Julia Herzensbrecher Band 52

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EINE PRINZESSIN ZUM FEST DER LIEBE von JENNIFER FAYE

„Du bist ein Prinz?“ Reese muss laut lachen. Sie glaubt Alex kein Wort! Aber am nächsten Tag entdeckt sie sein Foto in den Schlagzeilen: Sie hat den kalten Winterabend in New York wirklich mit einem Prinzen verbracht – der sie jetzt bittet, seine Freundin zu spielen!

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  • Erscheinungstag 28.12.2024
  • Bandnummer 52
  • ISBN / Artikelnummer 0824240052
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Jennifer Faye

1. KAPITEL

Endlich hatte er sie abgehängt.

Prinz Alexandro Castanavo von den Mirraccino-Inseln blickte aus dem Heckfenster des Taxis. Er war noch nie in New York City Taxi gefahren, und seine Unruhe wuchs, als das Fahrzeug in Richtung Straßenböschung schlingerte. Während der restliche Verkehr zum Stillstand gekommen war, konnte er seinen Weg fortsetzen.

Als das Taxi urplötzlich nach links ruckte, prallte Alexandro mit der Schulter gegen die Tür. Er krallte die Finger in die Armlehne. Womit hatte er das verdient? Warum musste er an einen Taxifahrer geraten, der sich für einen Rennfahrer hielt?

Alex wurde nach vorn geschleudert, als das Taxi vor einer roten Ampel stoppte. Immerhin beachtete der Kerl die eine oder andere Verkehrsregel. Ein weiterer Blick aus dem Heckfenster entlockte Alex einen Seufzer der Erleichterung. Niemand folgte ihm. Aber wie auch? Vermutlich fuhren nicht viele Leute so unberechenbar wie dieser Chauffeur.

„Können Sie mich hier aussteigen lassen?“

„Nein. Ich bringe Sie rasch ans Ziel.“

Alex lehnte sich still in den Sitz zurück, während der Taxifahrer durch die Straßen von Manhattan raste. Es hatte angefangen, in feinen Flocken zu schneien. Girlanden und festliche Kränze schmückten die Häuserfronten, die Schaufenster waren dekoriert mit Christbäumen und Glitzerkram. Weihnachten lag in der Luft, obwohl es bis dahin noch ein paar Wochen dauerte.

Bald wurden die Geschäfte weniger, der Verkehr dünnte aus, und Wohnhäuser säumten zu beiden Seiten die Straße. Ein letzter Blick aus dem Heckfenster zeigte weit und breit keinen Verfolger. Endlich ließen die Verspannungen in Alex’ Nacken nach.

Die Wohnhäuser in Willow Heights standen in einiger Entfernung von der Straße, ältere Villen, gut gepflegt und immer noch atemberaubend schön. Man fühlte sich wie in frühere Zeiten zurückversetzt. Ein schmiedeeiserner Wegweiser tauchte auf. Er stand vor einer Steinmauer, und die Aufschrift lautete: The Willows.

Alex blickte an der Villa mit ihrem altertümlichen Charme hinauf. Er wusste nicht recht, was er erwarten sollte. Als sich im Palast das Problem auftat, war ihm keine Zeit zur detaillierten Planung geblieben. Er war direkt zur Tat geschritten. Seine Mission bestand darin, sein Katz-und-Maus-Spiel mit der Presse auszuweiten – ohne zu wissen, wie viel Zeit benötigt wurde, um das jüngste Fiasko seines Bruders aus der Welt zu schaffen.

Der Taxifahrer bog in die Zufahrt ein. „Was für ein piekfeines Haus. Sind Sie irgendein stinkreiches hohes Tier?“

Alex wusste nicht recht, was er unter einem hohen Tier verstehen sollte, doch es hörte sich nicht gut an. „Nein.“

„Bleiben Sie lange?“

Wenn er das wüsste. „Ich weiß es noch nicht.“

„Wenn Sie ein Taxi brauchen, rufen Sie mich. Freddy fährt Sie überall hin.“

Nein, das würde Alex ganz sicher nicht tun.

Die gepflasterte Zufahrt führte zu einem weitläufigen zweistöckigen Herrenhaus. Es musste vor ein-, zweihundert Jahren erbaut worden sein.

Das Taxi hielt, und der Fahrer bedachte Alex mit einem breiten Grinsen. Alex bezahlte ihn in bar; es war angeraten, seine wahre Identität zunächst einmal zu verbergen.

Kaum stand Alex mitsamt seinem Gepäck auf dem Gehsteig, raste das Taxi von dannen. Alex unterdrückte ein Gähnen. Nie war er so froh gewesen, festen Boden unter den Füßen zu spüren. Jetzt wollte er nur noch sein Zimmer aufsuchen und eine Mütze voll Schlaf nehmen, bevor er vor Erschöpfung umfiel.

„Willkommen“, rief eine liebliche Stimme.

Er drehte sich um und sah eine junge Frau um die Hausecke biegen. Sie schleppte einen großen Pappkarton. Ihr rotbrauner Pferdeschwanz schwang von einer Seite zur anderen, als sie auf ihn zukam. Ihre Schönheit faszinierte ihn, von ihren rosigen Wangen bis zu den vollen roséfarbenen Lippen.

Ihr Atem bilde weiße Wölkchen in der eisigen Luft. Sie furchte vor Anstrengung die Stirn; der Pappkarton war viel zu groß für sie.

Alex wurde sofort aktiv. „Ich nehme Ihnen das ab.“

Sie zögerte zunächst, gab dann aber nach. „Der Karton soll auf die Eingangsveranda.“

„Ihr Wunsch ist mir Befehl.“

Seite an Seite schritten sie den Weg entlang. Sie warf einen neugierigen Blick in seine Richtung. „Geht’s Ihnen gut? Sie wirkten ein bisschen wacklig auf den Beinen, als Sie aus dem Taxi stiegen.“

„Sie können sich die Fahrt hierher auch kaum vorstellen.“ Am Fuß der Treppe blieb er stehen. „Ich glaube, der Taxifahrer fuhr öfter neben als auf der Straße.“

„Das Abenteuer hat Ihnen anscheinend nicht zugesagt?“

„Ganz und gar nicht. Ich bin heilfroh, dass ich unversehrt hier angekommen bin. Erinnern Sie mich daran, dass ich es mir gut überlege, ob ich diese Taxigesellschaft noch einmal in Anspruch nehmen will.“

Die junge Dame lächelte, und er lächelte zurück. Das war nicht gut. Er durfte Frauen nicht ermutigen. Alles wurde nur noch komplizierter, wenn sie dann mehr wollten, als er zu geben bereit war.

Er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und ging zur Veranda. Dort ließ er den Karton mit lautem Rumpeln einfach fallen. Er drehte sich um, und die junge Frau stand direkt hinter ihm.

Bewundernd betrachtete er sie in ihrer weißen Winterjacke mit dem „The Willows“-Logo in Blau auf der Brust, registrierte ihre engen Jeans und die weizengelben Stiefel an ihren Füßen. Er löste den Blick von ihren schönen Rundungen, die sich unter dem Outfit abzeichneten. Schließlich sah er in ihre Augen – in ihre großen braunen Augen. Ob sie wohl wusste, wie schön sie war? Die Kerle mussten verrückt nach ihr sein.

„Danke für die Hilfe.“ Ihr Blick wanderte zu seinem Gepäck und dann zurück zu ihm. „Kann ich Ihnen helfen? Gehören Sie zu der Hochzeitsgesellschaft?“

„Nein.“ Seine Stimme klang tiefer als gewöhnlich. „Ich möchte einchecken.“

„Sie hätten vorher ein Zimmer reservieren lassen müssen.“

Diese junge Frau musste sich irren. „Ich habe reserviert. Und jetzt würde ich gern den Geschäftsführer sprechen.“

Die junge Frau zog den rechten Handschuh aus und streckte Alex die Hand entgegen. „Sie sprechen mit der Geschäftsführerin. Ich bin Reese Harding. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“

Er trat näher heran und nahm ihre warme Hand in seine kalte. Ihre Haut war glatt und weich. Er wehrte sich gegen den Drang, mit dem Daumen ihren Handrücken zu streicheln. Als er ihren Blick einfing, bemerkte er goldene Pünktchen in ihren Augen.

„Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin P-“ Er fing sich noch rechtzeitig, bevor er mit seinem offiziellen Titel herausplatzte. Einen Moment lang musste er überlegen, welches Alias er bei der Anmeldung benutzt hatte. Er hatte sich den Mädchennamen seiner Mutter ausgeborgt. „Alex DeLuca.“

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er ihre Hand länger als notwendig hielt, und er ließ sie los. Er hatte sich noch nie in diesem Ausmaß von einer Frau beeindrucken lassen. Vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf zeigten jetzt eindeutig ihre Wirkung. Während eines Flugs schlafen zu können, hätte er durchaus als hilfreich empfunden.

„Ihnen gehört dieses Hotel?“, fragte er, um sich zu vergewissern, dass er sie richtig verstanden hatte.

„Ja.“

Er zog die Brauen zusammen und musterte Reese. Sie erschien ihm wirklich noch sehr jung für eine Person mit eigenem Unternehmen. „Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“

„Ich kann Ihnen versichern, dass ich älter bin, als ich aussehe.“

Tja, nun war seine Neugier erst recht geweckt. „Und zwar …“

„Fünfundzwanzig.“ Sie hob das Kinn mit dem Grübchen darin. „Wollen Sie etwa auch noch meinen Ausweis sehen?“

„Hm … nein.“ Er wandte den Blick ab. Er ließ sich ablenken. Es musste wohl am Jetlag liegen, denn er war nicht hier, um mit Frauen anzubändeln – nicht einmal mit einer so bezaubernden wie die, die vor ihm stand. „Was das Zimmer betrifft …“

„Bis Montag sind wir ausgebucht.“

„Bis Montag?“ Das war unmöglich. Seine Nacken- und Schultermuskeln verkrampften sich. „Ich habe ab heute reserviert.“

„Falls Sie für einen anderen Zeitraum reservieren möchten, sehe ich gern im Terminkalender nach.“ Sie drehte sich um und trat ins Haus.

Er folgte ihr und schloss die Tür hinter sich. „Ich versichere Ihnen, ich habe reserviert.“

Sie seufzte unüberhörbar, blieb im Foyer stehen und drehte sich um. „Hören Sie. Ich habe keine Reservierung von Ihnen. Ich habe noch nie mit Ihnen gesprochen. Diesen Akzent hätte ich nicht vergessen.“

Er hätte ihre süße Stimme ebenso wenig vergessen. Sie war genauso attraktiv wie frustrierend. „Dann muss jemand anderer meine Reservierung aufgenommen haben. Sie sind doch sicher nicht die Einzige, die hier arbeitet.“ Andererseits aber war das Hotel kleiner, als er erwartet hatte. „Oder?“

Sie runzelte die Stirn. „Nein. Doch jeder andere, mit dem Sie gesprochen haben könnten, hätte im Online-System nachgesehen und festgestellt, dass wir restlos ausgebucht sind.“

Er war nicht bereit aufzugeben und rief sich die telefonische Reservierung in Erinnerung. „Ich habe mit einer Frau gesprochen. Der Stimme nach war sie ein wenig älter als Sie. Sie hat meine Angaben aufgenommen.“

Reese runzelte die Stirn. „Vielleicht haben Sie doch eine Reservierung. Möglicherweise wurde sie nicht im Computer erfasst.“ Sie senkte den Kopf. „Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ich kein Zimmer mehr frei habe. Wir haben an diesem Wochenende eine Hochzeitsgesellschaft.“

Er hatte an diesem Tag drei verschiedene Flugzeuge bestiegen, um die Paparazzi abzuschütteln. Und am Flughafen von Atlanta hatte er einen langen Aufenthalt über sich ergehen lassen müssen. Jetzt wollte er nur noch eine warme Mahlzeit und ein Bett. Er unterdrückte ein Gähnen. Vielleicht doch lieber zuerst ein weiches Bett und dann die warme Mahlzeit. Alles andere war inakzeptabel.

Er straffte sich und stemmte die Hände in die Hüften, schluckte seinen Frust herunter und bemühte sich um einen professionellen Tonfall. „Was ist mit meiner Anzahlung?“

Sie öffnete halb die vollen Lippen und wurde blass. „Sie haben eine Anzahlung geleistet?“

„Ja. Sehen Sie in Ihrem Computer nach.“

Sie riss die Augen auf. „Mr. DeLuca, natürlich wird Ihnen die Anzahlung in voller Höhe erstattet. Ich bitte um Verzeihung für diese Unannehmlichkeiten.“

Er schaute sich in dem historischen Herrenhaus um, erfasste die geschwungene Treppe und die Bleiglasfenster auf dem Treppenabsatz. Irgendwo hier musste doch noch ein Zimmer zu haben sein!

Ohne ein weiteres Wort schritt die hitzköpfige Schöne die hübsch gerundeten Hüften schwingend davon. Alex blickte ihr nach, bis sie in einem Flur verschwand.

Reese Harding marschierte in den rückwärtigen Teil des Hauses. Sie wollte nicht zulassen, dass der Fremde ihr unter die Haut ging. Die ganze Zeit über ignorierte sie das Prickeln in ihrem Nacken. Sollte er sie doch anstarren. Sie würde sich nicht erweichen lassen, nur weil er so verdammt gut aussah und seine bloße Berührung ein Kribbeln in ihren Fingern hervorrief.

Reese stapfte in das Büro direkt neben der Küche. Sie vermutete, dass ihre Mutter die Reservierung angenommen hatte. Wenn das der Fall war, stand Reese womöglich vor einem echten Problem.

„Hey, Schatz.“ Ihre Mutter spähte aus der Küche zu ihr herein. „Was machst du da? Du hast gerade eine Schneespur auf meinen sauberen Böden hinterlassen.“

„Tut mir leid.“ Reese kramte weiter in den Stapeln von Rechnungen und Korrespondenz auf dem großen Eichenschreibtisch. „Ich suche etwas.“

„Kann ich helfen?“ Die Miene ihrer Mutter hellte sich auf.

„Im Foyer wartet ein Mann, der behauptet, für heute Nacht ein Zimmer reserviert zu haben. Erinnerst du dich an den Anruf von einem Alex soundso mit einem fremdländischen Akzent?“

Ms. Harding legte die Stirn in Falten. „Wann soll er angerufen haben?“

„Letzte Woche.“ Reese nahm sich den nächsten Stapel vor und suchte nach irgendetwas, was die Worte des Mannes bestätigen konnte.

„Doch, ich erinnere mich an jemanden mit einem fremdländischen Akzent. Ich weiß es noch, weil die Verbindung ziemlich schlecht war.“

„Tatsächlich? Du erinnerst dich?“

„Wenn ich die Reservierung angenommen habe, ist die Anzahlung im Computer verzeichnet.“

Ihre Mutter hatte recht. In diesen Mengen von Papieren zu suchen, war reine Zeitverschwendung. Sie fuhr den Computer hoch.

Reese rief das Finanzkonto des Hotels auf. Da fand sich tatsächlich eine Anzahlung – eine gewaltige Anzahlung. Reeses Herzschlag beschleunigte sich vor Aufregung. Mit dem vorhandenen Geld hätte man die gesamte Villa für einen Monat mieten können. Dann schaute sie unter den Online-Reservierungen nach. Mr. DeLucas Name tauchte dort nicht auf. Wie war das möglich?

Doch dieser Geldzustrom war genau das, was sie brauchten, um den bevorstehenden Steuerforderungen nachzukommen, ganz zu schweigen von ihrem Bankkredit. Ganz ruhig. Keine vorschnellen Überlegungen.

Sie konnte sein Geld ja nicht annehmen. Sie hatte kein Zimmer für ihn. Sie konnte dem Herrn mit dem sexy Akzent lediglich die volle Erstattung seiner Anzahlung anbieten und hoffen, dass er dann ohne großes Geschrei verschwand.

Aber der Mann machte keineswegs den Eindruck, als würde er ohne Weiteres auf das, was er wollte, verzichten.

Bewaffnet mit dem Scheck kehrte sie ins Foyer zurück. Als sie ihre Mutter und Mr. DeLuca in gedämpfter Unterhaltung vorfand, blieb sie bei der Treppe stehen. Beide schienen sie nicht bemerkt zu haben. Was um alles in der Welt erzählte ihre Mutter ihm, das ihn so fesselte? Der Mann wiegte sich auf den Absätzen und lachte. Es war ein tiefes, voll tönendes Lachen.

