2. KAPITEL
Am nächsten Tag saß Lissa konzentriert vorm PC und versuchte, hinter die Geheimnisse und Tücken des Tabellenkalkulationsprogramms zu kommen. Obwohl sie die Grundlagen für die Erstellung von Tabellen und Grafiken in den Grundzügen beherrschte, verhielt sich dieses Softwareprogramm ihr gegenüber eindeutig feindlich. Sie kam einfach nicht weiter und landete stets wieder auf der gleichen nutzlosen Infoseite.
Trotzdem zögerte Lissa, eine der anderen Sekretärinnen um Hilfe zu bitten, um ihnen nicht die Zeit zu stehlen, und ihre eigene Unfähigkeit nicht mehr Leuten als unbedingt notwendig präsentieren zu müssen. Auch Tempo und Fehlerquote beim Tippen hatten sich über Nacht leider nicht verändert, sosehr sie auf ein Wunder hoffte. Dabei lag es eindeutig nicht an der Tastatur, die absolut identisch mit der war, die sie kannte. Doch ihre Finger schienen zu glauben, sie wolle in Suaheli schreiben.
Vorsichtshalber hielt sie den Blick gesenkt, als James aus seinem Zimmer kam, einen Ordner auf ihren Schreibtisch feuerte und wortlos das Büro verließ. Sie wusste, dass er zu einem Meeting unterwegs war. Und sie wusste, dass sie ihre Lunch-Pause dazu nutzen würde, erneute Fehler zu berichtigen, die ihr möglicherweise unterlaufen waren. James schien davon überzeugt zu sein, sie sei absolut nutzlos, und obwohl es sie kränkte, konnte Lissa es ihm nicht einmal verdenken.
Seufzend widmete sie sich wieder ihrer Arbeit, ohne Pause. Katie und eine Sekretärin aus der Buchhaltung schauten zwischendurch kurz rein und verkniffen sich ein Grinsen, als sie ihre neue Kollegin mit hochroten Wangen und aufgelöstem Haar über einem Wust von Papieren brüten sahen. Lissa wusste, dass sie sich auf ihre Kosten amüsierten, nach dem Motto: Prinzessin versucht ernsthaft zu arbeiten … und verursacht nur ein heilloses Chaos.
Lissa hasste es, zu versagen. Und noch mehr, wenn andere es mitbekamen, wie es hier tagtäglich geschah. Dabei wusste sie beim besten Willen nicht, warum sie einfach keine Linie in ihre Arbeit bekam. Irgendetwas fehlte ständig, misslang ihr oder sie übersah es einfach. Und je mehr sie sich anstrengte, desto schlimmer wurde es.
Mehr als einmal spielte sie mit dem Gedanken, alles hinzuwerfen, Alex anzurufen und um Gnade zu bitten. Sie konnte ihm ja versprechen, wie eine Nonne zu leben, wenn er sie nur nach Aristo zurückkehren ließ. Aber darauf würde ihr Bruder nicht eingehen. Er wollte sie nicht dort haben. Nicht, bevor sie ihm bewiesen hatte, was er von ihr verlangte.
Also: Kopf runter, weitermachen und nicht im Traum daran denken, in dem smarten James mehr als ihren gestrengen Boss zu sehen …
Leider Pech, dass er genau in dem Moment das Büro betrat, als Lissa sich gerade mit dem Drehstuhl vom Schreibtisch abstieß und die Sandaletten von den Füßen schleuderte, um ihre Beine mit einem wohligen Seufzer auf die Schreibtischplatte zu legen. Die Arme hoch in die Luft gereckt, um die verkrampfte Muskulatur zu entspannen.
Der Nachmittag drohte sich wie eine endlose Durststrecke vor ihr auszudehnen. Doch es winkte Trost: Sobald Feierabend war, wollte Lissa in ihr Apartment fahren, sich umziehen und auf der Einweihungsparty einer neuen Bar, im angesagtesten Viertel von Sydney, allen Frust abtanzen und -feiern.
