Julia Royal Band 37

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PLÖTZLICH PRINZESSIN, PLÖTZLICH VERLIEBT von NANCY ROBARDS THOMPSON

Sie ist Prinzessin und zukünftige Herrscherin über die malerische Mittelmeerinsel St. Michel! Sophie ist schockiert über Luc Lejardins Nachricht. Doch ihr bleibt keine Wahl: Sie muss dorthin zurück – mit dem überaus attraktiven Luc an ihrer Seite. Bei Tag und auch bei Nacht …

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  • Erscheinungstag 08.03.2025
  • Bandnummer 37
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534024
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nancy Robards Thompson

PROLOG

Es war einmal – im Jahr 1977 – in einem Königreich auf einer kleinen Insel im Mittelmeer eine wunderschöne, lebhafte Prinzessin. Sie verliebte sich in einen wilden Rockstar und erwartete bald ein Kind von ihm. In ihrer Not vertraute sie sich ihrer Zofe an, die umgehend die Eltern der Prinzessin über deren Zustand informierte.

Der König war entsetzt. Ein Rockstar als Schwiegersohn kam für ihn nicht infrage. Um einen Skandal zu vermeiden, schickte er seine Tochter ins Ausland, wo sie ihr Kind unbemerkt von der Öffentlichkeit zur Welt bringen sollte. Direkt nach der Geburt befahl er, ihr das Baby wegzunehmen – wohin er es bringen ließ, erfuhr sie nicht.

Fest entschlossen, ihr Kind zu sich zurückzuholen und es selbst aufzuziehen, wandte sich die Prinzessin nach ihrer Heimkehr an den Rockstar. Erst jetzt unterrichtete sie ihn von ihrer Schwangerschaft und der Geburt ihrer Tochter und bat ihn um Hilfe.

Der junge Mann hatte während der monatelangen Trennung erkannt, dass er sie über alles liebte. Hin- und hergerissen zwischen unbändiger Freude über die Geburt seines Kindes und tiefer Trauer über seinen Verlust, sank er auf die Knie, bat sie um ihre Hand und schwor ihr, die kleine Familie wieder zu vereinen.

Am Tag der heimlichen Hochzeit geschah jedoch ein schreckliches Unglück. Das Flugzeug mit dem jungen Paar an Bord stürzte ab. Die beiden starben, ehe sie Anspruch auf ihr Kind erheben konnten.

1. KAPITEL

„Sind alle Vorkehrungen getroffen?“ Luc Lejardin stand auf, ging um den antiken Schreibtisch herum, durchquerte sein großzügiges Büro und trat ans Fenster. Gerade ging die Sonne über dem Mittelmeer unter und ließ die strahlend weißen Fassaden der Häuser der Hauptstadt von St. Michel in einem eindrucksvollen Farbenspiel aufleuchten.

Der Amerikaner am anderen Ende der Telefonleitung zögerte einen nahezu unmerklichen Moment. „So gut wie.“

Verärgert runzelte Luc die Stirn. Er besaß eine hervorragende Menschenkenntnis, und die Unsicherheit seines Gesprächspartners war ihm nicht entgangen. Zu seinen Aufgaben bei Hof gehörte es, Falschheit, Illoyalität und Lügen aufzudecken. Blindes Vertrauen konnte er sich nicht leisten, insbesondere in Fragen der nationalen Sicherheit. Nach der schrecklichen Tragödie, die zu verhindern ihm nicht gelungen war, durfte ihm diesmal auch nicht der kleinste Fehler unterlaufen.

„Das genügt mir nicht, Monsieur. Ich erwarte, dass Sie Ihren Auftrag vollständig erledigt haben, ehe ich in zwei Stunden in die USA aufbreche.“

„Kein Problem. Ich maile Ihnen die letzten Fotos in den nächsten Minuten.“

Luc beendete das Telefonat und steckte den BlackBerry zurück in die Brusttasche seines Armani-Anzugs. Seufzend lehnte er den Kopf an den Fensterrahmen und schloss die Augen.

Ich hätte das Feuer verhindern müssen, dachte er traurig. Der verheerende Brand war Prinz Antoine und seiner Familie zum Verhängnis geworden. Zwar hatte der Prinz über eigenes Sicherheitspersonal verfügt, doch die Männer, die bei dem Unglück ebenfalls ums Leben gekommen waren, unterstanden letztendlich ihm als Protokollchef. Ihr Blut klebte für immer an seinen Händen – wenngleich König Bertrand darauf beharrte, dass er sich nichts vorzuwerfen hatte.

Der Herrscher war überzeugt davon, dass ein Fluch auf dem Haus Founteneau lag. Er weigerte sich, die Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen, die diversen Schicksalsschläge, die ihn seiner gesamten Familie beraubt hatten, könnten absichtlich herbeigeführt worden sein.

Luc als Realist sah das anders. Er argwöhnte, dass es sich bei der jüngsten Katastrophe um Mord handelte, ebenso wie bei den anderen unerwarteten Todesfällen der letzten dreiunddreißig Jahre. Jemand hatte sich sehr viel Mühe gegeben und jeden einzelnen Anschlag perfekt als Unfall getarnt, sodass weder dem Kronrat noch seinem eigenen Vater, bis zu seinem Tod vor drei Jahren Protokollchef am Königshof von St. Michel, jemals Zweifel gekommen waren.

Mit Prinz Antoine war der letzte direkte Nachkomme von König Bertrand verstorben – zumindest der letzte offiziell bekannte – und Luc war fest entschlossen, ihn zu rächen, mit oder ohne Rückendeckung durch König und Kronrat.

Zunächst musste er jedoch eine andere, nicht minder wichtige Aufgabe erledigen: Er musste die Sicherheit des einzigen verbliebenen Thronfolgers von St. Michel gewährleisten, dessen Existenz bis gestern niemandem außer dem König bekannt gewesen war.

Ein eiskalter Wind pfiff an diesem grauen Novembermorgen durch die Straßen, und der erste Schnee des Winters fiel. Wieder einmal war Sophie Baldwin zu spät von zu Hause zur Arbeit aufgebrochen. Dass sie dennoch vor Tinas Boutique stehen blieb, lag nicht an dem entzückenden Kleid in der Auslage, sondern an dem Anblick, den ihr Spiegelbild im Schaufenster bot: Sie sah nicht die schlanke, attraktive, junge Frau vor sich, für die sie sich hielt, sondern …

Du meine Güte! dachte sie erschrocken und trat einen Schritt näher ans Fenster heran. Leider handelte es sich nicht um eine optische Täuschung. In dem weiten gelbgrünen Wollmantel, den sie vor nicht allzu langer Zeit erstanden hatte, ähnelte sie fatal einem Glas Löwensenf!

Das liegt nicht allein an dem Mantel, gestand sie sich nach genauerer Betrachtung ein. Dem braunen Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel, fehlte es an Spannkraft, ihre grünen Augen wirkten trüb und matt. Sie sah abgespannt, sorgenvoll und elend aus und viel älter als ihre dreiunddreißig Jahre.

Wie lange geht das schon so, und wieso ist es mir nicht eher aufgefallen? fragte sie sich entsetzt.

Einen Besuch im Kosmetikstudio hatte sie sich nach der Scheidung nicht mehr leisten können. Stammkundin war sie dort allerdings noch nie gewesen, das hatte sie bei ihrem natürlichen guten Aussehen nicht nötig gehabt.

Heißt es nicht, das Äußere ist der Spiegel der Seele? Sie seufzte traurig.

Noch vor wenigen Jahren hätte sie den grässlichen Mantel keines Blicks gewürdigt. In die engsten Jeans gezwängt, hatte sie Nächte auf absurd hohen sexy Stilettos durchtanzt, als Mittelpunkt jeder Party. Damals war sie jung und verliebt gewesen und überzeugt, in Frank die große Liebe gefunden zu haben.

Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass er sich nach fünfzehn Ehejahren wieder den frischen, frechen Achtzehnjährigen zuwenden könnte, dass er seine Familie, seine Verantwortung, eintauschen würde gegen Geliebte, die nur wenig älter als seine vierzehnjährige Tochter Savannah waren.

Ein eisiger Windstoß ließ sie erschauern, und sie schlug den Mantelkragen hoch.

Bisher hatte sie bei ihrer Garderobe dezente Töne bevorzugt. Wieso habe ich mich plötzlich für helle, kräftige Farben entschieden? fragte sie sich. Wollte sie sich damit etwa vormachen, ihr Leben nach der Scheidung sei fröhlicher als zuvor?