Als ihre Mutter und Mr. DeLuca Schritte auf dem Holzfußboden hörten, wandten sie sich zu ihr um. Reese hielt den großzügigen Scheck noch fester in der Hand. Am besten brachte sie die Sache rasch hinter sich.

„Ah, da kommt meine Tochter.“ Ihre Mutter neigte sich Mr. DeLuca zu, als wären sie alte Freunde. „Sie hat sicher alles für Sie geregelt. Es war nett, Sie kennenzulernen. Ich würde mich gern noch einmal mit Ihnen unterhalten.“ Die Augen ihrer Mutter blitzten, und ein schelmisches Lächeln umspielte ihre Lippen.

Als sie allein waren, straffte Reese die Schultern. „Mr. DeLuca, ich habe Ihre Reservierung überprüft und muss Sie um Verzeihung für die Unannehmlichkeiten bitten, die Ihnen durch uns entstanden sind. Meiner Mutter ist bei der Aufnahme Ihrer Reservierung ein Fehler unterlaufen. Sie hat übersehen, dass wir bereits Verbindlichkeiten eingegangen waren.“

Der Mann schwieg, zeigte nicht das geringste Interesse, ihr aus der peinlichen Situation herauszuhelfen. Sie streckte ihm den gesalzenen Scheck entgegen, doch er machte keinerlei Anstalten, ihn entgegenzunehmen.

„Es ist Ihre komplette Anzahlungssumme. Ich habe es überprüft.“ Als er sich immer noch nicht rührte, fügte sie hinzu: „Wir erstatten Ihnen die Vorauszahlung bis auf den letzten Cent.“

„Das will ich nicht.“

„Aber …“

„Kein ‚Aber‘ mehr. Ich bleibe.“ Er gab ihr den Scheck zurück. „Und erzählen Sie mir nicht noch einmal, Sie hätten kein Zimmer frei. Ihre Mutter sieht das anders.“

„Wie bitte?“

Er bedachte sie mit einem wissenden Lächeln. „Sie sagt, es steht noch ein Zimmer zur Verfügung. Es befindet sich in einem privaten Apartment, und ich könne es nutzen, bis eines der Gastzimmer frei wird.“

Was um alles in der Welt war in ihre Mutter gefahren? Sicher, vor der Katastrophe mit Reeses Vater war sie sehr spontan gewesen, doch seitdem hatte sie so reserviert, so still gewirkt. Jetzt wurde sie wieder in der Gastronomie aktiv, was erfreulich war, aber warum zum Kuckuck überließ sie diesem völlig Fremden das Schlafzimmer ihrer Tochter?

Reese schüttelte den Kopf in dem Versuch, die Vorstellung von diesem großen, dunklen, glattzüngigen Fremden in ihrem Bett zu vertreiben. „Das hätte sie nicht tun dürfen, nicht, ohne mich vorher zu fragen.“

Seine Stimme wurde sanfter. „Sie war anscheinend sicher, dass Sie nichts dagegen einzuwenden hätten. Schließlich ist es ja nur eine Übergangslösung bis zur Abreise der anderen Gäste.“

„Aber bis dahin vergehen noch Tage. Sie reisen erst am Montag ab.“ Und die Wohnung war so klein, dass sie sich ständig über den Weg laufen würden, Tag und … Nacht.

Sie schluckte krampfhaft. „Ich muss Sie warnen: Das Zimmer ist nichts Besonderes. Es ist eigentlich ziemlich schlicht.“

„Ist es sauber?“

Sie nickte. Erst am Morgen war die Bettwäsche gewechselt worden. „Aber es entspricht ganz bestimmt nicht Ihren gewohnten Ansprüchen, ja, nicht einmal dem üblichen Standard von The Willows. Und … und …“

„Und was?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts Wichtiges.“

Sie brachte das Eingeständnis, dass es sie störte, ihn in ihrer Wohnung zu haben, nicht über die Lippen. Denn sosehr sie sich auch sagte, dass es eine rein geschäftliche Angelegenheit war, empfand sie es doch als sehr persönlich, dass er zwischen ihre Laken schlüpfen und den Kopf auf ihr Kissen betten würde.

Er blickte sie neugierig an. „Wenn Sie sonst noch etwas bedrückt, sagen Sie es lieber gleich.“

„Tja, Mr. DeLuca, dann haben Sie jetzt offenbar die ganze Villa für sich allein gebucht.“

Das gebräunte Gesicht des Mannes entspannte sich, und der Hauch eines Lächelns umspielte seine vollen Lippen. „Da wir jetzt Hausgenossen sind, darfst du mich Alex nennen.“

Sie war nicht so sicher, ob diese persönliche Nähe gut für ihre ausufernden Gedanken war, wollte seine Freundlichkeit jedoch nicht abweisen. „Und du kannst Reese zu mir sagen.“

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen erwachte Alex in seiner Straßenkleidung. Er hatte doch nur ein kurzes Nickerchen machen wollen. Sein Magen knurrte. Das Abendbrot hatte er verpasst. Jetzt kamen ihm die Ereignisse des Vorabends wieder in den Sinn.

Nach einer heißen Dusche und einer dringend notwendigen Rasur packte er seinen Koffer aus. Er ging zur Kommode und öffnete eine Schublade. Er zuckte zurück, als er einen BH aus hellrosa Seide entdeckte. Was zum Kuckuck …?

Rechts daneben fand er dazu passende Slips, nicht mehr als Stofffetzen mit ein paar rosa Bändchen. Auf der Stelle erschien Reese vor seinem inneren Auge. Dieses Zimmer gehörte offenbar ihr. Und diese Wäsche ebenfalls. Er schloss die Schublade, aber es war zu spät. Seine Fantasie ging mit ihm durch.

Er war am Vorabend nicht nur unfreundlich zu ihr gewesen, er hatte sie auch noch ihres Bettes beraubt. Er stöhnte auf. Eine Entschuldigung würde vermutlich nicht ausreichen, um wieder Gnade vor ihren Augen zu finden.

Er entnahm seinem Koffer eine Jeans und einen Pullover – die Kleidungsstücke, die er sich von seinem Bruder geborgt hatte. Sie waren lässiger als seine gewohnte Garderobe, doch diese Reise verlangte nun mal ein sehr zwangloses Auftreten von ihm. Er und sein Zwilling, der Kronprinz Demetrius Castanavo, trugen nach wie vor die gleiche Größe. Das Fehlen der Kleidungsstücke würde Demetrius nicht einmal auffallen, und es wäre ihm ohnehin gleichgültig. Im Augenblick hatte er entschieden Wichtigeres im Kopf.

Als Nächstes frisierte Alex sein vorübergehend dunkel gefärbtes Haar. Man sollte ihn nicht zu bald erkennen. Sollten die Paparazzi ihre Jagd doch fortsetzen. Der eigentliche Spaß bestand ja im Aufspüren. Und sie würden eine ganze Weile brauchen, um ihn in diesem abgelegenen Hotel zu finden.

Während er das Styling-Gel ins Haar knetete, dachte er über die Situation seines Bruders nach. Er hatte Verständnis für Demetrius. Die Vorstellung, die Verantwortung nicht nur für die königliche Familie, sondern für eine gesamte Nation zu tragen, war, gelinde gesagt, schon ein wenig erdrückend. Er konnte nur hoffen, dass Demetrius sich mit seiner ererbten Stellung abfand und keine weiteren Zwischenfälle verursachte – wie den potenziellen Skandal, den zu vertuschen sich alle so sehr bemühten.

Als Nächstes gab Alex Tropfen in seine Augen, um die Farbe der Kontaktlinsen aufzufrischen. Er blinzelte ein paar Mal, dann überprüfte er sein Gesicht im Spiegel. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Heute war er nicht mehr Prinz Alexandro. Er war schlicht und einfach Alex. Doch zunächst hatte er noch ein paar königliche Dinge zu erledigen.

Er ging ins Wohnzimmer und hörte ein Klopfen an der Tür. Ein Mann reichte ihm ein gut bestücktes Tablett, und Alex lief das Wasser im Mund zusammen. So hungrig war er schon lange nicht mehr gewesen. Er bedankte sich, ließ sich auf dem Sofa nieder und langte kräftig zu.

Er arbeitete bis in den Nachmittag hinein. Nachdem er die letzte Mail abgeschickt hatte, begab er sich nach unten. Er hatte gerade den Weg in die Küche gefunden, als Reese ihm mit einem Tritthocker entgegenkam. Eingemummelt in ihren Mantel, mit Ohrschützern aus Plüsch, blieb sie vor ihm stehen.

