Julia Royal Band 34

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DIESER TANZ IN DEINEN ARMEN … von CAITLIN CREWS

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  • Erscheinungstag 14.12.2024
  • Bandnummer 34
  • ISBN / Artikelnummer 8026240034
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Caitlin Crews

1. KAPITEL

Melody Skyros verlor sich gerne in Tagträumen darüber, wie sie als heimliche Meuchelmörderin ihre Fähigkeiten nutzten, um diejenigen einer gerechten Strafe zuzuführen, die es verdient hatten.

Doch das wäre einer Dame nicht würdig.

Sie hatte jahrelang verschiedene Kampfkünste gelernt, und zwar heimlich, dank der Hilfe ihrer Mutter. Als wohlerzogene Adlige tat diese sonst nur selten etwas ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns. Melodys notorisch bärbeißiger Vater, der Aristokrat und Medienmagnat Aristoteles Skyros, durfte nicht wissen, dass seine ungeliebte jüngere Tochter etwas anderes lernte als das vom vornehmen Adel Idyllas erwartete gute Benehmen. Mit dem über Generationen vererbten Snobismus der Adeligen dieses alten Inselkönigreiches hätte man die gesamte schimmernde Ägäis füllen können.

Aristoteles durfte nie erfahren, dass eine seiner Töchter nicht nur lernte, bei einem förmlichen Dinner anmutig am Tisch zu sitzen, sondern auch, mehrere Angreifer gleichzeitig allein mit den Spitzen ihrer Finger unschädlich zu machen.

Er hatte ihr nie verziehen, dass sie mit einem Makel geboren war. Melody war blind und daher nutzlos für ihn – außer als Waffe gegen alle, die sie liebten.

Melodys früheste und glücklichste Tagträume darüber, was sie mit den todbringenden Fähigkeiten anfangen würde, die sie erlernte, konzentrierten sich sämtlich darauf, die Welt von Aristoteles zu befreien.

Denn das hatte er definitiv verdient.

Ihre ältere Schwester Calista jedoch hatte ihren Vater in den Griff bekommen. Calista war perfekt genug für Aristoteles. Sie hatte sich im Familienunternehmen zu seiner rechten Hand hochgearbeitet, mit dem Ziel, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Und tatsächlich hatte sie ihn blamiert und gedemütigt. Sie hatte dafür gesorgt, dass er erst aus seinem eigenen Vorstand und dann, vor zwei Tagen, kurzerhand auch als Geschäftsführer entlassen wurde.

Melodys Ansicht nach war das eine weit weniger elegante, saubere und emotional befriedigende Lösung, als jemanden umzubringen.

Vor allem, da nun wiederum sie den Preis für seine Demütigung zu zahlen hatte.

Allerdings hatte besagter Preis durchaus seine Vorzüge, das musste sie zugeben.

Denn seit heute Abend hatte sie ein neues Zielobjekt für ihre Mordgelüste: seine Königliche Hoheit Prinz Griffin von Idylla. Da ihre Schwester Calista am Abend zuvor seinen Bruder König Orion geheiratet hatte, war der Prinz seit Neuestem ihr Schwager.

Das allein war schon schlimm genug, und Melody hatte immer noch Schwierigkeiten zu begreifen, was der sexbesessene und zügellose Griffin außerdem war. Für sie persönlich.

Denn es war alles so schnell gegangen. Schwindelerregend schnell.

Calista war Königin geworden und der König hatte sie unter allgemeinem fröhlichem Jubel entführt, als die Palastuhr Mitternacht schlug, der Heilige Abend vorüber war und der 1. Weihnachtstag begann. Es herrschte allgemeine Hochstimmung, wie es sich für die traditionelle, arrangierte Hochzeit eines Königs von Idylla ziemte. Doch Melody wusste, bei dieser Hochzeit gab es auf beiden Seiten tiefe und aufrichtige Gefühle.

Schon nach wenigen Augenblicken in Orions und Calistas Gegenwart spürte man, dass sie einander anbeteten. Es war wie im Märchen. Eine Freude für das gesamte Königreich, Balsam für ein Land, das der schmutzigen, skandalösen Eskapaden des Vorgängers Orions, des durch und durch verdorbenen Königs Max, überdrüssig war.

Orion hatte, lange bevor er den Thron bestieg, versprochen, während seiner Regierungszeit werde es keine Skandale geben.

Als nach der Hochzeit eine Palastdienerin kam, um sie hinauszugeleiten, nahm Melody an, man würde sie nach Hause bringen. Dort wartete ihr Vater zweifellos ungeduldig, um sich die Hochzeitsfeier detailliert schildern zu lassen und Melody dann dafür zu bestrafen, dass sie daran teilgenommen hatte. Sie freute sich schon darauf, denn nichts tat sie lieber, als sich mit ihrem Vater ein Wortgefecht zu liefern. Er nahm stets an, der Schlaueste im Raum zu sein, war aber für so ein Gefecht beklagenswert schlecht gerüstet.

Statt nach Hause wurde Melody in eine Palastsuite gebracht, was sie als ganz angenehm empfand, bis sie merkte, man hatte sie eingeschlossen. Und dann tauchte am nächsten Morgen auch noch ihre Schwester nach ihrer wahrscheinlich glückseligen Hochzeitsnacht auf und machte ihr eine Ankündigung.

„Ich will nur sicherstellen, dass du frei bist, Melody“, erklärte Calista ihr beim Frühstück. Ihr strenger Tonfall zeigte, dass sie ihre neue Rolle ein wenig zu eifrig annahm, wie Melody fand. Sie saßen in einem sonnendurchfluteten Salon der Privatgemächer. Melody lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, in den Händen eine Tasse Kaffee – schön stark, wie sie ihn bevorzugte –, und wandte ihr Gesicht der wärmenden Sonne entgegen.

„Bist du sicher? Für mich hört es sich eher an wie ein königlicher Erlass, Majestät.“

„Es ist beides.“

Calistas Tonfall war wie immer: angespannt, schwesterlich und zutiefst besorgt. Melody hatte es nie übers Herz gebracht, ihr zu gestehen, dass sie ihr Leben viel mehr genoss als irgendjemand sich vorstellen konnte – auch Calista nicht, die ihr, im Gegensatz zu allen anderen, so viel Liebe entgegenbrachte, dass Melody ihr die unnötige Sorge verzieh. Ihre Lebensfreude entsprach nicht der Vorstellung, die man allgemein vom Leben einer Blinden hatte, das war Melody klar. Sie hatte gelernt, es für sich zu behalten.

„Ich bin dir natürlich dankbar, dass du mir helfen willst“, sagte Melody nun. „Aber ich brauche deine Hilfe nicht. Und du solltest dir wegen so etwas keine Sorgen machen, Calista. Heute ist der erste Tag deines neuen Lebens als Königin. Ganz zu schweigen davon, dass Weihnachten ist.“

„Das ist mir klar“, erwiderte Calista mit etwas sanfterer Stimme. „Und ich verspreche dir, sobald ein paar praktische Dinge geklärt sind, feiern wir so wie jedes Jahr.“

„Ach, du meinst, wie jedes Jahr rennt Vater betrunken und brüllend durchs Haus, und wir anderen ducken uns ängstlich weg bis Januar?“ Melody lachte. „So verlockend das klingt, vielleicht ist es an der Zeit, mit dieser Tradition zu brechen.“

„Aber heute Abend ist der Weihnachtsball“, fuhr Calista umso beharrlicher lauter fort. Melody musste zugeben, es machte ihr Spaß, so gelassen und unbeteiligt wie möglich zu bleiben, gerade weil ihre große Schwester das offensichtlich so ärgerte. „Und ich möchte dir etwas schenken, das niemand, schon gar nicht Vater, dir je wegnehmen kann.“ Dass Melody dieses Geschenk gar nicht haben wollte, tat nichts zur Sache.

„Ich glaube, dann nehme ich es lieber mit Vaters Launen auf“, erwiderte Melody, als Calista ihr eröffnete, was sie von ihr wünschte.

Oder vielmehr, was sie, als Königin, Melody zu tun befahl.

„Das ist eine schlechte Idee“, antwortete Calista. „Wenn du nach Haus zurückkehrst, steckt Vater dich in eine dieser Einrichtungen, mit denen er dir schon seit Jahren droht. Das ist, als gingest du ins Gefängnis, Melody! Und wahrscheinlich wird er dich da nie mehr rauslassen, hörst du?“

„Hören kann ich sehr gut, Calista. Wie du wohl weißt.“

Doch die frischgebackene Königin hatte entschieden, und so fand Melody sich in den Armen Prinz Griffins wieder. Idyllas sogenannter charmanter Schurke führte sie nun in einem nicht enden wollenden und quälend förmlichen Tanz durch den Großen Ballsaal des Palastes.

