Julia Weekend Band 122

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  • Erscheinungstag 17.08.2024
  • Bandnummer 122
  • ISBN / Artikelnummer 0838240122
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Jennie Adams, Anne Mather, Lucy Monroe

JULIA WEEKEND BAND 122

1. KAPITEL

„Da sind Sie ja schon. Ich hatte mich auf eine längere Wartezeit eingestellt.“ Melanie Watson versuchte sich ihre Erleichterung über das rasche Eintreffen des Taxifahrers nicht anmerken zu lassen. Sie hatte etwas Geld gespart, um weit weg von ihrer Tante, ihrem Onkel und ihrer Cousine ein neues Leben zu beginnen. Zwar war es nicht so viel, wie sie sich gewünscht hätte, aber heute Abend war ihr endgültig klar geworden, wie unerträglich es sein konnte, mit Menschen unter einem Dach zu leben, die sich selbst für großartig und unfehlbar hielten und andere nur verachteten und ausnutzten.

Es reichte ihr ein für alle Mal, und deshalb hatte Mel sich spontan entschieden, ihre Verwandten ohne Rücksicht auf ihre finanzielle Situation noch am selben Abend zu verlassen. Nachdem ihre Cousine sich in ihre Suite zurückgezogen hatte und ihre Tante und ihr Onkel ins Bett gegangen waren, hatte sie ihre Sachen zusammengepackt und einen Zettel mit einer kurzen Nachricht auf ihr Bett gelegt, sich dann ein Taxi bestellt und war aus dem Haus geschlichen.

Sie betrachtete die Silhouette der Stadt, die im fahlen Licht der Morgendämmerung silbrig schimmerte. Bald würde die Sonne aufgehen und die kühle Luft erwärmen. Und wenn der neue Tag anbrach, sah die Welt bestimmt schon wieder ganz anders aus. Ob sie sich bis dahin wach halten konnte, bezweifelte sie allerdings.

Momentan fühlte sie sich ziemlich elend, und ihr brummte der Kopf so heftig, dass sie befürchtete, ohnmächtig zu werden. Irgendwie kam ihr die Situation beinah unwirklich vor.

„Um diese Zeit ist es angenehm zu fahren, finde ich. Die Straßen sind frei, und alles ist noch so still und friedlich.“ Es war eine unverfängliche Bemerkung, die keine Rückschlüsse darauf zuließ, in welcher miserablen Verfassung sie sich befand. Und da der Taxifahrer letztlich so etwas wie eine neutrale Person war, fügte sie hinzu: „Ich bin ziemlich angeschlagen, weil ich eine allergische Reaktion hatte und ein Medikament einnehmen musste, das viel intensiver wirkt, als ich annahm.“

Sie hatte sich aus dem Medikamentenschrank ihrer Cousine bedient, während Nicolette die letzten prominenten Gäste verabschiedete. Das war vielleicht nicht richtig gewesen, wie Mel sich eingestand, aber in ihrer Verzweiflung hatte sie sich nicht anders zu helfen gewusst.

Sie atmete tief durch und erklärte betont munter: „Jedenfalls bin ich bereit für alles Neue, was mich erwartet.“

Ric lächelte leicht. „Ich bin besser durchgekommen, als ich erwartet hatte, und froh, dass Sie schon bereitstehen.“ Zu seiner Überraschung siezte sie ihn, aber warum sollte er nicht darauf eingehen? Einzelheiten konnte er später noch mit ihr klären, und vielleicht hielt sie die formelle Anrede unter den gegebenen Umständen für besser. „Dass Sie trotz Ihrer Beschwerden so begeistert sind, finde ich erfreulich“, fuhr er fort und zog fragend die Brauen hoch. „Was war denn der Auslöser für die Allergie?“

Der Taxifahrer sah aus, als wüsste er nicht genau, was er von ihr halten sollte, aber im Moment wusste Mel das selbst nicht. Sie hatte ihre Pflicht getan, sie hatte trotz der Schikanen ihrer Verwandten ein wunderbares Essen für die Party zubereitet und später, als alle Gäste gegangen waren, aufgeräumt und sauber gemacht.

Da sie im Begriff war, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und in Sydney ganz neu anzufangen, wünschte sie, sie wäre hellwach. Leider konnte sie kaum noch die Augen offen halten.

„Meine Cousine hatte sich ein neues Parfüm gekauft, das nach Gardenien duftet, und sich damit neben mir eingesprüht. Kurz darauf fingen meine Beschwerden an. Offenbar bin ich dagegen allergisch. Schenken Sie mir also niemals einen Strauß Gardenien“, fügte sie scherzhaft hinzu.

„Ich werde daran denken. Sie haben übrigens recht, es lässt sich wirklich gut fahren um diese Zeit. Und die Silhouette Melbournes wirkt im diffusen Licht der Dämmerung sehr beeindruckend.“ Seine Stimme klang angenehm, und er sah ihr ernst in die Augen.

Interessiert musterte sie ihn. Er war schlank, mindestens einen Meter achtzig groß, womit er sie um ungefähr fünfzehn Zentimeter überragte, und umwerfend attraktiv. Sie blinzelte und versuchte, ihren leicht getrübten Blick zu klären.

Sein Akzent, seine gebräunte Haut und das schwarze Haar verrieten, dass er aus Südeuropa kam. Seine breiten Schultern weckten sicher in jeder Frau den Wunsch, bewundernd mit der Hand darüberzufahren oder sich an ihn zu lehnen, um sich sicher und geborgen zu fühlen.

Außerdem strahlte er Autorität und Würde aus, was genauso wenig zu einem Taxifahrer passte wie sein eleganter Anzug. Am unglaublichsten fand Mel seine Augen. Sie waren nicht braun, wie man hätte erwarten können, sondern tiefblau.

„Ich würde mich am liebsten hinlegen und schlafen“, gestand sie leise und wunderte sich über ihre unpassenden Gedanken. Das Medikament hatte wirklich eine seltsame Wirkung.

„Vielleicht sollten wir doch lieber erst Ihr Gepäck einladen, Nicol…“ Der Rest des Wortes ging unter in dem Piepton der automatischen Entriegelung des Kofferraums, die er betätigte.

Offenbar habe ich meinen vollständigen Namen Nicole Melanie Watson angegeben, als ich das Taxi bestellte, überlegte sie. Seit sie mit acht Jahren in das Haus ihrer Tante und ihres Onkels gekommen war, hatte man sie immer nur Melanie oder Mel genannt. Auf einmal mit ihrem ersten Vornamen angeredet zu werden kam ihr nicht nur etwas ungewohnt, sondern auch irgendwie aufregend vor, denn der Akzent des Mannes und seine tiefe Stimme verliehen dem Namen einen ganz besonderen Klang.

Oh nein, Mel, mahnte sie sich. Nimm dich zusammen. „Ich liebe diese Koffer wegen des extravaganten Blumenmusters“, erklärte sie, als er die Gepäckstücke eins nach dem anderen im Kofferraum verstaute, und zweifelte gleich darauf an ihrem Verstand. Sie hatte das Kofferset von ihrer Cousine Nicolette bekommen, die es aussortiert und sich ein neues gekauft hatte. Das brauchte der Mann natürlich nicht zu wissen, und sie wäre gut beraten, in seiner Nähe einen kühlen Kopf zu bewahren.

„Bei dem auffallenden Muster geht Ihr Gepäck jedenfalls nicht so leicht verloren.“ Er warf ihr einen rätselhaften Blick zu. „Sind Sie wirklich fest entschlossen, die Sache durchzuziehen?“

„Oh ja“, versicherte sie ihm entschieden. Was für eine eigenartige Frage. Was meinte er damit? Fürchtete er, um den Fahrpreis betrogen zu werden? Das würde sie nie tun, denn sie wusste aus eigener Erfahrung, was es bedeutete, mit wenig Geld auskommen zu müssen. Obwohl ihre Tante und ihr Onkel über ein beträchtliches Vermögen verfügten, hatten sie Mel nur mit dem Allernötigsten versorgt und ihr lediglich ein bescheidenes Taschengeld gezahlt. Und seit sie alt genug war, um zu arbeiten, erwarteten sie von ihr, dass sie sich als unentgeltliche Haushaltshilfe betätigte – im Gegenzug dafür, dass sie sie aufgenommen hatten. „Ich ändere meine Meinung ganz bestimmt nicht.“

Erst jetzt fiel ihr auf, dass es sich bei dem Auto nicht um ein Taxi handelte. Zwar hatte man ihr bei ihrem Anruf erklärt, es stünden momentan nicht genug Fahrzeuge zur Verfügung und sie müsse mit einer längeren Wartezeit rechnen, aber sie hatte nicht erwartet, in einem Privatauto abgeholt zu werden. Eigentlich war es unüblich, die Fahrer auch in ihrer Freizeit einzusetzen und mit ihrem eigenen Wagen loszuschicken.

Und wieso konnte sich ein Taxifahrer solch eine Luxuslimousine leisten? Mel runzelte die Stirn.

