Julia Weekend Band 126

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EIN PRINZ WIE AUS 1001 NACHT von LYNNE GRAHAM

Die Heirat Prinz Shahirs mit Lady Pamela steht so gut wie fest. Bis ihm Kirsten begegnet, ein einfaches Zimmermädchen. Obwohl Kirsten nicht standesgemäß ist, träumt der Wüstensohn schon bald von mehr. Da sorgen rätselhafte Diebstähle auf dem herrschaftlichen Besitz plötzlich für neue Wendungen. Shahir muss befürchten, dass Kirsten die Täterin ist!

DU BIST MEIN STAR! von SHARON KENDRICK

Schon bei ihrer ersten Verabredung spürt Lara: Dem glutäugigen Darian wird sie nicht widerstehen können! Dabei verfolgt sie nur ein einziges Ziel, seit sie dem Treffen mit dem geheimnisvollen Milliardär zustimmte: herausfinden, ob er tatsächlich ein Königssohn ist …

IN DER SONNENGLUT DES ORIENTS von ANNE MATHER

Märchenhaft geliebt, vom Schicksal beschenkt: In den Armen des orientalischen Prinzen Alain fühlt Alice sich wie im siebten Himmel. Bis ihre Affäre durch eine Intrige endet. Jahre später ist Alice erneut in Alains Palast geladen. Wiederholen sich Glück – und Enttäuschung?


  • Erscheinungstag 04.01.2025
  • Bandnummer 126
  • ISBN / Artikelnummer 0838250126
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Lynne Graham

1. KAPITEL

Seine Königliche Hoheit, Prinz Shahir bin Harith al Assad, erreichte sein prächtiges Besitztum im Schottischen Hochland gegen acht Uhr am Morgen.

Wie immer waren alle nur möglichen Vorkehrungen getroffen worden, um ihm die zuvorkommende Behandlung zuteilwerden zu lassen, die er von Geburt an gewohnt war. Als sein Learjet landete, stand an dem privaten Flughafen bereits eine schwere Luxuslimousine mit Chauffeur bereit. Die abgedunkelten Fenster trugen mit dazu bei, ihm die Privatatmosphäre zu gewährleisten, auf die er besonders Wert legte. So wäre auch niemand aus seinem Mitarbeiterstab je auf die Idee gekommen, ihm ein unwillkommenes Gespräch aufzuzwingen.

Allein Fraser Douglas, der Verwalter seines schottischen Besitztums, dem er einen Platz in der Limousine anbot, musste ihm einige Fragen beantworten, ehe auch er sich auf einen Wink des Prinzen hin schweigend in die weichen Ledersitze zurücklehnte.

Die einzige Straße nach Strathcraig Castle, die sich über zwanzig Kilometer durch das schottische Moor hinzog, wurde von imposanten Bergmassiven flankiert. Nach der hektischen Betriebsamkeit des Businesslebens erfreute sich Shahir an der wohltuenden Weite und der klaren Luft. Die einsame, majestätische Landschaft und der weite blaue Himmel erinnerten ihn ein wenig an die heimische Wüste, die er noch mehr liebte als dies hier.

Als die Limousine eine bewaldete Schlucht durchfuhr, wurde der schwere Wagen durch eine Schafherde, die die Straße kreuzte, zum Halten gezwungen. Am Straßenrand stand eine weißhaarige Frau mit einem Fahrrad, die auch darauf wartete, weiterradeln zu können. Erst als sie den Kopf ein wenig zur Seite wandte, stellte Shahir erstaunt fest, dass sie kaum das Teenageralter hinter sich hatte, und ihr langes Haar nicht weiß, sondern platinblond war. In weichen Wellen umfloss es ihr zartes Gesicht. Sie war schlank, hatte große, intelligente Augen und einen vollen, sensiblen Mund. Selbst die schlichte, farblose Kleidung konnte ihrer natürlichen Anmut und Grazie keinen Abbruch tun. Sie erinnerte ihn an das Gemälde eines Engels, das er vor langer Zeit gesehen hatte – rein und unantastbar.

Weniger ehrfürchtig war das plötzlich erwachende Lustgefühl, das Shahir durchflutete, und dessen Heftigkeit und Intensität ihn erstaunte. Denn es war ziemlich lange her, dass eine Frau ihn in dieser Art interessiert hatte.

„Wer ist das?“, fragte er seinen Verwalter, der ihm gegenübersaß.

„Kirsten Ross, Eure Königliche Hoheit“, sagte der ältere Mann mit dem quadratischen Schädel beflissen. Da keine Antwort erfolgte, beeilte er sich, weitere Details zu liefern. „Ich glaube, sie arbeitet als Reinigungskraft im Schloss.“

Nicht im Traum käme Shahir auf die Idee, sich mit einer Bediensteten einzulassen. Wie bedauerlich für ihn, dass dieses Zauberwesen zu seinen Dienstboten gehörte – und dann noch in einer untergeordneten Stellung! Schade, dachte er flüchtig und hakte jeden amourösen Gedanken in Richtung der platinblonden Schönheit ab. Denn Shahir war ein stolzer und sehr anspruchsvoller Mann.

„Ich habe sie bisher noch nie gesehen.“

„Kirsten Ross gehört auch nicht unbedingt zu der Sorte Frauen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“

Shahir lächelte zynisch. Als Liebhaber schöner Frauen erkannte er ein kostbares Juwel auf den ersten Blick, auch wenn es in einer wenig attraktiven Verpackung steckte. „Sie muss doch an das Aufsehen gewöhnt sein, das ihr Äußeres hervorruft.“

Fraser Douglas zog eine Grimasse. „Ich glaube nicht, dass man sie besonders dazu ermutigt hat, vor dem Spiegel zu stehen. Ihr Vater ist streng gläubig und regiert seine Familie sehr streng.“

Shahir ertappte sich dabei, dass er die attraktive Blondine immer noch anstarrte, und riss sich mit einiger Anstrengung von dem zauberhaften Anblick los.

Der Wagen fuhr weiter. Shahir nahm in Gedanken die Bemerkung seines Verwalters über den Vater des Mädchens auf und überlegte, wo man die Grenze zwischen einem tief empfundenen Glauben und religiösem Fanatismus ziehen musste. Hier, im ländlichen Bereich, schien sich das Leben der Menschen jedenfalls weitgehend um die Kirche und ihre verschiedenen Aktivitäten zu drehen.

Die örtliche Bevölkerung hielt dabei ganz andere moralische und gesellschaftliche Regeln hoch als die sogenannte gehobene Gesellschaft. In der Tat wirkten viele Pächter und Bauern auf auswärtige Besucher ziemlich grimmig, verschlossen und altmodisch, was sicher auch daran lag, dass sie in diesem engen Tal wenig von dem Rest der Welt mitbekamen.

Shahir selbst fühlte sich hier auf Strathcraig mehr zu Hause als in einer nobleren Umgebung, die mehr dem Laissez-Faire verpflichtet war. Dhemen, das kleine Königreich im Mittleren Osten, in dem er geboren wurde, war ähnlich puritanisch. Recht blieb Recht, ein Fehler war ein Fehler, und das Gemeinwohl stand immer über der Freiheit des Einzelnen.

Diesem eindeutigen Regelwerk wagten sich nur wenige entgegenzustellen, und jene, die es trotzdem taten, mussten mit der Schande und Schmach weiterleben, die sie selbst auf sich zogen, wenn sie den ungeschriebenen Geboten zuwiderhandelten.

Auf eine ähnliche Weise akzeptierte auch Shahir die Einschränkungen in Bezug auf sein eigenes Leben, die ihm das Schicksal aufgrund seiner königlichen Geburt abverlangte. Und so konnte jede Frau, die mit ihm das Bett teilte, auch immer nur ein schwacher Ersatz für die Eine sein, die er wirklich wollte. Die Frau, die er liebte und die ihm nie gehören konnte. Gelegentliche amouröse Abenteuer waren sein einziges Ventil gegen die tief sitzende Frustration, auf seine große und einzige Liebe verzichten zu müssen.

Doch inzwischen war er zweiunddreißig Jahre alt und hatte sein Leben eigentlich ganz anders geplant.

Besorgte Verwandte standen geradezu Schlange, um ihn mit den Namen passender Heiratskandidatinnen zu versorgen. Und die hartnäckigeren unter ihnen arrangierten sogar in schöner Regelmäßigkeit Treffen mit infrage kommenden Damen.

Vielleicht ist es wirklich langsam an der Zeit, dass ich in den sauren Apfel beiße und mich für eine von ihnen entscheide, überlegte Shahir, wobei sich seine attraktiven dunklen Züge unwillkürlich verfinsterten.

