder ich suche sie auf eigene Faust! Was ist Ihnen lieber?“

„Keines von beidem“, antwortete eine kühle Stimme hinter ihm.

Er fuhr herum und sah eine zierliche Gestalt in der Tür zur schwarz-weiß gefliesten Halle stehen. Kein Anzeichen von künstlicher Bräune oder sichtbarer Maniküre. Ihre Kleider hätten genauso gut von der Heilsarmee stammen können, und die wilden braunen Locken auf ihrem Kopf waren ungezähmt. Hose und Sweatshirt sahen viel zu maskulin aus und waren ihr wenigstens zwei Nummern zu groß.

Wieso, zum Teufel, trug sie ein derart entsetzliches Outfit? Wem wollte sie damit etwas beweisen? Diese junge Frau erbte ein Millionenanwesen und könnte sich mühelos die neueste Mode leisten. Zu allem Überfluss stützte sie sich auch noch auf einen braunen Gehstock.

Ein seltsamer Anblick.

„Miss Marlstone?“

„Señor Valquez, wie schön, Sie mal wiederzusehen.“

Ihm gefiel es überhaupt nicht, kalt erwischt zu werden. Offenbar wusste sie mehr über ihn als er über sie. Dabei war sein eigenes Motto stets gewesen: Kenne deine Freunde gut, aber deine Feinde noch besser. „Wir … ähm … sind uns schon früher begegnet?“

Ihre Lippen zuckten kurz, aber es kam kein richtiges Lächeln zustande. „Allerdings.“ Sie hob ihr Kinn noch ein Stück höher. „Erinnern Sie sich nicht daran?“

Fieberhaft dachte er nach. Er traf regelmäßig zahlreiche Frauen und hatte sogar mit den meisten von ihnen geschlafen. Doch er erinnerte sich an keine wie diese, die gerade vor ihm stand. Ihre Augen wirkten mit den langen dunklen Wimpern aufregend, ohne extra mit Mascara betont worden zu sein, und die schmale Nase zusammen mit den hohen Wangenknochen verlieh dem ebenmäßigen Gesicht ein aristokratisches Aussehen. Der Mund war voll und sinnlich mit einem zynischen Zug, der Alejandro unwillkürlich an seine eigene Geisteshaltung erinnerte.

„Tut mir leid, Sie werden meinem Gedächtnis wohl auf die Sprünge helfen müssen.“ Er bemühte sich um ein höfliches Lächeln. „In meiner Branche begegne ich einer Menge Menschen.“ Dass er in der Vergangenheit eventuell privat mit ihr zu tun gehabt hätte, schloss er inzwischen für sich aus.

Ihr fester Blick machte ihn etwas nervös. Ihm kam es vor, als könnte sie hinter die makellose Fassade des eisernen Geschäftsmanns blicken und den schüchternen Zehnjährigen sehen, der nach dem Unfall seines Vaters versucht hatte, das Familienoberhaupt zu spielen.

Sie selbst war gänzlich ungeschminkt, so als hätte sie es nicht nötig, sich zu maskieren. Trotzdem war er von ihrem selbstbewussten Auftreten nicht restlos überzeugt …

„Wir sind uns vor ein paar Jahren beim British Polo Day begegnet.“

„Ach, tatsächlich?“, hakte er nach.

„Auf demselben Event haben Sie Ihre spätere Verlobte kennengelernt.“

Alejandro biss beim Lächeln die Zähne zusammen. Das fing ja gut an: wie der Vater, so die Tochter. Beide waren erpicht darauf, Spielchen zu spielen und ihn für dumm zu verkaufen. Das konnte ja heiter werden!

Und es erinnerte ihn gleich wieder daran, wie dumm und naiv er damals mit vierundzwanzig Jahren gewesen war. Als er noch an die wahre Liebe geglaubt hatte. Als er sich noch ein gemeinsames Leben mit einer Seelenverwandten gewünscht hatte. Als er noch sicher gewesen war, dass es nicht darauf ankam, wie viel oder wie wenig Geld man besaß …

Zu jener Zeit hatte er eine Familie gründen wollen, um die zu ersetzen, die durch den Weggang seiner Mutter zerstört worden war. Sie hatte seinen Vater nur sechs Monate nach dessen Unfall verlassen.

„Entschuldigung“, sagte er schließlich. „Ich kann mich an unsere Begegnung nicht mehr erinnern.“ Vergeblich versuchte er, ihr Alter zu schätzen. Auf den ersten Blick sah sie wie Mitte zwanzig aus, aber das konnte täuschen, da sie diese seltsamen Kleider und keinerlei Make-up trug. Das ließ sie deutlich jünger wirken. „Sind wir damals miteinander bekannt gemacht worden?“

„Ja.“

Alejandro konnte sie immer noch nicht einordnen, andererseits war er auf diesen Poloevents unzähligen Leuten begegnet. Ständig hatten Sponsoren oder Geschäftsleute ihm hoffnungsvoll ihre Töchter vorgestellt, doch er war stets darauf bedacht gewesen, das Berufliche vom Privaten zu trennen.

Wahrscheinlich trug sie ihm nach, dass er sie damals nicht erhört hatte. Aber wie sollte er auch? Erstens war sie überhaupt nicht sein Typ, und zweitens gab es da noch den Altersunterschied. Oder etwa nicht? „Sie müssen bei diesem Treffen noch sehr jung gewesen sein?“

„Sechzehn.“

Demnach musste sie inzwischen tatsächlich schon sechsundzwanzig sein. Kein Wunder, dass ihr Daddy sie dringend unter die Haube bringen wollte!

Alejandro hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Warum war ausgerechnet er ausgewählt worden? Wieso nicht irgendein anderer armer Tropf, der beim Gedanken an den Traualtar keine Krise bekam? War das alles ein Racheakt, weil er sie damals nicht beachtet hatte?

„Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?“ Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf den wartenden Butler, der aussah, als wäre er einem Stummfilm entsprungen. „Unter vier Augen?“

„Hier entlang.“

Stirnrunzelnd folgte er ihr und stellte fest, dass sie tatsächlich auf den Gehstock angewiesen war. Sie humpelte, und es sah aus, als würde ihr jeder einzelne Schritt Schmerzen bereiten. War es eine alte oder frische Verletzung? Er überlegte, ob er vielleicht kürzlich irgendetwas darüber gehört oder gelesen hatte. Fehlanzeige. Vermutlich war sie kein Liebling der Presse.