Jetzt verharrte sie allerdings schockiert in ihrer peinlichen Position und errötete unter James’ sengendem Blick. Bedächtig ließ er ihn von ihren Knöcheln angefangen über die endlos langen Beine und den Körper, bis hinauf zu ihrem Gesicht gleiten, das inzwischen die Farbe einer reifen Tomate angenommen hatte. Dabei kam er Schritt für Schritt auf sie zu, bis er direkt vor dem Schreibtisch stand.
Er bemühte sich gar nicht erst, Missbilligung und Widerwillen zu kaschieren. „Haben Sie jemals überhaupt auch nur versucht, das Prinzip ernsthafter Arbeit zu ergründen?“, fragte er schneidend und stützte sich mit beiden Händen auf der Tischkante ab. Zu ihrer Verblüffung blitzte in seinen Augen plötzlich ein übermütiger Funke auf. „Ist es das, was Sie auch im Bett bevorzugen, Prinzessin? Sich einfach faul zurücklegen und anderen die Arbeit zu überlassen …?“
Lissa schwang sie die Beine vom Tisch und rollte mit dem Stuhl nach vorn, um sich vor ihm zu verbergen. Als sie in ihrer Verlegenheit nach einem Schriftstück greifen wollte, umfasste er rasch ihre Hand und studierte aufmerksam die perfekt manikürten und lackierten Fingernägel.
„Schon mal Dreck unter den Nägeln gehabt? Ich meine von ehrlicher, harter Arbeit?“
Mit einer heftigen Geste entriss sie ihm ihre Hand. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und das einzige Wort, das in ihrem Kopf widerhallte war: Bett …
Die Atmosphäre im Raum war plötzlich so elektrisch aufgeladen, dass es zu knistern schien. Doch keiner von ihnen beiden dachte daran, die Notbremse zu ziehen, um eine mögliche Katastrophe zu verhindern. Dafür waren die Versuchung und der Reiz viel zu groß.
Lissa fragte sich insgeheim, was sie anstellen müsste, um das herausfordernde Glimmen in James’ Augen zum Aufflammen zu bringen.
Noch während sie überlegte, sah sie den Schatten, der über sein Gesicht zog und riss sich in letzter Sekunde zusammen. Trotz des überwältigenden Verlangens, das sie förmlich in seine Arme trieb, erinnerte sie sich mit letzter Kraft daran, weshalb sie hier war. Sie durfte ihre Zukunft nicht für ein erotisches Intermezzo aufs Spiel setzen. Ebenso wenig ihre Glaubwürdigkeit unterminieren, indem sie auf diese gefährliche Weise mit ihrem Boss flirtete!
Also richtete sie sich kerzengerade auf und wies mit dem Kopf auf den Monitor. „Ich bringe Ihnen den Bericht gleich in Ihr Büro“, informierte sie James kühl. „Ich muss ihn nur kurz überfliegen und ausdrucken.“
Langsam richtete er sich zu seiner stattlichen Größe auf. Das gefährliche Glitzern in seinen Augen hatte einem Ausdruck Platz gemacht, der an Respekt grenzte. „Großartig.“ Und damit war er auch schon verschwunden.
Lissa saß noch sekundenlang wie erstarrt da. Sie hatte es tatsächlich fertiggebracht, der Versuchung zu widerstehen und ihr Gesicht zu wahren! Warum fühlte sie dann diesen Anflug von Enttäuschung? Lautlos zählte sie von eins bis hundert, schnappte sich den ausgedruckten Report und den Terminplaner, in dem sie alle Geschäftsmeetings für die kommende Woche festgehalten hatte.
James nahm beides wortlos entgegen, doch nach dem ersten Blick in den Kalender schwand das angedeutete Lächeln und seine Miene verfinsterte sich. Lissa spürte, wie ihr Herz schmerzhaft gegen die Rippen pochte. Sie hatte doch hoffentlich nicht schon wieder etwas falsch gemacht?