Eine arabische Frau würde ihre ganze Energie dafür einsetzen, ihm die perfekte Frau zu sein. Als Gegenleistung erwartete sie von ihm Kinder, Reichtum und das Prestige einer wichtigen Stellung. Liebe kam in dieser Gleichung nicht vor – warum sollte sie das auch? Heiraten in diesem Teil der Welt hatte vor allem etwas mit Status, Familienzugehörigkeit und vorrangig mit der Produktion eines Erben zu tun.

Shahirs Vater hatte dem Drang seines Sohnes, so lange wie möglich unverheiratet zu bleiben, bisher großes Verständnis entgegengebracht, doch als Nächster in der Thronlinie war Shahir sich schon darüber im Klaren, dass er dem Unvermeidlichen nicht noch viel länger ausweichen konnte.

Glücklicherweise hatte er keinen einzigen romantischen Knochen in seinem Körper! Sein heißblütiges Temperament und seine ausgeprägte Libido hatte er dank fester Prinzipien und seines anspruchsvollen Geschmacks immer unter Kontrolle halten können. Shahir war ein Mann, der der Wahrheit ins Gesicht schaute, wie unangenehm sie auch sein mochte. Niemand, der dumme Fehler machte.

In den Schoß einer königlichen Familie geboren, auf die er sehr stolz war, wusste er genau, was seine Pflichten waren. Und sein scharfer, analytischer Verstand, wie auch seine emotionale Intelligenz sagten ihm, dass es wichtiger war, die richtige Ehefrau zu finden, als auch nur einen Gedanken an eine umwerfende, allerdings absolut unpassende Westeuropäerin zu verschwenden, die zudem noch als eine Art Dienstmagd für ihn arbeitete.

„Du lebst in einer Traumwelt, Kirsten“, stellte Jeanie Murray voller Überzeugung fest. Sie saß auf der abgewetzten, hölzernen Arbeitsplatte in der Küche und machte verbotenerweise eine Zigarettenpause. „Dein Vater wird dich nie von zu Hause weglassen, damit du aufs College gehen kannst.“

Kirsten hörte für einen Moment auf, die kostbare Sauciere aus Sevres-Porzellan zu polieren.

„Ich dachte, er könnte meiner Idee jetzt vielleicht aufgeschlossener gegenüberstehen, da er mit Mabel verheiratet ist.“

„Ha! Auf jeden Fall hat ihn all sein Beten und Predigen nicht davon abhalten können, sich eine neue Braut zu suchen, obwohl deine Mum gerade erst gestorben war!“, empörte Jeanie sich. „Wie man so hört, soll ihm seine häusliche Bequemlichkeit über alles gehen.“ Ohne Kirstens Unbehagen zu bemerken, schüttelte der dralle Rotschopf lachend den Kopf.

„Warum sollte er dich also gehen lassen? Immerhin steuerst du ja auch noch ein ganz schönes Sümmchen zum Haushalt bei. Und versuche jetzt nicht, mir weiszumachen, dass es ihm nicht willkommen ist! Jeder hier weiß doch, wie geizig Angus Ross ist.“

Nur mit Mühe gelang es Kirsten, ein gequältes Aufstöhnen zurückzuhalten, angesichts der Erkenntnis, dass der Geiz ihres Vaters im ganzen Umland als geradezu legendär galt. Jeanies gnadenlose Offenheit und ihre taktlosen Bemerkungen führten häufig zu Reibereien unter dem Personal. Kirsten hingegen fiel es leicht, ihr diesen Wesenszug nachzusehen, weil sie ihre ansonsten warmherzige, freundliche Art schätzte.

„Jeanie …“

„Versuch gar nicht erst, mir etwas vormachen zu wollen. Du weißt ganz genau, dass ich recht habe. Ich habe ein, zwei Geschichten darüber gehört, wie es dir zu Hause ergeht, und das ist ganz bestimmt kein Zuckerschlecken!“

„Trotzdem bin ich nicht bereit, die Belange meiner Familie mit anderen zu diskutieren“, gab Kirsten steif zurück.

Jeanie verdrehte unbeeindruckt die Augen und grinste. „Ich wette, du bist immer noch fürs Kochen und die grobe Hausarbeit zuständig, stimmt’s? Mabel, dieser alte Sauertopf, wird dich genauso wenig gehen lassen wollen wie dein Vater, wenn du mich fragst.“

„Das tue ich aber nicht.“

„Du musst den Tatsachen ins Auge sehen, Kirsten! Du bist jetzt zweiundzwanzig, und der einzige Weg, endlich ein eigenes Leben führen zu können, heißt Flucht! Lauf, so schnell und so weit dich deine Beine tragen, ehe dieses egoistische Pärchen dich einholen kann!“

„Wir werden sehen“, murmelte Kirsten und senkte den Kopf, um sich wieder ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Es würde sie eine ganz schöne Stange Geld kosten, irgendwo allein einen Haushalt einzurichten. Einfach wegzulaufen mochte eine reizvolle Idee sein, aber ohne den notwendigen Rückhalt, auch eine ziemlich törichte. Denn dann würde sie unweigerlich in die Armut abrutschen.

Wovon Kirsten träumte, war, sich eine kleine, gemütliche Wohnung leisten zu können, von wo aus sie ihre Zukunft planen konnte. Ich muss nur noch eine Weile Geduld haben, redete sie sich ein.

Immerhin war sie erst sechs Wochen im Castle angestellt. Und da ihr Vater einen Großteil ihres Verdienstes dafür verlangte, dass er sie weiter zu Hause wohnen ließ, würde es wohl noch ein paar Monate dauern, ehe sie daran denken konnte, ihren Traum zu verwirklichen. Doch so eilig war es ihr damit auch gar nicht.

Ihr Job, so schlicht und unbedeutend er auch sein mochte, war für Kirsten eine Art Rettungsanker. Ihr gefiel es, sich in der mittelalterlichen Pracht des historischen Castles aufhalten und bewegen zu können. Selbst der lange Weg bis hierher, den sie jeden Morgen mit ihrem Rad zurücklegte, vermittelte ihr ein lang entbehrtes Gefühl von Freiheit. Ebenso die Gelegenheit, völlig unterschiedliche Menschen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen. Trotzdem war ihr stets bewusst, dass es ihr nicht auf Dauer genügen würde, als Putzkraft tätig zu sein.

Kirsten erwartete mehr von ihrem Leben, doch dafür waren eine gute Ausbildung und weitere Qualifikationen notwendig.

Allein die Vorstellung, sich ihrem Vater offen zu widersetzen, jagte ihr eine Heidenangst ein. Seit ihrer Kindheit war Kirsten eingebläut worden, dass sie sich seinen rigiden Dogmen und Lebensregeln frag- und klaglos zu unterwerfen hatte. Angus Ross war ein kalter, einschüchternder Mann mit einem Hang zur Gewalttätigkeit, vor der sie ihre verstorbene Mutter mehr als einmal zu beschützen versucht hatte.

Kirstens Augen verdunkelten sich. Immer noch war sie voller Trauer über den Verlust des einzigen Menschen, den sie wirklich geliebt hatte. Als Isobel Ross schwer erkrankte, war ihre Tochter gerade mal dreizehn. Sie erholte sich nie mehr, und ihr zunehmender Verfall erforderte eine immer intensivere Pflege und Betreuung, die allein auf Kirstens Schultern lastete. Ihr Vater nannte das Frauenarbeit und war nicht bereit, auch nur den kleinen Finger krumm zu machen, um seiner Tochter zu helfen. Und ihr älterer Bruder Daniel war viel zu sehr in die Arbeit auf der Farm eingespannt, um Kirsten eine Stütze sein zu können.

Einst Klassenbeste, versäumte Kirsten zunehmend immer mehr Schultage und damit wurden naturgemäß auch ihre Leistungen schlechter. Sobald es gesetzlich erlaubt war, nahm Angus seine Tochter aus der Schule, damit sie ihre Mutter und den Haushalt rund um die Uhr betreuen konnte.

Irgendwann wurden ihrem Bruder Daniel die unbeugsamen Hausregeln zu viel, die aus dem zunehmenden religiösen Fanatismus seines Vaters resultierten, und er ging ohne große Erklärungen einfach fort.

Kirsten selbst verließ die elterliche Farm in den folgenden fünf Jahren einzig und allein, um sonntags zur Kirche zu gehen und den wöchentlichen Einkauf zu erledigen. Ihr Vater hatte nichts für gesellschaftliche Vergnügungen übrig und wies jedem Besucher die Tür.

Exakt ein Jahr nach dem Tod seiner Frau heiratete er Mabel – eine griesgrämige, scharfzüngige Frau. Ihr verdankte Kirsten ihren jetzigen Job. Denn Mabel war es gewesen, die Angus klargemacht hatte, dass seine Tochter auf diese Weise die Haushaltskasse nicht unbeträchtlich aufstocken konnte.