„Kommen Sie geradewegs von einem formellen Abendessen oder einem ähnlichen Anlass?“, fragte sie, ohne nachzudenken, obwohl er nicht so aussah, als hätte er die halbe Nacht gefeiert. Bei ihm bin ich in Sicherheit, ich habe nichts zu befürchten, schoss es ihr durch den Kopf.

„Die meisten Abendessen, an denen ich teilnehme, sind formell, außer ich verbringe den Abend mit meinen Brüdern.“ Ric musste zugeben, dass er die junge Frau anders in Erinnerung hatte. Ihre Offenheit grenzte schon an Naivität, was vielleicht an der Allergie lag, unter der sie litt, oder an dem Medikament. Dennoch hatte er das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

Aber er verdrängte die Gedanken und hielt ihr die Beifahrertür auf. „Sie können während der Fahrt schlafen, wenn Sie möchten. Vielleicht geht es Ihnen dann bei der Ankunft am Flughafen wieder besser.“

„Das bezweifle ich. Ich habe so viel von dem Medikament genommen, dass ich mich wie betäubt fühle und kaum noch klar denken kann.“ Mel konnte das Gähnen nicht mehr unterdrücken.

Anscheinend bin ich an eine moderne Version des Dornröschens geraten, sagte sich Prinz Richard Edouard de Braston leicht belustigt, nachdem die Formalitäten am Flughafen erledigt waren und er Nicolette Watson in sein Privatflugzeug trug und sie vorsichtig auf den bequemen Sitz setzte.

Sie war auf der Fahrt zum Flughafen eingeschlafen und noch nicht wieder wach geworden. Demnach hatte sie wirklich eine hohe Dosis des Medikaments genommen. Aber sie war trotzdem eine schöne junge Frau und hatte sich nur wenig verändert, seit er sie während seines Studiums in Australien kennengelernt hatte. Sie war zwei Jahre jünger als er, und er hatte schon damals bemerkt, dass sie ausgesprochen ehrgeizig war und gesellschaftlich hoch hinauswollte.

Obwohl sie sich seitdem nicht mehr begegnet waren, hatte Nicolette ihm regelmäßig Weihnachtsgrüße geschickt, ihm zum Geburtstag gratuliert und ihn zu allen möglichen gesellschaftlichen Veranstaltungen eingeladen. So wollte sie sich wohl immer wieder in Erinnerung bringen, was er als aufdringlich und unangenehm empfunden hatte. Wie er ihr erklären sollte, warum er nie geantwortet hatte, wusste er noch nicht.

Es war wahrscheinlich das Beste, er würde das Thema gar nicht erst anschneiden, sondern sich auf das, was vor ihnen lag, konzentrieren. Er hatte sich gut überlegt, welche Frau für diese Aufgabe überhaupt infrage kam, und sich dann entschieden, Nicolette zu bitten, ihm zu helfen. Dass er sich jemals in sie verlieben würde, war völlig ausgeschlossen, und weil er ihren Ehrgeiz kannte, war er sich ihrer Zustimmung sicher gewesen.

Er hatte recht gehabt. Sie war von der Möglichkeit, ihre gesellschaftliche Stellung zu verbessern, begeistert gewesen, als er sie angerufen hatte. Da sie weit genug weg wohnte, bestand keine Gefahr, dass sie sich jemals wieder begegneten, nachdem die Sache erledigt war. Er würde sie nach Australien zurückbringen und sie nie wiedersehen.

„Sie hätten mich die junge Dame tragen lassen sollen, Durchlaucht“, sagte einer seiner Leibwächter leicht vorwurfsvoll. „Außerdem war es nicht ungefährlich, dass Sie allein losgefahren sind, um sie abzuholen. Leider haben Sie uns zu wenig Informationen über die Reise gegeben, sodass wir uns nur ungenügend darauf vorbereiten konnte, Ihre Sicherheit zu gewährleisten.“

„Im Moment sind keine weiteren Informationen erforderlich, Fitz.“ Ric sah keine Veranlassung, jetzt schon über seine Pläne zu reden. „Sie wissen doch, wie gern ich selbst am Steuer sitze. Im Übrigen habe ich Ihnen ja erlaubt, dass Sie mir in gebührendem Abstand folgten. Es gab also keinen Grund zur Beunruhigung.“ Er deutete ein Lächeln an. „Und wenn Sie sie getragen hätten, hätten Sie keine Hand frei gehabt, um mir im Notfall zu helfen.“

Der Mann verzog das Gesicht. „Sie haben natürlich recht, Durchlaucht, wie immer.“

„Na ja, immer nicht, aber oft“, entgegnete Ric lächelnd und setzte sich neben Nicolette.

Ist es eigentlich eine gute Idee, dass ich das alles inszeniere, nur um mich von meinem Vater nicht zu etwas zwingen zu lassen, was mir nicht passt? überlegte er. Die letzten zehn Jahre hatte Ric ein freies und ungebundenes Leben genossen, trotz aller harten Arbeit. Da er in der Nachfolge seines Vaters, des Fürsten von Braston, an dritter Stelle stand, hatte er keinen Grund gesehen, sein Singledasein aufzugeben. Außerdem war ihm die Ehe seiner Eltern ein abschreckendes Beispiel.

Ric seufzte unhörbar und betrachtete die schlafende junge Frau neben ihm. Das goldblonde Haar umrahmte ihr Gesicht, das noch Spuren ihrer Allergie aufwies. Dennoch konnte man erkennen, wie fein und ebenmäßig ihre Züge geschnitten waren.

Die langen, dichten dunklen Wimpern berührten ihre Wangen, und er wusste, dass sie große braune Augen hatte. Mit den verführerischen Lippen, der geraden Nase und den leicht geröteten Wangen wirkte sie jünger und schöner als in seiner Erinnerung. Auch das Foto, das sie ihm per Internet geschickt hatte, wurde ihr nicht gerecht.

Plötzlich seufzte sie, und er hätte sie am liebsten sanft geküsst. Was für eine seltsame Regung, schoss es ihm durch den Kopf, denn es handelte sich um eine rein geschäftliche Vereinbarung mit einer Frau, für die er sich niemals ernsthaft interessieren würde. Gefühle hatten mit der ganzen Sache nichts zu tun. Vielleicht ließ sich seine eigenartige Reaktion damit erklären, dass sie momentan sehr verletzlich wirkte. Sobald sie aufwachte, wäre sie wieder die ehrgeizige Salonlöwin, als die er sie kannte und für die er nichts empfand.

Als die Ansage des Piloten ertönte, dass sie in wenigen Minuten starten würden, wurde Nicolette unruhig und schien die Augen öffnen zu wollen.

„Schlaf dich richtig aus, dann bist du bald wieder fit und kannst dich auf unsere Abmachung konzentrieren“, flüsterte er ihr zu.

Sie drehte den Kopf leicht zur Seite und seufzte abermals. Dass sie das Haar jetzt schulterlang trug statt so lang wie auf dem Foto, gefiel ihm gut. Auch ihr modisches Outfit verlieh ihr eine sehr weibliche Note. Allerdings würde sie in dem hübschen Leinenrock und dem Seidentop bei ihrer Ankunft in Braston fürchterlich frieren, da half auch der farblich darauf abgestimmte Cardigan nicht. Doch er hatte vorgesorgt und einen warmen Umhang mitgebracht.

Nachdem er ihren und seinen Sitz in Liegeposition gestellt hatte, versuchte er zu schlafen. Als Nicolette erneut seufzte und sich mit dem Kopf an seine Schulter lehnte, drehte er sich halb zu ihr um, um es ihr bequemer zu machen, und atmete ihr dezentes verführerisches Parfüm ein. Er war zufrieden mit sich, denn dank seiner Initiative würde er sein Land aus der Wirtschaftskrise hinausführen und zugleich seinem Vater beweisen, wie kompetent und weitblickend er war. Ja, er hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein.

„Glücklicherweise hatten wir einen ruhigen Flug und werden jeden Moment landen, Durchlaucht“, hörte Mel beim Aufwachen jemanden sagen. Die Antwort des Taxifahrers verstand sie nicht, aber sie erkannte seine raue tiefe Stimme, und dann merkte sie auch noch, dass jemand eine Wolldecke über sie gelegt hatte.

Ihr Herz klopfte wie wild, als sie sich hastig aufrichtete und umblickte. Das war kein normales Passagierflugzeug, denn es gab hier keine Sitzreihen. Außerdem kümmerten sich mehrere gut gekleidete Flugbegleiter einzig und allein um den Taxifahrer.

Ihre Allergie hatte sich genauso verflüchtigt wie die Nachwirkungen des Medikaments. Und das bedeutete, dass sie weder träumte noch halluzinierte. Wie sie in diesen Luxusflieger gekommen war, wusste sie nicht, aber sie erinnerte sich undeutlich, dass sie sich an die Schulter des Mannes neben ihr gelehnt hatte.

Es war dunkel, als sie auf der Landebahn aufsetzten. Als der Jet kurz darauf zum Stehen gekommen war und einer der Flugbegleiter die Tür öffnete, damit die Gangway herangerollt werden konnte, spürte Mel die unangenehme Kälte, die von draußen hereindrang.

