Julia Weekend Band 128

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DIE GELIEBTE DES ITALIENISCHEN MILLIONÄRS von LYNNE GRAHAM

„Verzeih mir“, flüstert Vivien. Es war falsch, Lucca zu verlassen. Es war unendlich grausam, ihm zwei Jahre ihren gemeinsamen Sohn vorzuenthalten. Doch statt einer Antwort schaut ihr Noch-Ehemann sie kühl an – und zieht sie dann voller Begehren in seine Arme …

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  • Erscheinungstag 01.03.2025
  • Bandnummer 128
  • ISBN / Artikelnummer 0838250128
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Lynne Graham

1. KAPITEL

„Ich war mir nicht sicher, ob du das sehen willst oder nicht.“ Alfredo legte die Zeitung auf den eleganten Schreibtisch seines Cousins.

Lucca Saracino versteifte sich, als er auf der Titelseite Jasmine Baileys Foto entdeckte. Die Lügen, die die üppige Blondine, ein ehemaliges Oben-ohne-Model, über ihn erzählt hatte, hatten dazu beigetragen, dass seine Ehe in die Brüche gegangen war. Jetzt hatte Jasmine bewiesen, wie tief sie gesunken war, um kurze Berühmtheit zu erlangen. Sie hatte zugegeben, dass die Geschichte über die heiße Liebesnacht, die sie angeblich mit dem Multimillionär auf dessen Luxusjacht verbracht hatte, erfunden war.

„Du solltest sie verklagen“, erklärte Alfredo, ein untersetzter junger Mann von Anfang zwanzig.

Eine Klage wäre sinnlos. Das war Lucca klar. Er verzog spöttisch die Lippen. Er würde nichts dadurch gewinnen, wenn er dieses billige Flittchen vor Gericht zerrte. Sein Ruf war sowieso längst ruiniert, und seine Scheidung stand kurz bevor. Seine Frau Vivien hatte ihn erschreckend rasch für schuldig befunden. Erhobenen Hauptes und mit Leidensmiene hatte sie die eheliche Wohnung verlassen, obwohl sie schwanger gewesen war. Ihre verbitterte und geldgierige Schwester Bernice hatte sie dazu ermutigt, ihn, Lucca, zu verlassen. Vivien hatte sich geweigert, sich seine Unschuldsbeteuerungen anzuhören. Seine Frau, die bei jedem rührseligen Film in Tränen zerfloss, war ihm gegenüber unerbittlich gewesen.

„Lucca?“, durchbrach Alfredos Stimme die lastende Stille.

Nur mühsam konnte Lucca sich eine Zurechtweisung verbeißen. Aus lauter Menschenfreundlichkeit hatte er seinem begriffsstutzigen Cousin einen zeitlich befristeten Job gegeben. Alfredo wollte unbedingt Erfahrungen auf kaufmännischem Gebiet sammeln. Lucca hielt ihn für gescheit, gewissenhaft, aber unpraktisch und wenig geistreich. Außerdem war Alfredo recht taktlos, er trat in jedes Fettnäpfchen.

„Ich muss mich bei dir entschuldigen“, fuhr der jüngere Mann unbehaglich fort. „Ich habe nicht geglaubt, dass diese Frau dich hereingelegt hat. Auch meine Eltern waren überzeugt, du seist fremdgegangen.“

Das bestätigte nur das, was Lucca längst vermutet hatte. Seine Verwandtschaft hatte kein Vertrauen zu ihm.

„Aber niemand macht dir deswegen einen Vorwurf“, fügte Alfredo rasch hinzu. „Vivien hat sowieso nicht zu dir gepasst, und …“

„Vivien ist die Mutter meines Sohnes“, unterbrach Lucca ihn kühl. „Ich erwarte von dir, dass du respektvoll über sie sprichst.“

Alfredo wurde rot vor Verlegenheit und entschuldigte sich schnell. Ärgerlich schickte Lucca ihn weg. Dann stand er auf und stellte sich ans Fenster. Doch die herrliche Aussicht auf London interessierte ihn momentan nicht. Er musste nachdenken.

Sein kleiner Sohn Marco wuchs ohne ihn in einem schäbigen Zuhause auf, in dem nicht Italienisch gesprochen wurde. Nach dem Scheitern der Ehe und der Trennung hatte es sehr unschöne Auseinandersetzungen gegeben. Lucca hatte darum kämpfen müssen, seinen Sohn wenigstens ab und zu sehen zu dürfen. Durch Jasmine Baileys gemeine und unverschämte Behauptungen hatte man ihn als untreuen Ehemann abgestempelt. Seine Rechtsanwälte hatten ihm klar gemacht, dass kein Gericht ihm das Sorgerecht für seinen Sohn zusprechen würde, denn seine Frau verhielt sich untadelig und hatte einen sehr guten Ruf. Lucca war geradezu empört über die Ungerechtigkeit. Vivien hatte mit ihrem Misstrauen die Ehe zum Scheitern gebracht, und trotzdem hatte sie das alleinige Sorgerecht für ihren gemeinsamen Sohn erhalten.

Mehr als ein gelegentlicher Besucher würde er für Marco nie sein. Lucca befürchtete sogar, dass sein Sohn ihn zwischen den einzelnen Besuchen vergessen würde. Wie konnte sich ein so kleines Kind an einen Vater erinnern, den es nur ein Mal im Monat sah? Vivien würde dem Jungen gegenüber den Vater nicht erwähnen. Aber jetzt hatte sie keinen Grund mehr, auf dem hohen Ross zu sitzen und ihn, was seine Moral anbetraf, zu verurteilen.

Bei diesem Gedanken verspürte Lucca so etwas wie einen Adrenalinstoß, und seine dunklen Augen leuchteten. Er war zufrieden. Natürlich konnte er nicht ausschließen, dass Vivien Jasmine Baileys Geständnis gar nicht mitbekam. Als Akademikerin interessierte sie sich nicht für Gesellschaftsklatsch und triviale Unterhaltung. Sie las nur selten eine Zeitung.

Lucca bat seine Sekretärin über die Sprechanlage, Vivien ein Exemplar der Zeitung mit Grüßen von ihm zu schicken. Er war es sich selbst schuldig, dass er ihr diesen Beweis seiner Unschuld unterbreitete.

Es würde Vivien den Tag verderben, vielleicht sogar die ganze Woche. Sie war behütet und beschützt aufgewachsen, sehr naiv und leicht verletzlich. Da sie schnell ein schlechtes Gewissen bekam und dann sehr darunter litt, wäre die Erkenntnis, dass sie ihren Mann zu Unrecht verurteilt hatte, sicher quälend. Vielleicht würde ihm jetzt endlich Gerechtigkeit widerfahren. Aber was nützte das? Der Schaden war angerichtet.

„Komm endlich hervor, Jock“, bat Vivien den dreibeinigen Hund, der sich unter dem Schrank versteckt hatte.

Aber der rührte sich nicht. Er hatte den Mann, der die Waschmaschine reparierte, nicht ins Bein zwicken und sein Frauchen nicht vor diesem Eindringling beschützen dürfen. Jock war immer beleidigt, wenn er männliche Besucher nicht aus dem Haus jagen durfte.

Marco gluckste vor Vergnügen und krabbelte über den Boden auf den Schrank zu, um seinem liebsten Spielgefährten Gesellschaft zu leisten.

Vivien hob ihn hoch, und er blickte sie mit seinen großen braunen Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umrahmt wurden, vorwurfsvoll an. Dann versuchte er, sich aus den Armen seiner Mutter zu winden. Als es ihm nicht gelang, fing er vor Zorn an zu schreien.

Sie wappnete sich gegen die bevorstehende Auseinandersetzung. „Nein“, erklärte sie ruhig und bestimmt. Nach dem peinlichen Vorfall kürzlich im Supermarkt hatte sie sich vorgenommen, mit den Temperamentsausbrüchen ihres Sohnes besser umzugehen.

Ungläubig sah Marco ihr in die großen grünen Augen. Sein Kindermädchen Rosa sagte auch immer Nein, sein Vater ebenfalls. Aber Marco wusste genau, dass seine Mutter ihn geradezu anbetete und alles tat, was er wollte. Mit seinen achtzehn Monaten verhielt er sich schon wie ein kleiner Tyrann. Er hatte gemerkt, dass er mit seinen Wutanfällen alles erreichen konnte. Deshalb atmete er jetzt tief ein und schrie weiter.

Vivien war ausgesprochen zierlich und nicht sehr groß und konnte den kräftigen Jungen kaum festhalten, wenn er zornig um sich schlug. Sie setzte ihn in den Laufstall. Einmal war er ihr bei einem seiner Ausbrüche vom Schoß gefallen und hatte sich am Kopf verletzt. Seitdem setzte sie ihn immer hin, um ihn vor sich selbst zu schützen.

„Er ist ein verwöhnter Balg“, hatte ihre Schwester Bernice missbilligend erklärt, und Vivien war sehr verletzt gewesen.