„Na, dann kann ich nur hoffen, dass wenigstens der Besuch unseres umwerfend attraktiven Scheichs einen kleinen Lichtblick in dein armes Leben bringt“, platzte Jeanie fröhlich heraus und holte Kirsten damit aus ihren schweren Erinnerungen zurück.

„Diesen Lichtblick habe ich bereits hinter mir“, entgegnete sie trocken. „Als ich heute mit dem Rad hierherkam, stand ich vor einer Schafherde zufällig neben der Luxuslimousine des Prinzen und war selbstverständlich entsprechend beeindruckt.“

„Ach, seine Limousine!“ Jeanie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir müssen überlegen, wo du dich verstecken kannst, damit du den Mann selbst zu Gesicht bekommst! Ich habe ihn bereits ein paar Mal aus der Ferne gesehen, und ich schwöre dir, der macht aus jeder Heiligen eine Sünderin!“

Jeanie stöhnte theatralisch auf und zog noch ein letztes Mal an ihrer Zigarette, ehe sie sie ausdrückte. Dann rutschte sie vom Tresen herunter und verstaute den Aschenbecher wieder in seinem Versteck.

„Er ist eine wahre Versuchung!“

„Dann werde ich erst recht darauf achten, nicht seinen Weg zu kreuzen“, meinte Kirsten gelassen. „Denn ich will auf keinen Fall meine Arbeit verlieren.“ Gleich an ihrem ersten Tag hatte man sie davon unterrichtet, dass für alle Angestellten im Schloss die gleiche Regel galt – nämlich, so leise und unsichtbar wie möglich zu sein, sobald der Hausherr im Lande war. Und sollte der Zufall es wollen, dass man seinem phänomenal reichen, königlichen Arbeitgeber irgendwo begegnete, dann hatte man auf der Stelle in eine andere Richtung zu entschwinden.

„Wenn ich dein Gesicht und deinen Körper hätte, würde ich hundertprozentig eine Gelegenheit finden, Seiner Königlichen Hoheit irgendwo direkt vor die Füße zu fallen“, verkündete Jeanie lachend. „Ist er erst einmal auf dich aufmerksam geworden, verfällt er deiner Schönheit unter Garantie und wird dich als seine Geliebte irgendwo in einer eigenen Wohnung oder sogar einem eigenen Haus unterbringen!“, schwärmte sie weiter.

„Dann bist du eine gemachte Frau! Denk nur an die vielen schönen Kleider, die er dir schenken wird … und Juwelen! Also, wenn irgendjemand den Prinzen aufreißen kann, dann du!“

Kirsten starrte Jeanie zunehmend irritiert aus ihren schönen großen Augen an und errötete. „Ich … ich bin wirklich nicht der Typ …“

„Besser für dich, du wärst es“, unterbrach Jeanie sie ungeduldig. „Ich weiß mir wenigstens Spaß zu verschaffen und lache oft und gern. Aber wenn du nicht aufpasst, dann verwandelt dich dein Vater noch in eine alte, sauertöpfische Jungfer!“

Kirsten widmete sich nun den übrigen Teilen des Sevres-Porzellans. Doch in ihren Gedanken war sie meilenweit von hier entfernt. Jeanies offene, burschikose Art war ihr ganz und gar fremd. Sie selbst war in einem Haus aufgewachsen, in dem das Wort Sex einzig und allein in der Übersetzung ihres Vaters existierte, und die lautete: Sünde.

Der Inhalt der Zeitschriften und Magazine, die Kirsten seit Antritt ihrer Arbeit hier im Schloss in die Hände gefallen waren, hatte sie regelrecht schockiert, denn die einzige Lektüre, die es zu Hause gab, waren die Bibel und verschiedene religiöse Traktate gewesen. Und es war bereits etliche Jahre her, dass ihr Vater den Fernseher als Teufelswerkzeug erkannt und aus seinem Haus verbannt hatte.

Nicht ohne schlechtes Gewissen musste sich Kirsten allerdings eingestehen, dass sie sich sehr für die fantastische bunte Mode und die exotischen Schauplätze in den Illustrierten erwärmen konnte.

Wenn ihr Vater nur ein wenig weltoffener und verständnisvoller wäre. Wenn er sie doch auch mal mit anderen jungen Leuten ausgehen lassen würde. Irgendwie musste er ihre verstorbene Mutter schließlich kennengelernt haben, ehe sie heirateten.

Doch leider war Angus Ross ein unverbesserlicher Sturkopf und in seinen Forderungen ebenso unvernünftig und übertrieben wie in seinen Geboten. So hatte er es auch geschafft, sich mit den Gemeindeältesten zu überwerfen, und besuchte seither nicht einmal mehr die Gottesdienste. Und natürlich durften fortan auch Mabel und seine Tochter nicht mehr in die Kirche gehen.

Kirsten liebte Musik. Eines ihrer wenigen, harmlosen Vergnügen war ihr kleines Radio gewesen. Angus hatte es in einem Wutanfall zertrümmert, nachdem Mabel ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass seine Tochter ihrer Meinung nach viel zu viel kostbare Zeit mit dem Ding verschwende. Sogar Mabel erschrak damals über die heftige Reaktion ihres Gatten, doch für Kirsten war es nur ein schwacher Trost, dass selbst ihre Stiefmutter sich nicht besonders glücklich in dieser so hastig geschlossenen Ehe fühlte.

„Möchtest du sie haben?“ In der Mittagspause hielt ihr ein anderes Dienstmädchen eine Hochglanzillustrierte entgegen, in der sie zuvor geblättert hatte. „Ist schon okay. Ich bin damit durch“, versicherte sie, als Kirsten zögerte.

Heftig errötend ließ sie einen gemurmelten Dank hören und schämte sich ihrer fatalen Schwäche. Doch die Neugierde war größer als ihre moralischen Bedenken. Und als sie den Personalraum im Untergeschoss wieder verließ, hörte sie hinter sich leises Tuscheln.

„Ist es nicht eine Schande? Man sollte diesen Angus Ross dafür auspeitschen, was er seiner armen Tochter antut! Sie fürchtet sich ja vor ihrem eigenen Schatten!“

Oh nein! Das tue ich nicht! dachte Kirsten rebellisch und radelte sich allen Schmerz und Frust von der Seele, indem sie auf ihrem Heimweg so fest in die Pedale trat, wie sie nur konnte. Doch ebenso wenig, wie sie sich vor ihrem eigenen Schatten fürchtete, wollte sie unnötigen Streit mit ihrem Vater heraufbeschwören, ehe sie die Möglichkeit hatte, von ihm wegzugehen.

Der warme Fahrtwind des Frühsommertages, der ihre zarte Haut streichelte, besänftigte rasch wieder ihr aufgebrachtes Gemüt. Außerdem war es Freitag. Für Kirsten der schönste Tag in der Woche. Ihre Arbeit endete früher, und daheim würde sie das Haus eine Weile für sich haben, weil ihr Vater und Mabel am Freitagnachmittag immer den Großeinkauf für die nächste Woche erledigten. Anschließend besuchten sie noch Mabels alte Mutter und blieben zum Abendessen dort. Kirsten nahm sich vor, einen ausgedehnten Spaziergang mit dem Hund zu unternehmen und in Ruhe die Illustrierte durchzustöbern.

Bereits eine halbe Stunde später marschierte sie über die Felder ihres Vaters, die bis an den großen, dichten Wald heranreichten. Erschrocken stellte sie fest, dass sich frische, tiefe Fußspuren in dem weichen Erdboden abzeichneten, die sich beim nächsten Regen mit Wasser füllen würden. Es war erst ein paar Wochen her, dass ihr Vater einen Wutanfall bekommen hatte, weil er ein jugendliches Pärchen dabei überraschte, als es mit dem Motorrad über sein frisch eingesätes Feld fuhr. Die Vorstellung, wie sich ein erneuter Besuch der jugendlichen Vandalen und weitere Verwüstungen seines Landes auf ihren Vater auswirken würden, entlockte Kirsten einen tiefen Seufzer.

Spontan beschloss sie, ihn den Schaden lieber selbst entdecken zu lassen und schlug einen Bogen, der sie auf einen kleinen, wenig benutzten Pfad brachte. Sie folgte ihm durch den Wald bis auf die Kuppe des Hügels. Dort zog sie die Schuhe aus, öffnete die oberen Knöpfe ihrer Bluse und löste ihr Haar, entschlossen, noch ein Weilchen die nachmittägliche Sonne zu genießen.

Squeak, ihr kleiner, kurzbeiniger Mischlingshund, ließ sich mitten auf den Graspfad plumpsen und hechelte vor Erschöpfung. Er stellte nicht einmal seine kleinen spitzen Ohren auf, als aus der Ferne über das Tal hinweg Motorengeräusch erklang, was Kirsten zu der Annahme brachte, dass er noch tauber war, als sie es bisher gedacht hatte.