Auf einmal hatte sie ein ungutes Gefühl. Es ist Sommer in Australien, überlegte sie angespannt. Also müsste die Luft doch eigentlich warm sein, oder? War sie entführt worden? Wenn, würde niemand sie vermissen, denn sie hatte zwar in ihrer Nachricht geschrieben, dass sie nach Sydney fliegen wollte, aber ihre Verwandten würden sie bestimmt nicht suchen, sondern sich nur schrecklich darüber ärgern, eine billige Arbeitskraft verloren zu haben.

Sie atmete tief durch und nahm sich zusammen. Der Taxifahrer hatte sie gefragt, ob sie wirklich fest entschlossen sei, die Sache durchzuziehen. Das hatte so geklungen, als bestünde irgendeine Vereinbarung zwischen ihnen, und wenn das stimmte, war sie keinesfalls das Opfer einer Entführung.

Andererseits hatte sie mit diesem Mann gar nichts abgemacht. Fast ruckartig drehte sie sich zu ihm um und begegnete seinem Blick. Er war nicht nur attraktiv, sondern absolut charismatisch. Und die Flugbegleiter verhielten sich ihm gegenüber so ehrerbietig, als wären sie seine Angestellten.

Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass ihn vorhin jemand mit Durchlaucht angeredet hatte. Das passte ganz und gar nicht zu einem Taxifahrer. War das Ganze vielleicht doch nur ein böser Traum?

„Ich hoffe, es geht Ihnen wieder besser, nachdem Sie so tief und fest geschlafen haben“, sagte der Mann so ruhig und mitfühlend, wie es kein Kidnapper der Welt für nötig halten würde.

„Ich bin immer noch etwas erschöpft, aber die Allergie ist verschwunden“, erwiderte Mel und konnte ihre Unsicherheit nicht verbergen. „Wahrscheinlich habe ich sie auskuriert während des Flugs von Melbourne nach …“ Sie verstummte und sah ihn fragend an.

„Braston“, half er ihr weiter.

„Ah ja, nach Braston“, wiederholte sie und hätte am liebsten laut gelacht, so absurd kam ihr das alles vor. Aber es wäre die falsche Reaktion gewesen, deshalb beherrschte sie sich. Von dem kleinen Fürstentum in Europa hatte sie schon gehört, wusste allerdings nicht viel darüber. „Ich hatte eigentlich beabsichtigt, nach Sydney zu fliegen“, wandte sie vorsichtig ein.

„Es hat sich ergeben, dass wir direkt von Melbourne aus fliegen konnten.“ Zu ihrer Überraschung nahm er ihre Hand. „Sie brauchen nicht nervös oder besorgt zu sein. Denken Sie einfach an das, was wir vereinbart haben, und überlassen Sie es mir, mit meinem Vater, dem regierenden Fürsten, zu reden.“

„Oh“, war alles, was sie hervorbrachte. Dann war dieser Mann also ein Prinz und der Sohn eines Fürsten.

„Sie sind anders, als ich Sie in Erinnerung habe“, meinte er nachdenklich.

„Das verstehe ich nicht ganz.“ Mel runzelte die Stirn. „Anders als auf der Fahrt zum Flughafen?“ Sie ärgerte sich, dass ihre Stimme ängstlich und unsicher klang statt energisch und fest, wie sie es sich gewünscht hätte.

„Ich kann Ihre Nervosität gut verstehen und versichere Ihnen, dass ich Ihnen die Sache so leicht wie möglich machen werde. Verlassen Sie sich voll und ganz auf mich, dann ist das alles kein Problem. Es wird genau so klappen, wie wir es abgemacht haben.“

Mel nahm ihren ganzen Mut zusammen und begann: „Also, was diese Abmachung betrifft, die Sie erwähnten. Da muss es sich um …“

„Wenn Sie und Ihre Begleiterin mir bitte folgen möchten, Durchlaucht?“, wurde sie von einem der Flugbegleiter unterbrochen.

Ric erhob sich, half ihr beim Aufstehen und legte ihr einen wunderbar warmen Umhang um die Schultern. Dann führte er sie die Stufen hinunter auf das Rollfeld, wo ihnen ein eisiger Wind entgegenwehte. Mel war heilfroh über das Cape und zog es fest um sich zusammen.

Im Flutlicht, das den Flughafen erhellte, erblickte sie auf einmal eine Ansammlung von Menschen am Rand der Landebahn, die sie zu erwarten schienen.

Plötzlich verspürte sie den heftigen Wunsch, die Flucht zu ergreifen und wieder in den Flieger zu steigen. Das alles war nur passiert, weil das Medikament sie so außer Gefecht gesetzt hatte, dass sie in den falschen Wagen gestiegen war. Nie wieder würde sie etwas einnehmen, das der Arzt ihr nicht verschrieben hatte.

„Bitte, Durchlaucht“, brachte sie hervor, während er sie rasch weiterführte. „Es muss sich wirklich um ein Missverständnis handeln.“

So langsam begriff sie den Zusammenhang. Er hatte nicht sie, sondern Nicolette abholen wollen. Ihre Cousine war schon den ganzen Tag in einer seltsam euphorischen Stimmung gewesen und hatte geheimnisvoll getan. Nachdem sich die letzten Gäste verabschiedet hatten, war Nicolette in ihre Suite geeilt, und es hatte sich angehört, als packte sie die Koffer.

Der vermeintliche Taxifahrer war früher eingetroffen als geplant – was erklärte, warum Nicolette noch nicht fertig gewesen war. Zwar meinte Mel sich zu erinnern, dass er sie mit Nicole angeredet hatte, aber genauso gut konnte es Nicolette gewesen sein. Sie und ihre Cousine sahen einander ähnlich. Ja, so muss es sich abgespielt haben, dachte sie mit wachsendem Entsetzen.

„Sie wollten wahrscheinlich Nicolette …“, versuchte sie es noch einmal.

„Erlauben Sie mir, Sie in Braston willkommen zu heißen, Nicolette“, begann er im selben Moment und stutzte dann. „Wie bitte?“

Jetzt war klar, dass er sie mit Nicolette verwechselt hatte. Offenbar gab es wirklich irgendeine Vereinbarung zwischen ihm und ihrer Cousine. Doch an ihrer Stelle war sie, Mel, jetzt hier in dem fremden Land und musste sehen, wie sie zurechtkam. Hatte er wirklich nicht gemerkt, dass sie nicht Nicolette war? Das konnte nur bedeuten, dass die beiden sich nicht besonders gut kannten.

Andererseits passierte es oft, dass sie und ihre Cousine verwechselt wurden. Nicolette reagierte darauf stets ärgerlich und oft sogar wütend.

„Wir können uns ruhig wieder duzen wie seinerzeit, und wenn wir unter uns sind, nenn mich einfach Ric oder Richard.“ Mel nickte wie betäubt, und er half ihr auf den Rücksitz der bereitstehenden Limousine, ehe er auf der anderen Seite einstieg. Dann setzte sich ein Mann in dunklem Anzug ans Steuer, und Ric unterhielt sich kurz auf Französisch mit ihm.

„Du hast sicher eine endlose Reihe Vornamen und bist vermutlich der Erbe mehrerer Fürstentümer oder dergleichen.“ Sie atmete tief durch. „Im Fernsehen wird ja immer wieder über die europäischen Adelshäuser berichtet, zumindest über die wichtigsten. Ich bin zwar keine Expertin auf diesem Gebiet, aber etwas Ahnung habe ich doch.“

Das klingt, als wäre ich zutiefst beeindruckt und völlig unsicher, wie man sich solchen Leuten gegenüber verhält, überlegte sie und gestand sich ein, dass es stimmte. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, ehe sie sich traute, ihr Anliegen noch einmal mit allem Nachdruck vorzubringen. „Bitte, Ric, ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.“

„Wir sind da, Durchlaucht“, verkündete der Chauffeur und bog in die Auffahrt eines eindrucksvollen Gebäudes ein. Er brachte den Wagen zum Stehen, stieg aus und hielt ihnen die Tür auf.

Natürlich steigt Ric als Erster aus, das steht ihm als Prinz wohl zu. Alles war so ungewohnt, dass Mel Angst hatte, jeden Moment hysterisch zu werden.

„Danke, Artor, und auch dafür, dass Sie unserem Gast zuliebe Englisch gesprochen haben“, bedankte Ric sich beim Aussteigen. Dann half er Mel aus dem Wagen und musterte sie aufmerksam. „Dass du nervös bist, ist verständlich. Ich bringe dich sogleich in unsere Suite, dann kannst du dich entspannen und beruhigen.“

„In die Suite?“, wiederholte sie irritiert. „Sehen wir denn sonst niemanden?“ Was für eine dumme Frage! Und was meinte er mit ‚unsere‘ Suite? „Können wir uns dann endlich unterhalten?“

„Ja, das machen wir. Obwohl es eigentlich keine Unklarheiten gibt, werden wir über alles reden, was dich bedrückt“, erwiderte er und wirkte dabei sehr hoheitsvoll und ziemlich einschüchternd.

Mel sank der Mut. Sie war in etwas hineingeraten, das sich wie ein Albtraum anfühlte. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass sich alles aufklären ließ und sie rasch aus der Sache herauskam.