„Marco ist ein sehr anspruchsvolles Kind, stimmt’s?“, hatte Fabian Garsdale es diplomatischer ausgedrückt. Er war ein guter Freund und Kollege und arbeitete genau wie sie am Institut für Biologie der Universität. Sie hatte ihm angesehen, wie schockiert er war und wie sehr er Marcos Verhalten missbilligte. „Hast du schon einmal daran gedacht, es mit den altmodischen, aber keineswegs schlechten Erziehungsmethoden zu versuchen?“

„Sie müssen versuchen, konsequenter und energischer zu sein“, hatte Rosa, Marcos Kindermädchen, Vivien geraten. Bei Rosa hatte er nur selten solche Temperamentsausbrüche. „Marco hat einen extrem starken Willen.“

Vivien machte neben dem Laufstall einen Handstand, um Marco abzulenken. Er hielt wirklich mitten im Schreien inne, und seine Miene hellte sich bei dem Anblick auf, den seine Mutter darbot. Und dann musste er lachen. Sogleich stellte sie sich wieder auf die Füße und umarmte ihren Sohn, während sie ihre Tränen wegblinzelte. Die ganze Liebe, die sie für Lucca empfunden hatte, ließ sie jetzt ihrem Sohn zuteilwerden. Ohne Marco wäre sie mit dem Kummer und Schmerz über das Scheitern ihrer Ehe und die Trennung von Lucca nicht zurechtgekommen. Das Kind hatte ihre volle Aufmerksamkeit gebraucht. Dennoch war sie noch längst nicht darüber hinweg, dass Lucca sie betrogen hatte. Sie nahm alles viel zu schwer und hatte schon als Kind gelernt, ihre Gefühle zu verbergen.

Plötzlich hörte sie einen Wagen über die mit Kies bedeckte Einfahrt fahren. Bernice kam zurück. Sogleich kroch Jock unter dem Schrank hervor, bellte ein einziges Mal und blickte zur Wohnzimmertür. Dann zog er sich wieder in sein Versteck zurück. Wenig später wurde die Tür geöffnet, und eine große, langbeinige Brünette kam herein. Man hätte sie als schöne Frau bezeichnen können, wenn sie nicht so hart und verbittert gewirkt hätte.

Marco gähnte und lehnte sich an seine Mutter. Seine Tante interessierte sich sowieso nicht für ihn. Sie beschwerte sich höchstens über sein Geschrei und seine Wutanfälle.

Mit einem kurzen Blick auf Marco fragte Bernice ärgerlich: „Sollte der Junge jetzt nicht im Bett liegen?“

„Ich wollte ihn gerade fertig machen“, erwiderte Vivien und ging nach oben. Voller Mitgefühl überlegte sie, ob ihre Schwester wieder eine Enttäuschung erlebt hatte.

Bernice hatte finanzielle Probleme. Deshalb fühlte Vivien sich schuldig, denn sie hatte sich aus lauter Stolz geweigert, von Lucca nach der Trennung mehr Geld anzunehmen, als sie unbedingt zum Leben brauchte. Jetzt rächte es sich, dass sie so unvernünftig gehandelt hatte.

Glücklicherweise war das Cottage sehr klein und im Unterhalt günstig, nachdem alle notwendigen Reparaturen durchgeführt worden waren. Bernice behauptete, es sei eigentlich nicht viel größer als eine Puppenstube. Doch damals, in den letzten Tagen der Schwangerschaft, als Vivien völlig deprimiert gewesen war und sich ein Leben ohne Lucca nicht hatte vorstellen können, war das kleine Haus mit dem wunderschönen alten Baum im Vorgarten so etwas wie ein Zufluchtsort für sie gewesen. Es lag auf dem Land in der Nähe der Universität Oxford, wo Vivien momentan an drei Tagen in der Woche am Institut für Biologie arbeitete.

Sie zwängte sich zwischen ihrem Bett und Marcos Kinderbett hindurch und legte den Jungen hin. Mit den beiden Schlafzimmern war das kleine Haus geradezu ideal für eine alleinerziehende Mutter oder einen alleinerziehenden Vater. Doch für zwei Erwachsene war es zu klein. Dennoch war Vivien froh darüber, dass ihre Schwester bei ihr war. Sie wünschte, sie hätte vorhersehen können, dass sie eines Tages eine größere Wohnung brauchen würde. Aber sie hatte nicht ahnen können, was passierte. Bernice hatte ihre Modeboutique in London wegen finanzieller Probleme aufgeben müssen und alles verloren: ihr modernes Apartment, den Sportwagen und beinah alle Freunde.

„Frag mich lieber nicht, wie das Bewerbungsgespräch gelaufen ist“, sagte Bernice ärgerlich, als Vivien sich wieder zu ihr gesellte. „Die Frau hat mir mehr oder weniger direkt vorgeworfen, im Lebenslauf gelogen zu haben. Ich habe geantwortet, den lausigen Job in ihrem Hotel wolle ich sowieso nicht haben.“

Vivien war bestürzt. „Sie hat dir doch sicher nicht vorgeworfen, du hättest gelogen, oder?“

„Das brauchte sie auch gar nicht. Sie hat angefangen, Französisch mit mir zu sprechen, und ich habe kein Wort verstanden“, berichtete Bernice empört. „In meinem Lebenslauf steht, ich könnte mich in dieser Sprache verständigen. Aber ich habe nicht behauptet, ich würde sie perfekt beherrschen.“

Obwohl Vivien nicht gewusst hatte, dass ihre drei Jahre ältere Schwester überhaupt Französischkenntnisse besaß, beeilte sie sich, Bernice zu beruhigen.

Unbeeindruckt verzog Bernice die Lippen. „Es ist deine Schuld, dass man mich gedemütigt hat.“

„Wie bitte?“ Vivien war entsetzt.

„Du bist immer noch mit diesem unglaublich reichen Mann verheiratet, und trotzdem nagen wir praktisch am Hungertuch“, stellte Bernice verbittert fest. „Du beschwerst dich immer, du hättest zu wenig Geld. Deshalb fühle ich mich schuldig und bewerbe mich um Jobs, die gar nicht meiner Qualifikation entsprechen. Du hingegen sitzt die meiste Zeit zu Hause und verwöhnst deinen Sohn wie einen Prinzen.“

Vivien fühlte sich unbehaglich. „Bernice, ich …“

„Du warst schon immer sehr eigenartig, Vivien. Sieh dir doch an, wie du lebst“, unterbrach ihre Schwester sie verächtlich. „Du lebst hier in der Einsamkeit mit deinem seltsamen Hund und deinem kostbaren Sohn und gehst nicht unter Menschen. Dein Leben ist genauso langweilig wie dein Job. Du bist der langweiligste Mensch, den ich kenne. Deshalb hat es mich gar nicht überrascht, dass Lucca auf seiner Luxusjacht mit dieser so sexy wirkenden Blondine fremdgegangen ist. Warum er so ein farbloses Wesen wie dich überhaupt geheiratet hat, ist mir unerklärlich.“ Dann schlug Bernice die Tür hinter sich zu und verschwand.

Vivien war ganz blass geworden. Entschlossen verdrängte sie die verletzenden Bemerkungen ihrer Schwester und kraulte Jock zwischen den Ohren, denn der Hund konnte laute Stimmen nicht ertragen. Immer wieder sagte sie sich, dass Bernice momentan sehr unglücklich sei und mit Nachsicht behandelt werden müsse. Aus eigener Erfahrung wusste Vivien, wie schwierig es war, neu anzufangen, nachdem man alles verloren hatte, was einem wichtig gewesen war. Für Bernice war es ganz besonders schwierig, denn sie hatte nie Kompromisse eingehen müssen. Für sie war es selbstverständlich gewesen, in guten Verhältnissen zu leben.

Dagegen hatte Vivien schon als Kind geglaubt, sehr viel Glück zu haben. Ihre leiblichen Eltern waren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als sie einige Monate alt gewesen war. Aber sie war wenig später von den wohlhabenden und prominenten Dillons adoptiert worden. Deren einzige Tochter Bernice war damals drei Jahre alt gewesen und hatte nicht als Einzelkind aufwachsen sollen.

Man hatte Vivien freundlich und liebevoll behandelt. Doch sie hatte ihre Adoptiveltern insofern enttäuscht, als sie nie Bernice’ beste Freundin geworden war. Die beiden Mädchen hatten nichts gemeinsam gehabt. Und da Vivien sehr sensibel war, hatte sie darunter gelitten, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte. Die Dillons hatten gehofft, sie würde sich genau wie Bernice für die Modebranche, das Reiten, Balletttanz und junge Männer interessieren, gern ausgehen und feiern.