„Tatsächlich bin ich ein Mann mit vielen Talenten“, sagte er gedehnt. „Doch dazu gehört nicht, dass ich an zwei Orten zur gleichen Zeit sein kann.“
„Wie meinen Sie das?“
„Montag, drei Uhr am Nachmittag …“, zitierte er, „… haben Sie mich einmal für eine Konferenzschaltung eingetragen und gleichzeitig meine Teilnahme an einer Präsentation zugesagt.“
Fassungslos starrte Lissa auf die fragliche Stelle im Kalender und schluckte heftig.
„Schauen Sie, Prinzessin …“
„Ich werde das sofort in Ordnung bringen“, unterbrach sie ihren Boss hastig. Sie streckte die Hand aus und schaute ihn flehend an. Wie sollte sie es ertragen, wenn er sie jetzt auch noch aufgeben würde. Wenigstens nicht so schnell!
James zögerte kurz, dann hob er gleichmütig die Schultern und händigte ihr den Terminplaner aus.
„Danke, das werden Sie nicht bereuen …“, flüsterte sie und eilte zurück ins Vorzimmer. Zum Glück hatte sie noch keine E-Mails an die anderen Teilnehmer und Geschäftspartner rausgeschickt!
James wusste sehr gut, dass er niemals diesen despektierlichen Kommentar über das Bett hätte anbringen dürfen. Das war unpassend und kaum professionell zu nennen. Doch weil es ihm nun mal entschlüpft war, hatte er das Gefühl, Lissa wenigstens noch eine letzte Chance einräumen zu müssen.
Andererseits … wirklich bereuen konnte er seine Unverschämtheit nicht, wenn er an den Ausdruck auf ihrem Gesicht zurückdachte. Der war wirklich unbezahlbar gewesen! In der ersten Sekunde absolut schockiert, in der nächsten extrem animiert. So, wie er sich bereits den ganzen Tag über gefühlt hatte.
Sie in ihrem Schreibtischstuhl hingegossen zu sehen, die schlanken Beine auf der Schreibtischplatte drapiert, sodass der enge Rock hochrutschte und noch mehr gebräunte seidige Haut sehen ließ als ohnehin schon, hatte ihn fast umgeworfen. Was hätte ihm da anderes in den Sinn kommen können, als eine betörend erotische Fantasie: Prinzessin Elissa Karedes, wie sie sich lasziv auf seinem King-Size-Bett räkelte, der perfekte Körper erhitzt und mit winzigen Schweißperlen bedeckt … das ebenmäßige Gesicht gerötet, aber diesmal vor brennender Lust und zügelloser Leidenschaft …
Einen winzigen magischen Moment lang hatte er es in ihren Augen aufblitzen sehen. Doch sie hatte ihrem Gefühl nicht nachgegeben, sondern sich blitzschnell hinter einem unsichtbaren Vorhang verschanzt. Warum? Und warum der wachsame Blick, den sie schnell hinter gesenkten Lidern zu verbergen suchte?
Dieser unerwartete Rückzug faszinierte und reizte ihn. Er forderte James heraus und beflügelte seine Fantasie nur noch mehr, obwohl das kaum notwendig war!
Und vor allem … was ging es ihn an, wie diese Frau, die so wankelmütig wie das Aprilwetter war, tickte? Dass sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlte, war offensichtlich. Wahrscheinlich machte es ihr zu schaffen, zum ersten Mal in ihrem Leben richtig arbeiten zu müssen.
James schaute auf seine Uhr und seufzte. Verdammt! Er war ziemlich mit seiner Arbeit im Rückstand! Und alles nur wegen seiner neuen Sekretärin, die heute pünktlich auf die Minute genau Feierabend machte, ihren Schreibtisch verließ und offensichtlich nicht schnell genug aus dem Büro verschwinden konnte.