Allmählich flammte Interesse in ihm auf. Nicht nur weil sie hübsch anzusehen und gleichzeig hilfsbedürftig war – das wäre viel zu oberflächlich. Nein, er grübelte über die Umstände ihres gemeinsamen Schicksals nach und fragte sich sogar, ob ihre Verletzung damit zu tun haben könnte.

Glaubten sie und ihr Vater, sie könne auf normalem Weg keinen Bräutigam finden? Ein merkwürdiger Gedanke, denn sie hatte durchaus etwas sehr Anziehendes an sich. Ihre Augen erinnerten Alejandro an tiefe winterliche Bergseen. Ihr wohnte eine ruhige Schönheit inne, die sich fast unmerklich erschloss und dem Betrachter dann plötzlich und unerwartet den Atem raubte.

Als sie sich zu ihm umdrehte, war das wieder genau so ein Moment. „Möchten Sie etwas trinken?“

„Was ist mit Ihrem Bein passiert?“, fragte er unvermittelt.

Sie presste die Lippen aufeinander, und ein kleiner Ruck ging durch ihren Körper. „Ich habe Whisky, Brandy und Cognac. Oder auch Wein. Rot oder weiß? Und Champagner.“

„Ich habe Ihnen eine Frage gestellt.“

Sie sah ihn kühl an. „Eine ziemlich rüde sogar.“

Gleichgültig zuckte er die Achseln. Ihm war egal, ob sie sein Verhalten unhöflich fand. Er war hergekommen, um sich aus den Fängen ihres Vaters zu lösen. Und er war bereit, einiges zu riskieren, um endlich sein Land zurückzuerhalten. Aber er wollte auf keinen Fall heiraten!

„Ich bin nicht hier, um Wein zu trinken oder übers Wetter zu plaudern“, stellte er klar. „Sondern um diesem ganzen Unsinn ein Ende zu machen.“

Ihr Gesichtsausdruck wirkte außerordentlich entschlossen.

„Ich werde Sie nicht heiraten“, fügte er hinzu.

„Das steht Ihnen zu“, erwiderte sie gelassen. „Und damit wären wir auch bei den verzwickten Bedingungen im Testament meines Vaters.“

Verzwickte Bedingungen? Wieso klang sie, als wäre sie gerade einem historischen Roman der Brontë-Schwestern entschlüpft? Die ganze Umgebung hier kam ihm ziemlich altmodisch vor.

Schweigend sah er dabei zu, wie sie sich ein Glas Mineralwasser einschenkte. Es war so still im Raum, dass er die Kohlensäure im Glas sprudeln hörte.

Teddy Marlstone hatte schmale, elegante Hände mit langen Fingern, und ihre Haut war hell wie Alabaster. Ihm fiel auf, wie kurz die Nägel waren …

Mittlerweile war Alejandro überzeugt davon, dass Theodora Marlstone sich heute absichtlich unattraktiv zeigte. Aber warum? Sie allein zog doch den größten Vorteil aus dieser unsäglichen Hochzeit? Und hatte gleichzeitig am meisten zu verlieren. Immerhin sollte das Erbe – laut des Anwalts – an einen entfernten Verwandten gehen, falls sie die Klauseln des Testaments nicht erfüllte.

Welche junge Frau würde einem Millionenerbe freiwillig den Rücken kehren? Marlstone Manor und das dazugehörige Gelände waren ein Traum für jede Grundstücksentwicklungsgesellschaft. Und mit dem Aktienportfolio ihres Vaters hätte sie sicherlich für den Rest ihres Lebens ausgesorgt.

„Sie haben nicht gewusst, was er vorhatte, oder?“, erkundigte er sich nach einer Weile.

„Nein.“

Sie besaß die außergewöhnliche Fähigkeit, mit nur einem Wort eine ganze Gedankenwelt auszudrücken. Alejandro war von ihr beeindruckt … und auch etwas irritiert wegen ihrer offensichtlichen Feindseligkeit. Er war es gewohnt, von Frauen umschwärmt zu werden – das war eine der Begleiterscheinungen von immensem Reichtum. Jeder liebte Geld, insbesondere die Frauen. Geld öffnete Türen, auch die diverser Schlafzimmer!

Da fand er eine junge Dame von eisiger Zurückhaltung ziemlich erfrischend. Geradezu anregend. Oh, nein, jetzt hatte er sich schon in seinen Gedanken von dieser altertümlichen Umgebung anstecken lassen: erfrischend … anregend.

Andererseits hatte er sich lange nicht mehr so lebendig gefühlt wie heute, wenn überhaupt jemals. Sein Puls schlug kräftiger als sonst, und er wurde sich bewusst, wie sehr er seine persönlichen Bedürfnisse in letzter Zeit vernachlässigt hatte. Vor allem die körperlichen …

Die Arbeit im Büro und all die neuen Pflichten zu Hause hatten ihn extrem in Beschlag genommen. Dabei liebte er Herausforderungen für gewöhnlich – je schwieriger, desto besser. Das machte schließlich den Sieg noch wertvoller für ihn.

Falls er es darauf anlegte, würde er auch diese Eisprinzessin für sich gewinnen können, da gab es keinen Zweifel. Er konnte jede Frau haben, und das behauptete er vollkommen ohne Arroganz, denn es basierte auf Erfahrung.

Seit seiner geplatzten Hochzeit hatte er sich immer neue Eroberungen gesucht. Und er blieb bei keiner Geliebten länger als ein bis zwei Wochen. Er machte jedes Mal Schluss, ehe eine engere Verbindung entstehen konnte.

„Und wie gehen wir jetzt mit dieser … verzwickten Situation um?“, fragte er.

Ihr hochmütiger Gesichtsausdruck provozierte ihn.

„Ich lasse mich juristisch beraten.“

„Na, dann viel Glück!“

„Was soll das denn heißen?“ Sie runzelte die Stirn.