Stattdessen war Vivien schüchtern und zurückhaltend gewesen. Vor Pferden und jungen Männern hatte sie sich gefürchtet, und auf Partys war sie nur ungern gegangen. Viel lieber hatte sie sich in ihre Bücher vergraben. Das hatte ihre Adoptiveltern eher etwas irritiert. Ihrer Meinung nach war es für eine junge Frau nicht normal, sich zu sehr auf das Lernen zu konzentrieren.

Als Vivien siebzehn war, starb ihre Mutter an einem Herzinfarkt. Und während ihres Studiums starb auch ihr Vater, nachdem er mehrere Monate lang wegen finanzieller Rückschläge sehr unter Stress gestanden hatte. Bernice war verzweifelt darüber, dass ihr Elternhaus und die wertvollen Antiquitäten verkauft werden mussten. Es war Vivien nicht gelungen, ihre Schwester über den erlittenen Verlust hinwegzutrösten.

Plötzlich läutete es, und Vivien schreckte aus den Gedanken auf. Sie eilte zur Haustür. Der Fahrer eines Kurierdiensts drückte ihr ein Päckchen in die Hand und verschwand wieder.

„Was ist das?“, fragte Bernice hinter ihr.

„Ich weiß es nicht.“ Vivien erkannte die Handschrift ihres Mannes auf der beigefügten Karte und nahm an, es sei ein Geschenk für Marco. Als sie den luxuriösen Geschenkkarton geöffnet hatte, betrachtete sie verblüfft die Zeitung, die darin lag.

Sogleich erkannte sie die üppige Blondine auf der Titelseite und stand wie erstarrt da. Sie hatte auf einmal ein flaues Gefühl im Magen, und ihre Hände wurden feucht. Warum war Lucca so gefühllos, ihr einen Zeitungsartikel über Jasmine Bailey zu schicken? Vivien ignorierte die Bitte ihrer Schwester, ihr die Zeitung zu geben, und fing an zu lesen.

Völlig schamlos gab Jasmine in dem Interview zu, dass die Behauptung, sie hätte, mit Lucca Saracino geschlafen, eine glatte Lüge gewesen war. Sie hatte Aufmerksamkeit erregen und auf die Partys der Reichen und Schönen eingeladen werden wollen. Die heiße Liebesnacht, die sie vor knapp zwei Jahren in allen Einzelheiten geschildert hatte, hatte es nie gegeben.

Wie betäubt stand Vivien da. Jasmine Bailey hatte das alles nur erfunden? Es war eine Lüge? Dann hat Lucca mich gar nicht betrogen, er war mir treu, und ich, was habe ich gemacht? überlegte Vivien. Sie hatte ihm das Schlimmste zugetraut und seinen Unschuldsbeteuerungen nicht geglaubt. Und sie hatte sich von ihm getrennt. Die Erkenntnis über das, was sie angerichtet hatte, traf sie wie ein Schlag. Plötzlich hatte sie das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen.

„Ich habe ihm Unrecht getan, Lucca ist unschuldig“, sagte sie leise.

„Was ist los?“ Bernice riss ihrer Schwester die Zeitung ungeduldig aus der Hand.

Vivien presste sich die Hand auf die Stirn. Wieder einmal schien alles, was sie sich aufgebaut hatte, zu zerbrechen. Bisher war sie davon überzeugt, ihren Mann zu verlassen wäre die richtige Entscheidung gewesen. Aber innerhalb weniger Sekunden hatte sich alles geändert. Sie musste sich eingestehen, dass es ein großer Fehler gewesen war, alles aufzugeben und ihr Kind ohne seinen Vater aufwachsen zu lassen.

„Du wirst dich doch von diesem Unsinn nicht beeindrucken lassen, oder?“ Bernice’ Stimme klang verächtlich. „Nur weil man sie vergessen und ignoriert hat, versucht Jasmine Bailey jetzt, wieder Schlagzeilen zu machen.“

„Aber bestimmt nicht auf diese Art. Was sie gesagt hat, entspricht dem, was Lucca mir damals erzählt hat. Nur ich …“ Vivien verstummte und kämpfte mit den Tränen. „Ich wollte ihm gar nicht zuhören.“

„Natürlich nicht. Es war vernünftig von dir, dir die Lügen nicht anzuhören. Schon bevor du ihn geheiratet hast, wusstest du, dass er ein Schürzenjäger ist. Habe ich nicht versucht, dich zu warnen?“, fragte Bernice.

Viele Leute hatten Vivien von der Heirat abgeraten. Niemand war über die Verbindung glücklich gewesen, weder seine Familie und Freunde noch ihre. Alle waren erstaunt gewesen und hatten bezweifelt, dass die Ehe lange halten würde. Scheinbar wohlmeinende Freunde hatten Vivien gesagt, sie sei zu still und zurückhaltend, zu altmodisch und zu intellektuell für einen Mann wie Lucca, der sehr weltgewandt war. Sie hatte sich das alles höflich angehört, und es hatte dazu geführt, dass ihr Selbstbewusstsein schon vor der Hochzeit sehr gelitten hatte. Aber sie hatte Lucca viel zu sehr geliebt, um alles rückgängig zu machen.

„Ihr werdet ja sowieso in Kürze geschieden“, erinnerte ihre Schwester sie. „Du hättest ihn nicht heiraten dürfen. Ihr habt nicht zusammengepasst.“

Vivien schwieg und hing ihren Gedanken nach. Lucca hatte sie nicht mit Jasmine Bailey betrogen. Mit einem raffinierten Trick war es der Blondine gelungen, auf seine Jacht zu gelangen. Sie hatte sich als Studentin ausgegeben und sich von einem der Gäste als Begleiterin für dessen minderjährige Tochter anstellen lassen. Sie hatte dem Mädchen auf der Vergnügungsreise helfen sollen, die Englischkenntnisse zu verbessern. Als Jasmine mit der Geschichte über die leidenschaftliche Liebesnacht an die Öffentlichkeit gegangen war, hatte niemand die Behauptung bestätigen oder widerlegen können. Nur Lucca hatte gewusst, dass die Frau gelogen hatte.

Ich habe meinen Mann für etwas bestraft, was er nicht getan hat, dachte Vivien. Ihr wurde übel. Statt ihrem Mann zu vertrauen, hatte sie lieber dieser Frau geglaubt. Lucca war unschuldig, und sie, Vivien, hatte gar keinen Grund gehabt, unglücklich zu sein und sich das Leben schwer zu machen, wie sie sich eingestand. Auf einmal wusste sie, was sie tun musste.

„Ich fahre zu Lucca“, erklärte sie.

„Hast du mir überhaupt nicht zugehört?“, fragte Bernice. „Was willst du denn bei ihm?“

Vivien stand immer noch unter Schock und handelte beinah automatisch. Eins war ihr jedoch völlig klar: Sie musste mit Lucca reden. Seit ungefähr zwei Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Die Scheidungsformalitäten wickelten sie über ihre Rechtsanwälte ab, und ein Kindermädchen holte Marco zu den Besuchen bei seinem Vater ab. Sein unermesslicher Reichtum ermöglichte es ihm, jede persönliche Begegnung mit seiner Frau zu vermeiden.

„Ich muss zu ihm“, wiederholte sie. Da sie an diesem Nachmittag eigentlich arbeiten musste, würde Rosa bald hier sein, um Marco bis sechs Uhr zu betreuen. „Gehst du heute Abend aus?“

Überrascht über den Themenwechsel, runzelte Bernice die Stirn. „Ich habe noch nichts geplant …“

„Lucca wird mich sicher warten lassen, denn ich bin ihm keineswegs willkommen. Deshalb kann es spät werden“, erklärte Vivien. „Ich werde Rosa bitten, länger zu bleiben und Marco ins Bett zu legen. Kannst du bis zu meiner Rückkehr Babysitterin spielen?“

„Es wäre ein großer Fehler, mit Lucca zu reden“, entgegnete Bernice ärgerlich.

„Ich muss ihm sagen, wie leid es mir tut. Das bin ich ihm schuldig“, erwiderte Vivien angespannt.

„Vielleicht ist es gar keine schlechte Idee.“ Bernice hatte ihre Meinung geändert. „Du könntest bei der Gelegenheit Lucca gegenüber erwähnen, dass du mehr Geld brauchst.“

Vivien war entsetzt. „Nein, das ist unmöglich.“

„Dann kann ich nicht auf Marco aufpassen“, erklärte Bernice, ohne zu zögern.

Was soll ich machen? überlegte Vivien frustriert. „Okay, ich schneide das Thema an. Vielleicht kann ich mit ihm eine andere Regelung treffen“, gab sie schließlich nach.