Sollte ihm nur recht sein. Endlich lag die Kontrolle über seine Gedanken und seinen Körper wieder bei ihm, sodass er sich voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren konnte.
Es war ohnehin dumm von ihm, auch nur eine Sekunde seiner kostbaren Zeit zu verschwenden, um über eine Frau nachzugrübeln, die so unstet, so wenig vertrauenswürdig war wie sie. Eine vergnügungssüchtige, untreue Freundin war mehr als genug! Die Narben waren kaum verheilt und schmerzten immer noch höllisch. Noch dazu wurden sie durch die Konfrontation mit dem katastrophalen Zustand der Ehe seiner Eltern täglich gereizt. Langfristige monogame Beziehungen konnten einfach nicht funktionieren.
Kurze, reizvolle Affären … immer gerne!
Aber Lissa war seine Angestellte und kam somit für diese Variante auf keinen Fall in die engere Wahl. Noch schwerer wog allerdings ihre ständige Präsenz in den Medien. Was James betraf, reichte ihm die zweifelhafte Popularität, die er durch einen einzigen Auftritt dieser Art erlangt hatte! Also war es wohl das Beste, Prinzessin Elissa Karedes fortan einfach zu ignorieren …
Natürlich war sie da! Auf der Eröffnungsparty der neuen Bar, und zwar in glamourösester It-Girl-Aufmachung!
James entdeckte sie sofort. Aber wie hätte er sie auch übersehen können, in dem aufsehenerregenden schwarzen Kleid, das sich um ihre aufregend weiblichen Kurven schmiegte wie eine zweite Haut, bevor es unterhalb der Hüften glockenförmig auseinandersprang. Als sie sich bewegte, sah man die Schlitze auf beiden Seiten, die der Trägerin freie Bewegung, und dem Betrachter einen freizügigen Blick auf ihre unglaublich langen Beine gewährten. Das glänzende Haar fiel in weichen Wellen über den Rücken bis fast zur Taille hinab, und wieder wurde James von dem Verlangen erfasst, seine Finger darin zu vergraben und es auf seinem Körper zu spüren, wie einen seidenen Fächer …
Und dann entdeckte sie ihn.
Lissa hielt gerade den Kopf zur Seite geneigt und lachte über etwas, das ihr ein offenkundiger Verehrer ins Ohr flüsterte, als sich ihre Blicke trafen. Das Lachen verebbte, aber auf den vollen roten Lippen blieb ein Lächeln, während das mutwillige Funkeln in den strahlenden Augen erstarb.
James gab sich einen Ruck und ging gemächlich auf sie zu. Dabei grüßte er nach rechts und links, während Lissa sich weiter mit einigen Partygästen unterhielt, die sie umringten, wobei ihr Blick immer wieder in Richtung ihres Bosses abschweifte. Als er sie fast erreicht hatte, unterbrach sie das launige Geplauder und trat aus dem Kreis heraus auf ihn zu.
Damit wollte sie offenbar die besondere Art der Beziehung zwischen ihnen demonstrieren, was ihm ziemlich schmeichelte. Obwohl James das nie zugegeben hätte. Nicht einmal vor sich selbst! Sicher, er war ihr Arbeitgeber, aber daneben bewegten sie sich immerhin auf einem ähnlich hohen gesellschaftlichen Niveau.
„Sie haben gar nichts davon erwähnt, dass Sie heute Abend auch hier sein würden.“ Er hätte sie sonst ohne Weiteres in seinem Wagen mitnehmen können.
„Ich bin Ihnen gegenüber allein über meine Arbeitszeit auskunftspflichtig, soweit mir bekannt ist“, entgegnete sie kühl. „Es überrascht mich allerdings, Sie hier zu sehen. Ich dachte, Sie hätten noch einen Berg Arbeit zu bewältigen.“
James grinste. Wie es aussah, hatte sie seine kleinen Sticheleien vom Nachmittag noch nicht abgehakt, aber das wollte er ihr nicht nachtragen. Anstatt einen passenden Kommentar abzugeben, konzentrierte er sich lieber auf den Anblick ihrer zarten Füße und die aufsehenerregenden Schuhe, in denen sie steckten. Es erschien ihm unmöglich, wie derartig dünne und hohe Absätze auch nur das Gewicht einer Katze tragen konnten – geschweige denn, einer erwachsenen Frau.