Sie seufzte tief, riss sich von ihrem Spiegelbild los und eilte die Main Street entlang, bis sie das Sozialamt von Trevard, North Carolina, erreichte, wo sie arbeitete. Dabei nahm sie sich vor, ihren Kleiderschrank zu durchforsten und alles allzu Bunte wegzugeben. Bis auf den Mantel – einen neuen gab ihr Portemonnaie nicht her. Ihr Budget war so knapp bemessen, dass sie sparte, wo sie nur konnte, und trotz der frostigen Temperaturen zu Fuß zur Arbeit ging, anstatt den Bus zu nehmen.

Mit vor Kälte klammen Fingern zog sie die schwere Eingangstür auf und eilte ins Warme. So, wie eben in dieses Gebäude, bin ich kürzlich auch in einen neuen Lebensabschnitt eingetreten, schoss es ihr unvermittelt durch den Kopf. Seit einem knappen Jahr war sie eine alleinerziehende Mutter. Launen und Träume konnte sie sich nicht mehr leisten. Stattdessen hieß es, Vernunft und Bodenständigkeit zu beweisen, um ihrer Tochter das bestmögliche Leben bieten zu können.

Es bedeutete auch, ihr die schmutzigen Details der Scheidung zu ersparen, obwohl das zur Folge hatte, dass Savannah ihr die Schuld daran gab und ihren Vater auf ein Podest stellte.

Seinen Unterhaltsverpflichtungen kam Frank nicht nach, er war zumeist arbeitslos. Sophie hielt ihm jedoch zugute, dass er zumindest den Kontakt zu seiner Tochter aufrechterhielt und sich mit ihr traf, wann immer er in der Stadt war.

Zum Glück habe ich einen Job und bin finanziell nicht auf ihn angewiesen, dachte sie erleichtert.

Sie eilte zum Fahrstuhl, dessen Türen soeben auseinanderglitten. Im Eintreten presste sie den Knopf für den dritten Stock und wandte sich um. Während die Türen sich langsam schlossen, erhaschte sie einen Blick auf die große Uhr im Foyer an der Wand gegenüber. Sie zeigte acht Uhr zwanzig. Ihr blieben somit trotz ihrer Verspätung noch zehn Minuten bis zu ihrem ersten Termin. Was für ein Glück! Vielleicht gelang es ihr sogar, sich unbemerkt in ihr Büro zu schleichen.

Zwar hasste sie es, unpünktlich zu sein, konnte es aber nicht immer vermeiden. Wie so häufig hatte sie auch in der letzten Nacht nur drei Stunden Schlaf gefunden. Sie hatte bis tief in die Nacht in Bobs Steak House gekellnert – ihrem zweiten Job. Der Morgen hatte dann mit der hektischen Suche nach einer Hausaufgabe begonnen, die Savannah am Vorabend auf dem Küchentisch vergessen hatte, gefolgt von einer Gardinenpredigt über die Notwendigkeit, sich alles rechtzeitig zurechtzulegen. Es widerstrebte Sophie zutiefst, die nötige Strenge herauszukehren, während Frank den coolen Typen mimte, der nach Kalifornien zog und sich ausgerechnet zu dem Zeitpunkt ein Tattoo stechen und die Ohren piercen ließ, als sie ihrer Tochter einen Bauchnabelring untersagte.

Als sich die Aufzugstüren auf dem Stockwerk öffneten, auf dem sich ihr Büro befand, entdeckte sie zu ihrem großen Schrecken ihre Chefin Mary Matthews, die am Empfangstisch mit der Rezeptionistin Lindsay Bingham, Sophies bester Freundin, sprach.

Mary unterbrach sich mitten im Satz und warf einen demonstrativen Blick auf ihre Armbanduhr. „Wie nett, dass Sie auch noch erscheinen! Haben Sie verschlafen?“

Sobald der Flieger Reiseflughöhe erreicht hatte, zog Luc den dicken Ordner aus seiner Aktentasche, schlug ihn auf und holte die Fotos hervor, die er erst fünfundvierzig Minuten vor dem Abflug erhalten hatte – viel zu kurzfristig für seinen Geschmack.

Sofort erregte eine Porträtaufnahme von Sophie Baldwin seine Aufmerksamkeit. Die Frau mit dem schulterlangen dunklen Haar, den leuchtend grünen Augen und dem sympathischen Lächeln wirkte auf eine natürliche Art sehr attraktiv. Damit entsprach sie gar nicht dem Bild, das er sich von ihr gemacht hatte. Kein Wunder, dachte er, schließlich ist sie nicht für die Rolle erzogen worden, die sie bald einnehmen soll. Und sie würde auf überzogene Erwartungen treffen, denen kein Sterblicher je gerecht werden konnte, und sich damit ebenso auseinandersetzen müssen wie ihre Vorgänger.

Er nahm die nächsten Fotos zur Hand: Auf einem stand sie vor einem bescheidenen Schindelhäuschen, ein weiteres zeigte sie in einem hässlichen gelbgrünen Mantel. Auf dem nächsten ging sie einen Bürgersteig entlang, eine Handtasche über einer Schulter, eine prall gefüllte Mappe in der anderen Hand, dann wiederum stand sie vor einem Regal in einem Supermarkt und trug erneut den gelbgrünen Mantel. Sie kleidete sich ordentlich und schlicht. Dank ihrer ausgezeichneten Figur sah sie dennoch ausgesprochen sexy aus.

Erschrocken legte er das letzte Bild in den Ordner zurück und klappte ihn zu. So etwas darf ich nicht einmal denken, ermahnte er sich und rieb sich gedankenverloren mit der Hand über die Augen. Das muss an meiner Müdigkeit liegen. Seit dem Brand vor drei Tagen hatte er kaum geschlafen, die zweiundsiebzig schlimmsten Stunden seines Lebens lagen hinter ihm.

Das Königshaus von St. Michel hatte eine ganze Reihe schlimmer Schicksalsschläge erlitten. Einige Jahre nach dem Tod von Prinzessin Sylvie bei einem Flugzeugabsturz verunglückte Prinzessin Celine tödlich mit dem Auto, wenig später ertrank Prinz Thibault beim Tauchen. Jetzt waren Prinz Antoine und seine Familie einem weiteren schrecklichen Unglück zum Opfer gefallen, was ihm besonders naheging.

Der jüngste Sohn des Königs war von jeher sein engster Freund und Vertrauter gewesen. Sie waren gemeinsam im Palast von St. Michel aufgewachsen, zusammen zur Schule gegangen und hatten als junge Männer den Mädchen reihenweise die Herzen gebrochen. Luc war dabei gewesen, als Antoine seine spätere Frau kennenlernte, und hatte ihm als Trauzeuge zur Seite gestanden.

Dennoch hatte er in der Hektik der letzten Tage kaum Zeit gefunden, seinen Freund zu betrauern.

Eine heftige Turbulenz erschütterte das Flugzeug und riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Luc sah zu den fünf Sicherheitsbeamten hinüber, die ihn auf seiner Mission begleiteten, dann konzentrierte er sich wieder auf die vor ihm liegende Aufgabe. Er allein trug die Verantwortung dafür, und so sehr sein Verlust ihn auch belastete, sein Urteilsvermögen durfte darunter nicht leiden.

Eins der Fotos der jungen Frau war aus dem Ordner gerutscht und zu Boden gefallen. Er hob es auf und betrachtete es erneut.

Sie sah wirklich nett aus, und es tat ihm leid, sie mit den Problemen seines Landes belasten zu müssen.

Entschlossen schob er das Bild an seinen Platz zurück und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Bald würden sie in den USA landen. Danach galt es, keine Zeit zu verlieren. Er würde persönlich dafür Sorge tragen, dass allen die enorme Bedeutung der ihnen jeweils zugedachten Rolle bewusst wurde, ganz besonders Sophie Baldwin.

Unter dem strengen Blick von Mary Matthews wechselte Sophie nervös ihre Aktentasche von einer Hand in die andere. Verzweifelt suchte sie nach einer Ausrede für ihre Verspätung, doch ihr fiel nichts als die Wahrheit ein.

„Es tut mir leid. Ich musste gestern bis spät in die Nacht im Restaurant arbeiten, und heute Morgen hat Savannah Schwierigkeiten gemacht.“

„Sie verspäten sich in letzter Zeit häufig wegen morgendlicher Probleme.“

Zwar hätte Sophie ihre Chefin auf die vielen Abende hinweisen können, an denen sie länger geblieben war, hielt es jedoch für besser zu schweigen.