Kirsten streckte sich auf dem weichen Gras aus, stützte sich bequem auf einen Ellbogen und schlug die Zeitschrift auf. Es dauerte nicht lange, dann war sie völlig in der Welt der Mode und der Reichen und Schönen versunken. Gerade betrachtete sie träumerisch eine elegante Abendrobe, da hörte sie ein donnerndes Geräusch. Bereits in der nächsten Sekunde fuhr sie aus ihrer ruhenden Position hoch, als ein schwarzes Motorrad über die Hügelkuppe schoss und direkt auf Squeak zuhielt.

Geistesgegenwärtig hechtete Kirsten auf ihn zu, schnappte sich das arme, alte Hündchen und rollte sich zur Seite. Weniger als zwei Meter von ihr entfernt, brachte der Raser seine schwere Maschine mit einem halsbrecherischen Manöver zum Stehen, wobei Schmutz und kleine Erdklumpen nach allen Seiten spritzten.

Der Schock über den Fastunfall ließ Kirsten am ganzen Körper zittern und versetzte sie in eine ungewohnte heiße Wut. „Sie dürfen hier nicht fahren!“, schrie sie die Gestalt in schwarzem Leder an, während sie sich bemühte, auf die Füße zu kommen.

Auch Shahir bebte vor Ärger. Und zwar über das dumme, leichtsinnige Geschöpf, das sich ihm hier, mitten auf dem Weg, geradezu als Ziel präsentierte. Sie hätte getötet werden können! Und dann schrie sie ihn auch noch an! Was für eine Unverschämtheit.

Zu ihrem eigenen Glück gab sie dabei ein Bild ab, das diesen unglaublichen Eklat abmilderte. Ihr offenes silberblondes Haar floss wie ein schimmernder Wasserfall über die Schultern bis fast zur Taille hinab. Die funkelnden Augen waren nicht keltisch blau, wie er zunächst vermutet hatte, sondern strahlten im tiefen, geheimnisvollen Grün der Farne und Moose, wie man sie hier überall fand. Sie war sehr schlank und überraschend groß. Selbst barfüßig reichte sie Shahir, der seine stattliche Körpergröße Berbervorfahren verdankte, bis übers Kinn.

„Und Sie sind nicht nur ein Eindringling …“, setzte Kirsten erneut an, kam damit aber nicht weit.

„Ich bin kein Eindringling!“, meldete sich eine dunkle Stimme unter dem Visier des schwarzen Motorradhelmes hervor, der sein Gesicht immer noch vor ihr verbarg.

„Dies hier ist Privatbesitz, also sind Sie ein Eindringling“, wiederholte sie ungerührt. Was Kirsten betraf, machte sich der Fremde durch die Weigerung, sich für sein Fehlverhalten zu entschuldigen, nicht gerade beliebter. „Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie schnell Sie gefahren sind?“

„Das weiß ich sogar ganz exakt“, kam es arrogant zurück.

Er mochte auf den ersten Blick wie einer der üblichen Motorradrüpel wirken, aber seine Sprache verriet Kirsten, dass dem nicht so war. Sein Akzent entsprach dem der englischen Oberschicht, und obwohl die tiefe Stimme durch den Helm gedämpft klang, sprach er so deutlich akzentuiert, dass man jedes Wort verstehen konnte.

Kirsten mahnte sich, nicht zu viel in diesen Umstand hineinzuinterpretieren. Auch ein feiner Pinkel aus der Stadt konnte sich benehmen wie der letzte Rüpel. Das hatte sie ja gerade am eigenen Leib zu spüren bekommen. Energisch schob sie ihr kleines, festes Kinn vor.

„Nun, Sie haben mich und meinen armen Hund jedenfalls fast zu Tode erschreckt“, sagte sie streng und setzte Squeak wieder auf dem Boden ab, weil er ihr langsam zu schwer wurde. Weit davon entfernt, sich wie ein traumatisiertes Tier zu benehmen, wieselte der undankbare Hund gleich zu dem Fremden hinüber, warf sich zu seinen Füßen und wedelte wie verrückt mit dem Stummelschwanz. Dann schloss er die Augen und schlief auf der Stelle ein.

„Wenigstens schreit er nicht so laut wie Sie“, stellte Shahir trocken fest.

„Ich habe nicht geschrien!“ So viel Uneinsichtigkeit gegenüber den eigenen Fehlern strapazierte selbst Kirstens ansonsten hohe Toleranzschwelle. „Ich hätte dabei umkommen können … und Sie auch!“

Shahir schob sein Visier hoch, und Kirsten hielt unwillkürlich den Atem an. Ihr erster Gedanke war, dass er den Blick eines Greifvogels hatte – starr, ohne zu blinzeln. Wie die Habichte, Falken und Adler aus der Falknerei von Strathcraig Castle. Die Farbe seiner Augen war ein seltener Goldbronzeton, und umgeben waren sie von langen, dichten Wimpern.

Kirstens Herz vollführte einen seltsamen Sprung in der Brust und schlug plötzlich im Hals. Alle Sinne schienen bis aufs Äußerste geschärft zu sein, während die Zeit fast stillstand.

„Nun übertreiben Sie mal nicht“, brummte Shahir.

„Sie … Sie sind in einer unverantwortlichen Geschwindigkeit den Hügel hinaufgerast …“, brachte sie atemlos hervor.

Shahir beobachtete, wie das Sonnenlicht ihr Haar in flüssiges Silber zu verwandeln schien und konnte sich kaum noch davon zurückhalten, es zu berühren. Unerwartet fühlte er sich von einem heftigen Verlangen ergriffen, was ihn derart irritierte, dass ihm zum ersten Mal im Leben die Worte fehlten.

„Bin ich das …?“ Langsam nahm er den Helm vom Kopf und strich sich das wirre Haar aus der Stirn. Kirstens Mund wurde trocken. Dieser Fremde war so unerwartet attraktiv, dass sie ihn einfach nur anstarren konnte. Er hatte ein Gesicht, das man nicht so schnell vergaß.

Stark und herb, mit hohen Wangenknochen, einer leicht gebogenen Nase, dunklen kräftigen Brauen über den hellen Habichtaugen und einem festen Mund, der gleichzeitig großzügig und sensibel wirkte. Seine bronzene Hautfarbe und das nachtschwarze Haar ließen trotz seiner perfekten englischen Aussprache auf andere Vorfahren schließen.

Alles an diesem Mann faszinierte Kirsten aufs Heftigste. Ihr war so schwindelig, wie sie es aus der Kinderzeit kannte, wenn man sich zu schnell und zu lange im Kreis gedreht hatte. Und in ihrem Unterleib breitete sich ein seltsames, ziehendes Gefühl aus, wie sie es noch nie verspürt hatte.

„Sind Sie was …?“, fragte sie, ebenso benommen und abgelenkt wie er, zurück.

Um Shahirs Mund zuckte es verdächtig, und Kirsten starrte selbstvergessen auf die fein geschwungenen, jetzt leicht gekräuselten Lippen.

„Ich fahre eben sehr gerne schnell mit dem Motorrad, aber ich bin ein äußerst sicherer Fahrer.“

Kirsten unternahm einen verzweifelten Versuch, sich zusammenzureißen. „Aber bei dieser Steigung konnten Sie doch überhaupt nicht sehen, wohin Sie fahren“, beharrte sie stur.

Shahir war es auch nicht gewohnt, dass man ihm widersprach oder auf etwaige Fehler hinwies. „Muss ich denn damit rechnen, mitten auf dem Weg auf eine Frau und einen Hund zu treffen?“

„Vielleicht nicht, aber da Sie sich auf einem Privatbesitz befinden …“

„Das weiß ich, und ebenso, dass hier oben kein Vieh weidet, was mir im Weg stehen könnte“, sagte er kühl. „Es ist nämlich mein Besitz.“

Kirsten lachte. Sie lachte ihn tatsächlich aus!

„Nein, das ist es nicht. Ich wohne nämlich dort unten, am Fuße des Hügels. Also können Sie mich nicht an der Nase herumführen.“

„Kann ich nicht?“ An dem mutwilligen Funkeln in ihren Augen konnte Shahir sehen, dass sie wirklich annahm, er würde sie veralbern. Offenbar hatte sie tatsächlich nicht die leiseste Ahnung, wer er war.

Doch das amüsierte Kichern, das ihr gegen ihren Willen entschlüpft war, hatte auch Kirsten selbst verwirrt. Rasch schlug sie die Augen nieder und biss sich auf die Unterlippe. Wie kam sie dazu, mit diesem zugegebenermaßen schrecklich anziehenden Motorradrüpel zu scherzen? Hatte sie denn schon vergessen, was er auf dem Land ihres Vaters angerichtet hatte?