„Guten Tag.“ Ihre Stimme klang kühl; ihr Mund zeigte nicht die Spur eines Lächelns.

Alles wäre so viel einfacher gewesen, wenn er nicht auf ihre feinen Dessous gestoßen wäre. In diesem Moment überlegte er bereits, ob sie wohl eine entsprechende Garnitur in Blau anhatte. Ober vielleicht gefiel ihr Violett besser. Oder Gepunktet.

„Würdest du bitte zur Seite treten? Ich bin auf dem Weg nach draußen.“

Als sie zur Eingangstür ging, überkam ihn ein Gefühl des Unbehagens. Der Tritthocker hatte anscheinend schon bessere Tage gesehen. Das in Verbindung mit Glatteis und Schnee konnte problematisch werden. Vielleicht ergab sich hier eine Möglichkeit, bei Reese zu punkten. Aber mehr noch als das; irgendetwas verriet ihm, dass Reese Hilfe brauchen konnte, auch wenn sie zu starrsinnig war, es zuzugeben.

In Gedanken versunken öffnete Alex die Haustür. Daneben entdeckte er Reese. Die Tür stieß gegen den Tritthocker, auf dem sie stand, und dieser schwankte zur Seite. Reese konnte gerade noch rechtzeitig abspringen.

„Alles in Ordnung?“ Alex hastete zu ihr.

„Nichts passiert.“ Doch anscheinend freute sie sich nicht, ihn zu sehen, was er ihr nicht einmal verübeln konnte.

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand direkt vor der Tür steht.“

„Meine eigene Schuld, ich hätte ein bisschen weiter zur Seite rücken müssen, aber ich hatte Probleme mit der Lichterkette über der Tür.“

Er warf einen Blick auf die Kette. „Das sieht doch gut aus.“

„Schau es dir von hier aus an.“ Sie ging voran in den Garten, ohne sich am hohen Schnee zu stören.

Alex folgte ihr. Als er sich umdrehte, erkannte er, dass Reese die Eingangsveranda in eine wunderschöne Winterlandschaft verwandelt hatte. Kleine künstliche Tannenbäumchen, mit Lichtern geschmückt, standen wie Wachtposten zu beiden Seiten der Eingangstür. Eine Girlande mit blinkenden Lichtern fasste die gesamte Veranda ein und ließ sie sanft erstrahlen.

Reese legte die Stirn in Falten. „Stimmt etwas nicht?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Gut. Ich dachte nur, wenn du hier draußen in der Kälte herumstehst, statt es dir im warmen Zimmer gemütlich zu machen, dann müsstest du schon ein dringendes Anliegen haben.“

Das war sein Stichwort. Er hatte kaum Übung im Bitten um Entschuldigung, und aus irgendeinem Grunde wollte er es unbedingt richtig machen.

„Ja, ich muss dir etwas sagen.“ Als er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, fuhr er fort: „Ich bitte um Entschuldigung wegen unseres gestrigen Zusammentreffens. Ich habe mich schlecht benommen.“

Irgendetwas flackerte in ihren Augen auf, war aber gleich wieder verschwunden. „Entschuldigung angenommen. Aber es war nicht allein deine Schuld. Du hast ein reserviertes Zimmer erwartet. Niemand kann dir verübeln, dass du verärgert warst.“

„Aber dich aus deinem eigenen Bett zu werfen …“

„Keine Sorge. Ich schlafe sowieso nicht viel.“

Bevor er nachhaken konnte, ging sie zurück auf die Veranda und zupfte die Lichterkette am Geländer zurecht. „Was meinst du?“ Reese trat wieder an seine Seite.

Er sah eigentlich keinen Unterschied. „Sieht schon viel besser aus.“

„Ich weiß nicht.“ Sie verschränkte die Arme und betrachtete die Lichter, die sich von einem Ende der Veranda bis zum anderen zogen. „Perfekt ist es nicht, aber es muss wohl reichen.“

„Bringst du immer so kunstvolle Dekorationen an?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich würde mir die Mühe gern sparen, aber zu Weihnachten erwartet man von jedem Haus am Cobblestone Way Festbeleuchtung.“

Reese stieg auf den wackligen Tritthocker. Als sie leicht ins Schwanken geriet, stürzte Alex an ihre Seite.

„Lass mich das machen.“ Er streckte die Hand nach der Lichterkette aus.

„Danke, aber ich habe alles im Griff. Ich weiß genau, wie ich sie aufhängen muss.“

Er legte spontan die Hand an ihre Hüfte, um Reese im Gleichgewicht zu halten, und mit der anderen Hand hielt er den Hocker. Ihre Körperwärme drang durch die Jeans und rief ein merkwürdiges Kribbeln in seinem Arm hervor.

Reese sah zu ihm herunter, und ihre Blicke hielten einander etwas länger als notwendig fest. Dann wandte sie sich ab und versuchte, die Lichterkette über drei kleine Haken oberhalb der Tür zu ziehen.

„So. Das dürfte reichen.“ Mit Alex’ Hilfe stieg sie vom Hocker. „Würdest du sie wohl an den Strom anschließen?“ Sie wies auf die Steckdose auf der anderen Seite der Veranda.

Er half ihr gern, und sei es nur mit kleinen Handreichungen. Und dass diese selbstständige Frau ihn überhaupt helfen ließ, bedeutete wohl, dass er Fortschritte bei ihr machte. Das gefiel ihm – was nicht hieß, dass er ihre Bekanntschaft zu weit gehen lassen würde. Doch es wäre sicher schön, jemanden für freundschaftliche Gespräche zur Verfügung zu haben. Rasch hatte er das Ende des Verlängerungskabels gefunden und schloss die zusätzliche Lichterkette ans Stromnetz an.

Er drehte sich um und sah Reese auf dem Rasen stehen und ihre Arbeit begutachten. Er folgte ihrem Beispiel, blickte zum Haus auf und fand, dass es genauso aussah wie vorher. „Das hast du gut gemacht.“

„Es ist keine große Sache. Aber es ist schön zu wissen, dass jemand meine Mühe zu schätzen weiß.“

„Brauchst du sonst noch Hilfe?“

„Ja, tatsächlich.“

Ihre Antwort überraschte ihn. „Sag’s mir.“

„Nach dem Essen muss ich einen Weihnachtsbaum besorgen.“

Sie wollte einen Baum fällen? An Entschlusskraft mochte es ihr nicht mangeln, doch er bezweifelte, dass sie über die notwendige Körperkraft verfügte.

Er folgte Reese zurück auf die Veranda und half ihr, das Werkzeug einzusammeln. „Ich muss zugeben, dass es eine Premiere für mich sein wird“, gab er zu.

„Woher genau kommst du?“

Er wollte sie nicht anlügen, durfte aber auch nicht restlos ehrlich sein. Auf Grund seines Akzents würde er keinesfalls als Amerikaner durchgehen. Irgendwie musste er sich aus diesem heiklen Thema herauswinden.

Er beschloss, den Spieß umzudrehen. „Was meinst du denn?“

„Ich weiß nicht.“ Sie neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn. „Lass mich überlegen.“

Das Zusammensein mit Reese konnte verzwickter sein, als er es sich vorgestellt hatte. Er wollte sie nicht belügen, konnte ihr jedoch auf keinen Fall sein Herkunftsland verraten. Vielleicht hätte er lieber in der Wohnung bleiben und ihr aus dem Weg gehen sollen. Innerlich stöhnte er auf. Als ob das möglich wäre. Schließlich waren sie Wohnungsgenossen.

Außerdem hatte er bereits eine Verabredung mit ihr. Nein, falsch. Er hatte Pläne mit ihr.

Mannomann, er steckte bis über beide Ohren in der Klemme, und es war erst sein zweiter Tag in New York.

Das war wohl doch keine gute Idee.

Was hatte sie sich dabei gedacht, den Mann um seine Begleitung beim Weihnachtsbaumkauf zu bitten? Eigentlich brauchte sie dabei keine Hilfe. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie alles allein geschafft. Warum sollte sich das jetzt ändern?