Bernice lächelte triumphierend. „Gut, in dem Fall helfe ich dir ausnahmsweise. Hoffentlich erweist sich Lucca als großzügig.“

Als man Lucca mitteilte, Vivien sei da, stand er auf und unterbrach für fünf Minuten die Sitzung, die er leitete. Auf der Galerie blieb er stehen und betrachtete seine Frau. Sie stand unten in der Empfangshalle. Das braune Top und der Rock in derselben Farbe waren nichts Besonderes. Da er sich nicht mehr um sie kümmern konnte, kleidete sie sich offenbar wieder so unvorteilhaft wie damals, als er sie kennengelernt hatte. Sie kümmerte sich nicht um die neueste Mode. Nagellack benutzte sie offenbar auch nicht mehr, und das lange blonde Haar, das golden glänzte, hatte sie nachlässig zusammengesteckt.

Momentan erregte sie kaum Aufmerksamkeit, zumindest nicht auf den ersten Blick. Dennoch konnte auch die unvorteilhafteste Kleidung ihre natürliche Schönheit nicht verbergen. Ihre Haut schimmerte wie Seide. Er betrachtete ihr schönes, perfekt wirkendes Profil, die zarten, schmalen Hände und die schlanken Beine. Plötzlich stieg heftige Erregung in ihm auf. Ärgerlich darüber, dass er sich nicht besser beherrschen konnte, ballte er die Hände zu Fäusten.

Damals hatte er sie für liebevoll, unverdorben und völlig loyal gehalten. Ihre Herzlichkeit und Bescheidenheit hatten ihn begeistert, und ihre Aufrichtigkeit und Freundlichkeit hatten ihn beeindruckt, denn er selbst war eher ein Zyniker. Falschheit war ihr fremd gewesen. Er war davon überzeugt gewesen, seine Ehe würde im Gegensatz zu so vielen anderen Verbindungen nicht scheitern. Zu versagen war ihm ein Gräuel. Deshalb hatte er sich nicht leichtfertig in die Ehe gestürzt, sondern es sich gut überlegt. Doch Vivien hatte es nicht verdient gehabt, seinen Ring zu tragen.

Er lächelte spöttisch und wandte sich ab. Innerhalb weniger Sekunden hatte er die Kontrolle über sich und seine Empfindungen zurückgewonnen. Weshalb hatte er eigentlich die für ihn so wichtige Sitzung unterbrochen? Wahrscheinlich aus Höflichkeit, gab er sich selbst die Antwort und entschloss sich, in das Sitzungszimmer zurückzugehen. Immerhin hatte er Vivien nicht gebeten, zu ihm zu kommen.

Ihre Reaktion auf Jasmine Baileys Geständnis war typisch für sie. Lucca hätte sich denken können, dass sie sogleich kommen würde. Er kannte Vivien gut. Obwohl sie äußerlich sehr ruhig und beherrscht wirkte, konnte sie sehr impulsiv und emotional sein. Und sie war blind für die zweifelhaften und unredlichen Motive anderer. Gegen Manipulation und Berechnung war sie wehrlos. Sie wollte in jedem Menschen nur das Gute sehen.

Lucca war es egal, ob sie ihre Meinung über ihn geändert hatte oder nicht. Er wollte nicht mit ihr reden, und er hielt ihren überraschenden Besuch für eine spontane Entscheidung, die sie wahrscheinlich später bereuen würde. Wenn die Medien Wind davon bekamen, dass sie hier war, würden bald die Paparazzi in Scharen vor der Tür stehen. Er straffte die Schultern und ging zurück in das Sitzungszimmer.

Vivien ahnte nicht, dass Lucca sie beobachtet hatte, und setzte sich. Dass die Leute, die an ihr vorbeieilten, sie so ungeniert musterten, war ihr unangenehm. Im Zug hatte sie versucht, Lucca im Büro zu erreichen, aber man hatte sie nicht mit ihm verbunden. Er sei in einer Besprechung und dürfe nicht gestört werden, hatte man ihr gesagt. Seine private Handynummer hatte sie nicht mehr, sie hatte sich geändert. Am Empfang hatte man ihr erklärt, er sei sehr beschäftigt. Deshalb machte sie sich auf eine lange Wartezeit gefasst und tröstete sich mit dem Gedanken, dass Lucca im Haus und nicht auf Geschäftsreise im Ausland war.

Um fünf Uhr beendete Lucca die Sitzung und bat einen Mitarbeiter, Vivien in sein Büro zu führen. Nachdem sie drei Stunden gewartet hatte, war ihre Hoffnung gesunken, noch mit ihm reden zu können. Umso erleichterter war sie jetzt, dass man sie doch noch zu ihm führte. Bei der Vorstellung, Lucca nach so langer Zeit wiederzusehen, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. Sie wusste nicht, was sie sagen und wie sie die Kluft, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, überwinden sollte.

Unsicher und verwirrt betrat sie sein Büro.

Lucca stand mitten im Raum und schien ihn ganz auszufüllen. Mit der Größe von eins sechsundachtzig und seinem muskulösen Körper war er ein außergewöhnlich gut aussehender Mann mit charismatischer Ausstrahlung. Sein Anblick raubte Vivien beinah den Atem. Sie bekam Herzklopfen, und ihr wurde der Mund trocken. Als sie Lucca in die dunklen Augen sah, durchdrang sie so etwas wie ein Stromstoß. Dass sie noch immer so heftig auf ihn reagierte, fand sie beschämend.

„So“, begann er schließlich, und beim Klang seiner tiefen Stimme überlief es Vivien heiß, „was führt dich zu mir?“

2. KAPITEL

Vivien blickte Lucca bestürzt an. „Du weißt doch sicher, warum ich hier bin“, erklärte sie.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Woher soll ich das wissen?“

„Du hast mir die Zeitung geschickt“, erinnerte sie ihn angespannt. Sie kam sich ziemlich ungeschickt vor.

Lucca hob abwehrend die Hand. „Und?“

Auf einmal war Vivien die Kehle wie zugeschnürt. „Natürlich bin ich sogleich hergekommen.“

Er lachte leise und leicht belustigt. „Wieso natürlich? Wie kann dein plötzlicher Besuch bei mir natürlich sein?“

Ihr wurde bewusst, wie gespannt die Atmosphäre war, und fühlte sich eingeschüchtert. Sie war zu offen und geradlinig, um Luccas dunklere Seite und seinen schwierigen Charakter zu erfassen. Für sie war dieses Gespräch sehr wichtig. Doch seine gleichgültige Reaktion irritierte sie. „Du hörst mir gar nicht richtig zu. Tu bitte nicht so, als wäre es ein Spiel, bei dem der gewinnt, der die höchste Punktzahl erzielt.“

„Das ist eine reine Vermutung, meine Liebe. Du kannst nicht in mich hineinsehen und hast keine Ahnung, was ich denke.“

„Ich weiß, dass du sehr zornig auf mich bist …“

„Du irrst dich“, unterbrach er sie. „Es bringt nichts, wegen etwas zornig zu sein, was längst Vergangenheit ist.“

„Ich weiß, dass du mich hasst und mir die Schuld an dem Scheitern unserer Ehe gibst“, fuhr sie unbeirrt fort. „Damit hast du ja auch recht, und ich habe nichts anderes verdient.“

„Verschwende bitte nicht meine Zeit“, forderte er sie kühl auf.

Vivien sah ihn mit ihren grünen Augen schmerzerfüllt an. Sie musste ihn dazu bringen, ihr zuzuhören und zu begreifen, dass sie es ehrlich meinte. „Jetzt zu sagen, dass es mir leidtut, würde der Sache sicher nicht gerecht. Aber ich muss es sagen …“

„Warum?“ Herausfordernd erwiderte er ihren Blick. „Deine Entschuldigungen interessieren mich nicht.“

„Du hast mir die Zeitung geschickt“, wandte sie leise ein.

Lucca zuckte nur die Schultern.

Sie atmete tief ein. „Ich sollte wissen, dass ich dir Unrecht getan habe und dass du unschuldig bist.“

„Vielleicht wollte ich damit nur erreichen, dass du dich ganz klein und mies fühlst“, antwortete er betont freundlich. „Oder ich war es mir selbst schuldig, das letzte Wort zu haben. Doch egal, weshalb ich es getan habe, es ist nicht wichtig.“

„Natürlich ist es wichtig.“ Vivien konnte sich nicht mehr beherrschen. „Jasmine Bailey hat unsere Ehe zerstört …“

„Nein“, fiel er ihr ruhig ins Wort, „das hast du ganz allein geschafft. Wenn du mir vertraut hättest, wären wir noch zusammen“, stellte er wahrheitsgemäß und schonungslos fest.