„Dies ist nicht Ihr erster Besuch hier, oder?“, fragte sie herausfordernd. „Sie und Ihr Motorrad haben auf dem frisch eingesäten Feld meines Vaters ziemlichen Schaden verursacht.“

Völlig irritiert von dem unerwarteten Angriff, hob Shahir die dunklen Brauen und schüttelte den Kopf. „Jetzt reden Sie Unsinn. Ich respektiere grundsätzlich die landwirtschaftlichen Nutzflächen. Ich bin doch kein jugendlicher Motorradrowdy!“

Kirsten errötete, ließ sich aber nicht so schnell ins Bockshorn jagen. „Ehrlich gesagt, halte ich das für einen ziemlich unwahrscheinlichen Zufall, dass Sie hier in der Gegend herumrasen und nicht für die Flurschäden verantwortlich sein sollten. Fest steht, dass irgendjemand unser Feld in den letzten Tagen förmlich umgepflügt hat, wobei ein nicht unbeträchtlicher Schaden entstanden ist“, übertrieb Kirsten ein bisschen, um ihre Unsicherheit vor dem arroganten Fremden zu verbergen.

„Das war nicht ich. Und Sie sollten derartige Beschuldigungen besser nicht aussprechen, wenn Sie keine Beweise dafür in der Hand haben“, riet Shahir mit einer ruhigen Bestimmtheit und Selbstsicherheit, die in direktem Gegensatz zu seiner lässigen schwarzen Lederkluft standen. „Ich könnte mich beleidigt fühlen.“

Die unterschwellige Härte und Autorität in seiner Stimme ließen Kirsten frösteln. Sein Blick begegnete ihrem offen und kompromisslos. Ihre Augen leuchteten wie dunkle Jade in ihrem erblassten Gesicht.

„Und ich finde es beleidigend, dass Sie es bis jetzt nicht als notwendig erachtet haben, sich bei mir zu entschuldigen!“

Shahirs ausgeprägte Wangenknochen wiesen einen kaum merklichen Schimmer von Röte auf, als er nach kurzem Zögern eine winzige Verbeugung andeutete. Bisher hatte er sich eigentlich immer für einen von Natur aus höflichen Menschen gehalten.

„Selbstverständlich entschuldige ich mich für den Schrecken, den ich Ihnen eingejagt habe“, murmelte er.

„Nun, wenn Sie es wirklich nicht waren, der das Feld meines Vaters verwüstet hat, dann entschuldige ich mich auch dafür, dass ich Sie beschuldigt habe“, meinte Kirsten versöhnlich, aber mit einem hörbaren Zweifel in der Stimme.

Erneut verbeugte sich Shahir geschmeidig, hob dabei die Illustrierte auf, die Kirsten auf dem Boden hatte liegen lassen, und reichte sie ihr. „Sie haben hier gelesen?“

„Ich … ja, danke.“ Unter seiner abschätzenden Musterung errötete Kirsten bis zu den Haarwurzeln. Starrte er sie nur so an, weil sie ihn gerade ebenso eindringlich angeschaut hatte, oder gab es noch einen anderen Grund?

Shahir konnte einfach nicht den Blick von ihrem gesenkten Kopf abwenden. Dieser süße, pinkfarbene Mund reizte ihn einfach zum Küssen.

Auch Kirsten spürte die Spannung, die sich plötzlich zwischen ihnen ausgebreitet hatte, war aber schrecklich verunsichert, weil sie das unbekannte Gefühl nicht einordnen konnte. Ein Teil von ihr wollte weglaufen, der andere wollte den aufregenden Moment ausdehnen, solange es nur ging. Verzweifelt suchte Kirsten nach irgendetwas, was sie sagen konnte.

„Ist Ihr Motorrad wenigstens heil geblieben?“

„Ich denke schon.“

Shahir hatte sich inzwischen wieder gefangen. Er ärgerte sich darüber, dass er sich durch diese ländliche Schönheit derart aus der Fassung hatte bringen lassen. Dabei war er an schöne Frauen gewöhnt. Frauen, die intelligent und welterfahren waren, mit einem exquisiten Geschmack und sicherem Auftreten.

Aber vielleicht war es gerade die frische, natürliche Schönheit und sittsame Bescheidenheit, die ihn an diesem zauberhaften Geschöpf anzog.

„Haben Sie es weit von hier aus …?“, fragte Kirsten vage.

„Nur bis zum Castle.“ Shahir beugte sich über seine schwere Maschine und stellte sie ohne sichtbare Anstrengung wieder auf die Räder. Er hätte ihr seinen Namen sagen können, sah aber keinen Sinn darin. Warum sollte er sie unnötig in Verlegenheit bringen, wenn sie sich höchstwahrscheinlich doch nie wiedersehen würden? Irgendjemand würde sie schon über ihren Fehler aufklären.

Ob er als Gast auf Strathcraig Castle wohnte? überlegte Kirsten im Stillen. Bestimmt! Warum war sie nicht gleich darauf gekommen? Das war die einleuchtendste Erklärung für sein unvermutetes Auftauchen hier auf dem Hügel und für seine offensichtliche Weltgewandtheit.

Lieber Himmel! Und sie hatte ihn zurechtgewiesen und beleidigt! Ob er vorhatte, sich im Schloss über sie zu beschweren? Wenn man sie entließ, würde sie hier in der Gegend unter Garantie keine Anstellung mehr bekommen, und der nächste Tobsuchtsanfall ihres Vaters wäre vorprogrammiert.

Shahir setzte seinen Helm auf, warf das Motorrad an und fuhr davon, ohne mehr als einen flüchtigen Blick über die Schulter zurückzuwerfen. Noch lange fühlte er sich von einem Paar jadegrüner Augen verfolgt, in denen Angst und Zweifel standen. Unwillkürlich fragte er sich, wie wohl ihr Leben verlief unter der Ägide dieses fanatischen Vaters, von dem sein Verwalter ihm erzählt hatte.

Und in der nächsten Sekunde, ohne dass er es beabsichtigt hatte, schoss es ihm durch den Kopf, wie Kirsten Ross wohl als Geliebte sein würde. Seine Geliebte …

Verblüfft über seine Gedanken, die sich zunehmend selbstständig machten, rief er sich gleich wieder zur Ordnung und entschied, dass so etwas überhaupt nicht sein Stil war.

Shahir war ein außerordentlich großzügiger Liebhaber und widmete sich der Frau an seiner Seite mit aller Aufmerksamkeit und Fürsorge – solange es eben dauerte. Doch weder begannen noch endeten seine Affären damit, dass sie sein Herz oder gar seine Seele berührten. Sex war für Shahir ein natürliches Vergnügen, das zum Leben gehörte wie Essen und Trinken. Trotzdem ließ er sich niemals von seiner Libido steuern oder kontrollieren – und schon gar nicht von der Frau, die er vorübergehend in sein Bett einlud.

In Kürze würden Geliebte allerdings ganz aus seinem Leben verschwinden müssen. Kirsten Ross erwartete im Zweifelsfall also nur eine vorübergehende Gastrolle, und durch ihren niederen Stand würde sie in einer Art und Weise von ihm abhängig sein, wie er es noch keinem weiblichen Wesen zuvor erlaubt hatte. Für einen Mann, der seine Freiheit bisher über alles geschätzt hatte, ein beängstigender Gedanke.

Was, zur Hölle, ist denn nur mit mir los? fragte sich Shahir gereizt. In einer Minute denke ich daran, mich zu verheiraten, in der nächsten, mir eine Geliebte zu nehmen!

Mit bloßen Händen grub Kirsten ein Loch in den weichen Waldboden unter den Bäumen und verscharrte die verflixte Illustrierte darin. Dann rannte sie den größten Teil des Weges bis zur Farm, während Squeak japsend und hechelnd versuchte, ihr auf den Fersen zu bleiben. Kirsten schloss die Hintertür auf, schlüpfte ins Haus und keuchte beim Anblick des gedrungenen Mannes, der bewegungslos im hinteren Teil der Küche saß, erschrocken auf.

„Ich … ich habe dich so früh noch gar nicht zurückerwartet“, sagte sie atemlos und schauderte angesichts der gespannten Atmosphäre, die über dem dunklen Raum lag. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“

„Mabels Mutter ist krank geworden. Deshalb bleibt sie die Nacht über bei ihr. Wo warst du?“ Das scharfkantige Gesicht ihres Vaters war dunkelrot und verzerrt vor Wut. Seine kalte Stimme voller Misstrauen.

„Ich … ich habe nur einen Spaziergang mit Squeak gemacht. Tut mir leid …“

„Wäre ich hier gewesen, hättest du deine Zeit nicht so nutzlos vertrödeln dürfen!“, grollte Angus. „Führst du irgendetwas im Schilde?“

Kirsten erstarrte. „Nein, bestimmt nicht.“

„Das will ich dir auch geraten haben!“ Wie eine Stahlklammer schloss sich seine harte Hand um ihren Unterarm. „Jetzt geh und beeil dich mit dem Abendessen. Und dann werden wir im Buch des Herrn lesen und um Vergebung für deinen Müßiggang bitten.“

Nachdem Angus Ross die Küche verlassen hatte, massierte Kirsten mit zitternden Fingern ihren schmerzenden Arm. Nicht einmal in größter Wut hatte ihr Vater bisher die Hand gegen sie erhoben.