„Sind Sie nicht schon groß genug, Prinzessin?“, fragte er ironisch.
Ein Lächeln, so hinreißend und strahlend, dass es ihn blendete, blitzte auf, während sie so dicht an ihn herantrat, dass nichts mehr von einem professionellen Sicherheitsabstand zwischen Boss und Sekretärin zu spüren war. Als James ihrem herausfordernden Blick begegnete, klopfte sein Herz zum Zerspringen. Lissa legte den Kopf zurück, was sie noch ein paar Zentimeter größer erscheinen ließ, und kam immer näher. Jeder Nerv in seinem Körper war zum Zerreißen angespannt. Durch die leicht geöffneten Lippen sah er das Weiß der Zähne aufblitzen und die Spitze ihrer rosigen Zunge …
Zur Hölle! Sie wollte ihn offensichtlich küssen! Und er stand da, wie ein unerfahrener Teenager, anstatt sich wie ein Mann zu benehmen! Doch gerade, als er sich vorbeugte, um endlich die Initiative zu übernehmen, hob sie die flache Hand und maß den Unterschied zwischen ihrer und seiner Augenpartie ab.
„Scheint nicht so“, stellte sie nüchtern fest.
Scheint nicht so? Hatte er irgendetwas Entscheidendes verpasst?
„Sie überragen mich immer noch um … na, sagen wir vier bis fünf Zentimeter.“
Verdammt! Sie beantwortete nur seine rhetorische Frage, und er bildete sich ein …
Als er Lissas tanzendem Blick begegnete und das amüsierte Lächeln um den weichen Mund sah, hätte James ihr am liebsten zu diesem kleinen Geniestreich applaudiert, allerdings ließ das seine gekränkte Männlichkeit nicht zu. Doch bereits in der nächsten Sekunde wurde sein Ego schon wieder gestreichelt, als er sah, wie sich der Ausdruck in ihren Augen veränderte. Es fehlte nur ein kleiner Anstoß, um aus dem kleinen Spielchen Ernst zu machen, und den vorgetäuschten Kuss Wirklichkeit werden zu lassen.
Das war unübersehbar, und sie wussten es beide …
Ehe er entscheiden konnte, wohin das führte, war Lissa plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Obwohl das Unsinn war. Mit ihrer natürlichen Körpergröße, die noch durch die mörderischen High Heels unterstützt wurde, war sie zwischen den anderen Partygästen leicht auszumachen.
Selbst, wenn sie einen Meter kleiner wäre, würde sie die anwesenden Frauen locker überstrahlen, fuhr es ihm ungebeten durch den Kopf. James schluckte mühsam und überlegte, was er zuerst brauchte. Frische Luft oder einen starken Drink.
Da er mit dem Wagen hier war, entschied er sich fürs erstere, trat vor die Tür und atmete ein paar Mal tief durch. Nachdem er eine Weile reglos dagestanden hatte, kam er zu einem Entschluss. Es hatte keinen Zweck, sich etwas vorzumachen, oder zu versuchen, die Anziehung zwischen Lissa und ihm zu verleugnen. Stattdessen wollte er sie sich zunutze machen. Dabei musste er nur geschickt vorgehen …
Bamm, bamm, bamm!
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Lissas Herzschlag sich normalisierte. Ihr alberner kleiner Flirt hatte ihr das alarmierendste Herzrasen ihres gesamten Lebens beschert! Wer weiß, ob sie es überlebt hätte, wäre sie nicht so jung und bei stabiler Gesundheit. Und wenn das so bleiben sollte, gab es nur eines. Sie musste sich zukünftig unter allen Umständen von James Black fernhalten!