Vivien war sehr betroffen. „So einfach ist es nicht.“

„Doch, das ist es.“

„Aber du hast mich gehen lassen“, wandte sie verzweifelt ein. „Hast du überhaupt ernsthaft versucht, mich von deiner Unschuld zu überzeugen?“

„Deiner Meinung nach ist jemand schuldig, bis die Unschuld bewiesen ist, stimmt’s? Du hast erwartet, dass ich meine Unschuld beweise. Aber wie sollte ich beweisen, dass diese Frau die ganze Geschichte erfunden hatte? Ich habe in der fraglichen Nacht allein im Bett gelegen und in den anderen Nächten auf dieser Fahrt durch das Mittelmeer auch.“ Luccas Miene wirkte verbittert. „Solche Flittchen haben es auf reiche Männer abgesehen. Das hast du schon vor unserer Hochzeit gewusst. Deshalb wäre es sehr wichtig gewesen, dass du mir rückhaltlos vertraust. Du hast jedoch schon bei der ersten Gelegenheit versagt.“

„Vielleicht hätte ich dir vertraut, wenn du es nachdrücklicher geleugnet hättest“, entgegnete sie etwas zu laut. Sie war bestürzt über seine Gefühllosigkeit und sein Desinteresse. „Offenbar hast du aus lauter Stolz nicht einmal versucht, mich davon zu überzeugen, dass ich vorhatte, einen Fehler zu begehen und …“

„Begreif doch endlich, dass dein Besuch für uns beide ziemlich peinlich ist“, unterbrach er sie. „Es gefällt mir ganz und gar nicht, das sagen zu müssen.“

„Du willst gar nicht wissen, dass es mir leidtut“, stellte sie unglücklich fest.

Sie ist so aufrichtig, geradlinig und unglaublich naiv, dachte er. Als er sie geheiratet hatte, hatte er vorgehabt, sie zu beschützen und alles Schlechte von ihr fernzuhalten, wie er sich verbittert eingestand. Dass er selbst einmal ihr Gegner sein würde, hätte er sich nie träumen lassen. Er betrachtete ihr ihm zugewandtes Gesicht, ihre helle Haut, die grünen Augen, die so klar und rein wie Edelsteine wirkten, und ihre verführerischen Lippen.

Vivien sah ihm in die dunklen Augen, und es überlief sie heiß. Ihr wurde schwindlig, und sie fühlte sich ganz schwach auf den Beinen. Diese Reaktion auf ihren Mann war ihr allzu vertraut.

„Ich weiß nicht, warum du gekommen bist“, erklärte er kühl und kniff die Augen zusammen.

„Doch, du weißt es sehr genau“, erwiderte sie angespannt. Ihre Wangen waren gerötet, und sie bemühte sich, sich zu konzentrieren. Sie hoffte, dass er nicht gemerkt hatte, wie heftig sie auf seine Nähe reagiert hatte. Das wäre zu demütigend.

„Aber vielleicht möchte ich gar nicht über das Thema reden“, wandte er betont sanft ein. „Erzähl mir lieber, wie es Marco geht.“

Ein leichtes Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Es geht ihm gut, und er lernt so rasch, weißt du …“

Lucca ärgerte sich über ihr Lächeln. „Nein, ich weiß es nicht.“

„Wie bitte?“ Sie hatte gehofft, die Atmosphäre zwischen ihnen würde sich etwas entspannen, wenn sie über ihren gemeinsamen Sohn sprachen.

„Ich weiß nicht, wie rasch Marco lernt, weil ich nicht oft genug mit ihm zusammen bin, um das beurteilen zu können. Er hat immer etwas dazugelernt, wenn ich ihn nach vier oder mehr Wochen wiedersehe.“

Jetzt war ihr klar, was er gemeint hatte. „Ja, das ist richtig.“

„Offenbar ist dir nie aufgefallen, dass ich nicht dabei war, als er zum ersten Mal gelächelt und zu laufen angefangen hat.“

Vivien war den Tränen nahe. Sie hatte Mitgefühl für Lucca.

„Wahrscheinlich kann ich mich glücklich schätzen, dass er mich bisher immer wieder erkannt hat“, fügte Lucca kühl hinzu.

Sie begriff, wie verbittert er war, was das Kind betraf. Sie konnte nachvollziehen, wie ihm zumute war. Die wichtigsten Entwicklungsstufen seines Sohnes nicht miterleben zu können musste schlimm für ihn sein. Deshalb war es verständlich, dass er sie so feindselig behandelte. Sie hatte ihm gar nicht zugetraut, ein so liebevoller Vater zu sein. Allzu gut erinnerte sie sich daran, wie sehr er sich darüber geärgert hatte, dass sie schwanger geworden war.

„Ich wünschte, ich wüsste, was ich sagen soll“, erklärte sie.

„Vielleicht begreifst du endlich, dass wir uns wie die meisten geschiedenen Paare nicht mehr viel zu sagen haben“, antwortete er spöttisch.

„Wir sind noch nicht geschieden …“

„Aber sehr bald“, entgegnete er so gleichgültig, dass ihr schauderte. „Du willst sicher nicht zu spät zurückfahren. Möchtest du noch etwas mit mir besprechen?“

Vivien fühlte sich schuldig, und sie bereute sehr, was sie Lucca angetan hatte. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Plötzlich fiel ihr ein, was sie ihrer Schwester versprochen hatte.

„Das Geld …“, begann sie und errötete. „Momentan komme ich kaum zurecht. Mir ist bewusst, dass ich von dir nur das Allernötigste annehmen wollte, nachdem wir uns getrennt hatten …“

„Wir haben uns nicht getrennt“, unterbrach er sie. „Du hast mich verlassen.“

Daran braucht er mich wirklich nicht zu erinnern, dachte sie und biss die Zähne zusammen. Sie hatte nicht vergessen, wie stolz sie darauf gewesen war, finanziell unabhängig zu sein. „Meine Situation hat sich geändert. Da ich dieses Jahr ein Buch hätte schreiben sollen, habe ich die Anzahl der Stunden reduziert, die ich als Tutorin arbeite. Leider hat die Verlagsleitung sich dann dagegen entschieden, das Buch herauszubringen. Aber erst im nächsten Semester kann ich wieder Vollzeit arbeiten.“

„Du hattest vermutlich keinen Vertrag mit den Leuten abgeschlossen, oder?“

„Stimmt.“ Wie komme ich dazu, über so etwas Alltägliches mit ihm zu sprechen, das nichts mit meinem Kummer und Schmerz zu tun hat? überlegte Vivien.

„Meine Rechtsanwälte werden sich mit dir in Verbindung setzen und dir einen entsprechenden Vorschlag machen. Das ist kein Problem. Hast du geglaubt, es wäre eins? Waren deine Entschuldigungen nur ein Vorwand? Ging es dir nur um Geld?“, fragte er unvermittelt.

Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie sah ihn bestürzt an. „Es war kein Vorwand …“

„Vielleicht hast du angenommen, ich sei so gemein, dass ich mich weigern würde, dir zu helfen.“ Er verzog verächtlich die Lippen.

„Nein, das habe ich nicht angenommen.“ Beinah hätte sie hinzugefügt, dass sie ihn aus lauter Stolz lieber nicht um finanzielle Hilfe gebeten hätte.

„Obwohl ich am Scheitern unserer Ehe nicht schuld bin, war ich nie kleinlich. Du hast jedoch mein großzügiges Angebot verächtlich zurückgewiesen“, hielt er ihr unbarmherzig vor. „Ich habe das Recht, einen angemessenen Beitrag zum Unterhalt meines Sohnes zu leisten. Doch weil du so unversöhnlich und selbstsüchtig warst, hast du dich geweigert, mehr als diesen lächerlichen Betrag anzunehmen.“

Vivien wurde blass. „Ich habe nicht geahnt, dass du für Marco gern mehr bezahlt hättest.“

Seine Miene wurde hart. Er zuckte die Schultern und warf Vivien einen verächtlichen Blick zu. „Das konntest du auch nicht. Seit du mich verlassen hast, hatten wir nur über unsere Rechtsanwälte Kontakt. Möchtest du jetzt gleich einen Scheck mitnehmen?“

Sie war zutiefst verletzt, und das Herz war ihr schwer. Wollte er sie unbedingt loswerden? „Nein. Ich bin wirklich nicht deshalb gekommen, Lucca.“

„Das wäre aber einleuchtend gewesen“, wandte er spöttisch ein. „Du hast Glück, dass ich dich nicht verklagen kann, weil du mich in Verlegenheit bringst.“

„Tue ich das?“, wiederholte sie verständnislos.