Prinz Griffin, dem, im Gegensatz zu seinem Vater, die vielen Sünden und Verfehlungen vergeben wurden, weil alle ihn, aus für Melody unerfindlichen Gründen, so umwerfend fanden.

Prinz Griffin, der erklärt hatte, er wolle ein neues Kapitel aufschlagen, um seinen Bruder während der Krönungsvorbereitungen besser unterstützen zu können, sich dann aber damit reichlich Zeit gelassen hatte.

Prinz Griffin, das neue Zielobjekt ihrer Mordgelüste.

Und zu ihrem Schrecken seit etwa einer Stunde auch ihr Ehemann.

Melody hatte erwogen, ihm vorm Altar ein Messer in den Rücken zu rammen. Das wäre doch schön dramatisch gewesen. Prinz Griffin war landesweit für sein Lotterleben und seine Vergnügungssucht bekannt, doch fehlte ihm das Interesse an wohltätigen Aktivitäten. Mit denen wurden an Königshäusern üblicherweise die Konsequenzen der erstgenannten Freizeitbeschäftigungen verschleiert. Melody gegenüber verhielt der Prinz sich jedoch so, als brauche sie Schutz.

Sie hätte ihn nur zu gern von diesem Irrtum befreit, doch auch das war ihr verboten worden, durch einen weiteren königlichen Befehl.

„Das ist doch absurd“, schimpfte Melody, während sie tapfer in einem der unzähligen Salons des Palastes stand, ohne sich zu rühren. Sie hatte sich einer Phalanx von Schneiderinnen unterworfen, die sie in ein Kleid zwängten und nun an ihr herumzupften und -zerrten und sie mit Nadeln traktierten. Sie hatte dieses Kleid nicht anziehen wollen, vor allem nicht nach diesem übertrieben steifen Weihnachtslunch, durch den sie sich hindurchgekämpft hatte. „Ich brauche und will keinen Schutz. Weder von Prinz Griffin noch von irgendjemand anderem.“

Ihre Schwester und ihr frisch Angetrauter hatten es sich im Salon bequem gemacht, anscheinend noch ganz benommen vom üppigen Essen, vielleicht auch von ihrer eben erst erlebten Zeit der Zweisamkeit.

Melody wusste, ihre knallharte, immer professionell wirkende Schwester war unheimlich prüde und hoffte, Melody würde ihre körperliche Glückseligkeit nicht bemerken. Doch diese nahm sehr wohl den klebrigen, süßen Duft wahr, der sich im gesamten Raum ausbreitete und zur hohen Decke hinaufstieg. Und über dem Gemurmel der boshaften Schneiderinnen mit ihren grausamen spitzen Nadeln hörte sie ein wiederholtes Rascheln vom Sofa her, auf dem das Königspaar saß. Woraus sie schloss, die beiden gingen auf Tuchfühlung – vielleicht mehr, als es der Palast seit geraumer Zeit gesehen hatte.

„Ich weiß, du brauchst keinen Schutz“, antwortete Calista, und Melody hörte sie dabei förmlich mit den Augen rollen. „Aber es geht hierbei nicht um dich.“

„Ach so, ich werde zu einer Hochzeit gezwungen und es geht dabei nicht um mich?“ Melodys Frage war natürlich rein rhetorisch. „Und ich dachte schon, es sollte die Erfüllung meines Traums sein, endlich eine Prinzessin zu werden. Nicht dass ich je davon geträumt hätte, damit das klar ist.“

Sie hörte, wie ihre Schwester seufzte und der König sich anders hinsetzte.

Orion war von einem anderen Schlag als Melodys Vater und auch als sein eigener Vater. Sonst hätte das Volk ihn nicht so begeistert als König begrüßt, nicht nach all den Vergehen von König Max dem Schrecklichen, der über die unweigerlich in der Boulevardpresse erscheinenden Berichte nur lachen konnte. Dass Orion sich selbst – und alles andere – voll unter Kontrolle hatte, war deutlich spürbar und ein vertrauenerweckender Wesenszug für einen König.

Da Melody selbst ihr Leben lang geübt hatte, sich körperlich und geistig unter Kontrolle zu haben, musste sie ihn einfach bewundern.

„Deine Schwester hat mir unterhaltsame Geschichten über deine vielen Fähigkeiten erzählt“, sagte Orion, und Melody verspürte das erstaunliche Bedürfnis, ihm die angemessene Ehrerbietung zu erweisen. Das war allerdings nicht möglich, denn sie musste weiter stillstehen, damit die Schneiderinnen an ihr herumzupfen und -piksen konnten. Sie war überrascht von ihrem Drang, einen Knicks zu machen. Zum ersten Mal im Leben fühlte sie sich eindeutig als Patriotin. „Und ich bin sehr erfreut, dass mein Bruder eine so bemerkenswerte Frau heiratet. Aber du solltest eines über Griffin wissen.“

Doch Melody war sich sicher, sie wusste genug über Prinz Griffin. Der Zweitgeborene war nicht in die Fußstapfen des Thronfolgers getreten. Griffin hatte immer Spielhallen, die Betten nicht standesgemäßer Frauen und jegliches andere ihm zugängliche Vergnügen vorgezogen. Und als Teil des Königshauses war ihm fast alles zugänglich. Er war nicht der Typ Mann, der schwer zu durchschauen war. Schon lange bevor sie ihn überhaupt kennenlernte, fand Melody seine stadtbekannten Eskapaden langweilig.

Ihrer Schwester hätte sie das nur allzu gern gesagt, doch Orion war nicht nur der König, sondern auch Griffins Bruder. Also hatte sie, ganz untypisch für sie, höflich den Mund gehalten.

„Er hat immer schon eine gewisse Rolle gespielt, vor allem gegenüber Frauen“, erklärte der König, und irgendwie schaffte Melody es, nicht unhöflich loszuprusten. Eine gewisse Rolle spielen war eine freundliche Umschreibung für das Treiben eines reuelosen Casanovas, der den größten Teil seines Lebens damit verbracht hatte, Frauenherzen zu erobern. „Aber bei dir ist er … anders.“

Das war er wirklich, aber nicht aus den Gründen, die Orion wahrscheinlich im Sinn hatte. Melody hatte sich immer schon einen Spaß daraus gemacht, schreckhaft zu wirken und so zu tun, als würde sie zu Staub zerfallen, sobald jemand ihr Aufmerksamkeit schenkte. Es verschaffte ihr große Befriedigung, sich von Menschen, die sie mit Leichtigkeit hätte zu Krüppeln machen können, von hinten und vorne bedienen zu lassen, als wäre sie sogar zu schwach, sich ohne Hilfe hinzusetzen. Mit anderen Worten: Es hatte ihr immer Vergnügen bereitet, das hilflose Mäuschen zu spielen.

Bei ihrer ersten Begegnung mit Prinz Griffin hatte sie sich ganz selbstverständlich so verhalten, als versetze seine bloße Anwesenheit sie in Angst und Schrecken. So, als ob ihre Blindheit sie schüchtern und unterwürfig machte.

Melody hatte es sehr genossen, unterschätzt zu werden.

Bis jetzt.

„Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du meinen Bruder im Glauben ließest, dass er dich wirklich beschützen kann. Nicht, weil du Schutz benötigst, sondern weil ich glaube, ihm würde dieses Gefühl guttun.“ Orion seufzte. „Ich bitte dich nicht als dein König darum, sondern als sein Bruder.“

Wie konnte Melody sich dieser Bitte widersetzen?

Wenn es sie auch Mühe gekostet hatte, sich zurückzuhalten, sie hatte Prinz Griffin nicht vorm Altar erstochen. Nein, sie hatte sogar gelächelt – wenn auch ängstlich, wie die Frau, für die der Prinz sie hielt, lächeln würde. Dabei vermied sie es normalerweise, in der Öffentlichkeit zu lächeln. Ihr Vater hatte sie immer wieder angefahren und von ihr verlangt, öfter zu lächeln, also hatte sie es sich natürlich zur Aufgabe gemacht, es so selten wie möglich zu tun.

Als Prinz Griffin sie schließlich in den Ballsaal führte, spielte sie seine vermeintlich unterwürfige und überglückliche Ehefrau. Das Objekt seiner Barmherzigkeit.