Er schlenderte zum Bücherregal, um einen Eindruck davon zu bekommen, was sie gern las. Fast nur alte Klassiker – kaum überraschend. Dazu ein paar Thriller, Abenteuergeschichten und eine große Auswahl an Liebesromanen. Hatte die zugeknöpfte Teddy Marlstone etwa eine romantische Ader?

„Ich will wissen, was das zu bedeuten hat“, wiederholte sie etwas lauter.

Endlich zeigte sie etwas Temperament. Lächelnd drehte er sich zu ihr um. „Meiner Erfahrung nach haben Anwälte einen hohen Lebensstandard, weil ihre Mandanten ihnen diesen finanzieren. Sind Sie sicher, dass Sie sich das leisten können?“

Zwei rosa Flecken erschienen auf ihren Wangen. „Falls Sie glauben, ich hätte meinem Vater auf der Tasche gelegen, irren Sie sich. Ich verdiene mein eigenes Geld.“

„Als Illustratorin für Kinderbücher.“

„Richtig.“

„Ich habe noch keine Arbeit von Ihnen gesehen.“

„Ich bin bei den Leuten, auf die es ankommt, recht bekannt“, sagte sie spitz.

Alejandro unterdrückte ein Grinsen. Er genoss den kleinen Schlagabtausch mit ihr, viel mehr, als er erwartet hätte. Sie war ein stolzes, wehrhaftes Wesen, und das imponierte ihm. Er mochte Menschen, die für das einstanden, woran sie glaubten. Und die sich nicht von ihm oder dem Ruf, der ihm vorauseilte, einschüchtern und blenden ließen.

„Uns bleibt ein Monat, um zu entscheiden, was wir tun werden.“

Sie straffte die Schultern. „Mein Entschluss steht schon jetzt fest.“

Seiner ebenfalls, zumindest bis vor wenigen Minuten. Aber vielleicht sollte er ja doch über eine Ehe auf Zeit nachdenken, um endlich an das begehrte Land zu kommen?

Immerhin handelte es sich um mehrere tausend Hektar, die sich seit vielen Generationen im Besitz seiner Familie befunden hatten, bevor Teddys Vater sich eingemischt hatte. Und Alejandros Pläne, seine Zucht von Polopferden um ein angrenzendes Luxusresort zu erweitern, könnten ohne diese Ländereien nicht in die Tat umgesetzt werden.

Die Lage war perfekt, und Vegetation und Infrastruktur waren optimal. Dieses Land durfte einfach nicht in fremde Hände fallen. Wer wusste schon, was der neue Besitzer dann damit anstellte?

„Sind Sie wirklich bereit, all dies hier aufzugeben?“ Er breitete seine Arme aus.

„Und sind Sie bereit, eine Fremde zu heiraten?“

Forschend blickte er sie an und bemerkte, wie sich ihre runden Brüste durch den festen Stoff des Sweatshirts abzeichneten. „Ich denke zumindest darüber nach.“

Überrascht riss sie die Augen auf, und Alejandro war nicht minder erstaunt über seine Worte. Dachte er ernsthaft darüber nach, vor den Traualtar zu treten?

„Warum ist Ihnen dieses Land so wichtig?“, wollte sie wissen.

In seinem Beruf hatte Alejandro gelernt, dass man sich niemals anmerken lassen durfte, wie sehr man etwas begehrte. Das verlieh der Gegenseite zu viel Macht. Es war klüger, sich kühl und unbeteiligt zu geben, um sich alle Optionen offenzuhalten.

„Darum geht es eigentlich nicht. Aber ich begreife nicht, weshalb Sie alles verlieren wollen, nur um eine sechsmonatige Ehe zu vermeiden, die sowieso nur auf dem Papier bestehen würde.“

Da horchte sie auf. „Nur auf dem Papier, sagten Sie?“

2. KAPITEL

„Aber selbstverständlich.“ Alejandro zog die pechschwarzen Augenbrauen steil in die Höhe. „Etwas anderes haben Sie doch kaum erwartet?“

Misstrauisch musterte Teddy ihn. Wollte er sie beleidigen oder nur aufziehen? Und musste er derart deutlich formulieren, wie unattraktiv er sie fand?

Andererseits, konnte man es ihm verdenken? Sie hatte sich absichtlich unvorteilhaft angezogen, nachdem sie seinen Sportwagen auf die Einfahrt fahren sah. Außerdem war ihr Hüftleiden wohl für jeden Mann abstoßend, der sich – wie sie aus dem Internet wusste – am liebsten mit langbeinigen Blondinen verabredete.

Alejandro hatte seinen Besuch nicht einmal vorher angekündigt. Dachte er, sie hätte nichts Besseres zu tun, als hier im Haus auf ihn zu warten? Vielleicht noch mit einem Cocktail in der Hand? So ungefähr schätzte er sie ein, gemessen an dem, was er vorhin zu ihrem Butler gesagt hatte. Eine Frechheit!

Platzte hier einfach herein und verlangte, sie auf der Stelle zu sprechen. Sie sollte ihm schleunigst begreiflich machen, dass sie keine seiner hirnlosen Anhängerinnen war! Vielleicht war er wirklich der attraktivste Mann, den sie je zu Gesicht bekommen hatte. Schöner als jedes männliche Model, das sie aus der Werbung kannte. Aber das gab ihm kein Recht, in ihr Haus zu stürmen und ihr Befehle zu erteilen.

Heimlich bewunderte sie seine ebenmäßigen Gesichtszüge: die gerade Nase, die dunkelbraunen Augen, das glattrasierte Kinn, diesen herrlich sinnlichen Mund … der sofort Assoziationen an Sex in ihr weckte. Dabei dachte sie für gewöhnlich niemals an solche Dinge! Aber dieser Körper sah aus wie von einem Bildhauer erschaffen … Überdurchschnittlich groß, muskulös und trotzdem schlank mit dem gewissen Sexappeal, der Frauen schwach werden ließ.