Sie öffnete das Tor und startete den Pickup. In Nullkommanichts saß Alex neben ihr. „Reese, danke, dass ich mitfahren darf.“

Göttlich, wie er die Rs rollte. Sie konnte gar nicht genug davon bekommen. Reese wurde bewusst, dass ihre Gedanken abschweiften, und sie rief sich ins Gedächtnis, dass er ihr Gast war – und nichts weiter.

„Ja, klar doch. Kein Problem.“ Um zu verhindern, dass ihre Gedanken auf Irrwege gerieten, schaltete sie das Radio ein und suchte einen Sender mit Weihnachtsmusik. Nachträglich fragte sie: „Ein bisschen Musik stört dich doch hoffentlich nicht?“

„Überhaupt nicht. Bei meiner Mutter war der … das Haus immer von Musik erfüllt.“

Ihr fiel auf, dass er in der Vergangenheit sprach, und dann war da dieses kleine Zögern. Sie fragte sich, ob auch er frühzeitig einen Elternteil verloren hatte. Das wünschte sie niemandem – ganz gleich, wie die Umstände waren.

Alex räusperte sich. „Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind? Wir fahren ja in die Stadt.“

Zwar hatte die Unterhaltung sie abgelenkt, aber sie glaubte nicht, dass sie sich verfahren hatte. Nur um sicherzugehen, sah sie sich nach Orientierungspunkten um. „Wir sind hier richtig.“

„Aber ich dachte, wir wollen einen Weihnachtsbaum fällen.“

„Ich habe gesagt, wir müssen einen Weihnachtsbaum besorgen; von Fällen war nie die Rede.“ Sie warf ihm einen Blick zu. Er war tief in den Sitz gerutscht und rückte seine Basecap zurecht. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche. Aber so geht es eben schneller und einfacher.“

„Ist es noch weit?“

„Überhaupt nicht. Wir sind sogar schon am Ziel.“

Sie blickte aus dem Fenster auf den vertrauten eingezäunten Platz. Tannenbäume in allen Größen standen zum Verkauf. Leute jeder Altersgruppe schlenderten umher, zeigten hier und da auf einen Baum.

Reese wollte es schnell hinter sich bringen und sagte: „Ich suche rasch einen passenden Baum fürs Foyer aus. Du kannst dich gern ein bisschen umschauen.“

„Was ist mit einem Baum für dich selbst?“ Als sie ihn verwundert anblickte, fügte er hinzu: „Für die Wohnung?“

„Ich will keinen. Nach allem, was passiert ist … Ach, schon gut. Ich habe einfach keine Zeit dafür.“

Sie stieß die Fahrzeugtür auf und sprang heraus. Sie befand sich bereits auf dem Gehsteig, als Alex’ Tür sich öffnete. Ihr fiel auf, dass er den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen und sich die Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte. Ihm war offenbar kalt. Wenn er lange genug in New York blieb, würde er sich an die Kälte gewöhnen.

Was hatte er sich dabei gedacht, Reese an diesen sehr öffentlichen Ort zu begleiten?

Alex sah sich um, ob irgendwer ihn bemerkt hatte. Es wäre viel zu früh für seine Pläne, wenn jetzt schon seine wahre Identität ans Licht käme. Oder schlimmer, wenn jemand ihn fotografierte und das Bild ins Internet stellte. Er zog sich die Basecap noch tiefer ins Gesicht.

Er gab sich ganz lässig und vermied jeglichen Blickkontakt. Zum Glück schien ihn niemand zu beachten.

Ein junger Mann mit Weihnachtsmannmütze und roter Schürze kam auf ihn zu. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich möchte den kleinen Baum dort in der Ecke.“

Der Mann nannte den Preis, und Alex gab ihm das Geld.

Er verstaute den Baum auf der Ladefläche des Pick-ups und machte sich dann auf die Suche nach seiner schönen Gastgeberin, die einem älteren Mann, der mit seinem weißen Bart aussah wie der Weihnachtsmann persönlich, eine hohe, schlanke Tanne zeigte.

Der Mann sah Alex an, bevor er sich wieder an Reese wandte. „Das ist wohl Ihre bessere Hälfte. Ein schönes Paar. Ist es Ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest?“

„Wir gehören nicht zusammen.“ Reeses Wangen röteten sich. „Das heißt, wir sind kein Paar. Wir sind … hm …“

„Freunde“, half Alex ihr aus.

Allerdings hatte die Bemerkung des Mannes etwas für sich.

Reese wäre die ideale Pseudo-Freundin für ihn.

Schließlich hielt er sich doch angeblich in Liebesdingen in den USA auf. Und da er seinen Plan so schnell umsetzen musste, war ihm keine Zeit geblieben, eine Frau für die Rolle der Freundin zu suchen. Wenn jedoch Bedarf entstand, wäre Reese dann wohl bereit, diesen Part zu übernehmen?

Alex neigte sich zu Reese hinüber. „Du hast einen Baum gefunden?“

„Ja. Ich glaube, er ist perfekt.“ Sie zeigte auf den Baum, den der Mann jetzt in eine lärmende Maschine schob. Alex sah zu, wie die Zweige in Richtung Stamm gedrückt und der gesamte Baum handlich verschnürt wurde.

„Das wird ein toller Weihnachtsbaum. Du hast einen guten Geschmack.“

Reese wandte sich ihm zu und lächelte. Eine so schlichte Geste, und doch stockte ihm der Atem, und er konnte den Blick nicht von ihr lösen. Große, flaumige Schneeflocken wirbelten um sie herum. Und die blinkenden Lichter spiegelten sich in Reeses Augen und ließ sie glitzern wie Edelsteine.

„Sobald der Baum verschnürt ist, können wir heimfahren.“ Sie ging, um den Baum zu holen, und brach damit den Zauber des Augenblicks.

Alex kam endlich wieder zu sich und trat vor. „Ich hole ihn.“

Sie runzelte die Stirn, als wollte sie widersprechen, überraschte ihn dann jedoch, indem sie sagte: „Okay.“

Als der Baum auf der Ladefläche gesichert war, stieg Alex in die warme Fahrerkabine und rieb sich die Hände. „Für diesen Ausflug habe ich an alles gedacht, nur nicht an Handschuhe.“

Reese machte ein besorgtes Gesicht. „Warum hast du nichts gesagt? Warte, ich drehe die Heizung auf.“

„Nicht nötig. Die Piekser von der Tanne sind schlimmer als die Kälte.“

„Sag Bescheid, falls du etwas brauchst, wenn wir zu Hause sind. Vielleicht eine antiseptische Salbe?“

„Mach ich.“ Jetzt hatte er Gelegenheit, das Thema anzusprechen, das ihm am Herzen lag. „Was hast du gedacht, als der Weihnachtsmann auf dem Markt uns für ein Paar gehalten hat?“

„Dass er eine neue Brille braucht.“

„Meine Freundin zu sein, das wäre doch wohl nicht so schlimm, oder?“

Reese musste vor einer roten Ampel halten und blickte Alex lange an.

Er wurde unsicher. „Was ist?“

„Ich suche nach einem Hinweis darauf, dass du dir womöglich den Kopf gestoßen hast, als du mit diesem Baum hantiert hast.“

„Sehr witzig.“ Als sie lächelte, breitete sich ein seltsames Gefühl in seiner Brust aus. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Würde ich mich zum Freund eignen?“

Sie blickte nach vorn, als die Ampel auf Grün umsprang. „Das kann nicht dein Ernst sein. Wir … Wir kennen uns doch gar nicht. Und ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung. Nicht mit dir. Mit niemandem.“

Reese trat vor einer weiteren roten Ampel ein wenig zu stark auf die Bremse, sodass Alex den Sicherheitsgurt zu spüren bekam. „Du wirst bestimmt einmal der perfekte Freund für irgendeine glückliche Frau sein.“

Er lächelte. „Danke für die Ermutigung. Was könnte dich verlocken, die Rolle zu übernehmen?“

„Welche Rolle? Die deiner Freundin?“

Wer A sagt, muss auch B sagen. „Ja.“

Sie lachte. „Schön. Wenn du es unbedingt wissen willst: Falls ich zufällig auf der Suche wäre – und das bin ich nicht, aber wenn es denn so wäre –, dann hättest du eine Chance. Aber ich habe allen Ernstes nicht die Zeit … wenn ich überhaupt interessiert wäre.“

„Autsch.“

„Deine Hände?“

„Nein. Mein Ego. Es hat gerade einen gemeinen Schlag versetzt bekommen.“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Du wirst es überleben.“

3. KAPITEL

„Reese?“ Alex’ tiefe Stimme hallte durch den Flur.