Es war der längste, seltsamste 1. Weihnachtstag, den Melody je erlebt hatte. Fast sehnte sie sich zurück nach den Weihnachtsfesten, wie sie in der Familie Skyros begangen wurden. Auf Idylla war es üblich, sich erst am zweiten Weihnachtsfeiertag zu beschenken. Am ersten Weihnachtstag gab es traditionell Brot, Walnüsse und Schwein oder Lamm. In Melodys Familie war es eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ihre Mutter darauf bestand, dass Melodys Vater die Existenz seiner Tochter zur Kenntnis nahm. Die Folge davon war ein langes, nervenaufreibendes, unerquickliches Essen, das ihnen allen Verdauungsprobleme bescherte. Man konnte sich darauf verlassen, dass mindestens ein Familienmitglied in Tränen ausbrechen würde und die Mahlzeit mit Drohungen und zerbrochenem Porzellan endete.

All das hört sich im Vergleich zu dem hier wie ein liebliches Weihnachtslied an, dachte Melody, als sie dem König, dem Hof und dann dem Volk als neue Prinzessin des Königreichs vorgestellt wurde.

Dann folgte das endlose Tanzen.

„Du machst das bemerkenswert gut“, lobte der Prinz sie, als er mit ihr eine Walzerrunde nach der anderen drehte.

Melody war sich all der Augenpaare, die auf sie beide gerichtet waren, nur allzu bewusst. Und sie nahm das unter der Musik hervorzüngelnde Gemurmel, Geflüster und gedämpfte Lachen der hier versammelten Adeligen Idyllas wahr. Diese suchten sich mit dem davor Undenkbaren zu arrangieren: Ihrer aller Lieblingsprinz hatte die körperlich beeinträchtigte, ausgestoßene, schon allein wegen ihrer beträchtlichen Makel skandalösen Tochter der ohnehin schon höchst fragwürdigen Familie Skyros geheiratet. Gut, Calista hatte etwas aus sich gemacht. Doch Aristoteles war der Schandfleck des Königreichs, darüber waren sich alle einig – bis sie Geschäfte mit ihm machen wollten.

Nun, mit dem schlechten Ansehen der Familie war es jetzt vielleicht vorbei. Man sah einen Silberstreif am Horizont.

Melody fand Tanzen albern. Kämpfen bereitete ihr viel mehr Freude und es war auch viel effektiver. Doch das einfältig lächelnde, verletzliche und überwältigte Geschöpf, das sie heute Abend spielte, würde so etwas niemals denken. Und es hätte auch gar nicht die Fähigkeit zu kämpfen, ermahnte sie sich selbst.

„Hoffentlich blamiere ich dich nicht“, flüsterte sie nun mit zitternder Stimme zum Prinzen. In diesem Tonfall redete sie auch gern in Gegenwart ihres Vaters, vor allem, weil es ihre Schwester zum Lachen brachte. Gleichzeitig machte es ihren Vater rasend vor Wut, mit solch einer Tochter gestraft zu sein. „Ich fände es unerträglich, dich zu blamieren“, wisperte sie.

Prinz Griffin war groß. Seine breite Schulter, auf der ihre linke Hand ruhte, fühlte sich bemerkenswert fest an. Genauso fest waren seine Lippen gewesen, als er sie nach der Trauungszeremonie rasch und flüchtig geküsst hatte. Seine linke Hand umschloss ihre Finger zugleich kraftvoll und sanft. Die andere Hand lag flach auf ihrem Rücken und sandte bei jedem Tanzschritt Hitzewellen durch Melodys Körper.

Vor Jahren, als sie noch Teenager waren, hatte Calista ihr stundenlang alle möglichen Mitglieder der höfischen und aristokratischen Kreise beschrieben, in denen sich ihre Familie bewegte. Sie schilderte Melody jede einzelne Persönlichkeit in bunten Farben. Melody wiederum machte sich ihr eigenes Bild von ihnen, je nachdem, welche Präsenz sie ausstrahlten, wie sie atmeten, sich bewegten und wie sie rochen. Calista hatte ihr schon vor langer Zeit ausführlichst Prinz Griffins verruchten Blick und unanständig sinnlichen Mund beschrieben, doch das wäre gar nicht nötig gewesen, denn Melody spürte all das an der Art, wie er sich gab. Und wie er sprach, mit voller, tiefer Stimme, die – was merkwürdig war – sie irgendwie elektrisierte.

Melody wusste nicht, was sie davon halten sollte.

„Du könntest mich gar nicht blamieren“, erwiderte Prinz Griffin galant. „Ich habe mich in den letzten Jahren schon mehr als genug selbst blamiert.“

Und während ein Teil von Melody am liebsten darüber gelacht hätte, war ein anderer Teil dabei, zu … erbeben, tief im Inneren, wo dieses elektrisierende Pochen immer stärker zu werden schien.

Es war fast beängstigend.

Das Orchester spielte noch immer, und wie es Tradition und althergebrachtes königliches Protokoll verlangten, mussten die Frischvermählten bis zum bitteren Ende tanzen. Und zwar vor aller Augen, damit ganz Idylla sich ein eigenes Bild vom Paar machen konnte, bevor die Boulevardpresse sich am nächsten Morgen das Maul über beide zerriss.

Als Tochter eines Medienmagnaten, der lange Zeit Klatschzeitungen herausgegeben und diese ganz selbstverständlich als Mittel genutzt hatte, seine Feinde und Rivalen in den Schmutz zu ziehen, machte Melody sich auf einen gewaltigen Medienrummel gefasst. Am Morgen des zweiten Weihnachtstags, wenn die gesamte Insel zu Hause hockte, Geschenke auspackte und sich mit Essen vollstopfte, würde man in Ruhe alles in den Medien verfolgen und sich ein Urteil bilden.

Der Ball war endlich vorbei. Zum Glück.

Doch Prinz Griffin ließ Melodys Hand nicht los. Stattdessen legte er sie in seine linke Armbeuge, eine höfische Geste, über die Melody sich eigentlich hätte ärgern müssen. Und das tat sie auch, wie sie sich selbst versicherte. Man brauchte sie nicht hinauszuführen wie eine Invalidin! Sie nahm nur selten einen Blindenstock zu Hilfe – und wenn, dann nur um der Außenwirkung willen. Durch das jahrelange Kampfkunsttraining hatte sie ihre anderen Sinne und ihr Raumgefühl verfeinert, und ihr gefiel die Gewissheit, dass sie sich genauso anmutig wie jede andere Dame Idyllas bewegen konnte.

Melody rief sich ins Gedächtnis, dass es bei ihrem Vortäuschen von Schwäche heute Abend nicht um sie ging, sondern um den Mann an ihrer Seite, dem der König unter die Arme greifen musste. Den Mann, für den der Bruder nicht nur eine Ehe arrangierte, sondern auch die frisch angetraute Ehefrau dazu brachte, ihm etwas vorzuspielen. Zu seinem eigenen Wohl.

Bei diesem Ausdruck regte sich ein leichtes Unbehagen in Melody. Sie kannte das Gewicht von „zu deinem eigenen Wohl“ besser als die meisten anderen Menschen. Es hatte sie den größten Teil ihres Lebens zu erdrücken gedroht.

Aber Prinz Griffin ist ein Fremder, rief sie sich in Erinnerung. Sie hatte nur getan, was von ihr verlangt wurde. Er war der Bruder des Königs, sie jedoch war nichts weiter als dessen Untertanin.

Dieser Gedanke vertrieb zwar nicht das unbehagliche Gefühl in ihrem Bauch, milderte es jedoch etwas ab.

Der Abend zog sich hin. Griffin blieb an ihrer Seite, also musste Melody wohl oder übel weiterlächeln. Einfältig lächeln. Und weiterhin so tun, als sei sie überwältigt von ihrem bemerkenswerten sozialen Aufstieg.

In Wirklichkeit jedoch fand sie das alles sehr … unterhaltsam: diesen Fremden, diesen ihr aufgezwungenen Ehemann, der sich benahm, als bräuchte sie ihn, damit er sie umsorgen konnte, und all die Frauen, die ihn umschwirrten – unter dem Vorwand, ihm zu seiner Eheschließung zu gratulieren.

Melody nahm sehr wohl wahr, dass sie nur ihm gratulierten, nicht ihr. Sie alle schienen von dem gleichen, weit verbreiteten Leiden befallen zu sein: Da Melody sie nicht sehen konnte, nahmen sie an, sie könne sie auch nicht hören.

In Duftwolken kamen sie auf ihn zu, ihre Stimmen triefend vor Gier und Arglist. Und an Melody richteten sie sich ausschließlich mit purer Verachtung.