Trotzdem, ein Mädchen hatte schließlich auch seinen Stolz! Alejandro war absolut tabu für sie! Teddy fühlte sich wie das typische Mauerblümchen, das sich im Hintergrund hielt und das Leben der anderen beobachtete, ohne selbst daran teilzunehmen. Das war ihr Schicksal …

Dieser Kerl wollte gar nichts von ihr, er wollte nur das Land seines Vaters zurück. Auch wenn er sich nicht direkt in die Karten schauen ließ, wie wahnsinnig wichtig ihm dieses Unterfangen war. Doch Teddy hatte bemerkt, dass er einfach nicht zugeben wollte, wie viel ihm an diesem Grund und Boden lag. Vermutlich war dies der Schachzug eines erfahrenen und gewieften Geschäftsmanns. Alejandro war demnach nicht nur extrem gut aussehend, sondern auch ausgesprochen clever. Ein gefährlicher Gegner – in jeder Hinsicht.

In Teddys Innerem kribbelte es, aber sie würde sich nicht anmerken lassen, welche Wirkung dieser Mann auf ihre Hormone ausübte. Und sie würde sich von seinem Charme nicht einwickeln lassen, so wie es all die anderen Damen in seiner Umgebung taten. Auf keinen Fall!

„Señor Valquez, Sie scheinen dem Irrtum aufzusitzen, dass ich einer ehelichen Verbindung mit Ihnen zustimmen würde. Ich verletze Ihr außerordentlich ausgeprägtes Ego nur ungern, aber Sie liegen in diesem Punkt gehörig falsch.“

Seine Mundwinkel zuckten. Offenbar amüsierte ihn ihre recht steife Wortwahl. „Sie haben viel zu verlieren, sollten Sie mein Angebot einer Scheinehe auf Zeit ausschlagen“, gab er ebenso gestelzt zurück.

„Genauso wie Sie“, konterte Teddy und sah ihm dabei fest in die Augen.

Die Luft zwischen ihnen war wie elektrisch aufgeladen, und Teddy merkte, dass ein Beben durch ihren Körper ging und sie bis ins Mark erschütterte. Es erweckte ihre Sinne zu neuem Leben.

Alejandros Blick war auf ihren Mund gerichtet. „Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden, um es sich zu überlegen. Danach ist mein Angebot vom Tisch und wird durch ein neues ersetzt!“

Krampfhaft bemühte sie sich um eine ausdruckslose Miene. Was für ein neues Angebot hatte er im Sinn? Sie traute sich nicht zu fragen, stattdessen starrten sie sich gegenseitig an wie Kontrahenten auf einem Schlachtfeld.

„Sie scheinen zu glauben, ich würde mich Ihrem Willen irgendwann beugen, Señor Valquez. Und wieder tut es mir leid, Ihr Ego zu verletzen, aber ich werde ganz sicher nicht tun, was Sie von mir verlangen.“

Gelassen lächelte er sie an. „Sie sind am Zug, Miss Marlstone. Heute biete ich Ihnen noch eine Ehe auf dem Papier. Doch ab morgen könnte ich auf eine richtige bestehen.“ Er reichte ihr eine Visitenkarte. „Lassen Sie mich wissen, wie Sie sich entschieden haben!“

Stumm nahm sie die Karte entgegen, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte. Sie konnte nicht sprechen – erst recht nicht denken! Nur ihr Körper reagierte mit unkontrolliertem Verlangen auf die Aussicht, mit diesem Prachtexemplar von Mann die Ehe zu vollziehen!

Meinte Alejandro das etwa ernst? Warum sollte er so einen absurden Vorschlag machen? Weshalb sollte er ausgerechnet sie begehren? Das musste ein Scherz sein. Oder eine Provokation.

Erst als die Haustür ins Schloss fiel, wurde Teddy bewusst, dass er ohne ein Wort des Abschieds gegangen war. Draußen jaulte der Motor des Sportwagens auf, und der Kies spritzte zur Seite, als Alejandro den Boliden wendete und davonbrauste.

Teddy ballte die Hand zur Faust und spürte, wie sich die Kanten der Visitenkarte tief in ihre Haut drückten. In Zukunft musste sie auf diesen Kerl besser vorbereitet sein. Viel besser!

Und bis zum nächsten Treffen blieben ihr höchstens vierundzwanzig Stunden Zeit.

„Wenn du mich fragst, wärst du verrückt, ihn nicht zu heiraten“, murmelte Audrey, die alte Haushälterin der Familie, während sie in der Küche ein paar bunte Blumen für ein Bouquet zusammenstellte. „Was soll schließlich mit unseren Jobs passieren, wenn das Anwesen an deinen nichtsnutzigen Cousin geht? Den armen Henry wird er schon wegen seines Alters nicht behalten und mich auch nicht.“ Sie schnaubte leise und hob ein paar herabgefallene Blüten auf. „Bestimmt will er lieber ein dickbusiges Luder einstellen, das hier zuerst mit einem Staubwedel in der Hand herumstolziert und anschließend in sein Bett hüpft.“

Ratlos kaute Teddy auf ihrer Unterlippe herum. Über die Zukunft des Personals hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Die Menschen hier waren ein eingeschworenes Team, eine Familie. Ihre Familie.

Audrey Taylor war mittlerweile achtundsechzig Jahre alt und kümmerte sich um den Haushalt, seit Teddys Mutter Marlstone Manor verlassen hatte. Sie hatte viele Rollen in Teddys Leben ausgefüllt: Kindermädchen, Freundin, Vertraute, Ratgeberin und Vorbild. Und der vierundsiebzigjährige Henry Buckington hatte schon vor der Hochzeit ihrer Eltern für Teddys Vater gearbeitet. Er gehörte definitiv zum Inventar. Ohne seine stoische Präsenz wäre dieser Ort nicht mehr das, was er einmal war.

Dann gab es da noch Stan und Myles Harris, ein Vater-und-Sohn-Gespann, das sich um die Gärten und Ländereien kümmerte. Und Audrey hatte recht: Teddys Cousin würde seine eigenen Leute mitbringen und nicht die behalten, die hier jahrelang zuverlässig und loyal gearbeitet hatten. Für sie alle würde es keine berufliche Zukunft geben …

Soll ich einen fremden Mann heiraten, um sie zu retten? überlegte Teddy. Einen Mann, den ich nicht einmal mag? Dessen Arroganz ich verabscheue?