„Hier bin ich.“ Sie kniete auf dem Fußboden und entwirrte eine Lichterkette.

Alex trat ins Zimmer. „Was machst du da?“

„Ich versuche, diese Lichter instandzusetzen. Ich muss die Glühbirnchen ersetzen – eine nach der anderen. Irgendwann kaufe ich neue Lichterketten, aber nicht in diesem Jahr.“ Sie würde die alten zum Leuchten bringen, und wenn sie die ganze Nacht hindurch Birnchen austauschen musste. „Brauchst du etwas?“

„Ich habe meine Arbeit erledigt und wüsste gern, ob ich dir helfen kann.“

„Du verbringst ziemlich viel Zeit vor deinem Computer, wie?“

„Er ist mein transportables Büro. Damit kann ich überall arbeiten.“

Sie zupfte die nächste Birne aus der Fassung und ersetzte sie durch eine funktionstüchtige. Die Kette leuchtete trotzdem nicht. „Du machst also gar nicht richtig Urlaub?“

„Ich bin lieber beschäftigt. Ich kann nicht gut untätig herumsitzen.“ Er kniete sich neben sie. „Lass es mich mal versuchen.“

Er rückte näher. Mit seinen warmen Fingern streifte er ihre Hand. Seine Berührung durchzuckte ihren Arm kribbelnd wie ein Stromstoß. Diese Reaktion verwirrte sie. Sie sah ihm in die Augen, ihr Herz pochte wild. Er wandte den Blick als Erster ab. Etwas wie Enttäuschung machte sich in ihr breit.

Alex schob ein Glühbirnchen in die Fassung. Nichts leuchtete auf. „Ich rieche überhaupt keinen Duft von Essen. Das gab’s noch nie. Dieses Haus ist sonst immer von den köstlichsten Aromen durchzogen.“

„Ich habe dem Personal freigegeben. Jetzt weiß ich wirklich nicht, was ich zum Abendessen anbieten soll, denn in der Küche bin ich eine Niete.“

„Es muss ja nichts Aufwändiges sein. Etwas ganz Einfaches reicht vollkommen.“

Wider besseres Wissen fing sie an, den Burschen zu mögen. „Wie einfach dachtest du denn? Ich kann die Mikrowelle bedienen, und damit hat sich’s auch schon.“

Er zog die Brauen hoch, und in seinen Augen blitzte die Belustigung. „Oder wollen wir Pizza bestellen?“ Er löste eine Birne aus der Kette. „Es gibt hier doch einen Lieferservice, oder?“

Sie nickte. „Ich frage meine Mutter, ob sie mit uns essen will, und bringe dann gleich die Speisekarten mit.“

Sie lief aus dem Zimmer und die Treppe zu der kleinen Wohnung hinauf, die sie seit dem Tod ihres Vaters zwei Jahre zuvor mit ihrer Mutter teilte.

„Hey, Mom“, rief Reese und stieß die Wohnungstür auf. „Was meinst du zu …“

Die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie ihre Mutter vor einem kleinen Weihnachtsbäumchen, das auf dem Couchtisch stand, vorfand. Die Lichter brannten, er war sogar ein wenig geschmückt. Was zum Kuckuck …? Woher kam der denn?

Gedankenverloren blickte ihre Mutter auf den Baum. Dachte sie an vergangene Zeiten?

„Mom?“ Es war fast ein Krächzen. Sie schluckte verkrampft und trat näher. „Ist alles in Ordnung?“

Ihre Mutter blinzelte und sah zu Reese auf. „Mir geht’s gut. Aber schön, dass du da bist. Ich habe gerade einen Anruf erhalten: deiner Tante geht es nicht gut.“

Reese hoffte, dass ihre Mutter nicht wieder in dem elenden schwarzen Loch versank, wo sie ihr unerreichbar war, und fragte zaghaft: „Was fehlt Tante Min denn?“

„Sie findet sich schwer zurecht, seit Onkel Roger gestorben ist. Ihre Nachbarin hat angerufen und sich bereit erklärt, mich abzuholen. Ich weiß, gerade jetzt zu Weihnachten und in Anbetracht der Hochzeit am Wochenende sollte ich dich nicht allein lassen, aber niemand kennt deine Tante so gut wie ich.“

Reese wusste nicht recht, ob es gut war, ihre Mutter gehen zu lassen, um eine Trauernde zu trösten. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass es keine leichte Aufgabe war. Doch Ms. Harding schien fest entschlossen zu sein, und Reese würde sie kaum umstimmen können.

„Kann ich irgendetwas für dich tun?“, fragte Reese.

„Nein, nichts. Du hast hier schon alle Hände voll zu tun.“ Ihre Mutter nahm sie in die Arme. „Ich muss packen.“

Ms. Harding war schon auf dem Weg in ihr Schlafzimmer, als Reese ihr nachrief: „Mom, woher stammt dieser Baum?“

„Von Alex. Er dachte, du würdest dich freuen.“

Ms. Harding verschwand in ihrem Schlafzimmer, und Reese drehte sich um. Der längst vergessene handgefertigte Christbaumschmuck an dem Bäumchen stach ihr ins Auge.

Tja, wenn Alex so gern einen Weihnachtsbaum haben wollte, dann sollte er ihn in seinem – hm, in ihrem – Zimmer aufstellen. Sie zog den Stecker der Lichterkette ab und trug den Baum in ihr Schlafzimmer.

Er hatte es lange genug aufgeschoben.

Alex zückte sein Smartphone. Es war Zeit, den König wissen zu lassen, dass er in Sicherheit war. Im Gegenzug erhielt er hoffentlich ebenfalls gute Nachrichten. Vielleicht hatte sich das Dilemma seines Bruders, des Kronprinzen, in aller Stille ausräumen lassen. Dann konnte Alex seine Sachen packen und den ersten Flug nach Hause buchen – und seine schöne Gastgeberin verlassen, die ihm den Kopf vernebelte und die Konzentration auf das Wesentliche raubte.

Er wählte die Privatnummer des Königs. Schon beim ersten Klingeln wurde abgehoben, als hätte sein Papa dagesessen und nur auf seinen Anruf gewartet.

„Papa, ich bin’s, Alexandro.“

„Endlich kommst du auf die Idee, mich anzurufen.“

„Ich musste mich unauffällig bewegen, um den Paparazzi aus dem Weg zu gehen.“

„Sag mir, wo du dich aufhältst, damit ich dir deine Leibwächter schicken kann.“

„Nein.“ Alex verspannte sich, als er sich den düsteren Schatten vorstellte, der sich über die scharfen Züge seines Vaters legte. „Ich muss die Sache durchziehen. Nur so kann ich die Familie schützen. Wenn deine Feinde von Demetrius’ kopflosen Aktionen erfahren, provozieren sie einen öffentlichen Skandal und stellen ihn als unfähigen Regenten dar. Dadurch gewinnen sie noch mehr Unterstützung für ihre geplante Machtübernahme.“

„Das lass mal die Sorge der Regierung sein.“

Er hätte den tröstlichen Worten seines Vaters gern Glauben geschenkt, doch Alex hatte seine eigenen Quellen, und alle hatten ihn wissen lassen, dass die Staatsfeinde Ernst machten. Ganz gleich, wie alt er war, sein Vater würde doch stets versuchen, ihn vor der grausamen Wirklichkeit zu schützen. In diesem Jahr war es bereits zu einem Aufstand gekommen. Einen weiteren konnten sie nicht riskieren.

„Ich verstehe, Papa. Aber glaub mir, ich muss es durchziehen. Es ist am besten so. Solange die Presse sich für meinen Verbleib interessiert, konzentriert sie sich auf mich und spioniert nicht im Palast nach saftigem Tratsch.“

Der König stieß einen langen Seufzer der Erschöpfung aus. „Ich gebe zu, dass dein Verschwinden hilfreich war. Bisher sind im Palast nur die nötigsten Stellen eingeweiht. Der Regierungsrat ist der Meinung, dass alles sich bald regeln ließe … wenn dein Bruder nur zu Verstand käme.“

„Du bist nach wie vor gegen diese Heirat?“

„In diesen unsicheren Zeiten brauchen wir starke Verbündete.“ Eine bedeutungsvolle Pause entstand. „Wenn dieses Mädchen wenigstens ein paar wichtige Beziehungen hätte.“

Sein Vater hörte sich älter an denn je. Alex hatte ein flaues Gefühl im Bauch. Wann würde sein Bruder endlich lernen, dass er der Krone, dem Land und ihrem Vater verpflichtet war? Ihr Vater würde ohnehin erst dann abdanken, wenn er sicher sein konnte, dass sein Nachfolger willens und fähig war, die Interessen des Landes zu wahren. Nach dem Tod der Königin war er nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Und jetzt ließ sein Gesundheitszustand zu wünschen übrig.