„Ich freue mich außerordentlich für Sie, Königliche Hoheit“, säuselten sie den Prinzen an. „Aber der Gedanke ist schwer zu ertragen, dass Sie nun nicht mehr auf dem Markt sind.“

„Meinen Sie den Bauernmarkt?“, fragte Melody dann scheinbar unschuldig und versuchte dabei, einen Punkt ganz knapp neben der jeweiligen vor ihr stehenden Frau anzustrahlen.

Der schönste Moment bei all dem war wohl, nach so einer einfältigen Bemerkung einfach dazustehen und die Reaktionen um sich herum wahrzunehmen.

Oh ja, sie genoss es.

Aus freiem Willen hätte sie nie geheiratet. Doch nun, da sie dazu gezwungen worden war und König Orion ihr befohlen hatte, eine Rolle zu spielen, fand Melody die ganze Angelegenheit weitaus amüsanter als gedacht – bis die Trompeten losschmetterten und sie nun an der Reihe war, von ihrem königlichen Ehemann aus dem Ballsaal geführt zu werden.

Melody hätte sich gern ausgiebig bei ihrer Schwester beschwert, denn niemand sonst kannte sie gut genug, um ihr zuzuhören, ohne sie zugleich zu bedauern. Doch die Königin hatte keine Zeit für die Quengelei ihrer Schwester, und so musste Melody ihre Gefühle für sich behalten und sich dem letzten Akt des königlichen Hochzeitsrituals hingeben.

Sie fand diesen speziellen Teil einer traditionellen königlichen Hochzeit auf Idylla hochnotpeinlich. Alle standen um sie herum und feuerten den Bräutigam an, als er seine frisch angetraute Ehefrau wegführte zum vermeintlichen Happy End.

Gemeint war damit das Brautbett.

Melody hatte das ganze seltsame Getue rund um Sex nie verstanden. Bei einer königlichen Hochzeit taten alle so, als handele es sich dabei um höfische Umgangsformen. Oder um eine Zeremonie. Oder um die Tradition an sich, als müssten alle für alle Zeiten etwas tun, nur weil es seit Langem so gemacht worden war.

Aber schlussendlich ging es bei diesem ganzen Theater doch nur um Sex. Es ging immer nur um Sex. Und es amüsierte Melody ungemein, dass sie die Einzige zu sein schien, die das bemerkte.

Prinz Griffin zog sie mit sich, und da sie das nicht kommentieren durfte, hatte sie keine andere Wahl, als es zuzulassen.

Und plötzlich war da nur noch er, auf den sie sich konzentrieren konnte. Diese Erkenntnis erfasste sie wie eine Welle, ob sie wollte oder nicht.

Er fühlte sich heiß an. Viel zu heiß. Er hatte ihr wieder eine Hand auf den Rücken gelegt und Melody wünschte, er würde sie wegnehmen, denn es war viel zu … verwirrend. Es brachte sie aus dem Konzept.

Das liegt bestimmt nur daran, dass wir eine Treppe hochgehen, redete sie sich ein. Nur deshalb wird mir immer heißer. Doch ganz tief im Inneren, tief in ihrem Bauch, spürte sie ein archaisches Frohlocken, wie sie es nicht für möglich gehalten hätte.

Er bewegte sich mit einer betonten Gelassenheit, die ein feines Kribbeln in ihrem Nacken hervorrief. Doch sie durchschaute ihn: Er … zügelte sich. Unter der Oberfläche schlummerte etwas anderes, das spürte sie ganz deutlich.

Mit festem, doch sanftem Griff hielt er sie an der Hand, als brauchte sie Hilfe, um sich in den Weiten der leeren, glänzenden Marmorkorridore zurechtzufinden. Sie bemerkte erfreut, dass er keinen Small Talk machte. Die ungewohnte Aufgewühltheit in ihr steigerte sich zu einem Glühen. Denn der Prinz Griffin, den alle kannten, ließ keinen Moment verstreichen, ohne ihn mit dem Klang seiner eigenen Stimme zu füllen. Jeder wusste das. Notorische Charmeure waren selten schüchtern und zurückhaltend.

Nicht dass sie den wahren Prinz Griffin, wer auch immer er war, für schüchtern hielt. Sein Schweigen rührte von etwas anderem her. Es strahlte Selbstsicherheit aus.

Sie spürte es an der Art, wie er sie führte: mit einer Leichtigkeit, als hätte er den Großteil seines Lebens damit verbracht, sein Tempo dem ihren anzupassen und sie dorthin zu manövrieren, wo er sie haben wollte. Und als wäre dies nicht die erste Nacht, in der er das getan hätte. Es fühlte sich so natürlich an, fast war es, als führte sie ihn und nicht er sie.

Melody begriff, mit diesem Mann war nicht zu spaßen.

Doch sie konnte diese blitzartige Erkenntnis nicht mit der Tatsache in Einklang bringen, dass er Prinz Griffin war, also schob sie den Gedanken beiseite und tat so, als glühten ihre Wangen nur vom langen Gehen in der schweren Robe, weiter nichts.

Statt sie in die Gästesuite zu bringen, in der man sie nachts zuvor eingeschlossen hatte, schlug er eine vollkommen andere Richtung ein. Und da es sie zu sehr verwirrte, auf ihn zu achten, konzentrierte sie sich lieber auf den Weg, den sie gingen. Einen langen Gang hinunter, dann nach links. Eine Treppe hinunter, dann hinaus in einen Innenhof. Dort plätscherte ein Springbrunnen. Das Geräusch des Wassers wurde von den Wänden reflektiert.

Sie erinnerte sich: Prinz Griffin bewohnte keinen Palastflügel wie sein Bruder, sondern hatte sein eigenes Wohnhaus am anderen Ende des Palastgeländes.

In dieser Dezembernacht war es kühler als sonst üblich auf Idylla, doch Melody spürte beim Gehen, wie die Luft in regelmäßigen Abständen von Hitzewellen erwärmt wurde. Diese kamen zweifellos von Heizstrahlern. Man konnte doch von königlichen Herrschaften nicht erwarten, sich den Widrigkeiten des Wetters auszusetzen!

Melody hätte am liebsten darüber gelacht, doch sie tat es nicht, denn ihr wurde bewusst, dass auch sie nun zu diesen königlichen Persönlichkeiten gehörte, ob es ihr gefiel oder nicht.

Dann waren sie wieder drinnen. Das ist wohl sein Haus, dachte sie. Und nun auch meines. Es roch nach ihm oder nach etwas, das sie mit ihm verband. Es war ein schwerer, intensiver Duft. Um sich herum nahm sie Wände wahr – zuerst die einer Eingangshalle, dann die eines Zimmers. Er ging mit ihr zu einer Couch, führte ihre Hand zur Lehne und lud sie ein, sich zu setzen. Melody ließ die Finger über die breite Armlehne gleiten, die mit dickem, weichem Leder bezogen war. Dann sank sie langsam auf die Sitzfläche und breitete den weiten Rock ihres Kleides aus.

Und dann lauschte sie.

Ihr Ehemann bewegte sich fast lautlos. So leise, dass sie ihn umso bewusster wahrnahm – was sie wieder erschauern ließ. Sie spürte, wie er im Raum umherstrich, und er war jetzt anders. Abseits der Menschenmenge, flüsterte etwas in ihr.

War dies der Ort, an dem Prinz Griffin ganz er selbst war? Was auch immer das heißen mochte.

Das elektrisierende Gefühl tief in ihrem Inneren setzte wieder ein und entfachte ein Feuer. Hitzewellen durchströmten sie und ließen ihren ganzen Körper erbeben. Am liebsten wäre sie aufgesprungen, um irgendwie die Hitze zu vertreiben.

Stattdessen ermahnte sie sich, geduldig zu sein. Dies war nicht der Ort, an dem sie ganz sie selbst sein konnte. Sie durfte nur die ihr vorgeschriebene Rolle spielen.

Melody senkte den Kopf und hörte, wie ihr überraschend beeindruckender Prinz – ihr Ehemann, Gott bewahre! – sich einen Drink einschenkte. Und einen für mich, korrigierte sie sich, als sie ein zweites Mal das Klirren von Eiswürfeln in schwerem Kristall hörte.

Und tatsächlich war er bald wieder neben ihr und drückte ihr ein kühles Trinkglas in die Hand.

„Ich dachte mir, wir könnten jetzt beide einen Schluck Whiskey gebrauchen.“ Seine Stimme war jetzt rau und tief und hatte so gut wie keine Ähnlichkeit mit dem kultivierten, charmanten, sorglosen Tonfall, den er im Ballsaal angeschlagen hatte, als all die Frauen um seine Aufmerksamkeit buhlten.