Alejandro Valquez rechnete mit einer positiven Antwort, und von jeder anderen Frau hätte er die wohl auch ohne Umschweife bekommen. Wahrscheinlich fand er sogar, sie sollte für sein Angebot dankbar sein. Aber was sollte dieses Spielchen mit der vorgetäuschten und der richtigen Ehe? Denn dass er sie nicht so attraktiv fand wie sie ihn, lag auf der Hand.

„Wusstest du, dass Daddy dieses Testament verfasst hat?“

Audrey kappte einige Blumenstiele mit einer Rosenschere. „Ich habe etwas in dieser Richtung vermutet“, räumte sie ein.

„Ach, tatsächlich? Wieso?“ Teddy zog die Stirn in Falten. Vor allem wollte sie wissen, weshalb die Haushälterin ihren Verdacht mit keinem Ton erwähnt hatte.

Die ältere Frau legte die Schere aus der Hand und blickte Teddy direkt an. „Du wusstest doch selbst, dass dein Vater ein herrischer alter Mann ist, der seine Vorstellungen für die einzig richtigen hält. Wahrscheinlich hat er sich Sorgen gemacht, dass du ganz allein zurückbleibst. Dieses Anwesen ist doch viel zu groß für eine junge ledige Frau.“

„Und darum sucht er mir einen Bräutigam aus? Weißt du eigentlich, wie verletzend und demütigend das ist?“ Sie verschränkte die Arme vor dem Körper. „Ich kann schließlich selbst einen Mann finden, wenn ich unbedingt einen haben möchte.“

Die weisen Augen der Haushälterin wirkten müde. „Damit beeilst du dich besser, Kleines. Auch du wirst nicht jünger.“

„Meine Güte, ich bin doch erst sechsundzwanzig!“

Vier Jahre noch bis zu ihrem dreißigsten Geburtstag. Da hörte man doch noch keine biologische Uhr ticken? Als Kind hatte sie natürlich geglaubt, in diesem Alter schon verheiratet und Mutter zu sein. Wie oft hatte sie sich die hohen Schuhe und den Schleier ihrer Mutter ausgeborgt und Hochzeit gespielt? Oder Prinzessin? Doch das wahre Leben hatte wenig mit den Wünschen und Träumen von früher zu tun. Der Reitunfall vor sechzehn Jahren hatte alles verändert.

Von da an war Teddy behindert gewesen, eine Außenseiterin, das arme lahme Mädchen. Diejenige, die niemand im Team haben wollte.

„Schon, aber dein letztes Date hattest du auf der Kunsthochschule.“ Geschickt schnitt Audrey weitere Blumen zurecht.

„Ich bin eben nicht gut darin“, verteidigte sich Teddy.

Audrey legte den Kopf schief und begutachtete ihr Arrangement. „Du versuchst es nicht einmal, das ist das Problem.“

„Ich habe für Partys nichts übrig, und ich hasse Small Talk. Mir gefällt es tausendmal besser, zu malen oder ein Buch zu lesen.“ Teddy sah zu Boden. „Du bist also dafür, dass ich es wage?“

„Ich will nicht, dass du dein Elternhaus verlierst“, erwiderte die Haushälterin pragmatisch. „Und du kannst es nur behalten, wenn du Alejandro heiratest. Dein Vater war altmodisch, und er wollte dich an der Seite eines respektablen Mannes sehen. Ich vermute sogar, er hat es gut gemeint, als er diesen unmöglichen Plan ausheckte.“

„Aber es ist schrecklich, zu einer Ehe gezwungen zu werden!“

„Bestimmt denkt Alejandro dasselbe.“

„Nein, das tut er nicht“, widersprach Teddy. „Er findet es sogar toll, mir Vorschriften zu machen. Oh, und er ist unerträglich arrogant und unhöflich. Stell dir vor, er kam gar nicht auf die Idee, ich könnte ihm einen Korb geben.“

„Immerhin gehört er zu den reichsten Unternehmern Argentiniens.“

„Wenn er steinreich ist, wieso hat er es dann ausgerechnet auf dieses Land abgesehen? Er kann sich doch viel größere Gelände anschaffen, wenn er will.“

„Es grenzt an das Anwesen seiner Familie in Argentinien“, erklärte Audrey. „Wahrscheinlich kann er seine Pferdezucht ohne diese zusätzlichen Hektar nicht vergrößern. Schon mit Anfang zwanzig hat er die von der Pleite bedrohten Ferienanlagen von seinem Vater übernommen und das Unternehmen mühsam wieder aufgebaut. Und seitdem versucht er auch, an diese Ländereien zu kommen.“

Teddy verdrehte die Augen. „Bestimmt will er dort ein modernes Luxushotel bauen, anstatt das Land unberührt für kommende Generationen zu bewahren.“

„Warum fragst du ihn nicht danach, wenn ihr miteinander telefoniert?“

„Ich werde ihn sicherlich nicht anrufen“, sagte Teddy mit fester Stimme.

„Du bist ihm noch eine Antwort schuldig.“

„Meine Antwort lautet nein.“

Seufzend atmete Audrey aus und ließ ihre Schultern ein Stück nach unten sacken. „Dann packe ich wohl besser schon mal meine Sachen.“

„Nein, das tust du nicht!“ Drohend hob Teddy den Zeigefinger. „Das soll doch bloß wieder einer deiner emotionalen Erpressungsversuche sein“, warf sie der älteren Frau halb im Scherz vor.

Doch sie hasste die Vorstellung, dass ihre Angestellten sowohl ihr Heim als auch ihr Einkommen verloren. Ihre gesamte Sicherheit und ihren Lebensinhalt. Was würden sie dann tun? Wo würden sie hingehen? Was geschah mit ihnen? Sie alle liebten Marlstone Manor, und es lag an Teddy, ihnen dieses Zuhause zu erhalten.

Das Opfer, das sie dafür bringen musste, war im Grunde nicht groß: eine Zweckehe, die nur auf dem Papier bestand, und das für den Zeitraum von sechs Monaten.

Ich muss ja nicht gleich mit ihm nach Argentinien ziehen, überlegte sie. Sicherlich legte er keinen großen Wert darauf, eine Ehefrau in den eigenen vier Wänden unterzubringen. Das würde seine Aktivitäten als Playboy empfindlich stören! Nein, ihm war es bestimmt lieber, wenn Teddy in England blieb. Aus den Augen, aus dem Sinn.