„Du siehst ziemlich bescheiden aus. Die Leute müssen glauben, ich würde meiner Exfrau keinen oder viel zu wenig Unterhalt zahlen.“

„Ah ja. Jedenfalls bin ich nicht wegen des Geldes hier“, bekräftigte sie. „Ist es so schwer zu verstehen, dass ich über Jasmine Baileys Geständnis sehr bestürzt war und bin?“

Lucca zog eine Augenbraue hoch. „Das kann ich natürlich verstehen. Wem gefällt es schon, bewiesen zu bekommen, dass er unrecht hatte? Aber ich kann nicht verstehen, warum du unbedingt mit mir darüber reden wolltest. Wir sind so gut wie geschieden …“

„Das sind wir nicht. Behaupte das nicht immer!“

„Unsere Ehe ist gescheitert und beim besten Willen nicht mehr zu retten“, erklärte er langsam und spöttisch. „Wach endlich auf. Zwei Jahre sind vergangen, und ich erinnere mich kaum noch an unsere gemeinsame Zeit. Wir waren sowieso nicht lange zusammen.“

Jedes Wort traf sie wie ein Stich ins Herz. Es war mehr, als sie ertragen konnte. Sie wollte ihn anschreien, dass alles nicht stimmte, zugleich wünschte sie sich, sie könnte sich zusammenrollen und in einer stillen dunklen Ecke sterben. Alles, was sie gemeinsam erlebt hatten, würde sie für immer im Gedächtnis behalten. Obwohl die Ehe mit Tränen geendet hatte, war Vivien nicht verbittert. Das hatte sie sich nicht erlaubt. Stattdessen hatte sie sich gern an die Zeit mit Lucca erinnert. Er hingegen sagte ihr Dinge, die keine Frau gern hörte: Die Beziehung mit ihr war für ihn nur eine unter vielen gewesen, und er war weitergegangen.

Sie sah so aus, als würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen. Das Eis, das sich um Luccas Herz gelegt hatte, fing an zu schmelzen. Behandelte er sie etwa absichtlich so grausam? Das konnte er sich nicht vorstellen. Er hatte nur die Wahrheit gesagt und Vivien darauf hingewiesen, dass sie sich unklug und irrational verhielt. Vorsichtshalber forderte er sie auf, sich zu setzen. Als sie sich weigerte, bot er ihr einen Drink an.

„Ich trinke keinen …“, begann sie, ohne ihn anzusehen. Sie war verletzt und versuchte, mit dem Schmerz, den sie empfand, zurechtzukommen.

„Ja, ich weiß. Aber du könntest jetzt sicher einen Brandy brauchen“, stellte Lucca fest. Er ärgerte sich darüber, dass er so besorgt um sie war. „Wann hast du zuletzt etwas gegessen?“

„Zum Frühstück.“

Er erinnerte sich daran, dass sein Personal sich während seiner Abwesenheit um sie gekümmert und dafür gesorgt hatte, dass sie regelmäßig etwas zu essen bekam, wenn sie in ihre Arbeit vertieft gewesen war. Sie war eine sehr gute Biologin, aber ausgesprochen ungeschickt, was alltägliche Dinge anging.

Vivien hob den Kopf und sah Lucca mit ihren grünen Augen traurig an. „Du kannst mir nicht verzeihen, deshalb willst du dir meine Entschuldigungen nicht anhören“, flüsterte sie. „Das kann ich verstehen. Momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass ich mir jemals selbst verzeihen kann, was ich getan habe.“

Lucca war bestürzt über ihren intensiven Schmerz. Er drückte ihr das Glas Brandy in die Hand. „Bist du mit dem Zug gekommen? Ich lasse dich mit dem Wagen zum Bahnhof bringen.“

„Ich brauche nicht mit dem Auto zu fahren.“ Vorsichtig trank sie einen Schluck Brandy, ehe sie das ganze Glas leerte. Dann durchquerte sie den Raum. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie an den Sessel stieß und sich daran festhalten musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

„Ich bestehe darauf, dass du auf den Wagen wartest und dich zum Bahnhof chauffieren lässt“, erklärte Lucca.

„Es interessiert mich nicht mehr, worauf du bestehst.“ Sie ging mit hoch erhobenem Kopf weiter. Unsere Ehe ist endgültig beendet, und es besteht keine Hoffnung mehr, noch etwas zu retten, überlegte sie unglücklich.

„Vivi sei doch vernünftig.“

Damals hatte er sie oft liebevoll Vivi genannt. Dass er es jetzt wieder tat, empfand sie als verletzend. Blass und mit ernster Miene verließ sie Luccas Büro und eilte zum Aufzug. Sie erinnerte sich an andere Gelegenheiten, als er diesen Kosenamen benutzt hatte.

„Vivi hör auf zu nörgeln“, hatte er leicht vorwurfsvoll gesagt, wenn sie ihn gebeten hatte, einen Abend in der Woche für sie zu reservieren. Einen solchen Abend wollte sie ganz allein mit ihm verbringen, denn sie gingen viel zu oft aus oder hatten Gäste. An den anderen Abenden arbeitete er bis spät in die Nacht, und sie musste allein in dem breiten Bett einschlafen. „Freizeit nimmt man sich normalerweise für die Kinder. Glücklicherweise haben wir noch keine.“

„Vivi, der Duft deiner Haut macht mich verrückt“, flüsterte er ihr oft ins Ohr und küsste sie wach. Er war ein erfahrener und ungemein geschickter Liebhaber. Obwohl Vivien oft müde und deprimiert war, fühlte sie sich in seinen Armen geborgen und wie im Paradies.

„Vivi, das Leben wird für dich jetzt leicht und angenehm sein, denn du hast ja mich“, hatte er ihr in der Hochzeitsnacht voller Überzeugung versprochen. Sie hatte ihm blind vertraut und ihm jedes Wort geglaubt.

Als der Aufzug anhielt, schreckte Vivien aus den Gedanken auf. Sie lief durch die Empfangshalle hinaus auf die Straße. In dem Schaufenster der Boutique neben dem Bürogebäude entdeckte sie ihr Spiegelbild. Sie blieb stehen und lachte freudlos auf. Es ist typisch für mich, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, mich um mein Aussehen zu kümmern, überlegte sie.

Nachdem sie Lucca verlassen hatte, hatte sie beschlossen, nicht mehr zu viel Zeit auf Äußerlichkeiten zu verschwenden. Doch jetzt war sie entsetzt darüber, wie blass sie war und wie wenig attraktiv sie in dem Top und dem Leinenrock aussah. Sie hätte etwas Elegantes anziehen und Make-up auftragen müssen. Vielleicht hätte Lucca ihr dann zugehört. Er war durch und durch Italiener und trug nur elegante Designeroutfits.

Plötzlich wurde sie von einem Kind angestoßen, das an der Hand einer Frau ging. Mit dem Eis, das es aß, beschmierte es dabei Viviens Rock.

„Signora Saracino?“

Sie sah sich um. Luccas Chauffeur Roberto stand am Straßenrand und hielt ihr die Beifahrertür auf. Die Passanten betrachteten Vivien neugierig. Sie errötete und fragte sich, wie lange sie da gestanden und ihr Spiegelbild betrachtet hatte. Ich glaube, ich benehme mich sehr seltsam, gestand sie sich ein. Vielleicht wäre es doch besser, Luccas Angebot anzunehmen und sich zum Bahnhof fahren zu lassen.

Unsere Ehe ist gescheitert und beim besten Willen nicht mehr zu retten, hatte er gesagt. Du liebe Zeit, warum konnte sie den Gedanken nicht loswerden? Sie fühlte sich gedemütigt. Bernice war bestürzt gewesen, als Vivien verkündet hatte, sie müsse Lucca sehen. Jetzt wünschte sie, sie hätte auf ihre weltgewandtere und erfahrenere Schwester gehört. Lucca hatte sie kühl, verächtlich und feindselig behandelt. Er hatte nicht das geringste Interesse an dem gezeigt, was sie ihm hatte sagen wollen. Stattdessen hatte er sie diskret dazu gedrängt, sich rasch wieder zu verabschieden. Außerdem hatte er ihr vorgehalten, ihn und sich in Verlegenheit zu bringen. Er hatte beinah so getan, als wäre sie in sein Büro gestürmt und hätte ihm erklärt, sie liebe ihn noch und möchte zu ihm zurückkehren. Vivien atmete tief ein und kämpfte mit den Tränen.

Es war fast unglaublich, dass Lucca ihr vor drei Jahren noch das Gefühl gegeben hatte, sie sei für ihn so etwas wie ein Hauptgewinn. Er hatte sich intensiv um sie bemüht und sie wochenlang immer wieder gebeten, ihm eine Chance zu geben.

Vivien war Lucca zum ersten Mal begegnet, als er ihr den für sie reservierten Parkplatz weggenommen hatte, auf den sie gerade rückwärtsfahrend einbiegen wollte. Da sie davon gehört hatte, dass es Leute gab, die Wutanfälle bekamen, wenn man sie im Straßenverkehr auf einen Fehler hinwies, hatte sie vorsichtshalber geschwiegen und sich auf dem Universitätsgelände einen anderen Parkplatz gesucht. Wenig später war sie an dem roten Ferrari vorbeigegangen und hatte ihn kaum beachtet. Solche Wagen beeindruckten sie nicht.

Ehe sie ihren Mantel ausziehen konnte, teilte ihr ein Kollege mit, eine wichtige Persönlichkeit benutze ihr Büro, um zu telefonieren.