„Kommen Sie in fünf Minuten in mein Büro, Sophie.“

Mary war erst seit einem knappen Jahr im Sozialamt tätig und hatte sie somit kurz nach der Trennung von ihrem Mann kennengelernt, einem Zeitpunkt, zu dem sie mit massiven privaten Problemen zu kämpfen gehabt hatte. Gleichwohl argwöhnte Sophie, dass sie es Mary auch dann nicht recht machen könnte, wenn alles in ihrem Leben perfekt liefe. Die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach nicht.

Rasch eilte sie an ihren Schreibtisch, verstaute ihre Handtasche in einer Schublade und hängte den Mantel auf, während sie verzweifelt versuchte, sich zu erinnern, wie oft sie sich in den letzten Wochen verspätet hatte. Für Mary wäre es eine Kleinigkeit, das herauszufinden. Sie musste sich lediglich ihr Arbeitszeitkonto ausdrucken lassen.

Genau das hatte sie getan, wie Sophie zu ihrem Schrecken feststellte, als sie das Büro ihrer Vorgesetzten betrat. Mary hielt ihr ein Blatt hin, das jede Verspätung des vergangenen Jahres auflistete, säuberlich mit gelbem Marker hervorgehoben.

Und wieviel Zeit hat das gekostet? fragte Sophie sich verärgert und gleichzeitig peinlich berührt.

„Ich habe Sie immer wieder gewarnt, doch Sie zogen es vor, mich zu ignorieren.“ Mary saß stocksteif hinter ihrem Schreibtisch. „Jetzt sehe ich mich gezwungen, Sie schriftlich abzumahnen.“

Für einen Moment verschlug es Sophie die Sprache. Dann fand sie wieder Worte. „Es tut mir sehr leid, ich wollte Ihre Anweisungen nicht missachten. Wenn Sie meine Klienten befragen und die Anzahl der von mir bearbeiteten Fälle betrachten, sehen Sie, dass meine Leistungen nicht gelitten haben. Zum Ausgleich für morgendliche Verspätungen bin ich abends immer länger geblieben und habe die verlorene Zeit nachgearbeitet.“

„Das Sozialamt hat von acht bis siebzehn Uhr geöffnet. Gestatte ich Ihnen eine Ausnahme, muss ich sie auch anderen gewähren. Dabei habe ich erst kürzlich den Antrag einer Mitarbeiterin auf einen Heimarbeitsplatz zurückgewiesen.“

Die verdrehte Argumentation ihrer Chefin machte Sophie erneut sprachlos.

Mary öffnete eine Schublade und zog ein Blatt hervor, das sie Sophie reichte. „Bitte bestätigen Sie hier, dass Sie die Abmahnung erhalten haben.“

„Was geschieht, wenn ich nicht unterzeichne?“, fragte Sophie in einer Anwandlung von Trotz.

„Dann nehme ich Ihre Weigerung zu den Akten.“

Erschrocken über ihren winzigen Anflug von Ungehorsam, blickte Sophie sich im Büro ihrer Chefin um. Sie entdeckte kein einziges privates Foto, der ganze Raum wirkte kalt und steril. Lediglich einige Blumendrucke an den Wänden verliehen ihm einen Hauch von Farbe.

Von einer Frau wie Mary Matthews kann ich kein Verständnis erwarten, dachte sie angesichts der frostigen Atmosphäre. Und dann wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie, bei all ihrem Kummer und ihren Sorgen, etwas besaß, das ihrer Chefin völlig abging: ein Leben. Auf ihrem Schreibtisch standen Fotos ihrer Tochter, sie hatte Freunde …

Die Sprechanlage klingelte, dann ertönte Lindsays Stimme. „Entschuldigen Sie die Störung. Am Empfang warten zwei Klienten auf Sophie: Mr. Carlo hat heute Morgen einen Termin bei ihr, und Laura Hastings möchte sie außer der Reihe in einer dringenden Angelegenheit sprechen.“

Vor Erleichterung brachte Sophie sogar ein Lächeln zuwege. „So gern ich auch länger mit Ihnen plaudern würde, die Arbeit ruft.“ Mit diesen Worten erhob sie sich.

„Nehmen Sie die Abmahnung mit, und reichen Sie sie mir bis heute Abend unterschrieben herein.“

Am liebsten hätte Sophie das Blatt in der Hand zerknüllt, stattdessen atmete sie einige Male tief durch, während sie das Büro verließ. Sie musste sich beruhigen, damit sie ihren Klienten gefasst gegenübertreten konnte.

Als sie das Wartezimmer betrat, stand Laura auf und lief ihr entgegen. Sophie hatte der jungen Mutter von vier Kindern geholfen, sich von ihrem Mann zu trennen, der sie misshandelt hatte. Mittlerweile war die junge Frau berufstätig und ließ sich nebenher noch zur Krankenschwester ausbilden, was Sophie als großen Erfolg verbuchte. Klienten wie sie waren der Grund, warum sie ihren Beruf als Sozialarbeiterin so liebte: Er versetzte sie in die Lage, anderen zu einem besseren Leben zu verhelfen.

„Wie geht es den Kindern?“, fragte sie und umarmte die Frau.

„Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.“

„Es tut mir leid, zuerst habe ich einen anderen Termin.“ Sie blickte zu Mr. Carlo.

Betroffen ließ Laura den Kopf sinken und trat einen Schritt zurück: „Entschuldigung. Bitte nach Ihnen.“

„Kannst du warten?“, fragte Sophie, und Laura nickte.

„Sophie, ein Gespräch auf Leitung eins“, rief in diesem Moment Lindsay von der Rezeption. „Willst du es annehmen, oder soll ich es auf den Anrufbeantworter legen?“

„Wieso vergeben Sie eigentlich Termine, wenn jeder nach Gutdünken hier auftauchen kann?“, machte in diesem Moment Mr. Carlo seiner schlechten Laune Luft.

Zu allem Unglück erschien ausgerechnet jetzt auch noch Mary. „Gibt es ein Problem?“

„Ja“, rief der aufgebrachte Mann. „Ich war für acht Uhr dreißig verabredet, jetzt ist es bereits Viertel vor neun. Wegen Ihrer Organisationsprobleme komme ich zu spät zur Arbeit!“

Mary runzelte die Stirn und warf Sophie einen wissenden Blick zu.

„Kümmern Sie sich sofort um den Herrn! Lindsay, ich bin bis zum Nachmittag bei der Stadtverwaltung.“ Mit diesen Worten eilte sie davon.

Sophie sah ihr wütend hinterher. „Mr. Carlo, würden Sie bitte schon in mein Büro vorausgehen, es befindet sich hinter der ersten Tür links. Ich komme sofort nach.“

Doch der dicke Mann weigerte sich. „Oh nein. Ich warte, sonst verplaudern Sie sich mit Ihrer Freundin.“ Trotzig verschränkte er die Arme vor der breiten Brust.

„Ich kann auch später wiederkommen“, murmelte Laura und ging hastig zur Tür.

Sophie war nicht wohl dabei. Sie hatte den Eindruck, dass etwas nicht stimmte, und rief ihr nach: „Bitte warte, es dauert bestimmt nicht lange.“

Doch Laura winkte ihr nur zu und verschwand.

2. KAPITEL

Sophie saß an ihrem Schreibtisch und verspeiste gerade den letzten Bissen ihres Thunfischsandwichs, als das Telefon klingelte. Vor ihrer Scheidung war sie meistens freitags in der Mittagspause mit Lindsay zum Lunch ausgegangen, das konnte sie sich jetzt nicht mehr leisten. Aber eines Tages gönne ich es mir wieder, dachte sie und nahm den Hörer ab.

„Hier ist Sophie Baldwin.“

„Mom?“

Überrascht sah sie auf die Uhr. Es war erst halb eins, der Unterricht noch lange nicht zu Ende.

„Hallo, Schatz. Was gibt’s?“ Fieberhaft überlegte sie, wie sie sich vor Mary rechtfertigen sollte, falls ihre Tochter krank war und von der Schule abgeholt werden musste.

„Bitte komm nach Hause. Sofort!“

In Savannahs Stimme schwang Panik mit, und Sophie bekam es mit der Angst zu tun.

„Bist du etwa schon dort?“

„Grandma und Grandpa sind hier. Hast du gewusst, dass sie kommen? Sie haben sechs unheimliche Typen mitgebracht.“

„Wie? Meine Eltern? Was ist los?“

„Keine Ahnung. Deshalb rufe ich dich ja an!“

Der Sarkasmus, der sich in letzter Zeit in fast jedes Gespräch mit ihrer Tochter einschlich, war auch jetzt nicht zu überhören.