Ric führte sie die Stufen einer breiten Treppe hinauf zu dem beeindruckenden Eingang des riesigen Fürstenpalastes. Sie sah an dem ehrwürdig wirkenden Gebäude hoch, das teilweise erleuchtet und dessen Größe nicht abzuschätzen war, und merkte plötzlich, wie sehr sie fror. Kein Wunder bei der Kälte, die hier herrscht, dachte sie und versuchte den Schauder zu unterdrücken, der sie überlief. Ric, dem es natürlich nicht entgangen war, legte ihr den Arm um die Taille und dirigierte sie zu der breiten Doppeltür, die sich vor ihnen wie von Geisterhand öffnete.

Sie betraten die riesige Eingangshalle, und ein Heer von Angestellten schwirrte um Ric und sie herum, begrüßte sie freundlich und nahm ihm den Mantel und ihr den Umhang ab.

Immer noch glaubte Mel, seine Berührung zu spüren. Wenn er sie nicht gehalten hätte, wäre sie vermutlich vor lauter Nervosität und Ehrfurcht ohnmächtig geworden.

Zahlreiche Porträts der Fürstenfamilie schmückten die stuckverzierten Wände der über drei Ebenen reichenden Eingangshalle. Auf einem Podest neben der breiten Palasttreppe stand eine Bronzestatue, und die in Gold und Rot gehaltene Wandbespannung verlieh dem Raum eine warme Atmosphäre.

Ric beugte sich zu ihr und flüsterte ihr zu: „Willkommen im Palast.“

„Vielen Dank. Das ist …“ Seine Nähe raubte ihr fast den Atem, und sie verstummte.

Auf einmal erinnerte sie sich daran, dass ihr schon während des Fluges der dezente Duft seines Aftershaves in die Nase gestiegen war. Und auch daran, wie es sich angefühlt hatte, als er sich im Schlaf mit seinem Kopf an ihren gelehnt hatte. Irgendwann hatte er den Arm um sie gelegt, und sie hatte die Wärme seines Körpers durch das feine Material seines eleganten Jacketts hindurch gespürt.

Sekundenlang vermischten sich die Erinnerungen mit der Wirklichkeit, und für einen Augenblick vergaß sie, dass sie das Missverständnis aufklären musste. Sie vergaß alles um sich her, so erfüllt war sie von seiner Nähe.

Doch Ric brachte sie in die Wirklichkeit zurück, als er leise sagte: „Danke, dass du bereit bist, mir zu helfen, die Forderungen meines Vaters zu erfüllen und trotzdem meine Freiheit zu behalten, indem du für kurze Zeit meine Frau wirst.“

2. KAPITEL

„Es handelt sich um ein schreckliches Missverständnis.“ Mels Stimme klang angespannt, und sie gestikulierte nervös, als sie im Wohnzimmer seiner Suite rastlos auf und ab lief. „Ich bin die falsche Frau und sollte gar nicht hier sein.“

„Du wirst ja nicht für immer mit mir verheiratet sein, sondern nur für kurze Zeit“, wandte Ric ein und versuchte ihr Unbehagen zu verstehen. Warum hatte sie plötzlich solche Bedenken, nachdem sie zunächst mit allem einverstanden gewesen war? „Betrachte es als ein Intermezzo, mehr ist es ja auch nicht“, fügte er hinzu. So hatten sie es vereinbart, allerdings war der Vertrag, den er hatte aufsetzen lassen, von ihr noch nicht unterschrieben. Nicolette hatte ihm jedoch versichert, dass sie das nach ihrer Ankunft nachholen würde. Weshalb hatte sie nun ihre Meinung geändert?

Sie atmete tief durch. „Sieh dir doch die prachtvolle Einrichtung, die schweren Samtvorhänge und den ganzen Luxus an, der hier herrscht und der mich fast sprachlos macht.“ Sie blickte ihm in die Augen, ehe sie ihn anfuhr: „Und du bist ein Prinz und der Sohn des regierenden Fürsten!“

„Das ist doch für dich nichts Neues.“ Ric war selbst überrascht, wie faszinierend er das ärgerliche Funkeln in ihren braunen Augen fand, während sich in ihrem Gesicht Empörung und sogar so etwas wie Besorgnis spiegelten. So hatte er damals nicht auf Nicolette reagiert, und es ging ihm auch jetzt gegen den Strich, denn es handelte sich um eine rein geschäftliche Abmachung, bei der solche Regungen nur hinderlich waren. Dass Nicolette ihn als Frau überhaupt nicht interessierte, war einer der Gründe, warum er sich für sie entschieden hatte. Es würde ihm nicht schwerfallen, sich wieder von ihr zu trennen und die Ehe zu beenden.

„Doch, das ist es“, entgegnete sie. „Wenn ich in irgendwelchen Magazinen schon einmal etwas über dich gelesen hätte, wäre ich natürlich informiert gewesen.“ Ihre Finger zitterten, als sie sich das Haar aus dem Gesicht strich.

Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie ganz anders redete als die Frau, die er kannte. Sie wirkte viel emotionaler und auch etwas naiv.

Er runzelte die Stirn. Beim Abholen in Melbourne hatte er sich ihre Offenheit mit dem Einfluss des Medikaments erklärt, unter dem sie stand, aber die Wirkung musste längst verflogen sein. Hier stimmt etwas nicht, sagte er sich und machte einen Schritt auf sie zu, um ihr Gesicht noch einmal genauer zu betrachten. Im Nachhinein bereute er, dass er Nicolette damals so wenig beachtet hatte, denn er konnte sich nicht einmal an die niedlichen Sommersprossen auf ihrer Nase erinnern. „Irgendwie scheinst du anders zu sein“, stellte er fest.

„Ja, weil ich nicht die bin, für die du mich hältst.“ Sie atmete tief durch und schwieg sekundenlang. Schließlich straffte sie die Schultern und fuhr entschlossen fort: „Ich bin Nicole Melanie Watson.“

„Nicole“, wiederholte er nachdenklich.

„Richtig. Man nennt mich jedoch Melanie oder Mel, seit ich als Achtjährige ins Haus meines Onkel und meiner Tante kam. Das hier wäre der richtige Ort für Nicolette, sie passt viel besser in diesen Luxus als ich. Als mir bewusst wurde, dass ich in einem Privatflieger sitze und nicht in Sydney ankomme, wo ich mir ein Zimmer in einer Pension nehmen und mir Arbeit suchen wollte, habe ich mich gefragt, wie das alles zusammenhängt.“

Warum will sie sich in Sydney Arbeit suchen? Ric verdrängte den Gedanken und konzentrierte sich auf das, was momentan wichtiger war.

„Habe ich dich richtig verstanden?“ Seine Stimme klang jetzt sehr formell, so als wäre er plötzlich auf der Hut. „Willst du ernsthaft behaupten, ich hätte …?“

„Ich nehme an, du wolltest Nicolette abholen und hast stattdessen mich mitgenommen“, unterbrach sie ihn. „Anders kann ich mir die ganze Sache nicht erklären. Wahrscheinlich hast du mich mit Nicolette angeredet, aber ich habe nur Nicole verstanden und dachte, ich hätte meine beiden Vornamen angegeben, als ich das Taxi bestellte.“

Stimmte das wirklich? Ric kniff die Augen zusammen. „Ich habe Nicolette seit Jahren nicht mehr gesehen und kenne nur ein aktuelles Foto von ihr, das sie per E-Mail geschickt hat. Als ich dich abholte, erschienst du mir jünger und etwas anders, als ich dich in Erinnerung hatte, das muss ich zugeben. Seht ihr euch sehr ähnlich, Nicolette und du?“

„Zumindest auf den ersten Blick. Außerdem klingen unsere Stimmen sehr ähnlich, worüber sie sich immer geärgert hat. Es passierte oft, dass uns Bekannte, die uns nur flüchtig kannten, verwechselten.“ Mel presste die Hände zusammen. „Und das alles ist nur geschehen, weil ich ein Medikament von ihr eingenommen und mich damit sozusagen selbst außer Gefecht gesetzt habe. Da Nicolette niemals pünktlich ist und du früher kamst, dachtest du, ich sei sie, als ich draußen auf das Taxi wartete.“ Auf einmal spiegelte sich Entsetzen in ihrem Gesicht. „Nicolette wird schrecklich wütend auf mich sein, wenn sie das alles herausfindet.“

„Deine Cousine hat kein Recht, ihren Zorn an dir auszulassen. Du bist für den Fehler nicht verantwortlich“, entgegnete Ric und fügte einer Eingebung folgend hinzu: „Hast du mich die ganze Zeit für einen Taxifahrer gehalten?“

„Natürlich. Ich konnte doch nicht ahnen, dass du ein Prinz bist.“

Das ist mir auch noch nicht passiert, sagte Ric sich leicht belustigt. Er wurde jedoch sogleich wieder ernst, denn er musste sich eine Lösung einfallen lassen. Sanft berührte er Mel am Arm. „Es lässt sich alles wieder in Ordnung bringen“, versicherte er ihr, obwohl er selbst noch nicht wusste, wie. Er hatte die ganze Sache bis ins kleinste Detail geplant, war von Braston nach Australien geflogen – und hatte die falsche Cousine abgeholt; eine Frau, von der er noch nie gehört hatte und die von den Hochzeitsplänen nichts ahnte. Und sie wusste auch nichts von der Forderung, die sein Vater gestellt hatte und die Ric zunächst erfüllen würde, aber nur, um später alles wieder rückgängig zu machen.