Alex dachte daran, wie er sich zu seiner Mutter vorgedrängt hatte, als sie ihre letzten Atemzüge tat. Der Schmerz drang wie ein Pfeil durch seine Brust. Sie hatte ihn gebeten, gut auf seinen Papa achtzugeben. Er hatte es versprochen. Und seitdem war er bestrebt, dieses Versprechen zu halten. Was nicht hieß, dass er durch irgendwelche Taten seinen Anteil am Tod seiner Mutter wiedergutmachen konnte.

„Keine Sorge, Papa. Ich weiß, was ich tue. Alles kommt wieder in Ordnung. Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, lasse ich auch meine Leibwächter kommen.“

Wieder entstand eine Pause. Alex hätte gern gewusst, ob der König erwog, ihm eine Änderung seiner Pläne und die sofortige Rückkehr zu befehlen.

„Alex?“ Reeses Stimme hallte durch den Flur.

„Papa, ich muss Schluss machen. Ich melde mich bald wieder.“ Und damit brach er das Gespräch ab und schaltete sein Smartphone aus. „Ich komme.“ Im Schrank neben dem Waschbecken suchte er nach einem Glas.

„Ach, hier steckst du. Ich dachte schon, du hättest es dir anders überlegt und wolltest doch etwas kochen.“

„Ich kann leider auch nicht kochen. Aber ich habe Durst.“ Und das war nach dem Telefonat mit seinem Vater und nach seinen eigenen Beschwichtigungsversuchen nicht einmal gelogen.

Nachdem er ein Glas Wasser geleert und es wieder beiseite gestellt hatte, wandte er sich zu Reese um. „Brauchst du etwas?“

„Ich habe das hier geholt.“ Sie hielt eine Auswahl von Speisekarten in die Höhe.

Also war sie in der Wohnung gewesen und musste den kleinen Weihnachtsbaum gesehen haben, der mit dem Christbaumschmuck, den ihre Mutter ihm zur Verfügung gestellt hatte, dekoriert war. Warum äußerte Reese sich nicht dazu?

„Hier.“ Mit ausgestreckter Hand kam sie näher. „Such dir etwas aus.“

Er winkte ab. „Mach du das. Ich nehme das Gleiche wie du.“

Sie sah ihn nicht an. „Bist du sicher?“

Er nickte. An diesem Abend hatte er genügend Entscheidungen getroffen. Er wollte nicht mehr, nicht einmal, wenn es nur um Pizza ging.

„Während du die Bestellung aufgibst, kann ich ja den Baum im Foyer aufstellen.“

„Ich dachte, du hättest für heute vielleicht genug vom Dekorieren.“

Also hatte sie das Bäumchen bemerkt. Und offenbar freute sie sich nicht darüber.

„Weihnachten gehört zu meinen Lieblingsfesten.“ Ob sie sich jetzt vielleicht ein bisschen aufgeschlossener zeigen würde?

„Wie schön.“ Ihr eisiger Ton ging ihm durch und durch. „Ich habe die Schachteln mit dem Christbaumschmuck bereitgestellt.“

„Du wirst mir Anweisungen geben müssen. Ich weiß ja nicht, wie du den Baum geschmückt haben willst.“

„Ach, das ist ganz einfach. Ich fange immer mit den weißen Blinklichtern an. Dann folgen die goldenen Schleifen und die roten Glaskugeln.“

„Schmückst du den Baum immer selbst?“

„Ja. Das finde ich einfacher. Ich weiß, wie er aussehen soll. Eigentlich kannst du dir die Mühe sparen. Ich gebe rasch die Bestellung auf und komme gleich zurück.“

Reese stapfte aus dem Raum wie eine Frau mit einem festen Ziel vor Augen. Sie kam ihm sehr einsam vor. Nun, dieses Weihnachtsfest sollte anders für sie sein. Er ging zu dem Baum und rückte ihn an eine Stelle neben der Treppe.

Dieses Weihnachtsfest würde für sie ein ganz Besonderes werden, das schwor er sich.

Warum hatte er nicht auf sie gehört?

Reese runzelte die Stirn, als sie ins Foyer zurückkam. Alex war damit beschäftigt, die Lichterkette anzubringen. Und der Baum stand nicht an der richtigen Stelle. Normalerweise rückte sie ihn ein bisschen näher an die Treppe heran, damit er nicht im Weg stand. Sie wusste, dass sie sich kleinlich verhielt. Aber alles musste am rechten Platz sein, sonst trieb es sie an den Rand des Wahnsinns.

Alex wandte sich ihr zu. „Ich habe schon mal angefangen.“

Sie nickte und versuchte, sich nicht daran zu stören, dass der Baum nicht an seinem üblichen Platz stand.

„Es gefällt dir nicht?“

Sie stieß den angehaltenen Atem aus. „Der Baum darf nicht im Wege stehen.“

„Ich weiß. Aber es ist einfacher, ihn hier, wo er jetzt steht, zu schmücken.“

„Und die Lichterkette darf nicht so eng geschlungen werden, sonst reicht sie nicht bis an die Spitze.“

Alex zog eine Braue hoch. „Gib dir keine Mühe. Ich lass mich nicht entmutigen. Ich werde dir helfen, diesen Baum zu schmücken.“

„Du bist starrsinnig.“

„Und du bist pingelig.“

„Irgendetwas sagt mir, das haben wir gemeinsam.“ Sie konnte genauso gut austeilen wie einstecken.

Er lächelte. „Mag sein. Aber ich weiß, was mir gefällt.“

Sein Blick ruhte auf ihr; er rückte näher an sie heran. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, sodass sie kaum noch atmen konnte. Alex senkte den Blick auf ihren Mund, bevor er ihr wieder in die Augen sah.

„Du bist sehr schön.“ Mit den Fingerrücken strich er über ihre Wange.

Sie wollte ausweichen, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Vor Erregung überzog eine Gänsehaut ihren Nacken und ihre Arme. Sie blickte in seine hypnotischen blauen Augen, ertrank in ihren Tiefen. Es war so lange her, dass ein Mann Interesse an ihr gezeigt hatte. Und bis jetzt war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie einsam sie war. Nach Josh …

Die Erinnerung an ihren Ex-Freund brachte sie wieder zur Vernunft. Sie wich zurück. Es durfte nicht sein. Reese hatte sich geschworen, Männer auf sicheren Abstand zu halten.

Alex ließ die Hand sinken. Hätte Reese es nicht besser gewusst, hätte sie geglaubt, ein bedauerndes Flackern in seinen Augen gesehen zu haben. Was sollte sie zu ihm sagen? Er war schließlich nicht Josh.

Reese ging zum Baum und begann, die Lichterkette neu anzuordnen.

„Könntest du mir auf der anderen Seite des Baums helfen?“ Sie tat so, als hätte der intime Augenblick sie kalt gelassen.

„Sag mir einfach, was ich tun soll.“

Sie rechnete es Alex hoch an, dass er den peinlichen Moment ohne Fragen überging. Als sie den geschmückten Baum schließlich an den richtigen Ort gerückt hatten, musste Reese sich eingestehen, dass sie den Abend genossen hatte. Alex war ein guter Unterhalter. Wer hätte das gedacht?

Erst nachdem die Hochzeitsgäste von ihrem Ausflug zurück waren, konnte sie die Eingangstür abschließen. Voller Vorfreude auf den Feierabend stieg sie die Treppe zu ihrer winzigen Wohnung hinauf. Schon wollte sie die Tür hinter sich schließen, als sie eilige Schritte auf der Treppe hörte. Sie musste nicht lange überlegen, wer da kam. Es war der Mann, der ihr so sehr unter die Haut ging.

Sie überlegte, sich schnell ins Schlafzimmer ihrer Mutter zurückzuziehen, verspürte aber das Bedürfnis, sich bei Alex zu bedanken, weil er eine Tätigkeit, die sonst immer schmerzliche Erinnerungen heraufbeschwor, in ein schönes Erlebnis verwandelt hatte.