„Haben deine Großeltern dich von der Schule abgeholt?“

Schweigen.

„Savannah, bist du noch dran?“

„Ja.“

„Hol Grandma ans Telefon.“

„Das geht nicht.“

„Wieso?“

Wieder herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, und Sophie begann sich zu fragen, ob Savannah mit diesem Anruf lediglich Aufmerksamkeit erregen wollte. Seit ihr Vater fortgegangen war, hatte sie alle möglichen Nummern abgezogen und Dinge getan, die sie sich früher nie erlaubt hätte. Sie hatte den Unterricht gestört, die Schule geschwänzt und sich mit einem Mädchen aus der Emo-Szene angefreundet, schwarz gekleideten Leuten, deren Gedanken fast ausschließlich um Gefühle kreisten. Jess, die neue Freundin ihrer Tochter, hatte sich sogar den Namen ihres Freundes in großen schwarzen Lettern auf den Nacken tätowieren lassen.

„Savannah, hol sofort Grandma an den Apparat!“

„Sie hat mir verboten dich anzurufen und gesagt, wir könnten über alles sprechen, sobald du von der Arbeit kommst. Aber ich fürchte mich! Bitte komm schnell.“

Alle Aufsässigkeit war aus ihrer Stimme gewichen, und sie klang wieder wie das niedliche kleine Mädchen, das sie vor der Scheidung gewesen war.

„Okay, Süße. Ich bin schon unterwegs.“

Sophie stand vor der Haustür und suchte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel, als ihr die Tür von innen geöffnet wurde von einem Mann, der sich mit einem leichten französischen Akzent als Luc Soundso vorstellte und – wieso auch immer – vor ihr verneigte.

Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache, und sie sah ihn überrascht an. Mit seinen hohen Wangenknochen, dunklen Augen, in deren Winkeln sich beim Lächeln zarte Fältchen bildeten, der geraden Nase und den vollen Lippen hätte er ein Schauspieler sein können.

„Was ist hier los, Mr. …? Was machen Sie in meinem Haus?“, brachte sie schließlich heraus.

„Luc Lejardin“, stellte er sich ein zweites Mal vor. „Ich bin in Begleitung Ihrer Eltern gekommen, um eine ausgesprochen wichtige Angelegenheit mit Ihnen zu besprechen.“

Etwas beruhigt folgte sie ihm ins Haus. Dennoch beschloss sie, äußerste Vorsicht walten zu lassen. Sie schob eine Hand in die Manteltasche, in der sich ihr Handy befand. So war sie in der Lage, in einer kritischen Situation schnell einen Notruf abzusetzen.

Ohne den Mantel abzulegen, eilte sie ins Wohnzimmer. Dort saßen ihre Eltern Rose und John Jones auf der Couch. Sie schienen sich nicht sehr wohl in ihrer Haut zu fühlen. Außer ihnen befanden sich fünf Männer in dunklen Anzügen in dem Raum, ein Anblick, der Sophie unwillkürlich an den Film „Men in Black“ erinnerte.

„Hallo, Liebling!“, rief ihre Mutter überrascht und erhob sich. Ihr Vater, kein Mann großer Worte, folgte ihrem Beispiel. „Ich wusste gar nicht, dass du zum Lunch nach Hause kommst!“

„Das ist auch nicht der Fall. Savannah hat mir verraten, dass ihr gekommen seid, zusammen mit … euren Freunden. Was führt euch den weiten Weg von Florida hierher?“

„Ich habe ihr ausdrücklich verboten, dich bei der Arbeit zu stören.“ Der französische Akzent ihrer Mutter trat viel deutlicher zutage als normalerweise, ein untrügliches Zeichen, dass sie aufgeregt war. Die Frauen umarmten einander und küssten sich auf die Wangen, dann begrüßte Sophie auch ihren Vater.

„Wieso ist Savannah eigentlich nicht in der Schule?“ Rose hob mahnend den Zeigefinger. „Wenn sie krank ist, sollte sie keinen Besuch empfangen und ganz gewiss nicht den ganzen Tag allein mit dem Jungen verbringen!“

„Sie ist nicht krank. Ihr habt sie also nicht von der Schule abgeholt?“

Ihre Eltern verneinten, und Sophie sah sie bestürzt an. Hatte ihre Tochter sie etwa hintergangen?

„Wo ist sie?“

„In ihrem Zimmer.“

„Ich befasse mich gleich mit ihr. Vorher würde ich jedoch gern erfahren, was hier vor sich geht.“

„Das ist eine lange und komplizierte Geschichte.“ Rose und ihr Mann nahmen wieder Platz und sahen erst einander an, dann warfen sie dem Fremden, der die Tür geöffnet hatte, einen Hilfe suchenden Blick zu.

„Gestatten Sie“, ergriff er, an Sophie gewandt, das Wort. „Sicher haben Sie von dem tragischen Unglück gehört, das sich in St. Michel ereignet hat.“

Was hat das mit mir zu tun? fragte sie sich verwundert, nickte jedoch. Der Unfall hatte auch in den USA Schlagzeilen gemacht, und ihre Mutter, schon immer ein treuer Fan des kleinen Inselkönigreichs, hatte sie in Tränen aufgelöst angerufen, als sie davon erfahren hatte.

Natürlich war auch ihr die Tragödie nahegegangen. Der König tat ihr leid. Wie schrecklich musste es für ihn sein, die eigenen Kinder zu überleben. Savannah war ihr Leben, sie zu verlieren, könnte sie nicht ertragen!

„Dass ich mich an Sie wende, hängt direkt mit diesen dramatischen Ereignissen zusammen.“

Bei diesen Worten schrillten in Sophies Kopf förmlich sämtliche Alarmglocken. Sie warf ihren Eltern einen fragenden Blick zu, konnte ihren Mienen jedoch nichts entnehmen.

„Ich kann mir nicht vorstellen, inwiefern ich davon betroffen bin.“

„Dennoch sind Sie allein in der Lage, König Bertrand zu helfen. Möchten Sie nicht Platz nehmen, während ich Ihnen alles erkläre?“ Er schenkte ihr ein atemberaubendes Lächeln, mit dem er vermutlich schon viele Frauen um den Finger gewickelt – und um ihr Vermögen erleichtert hatte.

Diesmal hast du dir das falsche Opfer ausgesucht, dachte Sophie, ich bin dir und deinen Machenschaften allemal gewachsen! Gleichzeitig wunderte sie sich, dass er nicht, wie andere Betrüger heutzutage, mit E-Mails arbeitete: „Sie wurden dazu auserwählt, uns zu helfen, eine Million Dollar auf unser Konto an der Elfenbeinküste zu transferieren …“

„Ich wusste gar nicht, dass Betrüger noch Hausbesuche machen“, antwortete sie daher spöttisch.

Für einen Moment aus dem Konzept gebracht, warf er ihr einen verwirrten Blick zu – und sah dabei unglaublich süß aus. Obendrein musste er ziemlich clever sein, da er ausgerechnet ihre Familie als Ziel eines Coups um die Founteneau-Tragödie ausgewählt hatte.

„Verschwinden Sie alle auf der Stelle, sonst rufe ich die Polizei!“ Mit ausgestrecktem Arm wies sie zur Tür.

Sogleich protestierte Rose: „Nicht, Sophie!“

„Ich meine nicht dich und Dad. Ihr könnt gern bleiben. Aber diese Männer müssen gehen, sofort!“ Sie zog das Handy aus der Manteltasche und begann zu wählen.

„Bitte warten Sie“, bat nun auch der Fremde. „Ich weiß, das ist viel verlangt, doch hören Sie mich erst an.“

„Lass ihn reden“, mischte sich nun auch ihr Vater ein.

Sophie sah ihn entgeistert an. Hatte er sich ebenfalls einwickeln lassen? Etwas in seiner Miene hielt sie jedoch davon ab, den Notruf abzusetzen.

Den Finger über der letzten Taste schwebend, lenkte sie ein. „Mr. Lejardin, Sie haben zehn Sekunden, um mir alles zu erklären. Ab jetzt.“

Er nickte. „Hoheit, Sie sind die Enkelin von König Bertrand. Er bittet Sie, nach St. Michel zu kommen, um Ihren rechtmäßigen Platz als Thronfolgerin einzunehmen.“

Hoheit? Im ersten Moment schwindelte ihr, doch dann sah Sophie förmlich Rot.