Also muss ich auch keine Angst vor ihm haben, versuchte sie sich einzureden.

Sicher, er neigte zur Gewalttätigkeit und konnte einen schon das Fürchten lehren, wenn er seinem Jähzorn freien Lauf ließ. Doch zumindest physisch hatte er seine Tochter bisher nicht misshandelt.

Warum habe ich dann nur das Gefühl einer drohenden Vorahnung? fragte sich Kirsten beklommen.

2. KAPITEL

Vier Tage später sprang Shahir um drei Uhr morgens aus dem Bett und ging in das luxuriös ausgestattete Bad hinüber, das sich an sein Schlafzimmer anschloss, und stellte sich erneut unter die kalte Dusche.

Ein schlichteres Gemüt als er hätte vielleicht daran geglaubt, von einem Zauberwesen verhext worden zu sein, dem kein gesunder Mann auf Dauer widerstehen konnte. Aber Shahir hatte nicht viel für Märchen übrig, egal, wie reizvoll sie auch sein mochten.

Als das eiskalte Wasser über seinen erhitzten Körper strömte, stieß er einen frustrierten Laut aus. Nie zuvor hatte eine Frau es geschafft, ihm den Schlaf zu rauben. Doch irgendetwas an dieser Kirsten Ross beflügelte seine erotischen Fantasien, und der Wunsch, sie zu seiner Geliebten zu machen, geriet langsam zu einer Art Besessenheit.

Shahir lehnte den dunklen Kopf gegen die kühle Fliesenwand in seinem Rücken. Verzweifelt bemühte er sich, seine Gedanken auf Faria zu konzentrieren – seine große Liebe.

Dabei passte es gar nicht zu ihm, sich mit Dingen aufzuhalten, die nicht sein durften, denn Shahir wusste, wie unsinnig es war, sich gegen das Unvermeidliche, oder besser gesagt, gegen das Schicksal aufzulehnen.

Faria mit ihren lachenden dunklen Augen und dem mitfühlenden Herzen, konnte niemals seine Frau werden. Obwohl nicht blutsverwandt, war Farias Mutter eine Art Ziehmutter für ihn gewesen, solange er klein war. Und Shahirs Religion verbot auch die Heirat zwischen Pflegegeschwistern.

Shahir wusste nicht, was echte Liebe war, bis er eines Tages zufällig in einen Garten schaute, in dem eine Hochzeit gefeiert wurde. Dabei fiel ihm eine wunderschöne junge Frau auf, die die Kinder mit kleinen Zaubereien und magischen Tricks unterhielt. Während er im Ausland studiert hatte, war Faria erwachsen und eine Lehrerin geworden. Shahir erkannte sie nicht. Das letzte Mal, als er sie sah, war sie ein kleines Mädchen gewesen.

Faria hatte ihr ganzes Leben in dem Bewusstsein verbracht, dass Shahir ihr Pflegebruder war, doch Shahir selbst hatte sich nie den leisesten Gedanken über ihren Status zueinander gemacht. Da er königlichen Geblüts war, gab es mehr als genug Menschen, die behaupteten, auf die eine oder andere Art mit ihm verwandt zu sein. Farias Eltern, die keinerlei gesellschaftliche Ambitionen hatten, standen dem Königshaus zwar sehr nahe, solange sie als seine Pflegeeltern fungierten, doch später kehrten sie bereitwillig zu ihrem eigenen ruhigen Leben zurück.

Als Shahir allerdings auf die erwachsene Faria traf, wusste er sofort, dass sie diejenige war, die er heiraten wollte. Und so verlor er spontan sein Herz an eine Frau, von der er nicht einmal wusste, dass sie ihn wie einen Bruder ansah.

Ob ich irgendwie pervers veranlagt bin? fragte sich Shahir, während er sein Gesicht dem kalten Wasserstrahl entgegenhielt. Obwohl er seine Begierde für Kirsten Ross natürlich nie im gleichen Atemzug formulieren würde wie die anbetende Liebe, die er Faria entgegenbrachte. Trotzdem war ein gewisser Zusammenhang nicht zu leugnen. Erneut begehrte er eine Frau, die nicht für ihn bestimmt war, und allein diese kleine Parallele störte ihn immens.

Andererseits sah er auch die Herausforderung in dieser brisanten Situation, denn Kirsten Ross war, anders als Faria, durchaus in seiner Reichweite.

Vielleicht bin ich auch viel zu streng mit mir, überlegte Shahir. Dieses geradezu fanatische Verlangen, mich nicht von meiner Libido beherrschen zu lassen! Möglicherweise ist es gerade der erzwungene Entzug jeglicher sexueller Aktivitäten, der mir so zu schaffen macht? In diesem Fall wäre die beste Kur für meine nächtlichen Fantasien eine hingebungsvolle, leidenschaftliche Frau …

Und Shahir wusste auch genau, wer als passende Kandidatin infrage kam und wo er sie finden würde.

Lady Pamela Anstruther, eine ausgesprochen attraktive Dame, die gleichzeitig seine nächste Nachbarin war. Pamela war klug und amüsant, eine lebenslustige Witwe mit einem extravaganten Geschmack, die ständig darum kämpfte, mit ihrem kleinen Einkommen auszukommen. Shahir respektierte ihr offenes Wesen und ihren Überlebenswillen. Außerdem hatte Pamela auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie ihn wollte …

Später an diesem Morgen musterte Jeanie ihre Arbeitskollegin mit einem kritischen Blick. „Du siehst aus, als würdest du irgendeine Krankheit ausbrüten. Hast du etwa schlecht geschlafen? Das würde wenigstens die dunklen Schatten unter deinen Augen erklären.“

„Mir geht’s gut …“, murmelte Kirsten mit wenig Überzeugungskraft. Einige schlaflose Nächte hintereinander hatten natürlich sichtbare Spuren auf ihrem Gesicht hinterlassen. Sie schämte sich ihrer Schwäche, diesen attraktiven Motorradfahrer einfach nicht vergessen zu können. Immer wieder spielte sie ihre Begegnung in Gedanken durch. Wenn sie dann völlig erschöpft einschlief, träumte sie noch von ihm.

Und den verstörenden Inhalt dieser Träume konnte sie natürlich mit keiner lebenden Seele teilen …

„Ist bei dir zu Hause etwas nicht in Ordnung?“, bohrte Jeanie weiter.

„Nein.“ Kirsten nagte verlegen auf ihrer Unterlippe, bis sie ihre Neugier und Nervosität nicht länger bezwingen konnte. „Aber da war so ein Typ auf dem Motorrad. Er ist mir am letzten Freitagnachmittag fast über die Füße gefahren. Ich … ich glaube, er kam hier aus dem Castle …“

Jeanies Konzentration war fest auf ein paar frische Scones gerichtet, die sie großzügig mit Butter und Marmelade bestrich. „Kann schon sein. Ist ein ständiges Kommen und Gehen hier. Und immer wieder neue Gesichter. Ich wette, das war dieser schrullige Typ mit dem grauen Zopf. Du weißt schon, der an diesem historischen Buch über das Schloss arbeitet.“

„Das hört sich nicht nach dem Mann an, den ich gesehen habe.“ Auch Kirsten starrte fasziniert auf die Scones, die Jeanie jetzt in winzige Stückchen schnitt, um den Genuss des warmen Gebäcks noch auszudehnen. „Er war ziemlich jung und sah aus, als käme er aus einem anderen Land.“

„Oh … der!“ Jeanies runde Augen leuchteten auf. „Das muss der polnische Handwerker sein, der die Pferdestallungen mit umbaut. Groß, dunkel, gebräunt und richtig fesch?“ Kirsten nickte viermal zustimmend – wie eine Marionette. „Ich habe ihn am Samstagabend auf seinem Motorrad durchs Dorf fahren sehen.“ Jeanie warf Kirsten einen neckenden Blick zu und grinste breit. „Dann bist du ja doch nicht so blind, wie ich befürchtet habe!“

Kirsten errötete heftig, konnte die Frage, die ihr auf der Zunge lag, aber nicht mehr zurückhalten. „Weißt du, ob er verheiratet ist?“

„Kirsten Ross! Du schamloses kleines Luder!“, rief Jeanie anerkennend aus. „Nein, er ist nicht verheiratet. Das habe ich bereits an seinem ersten Tag hier ausgekundschaftet. Kein Wunder, dass du heute Morgen so abgelenkt bist. Zweimal habe ich dich angesprochen, bis du mich überhaupt gehört hast. Hast du mit ihm geredet? Er spricht recht gut Englisch, nicht wahr? Hast du dich auf den ersten Blick in ihn verliebt?“

Kirsten krümmte sich förmlich vor Verlegenheit. „Jeanie! Ich war auf einem Spaziergang und habe nur eine Minute mit ihm gesprochen. Ich frage aus reiner Neugier.“

„Aber natürlich, meine Liebe …“ Jeanie grinste immer noch übers ganze Gesicht. „So, wie du aussiehst, hast du bestimmt kein Problem, den Typen zu bezirzen. Ich befürchte, dein Vater stellt die größere Hürde dar.“

„Und deshalb ist es nur gut, dass ich nicht die Absicht habe, wen auch immer zu bezirzen“, wisperte Kirsten voller Panik. „Tratsch das bitte nicht herum, Jeanie. Wenn meinem Dad ein derartiger Klatsch zu Ohren kommt, dreht er durch. Für solche Dinge bringt er nicht das geringste Verständnis auf.“

„Kirsten …“ Jeanie langte über den Tisch und umfasste freundschaftlich die Finger ihrer Kollegin. „Ich bin sicher, niemand im Schloss würde deinem Vater gegenüber auch nur ein Wort fallen lassen, das dich betrifft. Dafür kennen ihn alle zu gut.“ Beschämt senkte Kirsten den Kopf.