„Das wirst du doch nicht wirklich durchziehen?“, fragte Luiz seinen Bruder am Telefon.

„Ich will dieses Land.“

„Aber doch nicht um diesen Preis? Du hast doch immer behauptet, du würdest nie einen Fuß in eine Kirche …“

„In diesem Fall ist es anders“, unterbrach ihn Alejandro.

Er hatte die ganze Angelegenheit inzwischen gründlich durchdacht und am Ende entschieden, dass es eine Frage der Ehre war, für das Land seiner Väter ein Opfer zu bringen. Schließlich ging es um Gerechtigkeit, auch wenn er dafür die Tochter seines Feindes heiraten musste.

„Es ist ja nur für ein halbes Jahr“, sagte er zu Luiz. „Danach lasse ich die Ehe annullieren, und wir bekommen beide, was wir wollen.“

Das klang viel zu schön, um wahr zu sein.

„Wie ist sie denn so?“

Stirnrunzelnd dachte er an ihre Gehbehinderung und den Stock, auf den sie sich stützen musste. Hatte ihr Vater eine Ehe arrangieren wollen, weil er glaubte, sie würde sonst keinen Bräutigam finden? Was für ein verabscheuungswürdiger Gedanke! Andererseits traute er Clark Marlstone so ein Verhalten durchaus zu.

Ob sie ihrem Vater nahegestanden hatte? Über ihren familiären Hintergrund wusste er nur, dass ihre Eltern sich hatten scheiden lassen, als Teddy noch sehr jung gewesen war. Es hatte einen Sorgerechtsstreit gegeben, aus dem ihr Vater als Sieger hervorgegangen war. Wenige Monate später starb ihre Mutter dann an einer Überdosis verschreibungspflichtiger Medikamente. Ein Selbstmord konnte nicht offiziell nachgewiesen werden.

„Sie humpelt.“

„Na, in dem Fall hoffe ich, ihr Aussehen macht das wett. Ist sie heiß?“

Die Frage war zu erwarten, schließlich umgab sich sein kleiner Bruder fast ausschließlich mit Supermodels. In Bezug auf die Damenwelt neigte er leider etwas zur Oberflächlichkeit … Er hatte kein Interesse an intelligenten Frauen, da er sie sowieso ständig wechselte.

„Sie hat dieses gewisse Etwas, das einen völlig in ihren Bann zieht“, gab Alejandro zu.

„Wieso verschachert der alte Mann sie dann auf diese Weise?“

„Ihr Vater spielt über den Tod hinaus seine Spielchen.“ Missmutig verzog Alejandro das Gesicht. „Ihm war ja bekannt, wie scharf ich auf die Ländereien bin und dass ich ihn öffentlich als Betrüger bezeichnet habe. Deshalb wollte er mir eins auswischen. Schließlich weiß die ganze Welt, wie allergisch ich auf das Thema Hochzeit reagiere.“

„Und wie ist sie so?“, wiederholte Luiz neugierig.

Zuerst dachte Alejandro an ihren starken Willen, der sich in ihrer Haltung, in ihrem Blick und in ihrer Mimik widerspiegelte. Nicht viele Leute besaßen den Mumm, den sie hatte. Ihre Unnachgiebigkeit reizte ihn gleichermaßen, im positiven wie im negativen Sinne.

Weshalb wehrte sie sich so energisch gegen diese Hochzeit? War ihre Abwehr echt oder nur gespielt? Alejandro wurde aus ihr einfach nicht schlau.

„Sie ist … höchst anregend.“

Luiz lachte leise. „Mit diesen Worten hast du noch keine Frau beschrieben. Sie muss wirklich etwas Besonderes sein. Wann lerne ich sie kennen?“

„Bald.“

Denn zuerst musste er sie noch davon überzeugen, ihn zu heiraten.

Teddy stand am Fenster und rang nervös die Hände, während sie beobachtete, wie Alejandro seinen pechschwarzen Sportwagen vor dem Haus parkte und ausstieg. Er bewegte sich geschmeidig wie eine Raubkatze auf die Haustür zu, und Teddy wurde flau im Magen.

Er trug keinen Anzug wie beim letzten Mal, sondern dunkelblaue Jeans und ein weißes langärmeliges Shirt, das die tiefe Bräune seiner Haut gut zur Geltung brachte. Die Ärmel hatte er etwas hochgekrempelt, sodass man die dunklen Härchen auf seinen Armen erkennen konnte. Und Teddy stellte sich vor, wie weich sie sich unter ihren Fingerspitzen anfühlen würden …

Eine dunkle Sonnenbrille und eine silberne Uhr vervollständigten den lässigen Look. Er wirkte wie ein Mann, der wusste, was er wollte und wie er es bekam. Egal ob im Konferenzraum oder im Schlafzimmer.

Teddy hatte bei verschiedenen Anwälten Rat eingeholt, und alle hatten ihr praktisch das Gleiche gesagt. Das Testament ihres Vaters anzufechten wäre ein teures, langwieriges Unterfangen mit wenig Aussicht auf Erfolg. Das konnte sie sich definitiv nicht leisten.

Wenn sie allerdings Alejandro heiratete, gehörte ihr in sechs Monaten ihr Elternhaus, und es würde für sie keine schlaflosen Nächte mehr geben. Dann konnte sie sich wieder voll und ganz auf ihre Kunst konzentrieren und mit den Menschen zusammenleben, die sie liebte.

Den letzten Ausschlag hatte ein Anruf ihres Cousins gegeben, der ihr unmissverständlich klargemacht hatte, was er mit Marlstone Manor plante. Hugo brauchte Geld und wollte das Anwesen schnellstens verkaufen, wenn es in seinen Besitz gelangte.

Es gab Schlimmeres, als ein paar Monate mit einem außerordentlich attraktiven Mann verheiratet zu sein. Vor allem wenn die Ehe tatsächlich nur auf dem Papier bestand. Ob sie ihm in diesem Punkt vertrauen konnte? Wieso nicht, schließlich war sie wohl kaum sein Typ? Schon gar nicht mit der kaputten Hüfte …

Hinter sich hörte sie schon seine Schritte in der Eingangshalle, und sie sammelte sich innerlich, um auf das bevorstehende Gespräch bestmöglich vorbereitet zu sein. Mit geradem Rücken und hoch erhobenen Hauptes trat sie ihm entgegen, als er sie mit einem Nicken begrüßte und dann neugierig musterte.