Doch sie hatte keine Ahnung, wie sie das aushalten sollte …
Es war das erste Mal, dass sie ihn in Gesellschaftskleidung sah. Und ein klassischer Smoking veränderte jeden Mann. Was James betraf, katapultierte er ihn eindeutig in die Götterriege! Selbst Adonis musste hinter so viel herausfordernder Männlichkeit zurückstehen.
Mit den klassisch ebenmäßigen, fast strengen Gesichtszügen, der hochgewachsenen, schlanken Gestalt mit den breiten Schultern brachte er ihre Knie zum Zittern. Doch was sie bis ins Innerste erbeben ließ, war diese unfassbare Aura, die ihn umgab. Sein Charisma. Er gehörte zu der Art von Menschen, denen alle Blicke zuflogen, wenn sie einen Raum betraten. Denen man einfach nur nahe sein wollte …
Lissa schauderte unwillkürlich.
Sie konnte es kaum fassen, wie nahe sie ihm eben gewesen war! Und wie kurz sie davor gestanden hatte, ihn zu küssen … aus einem fast übermächtigen Impuls heraus, den sie sich nicht erklären konnte. Obwohl … dieser maskuline, frische, klare Duft … einfach nur eine herbe Seife und Mann …
„Sind Sie darin nicht meiner Meinung, Lissa?“
„Verzeihung …?“, brachte sie heiser hervor und versuchte sich zu orientieren. Vielleicht sollte sie ihre erotischen Träume lieber auf später vertagen, wenn sie allein war. Oder noch besser, sie ein für alle Mal begraben!
Mit strahlendem Lächeln wandte sie sich wieder ihrer Gesellschaft zu und versuchte, die Party so gut wie möglich zu genießen. Das war wenigstens ein Terrain, auf dem sie sich zurechtfand. Hier kannte sie die Regeln und beherrschte den einen oder anderen Trick, den sie in Paris gelernt hatte. In erster Linie ging es schließlich darum, neue Leute kennenzulernen und Spaß zu haben. Dabei half Lissa ihre angeborene Neugier, was Menschen betraf.
Im Moment interessierte sie sich allerdings vornehmlich für James Black. Mit versteckten Seitenblicken konnte sie feststellen, dass es ihm offenbar keine Mühe bereitete, jeden in seinen Bann zu ziehen, dem er sein seltsam zurückhaltendes und dennoch unwiderstehliches Lächeln schenkte.
Mich eingeschlossen! dachte Lissa voller Selbstironie und legte eine Hand auf ihr wild hämmerndes Herz, als sich ihre Blicke für einen Sekundenbruchteil erneut begegneten.
Während er seinen eigenen sozialen und geschäftlichen Verpflichtungen nachging, beobachtete James, wie die Prinzessin ihren Part in diesem Gesellschaftsspiel absolvierte – lächelnd, ein Glas Champagner in der schlanken Hand, an dem sie nur hin und wieder nippte.
Das vergnügte Funkeln in ihren Augen war also keinesfalls auf den Einfluss von Alkohol zurückzuführen. Offenbar hatte sie derartige Hilfsmittel nicht nötig, um sich königlich zu amüsieren. Sie sprach die anderen Gäste mit ihren Namen an und nahm sich bewusst Zeit, mit jedem ein paar Worte zu wechseln – inklusive jener Klientel, die offensichtlich darauf erpicht war, wenigstens einmal im Leben mit einer echten Prinzessin zu plaudern. Als wäre sie die Gastgeberin des Abends, dachte James mit widerwilliger Bewunderung.
Und wo bleibe ich? schoss es ihm plötzlich völlig unsinnigerweise durch den Kopf.
Lissa die ganze Zeit vor Augen zu haben und nicht einmal berühren zu können, machte ihn langsam verrückt. Erst heizte sie seine Libido an, bis sie sicher war, dass er unrettbar am Haken hing, und dann servierte sie ihn kalt lächelnd ab. Aber dafür würde sie bezahlen. Doch jetzt musste er unbedingt Abstand zu ihr halten.