„Für wie dumm halten Sie mich? Sind Sie auf mein Geld aus? Da muss ich Sie enttäuschen: Ich besitze ebenso wenig wie meine Eltern. Und wenn Sie sich nicht von meiner Tochter fernhalten, reiße ich Ihnen mit bloßen Händen …“

Plötzlich schlang John, der von Sophie unbemerkt aufgestanden war, die Arme um sie. „Still, Liebling. Sprich nicht so.“

„Monsieur Lejardin sagt nichts als die Wahrheit“, bestätigte Rose und senkte den Blick.

Ihr Mann ließ Sophie wieder los, und sie wandte sich unverzüglich zu dem Fremden um. Wider besseres Wissen hoffte sie, er hätte sich in Luft aufgelöst und sie würde aus einem bizarren Traum erwachen. Leider stand er weiterhin in ihrem Wohnzimmer, attraktiv und elegant zwischen den billigen Möbeln.

Wie in Trance ließ sie sich von ihrem Vater zum Sofa führen und nahm zwischen ihren Eltern Platz.

Luc bedeutete den anderen Männern, nach draußen zu gehen.

In diesem Augenblick platzte Savannah in die surreal anmutende Szene. „Mom, was ist hier los?“ Sie stand an der Tür, den Freund von Jess an ihrer Seite, einen düsteren Jungen, bleich und unheimlich, mit zu Stacheln hochgegeltem schwarzem Haar und einem Piercing in der Unterlippe.

Sophie blieb ihr die Antwort schuldig – sie verstand es selbst nicht. Stattdessen gewann ihr Mutterinstinkt allmählich die Oberhand über ihre Verwirrung, und es drängte sie, Savannah ihrerseits dieselbe Frage zu stellen.

Im Geist zählte sie eins und eins zusammen: Ihre Tochter wirkte aufgekratzt und hatte rosige Wangen. Der Junge, von dessen Freundin weit und breit nichts zu sehen war, hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt, seine rechte Hand war ihrer Brust gefährlich nah.

Das also hatte Rose gemeint, als sie einen Jungen erwähnte! Hatten die beiden etwa die Schule geschwänzt und den ganzen Morgen allein im Haus verbracht?

Sophie war, als würde die Welt um sie herum in Trümmer fallen. Wundersamerweise fand sie dennoch die Sprache wieder: „Wir werden gleich eine Familienkonferenz abhalten. Dein Freund muss jetzt leider gehen.“

Der Junge bewegte sich jedoch keinen Schritt, sondern blieb schweigend und mit ausdrucksloser Miene stehen. In tief sitzenden engen Jeans und einem zerrissenen schwarzen T-Shirt, sah er schmuddelig und heruntergekommen aus. Immer noch hielt er den Arm um ihre Tochter geschlungen.

Savannah griff nach seiner Hand. „Tick will nicht gehen, und wenn ihr über mich reden wollt, kann er bleiben. Wir haben keine Geheimnisse voreinander.“

Rose schnappte erschrocken nach Luft.

„Er geht“, beharrte Sophie.

Tick rührte sich nicht.

Ratlos sah sie von ihrer Tochter zu ihren Großeltern und dann zu Luc.

Er fing ihren Blick auf und erhob sich. Im nächsten Augenblick stand er schon neben dem Jungen und manövrierte ihn zur Tür hinaus, ohne ihn auch nur zu berühren.

„Ich fasse es nicht! Wie kannst du das zulassen, Mom“, schrie Savannah wütend.

„Geh auf dein Zimmer. Wir unterhalten uns später“, fuhr Sophie das Mädchen entnervt an, das daraufhin beleidigt davonstürmte und die Tür hinter sich ins Schloss knallte.

„Lässt du ihr dieses Benehmen ungestraft durchgehen?“, fragte Rose empört.

„Sicher nicht, aber zunächst muss ich mich mit einer anderen Angelegenheit befassen. Wo waren wir stehengeblieben?“

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann ergriff ihre Mutter das Wort. „Vor vielen Jahren standen dein Vater und ich im Dienst von König Bertrand. Als seine ledige Tochter schwanger wurde, schickte er sie, um einen Skandal zu vermeiden, an einen geheimen Ort, ehe ihr Zustand bekannt werden konnte. Nach der Entbindung gab er das Neugeborene zur Adoption frei – die Prinzessin war damals gerade erst siebzehn Jahre alt und mit dem Rockstar Nick Morrison liiert, eine absolut unpassende Verbindung …“

Sophie dachte an ihre eigene Tochter, die gerade den Tag allein mit einem Jungen verbracht hatte, und unterdrückte einen Schauder.

„Verstehst du nicht, worauf ich hinaus will?“

Überrascht sah sie ihre Mutter an und schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung.“

„Liebling, wir haben die neugeborene Prinzessin adoptiert, dein Vater und ich! Wir gaben ihr den Namen Sophie, zogen sie auf und liebten sie wie unsere eigene Tochter.“

Unvermittelte schwindelte es Sophie. Sie hörte die Stimme ihres Vaters wie durch einen langen Tunnel hindurch: „Da wir dem König absolutes Stillschweigen geschworen hatten, durften wir dir deine Herkunft nicht offenbaren. Wir waren nur Diener, denen er seine Enkelin anvertraute!“

Zutiefst bestürzt, sprang sie von ihrem Platz auf, drohte jedoch, das Gleichgewicht zu verlieren. Rasch trat Luc zu ihr und stützte sie mit festem Griff.

Was sie jetzt am dringendsten benötigte, waren frische Luft und ein vertrauter Anblick. Danach, so hoffte sie, könnte sie vielleicht das Chaos entwirren, das in ihrem Kopf herrschte. „Entschuldigung.“ Sie löste sich aus seinem Griff und trat ans Fenster.

Leider standen vor dem Haus die fünf Männer in dunklen Anzügen, frierend in der Eiseskälte, und erinnerten sie daran, dass sie adoptiert war. Bin ich tatsächlich die Tochter einer Prinzessin und eines berühmten Musikers, dessen CDs in meinem Schrank stehen? fragte sie sich zweifelnd.

Die Vorstellung erschien ihr unfassbar und absurd, wie ein übler Streich.

Bei diesem Gedanken wirbelte sie auf dem Absatz herum. „Das alles ist ein Scherz, oder? Wie bei ‚Verstehen Sie Spaß‘ mit der versteckten Kamera.“

Niemand antwortet ihr. Das war auch nicht nötig. Den ernsten Mienen ringsum konnte sie alles entnehmen, was sie wissen musste.

„Oh Gott!“, stöhnte sie. „Ich brauche frische Luft!“

Es gehörte zu seinen Aufgaben, den Ereignissen stets einen Schritt voraus zu sein, und Luc war in der Lage, menschliche Verhaltensweisen treffsicher einzuschätzen. Daher erreichte er die Haustür noch vor Sophie.

„Gehen Sie mir aus dem Weg“, fuhr sie ihn wütend an, und in ihren grünen Augen funkelte es bedrohlich.

„Verzeihung, Hoheit. Ich kann es nicht verantworten, Sie ungeschützt nach draußen zu lassen.“

„Wollen Sie mich in meinem eigenen Haus gefangen setzen?“ Ihre Wangen waren gerötet, das Kinn hatte sie angriffslustig gehoben.

Die Fotos werden ihr nicht annähernd gerecht, dachte Luc voller Bewunderung. Ihr dunkles Haar bildete einen reizvollen Kontrast zu den smaragdgrünen Augen und dem zarten hellen Teint.

„Hoheit …“

„Nennen Sie mich nicht so!“

„Wie Sie wünschen, Madame. Nach dem Tod Ihres Onkels dürfen wir kein Risiko eingehen.“

„Sophie!“

„Wie bitte?“

„Sie sollen mich Sophie nennen.“

„Wenn Sie darauf bestehen, Sophie“, gehorchte er, obwohl es ihm unangemessen erschien, sie mit ihrem Vornamen anzureden. „Natürlich sind Sie keine Gefangene. Wenn Sie das Haus verlassen wollen, steht Ihnen mein Wagen zur Verfügung, der vor der Tür wartet, und ich begleite Sie gern.“

„Das heißt, wohin ich auch gehe, Sie kommen mit?“

Er nickte. Und zwar mit dem größten Vergnügen, dachte er, schob den ungehörigen Gedanken jedoch gleich wieder beiseite. Stattdessen konzentrierte er sich auf das Dilemma, vor dem er gerade stand: Als Angestellter des Königshauses durfte er die Kronprinzessin zu nichts zwingen. Er konnte ihr lediglich Vorschläge unterbreiten. Falls das nichts half, musste er seinen ganzen Charme spielen lassen.