„Miss Marlstone.“

Mit einer Hand rückte sie ihren Pullover zurecht, den sie sich locker um die Schultern gebunden hatte. Obwohl der September recht mild war, konnte es im Schatten schon mal kühler werden. Teddy hatte sich heute ebenfalls für eine Jeans und ein schlichtes Baumwollshirt entschieden, und nach wie vor trug sie kein Make-up.

„Señor Valquez.“

„Darf ich davon ausgehen, dass Sie meine Frau werden?“, fragte er.

„Nur auf dem Papier“, erinnerte sie ihn scharf.

„Ach ja.“ Er sah auf die Uhr. „Du hast es gerade noch innerhalb der Bedenkzeit geschafft. Wir können jetzt ja wohl beim Du bleiben?“

In ihrer Magengegend kribbelte es gewaltig. „Meinetwegen. Trotzdem bleibst … du für mich ein völlig Fremder.“

Sein Lächeln ließ ihre Knie weich werden.

„Und mit Fremden schläfst du normalerweise nicht?“

„Ganz sicher nicht“, schoss sie pikiert zurück. „Ich meine … es gibt kaum einen Grund für uns, in der kurzen Zeit …“

„Wie viele Liebhaber hast du schon gehabt?“

Sie blinzelte ein paar Mal. „Wie bitte?“

Er ließ sie nicht aus den Augen. „Liebhaber. Wie viele?“

Der erste Schreck war überwunden, und Teddy hatte sich schnell wieder gefasst. „Mit wie vielen Frauen hast du denn schon geschlafen?“, stellte sie die Gegenfrage.

„Zu viele, als dass ich sie zählen könnte.“

Sie spürte selbst, wie rot sie wurde, während ihm dieses peinliche Gespräch überhaupt nichts auszumachen schien. Ihre einzige sexuelle Begegnung im Leben war beschämend und demütigend gewesen. Männer dachten eben immer nur an das eine, und Ross Jenner war da keine Ausnahme gewesen. Allerdings hatte sie das viel zu spät begriffen.

In ihrem letzten Jahr auf der Kunsthochschule hatte er sich an Teddy herangemacht und sich später auf sozialen Netzwerken damit gebrüstet, aus welchen Motiven er „das Mädchen flachgelegt hätte, das niemand anderes wollte“. Sie war Gegenstand einer Wette gewesen, und er hatte eine hübsche Stange Geld für die Nacht mit ihr kassiert.

Dieser Vorfall hatte Teddy nachhaltig traumatisiert.

Wie von einem Autopiloten gesteuert, bewegte sie sich auf den Teewagen zu, den Henry vor einer Viertelstunde hereingeschoben hatte. „Darf ich dir einen Drink anbieten?“

„Whisky ohne Eis.“

Als sie ihm das Glas reichte, hielt sie ihren Blick gesenkt. Dabei hätte sie Alejandro ununterbrochen anstarren können. Er war das Anziehendste und Perfekteste, das sie jemals zu Gesicht bekommen hatte. Aber vielleicht lag das auch an ihrer visuellen Ader – an ihrer Gewohnheit, alles mit den Augen einer Künstlerin zu betrachten. Jedenfalls durfte er nicht merken, wie fasziniert sie von ihm war, denn daraus würde er sicherlich die falschen Schlüsse ziehen.

Er duftete herrlich nach frischen Limonen, vermengt mit einer herben Note. Das musste sein Aftershave sein. Es wirkte so verführerisch, dass Teddy Bilder von hingebungsvollem Sex durch den Kopf schossen. Schon wieder! Seit wann dachte sie spontan an heißen Sex? Das Thema war doch seit der Hochschule für sie absolut tabu?

Andererseits dürfte sich eine Nacht der Leidenschaft mit einem sinnlichen, erfahrenen Mann erheblich von dem jämmerlichen Erlebnis unterscheiden, das sie mit Ross Jenner gehabt hatte!

„Mir wäre es recht, wenn wir so bald wie möglich heiraten.“

Ihre Hände begannen zu zittern, und Teddy nahm zur Beruhigung einen großzügigen Schluck aus ihrem eigenen Glas. „Uns bleibt doch noch ein ganzer Monat, bis die Frist abläuft.“

„Es gibt keinen Grund, das Unausweichliche aufzuschieben. Je eher daran, je eher davon.“

Sein trockener Kommentar hätte sie nicht verletzen dürfen, aber er tat es trotzdem. Sie nahm ihn sich zu Herzen und empfand ihn als Beleidigung. Dabei sprach Alejandro lediglich aus, was sie selbst auch dachte …

„Besser hätte ich es nicht formulieren können“, murmelte sie leise.

Er blickte aus dem großen Fenster. „Schön hast du es hier. Wohnst du schon lange in diesem Haus?“

„Mein ganzes Leben.“

Obwohl er sich zu ihr umdrehte, konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, weil er das Licht im Rücken hatte. „Dir ist aber schon klar, dass du mit mir nach Argentinien umziehen musst?“

Sie umklammerte das Glas in ihrer Hand so fest, dass sie befürchtete, es würde zerspringen. „Das ist doch bestimmt nicht nötig, oder?“

„Ich möchte in dieser Sache nichts dem Zufall überlassen und keinen Raum für Spekulationen bieten“, antwortete er kühl.

„Aber ich habe Verpflichtungen.“

„Dann sag sie ab.“

Teddy verschränkte die Arme. „Sag du doch deine ab!“

Über diesen Vorschlag lachte er abfällig. „Ich leite ein riesiges Unternehmen mit unzähligen Angestellten, die auf meine Zuverlässigkeit angewiesen sind. Mit deiner Arbeit bist du aber, ganz im Gegensatz zu mir, an keinen bestimmten Ort gebunden, oder?“

„Doch“, verteidigte sie sich. „Ich kann am besten hier arbeiten, in meinem eigenen Atelier.“

„Ich kann dir eines in meiner Villa einrichten. Du kannst dort sogar eine eigene Etage beziehen. Betrachte es einfach als verlängerten Urlaub, Kost und Logis inbegriffen.“

Das Abenteuer lockte sie zwar, andererseits würde ihr in diesem Fall täglich vor Augen geführt werden, wie wenig anziehend sie auf Alejandro wirkte. Und das nagte an ihrem Selbstbewusstsein …

„Was wirst du deiner Familie und deinen Freunden über uns erzählen?“, wollte sie wissen.