Falls sich der Irrtum nicht korrigieren ließ, konnte das zum Scheitern seines ganzen Plans führen. Das wiederum bedeutete, dass die wirtschaftliche Krise des Landes nicht so rasch überwunden sein würde, wie er es sich vorstellte und wie es für die Menschen wünschenswert war.

„Ich finde es nett von dir, dass du mir keine Vorwürfe machst“, erwiderte sie leise und blickte ihn so ungläubig an, als wäre es ihr rätselhaft, warum er sie so nachsichtig behandelte.

„Ich habe keinen Grund, dir irgendetwas vorzuwerfen, Melanie.“ Er konnte den Blick nicht von ihren ausdrucksvollen Augen abwenden und verstand sich selbst nicht mehr.

Sie schien sich in dieser Umgebung nicht sicher zu fühlen. Oder hatte sie immer und überall das Gefühl, nicht willkommen zu sein, und war grundsätzlich auf der Hut?

Ric war ein Mensch, der sich gern bedeckt hielt, was allein schon sein Status als Sohn des regierenden Fürsten mit sich brachte. Aber er war ausgesprochen selbstbewusst und kannte seinen Platz im Leben. Und diese junge Frau verdiente eigentlich ein glückliches und sorgenfreies Leben, wie er fand. Warum hatte sie sich entschieden, ihre Verwandten zu verlassen und in Sydney neu anzufangen? War etwa Nicolette nicht unschuldig daran?

Es gibt Wichtigeres zu erledigen, als sich darüber Gedanken zu machen, schien eine kleine innere Stimme ihm zuzuflüstern. Dennoch verspürte er den Wunsch, Mel zu beschützen, nachdem sie sich nun vollkommen unvorbereitet in einem fremden Land weit weg von Australien wiederfand. Und dass er gern mehr über sie erfahren würde, war durchaus verständlich. Immerhin hatte er eine ihm völlig Fremde abgeholt und wollte jetzt natürlich wissen, wer sie war.

Außerdem brauchte er ihre Hilfe, um sein Problem zu lösen. „Ich bin sicher, wir finden einen Weg aus dem Dilemma. Wenn ich dich von meinem Vater fernhalten und ihm eine plausible Geschichte erzählen kann, warum ich zweimal nach Australien fliegen muss, um meine Verlobte zu holen …“

„Ehrlich gesagt, ich finde die Angelegenheit sehr mysteriös. Wie kannst du schon vor der Hochzeit entschlossen sein, dich nach kurzer Zeit wieder scheiden zu lassen? Wie gut kennst du eigentlich meine Cousine?“, unterbrach Mel ihn hitzig. Sie war gestresst und erschöpft und hatte keine Ahnung, wie es für sie weitergehen würde. Eigentlich hätte sie jetzt in Sydney sein und sich einen Job suchen sollen, statt in diesem Palast herumzuhängen. Und das alles nur, weil Ric sie für ihre Cousine gehalten hatte.

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie unfreundlich sie sich ihm gegenüber verhielt. Das war zwar verständlich, denn sie fühlte sich schrecklich unbehaglich und machte sich Gedanken um ihre Zukunft. „Es tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein“, entschuldigte sie sich trotzdem. „Aber ich wünsche mir Antworten auf all die Fragen, die in meinem Kopf herumschwirren. Und ich sollte wieder Sie zu dir sagen, finde ich.“

„Nein, das ist nicht nötig, wir bleiben beim Du. Deine Cousine habe ich während meines Studiums in Australien flüchtig kennengelernt. Sie hat den Kontakt zu mir nie ganz einschlafen lassen.“

Demnach kannte er Nicolette nicht allzu gut. Aber trotzdem wollte er sie heiraten, für eine kurze Zeit, wie er behauptete. Was steckte dahinter? Ihre Cousine hatte kein Wort darüber verloren, vielleicht weil beiderseitiges Stillschweigen vereinbart worden war? Doch irgendetwas würde für Nicolette dabei herausspringen. Der Titel einer Prinzessin war ihr vermutlich sicher, und das war so ganz nach ihrem Geschmack, denn es würde ihr noch mehr gesellschaftliche Türen und Tore öffnen. Welche Vorteile diese kurze Ehe Ric brachte, war Mel allerdings rätselhaft.

„Es muss ein Schock für dich gewesen sein, dich plötzlich hier wiederzufinden statt in Sydney“, stellte er mit seiner tiefen Stimme fest. „Du wolltest dort neu anfangen? Habe ich das richtig verstanden?“

„Ja. Weil ich dich für den Taxifahrer hielt, habe ich dir alles Mögliche erzählt. Ich wollte dich nicht beleidigen.“ Was es mit ihrer Absicht, sich in Sydney einen Job zu suchen, auf sich hatte, behielt sie lieber für sich.

„Das ist mir klar. Ich leite alles Nötige in die Wege, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Dann unterhalten wir uns einmal ausführlich darüber, wie es überhaupt dazu kommen konnte.“

Er wird nicht nur das Problem lösen, sondern hat auch auf alles eine Antwort parat. Mel sah ihn an. In dem Moment wirkte er ganz wie der Prinz, der er war. Zwar hatte er ihr versichert, dass er sie für unschuldig hielt. Doch sie konnte sich das Missverständnis nicht so leicht verzeihen. Sie hätte merken müssen, dass etwas nicht stimmte, allein an der nicht als Taxi gekennzeichneten Limousine und dem Fahrer im eleganten dunklen Anzug. Natürlich erwartete Ric Erklärungen von ihr. Hatte sie etwa ernsthaft geglaubt, sie würde so glimpflich davonkommen? Aber vielleicht erfuhr sie dann auch, warum er ausgerechnet Nicolette für eine kurze Ehe ausgewählt hatte.

„Natürlich musst du jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um den Fehler zu korrigieren, vor allem aber Nicolette anrufen und mit ihr besprechen, wie du sie auf schnellstem Weg nach Braston holen kannst. Wenn du mich einfach in den nächsten Flieger nach Sydney setzt, wäre mir das sehr recht. Ich habe keine Lust, meiner Cousine zu begegnen.“ Mel wollte Nicolette nie wiedersehen und sich auch nicht die Vorwürfe anhören, die sie ihr zweifellos machen würde. Natürlich auch dafür, dass sie ihre Verwandten praktisch bei Nacht und Nebel verlassen hatte.

Was fand Ric eigentlich an Nicolette? Gefiel ihm das wenige, was er über sie wusste, so gut? Hoffte er, sie könnten nach dem Ende der kurzen Ehe gute Freunde sein? Nicolette war eine elegante, selbstbewusste Frau, sie konnte ausgesprochen charmant sein, wenn es ihr passte, aber sie war auch sehr oberflächlich.

Mel warf Ric einen nachdenklichen Blick zu. Er schien überhaupt nicht beunruhigt und wirkte trotz des Problems, das er nun lösen musste, stark und überlegen. Seine charismatische Ausstrahlung hatte sicher auch etwas mit seiner Herkunft und seiner Erziehung zu tun. Wie es sich wohl anfühlen würde, in Nicolettes Haut zu stecken und ihn zu heiraten? Bei dem Gedanken erbebte Mel insgeheim.

„Je eher wir handeln, desto besser.“ Er griff nach dem schnurlosen Telefon auf dem Beistelltisch und drückte eine Taste. „Schicken Sie bitte meinen Assistenten herauf, es ist dringend“, sagte er und beendete das Gespräch. Kurz darauf klopfte es an der Tür. „Das wird das Essen sein. Du bist bestimmt hungrig.“

Er durchquerte den Raum, um zu öffnen. Herein kamen drei Angestellte mit Tabletts, auf denen sich alle möglichen Delikatessen türmten. Als Mel den köstlichen Duft roch, wurde ihr bewusst, wie lange sie nichts mehr gegessen hatte.

„Und wie!“, gab sie zu. Noch nie ist mir etwas auf dem sprichwörtlichen Silbertablett serviert worden, dachte sie beeindruckt. Im Gegenteil, ich musste andere bedienen.

„Das freut mich“, ertönte eine tiefe männliche Stimme von der Tür her, und ein Mann mit schwarzem Haar, grauen Schläfen und tiefblauen Augen kam herein, den Mel auf Anfang sechzig schätzte.

Es konnte niemand anders als Rics Vater sein, die Ähnlichkeit war zu groß. Das ist wohl das Schlimmste, was passieren konnte, schoss es ihr durch den Kopf, als der Fürst den Raum betrat. Sie hatten vermeiden wollen, dass sie seinem Vater begegnete, und nun das. Sie warf Ric einen besorgten Blick zu. Für einen Moment spiegelte sich in seinem Gesicht so etwas wie Ratlosigkeit, aber er hatte sich rasch wieder unter Kontrolle.