Sie wandte sich ihm zu. Ihr Blick verweilte auf seinen Lippen. Die Erinnerung an ihren Beinahe-Kuss ließ ihren Puls hochschnellen. „Ich … Ich gehe jetzt zu Bett. Ich wollte mich nur noch für deine Hilfe bedanken. Ohne dich wäre ich noch lange nicht fertig.“

„Gern geschehen. Und der Baum ist hübsch geworden, wenn auch nicht genau so, wie du ihn normalerweise herrichtest.“ Mit gerunzelter Stirn sah er sich im Zimmer um. „Was ist aus dem kleinen Christbäumchen geworden?“

„Ich habe es in dein Zimmer gestellt. Ich dachte, dort hättest du mehr davon.“

„Aber ich habe ihn für dich geschmückt.“

„Und ich habe dir gesagt, dass ich keinen Baum haben möchte.“

„Aber der Christbaum im Foyer …“

„Ist der Tribut ans Geschäft. Gäste erwarten Weihnachtsschmuck in einem Hotel, und diese Erwartungen zu erfüllen, ist meine Aufgabe. Das heißt aber nicht, dass ich auch meine Privaträume dekorieren muss.“

„Ich wollte dir nur helfen.“

„Diese Art von Hilfe brauche ich nicht.“ Die Worte waren hervorgesprudelt, bevor Reese sich bremsen konnte. Erschöpfung und Sorge waren schuld. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht so anfahren.“

Er schüttelte den Kopf. „Du hast recht. Ich dachte … Ach, was ich gedacht habe, tut nichts zur Sache.“

Angesichts seines gekränkten Gesichtsausdrucks suchte sie fieberhaft nach einer Erklärung. „Es ist nun mal so, dass Weihnachten bei mir und meiner Mutter traurige Erinnerungen weckt. Und ich habe Angst um ihren Seelenfrieden. Ich würde alles tun, damit sie nicht wieder in dieses einsame dunkle Loch fällt, in das sie sich nach dem Tod meines Vaters zurückgezogen hatte.“

Er sah sie an, als würde er ihre geheimsten Gedanken kennen. „Deine Mutter wirkt auf mich wie eine sehr starke Frau. Vielleicht ist sie stärker, als du denkst.“

Reese stemmte die Hände in die Hüften. „Du kennst sie nicht so wie ich.“

„Stimmt. Aber manchmal sieht ein Außenstehender mehr als ein direkt Betroffener.“

Sie reckte das Kinn vor. „Und was genau ist mir entgangen?“

„Wusstest du, dass deine Mutter mir höchstpersönlich das Dekorationsmaterial für das kleine Bäumchen ausgehändigt hat?“

„Du wirst sie unter Druck gesetzt haben. Freiwillig hätte sie den Baumschmuck nicht herausgerückt. Es war … Es war die Weihnachtsdekoration unserer Familie, die wir im Lauf von Jahren gesammelt hatten.“

„Es war aber ihre Idee. Sie bestand darauf, dass ich den Baum für dich schmücke. Sie dachte, du würdest dich freuen.“

Nein, das war nicht möglich. Oder? Reese trat einen Schritt zurück. Als sie das Sofa an den Kniekehlen spürte, ließ sie sich darauf nieder. Was hatte das zu bedeuten? War ihr auf Grund ihrer Überarbeitung entgangen, dass ihre Mutter wieder sie selbst war?

„Ich habe ja nicht geahnt, dass es dich dermaßen ärgern würde.“

„Es liegt einfach daran, dass … dass mein Vater immer eine regelrechte Staatsaffäre aus dem Weihnachtsfest gemacht hat. Es ist schwer, Weihnachten nicht mit ihm in Verbindung zu bringen.“ Doch das Schmerzlichste an der Sache gab sie nicht preis. Sie konnte nicht zugeben, dass ihr Vater sie und ihre Mutter an Heiligabend wegen einer anderen Frau verlassen hatte. Und dass er ihr gesamtes Geld für diese Frau verschleudert hatte … dass er ihr ein Haus gekauft und Reese und ihrer Mutter nur Schulden hinterlassen hatte.

Alex setzte sich neben sie. „Das wusste ich nicht.“

„Meine Mutter hat nichts davon erwähnt?“

„Sie hat nur gesagt, es wäre schon eine Weile her, dass ihr zwei Weihnachten gefeiert habt, und sie war der Meinung, es sei an der Zeit, dass ihr mal wieder ein schönes Fest erlebt.“

Unverhoffte Freude strömte in Reeses Herz. „Das hat sie tatsächlich gesagt?“

Er nickte. „Sonst hätte ich den Baum nicht ohne deine Zustimmung geschmückt.“

Wenn ihre Mutter damit einverstanden war, konnte sie sich wohl kaum über diese nette Geste beschweren, oder?

Reese wandte sich Alex zu. „Entschuldige, dass ich solch ein Grinch war.“

„Ein Grinch?“

„Ja. Kennst du nicht die Geschichte Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat?

„Nein, die kenne ich nicht.“

„Ich dachte, die Geschichte wäre allgemein bekannt. Keine Angst. Wir finden bestimmt irgendwo noch ein Exemplar, damit du deinen Horizont erweitern kannst.“

„Mein Horizont ist ziemlich weit“, wehrte er sich. „Stört es dich, wenn ich den Christbaum wieder hierherhole?“

„Ganz, wie du willst.“ Sie war ganz eindeutig nicht die Einzige, die es gewohnt war, ihren Willen durchzusetzen.

Als er gegangen war, fragte sie sich, warum erst ein völlig Fremder aus einem fernen Land hatte kommen müssen, damit ihr die Augen für einen klareren Blick aufs Leben geöffnet wurden. Ihr war, als hätte sie in den vergangenen Jahren mit einem Tunnelblick gelebt, stets nur darauf bedacht, ihre Mutter vor weiterem Schmerz zu bewahren und ihnen das Zuhause zu erhalten.

Und auch wenn Alex ganz sicher eine nette Abwechslung bot, durfte sie jetzt nicht die Konzentration aufs Wesentliche verlieren. The Willows war noch lange nicht schuldenfrei. Trotz Alex’ üppiger Anzahlung würde sie sich vielleicht doch von Sandy trennen müssen, die Zimmermädchen und alleinerziehende Mutter war. Die Vorstellung drückte ihr das Herz ab.

„Bitte schön.“ Alex kam wieder ins Zimmer.

Ihr wurde bewusst, wie seine Präsenz alle Aufmerksamkeit auf sich zog, sobald er einen Raum betrat. Wodurch dieser Eindruck entstand, hätte sie nicht sagen können. Vielleicht durch sein gutes Aussehen oder durch seine imposante Körpergröße. Aber nein. Es steckte mehr dahinter. Es war etwas viel Bedeutsameres, doch sie konnte es einfach nicht benennen.

Alex hielt inne. „Hast du es dir anders überlegt?“

„Aber nein. Ich glaube nur, ich bin viel erschöpfter, als ich eigentlich gedacht hatte.“

„Wenn ich die Lichterkette angeschlossen habe, könnten wir dann das Deckenlicht ausschalten? Es gibt nichts Schöneres als einen leuchtenden Weihnachtsbaum.“

Sie erhob sich und ging zum Lichtschalter.

Als die bunten Glühbirnchen den kleinen Baum erstrahlen ließen, schaltete sie die übrige Beleuchtung aus. Doch nicht der Baum war es, der ihre Aufmerksamkeit erregte und fesselte. Es war Alex’ Gesichtsausdruck. Sekundenlang ähnelte er einem kleinen Jungen, der zum ersten Mal über einen Weihnachtsbaum staunt.

„Sind Weihnachtsbäume bei euch anders?“ Sie war wirklich neugierig.

Er schüttelte den Kopf. „Unser Christbaum ist ziemlich groß und irgendwie förmlicher, ähnlich dem Baum unten im Foyer.“

„Das heißt, es gibt kein Zuckerwerk und keine gläsernen Glöckchen und Pinguine?“

Wieder schüttelte er den Kopf. „Nein. Alles muss aussehen wie aus...

Autor

Yvonne Lindsay
Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit...
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Chantelle Shaw
<p>Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs. Chantelle Shaw entdeckte die Liebesromane von Mills &amp; Boon,...
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