„Mein Bruder kennt die Wahrheit natürlich, genauso wie unsere Anwälte. Jeder andere sollte aber an eine Liebesheirat glauben. Und ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass du keinesfalls mit der Presse sprechen darfst?“

Im Stillen fragte sie sich, wie Alejandro seine geplatzte Heirat damals verkraftet haben mochte. „Bist du denn der Typ Mann, der sich schnell verliebt?“

„Vielleicht war ich das mal.“

Ein Satz, der viel erklärte. Teddy empfand sogar Mitleid mit Alejandro … mit dem idealistischen jungen Mann, der er wahrscheinlich einst gewesen war. Heute wirkte er mit seinen vierunddreißig sehr reif und abgeklärt … Ob er noch an seine ehemalige Verlobte dachte? An die Liebe, die er verloren hatte? Immerhin hatte sich dieses Frauenzimmer nur eine Woche später einem wesentlich älteren und reicheren Kandidaten an den Hals geworfen!

Eine Demütigung vor den Augen der Welt, die Alejandro offensichtlich zum Zyniker gemacht hatte. Jetzt liebte er sein Playboy-Leben und pfiff auf emotionale Verpflichtungen. Wahrscheinlich würde er niemals eine eigene Familie gründen, und selbst wenn, blieb er seiner zukünftigen Ehefrau bestimmt nicht treu.

„Was ist mit dir? Gehörst du zu den Frauen, die schnell ihr Herz verlieren?“

„Nein.“

Eine Weile betrachtete er sie nachdenklich. „Das klingt recht überzeugend.“

„Allerdings.“

„Warst du denn mal richtig verliebt?“

„Nein.“

Ein amüsiertes Funkeln ließ seine Augen aufleuchten. „Woher willst du dann wissen, ob nicht vielleicht doch eine impulsive Verführerin in dir steckt?“

Erschrocken stellte Teddy fest, dass er mit dieser Frage wieder einen Nerv bei ihr traf – und plötzlich kreisten ihre Gedanken erneut um Sex. Es war, als könnte Alejandro sie mit einem einzigen Blick in sehnsuchtsvolle Erregung versetzen. Das war doch verrückt!

Ihre Brüste drückten sich fester gegen ihren schlichten Baumwoll-BH. Ihre Haut brannte förmlich, so heiß fühlte sie sich an. Und ihr Herz schlug schneller und unregelmäßiger als zuvor.

Hastig befeuchtete sie ihre trockenen Lippen und versuchte, das heftige Verlangen zu verdrängen.

„Niemand würde mich als impulsiv bezeichnen“, entgegnete sie und merkte, dass ihr schwindelig wurde. Einatmen, ausatmen!

„Ach nein?“

„Nein.“ Mit Schrecken dachte sie daran, was die Medien wohl über sie schreiben würden. „Hoffentlich leidet dein Ruf nicht meinetwegen“, überlegte sie laut.

„Wieso sollte er?“

Traurig sah sie ihn an. Ahnte er denn nicht, wie sehr sie darunter litt, dass ihr eigener Vater sie für „schwer vermittelbar“ gehalten hatte? Wie schlimm es für sie war, immer das Mädchen zu sein, das keiner wollte? Sie war nie gut genug, nie hübsch genug …

„Ich habe wenig mit deiner letzten Verlobten gemeinsam“, versuchte sie zu erklären.

„Und?“

„Nun, man wird sich fragen, was du in mir siehst.“

Zu ihrem Erstaunen wusste er sofort, worauf sie hinauswollte. „Es war nicht das Humpeln, das mir zuerst an dir aufgefallen ist“, sagte er direkt. „Es waren deine offensichtlichen Minderwertigkeitskomplexe.“

Wütend straffte sie die Schultern. „Woher kommen die wohl? Männer wie du und dein Bruder sind maßgeblich dafür verantwortlich. Ihr habt leicht reden! Verabredet euch nur mit perfekten Models. Frauen wie mich nehmt ihr doch gar nicht wahr!“

Als sie seinen konsternierten Gesichtsausdruck bemerkte, hätte sie ihren Ausbruch am liebsten ungeschehen gemacht. Warum breitete sie das ganze Ausmaß ihrer Unsicherheit vor Alejandro aus? Vielleicht weil sie wusste, dass er sowieso niemals zu ihr gehören würde. Je früher sie das klarstellte, desto besser.

„Es gibt ein wenig Papierkram, der noch erledigt werden muss“, wechselte er das Thema. „Die Zeremonie wird ein Standesbeamter durchführen, und die Presse informieren wir dann später.“

„Und wenn ich mir eine große Hochzeit mit weißem Brautkleid und allem Drum und Dran wünsche?“ Dieser Einwand sollte ihn aus der Reserve locken. Mit Erfolg.

„Willst du das etwa?“

Alles in ihr schrie laut ja! „Nein, ich meine bloß …“

„Heutzutage ersparen sich viele Paare dieses Theater, indem sie einfach zu zweit durchbrennen. Das Ziel ist schließlich, am Ende verheiratet zu sein. Und nicht eine Partygesellschaft zu unterhalten, von der man die meisten Anwesenden nicht einmal näher kennt.“

Doch sie konnte ihren geheimen Traum nic...

Autor

Melanie Milburne
<p>Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der Romances....
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Jennifer Rae
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Joss Wood
<p>Schon mit acht Jahren schrieb Joss Wood ihr erstes Buch und hat danach eigentlich nie mehr damit aufgehört. Der Leidenschaft, die sie verspürt, wenn sie ihre Geschichten schwarz auf weiß entstehen lässt, kommt nur ihre Liebe zum Lesen gleich. Und ihre Freude an Reisen, auf denen sie, mit dem Rucksack...
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