Die winzige menschliche Regung machte ihn für Mel nur noch sympathischer. Sie musste ihm aus der heiklen Situation heraushelfen.

Der Fürst sah sie aufmerksam und prüfend an. Da seine Bemerkung offenbar ihr gegolten hatte, war sie unsicher, ob sie antworten sollte oder nicht.

„Gut, dass du gekommen bist, Vater.“ Ric stand auf und ging dem Fürsten entgegen, um ihn von Mel abzulenken. „Ich wollte sowieso wegen der Trüffelernte mit dir reden.“

Der ältere Mann kniff die Augen zusammen und schaute seinen Sohn stirnrunzelnd an. „Wie schön, dass meine zukünftige Schwiegertochter etwas essen möchte, statt zu behaupten, sie habe keinen Appetit, nur um spindeldürr zu bleiben.“

Spindeldürr? wiederholte Mel insgeheim. War es in diesen Kreisen üblich, die eigene Meinung so offen auszusprechen? Sie hatte für ihre Verwandten gekocht und war nach Strich und Faden ausgenutzt worden, aber sie hatte immer gern und bestimmt nicht wenig gegessen.

Obwohl sie keine Ahnung von den protokollarischen Regeln hatte, die hier galten, war sie sicher, dass Ric sie seinem Vater hätte vorstellen müssen. Warum tat er es dann nicht?

Weil ich nicht Nicolette bin, gab sie sich die Antwort selbst. Wenn er sie seinem Vater vorstellte, musste er entweder lügen oder die Wahrheit sagen, doch beides würde ihn in Schwierigkeiten bringen.

Also beschloss sie zu schweigen und hoffte, dass Ric das Problem irgendwie lösen würde. Hatte er nicht darauf bestanden, dass sie es ihm überließ, mit seinem Vater zu reden? Allerdings war ihm da noch nicht bekannt gewesen, dass er die falsche Frau abgeholt hatte.

Von alldem ahnte sein Vater natürlich nichts, als er Melanie musterte. Wenn sie nicht bald etwas sagte, hielt der Fürst sie noch für unhöflich oder dumm.

„Durchlaucht“, brachte sie hervor und bemühte sich, einen Hofknicks zu machen. Dabei wich sie seinem Blick aus und hoffte, dass ihre Stimme genauso klang wie Nicolettes.

Ric durchquerte den Raum, blieb an der Tür stehen und drehte sich zu Mel um. „Würdest du uns bitte entschuldigen? Am besten isst du schon ohne mich.“ Dann bat er jemanden vom Küchenpersonal, seinen Assistenten zu informieren, dass er das Gespräch mit ihm verschieben musste. „Und zeigen Sie meinem Gast bitte das Gästezimmer“, forderte er einen anderen Mitarbeiter auf, ehe er mit seinem Vater den Raum verließ.

Melanie bedankte sich beim Personal für das Essen. Sie spürte die neugierigen Blicke und hätte sich gern mit den Leuten unterhalten, aber das war wahrscheinlich unpassend, also schwieg sie lieber.

Das Zimmer mit angrenzendem Bad, in das man sie führte und das zu Rics Suite gehörte, war überwältigend luxuriös und verschwenderisch ausgestattet. Sie beschloss, es sich später genauer anzuschauen.

Schließlich ließ man sie allein, und Mel setzte sich an den Esstisch im Wohnbereich der Suite und genoss die köstlichen Gerichte. Danach wartete sie auf Rics Rückkehr. Sie hatte nicht geahnt, dass in dieser Gegend Trüffel angebaut wurden. Aber nicht nur darüber wollte er vermutlich jetzt mit seinem Vater reden. Sie konnte sich gut vorstellen, dass es ein schwieriges Gespräch war, und fragte sich gespannt, was er ihr nach seiner Rückkehr erzählen würde. Sicher schafft er es, die richtigen Worte zu finden, um seinen Vater zufriedenzustellen, beruhigte sie sich. Ric würde dafür sorgen, dass alles wieder in Ordnung kam.

3. KAPITEL

Ric stand am Fenster des Wohnbereichs seiner Suite und blickte hinaus. Die ersten Sonnenstrahlen fielen auf die schneebedeckten Berge und tauchten die Stadt Ettonbierre unten im Tal in ein märchenhaftes Licht. Bald würden sich die Bewohner des Ortes auf den Weg zur Arbeit machen, falls sie überhaupt einen Job hatten.

Eigentlich liebte er diese Tageszeit, die Einsamkeit, die Ruhe und Stille, ehe er sich den täglichen Verpflichtungen widmete. Doch heute Morgen gingen ihm zu viele Gedanken durch den Kopf. Außerdem erwartete er jeden Moment seinen Assistenten, mit dem er einiges besprechen musste. Seit zwei Jahren gab es gravierende Probleme, und eine der Maßnahmen, um sie zu lösen, hatte die Hochzeit mit Nicolette sein sollen.

Das Gespräch mit seinem Vater gestern Abend war recht anstrengend gewesen und hatte sich sehr in die Länge gezogen. Dass er Nicolette nun nicht mehr herholen und sie als seine Verlobte vorstellen konnte, war Ric klar – eigentlich schon seit dem Moment, als Melanie das Missverständnis aufgeklärt hatte. Sie war zu vielen Leute begegnet, und sein Vater hatte sie sich genau angesehen. Zwar war sie im Hintergrund geblieben, um nicht aufzufallen, doch genützt hatte es wenig.

Allerdings hatte Ric etwas Zeit gewonnen, um sich weitere Schritte zu überlegen, ehe er seinem Vater eine angebliche Verlobte vorstellte, auch wenn es letztlich nur eine einzige Lösung gab.

Ein zaghaftes Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Er durchquerte den Raum, um seinem Assistenten zu öffnen. Höfliche Gesten wie diese waren für Ric selbstverständlich, er hatte kein Problem damit und hielt sie nicht für unter seiner Würde.

Nun galt es, eine Herausforderung zu bestehen. Ihm lag viel daran, dass sein Vater sich endlich aus der mentalen Erstarrung löste, in die er verfallen war, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte und sich weigerte zurückzukehren. Ric wollte den Fürsten dazu bringen, aktiv daran mitzuarbeiten, die Wirtschaftskrise des kleinen Landes zu überwinden.

„Guten Morgen, Durchlaucht.“ Sein Assistent betrat den Raum und machte die Tür hinter sich zu. „Es tut mir leid, dass ich Sie schon so früh stören muss.“

„Und ich möchte mich dafür entschuldigen, dass es gestern Abend so spät geworden ist. Und das alles nur, um das Foto, das mir per E-Mail zugeschickt wurde, mit dem in dem Reisepass zu vergleichen.“ Ric verzog spöttisch die Lippen.

Da er Melanies Reisepass auf dem Flughafen einem seiner Mitarbeiter übergeben hatte, damit er die Formalitäten erledigte, war ihm nicht aufgefallen, dass ihr Name nicht Nicolette lautete.

„Das war sehr wichtig, Durchlaucht. Dummerweise sehen sich die beiden Frauen nicht so ähnlich, dass es niemandem auffallen würde, wenn die eine zurückfliegt und die andere hier erscheint.“ Dominico Rhueldt atmete tief durch. „Wie von Ihnen gewünscht, wurde der vereinbarte Betrag aus Ihrem Privatvermögen auf das Bankkonto von Miss Nicolette Watson überwiesen. Außerdem habe ich bei Luchino Montichelli Jewellers und Söhne eine Kollektion Diamantschmuck bestellt, die der jungen Dame innerhalb der nächsten Tage zugestellt wird.“ Der Assistent zögerte sekundenlang, ehe er hinzufügte: „Etwas besorgt war ich über den hohen Betrag aus Ihrer Privatschatulle, den Sie dafür ausgeben, um den Menschen unter die Arme zu greifen. Ich weiß, die Leute sind in Not, aber wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf …“

„Solange ich es mir erlauben kann, helfe ich“, unterbrach Ric den Angestellten freundlich und seufzte. Diese Unterhaltung führten sie nicht zum ersten Mal. „Aber das löst das Problem nicht, das ich momentan habe: Nicolette. Wird sie zufrieden sein mit der … Abfindung?“ Er hoffte, sich ihre Zustimmung zur Änderung seiner Pläne und ihr Schweigen mit Schmuck und Bargeld erkaufen zu können.

Obwohl er von der Frau sprach, die er für kurze Zeit hatte heiraten wollen, kreisten seine Gedanken nur noch um Melanie. Er warf einen Blick Richtung Gästezimmer. Als er gestern Abend zurückgekommen war, hatte sie zusammengerollt auf dem Bett gelegen, als wäre sie nicht sicher, ob sie überhaupt das Recht hatte, hier zu sein. Dornröschen wartet darauf, wach geküsst zu werden, hatte er gedacht und sie behutsam zugedeckt.