Es war faszinierend. Er war faszinierend.

Melody spürte, wie sie rot wurde.

„Ich möchte, dass du dich hier wohlfühlst“, sagte Griffin mit immer noch rauer Stimme, in die sich nun ein förmlicher Unterton mischte. „Und du hast nichts von mir zu befürchten. Ich werde nicht auf irgendwelche … ehelichen Rechte bestehen.“

Die Röte auf Melodys Wangen vertiefte sich. Sie fand, im 21. Jahrhundert eheliche Rechte überhaupt zu erwähnen, bot Anlass zur Empörung. Aber sie hütete sich, das zu sagen.

Wenn etwas sie empörte, dann dass er anscheinend beschlossen hatte, seine eigene Frau verdiene nicht seine berühmte sexuelle Aufmerksamkeit. Dabei warf er damit gewöhnlich um sich wie mit Konfetti. Und er fragte sie nicht einmal, ob sie vielleicht in den Genuss der einzigen Sache kommen möchte, in der er nach allgemeiner Meinung überhaupt gut war.

„Warum nicht?“, wollte Melody wissen. Schnell riss sie sich wieder zusammen und bemühte sich, Unschuld auszustrahlen, in der Hoffnung, dabei nicht zu verkniffen zu wirken. „Verzeih mir, wenn ich die Situation vielleicht missverstehe, in der wir uns hier befinden, aber ich dachte, der Sinn und Zweck dieser königlichen Hochzeiten mit dem ganzen Protokoll und Theater um Stammbäume und Geschichte sei einzig und allein Sex?“

2. KAPITEL

Er starrte auf sie hinunter und versuchte aus der Frage schlau zu werden, die zwischen ihnen in der Luft hing und sich in seinem ganzen Arbeitszimmer ausbreitete. Am beunruhigendsten war: Die Frage traf ihn sozusagen genau an der Stelle zwischen den Beinen, die offenbar schon beschlossen hatte, sich von Melody heftigst angezogen zu fühlen.

Griffin war entsetzt über sich selbst, weil dies einmal mehr bewies: Er war mehr Monster als Mann.

Lady Melody Skyros war nicht nur eine wohlerzogene Adlige, die seinen Respekt und seine Fürsorge verdiente. Sie war keines der süßen jungen Dinger Idyllas, deren Mütter vorteilhafte Ehen arrangierten, während ihre Väter um Macht und Einfluss wetteiferten. Außerdem war sie blind. Sie zu heiraten war ein Akt der Großzügigkeit, und die Palast-Insider glaubten, Prinz Griffin werde sich damit in den Augen der Bevölkerung auf einen Schlag rehabilitieren. Mit anderen Worten: Sie war seine Rettung.

Griffin wollte nicht an Sex denken. Nicht an Sex mit ihr. Nicht in ihrer Nähe.

Sein flatterhaftes Verhalten gehörte der Vergangenheit an. Melody war seine Zukunft. Die Vergangenheit war lasterhaft, ganz nach seinem Geschmack, die Zukunft jedoch – das hatte er seinem Bruder versprochen – würde makellos sein. Man konnte Griffin vieles nachsagen, doch sein Wort hielt er. Immer. Und wenn er nicht aufpasste und in Gegenwart dieser Frau, die er kaum kannte und die für immer zu ihm gehören würde, an Sex dachte, wurde es zu schwierig, zu ignorieren, wie wunderschön sie war. Unglaublich, umwerfend schön – auf eine Art, die, wenn er es zuließ, zu unangebrachten und von nun an verbotenen Reaktionen bei ihm führen konnte. Er hatte Orion versprochen, diese Zeiten seien vorbei.

Und das waren sie wirklich, wie er sich versicherte. Es ging hier um Orions untadelige Zukunft, und Griffin hatte geschworen, seinen Teil dazu beizutragen.

„Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden“, gelang es ihm zu sagen, während er sein Whiskeyglas umklammerte.

„Sex, woraus die erwarteten Thronfolger entstehen, meinte ich natürlich“, sagte Melody mit der süßen Stimme, die zu ihrem Namen passte. „Ich habe gehört, jeder auf Idylla, der auch nur ein wenig blaues Blut hat, denkt an nichts anderes als an Nachkommen.“

Griffin hustete und zwang sich, den Blick abzuwenden. Er setzte sich in den Sessel ihr gegenüber, um etwas mehr Distanz zu bekommen. Das machte es nicht besser, ihm bot sich immer noch der gleiche wunderschöne Anblick.

Lady Melody galt weithin als Schandfleck der Familie Skyros – auch wenn sie selbst nichts getan hatte, das ihrer Familie Schande bereiten könnte. Nein, es war lediglich ihr sichtbarer Makel, der ihren Vater tief in seiner Ehre kränkte. Ein Kind dieser Insel hatte körperlich perfekt zu sein! Vor allem, wenn es verwandt war mit dem Widerling Aristoteles Skyros, der mit dem Mythos der Schönheit von Idyllas Bevölkerung sein Geld verdiente.

Ein Mythos, den seine Medien aufrechterhielten, während er seine blinde Tochter wegsperrte und nur hervorholte, wenn es absolut unvermeidbar war.

Es hatte immer Gerüchte über die jüngere Skyros-Tochter gegeben. Eines dieser Gerüchte besagte viele Jahre, die zweite Tochter des Snobs Aristoteles sei ein Monster, das er im Keller angekettet habe.

Ihre Schwester Calista hatte schon von klein auf in der Öffentlichkeit gestanden, war in die Fußstapfen des Vaters getreten und im Familienimperium der Skyros aufgestiegen. Und dann hatten Aristoteles und der ehemalige König Max, mächtig, wie sie waren, die Ehe von Calista und Orion arrangiert.

Es war, als müsse Calista umso heller strahlen – bis hin zum Thron –, um von den Gerüchten über das missgebildete, im Dunkel der Nacht wütende Monster abzulenken. Sogar als bei den vielen Bällen vor Calistas „Weihnachts-Hochzeit“ jeder sehen konnte, Melody war weder deformiert noch ein Monster, ging das Gerede weiter. Das war natürlich absurd, aber Idylla war eine relativ kleine Insel und die Menschen hier hatten außer diesem Gerede kaum Abwechslung.

Griffin hatte vermutet, Melody sei vielleicht nicht so glanzvoll wie ihre ältere Schwester. Calista blitzte in vielerlei Hinsicht wie eine geschliffene Klinge. Jede andere Frau konnte im Vergleich nur fade wirken.

Doch heute war das Offensichtliche nicht zu leugnen: Melody war eine Erscheinung.

Er hatte sie ein-, zweimal in Ballsälen mit wenig Interesse von Weitem gesehen und lediglich einmal aus der Nähe. Das Gesicht umhüllt von welligem, blondem, langem Haar, kauerte sie auf einem Stuhl und schien sich unsichtbar machen zu wollen, während ihre Schwester sich auf ihre Rolle als Königin vorbereitete. Melody wirkte wie ein verängstigtes Kind. Dieses Bild von ihr hatte ihn während der letzten Woche begleitet, als immer klarer wurde, er musste seiner Pflicht jetzt nachkommen.

Griffin hatte dem Wunsch seines Bruders zugestimmt und eingewilligt zu heiraten, obwohl er es nie gewollt hatte. Das hieß nicht, dass er resigniert hatte. Nein, aber wenn er schon heiraten musste, warum dann nicht dieses jämmerliche Geschöpf? Das Opfer eines herrischen Vaters, das Objekt absurder Klatschgeschichten. Blind, missachtet, womöglich sogar missbraucht.

Er würde sie aufbauen, hatte er sich letzte Nacht noch großspurig gesagt. Er würde für sie sorgen. In ihrer Ehe würde es die Lügen nicht mehr geben, die sein Leben geprägt hatten. Und vielleicht würde er tief im Inneren nach all den Jahren der Bitterkeit etwas Milde finden. Vielleicht würde etwas erblühen statt zu welken. Vielleicht gab es sogar in ihm etwas Gutes.

Doch dann schritt seine Braut im langen Mittelgang der Großen Kathedrale am Arm seines Bruders auf ihn zu, viel zu anmutig für ein Objekt der Barmherzigkeit. Viel zu … leichtfüßig.

Er hatte erwartet, unter dem Schleier das verängstigte Kind wiederzufinden, das er unlängst gesehen hatte.

Stattdessen fand er … sie. Melody, flüsterte es in ihm.