„Was soll ich jetzt machen?“, fragte sie ungeduldig und stöhnte, denn sie hatte viel zu tun. „Wer ist es denn?“

„Lucca Saracino. Er hat an unserer Universität studiert und ist einer der erfolgreichsten Geschäftsleute“, erklärte der ältere Mann. „Er ist unvorstellbar reich, und er beabsichtigt, für unsere Fakultät eine Stiftung zu errichten, um uns weitreichende Forschungsarbeiten zu ermöglichen. Wir haben Glück gehabt, dass man ihm nicht das ganze Gebäude zur privaten Nutzung angeboten hat.“

„Saracino“, wiederholte sie nachdenklich. „Ich habe eine Studentin, die Serafina Saracino heißt.“

„Das ist seine jüngere Schwester. Sie ist für ein Jahr als Austauschstudentin hier.“

Viviens Ungeduld legte sich etwas, und sie wartete vor der Tür ihres Büros. Zu Anfang hatte Serafina sehr unter Heimweh gelitten, wie sie Vivien tränenüberströmt anvertraut hatte. Sie hatte die junge Frau ins Herz geschlossen.

„Warum?“, hörte sie Lucca am Telefon fragen und spähte durch die Tür, die einen Spaltbreit offen stand. „Dafür gibt es überhaupt keinen Grund, Elaine. Wir hatten Spaß miteinander, aber wir beide müssen weitergehen. Ich halte nichts von längerfristigen Beziehungen.“

Vivien zuckte zusammen. Die arme Frau am anderen Ende der Leitung wurde von diesem arroganten Kerl, der offenbar ein Herz aus Stein hatte, einfach abserviert. Sie wollte sich ans gegenüberliegende Fenster stellen, um das Gespräch nicht mitzubekommen. Doch in dem Moment erschien der Dekan der Fakultät mit einer gelangweilt wirkenden Blondine an seiner Seite. Und dann geschahen drei Dinge gleichzeitig. Ein großer dunkelhaariger Mann kam aus Viviens Büro. Die Blondine wurde plötzlich lebendig, eilte auf den Mann zu, klammerte sich an seinen Arm und flüsterte ihm etwas zu. Zugleich stellte der Professor Vivien vor.

„Dr. Dillon“, sagte Lucca leicht überrascht.

„Mr. Saracino“, begrüßte sie ihn und blickte ihn an. Er sah so gut aus, dass es ihr beinah den Atem raubte. Seine dunklen Augen wurden von dichten schwarzen Wimpern umrahmt, und er schaute sie an, als wollte er ihre Seele erforschen. Sekundenlang nahm sie nichts anderes um sich her wahr.

Auf einmal stellte sich seine Freundin vor ihn. Vivien war entsetzt über ihre Reaktion auf Lucca Saracino. Er war ein reicher, arroganter Frauenheld. Für solche Männer interessierte sie sich normalerweise nicht. Er versuchte, sich mit ihr zu unterhalten, doch ihre Antworten fielen einsilbig aus. Schließlich entschuldigte sie sich mit Arbeiten, die sie dringend erledigen müsse, und eilte in ihr Büro.

Zwei Tage später entdeckte sie ihn während einer Vorlesung, die sie hielt, in der hintersten Zuhörerreihe und geriet beinah in Panik. Nach der Vorlesung wartete er mit seiner Schwester im Flur auf Vivien und lud sie zum Mittagessen ein. Sie bedankte sich höflich und erfand eine Ausrede.

„Bitte“, mischte seine Schwester, eine hübsche Brünette, sich ein. „Wir wissen ja, dass Sie sehr zurückhaltend sind. Aber Lucca möchte sich dafür bedanken, dass ich mich bei Ihnen ausweinen durfte, als ich so unglücklich war.“

„Nein, das stimmt nicht“, widersprach Lucca ihr. „Ich möchte Ihre Gesellschaft genießen, Dr. Dillon.“

Ihr verkrampfte sich der Magen. Um seine Schwester nicht zu enttäuschen, willigte sie widerstrebend ein. Sie rührte das Essen jedoch kaum an und hätte die persönlichen Fragen, die Lucca ihr stellte, am liebsten nicht beantwortet. Aber sie war nicht weltgewandt und geschickt genug, um das Thema zu wechseln oder Konversation zu machen.

Nach dem Essen hatte Serafina wieder eine Vorlesung. Vivien hätte sich auch gern verabschiedet. Aber Lucca fragte sie teils belustigt, teils ärgerlich: „Warum mögen Sie mich nicht?“

„Wie kommen Sie denn auf die Idee?“ Es war ihr peinlich, dass er es gemerkt hatte. Sie wusste jedoch selbst nicht, was sie empfand. Dass sie seit der ersten Begegnung immer wieder an ihn gedacht hatte, brauchte er nicht zu wissen. Er war für sie ein Fremder, aber er war ihr nicht fremd.

Er lud sie zum Abendessen ein. Damit sie sich nicht mit anderweitigen Terminen herausreden konnte, sollte sie den Tag selbst bestimmen. Sie war überrascht über sein beharrliches Interesse.

„Sie sind sehr schön“, erklärte er, als hätte er ihre Gedanken erraten.

„Nein, das stimmt nicht“, entgegnete Vivien. Sie hielt es für eine unsinnige Behauptung und erwähnte, dass sie nicht gern ausgehe. Dann versicherte sie ihm höflichkeitshalber, ihr Desinteresse hätte keine persönlichen Gründe, und verschwand.

Anschließend schickte er ihr zwei Wochen lang täglich wunderschöne Blumensträuße, die fantasievoll zusammengestellt waren. Am dritten Wochenende stand Lucca mit einem Picknickkorb vor der Tür ihres Apartments. Sie konnte seinem Charme nicht widerstehen und bat ihn herein. Geschickt servierte er ihnen ein großartiges Essen. Ehe er sich verabschiedete, lud er sie wieder ein.

„Sie müssen verrückt sein“, erwiderte sie leicht verzweifelt. „Warum wollen Sie unbedingt mit mir ausgehen?“

„Ich kann an nichts anderes mehr denken.“

„Das macht keinen Sinn.“

„Sie können ja auch an nichts anderes mehr denken“, fügte er, ohne zu zögern, hinzu. „Muss es überhaupt einen Sinn haben?“

Für mich auf jeden Fall gestand sie sich ein. Sie machte nicht gern etwas Sinnloses und überschritt auch nie ihre Grenzen. Dass sie ungeschickt im Umgang mit Männern war, wusste sie. Sie war zu vorsichtig, um ihr Herz an jemanden zu verlieren, der sie am Ende nur verletzen würde. Natürlich sehnte sie sich danach, mit Lucca zusammen zu sein. Aber ihn wieder zu verlieren würde sie nicht ertragen. Deshalb lachte sie nur über seine Bemerkung und gab nicht zu, dass er recht hatte.

Lucca gab nicht auf. Er rief sie in unregelmäßigen Abständen an. Vivien gewöhnte sich daran und war enttäuscht, wenn er sich nicht meldete. Am Telefon konnte sie sich gut mit ihm unterhalten. Sie fand die Gespräche mit ihm interessant und fühlte sich wohl dabei. Über ihre Empfindungen wollte sie sich jedoch keine Rechenschaft ablegen. Ihr zuvor so großes Interesse an der Arbeit und auch ihr Seelenfriede verschwanden. Am Ende des Sommersemesters sah sie ihn dann auf Serafinas Abschiedsparty mit einer anderen Frau. Vivien fühlte sich verraten und betrogen. Endlich hatte sie sich eingestanden, was sie für Lucca Saracino empfand und wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte.

Unvermittelt kehrte Vivien in die Wirklichkeit zurück. Ihr wurde bewusst, dass sie sich momentan in einer ähnlichen Lage befand wie damals. Ohne etwas um sich herum wahrzunehmen, blickte sie zum Fenster der Limousine hinaus. Was empfand sie eigentlich für ihren Mann? Nachdem sie Jasmine Baileys Geständnis gelesen hatte, hatte sie alles stehen und liegen lassen und war zu ihm gefahren. Sie hatte sich sogleich bei ihm für ihr mangelndes Vertrauen entschuldigen wollen. Doch war das wirklich der einzige Grund, warum sie es so eilig gehabt hatte, nach London zu kommen?

Widerstrebend gestand sie sich die Wahrheit ein. Da es sich herausgestellt hatte, dass Lucca ihr nicht untreu gewesen war, wollte sie wieder mit ihm zusammen sein. Ohne nachzudenken, hatte sie ihn in der verzweifelten Hoffnung besucht, ihre Ehe retten zu können, ehe die Scheidung ausgesprochen wurde. Das steckte doch hinter dem spontanen Entschluss, oder etwa nicht? Hoffentlich ahnte Lucca nichts von ihren Hoffnungen und Wünschen. Er hatte sie weggeschickt. Aber wollte sie wirklich nach Hause fahren, ohne etwas erreicht zu haben?