Wie war er bloß auf so eine dumme Idee gekommen? Es musste etwas mit seiner Müdigkeit und dem andauernden Stress zu tun haben. Dennoch konnte er nicht vergessen, wie sie da gelegen hatte, und der Wunsch, sie auf die verführerischen Lippen zu küssen, wurde selbst jetzt wieder in ihm wach. Da er sich in den vergangenen Monaten fast ausschließlich und sehr intensiv mit der Bewältigung der Wirtschaftskrise seines Landes befasst hatte, waren seine persönlichen Bedürfnisse zu kurz gekommen. Eine andere Erklärung für seine seltsamen Regungen fand er nicht.

„Nicolette Watson ist mit dem Geld und dem Schmuck als Entschädigung einverstanden“, antwortete sein Assistent. „Sie hat sich damit abgefunden, dass die Hochzeit nicht stattfindet, aber sie weiß natürlich nicht, was dahintersteckt und wie Ihre Pläne aussehen.“ Dominico rieb sich den Nacken. „Aber ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen. Es gibt wahrscheinlich wieder Schwierigkeiten mit der Trüffelernte, sagt Winnow.“

Ric bemerkte die besorgte Miene seines Mitarbeiters. „Das klingt nicht gut. Was ist passiert?“

„Winnow war beunruhigt über die Bodenbeschaffenheit auf einer der Trüffelplantagen. Er meint, voriges Jahr habe es genauso angefangen.“

„Hat er eine Bodenprobe genommen? Und wenn ja, wie lautet das Ergebnis? Wir waren uns doch so sicher, dass wir alles getan haben, um eine Wiederholung auszuschließen. Wir wollten bald ernten.“ Ric ging ins Ankleidezimmer und zog seine Arbeitsmontur an, eine kakifarbene Hose, ein Baumwollhemd, darüber einen warmen Pullover und schließlich noch die Stiefel. Seine Mutter hätte ihm jetzt vorgehalten, das sei kein Outfit für einen Prinzen, aber sie war ja fort.

„Die Probe wird noch analysiert“, antwortete sein Assistent unterdessen.

„Ich muss selbst mit Winnow reden“, verkündete Ric und kam in den Wohnbereich zurück.

„Was ist mit Ihrem Gast?“ Dominico deutete zum Gästezimmer. „Soll ich die junge Frau wecken und sie über Ihre Pläne informieren?“

„Lassen Sie sie schlafen, sie hatte gestern einen langen und schwierigen Tag. Aber sorgen Sie bitte dafür, dass Rufusina mitkommt auf die Plantage.“

Melanie war gerade wach geworden und hörte die letzten Worte gedämpft durch die geschlossene Tür. Als sie sich in dem bequemen breiten Himmelbett aufsetzte, fiel ihr Blick auf die Steppdecke, mit der sie zugedeckt war. Sie erinnerte sich genau, dass sie sich, ohne sich auszuziehen oder zuzudecken, hingelegt hatte, um sich einen Moment auszuruhen, bis Ric zurückkam. Irgendjemand hatte die Decke über sie gelegt, damit sie nicht fror, dessen war sie sich sicher. Und sie ahnte auch, wer. Die Stimme, die sie jetzt hörte, konnte nur Rics sein, offenbar wollte er sich irgendetwas auf den Trüffelplantagen ansehen. Doch wer war Rufusina?

„Ich stehe gerade auf“, rief sie und sprang aus dem Bett. „Es tut mir leid, dass ich gestern Abend eingeschlafen bin, ich wollte auf deine Rückkehr warten. In fünf Minuten bin ich fertig.“

Zu spät wurde ihr bewusst, dass er nicht allein war. Was würde sein Mitarbeiter denken? Zwar war es nur eine harmlose Bemerkung gewesen, doch leider konnte sie missverstanden werden. Mel zuckte die Schultern. Ric würde sie sowieso heute nach Australien zurückschicken, und damit war die Sache für sie erledigt.

Die Enttäuschung, die sie bei dieser Aussicht verspürte, konnte sie sich nicht erklären. Wahrscheinlich tat es ihr leid, dass sie nun keine Chance mehr hatte, Ric besser kennenzulernen. Das musste es sein.

Als Prinz hat er natürlich kein Interesse daran, mehr Zeit mit mir zu verbringen als unbedingt nötig. Eine angelernte Köchin wie ich passt einfach nicht in seine Welt, sagte sie sich und eilte ins Badezimmer.

Vermutlich wollte er das Gespräch mit ihr so rasch wie möglich hinter sich bringen und ihr mitteilen, für wann er ihren Rückflug nach Australien gebucht hatte und wann Nicolette eintreffen würde.

Mel war mit allem einverstanden. Ein Teil von ihr freute sich sogar darauf, nach Hause zurückzukehren. Wenn sie sich in Sydney ein neues Leben aufbaute, würde sie dieses Intermezzo ohnehin rasch vergessen. Und wenn sie Nicolette nicht mehr begegnen musste, war ihr das mehr als recht.

„Ich kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein und fände es unhöflich, Melanie hier allein zu lassen, nachdem sie aufgestanden ist“, erklärte unterdessen Ric seinem Assistenten. „Ich werde mit ihr frühstücken, auch wenn es Wichtigeres zu tun gibt.“

„Darf ich Ihnen vorschlagen, stattdessen ein Picknick für Sie beide vorbereiten zu lassen? Nach dem Gespräch mit Winnow?“, erwiderte Dominico vorsichtig. „Haben Sie einen Lieblingsplatz, an dem Sie es gern veranstalten würden?“

„Das ist eine gute Idee.“ Ric nannte seinem Mitarbeiter den Platz und fügte hinzu: „Dort kann ich in Ruhe mit Melanie reden und sehen, ob sie …“

„Ich hoffe, ich habe dich nicht zu lange warten lassen“, ertönte in dem Moment ihre betont muntere Stimme. Die beiden Männer drehten sich um, als die junge Frau den Raum betrat.

Obwohl Ric ihr gern mit ein paar netten Worten das offensichtliche Unbehagen genommen hätte, machte ihn ihr Anblick erst einmal sprachlos.

Ihre Wangen waren leicht gerötet, sie hatte das Haar im Nacken zusammengebunden, und einige Strähnen umrahmten ihr Gesicht. Sie trug einen langen braunen Rock aus Cordsamt, dazu einen cremefarbenen Pullover und braune Stiefeletten mit halbhohen Absätzen. Über den Arm hatte sie einen Wollmantel gelegt. Das helle Pink ihres Lippenstifts und die fast schwarzen dichten, langen Wimpern taten ein Übriges, ihm den Atem zu rauben.

Dass ihr Outfit aus einem Kaufhaus und nicht aus einer Edelboutique stammte, erkannte Ric auf den ersten Blick. Und die Frisur war auch nicht die Kreation eines berühmten Modefriseurs. Doch das spielte überhaupt keine Rolle, denn so, wie sie vor ihm stand, ließ sie sein Herz höher schlagen. Das hatten im Laufe der Jahre schon viele Frauen auf die raffinierteste Art und Weise versucht, aber immer ohne Erfolg.

„Du siehst wunderschön aus“, sagte er schließlich und hatte plötzlich den Wunsch, sie seinen Brüdern vorzustellen.

Doch er wusste nicht genau, wann sie zurückkamen. Möglicherweise saß Melanie dann schon längst im Flieger nach Australien.

Er ging auf sie zu, nahm ihre Hand und hob sie sich an die Lippen. „Hoffentlich hast du gut und lange genug geschlafen. Das ist mein Assistent Dominico, der alle persönlichen und geschäftlichen Angelegenheiten zuverlässig für mich regelt“, stellte er seinen Mitarbeiter vor.

Mit anderen Worten, er genießt Rics Vertrauen und ist über alles informiert, schoss es Mel durch den Kopf.

Ric nahm sich vor, möglichst bald mit ihr zu reden, und hoffte, dass sie ihm helfen konnte, das Problem zu lösen, vor dem er stand, auch wenn es ziemlich viel verlangt war.

Und ich habe geglaubt, ich könnte meinen Vater überlisten, ohne einen Preis dafür zahlen zu müssen, dachte er. Dummerweise hatte er die falsche Frau abgeholt und sich dadurch ungeahnte Schwierigkeiten eingehandelt.

Aber warum war er dann so verwirrt und verspürte obendrein den Wunsch, Melanie besser kennenzulernen? Das muss ich vergessen und mich zusammennehmen, es gibt genug zu tun, mahnte er sich energisch. „Begleitest du mich auf einen Spaziergang? Ich muss etwas Wichtiges erledigen, anschließend möchte ich dich zu einem Picknick an einem windgeschützten Platz entführen, wo uns die Morgensonne wärmt. Dort können wir uns ungestört unterhalten, und ich berichte dir, wie das Gespräch mit meinem Vater gestern Abend verlaufen ist.“

„Ja, ich komme gern mit. Ist es denn in Ordnung, dass man mich mit dir sieht? Du hättest mich wecken können, als du zurückkamst. Ich wollte mich nur kurz ausruhen und bin dann leider eingeschlafen. Irgendwann muss ich mich zugedeckt haben.“

Er hatte das Gefühl, dass sie genau wusste, wer dafür verantwortlich war, und betrachtete aufmerksam ihr schönes Gesicht. Schließlich ließ er ihre Hand los und trat einen Schritt zurück. „Es macht nichts, wenn man uns zusammen sieht. Außerdem ist dein Outfit perfekt für das, was wir vorhaben. Gehen wir?“

Kurz darauf führte er sie über endlos lange Flure und Gänge und durch mehrere Räume mit gewölbten und stuckverzierten Decken. Und überall war das Personal damit beschäftigt, den täglichen Aufgaben nachzukommen.