Ihre golden schimmernde Haarpracht war mit aparten edelsteinbesetzten Kämmen hochgesteckt. Funkelnde Steine konnten ein gewöhnliches Gesicht interessant aussehen lassen. Melodys Gesicht jedoch war ohnehin schon wunderschön: herzförmig und mit Augen, die er sich – warum auch immer – trüb und irgendwie fremdartig vorgestellt hatte. Doch sie leuchteten blau wie sein geliebtes Meer. Ihr Hals wirkte anmutig und aristokratisch, und unter ihrem Kleid, das nicht aus Stoff, sondern aus Zuckerwatte gemacht zu sein schien, deutete sich ein schlanker, geschmeidiger Körper an.

Sie war wie eine Märchengestalt. Aber Griffin glaubte nicht an Märchen.

„Ich brauche keine Nachkommen“, brachte er nun über die Lippen, als er sich gefasst und an sein Gelübde erinnert hatte, diese Frau zu beschützen – auch vor ihm selbst. „Aus dem Grund hätte ich nicht zu heiraten brauchen.“

Und schon gar nicht brauchte er sich Zugang zu dem Mechanismus zu verschaffen, mit dem Nachkommen gezeugt werden.

Hätte es bei diesem Gespräch Zeugen gegeben, so wären sie höchst erstaunt gewesen. Der Prinz Griffin in diesem erbärmlichen Zustand! Allein in seinen Jahren beim Militär hatte er weitaus größeren Herausforderungen die Stirn geboten als einer schönen Frau, die über Sex reden wollte, den er ohnehin nicht mit ihr haben würde. Im Übrigen bevorzugte er es, Frauen scharenweise zu vernaschen, statt mit ihnen zu reden. Über Nachkommen.

Bis heute Abend hatte er geglaubt, keine Frau könne ihn überraschen. Und nun das.

„Das glaube ich nicht, Königliche Hoheit.“

Seine Frau schaffte es, diese sanft tadelnde Feststellung wie eine Frage klingen zu lassen. Sie hatte ihr Gesicht übers Whiskeyglas gebeugt, das sie mit ihren zarten Händen umschloss. Ihr Ringfinger wirkte winzig unter dem Ring, der einst Griffins Mutter gehört hatte. Es war nicht der Ring, den sein verhasster Vater seiner armen Mutter anlässlich ihrer arrangierten königlichen Hochzeit geschenkt hatte. Sondern ein Ring, so hatte sie ihm lange vor ihrem traurigen Ende erzählt, der in ihrer aristokratischen Familie von Generation zu Generation weitergegeben worden war. Er hatte einst seiner Urururgroßmutter gehört, der Herzensdame eines Prinzen aus dem damaligen Idylla.

Der Ring fühlte sich an wie ein Talisman. Als Orion verkündet hatte, Griffins Zeit sei jetzt gekommen, hatte dieser den Ring hervorgeholt. Ihm gefiel dessen Gewicht, in materiellem und emotionalem Sinne. Der Ring war ein unübersehbares Zeichen seiner Wertschätzung, die er dem Objekt seiner Barmherzigkeit angedeihen lassen konnte. Gleichzeitig schmückte er seine Frau und kennzeichnete sie als sein Eigen.

Gestern, an seinem letzten Abend als freier Mann, hatte er die Vorstellung genossen, wie der Ring ihren Finger zierte. Er war innerlich ganz ruhig geworden und hatte sich bereit gefühlt, fast schon begierig, dieses neue Kapitel aufzuschlagen – in welchem er eine neue Rolle spielen würde: die eines guten Menschen und nicht des Königreiches Lieblings-Lebemanns.

Doch irgendetwas an dieser Frau, die von Sex statt von Dankbarkeit sprach, bewegte ihn … auf eine Weise, die sich allzu sehr nach Leidenschaft anfühlte.

Griffin unterdrückte das Gefühl, so gut er konnte.

„Man kann mir vieles vorwerfen, Lady Melody. Aber ein Lügner bin ich nicht.“

Ihr Gesicht war immer noch übers Glas gebeugt, doch er bemerkte, wie ein seltsames Lächeln ihre Lippen umspielte.

„Und ich bin keine Lady.“ Nun sah sie wieder ganz unschuldig aus, fast furchtsam. Er runzelte die Stirn. Irgendwie wurde er nicht aus ihr schlau. „Seit heute Abend bin ich die Königliche Hoheit Prinzessin Melody von Idylla. Das hat auch dein Bruder gesagt.“

„In der Tat, das bist du.“

„Offen gestanden, ich habe nie davon geträumt, eine Prinzessin zu werden, wie es offenbar die meisten Mädchen tun. Aber ich war ja ohnehin nie wie die meisten Mädchen.“

Griffin dachte an Monster und dunkle Keller, und diese Bilder passten nicht zu dem eleganten Geschöpf vor ihm, das ganz aus Gold und Elfenbein zu bestehen schien und diesen rätselhaften Zug um den Mund hatte.

„Das will ich hoffen. Ich würde die meisten Mädchen auch nicht heiraten.“

Er erwartete, sie würde nun deutliche Freude zeigen. Über ihre neue Situation, über ihn. Doch ihr Lächeln blieb, wie es war: auf eine Art unschuldig, aber irgendwie auch nicht.

Griffin war zweifellos überreizt. Er stürzte das gesunde Maß Whiskey hinunter und befahl sich, keinen Mythos zu suchen, wo es lediglich um eine Ehe ging. Was hatte er denn erwartet? Die Ehe war für ihn nie ein erstrebenswertes Lebensmodell gewesen. Nicht, nachdem er miterlebt hatte, wie seine Eltern ihre heilige Verbindung immer wieder mit Füßen traten. Diesbezüglich sprach er gern von seinen „schönsten Kindheitserinnerungen“: allesamt Lügen.

Er durfte seinen widersprüchlichen Gefühlen nicht so viel Aufmerksamkeit schenken. Wie musste Melody sich erst fühlen? Sie war ihrem Zuhause entrissen worden. Auch wenn es das Haus des abscheulichen Aristoteles Skyros war, eine Veränderung war immer schwierig.

Griffin nahm sich vor, wohlwollender zu sein. Darum ging es bei all dem doch.

„Mir ist klar, in Hochzeitsnächten widmet man sich üblicherweise einem eher niederen Zeitvertreib“, sagte er und merkte, er fühlte sich immer noch unwohl in seiner Haut. Er rieb sich kurz übers Gesicht und war plötzlich erleichtert, dass seine frisch angetraute Ehefrau, die ihn so verunsicherte, nicht sehen konnte, was sie in ihm auslöste. „Aber das muss uns nicht kümmern. Ich werde mich dir nicht aufdrängen. Du kannst diesbezüglich entspannt sein.“

Sie antwortete nicht gleich.

Griffin hörte ein lautes Geräusch und es dauerte lange, bis ihm klar wurde, es war sein klopfender Puls. Als wäre er derjenige, der heute Abend Panik haben musste. Er, der dafür bekannt war, auch unter Druck die Ruhe zu bewahren.

Seine Frau lächelte sittsam. „Das ist sehr gütig von dir.“

Er ertappte sich dabei, wie er sie wieder musterte, denn er traute diesem Lächeln nicht. Ihr Tonfall war so trocken gewesen. Oder unterstellte er ihr eine Charaktereigenschaft, die eigentlich besser zu der inneren Hitze passte, derer er Herr zu werden versuchte?

Mit deiner Barmherzigkeit ist es nicht weit her, knurrte Griffin in sich hinein. Das arme Ding ist sicher wie gelähmt vor Angst.

„Mir ist bewusst, dass ich einen gewissen Ruf habe“, bemerkte er in so leichtem Ton wie möglich. „Sei versichert, du wirst niemals unter der Last dieses Rufs zu leiden haben.“

„Ist er denn eine Last?“

Wieder dieser trockene Unterton, während ihr Gesicht dem einer Heiligen glich.

„Ich hatte immer den Eindruck, er mache dir Spaß.“

„Nicht ich habe ihn als Last empfunden, Melody. Sondern mein Bruder. Er wollte dem Königreich beweisen, die königliche Familie sei geläutert. Doch es war nicht Orion, der einer Läuterung bedurfte.“

„Es ist sehr liebenswert von dir, dein Leben umzukrempeln, um deinem Bruder eine Freude zu machen.“

„Ich hatte den Eindruck, du tust das Gleiche für deine Schwester.“

„Oh, hat man dir das nicht gesagt?“, fragte Melody in leichtem Ton. Fast hätte er Ironie herausgehört, aber das passte nicht zu ihr. „Sie ist es, die dies für mich tut.“

„Das ehrt mich.“ Er deutete eine höfische Verbeugung an. Natürlich konnte sie das nicht sehen, doch ließ ihn die Art, wie sie leicht den Kopf neigte, daran zweifeln.