Ihm blieben nur vierundzwanzig Stunden Zeit, um sie dazu zu überreden, nach St. Michel zu reisen. Gelang ihm dies nicht, würde er Plan B aktivieren müssen, was bedeutete, dass König Bertrand persönlich nach Trevard kommen würde, um mit ihr zu sprechen. Darauf wollte er es jedoch nach Möglichkeit nicht ankommen lassen.

„Und wenn ich die Polizei rufe?“

„Davon kann ich Sie nicht abhalten. Allerdings sollten Sie zuvor die Folgen bedenken: Die Medien könnten Kenntnis von Ihren Angelegenheiten erlangen. Ist die Story erst veröffentlicht, schwebt Ihre Familie in großer Gefahr, und Sie können keinen Schritt mehr unbehelligt vor die Tür tun, da die Presse Ihr Haus belagert.“

Sie sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.

„Wenn deine Sicherheit dir gleichgültig ist, denk wenigstens an Savannah“, rief Rose aus dem Wohnzimmer.

Sie seufzte. „Also gut. Dann gehen wir beide irgendwohin, wo wir uns ungestört unterhalten können. Ich muss die ganze Wahrheit erfahren.“

Luc wies seine Männer an, das Haus gut zu bewachen, während Sophie sich von ihren Eltern verabschiedete und sie bat, Savannah auszurichten, dass sie bis zur Schlafenszeit zurück wäre.

Zwei Minuten später saßen sie nebeneinander im Fond der Limousine. Der Fahrer erkundigte sich nach ihrem Ziel, doch Sophie zuckte die Schultern. „Fahren Sie einfach ins Blaue. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.“

Die nächsten fünfundvierzig Minuten sah sie schweigend aus dem Fenster. Luc nutzte die Zeit, um sie eingehend in Augenschein zu nehmen. Sie ähnelt Prinzessin Sylvie sehr, dachte er und sprach den Gedanken sogleich aus.

„Hat Ihnen jemals jemand gesagt, dass Sie Ihrer Mutter gleichen?“

„Welcher?“, fragte sie sarkastisch.

„Prinzessin Sylvie, natürlich.“

Sie lachte bitter auf. „Seltsamerweise hat man mich immer wieder auf meine große Ähnlichkeit mit Rose hingewiesen. Ich konnte sie nie erkennen, jetzt weiß ich auch, wieso.“

„Sie sind das Abbild der verstorbenen Prinzessin. Das ist … stupéfiant.“

„Verblüffend, meinen Sie?“ Sie lächelte, und ihre Miene entspannte sich. „Wie war sie?“

„Sie besaß so viel Lebensfreude und Energie und bereitete Ihrem Großvater jede Menge Kummer. Die Presse liebte sie und fotografierte sie, wenn sie die Nächte in Paris durchtanzte oder auf der Jacht irgendeines Barons an der Côte d’Azur sonnenbadete. Auf sämtlichen Bildern wirkt sie herrlich unbekümmert. Sie haben ihre Augen, wissen Sie das? Vielen galt sie als das Sinnbild perfekter Weiblichkeit, und die, die ihr nahestanden, berichten von ihrem liebenswerten Naturell.“

In diesem Moment fuhren sie an einem hübschen Blockhaus vorüber, in dem sich ein Restaurant befand. „Können wir hier anhalten? Ich brauche eine Tasse Kaffee“, bat Sophie.

Der Fahrer wendete, und Luc musterte die Örtlichkeit gründlich, während sie langsam in die kiesbestreute Einfahrt einbogen. Alles sah friedlich aus, das Lokal lag weit außerhalb der Stadt. Auf dem Parkplatz standen nur zwei Autos, es herrschte kaum Betrieb, nichts deutete auf irgendeine Gefahr hin.

Im Lokal fand Luc seine Einschätzung bestätigt. Die Gaststube war tatsächlich so gut wie leer. Lediglich ein älteres Pärchen saß bei Kaffee und Kuchen am Tresen. Eine Kellnerin hinter der Theke aus Resopal forderte sie auf, sich einen Tisch nach Belieben auszusuchen. Luc entschied sich für eine Nische im hinteren Bereich. Sie nahmen auf zwei sich gegenüberliegenden gepolsterten Bänken Platz, dazwischen stand ein Tisch mit rot-weiß karierter Decke. Aus Neugier griff er nach der Speisenkarte. Wie erwartet standen diverse Hamburger, Pommes frites und Milchshakes zur Auswahl.

Sie bestellten Kaffee, und nachdem er serviert worden war, erkundigte sich Sophie: „Wie geht es jetzt weiter?“

Luc leerte ein Päckchen Zucker in seine Tasse und rührte sorgfältig um.

„Ich würde Sie und Ihre Tochter gern nach St. Michel bringen, zu einem Treffen mit König Bertrand.“

„Auf keinen Fall“, wehrte sie entsetzt ab.

„Wieso nicht? Sind Sie nicht gespannt auf Ihr Heimatland?“

„Sie verstehen das nicht!“

Er zuckte die Schultern. „Anscheinend. Erklären Sie es mir.“

Sie legte die Hände flach auf die Tischplatte und beugte sich zu ihm vor.

„Savannah geht zur Schule, ich halte uns mit zwei Jobs über Wasser. Wir können nicht einfach alles hinwerfen, nur weil Opa König nach uns ruft.“

Ihre Wortwahl amüsierte ihn, doch er verkniff sich ein Schmunzeln. Die Sache war zu ernst, um sie auf die leichte Schulter zu nehmen.

Je besser er sie kennenlernte, desto mehr Züge ihrer Mutter entdeckte er an ihr. Sie war ebenso willensstark, respektlos, intelligent und lustig, und das gefiel ihm. Tatsächlich fand er sie so anziehend wie lange keine Frau mehr.

Wieso ausgerechnet sie? fragte er sich verwundert, doch die Antwort darauf fiel im nicht schwer: Sie war einfach bezaubernd. Dass sie gleichzeitig die Enkelin des Königs war, machte die Situation für ihn hoffnungslos.

Vor wenigen Jahren hatten die Indiskretionen seiner Stiefmutter den guten Ruf seiner Familie ruiniert. Gemeinsam mit seinen beiden Brüdern hatte er hart darum gekämpft, ihn wieder aufzupolieren. Er würde ihn nicht aufs Spiel setzen, indem er anfing, wie ein Schuljunge von der Enkelin des Königs zu schwärmen.

Entschlossen drängte er alle entsprechenden Gedanken beiseite, trank einen Schluck Kaffee und antwortete: „Wenn Sie nicht zu ihm fahren, wird der König Sie aufsuchen.“

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich bin noch nicht bereit, mit ihm zu sprechen. Das alles ist wie aus heiterem Himmel auf mich eingestürzt, und ich hatte noch keine Zeit, es zu verdauen.“

Luc nippte erneut an seiner Tasse, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Es stand ihm nicht zu, ihr einen Rat zu erteilen. Gleichzeitig musste er dafür sorgen, dass sie mit dem König sprach und auf seine Wünsche einging.

„Bitte bedenken Sie: Als uneheliche Tochter von Prinzessin Sylvie wäre Ihr ganzes Leben von einem Skandal überschattet gewesen. Sie hätten teuer für den Fehler Ihrer Mutter bezahlen müssen.“

Empört sah sie ihn an. „Dann bin ich also in den Augen des Königs ein Fehler?“

„Bitte drehen Sie mir nicht das Wort im Mund um. Der König tat das für die damaligen Verhältnisse einzig Richtige, indem er Sie adoptieren ließ – auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Er ermöglichte Ihnen ein besseres Leben.“

Da war Sophie ganz anderer Meinung. „Während Grandpa in seinem Elfenbeinturm auf großem Fuß residierte, habe ich mich zwischen zwei Jobs aufgerieben, um meiner Tochter ein anständiges Leben zu ermöglichen. War das wirklich besser?“

„Sie sind doch erst seit Ihrer Scheidung im letzten Jahr finanziell schlecht gestellt.“

Schwungvoll stellte sie ihre Tasse zurück auf den Tisch, und etwas Kaffee schwappte über den Rand.