Wie beiläufig erklärte er ihr, dass sie vor niemandem einen Knicks zu machen brauchte außer bei bestimmten offiziellen Anlässen vor seinem Vater und seiner Mutter.

„Lerne ich heute Morgen deine Mutter kennen?“ Mel musterte ihn nervös von der Seite.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, sie hält sich nicht im Palast auf.“

„Dem Himmel sei Dank“, brach es zu ihrem eigenen Entsetzen aus ihr heraus, und sie verzog reumütig das Gesicht.

„Ganz meine Meinung“, stimmte er ihr leise zu, ehe er in Schweigen verfiel.

Dass ich neben einem Prinzen durch diesen prunkvollen Palast gehe, ist kein Grund, mich eingeschüchtert zu fühlen, machte Mel sich Mut. Doch die ganze Situation kam ihr seltsam unwirklich vor. Ric nickte dem Personal immer wieder freundlich zu, und da es ihm offenbar kein Problem bereitete, sich mit ihr zu zeigen, hatte er sich vermutlich eine plausible Erklärung für ihre Anwesenheit ausgedacht.

„Die Küche im Palast ist sicher auf das Modernste ausgestattet“, brach sie nach einem Moment das Schweigen. Wahrscheinlich war dort ein ganzes Bataillon Köche mit der Zubereitung der fantasievollsten und köstlichsten Gerichte beschäftigt. Und niemand würde diesen Profis eine Tortenplatte an den Kopf werfen, so wie Nicolette es am letzten Abend mit ihr gemacht hatte.

Ric blickte sie an. „Du kannst sie dir gern einmal anschauen, wenn du möchtest.“

„Oh ja, danke. Das werde ich tun.“ Ehe ich nach Hause zurückfliege, fügte sie insgeheim hinzu.

„Mir war gar nicht klar, dass in Braston Trüffel angebaut werden“, fuhr sie fort. „Ich habe noch nie welche zubereitet. Meine Verwandten veranstalten zwar oft großartige Dinnerpartys, aber sie sind zu …“ Sie verstummte. Laut auszusprechen, dass sie zu geizig waren, um den Gästen diese teuren Pilze anzubieten, traute sie sich nicht.

„Der Trüffelanbau und der Tourismus sind seit vielen Jahren die Haupteinnahmequellen unseres Landes.“ Ric führte sie durch die imposante Eingangstür, die ihnen ein uniformierter Mitarbeiter aufhielt, hinaus in den Sonnenschein.

Der Anblick, der sich ihr bot, raubte ihr fast den Atem. Vor ihnen lagen, so weit das Auge reichte, schneebedeckte Berge, Täler und waldreiche Hügel. „Bei unserer Ankunft gestern Abend ist mir das alles gar nicht aufgefallen. So viel Schönheit ist geradezu überwältigend. Dass der Tourismus in deinem Land boomt, kann ich gut verstehen.“

„Ja, ich liebe meine Heimat auch sehr.“ In seiner Stimme schwang hörbar Stolz mit. „Aber Europa ist reich an traumhaft schönen Gegenden. Und viele Länder haben den Touristen noch mehr zu bieten als wir. Deshalb halte ich es für wichtig, diese Branche zu fördern und auszuweiten. Wenn es nach meinem Bruder Anrai geht, wird das auch bald geschehen.“

Mel gefiel es, dass er stolz war auf sein Land und dass seine Stimme so herzlich klang, als er seinen Bruder erwähnte. Über seinen Vater und seine Mutter redete er eher kühl und unbeteiligt. Obwohl sie den regierenden Fürsten nur flüchtig kennengelernt hatte, hielt sie ihn für einen strengen Mann, der seine Meinung unverblümt äußerte und einschüchternd wirkte.

Sie war sich jedoch ziemlich sicher, dass sie damit umgehen konnte, denn immerhin hatte sie es geschafft, sich ihr Selbstbewusstsein in den vielen Jahren, die sie im Haus ihrer Verwandten verbracht hatte, nicht zerstören zu lassen.

Es hatte ihr auch nicht geschadet, dass sie hinter dem Rücken ihrer Tante und ihres Onkels alle Kuchen, Torten und Desserts, die nach den Partys übrig waren, einem Verein hatte zukommen lassen, der Lebensmittel und Essen an Arme und Obdachlose verteilte. Sie war nie dabei ertappt worden und war froh, dass Menschen von ihren Koch- und Backkünsten profitiert hatten, die es zu schätzen wussten.

Doch das war Vergangenheit. Da sie im Laufe der Jahre immer unfreundlicher und schlechter behandelt worden war, hatte sie sich entschlossen, ihre Verwandten zu verlassen. Nach ihrer Rückkehr nach Australien konnte sie endlich in Sydney ganz neu anfangen.

Sie war zuversichtlich, dass sie rasch einen Job fand, ehe sie ihre Ersparnisse aufgebraucht hatte, und dass sie von ihrem Gehalt leben konnte, wenn auch am Anfang eher bescheiden.

Lächelnd blickte sie Ric an. Hier draußen im hellen Licht wirkten seine Gesichtszüge ausgesprochen markant, und sie gestand sich ein, dass sie ihn immer attraktiver fand. Als sie vorhin aus ihrem Schlafzimmer gekommen war, hatte sie für einen kurzen Moment das Gefühl gehabt, dass er sich ihrer Gegenwart genauso sehr bewusst war wie sie sich seiner. Aber das hatte sie sich sicher nur eingebildet. Weshalb sollte er sie als ungelernte Köchin überhaupt beachten?

„Wir bauen Trüffel in großen Mengen an“, erklärte er ruhig. „Ich weiß nicht, ob dir bekannt ist, dass sie in Symbiose mit den Bäumen leben, unter denen sie wachsen.“

„Nein, davon hatte ich keine Ahnung“, gab Mel zu und betrachtete interessiert die endlosen Reihen Bäume, die in einiger Entfernung zu sehen waren. „Das sind Eichen, stimmt’s?“

„Ja, du hast recht.“ Ric nahm ihre Hand und führte sie an den Nebengebäuden vorbei. In den Garagen stand mindestens ein halbes Dutzend Sportwagen und Limousinen verschiedener Marken, die alle auf Hochglanz poliert waren.

Plötzlich näherte sich ihnen von hinten ein Auto, und Mel drehte sich um. Ric winkte, als der Fahrer langsam an ihnen vorbeifuhr und hupte. „Das ist mein Bruder Anrai.“

„Das dachte ich mir schon, ich konnte eine gewisse Ähnlichkeit erkennen“, erwiderte sie. Dass er immer noch ihre Hand hielt, löste die seltsamsten Regungen in ihr aus, wie sie sich eingestand.

Doch sie musste sich zusammennehmen und sich höflich mit ihm unterhalten. „Wie viele Geschwister hast du?“, fragte sie deshalb.

„Nur zwei Brüder. Sie sind älter als ich und versuchen, ihre eigenen Pläne zu verwirklichen.“

In dem Moment kam ein Mitarbeiter mit einem Schwein an der Leine, die an einem roten Halsband befestigt war, auf sie zu. Als das Tier Ric bemerkte, grunzte es wie zur Begrüßung.

„Das ist Rufusina“, stellte er es Mel vor. „Es ist unser Trüffelschwein und begleitet uns auf die Plantagen.“

„Ah ja“, antwortete sie verblüfft. Sie hatte sich Rufusina als eine schöne Frau mit langem braunem Haar vorgestellt, die sich insgeheim wünschte, Ric würde ihr einen Heiratsantrag machen. Offenbar habe ich eine zu lebhafte Fantasie, dachte Mel leicht belustigt. „Wie interessant. Das Schwein scheint sehr …“ Sie suchte nach dem richtigen Wort.

„Es ist wirklich sehr intelligent“, beendete Ric den Satz für sie und fügte lächelnd hinzu: „Ich bin mir sicher, das denkt jeder im ersten Augenblick.“

Als das Tier an der Leine zog und ihm entgegenl...

Autor

Jennie Adams
<p>Jennie Adams liebt die Abwechslung: So wanderte sie schon durch den Australischen Kosciusko Nationalpark, arbeitete auf Farmen, spielte Klavier auf Hochzeitsfeiern, sang in einer Chorproduktion und hatte verschiedenste Bürojobs. Jennie lebt in einem kleinen Städtchen in New South Wales, wo sie einem Halbtagsjob nachgeht weil sie nach eigenen Angaben auch...
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Die preisgekrönte Bestsellerautorin Lucy Monroe lebt mit unzähligen Haustieren und Kindern (ihren eigenen, denen der Nachbarn und denen ihrer Schwester) an der wundervollen Pazifikküste Nordamerikas. Inspiration für ihre Geschichten bekommt sie von überall, da sie gerne Menschen beobachtet. Das führte sogar so weit, dass sie ihren späteren Ehemann bei ihrem...
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