„Zu gütig, Königliche Hoheit.“

„Wir sind verheiratet.“ Seine Stimme war jetzt förmlich. „Nenn mich gern Griffin.“

„Gut. Griffin.“

Dann saßen sie eine Weile schweigend da. Sie sah so schön wie unnahbar aus. Worauf hatte er sich da nur eingelassen?

Melody drehte ihr Glas in der Hand, fast, als würde sie es … betrachten. Das war natürlich Unsinn.

„Wenn unsere Ehe nur auf dem Papier besteht, bedeutet das, du wirst deine … Eroberungen fortsetzen?“

Einen Moment lang vergaß Griffin, wer sie war. Einen Moment lang glich das hier einem Spielchen, das er sehr gut beherrschte. Seine guten Vorsätze schienen sich in Luft aufzulösen.

„Fragst du mich, ob ich die Absicht habe, meinen ehelichen Pflichten nachzukommen?“ Seine Stimme war seidenweich und doch leicht drohend. „Oder geht es dir eher darum, über meine Eroberungen zu reden?“

Wieder spürte er sein Blut gierig durch die Adern pulsieren. Und auf ihrem Gesicht sah er etwas Sinnliches aufflackern. Jeder kleinste Muskel seines Körpers spannte sich an. Doch er musste sich irren, denn plötzlich schien sie in sich zusammenzusinken und hatte nichts Heiliges oder Sinnliches mehr an sich.

Es war unerträglich.

So bitter es war: Er war wirklich der, für den alle ihn hielten, und sogar schlimmer.

Sieh dir an, was du hier gerade tust, knurrte er innerlich. Du kannst es wohl einfach nicht lassen.

„Darf ich etwas fragen?“ Ihre Stimme war so hauchdünn wie in dem Moment, als er sie als die blinde, vernachlässigte Schwester seiner zukünftigen Königin kennengelernt hatte.

„Es tut mir leid, ich fürchte, ich weiß mich in Gegenwart eines Mannes deines Formats nicht angemessen zu verhalten. Ich muss gestehen, ich war nicht oft in Gesellschaft anderer.“

Sie hörte sich traurig und unsicher an. Griffin hingegen entspannte sich. Er befand sich wieder auf sicherem Terrain. Hierin war er gut. Er war kein Ungeheuer wie sein Vater. König Max war ein korrupter, gieriger Mann gewesen, mit dem einzigen Ziel, andere zu erniedrigen, auszunutzen und sich ihrer zu entledigen.

Griffin war ganz anders. Er genoss zwar sein lasterhaftes Leben, aber er verletzte niemanden dabei.

Als er nun dieses liebliche, unendlich zerbrechliche Geschöpf ansah, erinnerte er sich daran, dass dies seine Chance war. Endlich konnte auch er tugendhaft werden – ohne jahrelang mühsam die Enthaltsamkeit und Rechtschaffenheit beweisen zu müssen, die seinen Bruder auszeichneten. Er musste einfach nur freundlich sein. Das sollte ja wohl selbst er schaffen.

„Du darfst alles tun und sagen, was du willst“, versicherte er ihr fast nachsichtig. „Dies ist nun dein Zuhause. Und damit du dich hier schneller einlebst, hat deine Schwester dafür gesorgt, dass ich deine engste Vertraute einstelle. Ich hoffe, mit der Zeit wirst du dich hier wohlfühlen. Mit mir.“

Melody räusperte sich leise. „Meine Vertraute?“

„Mir wurde gesagt, sie brachte dir als deine Privatlehrerin all die lästigen Benimmregeln Idyllas bei und blieb danach bei dir, weil du ihre Gesellschaft sehr genossen hast.“

Das Gesicht seiner Frau leuchtete auf. Wieder spürte Griffin eine ihm neue Art der Freude in sich. Er würde es schaffen: Er würde ein neuer Mensch werden.

„Oh ja, ich genieße ihre Gesellschaft sehr“, sagte Melody bewegt. Sie richtete sich auf, und Griffin fühlte sich, als hätte er etwas gewonnen.

„Innerhalb der Mauern dieses Hauses kannst du tun und lassen, was dir gefällt. Betrachte es als deines. Du hast deine eigenen Räume und die Unabhängigkeit, nach der du dich sicher sehnst. Ich habe nur eine einzige Bitte: Außerhalb dieser Mauern darf niemand die Wahrheit über unsere Beziehung erfahren.“

Das Leuchten auf ihrem Gesicht verblasste, und das gefiel ihm absolut nicht.

„Aber es wird allen klar werden, sobald du dich wieder deiner üblichen … Beschäftigung hingibst.“

Sie sagte das in so unschuldigem Ton, dass er unmöglich widersprechen konnte. Doch seine Hand umklammerte das Whiskeyglas so fest, dass er befürchtete, es würde zerspringen.

Niemand schien zu glauben, er würde sein Wort halten. Weder Orion noch seine reizende neue Ehefrau.

Und du selbst auch nicht, oder? fragte seine innere Stimme spöttisch und erinnerte ihn daran, wer er wirklich war.

„Ich werde mich nicht wieder irgendwelchen … ‚Beschäftigungen‘ hingeben“, stieß er hervor.

Er hatte nicht nur Melody ein Gelübde gegeben, sondern auch seinem Bruder etwas versprochen. Seinem König.

Griffin lockerte den Griff um sein Glas, den Blick auf seine Gattin gerichtet. „Idylla hat zu viele Skandale erlebt. Von nun an gibt es keine mehr, zumindest nicht, was mich betrifft.“

Melody neigte den Kopf wie zu einer demütigen Verbeugung. Warum störte ihn das? Warum wollte er mehr?

„Dann wird es wohl auch nicht geschehen“, sagte sie so sanft, als würde eine leichte Brise sie hinwegpusten können. „Da bin ich mir sicher.“

Das war er auch, redete Griffin sich ein.

3. KAPITEL

„Ich hoffe, in deiner Suite ist alles zu deiner Zufriedenheit“, merkte Griffin an, als er Melody dort abholte. „Lass es das Personal wissen, wenn irgendetwas verändert werden soll.“

Seine Stimme klang steif und er wirkte wie aus Granit, als er ihre Hand in seine linke Armbeuge legte.

„Ihre Großzügigkeit ist überwältigend, Königliche Hoheit“, erwiderte sie, seine hölzerne Förmlichkeit imitierend. Dann ermahnte sie sich, auf dem Weg zum Palast wieder das verängstigte Geschöpf zu spielen.

Durch eine Seitentür betraten sie den Innenhof zwischen Wohnhaus und Palast. Melody atmete tief die salzige Meeresbrise ein. Ihr Gatte schlug, wahrscheinlich ihretwegen, eine sehr gemächliche Gangart an. Dieses Dahinschreiten konnte er doch unmöglich für ein angemessenes Tempo halten. Melody redete sich ein, es sei freundlich von ihm, sich auf ihre Bedürfnisse einzustellen. Aber für Dankbarkeit fehlte ihr jetzt die Muße. Sie dachte immer noch an ihre zwar unkonventionelle, doch äußerst angenehme Hochzeitsnacht.

Griffin hatte sie zu ihrer Suite gebracht und sich zurückgezogen. Ein Tablett mit Speisen aus der Küche erwartete sie, und sie stürzte sich darauf, als sie endlich aus ihrem wallenden Hochzeitskleid befreit war. Es hatte sie ausgelaugt, den ganzen Tag Zerbrechlichkeit vorzutäuschen. Als sie das Loch in ihrem Magen gefüllt hatte, machte sie sich mit Fen, ihrer Kampfkunst-Trainerin, daran, jeden Winkel ihres neuen Zuhauses zu erkunden. Fen war seit Kindertagen ihre engste Vertraute. Sie hatte Melody seit dem siebten Lebensjahr unterrichtet. Letzte Nacht hatte sie dafür gesorgt, dass Melody sich in ihrem neuen Zuhause genauso lautlos und sicher bewegen können würde wie im Haus ihrer Eltern.

Sie begannen in Melodys Suite und nahmen sich dann, sobald im Haus nächtliche Ruhe eingekehrt war, den Rest von Prinz Griffins Domizil vor. Einen Raum nach dem anderen, bis Melody sich den Grundriss ihres neuen Zuhauses eingeprägt hatte.