Als sie die Haushälterin von der Diele aus ihren Namen rufen hörte, war Kirsten nur zu froh, aus der Küche entfliehen zu können. Vielleicht hatte die ältere Frau wieder einmal Überstunden für sie eingeplant, die Kirsten immer bereitwillig übernahm, weil sie auf diese Weise schneller das Geld fürs College zusammenbekam.

So war es tatsächlich, und nachdem Kirsten ihre Stiefmutter angerufen und ihr mitgeteilt hatte, dass es heute später würde, machte sie sich gut gelaunt auf den Weg in einen Teil des Castles, den sie noch nie zuvor betreten hatte. Was für eine nette Abwechslung und Ablenkung von meinen verrückten Gedanken, dachte sie.

Jener Flügel diente ebenso als Informations- und Konferenzplattform, wie als eine Art Kommandozentrale für den nicht abreißenden Strom von Handwerkern und Geschäftsleuten, die auf dem abgelegenen Besitz zu tun hatten.

Während Kirsten mit ihrem elektrischen Bohnerbesen den langen Gang auf Hochglanz polierte, summte sie eine leise Melodie vor sich hin. Dann stammte ihr attraktiver neuer Bekannter also tatsächlich nicht von hier. Ein Handwerker aus Polen! Von wem hatte er wohl das perfekte Englisch der Upper Class gelernt? Plötzlich sehnte sie sich danach, alles über die Heimat des feschen Polen zu wissen, was eben wissenswert war, und schämte sich schrecklich ihrer mangelnden Bildung.

Andererseits …

Warum, um alles in der Welt, verschwendete sie auch nur einen Gedanken an einen Mann, den sie wahrscheinlich nie wiedersehen würde? Er arbeitete draußen, sie drinnen. Das Schloss war sehr groß, der Mitarbeiterstab ebenso. Die Wahrscheinlichkeit, sich irgendwann über den Weg zu laufen, gleich null.

Und warum sollte er überhaupt den Wunsch danach haben? Sie hatte ihn angeschrien und beleidigt. Wenn sie natürlich das wäre, was Jeanie ihr unterstellt hatte, würde sie bestimmt eine Gelegenheit finden, dem Zufall etwas nachzuhelfen …

Glücklicherweise war sie das aber nicht!

Trotzdem machte ihr nun der Gedanke, den umwerfend attraktiven Motorradfahrer nie wiederzusehen, das Herz schrecklich schwer.

Plötzlich wurde ohne Vorwarnung ihr Bohnergerät abgeschaltet. Kirsten schaute erstaunt hoch.

„Hören Sie, Miss. Hier findet gerade ein wichtiges Meeting statt, und Ihre Maschine ist verdammt laut. Können Sie nicht solange irgendwo anders putzen?“, fragte ein junger Mann im Businessanzug verärgert.

„Ja, natürlich“, murmelte sie undeutlich.

Hinter ihm erschien noch jemand. „Lassen Sie mich nie wieder hören, dass Sie in diesem Ton mit einer meiner Angestellten sprechen“, sagte er leise, aber mit schneidender Schärfe.

„Nein, natürlich nicht, Euer Hoheit …“, stammelte der Zurechtgewiesene mit dunkelrotem Kopf.

Kirstens Herz setzte einen Schlag aus, als der zweite Mann ganz in ihr Blickfeld trat. Er war größer, dunkler und breitschultriger als der von ihm Zurechtgewiesene. Und er war ihr schon einmal auf einem Motorrad begegnet …

Aber war das wirklich der gleiche Mann? Sie konnte es kaum glauben. In dem dunklen Anzug wirkte er so … autoritär, würdig und weltgewandt. Erst verspätet hallte ihr der Titel im Kopf nach, den der junge Unglücksrabe ihm gegenüber gebraucht hatte. Das konnte doch nicht wahr sein, oder?

Der unverschämte Rüpel, dem sie auf dem Hügel begegnet war, sollte der Prinz sein? Prinz Shahir, der reiche Nabob, dem dieses riesige Anwesen samt der Zigtausend Hektar Land gehörte? Das war doch unmöglich!

Das ist mein Besitz. Hatte er das nicht selbst gesagt? Und sie hatte es für einen Scherz gehalten!

Aber wie hätte sie auch annehmen können, dass sich hinter einem lässigen, jungen Mann in schwarzer Motorradkluft ein Prinz verbarg?

Kirsten hielt den Kopf gesenkt, während sie das Elektrokabel aufwickelte. Ihre Hände waren feucht und zitterten vor Nervosität. Sie bückte sich, und in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Verzweifelt suchte sie Halt an dem starren Stiel der Bohnermaschine, doch der rutschte ihr aus der Hand und knallte auf den Boden zurück. Das scheppernde Geräusch entlockte ihr ein dumpfes Aufstöhnen. Sie war doch angewiesen worden, möglichst leise und unsichtbar in der Nähe ihres Arbeitgebers zu sein. Ob sie die Bohnermaschine einfach stehen lassen und weglaufen sollte?

„Lassen Sie mich Ihnen helfen …“

„Nein!“, rief Kirsten in höchster Panik aus. Als sie hochschnellte, stand Shahir so dicht vor ihr, dass sie entsetzt zurücksprang und den Bohnerbesen an sich riss, ehe seine ausgestreckte Hand ihn erreichen konnte. „Entschuldigung …“

So schnell sie nur konnte, hastete Kirsten in Richtung der nächsten Feuertür davon, wobei sie das unhandliche Gerät fast gewaltsam hinter sich herschleppte. Shahir war so verblüfft und verärgert, dass er sekundenlang zögerte, bevor er sich an die Verfolgung machte.

„Kirsten …!“, rief er hinter ihr her, ehe sie ihm durch die Schutztür entwischen konnte. Irritiert durch den ungewohnten Klang ihres Namens wirbelte sie herum und starrte ihn aus weit geöffneten Augen an. Ihr Atem kam stoßweise, das schmale Gesicht war brandrot vor Anstrengung.

„Sie dürfen mich nicht ansprechen!“

„Machen Sie sich nicht lächerlich!“

„Ich mache mich nicht lächerlich!“, hielt sie ihm empört entgegen. „Was wollen Sie überhaupt von mir? Eine Entschuldigung? Gut, die sollen Sie bekommen. Tut mir leid, dass ich Sie als Motorradrüpel bezeichnet habe. Tut mir leid, dass ich Ihr wichtiges Meeting gestört habe. Reicht das … Ihre … Euer Hoheit?“ Während sie sprach, war Kirsten immer weiter zurückgewichen, bis sie mit dem Rücken gegen die Feuertür prallte. Abrupt drehte sie sich um, stieß sie auf und schlüpfte hindurch.

Shahir folgte ihr auf den Fersen, und ehe sie noch die nächste Tür erreichte, hatte er sich ihr auch schon in den Weg gestellt. „Oh nein, keinen Schritt weiter …“, warnte er sie mit trügerisch sanfter Stimme, doch seine goldenen Augen schossen Blitze. „Wenn ich mit Ihnen rede, müssen Sie stehen bleiben.“

„Aber … aber das ist gegen die Regeln“, flüsterte Kirsten unglücklich.

Shahir lachte leise. „Was für Regeln?“

„Die Hausregeln. Leute wie ich, die zum Personal gehören, müssen auf der Stelle verschwinden, wenn Sie auftauchen.“

„Nicht, wenn ich versuche, mit Ihnen zu sprechen“, korrigierte er trocken.