„Woher wissen Sie davon? Das ist mir unheimlich! Bis vor wenigen Stunden waren Sie ein Fremder für mich, doch Ihnen ist bekannt, dass ich geschieden bin, wie Sie Kontakt zu meinen Eltern aufnehmen können und sicher auch, wo ich arbeite. Oder etwa nicht?“

Tatsächlich wusste er sogar, welche Art von Unterwäsche sie kürzlich erstanden hatte – einen Fünferpack weißer Baumwollslips. Das erwähnte er vorsichtshalber nicht. „Es gehört zu meinem Job.“

Sie verzog die Lippen. „Haben Sie eine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn Ihr Leben vor anderen liegt wie ein offenes Buch?“

Einen Moment lang dachte Luc über diese Frage nach. Die Antwort lautete: ja. Er wusste noch allzu gut, wie er empfunden hatte, als intime Details über die Fehltritte seiner Stiefmutter ans Licht gekommen waren und die Karriere und schließlich sogar das Leben seines Vaters zerstört hatten.

Sophies Scheidung war in aller Stille abgewickelt worden, vermutlich hatte die Untreue ihres Exmannes sie jedoch tief verletzt.

Was für ein Dummkopf lässt eine Frau wie sie im Stich?

Wieder drohten seine Gefühle sein Denkvermögen zu beeinträchtigen, also konzentrierte er sich rasch auf das Wesentliche.

„Seit Ihrer Scheidung kämpfen Sie mit großen Problemen. Doch glauben Sie mir, finanzielle Sorgen gehören der Vergangenheit an, sobald Sie Ihren rechtmäßigen Platz als Nachfolgerin Ihres Großvaters eingenommen haben.“

„Mir geht es nicht um das Geld das Königs. Ich will nur klarstellen, dass er mir keinen Gefallen getan hat, als er mich verleugnete. Das war bestimmt keine noble Geste!“

Luc unterdrückte einen Seufzer. Leider hatte sie auch die Hartnäckigkeit der verstorbenen Prinzessin geerbt! Genau das machte sie wiederum zur idealen Thronfolgerin.

„Ihr Großvater hat sich die Entscheidung damals nicht leicht gemacht. Auch John und Rose ist es schwergefallen, Ihr Geheimnis über all die Jahre zu wahren. Sie haben es aus Pflichtgefühl und Mitleid getan, aus Liebe zu Ihnen. Wollen Sie sich nicht wenigstens anhören, was der König zu sagen hat?“

„Wie bitte? Ich lasse hier doch nicht alles stehen und liegen, nur weil er mit den königlichen Fingern schnippt! Und weshalb stellt es heute kein Problem mehr dar, dass ich die uneheliche Tochter der Prinzessin bin?“

„Die Menschen sind mit der Zeit toleranter geworden. Zudem würde man Sie mit offenen Armen willkommen heißen, weil …“ Er brachte es nicht über sich, laut auszusprechen, dass alle anderen Mitglieder des Hauses Founteneau tot waren. „Das Land liebt seine königliche Familie.“

Erschöpft schloss Sophie die Augen und lehnte den Kopf an die hohe Rückenlehne ihrer Bank.

Luc blickte auf ihre vollen Lippen und überlegte, wie sie wohl schmecken würden. Gleich darauf rief er sich zur Ordnung. Seine Aufgabe war es, für ihre Sicherheit zu sorgen – nichts sonst. Er durfte nicht zulassen, dass ihm Gefühle den Blick auf das Wesentliche trübten.

Seit seiner Ernennung zum Protokollchef vor drei Jahren kannte er nichts anderes als Arbeit. Bedingt durch die enge Kooperation mit dem König, war es für ihn zwingend erforderlich, große Umsicht in allen Dingen walten zu lassen, auch in Herzensangelegenheiten. Was passieren konnte, wenn man sich in die Falsche verliebte, hatte er am Beispiel seines Vaters miterlebt. Aus diesem Grund mied er ernsthafte Beziehungen, was ihm nicht schwerfiel. Bisher hatte keine seiner flüchtigen Bekanntschaften ihn wirklich fasziniert.

Sophie schlug die Augen wieder auf. „Wenn der König mich sprechen will, muss er zu mir kommen. Ich habe keine Zeit, nach Europa zu fliegen.“

„Ich werde es ihm mitteilen. Wahrscheinlich trifft er bereits morgen hier ein.“

Als Sophie und Luc zu Sophies Haus zurückkehrten, fanden sie Rose und John im Wohnzimmer auf Sofa und Lehnsessel schlafend vor. Der Fernseher lief leise im Hintergrund.

Während Sophie nach ihrer Tochter sah, unterzog Luc das Haus einer gründlichen Sicherheitsüberprüfung. Er hatte jedoch kaum damit begonnen, als ein gellender Schrei ihn zusammenfahren ließ.

3. KAPITEL

Die Rollläden in Savannahs Schlafzimmer waren bereits heruntergelassen, der Raum lag im Dunkeln. Sophie spähte vorsichtig durch die nur einen Spalt weit geöffnete Tür, um ihre Tochter nicht zu wecken, als eine Gestalt hastig vom Bett aufsprang.

Zu Tode erschrocken stieß sie einen lauten Schrei aus – nicht umsonst hatte Luc sie vor den Gefahren gewarnt, die ihrer Familie drohten. Dann betätigte sie geistesgegenwärtig den Lichtschalter.

Vor ihr stand Tick, vollständig bekleidet, während Savannah, die noch im Bett lag, ihr T-Shirt zurechtzog.

Binnen Sekunden verwandelte sich Sophies Angst in alles beherrschenden Zorn.

„Was, zum Teufel, macht ihr hier!“, fuhr sie die beiden an.

Inzwischen waren auch Luc und seine Männer herbeigeeilt, durch den Schrei alarmiert. Zwei von ihnen ergriffen Tick und drehten ihm den linken Arm auf den Rücken.

„Schafft ihn raus!“, befahl Luc.

„Tut ihm nichts!“ Savannah sprang aus dem Bett und wollte auf die Sicherheitsbeamten losgehen, die Tick festhielten. Diese brachten den Jungen jedoch schnell aus dem Zimmer, und Luc platzierte sich strategisch so geschickt, dass Savannah ihnen nicht folgen konnte.

„Lasst mich zu ihm! Das könnt ihr uns nicht antun.“

Der Schreck hatte Sophie in einen seltsamen Dämmerzustand versetzt, und sie hatte das Geschehen wie durch einen Schleier hindurch verfolgt. Jetzt kam sie wieder zu sich. Entschlossen wandte sie sich an ihre Tochter. „Du bist erst vierzehn! In deinem Alter darfst du keinen Jungen mit auf dein Zimmer nehmen und schon gar nicht in dein Bett lassen!“

„Ich liebe ihn, und er liebt mich!“

Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist, dachte sie zynisch, hütete sich jedoch, es auszusprechen und damit einen fruchtlosen Streit anzuzetteln. Sie hatte gewiss andere Sorgen! Der Junge hatte mit ihrer Tochter im Bett gelegen, und obwohl sie nicht glaubte, dass Savannah beabsichtigt hatte, mit ihm zu schlafen, hatte sie sich in eine gefährliche Lage gebracht.

„Natürlich sagt er das. Vielleicht meint er es sogar, obwohl ich das für unwahrscheinlich halte. Immerhin war er letzte Woche noch mit Jess zusammen.“

Savannah rümpfte abfällig die Nase. „Was verstehst du schon von Liebe? Du hast es nicht einmal geschafft, Dad zu halten.“

Luc bemerkte, wie Sophie betroffen zusammenzuckte. Eine Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter ging ihn jedoch nichts an, und da den beiden keine akute Gefahr drohte, verabschiedete er sich mit einem Winken und zog sich zurück.

Savannah lief zum Bett und warf sich darauf.

Was ist nur mit meinem süßen Mädchen passiert? dachte Sophie traurig. Die offensichtliche Antwort lautete: Tick. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Seit Frank sie verlassen hatte, war ihre Tochter ihr immer fremder geworden.

War ich ihr gegenüber zu nachgiebig? überlegte sie. Sie hatte ihr über die Scheidung hinweghelfen wollen, indem sie ihre Launen ignorierte. Dabei hatte sie sie anscheinend gründlich verzogen.