Danach zogen sie sich in ihre Gemächer zurück und richteten sich in ihrem neuen Luxusleben ein.

„Mir gefällt dieser Prinz ganz gut“, bemerkte Fen heiter, als sie sich entfernte, um zu ihrem Zimmer in Melodys Suite zu gehen. „Zumindest bis jetzt.“

„Mir auch“, murmelte Melody. Fens Schritte verklangen, und nun war Melody allein in ihrem schönen neuen Schlafgemach. Es war mit schlichten, eleganten Möbeln eingerichtet, die ein Gefühl von Wärme vermittelten. Und die Krönung war ein Himmelbett mit Baldachin!

Heute Morgen wurde ihre und Fens gute Stimmung etwas getrübt, als sie feststellten, dass Melody sich in ihrer neuen Rolle als Prinzessin nicht mehr selbst ankleiden durfte. Ihre Zofen hatten sie schon gestern Nacht mit ihrer ungebetenen und unnötigen Hilfe beim Ausziehen ihres Hochzeitskleides erdrückt. Heute Morgen waren die drei unablässig fröhlichen Frauen wieder erschienen und ließen sich nicht abweisen. Im Gegenteil, sie eilten übereifrig in der riesigen Suite hin und her. Normalerweise hätte Melody darauf äußerst aggressiv reagiert. Doch die Frauen hatten ein Tablett voll mit idyllanischem Gebäck und schön starken Kaffee mitgebracht.

Nur indem sie sich stückchenweise himmlisches Gebäck in den Mund schob, konnte Melody es ertragen, dass diese Frauen um sie herumschwirrten und sie ankleideten, als sei sie eine lebensgroße Puppe.

„Ich gehe doch nur zu meiner Schwester“, entschlüpfte es ihr. „Wir haben unzählige Stunden im Pyjama miteinander verbracht. Dieser ganze Aufwand ist wirklich nicht nötig.“

„Niemand würde vor die königlichen Majestäten treten wollen, ohne so gut auszusehen wie irgend möglich“, mahnte eine der Frauen in mildem Ton.

Und so fand Melody sich abermals in ihre Rolle als Prinzessin genötigt.

Als sie nun mit Prinz Griffin im Schneckentempo zum Palast schritt, konnte sie es zwar nicht sehen, aber spüren, dass er herausgeputzt war wie sie. Unter ihrer Hand in seiner Armbeuge fühlte sie den schweren Stoff seiner Jacke über seinem muskulösen Unterarm. Wenn sie genau hinhörte, konnte sie seine militärischen Verdienstorden am Revers klimpern hören.

Vielleicht würde sich ihre Ehe doch als ganz zufriedenstellend erweisen. Sie war jetzt schon besser, als Melody es sich vorgestellt hatte. Sie hätte nie davon zu träumen gewagt, ihre eigenen Räume zu haben. Doch sie befürchtete, die einstudierte Förmlichkeit des höfischen Lebens würde sie umbringen.

„Kleidest du dich immer so förmlich, wenn du deinen Bruder besuchst?“, fragte sie Griffin beim Betreten der privaten königlichen Gemächer, in denen ihre Schwester nun lebte.

„Nur bei einem Fototermin“, entgegnete Griffin, und Melody spürte, seine tiefe, dunkle Stimme gefiel ihr etwas zu sehr. Es war, als ginge ein Kraftfeld von ihm aus, das sie beide umhüllte. „Und bei Anlässen wie Nationalfeiertagen kannst du sicher sein, es werden Fotos gemacht.“

„Das werde ich mir merken“, antwortete Melody sarkastisch, ohne lange nachzudenken.

Sie ahnte, dass er sie deshalb jetzt prüfend musterte. Vielleicht wurde ihm langsam bewusst, es steckte mehr hinter der Rolle, die sie spielte. Das durfte nicht sein, also klammerte sie sich rasch an ihn und stieß einen hohen Seufzer aus.

„Ich habe solche Angst, etwas falsch zu machen“, hauchte sie. „Vater hat mich nicht ohne Grund immer vor der Öffentlichkeit versteckt gehalten.“

Mit einem Ruck blieb Griffin stehen. Melody geriet kurz ins Straucheln, fand aber sofort ihr Gleichgewicht wieder. Dann schoss ihr durch den Kopf, auch ihr Gang müsse unsicher wirken. Schnell tat sie, als stolpere sie in ihn hinein, und das hatte den erwünschten Effekt: Er fing sie mit sicherem, schnellem Griff auf und stützte sie, indem er sie mit einem Arm umfasste.

Melody fand, sie müsse das eigentlich amüsant finden. Stattdessen spürte sie, wie ihr ganzer Körper als Reaktion auf seine Stärke und Wärme vibrierte. Dieser faszinierend fremde und ungemein männliche Oberkörper, der sich in seinem ganzen Ausmaß an sie drückte, schickte heiße Wogen durch sie hindurch. Oh weh.

„Niemand wird dich je wieder wegsperren“, betonte Griffin nun grimmig. „Du bist eine königliche Prinzessin von Idylla, Melody. Und, noch wichtiger: meine Ehefrau. Ich verspreche dir, von nun an wird die Welt sich dir anpassen, nicht umgekehrt.“

Sie war so gerührt von seiner Ritterlichkeit, dass sie nur wortlos mit leicht geöffnetem Mund dastehen konnte. Eine Hitzewelle stieg von tief unten in ihrem Bauch auf und durchflutete ihren ganzen Körper. Sie spürte, wie sogar ihr Gesicht errötete, obwohl sie doch jahrelang gelernt hatte, sich ihre Gefühlsregungen nicht anmerken zu lassen.

Doch wie auch immer sie aussah, es schien auf Griffin zu wirken, denn nun ergriff er besorgt ihre Hände.

Sie redete sich ein, das Gefühl in ihr sei nur Freude über ihre wirkungsvolle Darstellung weiblicher Schwäche, und nicht eine ganz andere Art weiblichen Schwachwerdens …

„Du bist jetzt in Sicherheit“, sagte er. „Das verspreche ich dir.“

Und dann geschah etwas höchst Seltsames.

Melody, die gar nicht wusste, ob sie jemals, auch nur ein einziges Mal, nicht sicher gewesen war, fühlte ein warmes Glücksgefühl in sich aufkommen. Als würden die Versprechen eines ihr fremden Prinzen, der genau wie sie zu dieser Ehe genötigt worden war, ihr irgendetwas bedeuten.

Griffin stand einen Moment lang nur da, und ihre Hände fühlten sich in seinen großen, festen Händen ungewohnt zerbrechlich an.

Dann setzte er sich wieder in Bewegung und führte sie einen Korridor hinunter. Währenddessen versuchte sie immer noch, sich über ihre Gefühle klar zu werden.

Prinz Griffin war so männlich, groß und stark. Und er war so entschlossen, sie zu beschützen. Das gefiel Melody. Und mehr als das.

Sie spürte nicht nur dieses warme Glücksgefühl, sondern auch wieder diese Hitze, das elektrisierende Locken. Es kam tief aus ihrem Unterleib und setzte eine Art Pochen in Gang. Und sie wusste, Griffin löste das in ihr aus.

Melody war es gewohnt, jedes Gefühl, das sich in ihr regte, einzuordnen. So wie jetzt hatte sie sich noch nie gefühlt. Ihre Schenkel schienen beim Gehen miteinander zu flüstern. Zwischen ihren Beinen spürte sie … einen Druck, und Feuchtigkeit. Ein seltsames Kribbeln zog über ihre Haut. Ihre Brüste, die in einem bezaubernden königsblauen Etwas steckten, das, so ihre Zofen, wunderbar mit ihren Augen harmonierte, fühlten sich prall an. Ihre Handfläche in seiner Armbeuge schien mehr Hitze...

Autor

Laura Wright
<p>Laura hat die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht, zu singen, an Tanzturnieren teilzunehmen oder als Schauspielerin zu arbeiten. Erst als sie begann, Romane zu schreiben, hat sie ihre wahre Leidenschaft und Berufung entdeckt! Geboren und aufgewachsen ist sie in Minneapolis, Minnesota. Danach lebte Laura für einige Zeit in New...
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Tara Pammi
<p>Tara schreibt sexy Romanzen mit anbetungswürdigen Helden und sexy Heldinnen. Ihre Heldinnen sind manchmal laut und rebellisch und manchmal schüchtern und nerdig, aber jede von ihnen findet ihren perfekten Helden. Denn jede Frau verdient eine Liebesgeschichte! Tara lebt in Texas mit ihrem ganz persönlichen Helden und zwei Heldinnen in der...
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