Sie erinnerte sich daran, wie oft sie ihn zurückgewiesen hatte, ehe sie schließlich bereit gewesen war, mit ihm auszugehen. Lucca war ein stolzer Mann. Trotzdem hatte er vor drei Jahren nicht aufgegeben und um sie gekämpft. Dabei hatte es genug Frauen gegeben, die allzu gern bereit gewesen wären, sich mit ihm einzulassen. Er hatte jedoch nur Vivien haben wollen und sich auch von seinem Stolz nicht beirren lassen.

Und ich habe gleich nach dem ersten fehlgeschlagenen Versuch aufgegeben, sagte sie sich und richtete sich auf. Das war geradezu beschämend. Hatte sie den Mut, jetzt auch um ihn und ihre Ehe zu kämpfen? War sie bereit, ihren Stolz zu vergessen und sich zu bemühen, Lucca davon zu überzeugen, dass sie noch eine Chance hatten? Sie brauchte nicht lange zu überlegen. Ihr Entschluss stand fest.

In dem Moment hielt der Chauffeur den Wagen vor dem Bahnhof an, und Vivien stieg aus. Sie bemerkte den Fleck auf ihrem Rock. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Jetzt musste sie erst einmal ein neues Kleid kaufen, ehe sie noch einmal mit Lucca redete. Sie hatte nicht vergessen, was er ihr eingeschärft hatte: Man wurde in erster Linie nach dem Äußeren beurteilt.

Sie fand die Geschäfte wieder, in denen sie damals gern eingekauft hatte. Nach längerem Suchen fand sie auch das geeignete Outfit, ein eisblaues Kleid, und überwand sich, es anzulassen. Dann bürstete sie ihre langen blonden Haare und ließ sie offen über die Schultern fallen.

Anschließend fuhr sie mit dem Taxi zum eleganten Wohnviertel, in dem Lucca jetzt ein stilvolles Stadthaus besaß. Bernice hatte Fotos davon in einem Hochglanzmagazin entdeckt und sie Vivien gezeigt. Es war ihr wie eine Ironie des Schicksals vorgekommen, dass er das sehr große, unpersönlich wirkende Apartment, in dem sie sich nie wohlgefühlt hatte, erst aufgegeben hatte, nachdem die Ehe gescheitert war.

Angespannt stieg sie aus dem Taxi. Sie nahm um sich herum nichts wahr, denn sie überlegte, was sie Lucca sagen sollte. Auf einmal rief jemand ihren Namen, und sie sah sich überrascht um. Ein Mann richtete die Kamera auf sie und machte Fotos. Zugleich kamen noch mehr Reporter angelaufen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite gewartet hatten, und überschütteten sie mit Fragen. Vivien war bestürzt und stand sekundenlang wie erstarrt da. Dann lief sie, so schnell sie konnte, die Stufen hinauf und klingelte an Luccas Tür.

Die Paparazzi folgten ihr. „Wie stehen Sie zu Jasmine Bailey, Mrs. Saracino?“, wollte einer wissen.

„Heute Nachmittag hat man Sie im Büro Ihres Mannes gesehen.“ Jemand hielt ihr ein Mikrofon hin, und der Auslöser einer Kamera klickte. „Stimmt es, dass Lucca Sie stundenlang hat warten lassen?“

„Wissen Sie, dass Lucca momentan mit Bliss Masterson befreundet ist? Sie ist eine der schönsten Frauen der Welt. Was empfinden Sie dabei? Schüchtert Sie das ein?“

Vivien war schockiert und wünschte sich verzweifelt, sie könnte flüchten. Sie lehnte sich an die Tür und hätte beinah das Gleichgewicht verloren, als ihr geöffnet wurde. Glücklicherweise wurde sie von starken Armen aufgefangen, hochgehoben und ins Haus befördert.

„Vivien, wollen Sie versuchen, Ihre Ehe zu retten?“, hörte sie noch einen Reporter rufen, ehe die Tür zugemacht wurde.

„Ist alles in Ordnung?“ Besorgt setzte Arlo, Luccas Sicherheitsbeauftragter, sie in einen Sessel. Der Mann war immer sehr nett und freundlich gewesen.

„Ja“, erwiderte sie leise und bemühte sich, den Schock zu überwinden.

„Das ist gut, meine Liebe“, ertönte in dem Moment Luccas Stimme. „Dann brauche ich keine Rücksicht zu nehmen und kann dir sagen, dass dein Auftauchen hier das Dümmste war, was du tun konntest.“

3. KAPITEL

Vivien war bestürzt über Luccas harte Worte und sah ihn an, während er auf sie zukam. Sie hatte immer so gern behauptet, es käme nicht auf das Aussehen eines Menschen an, sondern auf seine inneren Werte. Aber jetzt musste sie sich eingestehen, dass sie von seinem Aussehen und seiner Ausstrahlung immer wieder von Neuem fasziniert war. Er war ungemein attraktiv, und bei seinem Anblick bekam sie weiche Knie.

„Wie kannst du so etwas sagen?“, brachte sie mühsam heraus und stand rasch auf. Sie bereitete sich darauf vor, sich zu verteidigen. Lucca würde sie mit Worten fertig machen, wenn sie sich nicht wehrte.

„Es war doch klar, dass die Medien sich nach Jasmine Baileys Geständnis auf dich stürzen würden, sobald du hier auftauchst.“ Lucca war offensichtlich sehr zornig.

„Ich war so aufgewühlt, dass ich an die Möglichkeit gar nicht gedacht habe“, gab Vivien reumütig zu.

„Aber du hättest daran denken müssen“, antwortete er ungehalten. Dass sie es wirklich bereute, konnte ihn nicht versöhnlicher stimmen. Morgen würden alle Zeitungen Fotos von Vivien in diesem unvorteilhaften Kleid veröffentlichen.

„Du hast recht. Kann ich vielleicht einen Drink haben?“, fragte sie. Sie fühlte sich immer noch schwach auf den Beinen, was eigentlich kein Wunder war, denn seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen.

Lucca war verblüfft darüber, dass sie noch einen Drink haben wollte. Hatte sie etwa nach der Trennung angefangen zu trinken? Er öffnete die Tür zu einem beeindruckenden Empfangszimmer.

„Du fragst dich sicher, weshalb ich noch einmal zu dir gekommen bin …“, begann Vivien unbehaglich.

„Konntest du den richtigen Zug nicht finden?“

Sie errötete und hob den Kopf. „Ich meine es ernst …“

„Ah ja.“ Sein Lächeln wirkte beleidigend. „Wir sind so gut wie geschieden, und plötzlich tauchst du hier auf. Offenbar bin ich wieder gefragt. Du meinst es ernst, hast du behauptet?“ Er schenkte ihr einen Brandy ein.

Vivien stand kerzengerade da. „Sei bitte nicht so ironisch. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn du in dieser Stimmung bist.“

„Vielleicht hättest du dich während unserer Trennung anders verhalten, wenn du geahnt hättest, dass es so kommen würde“, stellte er fest.

„Wenn ich geahnt hätte, dass diese Frau eines Tages ein solches Geständnis ablegen würde, hätte es gar keine Trennung gegeben.“

„Vor zwei Jahren hast du einer fremden Frau mehr geglaubt als mir. Das war das Ende unserer Ehe.“ Seine Stimme klang kalt und unbeteiligt.

Obwohl Vivien ihn unbedingt daran erinnern wollte, wie es einmal zwischen ihnen gewesen war, befürchtete sie, damit nur Öl ins Feuer zu gießen und seine Feindseligkeit noch zu verstärken. „Du weißt genau, dass wir uns entfremdet hatten. Wir hatten uns in den Wochen davor nur selten gesehen. Du warst erst in New York, dann auf der Jacht …“

„Du hättest mitkommen können“, unterbrach er sie.

Sie gestikulierte hilflos mit den Händen. „Du hast immer so lange gearbeitet …“

„Davor hatte ich dich schon vor der Hochzeit gewarnt“, erinnerte er sie.

„Ich habe meine wissenschaftlichen Arbeiten vermisst und wäre gern beschäftigt gewesen. Lucca, hör mir bitte zwei Minuten zu“, bat sie.

Lucca setzte eine gelangweilte Miene auf.

„Ich habe einen schweren Fehler gemacht, das gebe ich zu. Ich kann auch verstehen, da...

Autor

Trish Morey
<p>Im Alter von elf Jahren schrieb Trish ihre erste Story für einen Kinderbuch- Wettbewerb, in der sie die Geschichte eines Waisenmädchens erzählt, das auf einer Insel lebt. Dass ihr Roman nicht angenommen wurde, war ein schwerer Schlag für die junge Trish. Doch ihr Traum von einer Karriere als Schriftstellerin blieb....
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Jennifer Lewis
<p>Jennifer Lewis gehört zu den Menschen, die schon in frühester Kindheit Geschichten erfunden haben. Sie ist eine Tagträumerin und musste als Kind einigen Spott über sich ergehen lassen. Doch sie ist immer noch überzeugt davon, dass es eine konstruktive Tätigkeit ist, in die Luft zu starren und sich Wolkenschlösser auszumalen....
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