Besonders, weil sich inzwischen eine Gruppe von Paparazzi Einlass verschafft hatte. Und an der Seite der Prinzessin im Gesellschaftsteil der Zeitung verewigt zu werden, war das Letzte, was James sich wünschte. Also behielt er Lissa weiter im Auge und brütete düster vor sich hin.
Langsam verstand er, warum Alex’ kleine Schwester Partys liebte … sie war wirklich gut. Vielleicht wäre es besser, sie suchte sich in diesem Metier einen Job. Sich als Sekretärin beweisen zu wollen, war jedenfalls ungefähr so Erfolg versprechend, wie einer Giraffe Roller-Skating beizubringen!
Doch er durfte nicht ungerecht sein und musste zugeben, dass sie sich zumindest redlich Mühe gab.
Auf seinem Weg nach draußen konnte James der Versuchung einfach nicht widerstehen. Ich bin die Motte, und sie ist das Licht, schoss es ihm durch den Kopf. Über ein derart abgegriffenes Klischee musste er selbst lachen. Außerdem war er viel zu schlau und vorsichtig, um sich zu verbrennen. Aber vielleicht ein wenig wärmen …?
„Soll ich Ihnen ein frisches Glas besorgen? Sie haben Ihres ja kaum angerührt. Der Champagner ist inzwischen unter Garantie schal.“
Lissa drehte sich langsam zu ihm um, und der Partygesellschaft damit den Rücken zu. „Ich werde später, wenn alle weg sind, die Reste aus den Flaschen trinken“, witzelte sie, entschlossen, den Ton zwischen ihnen leicht zu halten.
„Ah, dann eröffnen Sie den Abend also als elegante Dame und beenden ihn als wildes Partygirl?“, ging er ohne zu zögern auf ihren Jargon ein.
Sie grinste. „Tja, manche Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen.“
„Dann sollte ich vielleicht doch noch ein wenig bleiben und mich später an ihre Fersen heften. Einfach nur, um auch ihre wilde Seite kennenzulernen.“
„Das kann bis nach Mitternacht dauern“, warnte sie ihn. „Wahrscheinlich zu spät für Sie.“
„Wann haben Sie denn vor zu gehen?“
„Wenn mir danach ist“, kam es sofort zurück.
James’ Lächeln fiel rasiermesserdünn aus. „Um morgen früh mit der Frische eines Tausendschönchen zu Ihrer Arbeit anzutreten?“
Lissa versteifte sich. „Mein Privatleben hat keinen Einfluss auf meinen Job.“
„Ist das so?“
„Natürlich! Privates und meinen Job halte ich grundsätzlich auseinander!“
„Und darauf kann ich mich verlassen …?“ Es war nicht allein der ungläubige Ton und kaum verhohlene Sarkasmus in seiner Stimme, der heiße Röte in ihre Wangen trieb. Dass er die ganze Zeit über den Blick fest auf ihren Mund gerichtet hielt, konnte nur eine nonverbale Anspielung auf den Fast-Kuss von vorhin sein, den sie trotzdem nicht bereute. Dafür hatte es ihr viel zu gutgetan, ihren Boss wenigstens für einen winzigen Moment aus seiner unerschütterlichen Ruhe gebracht zu haben.
Er hatte diesen Kuss ebenso gewollt wie sie. Davon war Lissa überzeugt. Und dieses Wissen gab ihr die Kraft für einen eleganten Abgang.
„Wir sehen uns dann morgen“, teilte sie James mit einem leichten Neigen des Kopfes mit, und brachte ihn damit unerklärlicherweise zum Lachen.
„Wo immer Sie wünschen, Prinzessin. Sollten Sie allerdings das Büro meinen, werden Sie dort allein sitzen. Morgen ist nämlich Samstag …“