„Aber Sie bringen mich in Schwierigkeiten! Niemand weiß, dass wir uns schon einmal getroffen haben, und ich möchte auf keinen Fall im Gespräch mit Ihnen gesehen werden.“

„Das ist kein Problem.“ Shahir stieß die nächstliegende Tür auf und zog Kirsten mit sich. Stumm sah sie sich in dem weitläufigen Konferenzraum mit dem riesigen polierten Holztisch um.

„Und worüber wollen Sie mit mir reden?“

Shahir glaubte, nie eine dümmere Frage gehört zu haben. Jeder Mann zwischen fünfzehn und fünfzig würde mit ihr reden wollen – und alle über das gleiche Thema. Sie hielt den Kopf gesenkt und das Gesicht war halb abgewandt. Ihr spektakuläres Haar hatte sie in einem schlichten Zopf gebändigt. Doch auch das konnte seinen seidigen Schein nicht trüben. Dazu ihr bezauberndes Profil, der klare, frische Teint, die biegsame, schlanke und dennoch ausgesprochen weibliche Figur …

„Warum haben Sie niemandem davon erzählt, dass wir uns schon einmal getroffen haben?“

Kirsten starrte auf seine glänzenden schwarzen Lederschuhe. „Ich hätte gar nicht auf dem Hügel sein dürfen.“

„Warum nicht?“

Was sollte sie darauf sagen? Dass ihr Vater sie auf Schritt und Tritt überwachte? Und dass sie ihn trotz seiner Härte und Grausamkeit nicht belügen wollte?

Ihre scheinbare Verstocktheit reizte Shahir. „Ich habe Sie etwas gefragt“, erinnerte er sie kühl.

Kirsten presste die Lippen zusammen, und als sie den Kopf hob, funkelten in ihren Augen unterdrückte Tränen. „Ich hätte deshalb nicht dort sein dürfen, weil mein Vater mir nicht erlaubt, das Haus ohne seine Zustimmung zu verlassen“, sagte sie mit gepresster Stimme. „Außerdem habe ich eine Illustrierte gelesen, und so etwas duldet er schon gar nicht in seinem Haus.“

„Tut mir leid. Ich hätte Sie nicht so bedrängen dürfen.“ Das klang so natürlich und aufrichtig, dass Kirsten ihm einen erstaunten Blick zuwarf. „Aber ich war neugierig.“

Sie versuchte, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken, doch irgendetwas schnürte ihr den Hals zu. Shahirs dunkle Stimme schien ihr Hirn zu umnebeln und sandte heiße Schauer über ihren Rücken. Als gehorche sie einer unbekannten Macht, hob Kirsten den Kopf und wurde von dem forschenden Blick seiner goldenen Augen gefangen genommen.

„Ich … ich war Ihretwegen auch ziemlich neugierig“, stammelte sie.

Shahir spürte, wie ihre naive Aufrichtigkeit seine Selbstdisziplin erschütterte. Doch er wusste, dass der Fehler bei ihm lag. Leichtsinnigerweise hatte er die unsichtbare Barriere überschritten und war mit seinen Fragen viel zu persönlich geworden. Dazu hatte er das arme Mädchen auch noch in einen Raum gelotst, wo sie ganz allein waren. Er war ihr Arbeitgeber, und sie vertraute ihm.

Welcher aufrechte Mann würde eine derartige Situation ausnutzen? Dabei war es ganz unerheblich, wie stark die Anziehungskraft zwischen ihnen auch sein mochte. Oder ob ihre Nähe sein Blut wie glühende Lava durch die Adern fließen ließ. Es war nur eine perfide Versuchung des Schicksals, der er auf keinen Fall nachgeben durfte!

„Als wir uns auf dem Hügel trafen, haben Sie Flurschäden auf den Feldern Ihres Vaters erwähnt“, erinnerte Shahir sie mit sachlicher Stimme. „Ich habe die Angelegenheit untersuchen lassen.“

Kirsten nickte nur wie betäubt. Dass er deshalb mit ihr sprechen wollte, leuchtete ihr irgendwie ein, obwohl es sie wunderte, dass er sich persönlich um derart nichtige Angelegenheiten kümmerte. Sie konnte einfach nicht den Blick von ihm wenden. Nie zuvor hatte sie sich so starr und gleichzeitig so lebendig gefühlt.

Kirstens Rücken schmerzte vor Anstrengung, sich betont aufrecht zu halten, ihr Atem kam in kleinen, abgehackten Stößen, und das seltsame Gefühl im Magen irritierte sie zutiefst. Obwohl es eigentlich gar nicht unangenehm war.

„Es ist inzwischen erwiesen, dass einer der Arbeiter, die auf Strathcraig Castle beschäftigt sind, mit dem Motorrad über das Land Ihres Vaters gefahren ist. Er war sich seines Vergehens nicht bewusst und hat versprochen, dass es nie wieder vorkommen wird. Mein Verwalter wird Ihren Vater anrufen und ihm mitteilen, dass der Schaden auf unsere Kosten beseitigt wird.“

„Oh …“, murmelte Kirsten abwesend.

Shahir schob die dunklen Brauen zusammen und konnte es kaum fassen, dass sie offensichtlich nichts mitbekommen hatte. „Was habe ich gerade gesagt?“, hörte er sich selbst fragen.

„Irgendetwas über das Feld … glaube ich“, murmelte sie vage.

„Sie haben mir überhaupt nicht zugehört.“ Das hörte sich nicht etwa gekränkt, sonder eher zufrieden an. Und so war es auch. Shahir gefiel die Vorstellung, dass Kirsten sich in seiner Nähe nicht konzentrieren konnte. Plötzlich fühlte er sich wie ein Tiger auf Beutefang, und stellte erheitert und eine Spur beschämt fest, dass sein Begehren inzwischen durchaus animalische Züge angenommen hatte.

Er konnte sich kaum noch davon zurückhalten, diese wundervolle Frau in seine Arme zu ziehen …

Shahirs träges Lächeln ließ Kirstens Blick an seinen Lippen hängen wie ein Fisch an der Angel. Und in der nächsten Sekunde fragte sie sich bereits, wie sich diese kühn geschwungenen Lippen auf ihrem Mund anfühlen mochten …

Nur mit Mühe gelang es ihr, sich aus ihrer Verzauberung loszureißen. Pfui, Kirsten! schalt sie sich. Du benimmst dich ja schon genauso, wie Jeanie es dir unterstellt hat!

„Besser, ich gehe wieder an meine Arbeit zurück“, sagte sie gepresst, rührte sich aber nicht von der Stelle.

„Das war aber nicht das, woran du gerade gedacht hast“, murmelte Shahir heiser.

Die persönliche Anrede und der raue Ton seiner Stimme trafen Kirsten bis ins Mark. Und erst recht, was er gesagt hatte.

„N…ein, ich habe …“

„Na, was geht dir wohl gerade durch deinen hübschen Kopf?“, drängte er und kam ihr so nah, dass sie ihr eigenes Spiegelbild in seinen dunklen Pupillen sehen konnte. Kirsten begann am ganzen Körper zu zittern. Zum Teil aus Angst vor dem, was hier gerade passierte, zum Teil aus einer inneren Erregung heraus, für die sie keinen Namen wusste.

„Sag es mir …“, raunte Shahir. „Aber lüg mich nicht an.“

Das Erstaunen über ihre plötzlich erwachte Weiblichkeit und diese unbestimmte Sehnsucht waren bei Kirsten noch so groß, dass sie gar keine Chance gehabt hätte, sich zu verstellen. Außerdem log sie nie. „Ich … ich habe mich gefragt, wie es sich wohl anfühlt, wenn Sie mich küssen würden.“

Shahir murmelte irgendetwas auf Arabisch, umschloss Kirstens Hände mit seinen und zog sie langsam immer näher an sich. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und mit aller Gewalt versuchte er, die warnende Stimme in seinem Hinterkopf zum Schweigen zu bringen.

„Dann lass es mich dir zeigen …“

Sein Kuss war hart, hungrig, fordernd, aber irgendwie noch nicht hart genug, um das sehnsüchtige Begehren in Kirstens Innerem zu stillen. Mit einem leisen Aufstöhnen schlang sie die Arme um seinen Nacken und stellte sich auf die Zehen, um den Kuss noch intensiver empfangen zu können. Sie legte sich keine Rechenschaft über ihr Verhalten ab, aber wie hätte sie das auch tun können? Kirsten verstand ja selbst nicht, was gerade in ihr vorging.

Mit zitternden Fingern fuhr sie die starken Konturen seines Gesichts nach, strich über den braunen kräftigen Hals, die breiten Schultern und wieder zurück.

Kirsten fühlte sich wie im Auge eines Orkans. Sie stand ganz still, doch um sie herum schien die Welt in einem wilden Strudel zu versinken. Es war, als würde sie von einem unbekannten Fieber erfass...

Autor

Sharon Kendrick
Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr. Sharon träumte davon, Journalistin zu werden,...
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Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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