„Dass Dad fortgegangen ist, tut dir immer noch weh, das weiß ich. Es entschuldigt jedoch keineswegs dein respektloses Verhalten mir gegenüber. Sosehr es mir auch widerstrebt, dich zu bestrafen: Ich erteile dir Hausarrest, weil du die Schule geschwänzt und diesen Jungen in dein Zimmer mitgenommen hast.“

Ins Wohnzimmer zurückgekehrt, wandte Sophie sich sofort aufgebracht an Luc: „Wieso haben Ihre Männer den Jungen ins Haus gelassen?“

Es stellte sich heraus, dass Tick während ihrer Abwesenheit an der Tür geschellt und darum gebeten hatte, Savannah sehen zu dürfen. Da er kein Risiko darzustellen schien und keine gegenteiligen Anweisungen vorlagen, hatten ihn die Sicherheitsbeamten eingelassen.

Diese Erklärung genügte Sophie jedoch nicht. Für sie war es eine Frage des gesunden Menschenverstands, dass man zwei Teenager unterschiedlichen Geschlechts nicht in einem Schlafzimmer allein lassen durfte.

Luc stimmte ihr in diesem Punkt zwar zu, für ihn stellte sich die Situation jedoch komplizierter dar. Er und seine Leute waren für die Sicherheit der jungen Prinzessin verantwortlich, nicht jedoch für ihr Verhalten.

„Mom, wieso hast du oder Dad nicht eingegriffen?“, wandte Sophie sich nun an ihre Eltern, die inzwischen aufgewacht waren.

Rose zuckte die Schultern. „Wir haben ihn nicht gehört. Ich glaube, wir waren in der Küche, als er kam. Sophie, ich weiß, du bist wütend auf uns, und was ich dir jetzt sage, wird dich vermutlich noch mehr aufbringen: Das Benehmen, das Savannah derzeit an den Tag legt, ist untypisch für sie. Könnte es sich dabei nicht um eine Art Hilfeschrei handeln? Dass ihr Vater euch verlassen hat und du berufsbedingt den größten Teil des Tages außer Hauses bist, hat sie völlig aus der Bahn geworfen. Eine Reise nach St. Michel könnte euch beiden helfen, wieder zueinander zu finden.“

John pflichtete seiner Frau bei. „Bring das Mädchen fort von hier und von diesem Jungen.“

Überrascht sah Sophie ihre Eltern an. „Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass eine neuerliche Veränderung ihr guttut!“

Zarte Sonnenstrahlen drangen durch die Ritzen im nicht ganz geschlossenen Rollo in Sophies Schlafzimmer und weckten sie auf. Den größten Teil der Nacht hatte sie sich schlaflos von einer Seite auf die andere gewälzt und kaum Erholung gefunden. Jetzt war es Zeit aufzustehen. Ein neuer Tag lag vor ihr, und ihr graute vor dem, was ihr bevorstand – insbesondere in Zusammenhang mit Savannah.

Üblicherweise ging sie nach einem Streit mit ihrer Tochter nicht zu Bett, ohne sich vorher mit ihr zu versöhnen. Letzte Nacht hatte ihr die Kraft dazu jedoch gefehlt. Sie war zu entsetzt, zu tief enttäuscht gewesen.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte das Wissen, ihre Mutter verletzt zu haben, Savannah schlimmer wehgetan als jede Bestrafung.

Dass das Mädchen begann, sich für das andere Geschlecht zu interessieren, war in Sophies Augen in Ordnung. Sie hätte jedoch nie erwartet, dass Savannah bereits mit vierzehn einen Jungen in ihr Schlafzimmer ließ … Erschauernd setzte sie sich auf und schlang die Arme um ihre Knie.

Ich muss sofort mit ihr darüber reden, dachte sie. Zudem war es höchste Zeit, ihr zu berichten, was am Vortag geschehen war und dass der König von St. Michel heute zu Besuch kommen würde.

Dennoch ließ sie sich aufs Bett zurücksinken, matt und erschöpft, wie sie war. Am liebsten würde ich mir die Decke über den Kopf ziehen und den ganzen Tag im Bett verbringen, dachte sie mutlos.

Das war leider ausgeschlossen. Gestern hatte Savannah sich ausschließlich mit ihren Teenagerproblemen befasst. Heute würde sie zwangsläufig erfahren wollen, was es mit den fremden Männern auf sich hatte, die immer noch das Haus bevölkerten.

Wie sie ihre Erklärung aufnehmen würde, konnte Sophie nicht einschätzen. Ihre Tochter war ihr fremd geworden. Das lag zum Teil daran, dass sie nicht genügend Zeit miteinander verbrachten. Mehr war ihr bei zwei Jobs leider nicht möglich.

Schließlich rang sie sich doch dazu durch aufzustehen. Sie duschte und ging, noch im Bademantel, ein Handtuch um das feuchte Haar gewickelt, zu Savannah. Als sie den Flur durchquerte, hörte sie leise Stimmen aus der Küche. Es roch nach Kaffee und gebratenen Eiern. Wie sehr es sie auch nach einer ordentlichen Dosis Koffein verlangte, das musste warten bis nach ihrem Gespräch.

Sie betrat das Kinderzimmer und zog das Rollo hoch. Sanftes Morgenlicht erfüllte den Raum. Dann ließ sie sich auf der Bettkante nieder.

„Liebling, wach auf. Wir müssen uns unterhalten.“

Nach einem etwas schwerfälligen Auftakt verlief der erste Teil des Gesprächs erstaunlich gut. Zunächst beteuerte Savannah, wie sehr sie Tick liebte. Sie bat Sophie, ihm eine Chance zu geben. Allmählich lenkte sie jedoch ein und gab zu, dass es falsch gewesen war, ihn auf ihr Zimmer mitzunehmen.

Sie sprachen über ihre Beziehung zueinander und wie sie sich seit der Scheidung verändert hatte. Savannah öffnete sich ihrer Mutter ein wenig: „Ich weiß, dass Dad uns verlassen hat. Du bist nicht allein schuld an der Trennung.“ Mit Tränen in den Augen umarmten sie einander. „Ich liebe dich so, Mom. Entschuldige mein Verhalten. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“

„Vielleicht benimmst du dich mir gegenüber so grässlich, weil du genau weißt, dass ich dich dennoch immer lieben werde“, raunte Sophie ihrer Tochter ins Ohr. Dabei dachte sie an ihre eigenen Eltern. Sie hatten sie adoptiert und ihr ihre Herkunft jahrelang vorenthalten, worüber sie mehr als nur aufgebracht war. Trotzdem war sie sich ihrer Liebe gewiss.

Sie schloss ihre Tochter fester in die Arme und genoss die wiedergewonnene Eintracht. Ihr graute davor, sie durch die Neuigkeiten zu zerstören, die sie ihr nicht länger vorenthalten durfte. Eine Wahl hatte sie jedoch nicht. Der König würde bereits am Nachmittag eintreffen, und Savannah musste vorher alles erfahren.

Während sie noch nach den richtigen Worten suchte, löste Savannah sich aus der Umarmung und fragte: „Verrätst du mir jetzt endlich, wieso gestern Grandma und Grandpa mit diesen Männern hier waren?“

„Ich dachte schon, du fragst nie“, tat Sophie gespielt fröhlich.

Ihre Tochter durchschaute das falsche Spiel jedoch sofort. Sie runzelte die Stirn. „Okay“, meinte sie gedehnt, „was wird hier gespielt?“

Luc lief rastlos im Wohnzimmer auf und ab wie ein Raubtier im Käfig. Es war ihm nicht gelungen, Sophie nach St. Michel zu bringen, und er konnte nicht einschätzen, ob der König mehr Erfolg haben würde.

Zudem akzeptierte er zwar, dass sie ihrer Tochter selbst beibringen wollte, was sie am Vortag über ihre Herkunft erfahren hatte. Weshalb sie damit buchstäblich bis zum letzten Moment wartete, entzog sich jedoch seinem Verständnis.

Ebenso wenig begriff er ihr Verhalten nach dem Zwischenfall mit dem Jungen letzte Nacht. Wären hier nicht ein klares Wort und Strenge angebracht gewesen? Warum bewies sie den eisernen Willen, den sie ihm gegenüber an den Tag legte, nicht auch bei ihrer Tochter?

Er stellte sich vor, wie sie das hübsche Kinn hochreckte und ihm einen eisigen, herausfordernden Blick zuwarf. Sie war eine starke Frau. Das gefiel ihm – und ärgerte ihn zugleich. Er konnte es sich nicht leisten, sie allzu attraktiv zu finden.

Vorsichtshalber lenkte er seine Gedanken auf ein anderes Thema: seine Pläne für den heutigen Tag. In einer Stunde musste er zum Flughafen fahren, um die Sicherh...

Autor

Tracy Sinclair
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Maisey Yates
<p>Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin. <br/>Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. <br/><br/>Von da an konnte nichts und niemand...
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